Als Brecqhou ihnen die Sicht auf Sark fast gänzlich versperrte, holten sie die Segel ein und paddelten mit Muskelkraft gegen die Meeresströmung an. Mit den Segeln wären sie weithin sichtbar gewesen und zudem nicht wendig genug, um das Boot zwischen den Boues hindurchzulavieren, die ihren Kurs bald in stattlicher Zahl säumten. Mehrmals vernahmen sie ein tiefes, beunruhigendes Schrammen, doch der Aluminiumrumpf der Saints Bay hielt den Felsen stand.

Sie steuerten das Nordende der Insel an, weit ab vom Schloss und den Bootsschuppen, die vermutlich streng bewacht wurden.

Dort zu landen wäre verrückt gewesen. Nun sprangen sie ins flache Ufergewässer, um die Saints Bay das letzte Stück zu schieben und zu ziehen. Einmal stolperte Alexander und fiel so hart auf einen Felsen, dass der Neoprenanzug einen Riss bekam und er sich das linke Knie aufschlug. Dann war es vollbracht, sie zogen das Boot ans Ufer.

«Ein kleines Wunder, dass wir heil durchgekommen sind!»

Alexander setzte sich auf einen der vom Wasser gerundeten Steine und atmete tief durch.

Spartaco zuckte mit den Schultern, als sei dies seine leichteste Übung gewesen. «Auf dieses Wunder mussten wir doch hoffen.»

Sie zogen das Boot in eine enge Felsspalte, wo die Wellen nicht genügend Kraft hatten, es zu entführen. Zudem boten die steil aufragenden Klippen einen guten Sichtschutz.

Das Schloss war von hier unten nicht zu sehen. Zuvor, beim Durchqueren der natürlichen Sperre aus Meeresfelsen, hatten sie geglaubt, ein paar brennende Lichter im Schloss zu erkennen, doch das konnte auch das Funkeln der Sterne gewesen sein.

Sie nahmen ihre Ausrüstung an sich und gingen zu der Uferhöhle, deren Lage sie sich genau eingeprägt hatten.

Nachdem sie am frühen Nachmittag von Sark zurückgekehrt waren, hatte Spartaco die Filme noch am Hafen zur Entwicklung gebracht, bei Guemsey Photographics an der Glategny Esplanade. «One Hour Film Processing» war nicht zu viel versprochen. Beim sorgfältigen Betrachten der Fotos hatten sie ihren Weg auf das Plateau von Brecqhou gefunden: einen streckenweise zum Meer hin offenen Klippenkamin, der unten in eine offene Höhle mündete.

Als sie in die Höhle eintauchten, schalteten sie erstmals ihre Handscheinwerfer ein. Das vom Wasser geglättete Felsgestein glitzerte im Licht noch viel eindrucksvoller als der künstliche Schmuck der Edelsteinkapelle. Sie standen bis zu den Knien im Nass, und jeder Schritt wurde von einem Plätschern begleitet.

Am Kamin endete die Höhle.

«Schwein gehabt», sagte Alexander, als er den Kopf in den Nacken legte und weit über sich den Sternenhimmel erblickte.

«Es geht tatsächlich bis oben durch. Und der Schacht ist eng genug.»

«Über fünfzig Meter, das ist kein Sonntagsspaziergang», meinte Spartaco. «Geh du voran.»

Es war das erste Mal, dass er Alexander duzte, und damit war seine Aufforderung ein zweifacher Vertrauensbeweis. Als zweiter Mann trug er das doppelte Risiko. Stürzte Alexander ab, würde er den Italiener unweigerlich mit sich reißen. Hätte einer unten gewartet, bis der andere oben war und ein Seil herunterlassen konnte, wäre zu viel kostbare Zeit vergangen. Ihr Zeitplan war eng, sie mussten Brecqhou noch bei Dunkelheit wieder verlassen, wollten sie unentdeckt bleiben. Den Platz im Boot, den ihr Gepäck eingenommen hatte, würde dann Elena ausfüllen. Hoffentlich!

Zunächst sah es allerdings so aus, als würde Alexander keine zehn Meter weit kommen. Den Rucksack vor den Bauch geschnallt, den Rücken gegen die eine Kaminwand und die Füße gegen die gegenüberliegende gestemmt, schob er sich Stück für Stück nach oben – bloß um immer wieder abzurutschen. Besorgt sah Spartaco zu, wie er sich vorbeugte und seine Stiefel aufschnürte.

«Es geht nur mit nackten Füßen», erklärte Alexander.

Und er behielt Recht. Mit den bloßen Füßen fand er genügend Halt. Immer weiter arbeitete er sich nach oben und fünf Meter unter ihm folgte Spartaco auf dieselbe mühselige Weise. Die Muskeln schmerzten, doch der näher rückende Sternenhimmel spornte sie an.

Hin und wieder, wenn der Kamin sich auf der Seeseite öffnete und Alexander unter sich die felsige Küste erblickte, wurde ihm bewusst, in was für einer gefährlichen Höhe sie kletterten.

Ein zynischer Gedanke kam ihm: Er musste seinem Vater für das Bergsteigen in den Berner Alpen dankbar sein. Ohne Markus Rosins hartes Training hätte er das hier kaum geschafft.

Die Stimme seines Vaters klang ihm in den Ohren, als wäre es gestern gewesen: Nur nicht aufgeben, Sohn, ich werde aus dir einen Mann machen!

«Kommt nur weiter, Leute, gleich habt ihr’s hinter euch!» Die Stimme kam nicht aus seiner Erinnerung, sondern von der oberen Öffnung des Kamins, von der Alexander keine zehn Meter mehr entfernt war. «Behaltet die Hände an der Felswand!

Das ist besser für eure Sicherheit, in doppelter Hinsicht.» Der Mann sprach Englisch mit einem starken Akzent.

Erschrocken blickte Alexander hoch und erkannte mehrere Gestalten, die sich als dunkle Schemen gegen den Nachthimmel abzeichneten. Sie hielten Waffen in den Händen. Waffen, die auf ihn und Spartaco gerichtet waren. Alle Vorsicht hatte nichts genützt. Er stieß einen leisen Fluch aus.

«Los, kommt hoch!», befahl der Mann mit dem schlechten Englisch.

