Der Tag, der alles verändern sollte
Als die Vorlesungen am Freitagmittag beendet
waren, gingen Caitlin und ich einen Cappuccino trinken. Es war Ende
November, und bereits sehr kalt. Da ich diese Temperaturen aus
Kalifornien nicht gewohnt war, fror ich so gut wie immer. Caitlin
meinte, dass ich mich schnell daran gewöhnen würde. Das hoffte ich
auch.
Als ich meine Tasse in den Händen hielt, fühlte
ich die Wärme in meine Finger zurückkehren. Ich schloss die Augen
und fühlte mich einfach nur wohl.
„In welchen Film geht ihr denn?“
„Keine Ahnung. Eric hat die Karten reserviert.
Ich hab ihm gesagt, dass ich auf Filme mit Happy End
stehe.“
Caitlin lachte. „Das heißt aber nicht
unbedingt, dass ihr euch so einen Film ansehen werdet. Ich wette,
dass er auf Actionfilme steht. Wahrscheinlich wird es eine Mischung
aus beidem. So was wie James Bond oder so.“
„Da läuft doch grad keiner.“
Ich zuckte die Schultern. „Ich lass mich
einfach überraschen. Außerdem ist der Film ja auch gar nicht so
wichtig.“
Belustigt sah sie mich an. „Ach so. Und wieso
nicht?“
„Na ja, Hauptsache ich bin mit ihm zusammen.
Das Drumherum ist nicht von Bedeutung.“
Gedankenverloren rührte ich mit dem kleinen
Löffel in meinem Cappuccino. Tatsächlich war ich sehr gespannt,
welchen Film Eric wohl ausgesucht hatte. Im Kino würden wir zwar
nicht viel reden können, aber es war der perfekte Ort, um sich
etwas näher zu kommen.
„Ich rede heut mit Mom und Dad wegen den
Weihnachtsferien.“
„Was meinst du werden sie sagen?“
„Ich glaube Mom flippt völlig aus. Dad wird
eher gelassen reagieren. Aber Mom beschwert sich dann wieder, dass
er sie unterstützen soll. Also werd ich mit beiden zu kämpfen
haben.“
Aufmunternd sah ich sie an. „Du schaffst das
schon.“
Jetzt grinste sie. „Ich weiß.“
Als ich nach Hause kam, war meine Tante dabei,
eine Reisetasche voll zu packen.
„Oh, hallo Sam.“
„Hi. Warum packst du?“
„Meine Chefin hat gerade angerufen. Morgen
findet in Edinburgh eine Ausstellung unserer Galerie statt.
Eigentlich hätte Emily dort übers Wochenende sein sollen. Aber ihr
Sohn ist krank geworden und jetzt muss ich an ihrer Stelle dahin.
Das Haus gehört die nächsten Tage also dir allein.“
Ich überlegte, ob mir das gefallen würde oder
ob es mich eher beunruhigte, so ganz allein in dem riesigen Haus zu
sein.
Lori hielt in ihrer Bewegung inne und sah mich
drohend an.
„Wäre ich deine Mutter, würde ich dir jetzt
wahrscheinlich einen stundenlangen Vortrag darüber halten, was du
tun und was du lassen sollst.“
Abwartend sah ich sie an.
„Aber da ich nicht Sylvia bin sag ich nur, dass
ich dir vertraue und weiß, dass ich mich auf dich verlassen
kann.“
Das mir entgegengebrachte Vertrauen meiner
Tante freute mich sehr.
„Du kannst dich auf mich verlassen, Ehrenwort.
Wann musst du los?“
Hektisch lief sie umher.
„Eigentlich sollte ich schon längst unterwegs
sein.“
Sie schnappte ihre Tasche und lief in Richtung
Haustür.
„Ich fahr selbst nach Edinburgh, das heißt,
dass du ohne Auto auskommen musst bis ich wieder da bin.“
„Kein Problem.“
„Machs gut Süße, bis bald.“
„Viel Spaß, bis bald.“
Sobald sie zur Tür raus war, rief ich Caitlin
an.
„Hi Caitlin. Meine Tante musste spontan übers
Wochenende verreisen. Hast du Lust heute hier zu
schlafen?“
„Na klar. Weißt du was? Ich bring uns einen
Film mit.“
„Hört sich gut an. Ich such dann schon mal die
Karte vom Mexikaner raus.“
„Okay, dann bis gleich.“
„Bis gleich.“
Wir lümmelten gerade auf der Couch, eingehüllt
in eine Decke und schauten den Film an, als das Telefon
klingelte.
