3 Es ist ein Traum.
Er schließt die Augen, blinzelt, schaut wieder hin. An dem Baum hängt nichts, keine tote Laika, dort ist nur Luft. Nichts Gefährliches, es ist nur Luft, die man atmet, um zu überleben.
Jetzt bellt ein Hund, noch einmal, ein Laut, den er kennt. Auf der Straße vor dem Haus bremst ein Auto. Reifen quietschen. Das Hundegebell ist verstummt. Laika, es muss Laika sein. Sie haben immer zusammengehört, er, Rita und Laika. Dann kamen die Kinder. Er hört das Auto wieder starten und mit durchdrehenden Reifen davonfahren.
Er läuft vor das Haus, den Gartenweg entlang.
Vor der Pforte steht ein Mann. Er hält den Hund am Halsband fest.
Peter öffnet die Pforte, und Laika stürzt auf ihn zu, bellt, leckt ihm das Gesicht. Sie ist wieder zu Hause.
Der Mann bleibt vor der Gartenpforte stehen.
Peter hat ihn noch nie gesehen. Er trägt einen Sommeranzug. Seine Haare sind blond. Er lächelt.
»Danke«, sagt Peter und richtet sich auf. »Ich weiß nicht, wie sie rausgekommen ist.«
Laika läuft auf das Grundstück. Sie ist zu Hause. Zu Hause ist sie in Sicherheit. Sie bellt glücklich.
Der Mann nickt. Fünfzig Meter entfernt steht ein Auto. Peter sieht die Silhouette eines Mannes auf dem Fahrersitz.
»Der Hund schien Angst zu haben«, sagt der Mann.
»Wahrscheinlich hat sie was gehört.«
»Nicht wirklich als Wachhund geeignet.« Er schaut zum Haus. Peter folgt seinem Blick. Dort gibt es nichts zu sehen. Laika ist hinter dem Schuppen verschwunden.
»Nochmals vielen Dank«, sagt er.
»Nicht der Rede wert. Wir konnten zum Glück noch rechtzeitig bremsen. Alles ist gutgegangen.«
Der Mann bewegt sich nicht von der Stelle. Er scheint es nicht eilig zu haben. Irgendwie kommt er Peter bekannt vor.
»Haben wir uns schon einmal gesehen?«, fragt er.
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Warum sollte ich das nicht sein?«
Nein, nicht das Gesicht des Mannes kommt ihm bekannt vor.
Es ist die Stimme.
Er kennt diese Stimme. Jetzt erkennt er sie wieder.
Jesus Christus.
Seine Kopfhaut zieht sich zusammen.
Peter sieht, dass der Mann weiß, dass er weiß, wer er ist.
In diesem Augenblick startet das Auto, das ein Stück entfernt steht. Peter schaut hin, ganz kurz, dann kehrt sein Blick zu dem Mann zurück, der sich immer noch nicht rührt. Das könnte sonst wer sein. Jemand, der einen weggelaufenen Hund nach Hause bringt. Einer von all den Gutmenschen.
»Was wollen Sie?«
Der Mann antwortet nicht.
»Wer sind Sie?«
Das Auto rollt rückwärts auf sie zu, nimmt er aus dem Augenwinkel wahr, sehr langsam, als hätte es einen Defekt.
»Wir sind bald weg«, sagt der Mann.
»Warum sind Sie hergekommen?«
Der Mann macht einen Schritt nach vorn, die erste Bewegung.
»Hören Sie gut zu, Mattéus. Tun Sie, was die von Ihnen verlangen. Verstehen Sie? Tun Sie, was die von Ihnen wollen.«
»Wer sind die?«
»Das werden Sie zu gegebener Zeit erfahren. Tun Sie nur, was sie sagen. Treten Sie diese Reise an.«
»Und wer sind Sie?«
»Ich bin nur der Bote.«
»Der Bote?«
Das Auto hat wieder angehalten. Fünfundzwanzig Meter entfernt.