Alexander hörte Spartaco zischen: «Tu es, klettere weiter!»

Er spähte kurz nach unten und sah, dass Spartaco an seinem Rucksack herumfingerte, an dem er die Armbrust befestigt hatte.

Schusswaffen waren auf Guernsey nicht aufzutreiben gewesen, jedenfalls nicht in der Eile. Deshalb hatte Spartaco für sich eine große, aber aufgrund ihrer Skelettbauweise leichte Armbrust der englischen Firma Barnett und für Alexander eine handliche Pistolenarmbrust besorgt. Alexanders Waffe steckte im Rucksack und ließ sich nicht herausholen, ohne dass die Männer oben etwas davon mitbekamen. Spartaco baute darauf, dass Alexander ihnen die Sicht versperrte und er unbemerkt an seine Waffe kam.

Mit einem flauen Gefühl im Magen kletterte Alexander weiter.

Er hielt es in ihrer Lage für reichlich unangebracht, Widerstand zu leisten, aber er konnte das Spartaco nicht mitteilen, ohne ihn zu verraten. Also, näherte er sich langsam dem Kaminende, bis ihn kräftige Hände packten und nach oben zogen. Er landete auf allen vieren, und als er aufblickte, sah er in die Mündungen automatischer und halbautomatischer Waffen. Und in harte, entschlossene Gesichter.

Eins der Gesichter verzerrte sich plötzlich, und ein gurgelnder Laut kam über die aufgerissenen Lippen. Ein Metallpfeil war in den Hals des Mannes gefahren. Das Schaftende mit den Federn zitterte noch. Die Federn waren rot wie das Blut, das aus der Wunde spritzte. Der Mann kippte vornüber und stürzte über die Klippen.

Alexander musste handeln. Er schnellte hoch und riss zwei der vier übrigen Männer um. Alle drei rollten sie über den felsigen Boden zum abschüssigen Klippenrand. Unter ihnen tat sich der Abgrund auf.

Mündungsfeuer blitzte, und der Donner einer Geschossgarbe zerriss die nächtliche Stille. Darauf folgte ein lauter Schrei, der von den Wänden des Kamins als Echo widerhallte.

Spartaco!

Kaum hatte Alexander erfasst, was geschehen war, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz. Jemand hatte ihm einen Waffenkolben zwischen die Schulterblätter gerammt. Der Stoß raubte ihm sekundenlang den Atem und warf ihn bäuchlings zu Boden.

«Aufpassen!», sagte einer der Männer warnend. «Das ist der Kerl, den der General lebend will.»

Alexanders Hände wurden auf den Rücken gerissen und mit Handschellen gefesselt. Jemand stülpte ihm einen Sack über den Kopf. Um ihn war Finsternis, doch vor seinem inneren Auge sah er, wie Spartaco den Halt verlor und in die Tiefe stürzte.

24

Mittwoch, 20. Mai

Der Sturz in endlose Tiefe verfolgte Alexander bis in seine unruhigen Träume. Aufgewühlt, wie er war, hätte er nicht geglaubt, überhaupt schlafen zu können, aber nach den Strapazen, die hinter ihm lagen, und der durchwachten Nacht hatte die Erschöpfung ihn übermannt. Der Filmprojektor in seinem Gehirn zeigte ihm den Absturz des Freundes, wie um auszugleichen, dass seinen Augen der Anblick erspart geblieben war.

Spartacos kräftiger Körper, der, von Kugeln getroffen, den Halt verlor. Vergeblich nach einem Felsvorsprung greifende Hände. Ein hilfloses Knäuel aus Gliedmaßen, das fiel und fiel.

Eine nicht enden wollende, qualvolle Zeitlupensequenz. Mit weit aufgerissenen Augen, phosphoreszierend wie der Bildschirm des Restlichtverstärkers, starrte der Fallende panisch zu Alexander hinauf. Öffnete den Mund und heraus kam ein klirrendes Geräusch. Jähes Licht erinnerte an das Aufblitzen des Mündungsfeuers.

Das Licht war das einer Taschenlampe, geklirrt hatte es beim Aufschließen der Zellentür. Das wurde Alexander bewusst, als der Film in seinem Kopf abbrach. Trauer über den Verlust des Freundes kroch in ihm hoch. Fast wünschte er sich in die Traumwelt zurück, als habe er dort eine Chance, Spartaco zu retten. Außerdem quälte es ihn, an der selbst gestellten Aufgabe gescheitert zu sein. Aber seine Sorge um Elena überwog die Trauer um Spartaco.

Allmählich fand er sich in der Realität zurecht. Die Erinnerung an den Marsch über die felsige Insel kehrte zurück. Mehrmals war er gestürzt, weil der Sack über seinem Kopf ihn blind machte. So hatte er auch nicht gesehen, wohin die Männer, die ihn mit kurzen Befehlen und rohen Händen dirigierten, ihn brachten. Doch war er sich ziemlich sicher, dass seine Kerkerzelle im Keller des trutzigen Schlosses lag. Es war über mehrere Treppen in die Tiefe gegangen, wo es kalt und feucht war. Den Sack und die Handschellen hatten sie ihm erst in der Zelle abgenommen. Hier gab es keine Möglichkeit zu fliehen.

Wände, Boden und Decke bestanden aus rohem Felsgestein.

Eine Holzpritsche mit einer kratzigen Wolldecke stellte die ganze Einrichtung dar, es gab weder ein Fenster noch künstliches Licht. Die schwere Eisentür hätte einem Hochsicherheitstrakt zur Ehre gereicht. Ohne ein weiteres Wort hatten die bewaffneten Fremden ihn hier allein gelassen.

Die drei Männer, die jetzt hereinkamen, gehörten zu denen, die ihn hergebracht hatten. Sie trugen schwarze Hosen und Jacken.

Auf der linken Brustseite der Jacken prangte ein weißes Kreuz, dessen Balken oben und rechts von Querstrichen begrenzt wurden. Wie zwei übereinandergelegte Ts, die sich im 90-Grad-Winkel kreuzten. Oder wie zwei Taukreuze, die in der Offenbarung des Johannes das Siegel Gottes waren, das Zeichen der Erlösung. Im oberen rechten Feld zwischen den Balken war ein Krebs abgebildet. Das Tier, das den Panzer wechseln konnte, galt als Symbol der Auferstehung Christi. Das Doppel-T-Kreuz war ganz offensichtlich das Wappen von Totus Tuus.