„Das ist bestimmt Lori.“
Ich sprang auf und lief zum Telefon.
„Hallo?“
Als ich keine Antwort erhielt, fragte ich
nochmals:
„Hallo?“
Wieder antwortete mir niemand. Doch diesmal
vernahm ich ein unregelmäßiges Geräusch. Es klang wie das Atmen von
irgendjemandem.
„Hallo, wer ist denn da?“
Ich hörte deutlich, wie am anderen Ende jemand
ein- und ausatmete. Es wurde mir so langsam unheimlich und da legte
ich einfach auf.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, sagte
Caitlin:
„Das ging aber schnell.“
„Es war niemand dran. Ich hab nur jemanden
atmen hören. Irgendwie gruselig.“
„Wahrscheinlich falsch verbunden.“
„Ja, wahrscheinlich.“ Doch ich hatte ein ganz
schlechtes Gefühl dabei.
***
Am Samstagmorgen erwachte ich neben Caitlin auf
der Couch.
„Guten Morgen Langschläfer.“
Ich schaute auf die Uhr. „Es ist doch erst
neun. Was heißt hier Langschläfer?“
„Zumindest bist du dann heute Abend fit und
ausgeruht“, sie zwinkerte mir zu.
Ich rieb mir mit meinen Händen übers
Gesicht.
„Ich geh kurz ins Bad, dann können wir
Frühstück machen.“
„Schon erledigt.“
Da fiel mein Blick auf den
Esszimmertisch.
„Wow! Willst du vielleicht öfter hier
übernachten?“
Sie lachte. „Jetzt mach dich fertig und dann
komm essen.“
Caitlin ging gegen halb fünf nach Hause.
Höchste Zeit, um mich für mein Date zu richten.
Ich stieg unter die Dusche und ließ das warme
Wasser auf meinen Körper rieseln. Ich dusche immer viel länger als
nötig.
Als ich endlich fertig war, nahm ich meine neue
Bodylotion aus dem Schrank und cremte mich ein. Ich freute mich
sehr aufs Kino mit Eric. Den ganzen Abend über würde ich ihm nahe
sein. Meine Haare ließ ich nach langem Überlegen dann doch offen
über meine Schultern fallen. War einfach praktischer fürs Kino. Was
natürlich nicht fehlen durfte, war mein neues Parfüm. Und fertig
war ich, Eric konnte kommen.
„Man könnte meinen, wir hätten uns
abgesprochen“, sagte ich zu Eric, nachdem ich seine Kleider gesehen
hatte.
Er trug ebenfalls eine schwarze Hose, ein
weißes Seidenhemd kam unter seiner schwarzen Lederjacke zum
Vorschein. Man konnte kaum erkennen, wo seine dunklen Locken
aufhörten und die Jacke anfing.
„Ich finde es steht dir ziemlich gut“, sagte
er.
„Das kann ich nur zurückgeben.“
Wir stiegen in sein Auto und er fuhr
los.
„Welchen Film schauen wir denn an?“
„Ich hab Karten für `Verliebt in eine
Hexe`.“
„Perfekt. Genau den hätte ich mir auch
ausgesucht.“
„Inzwischen kenn ich dich eben schon recht
gut.“
Als wir im Kino ankamen, holte Eric unsere
Karten. Er brachte eine große Tüte Popcorn und zwei Becher Cola
mit.
„Danke. Ich liebe Popcorn.“
„Ich weiß“, sagte er und lächelte mich
an.
Wir liefen in Richtung Kinosaal.
„Was hältst du davon, wenn ich dich nach dem
Film noch auf einen Drink einlade?“, fragte ich ihn.
„Klingt gut. Hier ganz in der Nähe gibt es
einen Mexikaner. Die machen tolle Cocktails.“
Wir setzten uns auf unsere Plätze, Eric rechts
neben mir.
„Interessiert dich der Film eigentlich auch?“,
fragte ich ihn.