»Und wenn ich nicht tue, was Sie verlangen? Was die verlangen. Werden Sie Laika dann umbringen? Beim nächsten Mal ist sie tot?«
In den Augen des Mannes steht die Antwort. Er sieht in die Augen eines Mörders. Für diesen Mann ist Mord nichts Besonderes und einen Hund zu töten, nichtig.
»Ich will eine Erklärung.«
»Sie werden beizeiten alles erfahren, was Sie wissen müssen.«
»Ich will alleine reisen.«
»Nein.«
»Dann will ich, dass die ganze Familie fährt.«
»Nein.«
»Und wenn ich die Polizei einschalte?«
Der Mann antwortet nicht. Er geht zu dem Auto. Das war keine Frage, nichts, was beantwortet werden müsste. Er öffnet die Autotür, steigt ein, die Tür wird geschlossen, das Auto fährt an.
Peter dreht sich um.
Rita kommt aus dem Haus.
»Wer war das?«
»Jemand, der Laika auf der Straße gefunden hat.«
»Auf der Straße? Wie ist sie denn dahin gekommen?«
»Wie zum Teufel soll ich das wissen?«
Er sieht, dass sie zusammenzuckt.
»Entschuldige, Rita.«
Er geht auf das Haus zu.
»Vielleicht sollten wir die Reise nicht machen«, hört er sie sagen.
Er dreht sich um.
»Wir müss… Klar fliegen wir«, sagt er.
»Wir müssen? Wolltest du grade ›wir müssen‹ sagen?«
Er antwortet nicht. Wenn er jetzt etwas sagt, muss er es erklären. Aber das ist unmöglich. Er kann nicht alles erzählen. Unter keinen Umständen.
Die Scheinwerfer blendeten alle, auch ihn. Niemand wurde verschont, alle wurden innerhalb von Sekunden blind.
Sie hatten es versprochen.
Sie hatten es versprochen!
War die Sonne schon hinter den weißen Bergen aufgestiegen, als es begann?
Auch zu Hause gab es einen Weißen Berg. Es gab Lieder darüber. Er hatte sie selbst gesungen. Auch die Lieder der Südküste hatte er gesungen, es gab viele. Wie naiv er gewesen war, dass er mitgesungen hatte! Getrunken und gesungen. Geträumt. Und geliebt, geliebt hatte er auch. Es war eigentlich keine Erinnerung, war viel weniger als eine Erinnerung, fast durchsichtig, zerfressen wie etwas, das im Begriff ist, sich aufzulösen, nachdem es viele Jahre der Sonne ausgesetzt war. Es war nicht nur die Erinnerung an Liebe, sondern auch an all das andere, und er hatte versucht, alle Erinnerungen zu verbrennen. Aber sie waren nicht so schwach wie die Liebe, die immer das Schwächste von allem ist, ganz gleich, was man darüber sagen mag.
Er richtet sich im Bett auf, kann keinen klaren Gedanken fassen. Er will sich nicht erinnern, will endlich vergessen. Es ist nichts mehr da. Das war eine frühere Inkarnation. Er ist jetzt ein anderer. Menschen können ein neues Leben anfangen.
Dies ist ein neues Leben, denkt er und spürt, als er aufsteht, den kühlen Holzboden unter den Füßen. Dieses Leben ist neu, solange ich mich erinnern kann.
Er geht in die Küche, gießt sich ein Glas Wasser ein und setzt sich an den Tisch.
Nur die Angst vergisst man nie.
Die Spannung ist größer als die Angst. Keine Spannung ohne Angst. Habe ich das Gefühl vermisst?
Er steht auf, will nicht darüber nachdenken, ob er es vermisst. Vielleicht würde er das alles bald wieder spüren, viel Spannung und viel Angst. Es lauert dort draußen. Er muss denken. Nachdenken. Sich erinnern. Seine Erinnerungen zurückholen. Sie könnten ihn vielleicht retten. Aber gleichzeitig handeln die Erinnerungen von dem, was ihn vernichten kann.