Die Männer sahen allerdings nicht aus, als würden sie das ewige Leben bringen – eher den schnellen Tod. Pistolentaschen hingen an ihren Hüften. Einer hatte die Waffe gezogen und zielte auf Alexander; es war eine Glock-Automatik. Groß und muskelbepackt erinnerte der Mann ihn entfernt an Spartaco.

Die beiden anderen kannte er. Gegen den Dunkelhäutigen mit der wallenden Lockenpracht und dem breiten Mund hatte er auf der Baustelle in den Albaner Bergen gekämpft. Dem Kerl mit dem kantigen Gesicht und dem Kirk-Douglas-Kinn war er schon zweimal begegnet. Der hatte auf der Piazza Farnese auf ihn und Donati geschossen und im Vatikan auf den Papst. Und er war Elenas Kidnapper.

Alexander sprang von der Pritsche, trat ihm entgegen und schrie: «Was habt ihr mit Elena gemacht? Wo ist sie?» Auf Englisch, weil auch die Totus-Tuus-Männer die Sprache benutzt hatten.

Der Muskulöse stieß die Glock warnend nach vorn. «Maul halten und mitkommen!»

Die beiden anderen nahmen ihren Gefangenen in die Mitte, und der Muskelmann marschierte hinterher. Alexander zweifelte nicht daran, dass ihm ein Fluchtversuch nichts als einen Schuss in den Rücken einbringen würde. Also ging er mit und fühlte bei jedem Schritt den kalten Stein. Barfuß und in dem zerschlissenen Neoprenanzug gab er vermutlich ein reichlich kurioses Bild ab.

Seine ursprüngliche Befürchtung, dass es vom Kerker geradewegs in die Folterkammer gehen würde, bestätigte sich nicht. Der Weg führte treppauf. Elektrische Wandleuchten erhellten die Gänge und Treppen. Der Strom musste auf dieser Insel mit eigenen Generatoren erzeugt werden. Nach mehreren Treppen schlug ihnen helles Tageslicht entgegen, woran Alexander erkannte, dass er viele Stunden geschlafen hatte. Die Treppe mündete in einen Gang mit dick verglasten Bogenfenstern. Der Blick ging nach Norden hinaus. Jenseits von Brecqhous gewellter Landmasse lag das Meer, das diesen Flecken Erde von allem abschloss, von den Gesetzen der Menschen und von möglicher Hilfe. Den Schatten nach zu urteilen, musste es ungefähr neun oder zehn Uhr vormittags sein. Da seine Wächter ihm in der Nacht mitsamt seiner Ausrüstung auch die Armbanduhr abgenommen hatten, konnte er nur mutmaßen.

Weitere Treppen führten zwei Stockwerke nach oben. Überall gab es Gemälde, Skulpturen und Kronleuchter – genau die Pracht, die der äußere Anblick des Schlosses versprach.

Alexander hatte anderes im Kopf und sah nur flüchtig hin, hegte aber keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Kunstwerken um Originale handelte. In einem geräumigen, behaglich eingerichteten, aber für seinen Geschmack zu plüschigen Zimmer wartete ein Stapel frischer Kleider auf ihn. Obenauf lagen eine dunkle Baumwollhose und ein weiter Wollpullover.

Vor dem Bett stand ein Paar leichter Leinenslipper.

«Das können Sie anziehen, nachdem Sie sich frisch gemacht haben», sagte der Mann mit dem eingekerbten Kinn und zeigte auf eine offene Tür, die in ein marmorgekacheltes Bad führte.

«Und wann gibt’s Frühstück?» Alexander fand die Situation grotesk. Er wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher, aber in ein Zimmer gebracht, das jedem Luxushotel Ehre gemacht hätte.

«Danach», antwortete der andere ohne jeden Funken Humor.

Die drei blieben im Zimmer, folgten ihm aber wenigstens nicht ins Bad. Sein aufgeschlagenes Knie brannte, als es mit der Seife in Berührung kam. Die belebende Dusche tat unendlich gut und für kurze Zeit vergaß er seine ausweglose Lage. Vielmehr fühlte er sich wie ein Urlauber am Morgen eines verheißungsvollen Tages.

Ein Elektrorasierer lag bereit und er benutzte ihn. Er war Soldat und überzeugt davon, dass die äußere Erscheinung das innere Befinden beeinflusste, wie es auch umgekehrt der Fall war. Die Kriegsgeschichte hatte nur selten eine zerlumpte Armee mit hoher Kampfmoral gesehen. Er wusste nicht, was ihn in diesem unwirklichen Schloss erwartete, aber er wollte dem Unbekannten in bestmöglicher Verfassung entgegentreten.

Auch das üppige englische Frühstück, das er mit einer Kanne heißen Kaffees hinunterspülte, belebte Alexanders Kräfte. Er aß ohne Appetit, aber mit großem Hunger. Nachdem er die saubere Kleidung angezogen hatte, war er von seinen Bewachern ein Stockwerk tiefer in diesen kleinen Salon mit Meerblick gebracht worden. Die junge Frau, die ihn lächelnd nach seinen Frühstückswünschen fragte, ließ einmal mehr den Eindruck entstehen, es handele sich hier um einen Urlaubsaufenthalt.

Wäre sie nicht völlig ungeschminkt gewesen und hätte sie nicht ein schlichtes schwarzes Kleid mit dem Totus-Tuus-Wappen getragen, hätte sie glatt als Bedienung in einem der zahlreichen Touristenhotels auf der nahen, fernen Insel Guernsey durchgehen können.

Als Alexander die restlichen Bohnen auf seinem Teller mit Gabel und Messer zusammenschob, rief der Mann mit dem markanten Kinn: «Achtung, der General!»

Die drei Wachen nahmen, zur Tür gewandt, Haltung an.

«Stehen Sie bequem», sagte der Eingetretene beiläufig und steuerte den Tisch an, an dem Alexander saß. «Bohnen, Speck, Würstchen, Rührei und Toast. Du hast schon immer ein kräftiges Frühstück geschätzt, Alexander.»