„Er wäre jetzt nicht meine erste Wahl gewesen,
aber ich wusste, dass er dir gefallen würde.“
„Das ist echt nett von dir. Ich hoffe, er
gefällt dir trotzdem.“
„Hauptsache ich kann ihn mit dir zusammen
anschauen, der Rest ist nicht so wichtig.“
Das kam mir irgendwie bekannt vor. Doch es aus
seinem Mund zu hören, klang schöner als ich es mir hätte vorstellen
können.
Die Werbung begann, ich fing an mich über mein
Popcorn herzumachen.
„Nein danke“, sagte Eric, als ich ihm etwas
davon anbot.
„Wie, du magst kein Popcorn? Das gibt’s doch
gar nicht.“
„Tut mir leid, dass ich dich in der Hinsicht
enttäuschen muss.“
„Dann bleibt schon mehr für mich.“
Das entlockte ihm ein Lachen.
Als der Film endlich begann, hatte ich das
Popcorn schon fast komplett aufgegessen. Es waren nur noch ein paar
kleine Popcornbrösel und Maiskörner, die nicht aufgegangen waren in
der Tüte. Also stellte ich sie unter den Sitz und trank einen
Schluck von meiner Cola. Ich lehnte mich in meinen Sitz zurück und
konzentrierte mich wieder auf die Leinwand.
Nach einer Weile neigte er sich zu mir und
fragte:
„Hast du was dagegen, wenn ich jetzt deine Hand
nehme?“
Seine geflüsterten Worte ließen mich innerlich
erschauern.
„Nein, nichts dagegen“, brachte ich bloß
hervor.
Er berührte mit seinen kalten Fingern meine
Hand, ließ seine Finger darüber streichen. Dann nahm er meine Hand
in seine und legte sie auf seinen Oberschenkel. Dort verweilte
seine Hand auf meiner. Um der Anspannung in meinem Arm nachzugeben,
musste ich mich zwangsläufig weiter in seine Richtung lehnen. Nach
einer Weile legte ich meinen Kopf an seine Schulter. Es war
traumhaft, so mit Eric dazusitzen, ihn zu berühren und von ihm
berührt zu werden. Der Film war auf einmal weit weg.
„Und, wie hat er dir gefallen?“
„Also ich fand ihn toll. Und er hatte ein Happy
End. Danke, dass du ihn dir mit mir angesehen hast Eric.“
„Du brauchst mir nicht zu danken. Es war mir
ein Vergnügen.“
„Dann lass uns jetzt zu dem Mexikaner gehen
ja?“
„Klar. Es ist nicht weit, wir können zu Fuß
gehen.“
„Das ist eine gute Idee. Frische Luft tut mir
jetzt ganz gut.“
Wir verließen die Fußgängerzone und bogen in
eine leere Seitenstraße ein.
„Was würdest du als erstes verhexen, wenn du
plötzlich Zauberkräfte hättest?“, fragte mich Eric.
Am liebsten hätte ich geantwortet `dich`, aber
das tat ich natürlich nicht.
„Hm, ich glaube, als erstes würde ich die
Temperaturen hier anheben. Um mindestens zehn Grad, wenn nicht
sogar fünfzehn.“
„Ist dir kalt?“
„Nur ein bisschen.“ Das war nicht ganz richtig,
denn ich fühlte mich wie ein Eiszapfen. Aber ich wollte ja kein
Weichei sein.
„Hier, nimm meine Jacke.“
Er machte bereits Anstalten sie
auszuziehen.
„Nein, dann ist dir doch viel zu kalt. Es geht
schon, ehrlich.“
Es ging ja auch irgendwie.
Er legte die Jacke und seinen Arm um mich. Das
war ohnehin viel besser als nur die Jacke. Wir gingen eine Zeit
lang schweigend nebeneinander her. Ich überlegte, ob ich ihn
nachher noch zu mir nach Hause einladen sollte, Lori war ja nicht
da. Aber es sollte keinesfalls falsch rüber kommen. Er sollte
einfach nur noch ein bisschen mit zu mir kommen, ohne
Hintergedanken. Ich machte gerade den Mund auf um ihn zu fragen.
Dann ging alles ganz schnell.
Ohne, dass ich eine Bewegung wahrgenommen
hatte, wurde Eric von jemandem angefallen und von mir weggerissen.
Die Wucht des Aufpralls ließ uns beide zu Boden gehen. Ich wollte
sofort wieder aufstehen, um zu sehen was los war. Doch als ich
aufblickte, war ich starr vor Schreck, ich konnte mich nicht
bewegen.
