Unser erstes Date

 

Es war kurz vor sechs, als mich erneut eine Welle Nervosität durchströmte. Ich atmete tief durch und prüfte mein Erscheinungsbild. So oft wie heute hatte ich mich noch nie hintereinander umgezogen. Da ich nicht wusste was wir vorhatten, wäre ich wohl nie zufrieden gewesen. Doch da es in diesem Moment an der Tür klingelte, erübrigte sich diese Frage.

Schließlich hatte ich eine schwarze Jeans und ein grünes Langarm-Shirt mit V-Ausschnitt an. Über die Hose hatte ich schwarze Stiefel gezogen. Ein Trend, den ich gerne mitmache. Das Outfit betont meine langen dünnen Beine. Zumindest ein Vorzug, mit dem ich auffahren konnte.

Als ich die Treppe runter lief, kribbelte es verdächtig stark in meinem Bauch. Ich verdrängte das Gefühl und konzentrierte mich auf die Stufen, was wohl auch besser so war.

Als ich die Tür öffnete, blieb mir fast der Atem weg. Er sah atemberaubend aus. Eric hatte ebenfalls Jeans an, jedoch blaue. Dazu trug er ein weißes, modisches Hemd, darüber eine Jeansjacke. Seine dunklen Haare lockten sich leicht und fielen ihm schwungvoll auf die Schultern. Seine schwarzen Augen strahlten mich an. Er sah viel zu gut aus. In diesem Augenblick bereute ich es, dass ich mich nicht mehr herausgeputzt hatte.

„Hallo Sam. Schön dich zu sehen. Du siehst toll aus!“

Seine Worte brachten mich in Verlegenheit, freuten mich aber noch mehr. Nur, was erwidert man darauf? Du siehst auch toll aus? Das fand ich zu banal. Daher antwortete ich nur:

„Hi Eric. Danke.“

Als wir beide in seinem Auto saßen fragte ich ihn:

„Wohin gehen wir?“

„Etwas oberhalb der Stadt gibt es einen netten Aussichtsplatz auf Stirling. Es ist eine Art Lichtung, hinterm Wald. Da könnten wir uns ein bisschen unterhalten. Es ist sehr schön da.“

Als ich an den Wald dachte, wurde mir etwas mulmig zumute. Er musste es bemerkt haben, denn er sagte:

„Wir können auch woanders hingehen, wo mehr Leute sind. Es war wahrscheinlich keine so gute Idee für ein erstes Treffen, du kennst mich ja kaum. Ich dachte nur, weil man von da oben eine so tolle Aussicht hat.“

„Nein, ich würde gern mit dir da hingehen. Es ist bloß wegen dem Wald. Ich … ich mag ihn nicht besonders.“

„Das musst du mir irgendwann mal noch genauer erklären“, sagte er.

 

Wir fuhren die Straße entlang, die zum Stirling Castle führte. Als wir durch den Wald fuhren, war es sehr dunkel und irgendwie unheimlich. Und ich saß hier im Auto eines Wildfremden, der sich vor kurzem auch noch sehr verdächtig verhalten hatte. Wie schaffe ich es bloß immer wieder, mich in solche Situationen zu manövrieren?

Seine Stimme ließ mich aus meinen Gedanken hochschrecken.

„Da wären wir.“

Langsam sah ich mich auf der Lichtung um. Wir standen am Rande eines Abhangs, von wo aus man eine beeindruckende Aussicht auf die ganze Stadt hatte. Da es dunkel war, sah man überall Lichter schimmern.

Links neben uns war das Ende des Waldes, genau neben mir, toll. Rechts von uns war eine Holzbank, von der aus man ebenfalls auf Stirling schauen konnte. Wer verirrt sich wohl hier her? Wenn man nach oben schaute, sah man eine sternenklare Nacht. Es war beinahe Vollmond, was die Nacht noch zusätzlich erhellte.

„Wow, es ist wirklich eindrucksvoll hier.“

„Wenn du möchtest können wir auch ein bisschen rausgehen. Da drüben ist eine Bank.“

„Okay.“

Wir stiegen aus und gingen zu der Bank. Eric nahm eine Decke aus dem Kofferraum und breitete sie über der Bank aus, wie fürsorglich. Er hatte an alles gedacht. Ob er wohl öfter hier war? Allein?

„Dann ist es nicht so kalt.“ Er zwinkerte mir zu.

Als wir saßen fing er an, mir Dinge in der Stadt vor uns zu zeigen.