«Ein richtiger Mann braucht ein richtiges Frühstück.» Er starrte den anderen an. «Hast du mir das nicht eingetrichtert, Vater?»

Sollte er erschüttert sein? Überwältigt? Hätte er das Gefühl haben müssen, der Boden schwanke unter seinen Füßen? Sollte er aufspringen und den Vater, den er zehn lange Jahre für tot gehalten hatte, umarmen?

Er war weder überwältigt noch erfreut. Seit sie das Treffen in der Edelsteinkapelle belauscht hatten, war ihm klar, dass Markus Rosin lebte und ganz bewusst keinen Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Umarmungen wollte er nicht von seinem Vater – er wollte Antworten.

Auch Markus Rosin traf keine Anstalten zu einer herzlichen Begrüßung. Steif wie eh und je stand er da, äußerlich kaum verändert. Kein Gramm überflüssiges Fett schien an seinem sehnigen Körper zu hängen. Nur das Gesicht war etwas faltiger, und das streichholzkurze Haar war grau geworden. Er trug ähnliche Kleidung wie die drei Wachen. An seinen Schultern prangte zusätzlich der weiße Krebs. Bewaffnet war er nicht.

«Ihr könnt gehen», sagte er zu seinen Männern. «Ich rechne nicht mit Schwierigkeiten.»

«Wie Sie befehlen, General», erwiderte der Kirk-Douglas-Verschnitt.

Alexander sagte, jetzt auf Deutsch: «Als wir uns zuletzt gesehen haben, warst du noch Oberst. Wer hat dich befördert?

Bestimmt nicht die Schweizergarde oder die Schweizer Armee.»

Markus Rosin zog sich einen Stuhl heran und setzte sich Alexander direkt gegenüber. «Auf meinen Posten wird man nicht befördert, sondern gewählt.»

«Wer hat dich gewählt, die Köpfe von Totus Tuus?»

«Respekt, mein Sohn, du bist gut informiert.»

«War nicht weiter schwer.» Alexander deutete auf das Kreuz, das die linke Brust seines Vaters zierte. «Was hast du als General von Totus Tuus für Pläne? Willst du ein neues Kreuzfahrerheer aussenden, um die Welt im Sinne deines Ordens zu bekehren?»

«Die militärische Hierarchie ist bei einer so großen Organisation sehr hilfreich. Doch wir verfolgen keine militärischen Ziele. Bekehrung tut Not, gerade in wirren Zeiten wie den unseren, aber nicht mit Waffengewalt.»

«Nicht mit Waffengewalt?» Alexander stieß ein heiseres, bitteres Lachen aus. «Und wie nennst du das, was ihr mit dem Papst gemacht habt? Den Anschlag auf der Piazza Farnese? Von den Morden an Onkel Heinrich und Tante Juliette, an Pater Borghesi, Ovasius Shafqat und anderen ganz zu schweigen!

Waren das friedliche Bekehrungsversuche à la Totus Tuus?»

Ein Glühen trat in Markus Rosins Augen, und seine Miene verhärtete sich. «Das war Notwehr. Der Antichrist hat den Heiligen Stuhl. bestiegen. Wenn wir den wahren Glauben jetzt nicht mit aller Macht verteidigen, ist es zu spät!»

«Ich kenne Papst Custos», sagte Alexander ruhig. «Er ist ganz bestimmt nicht der Antichrist, im Gegenteil.»

«Und was ist er deiner Meinung nach?»

Alexander zögerte. Er hatte sich diese Frage während der letzten Tage mehr als einmal selbst gestellt, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu gelangen.

«Papst Custos hilft den Menschen», sagte er schließlich. «Und er will sie in den Mittelpunkt der Kirche stellen. Das macht ihn zum wohl wichtigsten Papst der Kirchengeschichte.»

«Hat er behauptet, ein Nachkomme unseres Herrn Jesus zu sein? Und du glaubst ihm die verrückte Geschichte? Warum?

Weil er läppische Wundertaten vollbringt?»

«Das waren keine läppischen Wundertaten! Er hat Kranke geheilt. Ich habe es selbst erlebt.»

«Viele Menschen verfügen über solche Kräfte, und es gibt sogar eine wissenschaftliche Erklärung für das unerwartete Verschwinden einer Krankheit: Mediziner bezeichnen den Vorgang als Spontanremission. Durch die plötzliche Freisetzung körpereigener Stoffe wird die Krankheit besiegt. Manche Menschen wirken offenbar wie ein Katalysator und helfen Kranken bei der Auslösung einer spontanen Heilung. Wie das im Einzelnen funktioniert, ist noch nicht erforscht, aber es ist ein natürlicher Vorgang!»

«Der Heilige Vater hat nichts anderes behauptet.»

«So, hat er nicht?», fauchte Markus Rosin, den Alexanders ruhige Art um seine Gelassenheit brachte. «Hat er sich nicht als Blutsverwandter des Messias ausgegeben?»

«Er nannte sich einen Nachkommen Jesu.»

«Für was hältst du Jesus, wenn du an den falschen Papst glaubst? Für einen x-beliebigen Wunderheiler?»

«Für einen Menschen, der sich Übermenschliches zur Aufgabe gemacht hat, so wie Custos.»

«Alexander! Wenn du Jesus die Göttlichkeit absprichst, bist du ein Ketzer!»

«Und das ist gut so», sagte Alexander zur Verblüffung seines Vaters. «Der Begriff ‹Ketzer› ist aus dem Wort ‹Katharer›

entstanden und das wiederum aus dem griechischen ‹kátharos›, was ‹rein› bedeutet. So nannten sich im Mittelalter christliche Sektierer, die meinten, einen reinen Glauben zu haben.»

«Abweichler, die die heilige Kirche und ihre Dogmen verhöhnt haben!», schnaubte Markus Rosin.

«Zu Recht. Wenn es eine falsche Lehre gibt, dann die der kirchlichen Dogmen. Jesus hat von einer Gemeinschaft Gleichgestellter gesprochen, frei von Hierarchie oder gar Bürokratie. Aber die Kirche, die sich auf Jesus beruft, ist eine durch und durch hierarchische Institution, ein Spiegelbild des römischen Imperiums, geprägt durch die Zeit ihrer Entstehung.