Eric lag immer noch auf dem Rücken auf dem
Boden. Der Angreifer saß auf ihm drauf.
„Rück endlich die Formel raus, oder ich bring
dich um!“
Als ich ihn erkannte, wurde mir ganz anders. Es
war Evan, Erics Bruder.
Eric schleuderte ihn von sich und stand auf.
Doch Evan ließ nicht locker, er rannte auf Eric zu. Seine Augen
blitzten gefährlich auf, seiner Kehle entrang ein Geräusch, eine
Art Knurren. Mit einer einzigen fließenden Bewegung sprang er aus
ungefähr fünf Metern Entfernung direkt auf Eric zu. Es sah aus als
schwebte er in der Luft, wie in dem Film Matrix. Es sah völlig
unecht aus. Er bewegte sich so schnell, dass seine Umrisse
verschwammen. Doch Eric kam ihm zuvor. Er setzt ebenfalls zum
Sprung an, beide trafen sich in der Luft. Evan ging zu Boden, Eric
hielt ihn mit seinen Knien auf den Boden gedrückt.
Als ich sein Gesicht sah, schrie ich
erschrocken auf. Seine Augen waren nicht mehr schwarz, sondern
schimmerten violett. Sie funkelten vor Wut, wie die Augen eines
wilden Tieres. Seiner Kehle entrang ein tiefes Knurren, das mir
durch Mark und Bein drang. Doch das war nicht das Schlimmste. Das
Schlimmste waren seine Zähne. Er hatte plötzlich zwei Reißzähne.
Diese Erkenntnis nahm mir den Atem. Er war ein Vampir. Ein Monster.
Einer von denen.
Er sah mich an als wollte er mir irgendetwas
sagen. Das tat er dann mit fremder, tiefer Stimme:
„Sam, lauf weg! Schnell!“
Doch dann traf ihn Evans Faust mit voller Wucht
ins Gesicht. Er fiel hinten über, lag am Boden.
Währenddessen sah Evan mir direkt in die Augen.
In ihnen war nichts Menschliches mehr zu erkennen. Er fauchte mich
an. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ich musste hier weg,
das war mein einziger Gedanke.
Evan kam auf mich zu. Bewegungslos saß ich auf
meinen Knien. Ich wollte weglaufen, doch ich konnte nicht. Er ließ
es nicht zu.
Eric schlich sich von hinten an ihn ran und
warf ihn zu Boden. Den Moment nutze ich und rannte los. Ich wusste
nicht wo ich war, noch wo ich hin lief. Ich wollte nur weg von
hier. In meinen Augen brannten Tränen des Entsetzens. Doch ich war
schneller, wenn ich jetzt nicht weinen würde. Also blinzelte ich
sie weg. Ich sah nach hinten, doch es folgte mir niemand. Dennoch
konnte ich nicht aufhören zu rennen.
Als ich wieder in die Fußgängerzone einbog und
einige Leute sah, verfiel ich in ein normales Tempo.
Was war gerade passiert? Mein Verstand weigerte
sich, das eben Gesehene zu glauben.
Eric konnte kein Vampir sein. Er durfte keiner
sein. Nicht Eric.
Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Geistesabwesend setzte ich mich auf einen Sitzstein, direkt vor
einer Pizzeria. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich nur
darauf zu atmen, was ich viel zu schnell tat. Wenn es mir nicht
gelingen würde mich zu beruhigen, dann würde ich
hyperventilieren.
Ich würde einfach Caitlin anrufen und sie
bitten mich abzuholen.
Mit zitternden Fingern holte ich mein Handy aus
der Tasche. Vor lauter Aufregung ließ ich es fast fallen. Ich
wählte Caitlins Nummer. Es klingelte. Einmal, zweimal, dreimal.
Nach dem zehnten Mal legte ich auf. Verfluchter Mist, sie ging
nicht ran. Was sollte ich jetzt bloß tun? Ich würde es einfach
später noch mal probieren.
Ohne groß darüber nachzudenken, lief ich an der
Hauptstraße entlang, in der Hoffnung, Caitlin würde mich so schnell
wie möglich zurückrufen.
„Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“
Als ich aufschaute, sah ich zwei Mädchen auf
mich zukommen.
„Ist alles okay?“
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich am ganzen
Körper zitterte und wohl auch ziemlich weggetreten aussehen
musste.