*
»Du bist richtig braun geworden«, sagte sie.
»Bald bin ich genauso braun wie du«, sagte er.
»Dann kannst du immer in der Sonne bleiben«, sagte sie.
»Vielleicht mach ich das.«
»Ich glaube nicht, dass du das tust.«
»Warum nicht?«
»Es ist zu gefährlich.«
»Nicht mehr lange«, sagte er.
»Es wird immer gefährlich sein, sich hier aufzuhalten. Hier bei mir zu sein.«
»Es ist nie im Leben gefährlich, mit dir zusammen zu sein, Naiara.«
»Weißt du, was mein Name bedeutet?«
»Naiara?«
»Nein, der Nachname. Mein Familienname, Ibarretxe.«
»Ich kann ihn kaum aussprechen.«
»Du machst es gut. Du bist sprachbegabt. Ibarretxe bedeutet Haus im Tal.«
»Ein hübscher Name. Aitor hat es mir erklärt.«
»Aitor?«
»Ja, er hat mir die Bedeutung von baskischen Namen erklärt.«
»Es ist ein schönes Land«, sagte sie.
»Ich möchte es gern einmal sehen.«
»Aber es ist kein selbständiges Land.«
»Irgendwann wird es das sein.«
»Daran müssen wir glauben.«
»Glaubst du denn nicht daran?«
»Das genügt nicht, selbst wenn ich so fest glaube, dass Glas zerspringt.«
»Man sagt, Glaube kann Berge versetzen.«
»Eine weitere von Gottes Lügen.«
»Naiara …«
»Glaubst du an Gott?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er.
Er weiß es immer noch nicht. Das ist eine der Fragen, auf die er nie eine Antwort bekommen wird. Dafür reicht ein einziges Leben nicht.
Er schließt die Haustür auf und stellt sich auf die Treppe. In der Luft ist eine Schärfe, die gestern noch nicht da war. Über Nacht ist es Herbst geworden.
Die Garagentür öffnet sich lautlos in der Dunkelheit. Es ist sehr still. Die Menschen in den Einfamilienhäusern rundum schlafen noch oder verhalten sich wenigstens leise. Es ist nach drei, bald vier, die Stunden zwischen Nacht und Morgen, Wolfsstunden, wie die Schweden sie nennen.
Der Angriff hatte in den Wolfsstunden stattgefunden. Die übliche Zeit für Angriffe, zur Unzeit, wenn man am verletzlichsten ist.
Das Auto ist nicht abgeschlossen. Im Handschuhfach liegt noch das Handy. Er hat es nicht angerührt, seit er den Wagen in der Garage abgestellt hat, er kann sich nicht erinnern, ob es gestern war oder vor fünfundzwanzig Jahren. Das Auto ist jetzt, das Handy war damals, es gehört nicht hierher. Er sollte die Karte herausreißen und den Apparat von der Skanstullsbrücke werfen.
Und zur Polizei sollte er gehen. Nein. Er weiß, dass sie Kontakt zur Polizei niemals dulden würden. Und er ist nicht allein. Wenn er alleine wäre, könnte er fliehen. Sich eine neue Identität zulegen, die dritte. Aber nicht jetzt, nicht mit der Familie. Mit den Kindern. Rita. Außerdem ist er nicht sicher, ob die Behörden ihm eine neue Identität verschaffen würden. Der Familie vielleicht, aber ihm nicht. Ganz sicher nicht, wie kommt er überhaupt darauf. Sie würden ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen, in der Wolfsstunde würden sie ihn hinauswerfen.
Er hält das fremde Handy in der Hand.
Es beginnt in seiner Hand zu vibrieren. Es beleuchtet sein Gesicht.
»Ja?«
Keine Antwort.
»Wer ist da?«, fragt er.
»Warum sitzen Sie draußen?«
»Was?«
»Warum sitzen Sie in der Garage?«
»Woher wissen Sie, wo ich bin? Wer sind Sie?«
Er weiß, wer das ist. Sie sind sich kürzlich begegnet. Aber vielleicht gibt es ja eine Schule, in der man lernt, mit identischen Stimmen zu sprechen. Ein Stimmpädagoge, ein krimineller Logopäde.