Aus einer rebellischen Religion ist eine der Herrschenden geworden, ein Instrument zur Bevormundung und Lenkung der Massen. Man unterwirft die Menschen dem Mechanismus von Schuld und Sühne und macht sie damit zu willfährigen Schafen, die in der Hoffnung auf eine Erlösung im Jenseits ihr reales Leben dem Hirten opfern.» Alexander beugte sich vor. «Und wenn es Vertreter einer reinen Lehre, Ketzer im besten Wortsinn, gibt, dann Custos und die Auserwählten. Ich kenne die Wahrheit. Der Heilige Vater hat mir die Wahre Ähnlichkeit Christi gezeigt.»

Markus Rosin erblasste. «Das war zu früh! Du warst nicht bereit dafür. Eines Tages hätte ich dir den Smaragd gezeigt, und dann hättest du seine Bedeutung verstanden.»

«Ich denke, ich habe seine Bedeutung sehr gut verstanden, Vater. Die Lehre, die du verteidigst, gründet sich auf eine Täuschung, auf eine Auferstehung, die niemals stattgefunden hat.»

«Na und?»

«Du gibst es zu?» Alexander war fassungslos.

«Der historische Jesus ist für den Glauben an Gott bedeutungslos. Er ist der Gegenstand des Glaubens, nicht aber sein Urheber. Nur was aus seinem Wirken entstanden ist, was Männer wie Paulus daraus geschaffen haben, zählt. Die heilige Kirche und ihre Religion gründen sich nicht auf einen Mann namens Jesus, sondern einzig und allein auf seinen Mythos, auf Christus, den Erlöser.»

Alexander lehnte sich zurück und trank den letzten, längst kalten Schluck Kaffee. Er brauchte die Pause, um seine Gedanken zu ordnen. Bis jetzt hatte er sich nicht schlecht geschlagen, aber angesichts der verblüffenden Offenheit seines Vaters drohte ihm allmählich die Munition auszugehen. Und tief in ihm nagten Zweifel. Markus Rosin schien unerschütterlich in seiner Sicht der Dinge und hatte sich gewiss ausführlich mit diesen Fragen befasst, viel intensiver als er selbst. War am Ende sein Vater derjenige, der Recht hatte?

Alles spitzte sich auf die Frage zu, die Alexander nun stellte:

«Wenn ihr, du und die Deinen, so überzeugt seid von eurem Glauben und von der Unwichtigkeit des historischen Jesus, warum fürchtet ihr dann so sehr, dass die Wahre Ähnlichkeit Christi bekannt wird?»

«Liegt das nicht auf der Hand?» Markus Rosin klang enttäuscht, als habe sein Sohn mit dieser Frage seine Unreife bewiesen. «Gerade du, der du dich so sehr verunsichern lässt, solltest die Antwort kennen. Viele Menschen werden sich durch den Smaragd verunsichern lassen, werden in ihrem Glauben schwanken und sich vielleicht gar der falschen Lehre zuwenden.»

«Das fürchtest du? Sollten die Menschen nicht frei über ihren Glauben entscheiden? Und sollten sie dazu nicht die Wahrheit kennen?»

In einer Geste der Ratlosigkeit breitete Markus Rosin die Arme aus. «Du redest, als ginge es darum, die Wahl zwischen zwei Sorten Frühstücksmarmelade zu treffen. Bei oberflächlicher Betrachtung mag es so aussehen, als sei die Frage des Glaubens in unserer säkularisierten Welt belanglos geworden. In Wahrheit gründet unsere westliche Zivilisation auf den Glauben der heiligen römischen Kirche, ist seit zweitausend Jahren Stein für Stein darauf gewachsen und unlösbar damit verbunden. Nimm den Menschen diesen Glauben und du kappst unserer Welt die Wurzeln, lässt sie in Anarchie und Chaos versinken!»

«Warum hat der Zirkel der Zwölf den Smaragd nicht längst vernichtet, wenn er eine solche Gefahr darstellt?»

«Wir wollen die Wahrheit nicht vernichten», rief Markus Rosin. «Aber sie muss gut behütet werden, damit die Mächte der Finsternis sie nicht zu ihren Zwecken missbrauchen.»

«Sprichst du von Papst Custos?»

«Ja. Er ist der Antichrist!»

«Das ist nichts als eine Behauptung», entgegnete Alexander.

«So? Wie geht es deinem Papst denn jetzt? Ist er mit Hilfe seiner Auserwählten von der tödlichen Wunde genesen?»

«Woher weißt du …»

Alexander brach mitten im Satz ab. Er durfte nicht leichtsinnig werden, durfte nicht zu viel von den Auserwählten und ihrem Versteck verraten.

«Ich weiß es nicht, Alexander, ich habe es nur vermutet. Denn es steht in der Heiligen Schrift. In der Apokalypse des Johannes ist der Antichrist beschrieben: Und seine Todeswunde wurde geheilt, und die ganze Welt wunderte sich über das Tier. Verhält es sich nicht so mit Jean-Pierre Gardien?»

«Und wenn?»

«Dann steht es schlecht um dich, mein Sohn. Denn die Apokalypse berichtet von einem zweiten Tier, das aussieht wie ein Lamm und wie ein Drache redet. Du weißt, dass mit dem Drachen der Teufel gemeint ist, das Böse. Und es sorgt dafür, dass die Erde und ihre Bewohner das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt worden ist. »

Das verschlug Alexander den Atem. Er wollte nicht glauben, was sein Vater mit den Bibelworten zum Ausdruck brachte.

Früher hatte dieser Mann ihm das Gefühl vermittelt, mehr eine Last als eine Freude zu sein. Dann hatte er, auch vor dem eigenen Sohn, seinen Tod vorgetäuscht. Aber die Unterstellung eben schien das weitaus Schlimmste zu sein, was ein Vater seinem Sohn antun konnte.

«Du hältst mich für einen Sendboten des Bösen?»