„Ja. Danke. Mir geht’s gut.“
Ich brachte sogar ein kleines Lächeln
zustande.
Es musste wohl glaubhaft rüber gekommen sein,
denn sie gingen nach einem letzten mitleidigen Blick auf mich
weiter.
Ich schlich immer weiter die Straße entlang und
wartete auf Caitlins Anruf. Sie musste ja irgendwann sehen, dass
ich versucht habe sie zu erreichen. Bitte beeil dich, flehte ich
stumm.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich in diesen
Schuhen noch weiter laufen könnte.
Neben mir führ ganz langsam ein Auto her. Ich
erkannte es sofort. Es war Erics Auto.
Eine innere Stimme sagte, ich solle weglaufen.
Aber ich blieb einfach stehen.
„Sam, steig ein. Bitte.“
Jetzt sah er nicht mehr Furcht einflößend,
sondern unglaublich traurig aus.
„Glaubst du wirklich, dass ich nach alldem, was
ich gerade gesehen habe, noch mal zu dir ins Auto
steige?“
Es kam hysterischer und schriller über meine
Lippen als beabsichtigt.
„Lass mich dir alles erklären.“
„Weißt du was, das kannst du dir sparen. Wie
konntest du mich nur so belügen? Hast dich bestimmt über mich
kaputt gelacht. Wie konnte ich nur so blöd sein?“
Voller Enttäuschung bedeckte ich mit meinen
Händen mein Gesicht.
„Sam, bitte. Bitte steig ein. Lass mich dich
nach Hause bringen. Du musst keine Angst vor mir haben.“
„Fällt mir irgendwie schwer das zu
glauben.“
„Ich will dich nur nach Hause bringen. Ich
könnte dir nie was tun. Niemals.“
Als ich in seine Augen sah, wusste ich, dass er
die Wahrheit sagte. Ich wusste, ich sollte einfach weiter gehen,
ihn ignorieren. Aber ich konnte es nicht.
Langsam öffnete ich die Tür und stieg
ein.
„Bist du in Ordnung?“
Er beugte sich zu mir rüber. Doch ich streckte
ihm abwehrend meine Hände entgegen. Bedrückt zog er sich
zurück.
„Hast du mich mit deiner Gedankenkontrolle dazu
gebracht, dass ich in dein Auto steige?“
Entsetzen spiegelte sich in seinem Blick. „Sam
glaub mir, ich würde dir niemals meinen Willen
aufzwingen.“
Ich nickte. „Mir fehlt nichts, glaub
ich.“
Schweigend fuhr er los. Als er merkte wie ich
zitterte, schaltete er die Heizung ein.
„Danke.“
„Sam, gib mir bitte die Möglichkeit dir alles
zu erklären.“
„Ich denke, ich hab alles gesehen was ich
wissen muss. Fahr mich nur nach Hause.“
Als er vor dem Haus meiner Tante anhielt,
fragte ich:
„Sag mir nur eins Eric. War irgendwas von dem
hier echt, oder hast du das nur gemacht um … um mein Blut zu
trinken?“
Als ich seinen Gesichtsausdruck sah, taten mir
meine Worte schon fast wieder leid.
„Ich hatte nie vor, dich in Gefahr zu bringen.
Es tut mir leid.“
Ich nickte nur und stieg aus.
Nachdem die Tür hinter mir ins Schloss fiel,
sackte ich dagegen. Die Tränen konnte ich nicht mehr zurück halten.
Das durfte alles nicht wahr sein.
Nach einer Weile stand ich auf und ging in mein
Zimmer, zog meine Stiefel aus und rollte mich in meinem Bett so eng
wie möglich zusammen.
***
Auf einmal war es fürchterlich kalt in meinem
Zimmer. Ich wollte die Decke höher ziehen als ich bemerkte, dass
ich gar nicht mehr in meinem Zimmer, in meinem Bett war. Panisch
schaute ich mich um. Oh nein, ich war mitten in unserem Irrgarten.
Was vielleicht gar nicht so schlecht war, denn dann war ich nicht
weit entfernt von unserem Haus. Erkennen konnte ich kaum etwas als
ich mich umsah, stellte jedoch fest, dass alles voller Nebel war.