„Und das große Gebäude links von uns ist dein College. Da sieht man auch das Flutlicht von eurem Sportplatz. Vermutlich trainiert dort gerade jemand.“

„Ja du hast recht. Freitags gehört der Platz unserem Fußballteam. Sie trainieren gerade sehr hart für die nächsten Spiele.“

Er sah mich belustigt an. „Du interessierst dich für Fußball?“

„Nicht direkt. Darryl hat in unserem Team gespielt, daher weiß ich, dass sie freitags trainieren.“

Betretenes Schweigen legte sich über uns. Eric unterbrach es als erstes:

„Ganz schön mutig von dir, mit mir hierher zu kommen.“

Irritiert sah ich ihn an. „ Wieso mutig?“

„Nun ja, du kennst mich kaum und bist jetzt hier mitten im Nirgendwo ganz allein mit mir. Dann die Sache mit Darryl und im Freeway mit Caitlin vor Kurzem. Ich dachte schon, dass du dich gar nicht mehr mit mir treffen willst."

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, dass ich das Richtige getan habe.“

Er grinste. „Caitlin hat dir doch bestimmt erzählt was da passiert ist, oder?“

„Ja, das hat sie.“

Mir brannte die Frage auf den Lippen, was er dort gemacht hatte. Doch ich brachte sie nicht hervor.

„Was denkst du jetzt darüber?“

Die Frage überraschte mich. „Ich weiß es nicht. Das heißt, eigentlich verstehe ich es nicht. Ich weiß, was Caitlin mir erzählt hat, aber es klingt so absurd. Sie scheint es jedoch wirklich zu glauben. Es macht mir irgendwie Angst.“

Er überlegte kurz bevor er seine nächste Frage stellte. „Mache ich dir auch Angst?“

Nach kurzem Zögern antwortete ich:

„Nein.“

„Nein?“

Sein Blick veränderte sich, wirkte irgendwie nachdenklich und finster.

„Wenn du mich weiter so ansiehst, dann vielleicht schon.“

Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als ob er einen inneren Kampf mit sich selbst austrug. Dann sah er mich mit einem Lächeln an. „Tut mir leid.“

„Schon gut.“

„Ich wollte dir noch sagen, dass ich mit dem, was im Freeway passiert ist, nichts zu tun habe. Mir ist wirklich wichtig, dass du das weißt.“

Es war ihm wirklich wichtig, das ist schön. „Caitlin hat es mir schon gesagt, ich weiß es.“

„Ich wollte, dass du es auch noch mal von mir hörst.“

Während er das sagte, schaute er mich eindringlich an.

„Danke, dass du es mir gesagt hast.“

Ich schenkte ihm ein scheues Lächeln. Eine Weile redeten wir gar nicht, sondern genossen nur die Aussicht. Es war kein unangenehmes, peinliches Schweigen, es fühlte sich richtig an, so vertraut.

Seit wir auf Darryl zu sprechen kamen, wollte ich ihn unbedingt fragen, ob er sich einen Reim auf seinen Tod machen konnte. Aber würde er mich dann nicht für komplett übergeschnappt halten, wenn ich ihm von Caitlins Theorie erzählen würde? Andererseits wollte ich gerne wissen, was er darüber denkt.

Ich war so mit Denken beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, wie Eric mich ansah.

„Du wirkst irgendwie so verkrampft. Liegt das am Wald oder an mir?“, fragte er neckisch grinsend.

„Eigentlich liegt es an Darryl.“

Er sah mich fragend an. Ich zögerte, sprach es dann aber doch aus:

„Du weißt ja bestimmt was mit ihm passiert ist oder?“

Er nickte, sein Blick verdunkelte sich.

„Kannst du dir vorstellen, wer so etwas getan haben kann? Und was genau mit ihm passiert ist? Ich versteh das alles nicht.“

Ich war mir sicher, dass er in meinem Gesicht all meine Emotionen ablesen konnte. So war das immer bei mir, daher konnte ich auch nicht lügen. Man würde es sofort durchschauen. Doch seine Miene verriet nicht die geringste Gefühlsregung.

„Als ich erfahren habe was passiert ist, musste ich viel darüber nachdenken. Es war kein Geheimnis, dass Darryl und ich nicht gerade die besten Freunde waren. Aber das hat er wirklich nicht verdient.“

Er machte eine Pause. Es kam mir so vor, als überlegte er, was er mir sagen könnte. „Die Polizei ließ nicht viel raus. Nur, dass es sich wohl um eine Gruppe Jugendlicher handelt, die ihm mit einem Messer Wunden zugefügt und ausbluten lassen hat.“

„Und was glaubst du?“, fragte ich ihn. Er wich meinem Blick aus.