«Du verleugnest den Glauben, in dem du erzogen wurdest, und redest wie ein Drache gegen die Lehren der Kirche. Du beschützt das Tier der Apokalypse, den Antichrist. Und bei alldem gibst du vor, dem wahren Glauben zu dienen, unschuldig zu sein wie das Lamm. Was soll ich denn davon halten?»

Alexander sah seinem Vater in die Augen, und was er darin las, irritierte ihn. Er war mit der Absicht, das Haupt der Zwölf zu verurteilen, vielleicht sogar zu töten, nach Brecqhou gekommen. Für ihn hatte festgestanden, dass Markus Rosin sich dem Bösen verschrieben hatte. Jetzt, von Angesicht zu Angesicht, bröckelte das Fundament dieser Überzeugung. Er fand kein Falsch in den Worten seines Vaters, auch nicht in seinem Gesicht, seinen Augen. Die blickten ihn traurig an, legten beredtes Zeugnis von der Enttäuschung darüber, dass er auf der anderen Seite stand.

«Ich diene nicht dem Bösen!», presste er hervor, als könne er durch die Behauptung allein die Ansicht seines Vaters widerlegen und seine eigenen Zweifel zerstreuen.

Er stand auf, trat ans nächste Fenster und blickte hinaus aufs Meer, das unermüdlich gegen die zerklüftete Küste wogte. Die Sicht war hervorragend, deutlich erkannte er die grünen Hügel der kleinen Inseln Herrn und Jethou, zwischen denen sich die lang gezogene Küstenlinie von Guernsey zeigte. Fast war ihm, als könne er die Industriestadt St. Sampson mit ihren hoch aufragenden Schornsteinen und Verladekränen sehen. Sie schien einer anderen Welt anzugehören, einer Welt der feststehenden Dinge. Für Alexander war die Welt ins Schwanken geraten, als hätten die Meereswellen Brecqhou ergriffen und trügen die Insel nun schaukelnd mit sich fort. Es gab keinen festen Boden, keine Sicherheit, nur die nagenden Zweifel.

Markus Rosin trat hinter ihn und legte die Hand auf seine Schulter. Schauer jagten über seinen Rücken. Schauer nicht der Abneigung, sondern der Ergriffenheit. Wie sehr hatte er sich früher nach der Nähe seines Vaters gesehnt, nach seiner Zuneigung, einer Berührung!

Er hatte seinem Vater immer beweisen wollen, dass er seiner würdig war, ein echter Rosin, ein richtiger Mann. Wann, wenn nicht jetzt, sollte er diesen Beweis antreten?

«Du bist verwirrt, mein Sohn, und das mit Recht», sagte Markus Rosin mitfühlend. «Vielleicht hätte ich es nicht so hart ausdrücken sollen. Aber während der ganzen letzten Tage – als ich auf dich wartete – habe ich vergeblich nach anderen Worten gesucht.»

Alexander drehte sich zu ihm um. «Wie bist du zum General von Totus Tuus geworden? Als du Mutter geheiratet hast, musst du sie doch geliebt haben. Wann ist der Glaube für dich an die erste Stelle getreten, Vater? Nach meiner Geburt, als Mutter gestorben war?»

Markus Rosins Züge verhärteten sich, und mit klirrender Stimme sagte er: «Nein, zu dem Bruch ist es schon vorher gekommen. Als Isabelle mit dir schwanger war, erfuhr ich, dass sie mich betrogen hatte, mehr als einmal. Da habe ich erkannt, dass die Liebe zwischen Mann und Frau nicht von Dauer ist –

im Gegensatz zur Liebe Gottes.»

«Als Mutter schwanger war», wiederholte Alexander leise.

«Bin ich …»

«Daran habe ich auch gedacht», fiel sein Vater ihm ins Wort.

«Aber je älter du wurdest, desto sicherer war ich mir, dass du mein Sohn bist. Ich bin von meinem Vater, dem Gardemajor Andreas Rosin, in das Geheimnis um die Wahre Ähnlichkeit Christi eingeweiht worden. Ich fand meinen Weg zu Gott und hoffte, auch dich eines Tages auf den richtigen Weg zu führen.»

Alexander versuchte sich vorzustellen, was sein Vater damals empfunden haben mochte. Glaubte er, dass Gott Isabelle für ihre Untreue mit dem Tod bestraft hatte? Hatte er seinen Sohn anfangs für einen Bastard gehalten und sich deshalb von ihm abgewandt? Vielleicht war der Weg, der ihn bis an die Spitze von Totus Tuus geführt hatte, eine Flucht vor dem Leben mit all seinen Konflikten. Dann konnte seine nach außen so fest wirkende Überzeugung auch die fixe Idee eines Irregeleiteten sein. Plötzlich empfand Alexander Mitleid mit seinem Vater.

Der sagte: «Du solltest dich etwas hinlegen und ausruhen, mein Sohn. Wenn es dir besser geht, unterhalten wir uns weiter.»

«Eins muss ich noch wissen. Was ist mit Elena?»

«Immer die Frauen, wie?» Sein Vater lächelte kalt. «Sie ist hier und es geht ihr gut. Möchtest du sie sehen?»

Natürlich wollte Alexander das. Er konnte seine Erregung kaum verbergen, als Markus Rosin ihn durch Gänge und Treppenfluchten führte. Bewaffnete Wachen, denen sie hin und wieder begegneten, salutierten vor ihrem General. Ansonsten wirkte das Schloss, zog man seine enorme Ausdehnung in Betracht, menschenleer.

Als Alexander ihn darauf ansprach, erklärte sein Vater:

«Dieser Teil wird hauptsächlich für Konferenzen benutzt. Dann kommen die führenden Mitglieder unseres Ordens aus allen Teilen der Welt hierher, und das Schloss würde dir alles andere als menschenleer erscheinen. Auch jetzt halten sich übrigens in den anderen Trakten mehr Menschen auf.»

«Warum überhaupt dieser protzige Kasten?»

«Was hätten wir sonst hier bauen sollen? Ein zweites World Trade Center oder eine Kopie von Sankt Peter?»

Wie um die Worte ihres Generals zu bestätigen, begegneten ihnen mehr und mehr Menschen, Männer und Frauen in der schlichten dunklen Ordenskleidung. Sie eilten ameisengleich, als folgten sie einem nur ihnen bekannten Plan, geschäftig hin und her.