»Was machen Sie in der Garage?«, fragt die Stimme.
»Sie observieren mich also Tag und Nacht. Wo sind Sie? Habt ihr alle Häuser in dieser Straße gemietet?«
»Verlassen Sie die Garage.«
»Befürchten Sie, dass ich mich mit Abgasen umbringe?«
Keine Antwort.
»Das wäre ein echter Schlag ins Kontor, nicht wahr? Sie könnten gefeuert werden. Oder noch Schlimmeres.«
»Ich glaube nicht, dass Sie so feige sind.«
»Nein. Ich bin nicht feige.«
Er beendet das Gespräch, steigt aus dem Auto und verlässt die Garage. Er durchquert den Garten und betritt die Straße, in der mehrere Autos parken. Er geht an ihnen entlang, alle sind leer. Er horcht auf Geräusche, kann aber nichts hören, und wechselt die Straßenseite. Auf der anderen Seite stehen drei Autos. Im mittleren sitzt ein Mann. Er schaut starr geradeaus. Peter klopft an die Scheibe. Der Mann dreht ihm das Gesicht zu, das kein Gesicht ist. Es ist eine Totenmaske. Ein Fremder mit einer Totenmaske.
Rita hat sich einen halben Tag freigenommen, um Überstunden abzufeiern. Sie unternimmt mit den Töchtern einen Spaziergang zum Park. Nach dem Frühstück hat es aufgehört zu regnen, und der Wind hat die meisten Wolken vertrieben.
»Guck mal, Mama!«, ruft Isa und zeigt zum Himmel.
»Bald kommt die Sonne«, sagt Magda.
»Jetzt werden wir eine Weile gutes Wetter haben«, sagt Rita.
»Wenn ihr im Urlaub seid«, sagt Magda und zieht einen Flunsch.
»Es ist kein Urlaub, Schätzchen.«
»Warum fahrt ihr dann?«
Ja, warum eigentlich? Rita ist noch nie ohne ihre Kinder ins Ausland verreist. Warum jetzt das erste Mal? Irgendwann ist immer das erste Mal. So einfach ist das. Und sie kann den Urlaub brauchen. Peter auch. Vielleicht brauchen die Mädchen auch Urlaub.
»Es sind ja nur ein paar Tage«, sagt sie.
»Das ist ganz doll lange«, sagt Magda.
»Doll lange!«, ruft Isa.
»Oma wird ganz viel Schönes mit euch unternehmen«, sagt Rita.
Magda sieht gleich fröhlicher aus. Und Isa noch fröhlicher.
»Bonbons!«, ruft sie.
Ich will es nicht hören, denkt sie. Ich will es gar nicht wissen. Sie werden die ganze Woche Samstag haben. Bei ihnen zu Hause bekommen die Mädchen nur samstags Süßigkeiten.
Sie haben den Park erreicht. Auf dem Spielplatz gibt es zwei Schaukeln, einen Sandkasten und eine Wippe, die schon sehr lange dort zu stehen scheint. Und ein Klettergerüst. Magda läuft sofort zu dem Gerüst und beginnt zu klettern. Es ist etwa zwei Meter hoch. Sie ist schnell ganz oben. Das hat sie schon oft gemacht.
»Guck mal, Mama!«
»Sei vorsichtig!«
»Och.«
»Ich will schaukeln«, sagt Isa.
Sie sind allein auf dem Spielplatz. Unterwegs sind ihnen kaum Leute begegnet. Als wäre der ganze Park verlassen. Als wären sie allein im Park. Ein merkwürdiges Gefühl. So etwas hat sie noch nie erlebt.
Auf einem der asphaltierten Wege nähert sich eine Frau. Sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her.
