Neuigkeiten
„Na los Sam, mach ihn schon auf!“
Unsicher und mit vor Anspannung zitternden
Händen hielt ich den großen Umschlag fest. „Mom, dräng mich bitte
nicht! Ich halte hier gerade meine Zukunft in den Händen. Mein
weiteres Leben hängt davon ab.“
„Ich dachte aus dem Alter wärst du
raus?“
„Was meinst du?“
„Immer alles dramatisieren zu müssen. Und jetzt
gib das her.“
Und schon hatte sie den Umschlag an sich
gerissen, öffnete ihn stürmisch und fing an zu lesen„ … freuen wir
uns sehr, Sie ab Oktober am Forth Valley College begrüßen zu
dürfen. Oh Sam, Schatz, das ist ja großartig!“
Sie kam auf mich zu und umarmte mich. Ich
konnte es noch gar nicht fassen.
„Ich werde gleich deine Tante anrufen. Sie wird
sich so für dich freuen Schätzchen. Bestimmt fängt sie auch gleich
an alles vorzubereiten.“
Mom grinste mich an, dann verließ sie die Küche
und ging telefonieren. Ich nahm den Brief und las nochmals die
Zeilen, die mein Leben verändern sollten. Es ist wirklich wahr! Und
der Brief vom Forth Valley College war auch an mich adressiert:
Samantha Bennett.
Ich hörte, wie meine Mutter Tante Lori voller
Stolz alles erzählte. Mir ging so viel gleichzeitig durch den Kopf.
Auf der einen Seite freute ich mich riesig auf das College in
Schottland, aber andererseits würde ich hier ziemlich viel aufgeben
müssen – für eine ganz schön lange Zeit. Meine Familie, Freunde,
das tolle Wetter inklusive der dazugehörigen Klamotten. Es ist ja
kein Geheimnis, dass es in Schottland öfter regnet als sonst wo.
Gut, das vielleicht nicht, aber im Vergleich zu Kalifornien waren
es doch etwas trübe Aussichten. Dafür hat mich dieses Land an sich
schon immer fasziniert. Die Landschaft, vor allem die Highlands,
die schottischen Bräuche, der Aberglaube, eben die ganze Geschichte
des Landes. Wir haben Tante Lori und Onkel Ben dort früher nur sehr
selten besucht, da es ja kein Katzensprung nach Schottland ist.
Damals war ich noch sehr jung und erinnere mich daher kaum an
etwas.
Meine Tante besitzt ein sehr großes Anwesen in
Stirling.
Mom erzählt mir immer wieder, wie ich mich
einmal dort verlaufen habe, als ich noch sehr klein war. In dem
riesigen Garten gibt es ein aus Büschen angelegtes Labyrinth. Ich
habe den Weg nach draußen nicht mehr gefunden und mich in der Mitte
des Irrgartens auf den Boden gesetzt, aus voller Kehle gesungen und
gewartet, bis mich jemand findet. Meine Tante hatte mir kurz zuvor
einen Teddy geschenkt, den drückte ich ganz fest an meine Brust.
Natürlich war es meine Mom die mich gefunden hat. Bei dieser
Erinnerung musste ich unwillkürlich lächeln.
„Sam!“, es war die schrille Stimme meiner
Mutter, die mich da aus meinen Tagträumen riss. „Tante Lori lässt
dir ausrichten, dass sie sich sehr auf dich freut. Ich soll dir
tonnenweise Donuts für sie mitgeben. Sie kann ihre Herkunft halt
doch nicht verleugnen“, sagte meine Mutter mit fröhlicher
Stimme.
„Geht es ihr soweit also gut?“
„Na ja, gut würde ich es nicht gerade nennen.
Bens Tod hat sie vollkommen aus der Bahn geworfen. Jetzt ist sie
zumindest wieder soweit, ihr eigenes Leben zu bewältigen und
gelegentlich auch etwas Spaß zu haben. Ich denke, die Zeit mit dir
wird ihr gut tun.“
„Ich werd sie schon auf Zack halten!“
„Da bin ich mir sicher!“
Wir mussten beide lachen. In diesem Moment
fühlten wir zwei dieses vertraute Gefühl zwischen Mutter und
Tochter. Wir verstanden uns auch ohne weitere Worte.
„Ich gehe jetzt ins Red. Jessy und Amy warten
dort schon auf mich. Bin gespannt, was sie zu den Neuigkeiten sagen
werden.“
Schnell flitzte ich zur Haustür. Denn trotz
meines stolzen Alters von 21 Jahren, mischt sich meine Mom immer
noch gern in meine Pläne ein. Daher mache ich mich immer schnell
aus dem Staub, um ihren unangenehmen Fragen zu entkommen.
Auf dem Weg ins Red ging mir alles Mögliche
durch den Kopf. Ich konnte es immer noch nicht glauben, tatsächlich
am Forth Valley College angenommen worden zu sein. Das war einfach
eine Ehre. Ich wusste ganz genau, dass Mom sich zwar für mich
freute, aber seit Dad uns vor einigen Jahren verlassen hat, war ich
immer ihr Halt gewesen. Sie hat zwar ihren Job und jede Menge guter
Bekannte, trotzdem wird sie mich nur sehr ungern gehen lassen. Aber
es ist ja nicht für immer, nur bis zum Ende meines
Studiums.
„Wow, ich glaub es ja nicht. Die haben dich
tatsächlich angenommen. Das ist ja toll! Gratuliere!“ Amy freute
sich wahnsinnig für mich.
„Hey das ist echt schön für dich“, sagte Jessy
leicht geschockt. Ich wusste, dass sie sich für mich freute. Doch
sie dachte bestimmt auch an die Zeit, in der ich weg sein würde.
Jessy und ich sind seit klein auf die besten Freunde. Wir würden
uns schrecklich vermissen.
„Und wann geht’s los?“, wollte sie
wissen.
„Schon dieses Wochenende.“
„Oh. Okay, dann lass uns heute noch mal richtig
Gas geben. Wer weiß, wann du in Schottland wieder dazu kommst. Ob
es da auch so was wie das Red gibt?“, fragte Jessy so vor sich hin.
Das hoffe ich doch! Wie die Leute da wohl sein mochten? Man stellt
sich da ja schon so ein wenig die Hinterwäldler vor, gerade auch in
den Highlands. Jeder weiß doch, dass es da mehr Schafe als Menschen
gibt.
An diesem Abend hatten wir richtig viel Spaß
zusammen und ich versprach den beiden, ihnen regelmäßig E-Mails zu
schicken und anzurufen. Doch untergründig merkte ich, wie die
Stimmung immer gedämpfter wurde, je näher der Abschied
rückte.
Das Packen fiel mir wirklich schwer.
Wetterbedingt konnte ich meine ganzen schicken, kurzen Klamotten
nicht mitnehmen. Wobei sich mir wieder die Frage stellte, was
verstehen die Schotten unter schick? Ich sollte Lori bitten, mir
ein paar Fotos der aktuellen Trends per Mail zu schicken. Aber
wollte ich mir das wirklich antun? Wahrscheinlich würden mich dort
alle für einen Freak halten.