„Ich weiß es nicht. Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber irgendetwas passt da nicht. Ich denke da waren Leute am Werk, die keine Skrupel kennen und sehr gefährlich sind. Deswegen wollte ich auch, dass ihr nicht mehr allein ins Freeway kommt.“

„Hat es was mit dem Freeway zu tun? Mit den Leuten aus dem Freeway? Warum bist du denn dann dort?“

Sein Blick wurde sehr hart. „Du denkst, ich habe was damit zu tun, stimmt´s?“

Ich wollte nicht, dass sich das Gespräch in diese Richtung entwickelte. Was sollte ich ihm jetzt sagen?

„Ich kann mir nicht vorstellen dass es so ist, ehrlich, ich würde nur gern wissen was passiert ist. Du hast jetzt schon öfter gesagt, wir sollen da nicht mehr allein hingehen. Aber ich frag mich immer noch, warum du dann da bist.“

Das Thema war ihm unangenehm, das konnte ich deutlich spüren.

„Um zu verhindern, dass solche Dinge passieren wie neulich" , sagte er energisch. Man spürte richtig, wie nahe ihm das Ganze ging.

„Was ist da denn passiert?“

Abrupt stand er auf und lief hin und her. Die Finger der linken Hand an den Schläfen, als hätte er Kopfschmerzen. Er machte mir Angst. Sollte ich aufstehen und … und dann? Weglaufen? Ich ermahnte mich, nicht paranoid zu werden. Mein Blick muss mich wohl verraten haben, denn er kam auf mich zu. Es sah so aus als wollte er sich zu mir runter beugen, hielt dann aber doch inne und setzte sich neben mich.

„Es tut mir leid Sam. Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ist schon okay.“

„Ich denke nicht, dass Darryl von normalen Jugendlichen angegriffen wurde. Er hat sich im Freeway nicht gerade Freunde gemacht. Ich denke, dass jemand von dort etwas damit zu tun hat.“

Verständnislos sah ich ihn an.

„Die Leute da sind anders. Ich weiß nicht genau wie ich dir das am besten erklären kann.“

„Versuchs doch einfach mal, bitte.“

Lange sah er mich an. Ich dachte schon, er wurde mir nicht mehr antworte, als er schließlich sagte: „Glaubst du an das Übernatürliche?“

Oh nein. „Was genau meinst du?“

„Also gut. Ich denke, er wurde von einem übernatürlichen Wesen getötet.“

Ich schüttelte den Kopf. „Du glaubst auch daran? Du denkst, dass es Vampire waren?“

Seine Augen weiteten sich für einen kurzen Augenblick.

„Ja.“

Ich wusste ja, dass an der ganzen Geschichte etwas faul war. Aber das jetzt aus seinem Mund zu hören, überforderte mich irgendwie.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Sieh mal Sam, wir sind hier nicht in Amerika, sondern in den Highlands. Die Menschen hier glauben seit jeher an das Übernatürliche und somit eben auch an Vampire.“

„Aber es gibt sie nicht echt! Es kann sie nicht geben.“

Hilflos sah ich ihn an.

„Und warum nicht?“

Was für eine Frage. „Weil, weil es so was einfach nicht gibt.“

Das scheint doch wohl einleuchtend zu sein. Es gibt genug Dinge auf der Welt, vor denen man sich fürchten muss. Wenn jetzt auch noch so etwas dazu kam, wo kann man dann den Schlussstrich ziehen?

„Es gibt sie nicht in der Form wie sie im Fernsehen oder in Büchern dargestellt werden. Hier glaubt man daran, dass sie ganz normal unter uns leben und friedlich sind, sie tun niemandem etwas.“

„Aber jetzt schon. Das heißt, sie sind gefährliche Killer.“

Es sah so aus, als hätte ihm etwas einen Schlag versetzt.

„Weil das mit Darryl passiert ist? Wie viele Menschen gibt es, die andere Menschen umgebracht haben? Was ist damit? Ist das etwas anderes, nur weil sie Menschen sind?“

Was für eine Frage war das denn?

„Nein, natürlich nicht. Es ist nur so, dass sich das alles so unglaubwürdig anhört. Wie du richtig gesagt hast, bin ich nicht von hier. Für mich ist das neu. Bei uns glaubt man nicht an so was.“

„Ich weiß. Du denkst jetzt bestimmt ich bin durchgeknallt was?“

Ich musste lachen.

„Auch nicht mehr als Caitlin und meine Tante, die denken nämlich genau das Gleiche wie du. Vielleicht habt ihr ja auch recht. Ich schätze, dass ich einfach ein bisschen Zeit brauchen werde, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.“

Es entstand ein verlegenes Schweigen zwischen uns, das er mit folgenden Worten brach:

„Eigentlich habe ich mir unser erstes Date irgendwie anders vorgestellt.“

„Ja ich auch.“

Wir mussten beide lachen.