Die Frau erreicht den Spielplatz. Sie sichert den Kinderwagen mit einer Fußbewegung und setzt sich auf eine Bank. Sie ist dunkelhaarig und um die dreißig. Heutzutage eine junge Mutter. Sie trägt eine schwarze Sonnenbrille. Die Sonne ist kräftig. Sie wärmt immer noch, für einen Moment ist wieder Sommer. Ich darf die Sonnenbrille nicht vergessen, denkt sie. Im Süden werde ich einen Schutz gegen die Sonne brauchen, so viel ist sicher.
Sie schaukelt Isa. Das Mädchen sagt nichts, sie genießt einfach nur, vor und zurück durch die Luft zu fliegen, außerdem scheint sie über etwas nachzudenken. Ich muss ein andermal fragen, was Isa denkt. An was habe ich gedacht, als ich so klein war? Was habe ich gedacht, wenn ich geschaukelt wurde? Habe ich daran gedacht, wie es sein würde, wenn ich selber groß bin und mein eigenes Kind schaukele? Ich glaube, so war es. Ich glaube, ich erinnere mich.
Sie hat den Eindruck, dass die Frau sie hinter ihrer dunklen Sonnenbrille beobachtet. Sie hat sich nicht bewegt, seit sie sich auf der Bank niedergelassen hat. Sie hat nicht in den Kinderwagen geschaut, sich nicht um das Kind gekümmert, es herausgenommen. In den ersten Monaten mit Magda war Rita wie aufgezogen. Konnte nie entspannen.
Magda ruft vom Klettergestell. Rita hört nicht, was sie ruft, betrachtet immer noch die Frau.
»Mama, Mama!«
Jetzt hört sie es und schaut zu dem Gerüst. Magda hängt in einer seltsamen Haltung am Gestell.
»Magda!«
Das Mädchen antwortet nicht.
»Magda? Magda!«
Sie lässt Isas Schaukel los und läuft über den Spielplatz, fliegt über den Sand im Sandkasten.
Aber sie ist nicht als Erste da.
Die Frau mit dem Kinderwagen hat schon Magdas Schultern gepackt, sie angehoben, ihr Gewicht abgefangen.
Rita sieht, dass Magdas Fuß sich aus dem unheimlichen Winkel löst, in dem er eben noch festhing.
Vorsichtig nimmt sie den Fuß, legt ihre Arme unter Magdas Schenkel.
Und da beginnt das Mädchen zu weinen, zu schreien. Eine gesunde Reaktion.
Sie legt die Tochter auf die Erde.
»Was tut dir weh, Magda?«
Sie tastet den Fuß ab, den Spann, die Wade, das Schienbein. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Höchstens eine kleine Schwellung. Es sind nur ein paar Rötungen zu sehen, nicht allzu kräftig. Sie löst die Sandale vom Fuß, bewegt ihn vor und zurück. Magda schluchzt. Auch das ist ein gutes Zeichen.
Da hört sie Isa auf der Schaukel schreien. Sie hat ebenfalls Angst bekommen.
»Mama ist gleich bei dir«, ruft Rita.
Magda ist inzwischen aufgestanden.
»Kannst du mit dem Fuß auftreten, Schätzchen?«
»Nein.«
»Versuch es. Stell den Fuß ganz vorsichtig auf die Erde.«
Magda setzt ihn vorsichtig auf. Es geht gut.
»Es tut weh«, sagt sie.
Rita hebt den Blick. Isa ist verstummt, sie betrachtet etwas in weiter Ferne, außerhalb des Parks. Rita folgt ihrem Blick. Dort ist nichts.
Sie sind wieder allein, sie und ihre Kinder.
Die Frau ist verschwunden.
Bei der Bank steht kein Kinderwagen mehr.
Rita sieht sich um. Sie sind allein.
Ein kalter Schauer rieselt von ihrem Nacken bis zu den Schultern. Es ist ganz windstill.
Magda macht einen Schritt vorwärts.
»Ich glaube, ich kann gehen«, sagt sie.