Vater und Sohn traten ins Freie, auf einen kleinen Innenhof.

Ein Bautrupp, einheitlich in dunkle Overalls mit dem Totus-Tuus-Wappen gekleidet, war damit beschäftigt, die Mauern eines halbrunden Anbaus hochzuziehen. Als sie näher kamen, fiel Alexander auf, dass die schweigend und sich beinahe mechanisch bewegenden Arbeiter etwa zur Hälfte Frauen waren.

Eine, die schweißgebadet eine Schubkarre mit Sand vor sich her schob, geriet ins Stolpern und kippte mitsamt ihrer Fracht um.

Als sie vor dem ausgeschütteten Sandhaufen kniete, sah sie auf, und ihr – Elenas – Blick kreuzte sich mit dem Alexanders.

Er lief zu ihr und half ihr beim Aufstehen. Seine Freude, sie zu sehen, wurde durch die Umstände dieser Begegnung erheblich getrübt. Er machte sich Sorgen um Elena. Ihre Wangen waren eingefallen, unter den Augen hatten sich dunkle Ringe eingegraben.

Ihre Hände, die von der ungewohnten Arbeit rau und schwielig waren, in den seinen haltend, rief er: «Elena, was zur Hölle tust du hier?»

«Das siehst du doch, ich arbeite.»

«Was arbeitest du?»

«Wir bauen ein neues Lagerhaus.»

Alexander begriff das alles nicht. Er hätte nicht sagen können, in welcher Lage er Elena vorzufinden erwartet hatte. Bestimmt nicht als Heldin der Bauarbeit. Sie kam ihm vor wie eine Fremde, als stünde sie unter Drogen. Aber das schien es nicht zu sein. Ihre Pupillen waren nicht geweitet, ihr Blick war nicht getrübt. Gleichwohl konnte sie nicht Herrin ihrer selbst sein. Sie stand unter dem beherrschenden Einfluss von Totus Tuus.

Um sie aus ihrer inneren Erstarrung zu reißen, sagte er:

«Spartaco ist tot! Die Männer von Totus Tuus haben ihn letzte Nacht erschossen.»

«Das ist bedauerlich», erwiderte sie mit der gefühllosen Stimme eines Roboters.

«Bedauerlich?», brüllte er und schüttelte sie. «Mehr hast du nicht dazu zu sagen, Elena? Er war dein Freund. Wir sind hergekommen, um dir zu helfen!»

«Das hättet ihr nicht tun sollen, es war überflüssig. Ich bekomme hier jede Hilfe, die ich benötige.» Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das zu ihrem starren Blick in krassem Widerspruch stand. «Ich muss jetzt weiterarbeiten.»

Sie streifte seine Hände ab, richtete die Schubkarre auf und holte sich eine Schaufel, um den verschütteten Sand wieder einzuladen.

Alexander wandte sich an seinen Vater. «Was hast du mit ihr gemacht? Die Arbeit ist viel zu schwer für sie und die anderen Frauen!»

«Mit der Zeit gewöhnen sie sich daran. Die Frauen und Männer, die du hier siehst, haben sich gegen Gott und gegen ihren Orden versündigt. Die harte Arbeit ist ein Teil ihrer Buße.

Indem sie ihren Körper stählen, läutern sie auch ihren Geist.

Und sie schaffen etwas, auf das sie mit Stolz blicken können. Es ist eine gute Sache für sie, hier zu arbeiten.»

«Eine gute Sache, sagst du?» Ungläubig schüttelte Alexander den Kopf. «Für mich ist das ein Straflager, Teil einer Gehirnwäsche. Was kann daran gut sein?»

«Es bringt die Menschen auf den richtigen Weg», antwortete Markus Rosin unbeirrt.

Alexander fragte sich, ob sein Vater durch die Untreue Isabelles zu der Überzeugung gelangt war, dass die Menschen eine harte, führende Hand benötigten. Seine Hand. Im Weltbild von Totus Tuus, dem Weltbild der konservativen Kirche, hatte er bestätigt gefunden, dass die Menschen mit Strenge geführt werden mussten. Geführt und entmündigt.

Markus Rosins Selbstsicherheit war eine starke Waffe, aber nicht die stärkste, wenn es darum ging, seinen Sohn zu überzeugen. Das erkannte Alexander, als er allein in seinem Zimmer saß und über die verwirrende Begegnung nachdachte.

Papst Custos und die Auserwählten vertraten ihre Sicht der Dinge nicht weniger überzeugt und überzeugend. Was ihn, Alexander, schwankend gemacht hatte, waren weder die Argumente noch die Überzeugungskraft Markus Rosins, es war schlicht und einfach der Umstand, dass der General von Totus Tuus sein Vater war.

Er hatte das Treffen des Zirkels belauscht und gemeint, er könnte den längst Totgeglaubten noch einmal töten, sei es physisch, durch körperliche Gewalt, sei es in der eigenen wunden Seele – durch die Erkenntnis, dass Markus Rosin an seinem Sohn nichts gelegen war. Auge in Auge mit seinem Vater hatte er erfahren, dass die Stimme des Blutes stärker sein konnte als die Einflüsterungen verletzter Gefühle.

Jetzt hatte er Gelegenheit, sich dem Vater zu beweisen, konnte er der Sohn und Mann sein, den Markus Rosin immer an seiner Seite hatte haben wollen. Hatte das Haupt der Zwölf den anderen Mitgliedern des Zirkels nicht seinen Unmut über den Anschlag auf Alexanders Leben bekundet? Und hatte sein Vater in ihrem Gespräch nicht abermals zu erkennen gegeben, dass er in ihm gern seinen Nachfolger sähe? Warum sonst hätte Markus Rosin sich gewünscht, ihn zum geeigneten Zeitpunkt mit der Wahren Ähnlichkeit Christi vertraut zu machen?

Nachfolger seines Vaters, Haupt der Zwölf, vielleicht sogar General von Totus Tuus! Dieser Gedanke beschäftigte Alexander, ließ ihn ruhelos in dem Zimmer umherwandern, in das er am Morgen gebracht worden war, um sich umzuziehen.