„Dass es aber auch nicht normal mit dir wird habe ich mir schon gedacht.“

Oh nein. „Wie meinst du das? Nicht normal?“

„Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, da hab ich gleich gespürt, dass du anders bist.“

„Gespürt?“

„Ja, hört sich komisch an, aber so ist es.“

Sein Blick ging mir unter die Haut. Es fühlte sich so an, als könnte er in mich hineinschauen.

„Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich einfach nicht mehr weg schauen. Und als ich es dann doch getan habe, gingen mir deine Augen nicht mehr aus dem Kopf“, gestand ich.

„Ich hätte die Augen von demjenigen, der mich fast überfahren hätte, bestimmt auch nicht vergessen.“

Wir fingen beide an zu lachen.

„Zumindest weißt du jetzt schon mal, dass ich ein ziemlicher Tollpatsch sein kann.“

„Dann sei froh, dass du jetzt jemanden hast, der auf dich aufpasst.“

Seine Worte ließen mir einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen. Das musste doch heißen, dass er mich zumindest ein kleines bisschen gern hat oder?

„Ob es wohl ein schlechtes Zeichen ist, dass genau dieser besagte Beschützer mich fast auf dem Gewissen hat?“

Er grinste. „Du hast es meinen ausgezeichneten Reflexen zu verdanken, dass es nicht so ist, daher spricht das eindeutig für meine Fähigkeiten.“

„Beinhalten deine Fähigkeiten zufällig auch Kenntnisse in innerbetrieblicher Finanzplanung?“

„Ich fürchte, da muss ich passen.“

„Genau so geht es mir auch.“

„Allerdings bin ich recht gut im Schlittschuhlaufen.“

„Das ist eindeutig ein Gebiet, bei dem ich Hilfe gebrauchen könnte“, sagte ich lachend und hoffte gleichzeitig, dass es sich bei seiner Andeutung um eine Einladung handeln würde.

„Gibst du mir denn eine Chance, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen?“

Ich konnte das Lächeln, das mir jetzt um die Lippen spielte, nicht unterdrücken. „Wenn du dir das wirklich antun willst, gern.“

„Könnte mir nichts Unterhaltsameres vorstellen.“

 

Den restlichen Abend saßen wir einfach auf der Bank, haben die atemberaubende Aussicht genossen und uns über den schottischen Aberglaube unterhalten.

Als er mich gegen Mitternacht nach Hause brachte, kehrte die Nervosität zurück. Wie sollte ich mich von ihm verabschieden? Und würde er nach einem zweiten Date fragen? Immerhin wollten wir ja Schlittschuh laufen gehen. Und wenn er nicht danach fragt, soll ich es dann tun? Wie kompliziert…

„Ich fand den Abend heute sehr schön Sam.“

Ich lächelte ihn an. „Ja, ich auch.“

„Hättest du Lust, also ich meine, sollen wir uns zusammen aufs Eis wagen?“ Gott sei Dank.

„Ja, gern. Sag dann aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

„Wie meinst du das?“

„Na ja, die Sache mit dem tollpatschig sein. Das hab ich wirklich ernst gemeint.“

„Und ich meinte das mit dem unterhaltsam sein ernst.“

„Okay, ich schätze dann haben wir ein zweites Date, oder?“

„Passt es dir am Mittwoch, so gegen acht?“

Ich überlegte einen kurzen Augenblick, dann nickte ich.

„Ja, Mittwoch passt gut. Allerdings hab ich gar keine Schlittschuhe.“

„Wir leihen uns dort welche aus, das ist kein Problem.“

„Okay, dann sehen wir uns also am Mittwoch.“

Er nickte, sah mir direkt in die Augen und sagte:

„Gute Nacht Sam.“

Einen Moment lang konnte ich mich nicht bewegen und brachte keinen Ton heraus. Ich war in seinen wunderschönen schwarzen Augen gefangen. Ich fiel förmlich in sie hinein. Dann, ganz plötzlich, kam ich wieder zu mir. Was für eine merkwürdige Empfindung. Etwas verwirrt sagte ich:

„Gute Nacht, Eric.“

Ich ging ins Haus, beflügelt von dem Gefühl, ein zweites Date mit Eric zu haben. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Am liebsten hätte ich sofort Caitlin angerufen und ihr alles erzählt. Aber es war schon spät, das konnte ich fast nicht mehr tun. Ich würde sie gleich morgen früh anrufen.