»Wo ist die Frau, die dir geholfen hat?«, fragt Rita. »Die uns geholfen hat?«
»Geholfen?«, wiederholt Magda.
»Sie hat dir vom Klettergerüst geholfen. Bevor ich gekommen bin. Die Frau mit der Sonnenbrille. Wo ist sie?«
Rita hört die Schärfe in ihrer eigenen Stimme.
Magda sieht sie ängstlich an.
»Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, Schätzchen«, sagt Rita und nimmt das Kind in den Arm. »Ich wollte mich nur bei der Frau bedanken.«
»Ich hab niemanden gesehen«, sagt Magda.
»Sie hat da hinten auf der Bank gesessen«, sagt Rita und zeigt zu der Bank. »Mit einem Kinderwagen. Du musst sie doch gesehen haben?«
Magda zuckt mit den Schultern, schüttelt zögernd den Kopf.
»Hast du sie überhaupt nicht gesehen?«, fragt Rita.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagt Magda.
Rita geht zurück durch den Sandkasten und hebt Isa von der Schaukel. Das Kind strampelt mit den Beinen, für heute hat sie genug geschaukelt.
»Hast du die Tante gesehen?«
Isa versucht sich aus dem Griff zu befreien, will weg, zum Sandkasten, wird ein bisschen wütend.
Rita lässt sie auf die Erde gleiten und geht zu der Bank. Sie ist verwirrt und fühlt sich, als hätte sie Fieber. Von der Frau weit und breit keine Spur, soweit sie sehen kann. Wer war sie? Warum ist sie verschwunden, ohne etwas zu sagen? Aber was spielt das für eine Rolle. Manche Leute sind eben zurückhaltend, wollen nicht mit Fremden sprechen. Das ist in Ordnung. Es ist nicht immer gut, mit Fremden zu sprechen. Man soll sich von Fremden fernhalten. Und nicht verreisen. Man soll bei seinen Kindern zu Hause bleiben.
Sie geht ein Stück den Parkweg entlang, vielleicht hat die Frau sich ja eine andere Bank gesucht, von hier aus müsste sie sie sehen, der Park ist klein, der Kinderwagen ist groß, er hat ganz neu ausgesehen, der letzte Schrei. Die Frau hat nicht wie eine Mutter ausgesehen.
»Ich will nicht verreisen. Du musst alleine fahren, Peter.«
»Wovon redest du?«
Sie sitzen in der Dämmerung auf ihren Gartenstühlen. Er hat sich eine Strickjacke angezogen. Sie friert nicht in ihrer leichten Sommerjacke.
»Hier passieren Dinge, die ich nicht verstehe«, sagt sie.
»Und was sollte das sein?«
»Wenn ich es wüsste, könnte ich es dir sagen.«
»Stimmt.«
»Du wirkst auch nicht gerade übermäßig begeistert, Peter.«
»Übermäßig begeistert?«
»Fang jetzt nicht wieder damit an.«
»Natürlich bin ich froh. Es ist immerhin … ein Urlaub. Kurzurlaub, ein bisschen wie Urlaub.«
»Aber es ist doch auch Arbeit.«
»Nicht viel, glaube ich. Das Los ist auf mich gefallen, ich werde mich gerade so viel blicken lassen, dass ich kein Misstrauen erwecke, und dann mach ich mich dünne.«
»Was genau ist eigentlich deine Aufgabe? Worüber sollst du sprechen?«
»Das … weiß ich noch nicht genau.«
»Ist das normal?«
»Nein.«
»Ich bleibe zu Hause«, sagt sie.
»Das darfst du nicht, Rita.«
»Wer bestimmt das?«
Er antwortet nicht.
»Wer bestimmt darüber, ob ich fahre oder nicht, Peter?«
»Ich brauche dich«, sagt er. »Ich fühle mich nicht gut in Form. Ich möchte nicht alleine fliegen.«
»Dann lass es doch. Bitte sie, jemand anderen zu schicken.«
»Das habe ich schon versucht«, sagt er. »Es geht nicht.«