Das ließ mich schaudern. Aber es brachte alles nichts, ich musste
irgendwann loslaufen. Inzwischen kannte ich den Weg hinaus. Nach
ein paar Metern stolperte ich plötzlich über etwas. Als ich es
aufhob und erkannte was es war, war ich etwas verwirrt. Es war der
alte Teddy, den Lori und Ben mir bei einem Besuch bei ihnen
geschenkt hatten, den ich damals im Labyrinth bei mir hatte, als
ich nicht mehr alleine den Weg nach draußen fand. Ich hatte ihn gar
nicht hier her mitgebracht. Er war daheim in L.A. in einer Kisten
in meinem Zimmer. Wie konnte das sein? Wirklich Angst vor dem Teddy
hatte ich nicht, eher vor der Tatsache, dass er jetzt hier war.
Doch darüber konnte ich mir später immer noch Gedanken machen,
jetzt musste ich weiter, raus aus dem Irrgarten.
Langsam und mechanisch setzte ich einen Fuß vor
den anderen. Eine Weile ging das auch gut, bis mich ein seltsamer
Anblick in seinen Bann riss. Irgendetwas hatte sich in einem Busch
links neben mir verfangen und flatterte jetzt wild mit jedem neuen
Windstoß in der Luft umher. Als ich näher kam, erkennte ich es. Es
war der rote Seitenschal meiner Mom. Den hatte ich ihr letztes Jahr
zu Weihnachten geschenkt. Sie war seither nicht mehr hier gewesen.
Wie konnte also ihr Schal hier sein?
Die ganze Sache wurde immer unheimlicher. Ich
nahm den Schal in meine linke Hand neben den Teddy und ging weiter,
angespannt vor Angst, was wohl als nächstes passieren würde. Hinter
der nächsten Kurve sah ich wieder etwas am Boden liegen. Es war
sehr flach und auch sehr lang. Bereits bevor ich es aufhob konnte
ich erkennen, dass es sich um ein schwarz-weißes Portrait handelte.
Doch als ich die Personen, die darauf dargestellt waren, erkannte,
wurde mir noch mulmiger zumute. Die Person in der Mitte kannte ich
nicht. Es war ein junges, auffallend hübsches Mädchen. Links neben
ihr erkannte ich meinen Albtraum, Evan. Auf der rechten Seite sah
ich Eric. Auf dem Portrait sah er jünger aus als ich ihn kannte.
Das musste aus der Zeit stammen, bevor er zum Vampir wurde. Dann
musste das Mädchen seine Schwester Sheila sein. Das Portrait war
von allen Dingen das Merkwürdigste. Ich nahm es ebenfalls mit.
Morgen würde ich Caitlin fragen ob sie irgendeine Erklärung dafür
hat. Ich hatte ihr sowieso noch einiges zu erzählen. Ich fragte
mich, ob das jetzt alle Überraschungen waren, oder ob noch etwas
auf mich wartete.
Vorsichtig setzte ich meinen Weg fort. Kurz
bevor ich den Ausgang erreicht hatte, sah ich zwei rote Augen vor
mir. Als ich genauer hinschaute, konnte ich die Umrisse einer
großen Gestalt erkenne. ´Evan`, schoss es mir durch den Kopf. Doch
genau in dem Moment war die Gestalt weg. Mir blieb nichts anderes
übrig, ich musste an der Stelle vorbei, an der gerade eben noch
Evan gestanden hatte, um aus dem Labyrinth zu entkommen.
Plötzlich hörte ich ganz nah hinter mir ein
Knurren und dann das gleichmäßige Atmen von jemandem. Ich wusste
ohne mich umzudrehen, dass es Evan war. Ich saß in der Falle. Bevor
mein Verstand realisierte was los war, rannten meine Beine bereits
von selbst drauf los. Ich musste wahnsinnig sein wenn ich dachte,
ich könnte jemandem wie ihm entkommen. Doch ich würde nicht
kampflos aufgeben, musste es einfach versuchen. Schnell bekam ich
Seitenstechen, doch anhalten kam nicht infrage, denn es bedeutete
den sicheren Tod.
Als ich die letzte Kurve hinter mich gebrachte
hatte und den Irrgarten endlich verließ, stand Evan bereits da und
wartete auf mich. Mit geschlossenen Augen wich ich vorsichtig
zurück, bis ich gegen das nächste Gebüsch stieß. Reflexartig
öffnete ich die Augen und stellte fest, dass ich schweißgebadet in
meinem Bett saß. Es war nur ein Traum.