Nach der Begegnung mit Elena, die für ihn nicht minder verwirrend gewesen war als das Zusammentreffen mit seinem Vater, hatten zwei Wächter ihn zurückgeführt. Sein Vater hatte angekündigt, dass sie sich zum Abendessen sehen würden. Die Wächter hatten die Tür von außen verschlossen. Das Fenster war nicht vergittert, bot aber trotzdem keine Fluchtmöglichkeit.

Die Mauer war zum Hinabklettern viel zu glatt. Zudem lag unter dem Fenster der Schlosshof. Selbst wenn Alexander ihn erreicht hätte, wäre er noch ein Gefangener gewesen.

Außerdem wollte er gar nicht fliehen, nicht ohne Elena. Und nicht, ohne sicher zu sein, wer Recht hatte, sein Vater oder Papst Custos.

Es gab einen kleinen Kühlschrank, der mit Getränken gefüllt war. Vermutlich wohnten in Zimmern wie diesem während der Totus-Tuus-Konferenzen, die sein Vater erwähnt hatte, hohe Tiere. Am Nachmittag brachten die Wachen ihm ein Tablett mit Sandwiches, was nach dem ausgiebigen Frühstück vollauf genügte. Anders als am Vormittag brachte er kaum einen Bissen hinunter, er war viel zu sehr in Gedanken versunken. Bevor er seinen Vater wiedersah, musste er sich darüber klar werden, auf welcher Seite er selbst stand. Nur so konnte er zu einer Entscheidung gelangen, für sich und für Elena.

25

Mittwoch, 20. Mai, abends

«Nun, Alexander, hast du dich ausgeruht? Haben sich deine Verwirrung und deine Erschöpfung etwas gelegt?»

Markus Rosin erwartete seinen Sohn in dem Salon, in dem Alexander gefrühstückt hatte. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, und das elektrische Licht eines ausladenden Kronleuchters verstärkte das schwindende Tageslicht. Die Tafel, an die Alexander sich setzte, war für zwei Personen gedeckt.

Wie es aussah, lebte der General von Totus Tuus nicht gerade asketisch.

«Zum Ausruhen war keine Zeit», versetzte Alexander knapp.

«Ich habe noch eine Menge Fragen an dich.»

«Wir haben Zeit, alle Fragen zu klären. Ah, da kommt die Suppe!»

Eine Frau in den Vierzigern servierte ihnen eine dampfende Fischsuppe.

Während sein Vater sich gleich darüber hermachte, ließ Alexander den Löffel liegen und fragte: «Du sagtest heute Morgen, du hättest mich hier erwartet. Wieso?»

«Wir hatten dein Boot schon lange entdeckt. Doppler-Radar.

Nachts überwachen wir damit das Meer und die Westküste von Sark. Ein sehr effizientes System zur Ortung beweglicher Objekte. Der Empfänger ist so eingerichtet, dass er die Signale, die mit der Aussendefrequenz zurückkehren, ignoriert und sich auf jene konzentriert, die mit höherer oder niedrigerer Frequenz reflektiert werden. Die Frequenz ändert sich, wenn die ausgesandten Signale auf sich bewegende Objekte treffen und

…»

«Ich weiß ganz gut, wie Doppler-Radar funktioniert», unterbrach Alexander ihn. «Du vergisst, dass ich bei der Armee in einer Fernmeldeeinheit war, elektronische Aufklärung. Nein, ich habe etwas anderes gemeint. Du hast gesagt, du hättest mich schon seit Tagen erwartet. Hast du Elena nur entführen lassen, um mich herzulocken?»

«Auch deshalb ist sie hier, ja. Es hat sich einfach ergeben.

Sandro wusste, dass sie mit dir zusammenarbeitet. Uns war schon seit einiger Zeit klar, dass die Journalistin Elena Vida hinter uns herschnüffelt und dass sie identisch ist mit der geflohenen Denunziantin Paolina Orfei. Sandro hielt es für eine gute Gelegenheit, mehr aus ihr herauszubekommen.»

«Ich nehme an, Sandro ist die Killermaschine mit der Kerbe im Kinn.»

Markus Rosin nickte nur knapp, während er Weißwein in ihre Gläser füllte. «Wir haben frischen Fisch als Hauptgang.»

«Und was willst du von mir?»

«Das muss dir doch klar sein, Alexander. Es ist an dir, die Tradition der Rosins fortzuführen. Auch du kannst an die Spitze aufrücken.»

«An welche, die des Zirkels der Zwölf, die von Totus Tuus?

Oder an beide, so wie du?»

Markus Rosin gab der Bedienung ein paar halblaute Anweisungen für das Hauptgericht und sagte dann zu seinem Sohn: «Der Zirkel der Zwölf musste verändert werden, um weiterhin zeitgemäß zu sein. Die Gründung von Totus Tuus gab dem Zirkel die Möglichkeit, seinen auf den Vatikan begrenzten Einfluss auszudehnen. Männer des Zirkels, Angehörige der Schweizergarde, haben entscheidende Posten an der Spitze des Ordens besetzt. Und gleichzeitig wurde der Zirkel für Mitglieder geöffnet, die nicht in der Garde dienen.»

«Ich weiß. Für wichtige Angehörige der Kurie wie Musolino, Tamberlani und Wetter-Dietz. Und für einen Riccardo Parada.»

Markus Rosin warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. «Du sprichst sehr abfällig von den Männern, in deren Kreis du treten sollst.»

«Vielleicht bin ich gar nicht so wild darauf, in ihren Kreis zu treten. Ich habe noch deutlich vor Augen, wie Onkel Heinrich mit vor Panik aufgerissenen Augen und dem tödlichen Blei im Leib in seiner Wohnung lag. Er und Danegger. Und Juliette.»

Sein Vater stieß einen schweren Seufzer aus. «Ich habe mich in Heinrich getäuscht, schwer getäuscht. Als ich damals von der Bildfläche verschwand, um mich ungestört meiner neuen Aufgabe als General des Ordens zu widmen, dachte ich, er sei der beste Nachfolger als Haupt der Zwölf, den ich mir wünschen konnte. Mein eigener Bruder, sein Glaube schien so fest! Doch dann fing er an, Gespräche mit Gardien zu führen – und kippte um.»

«Und du hast den Befehl gegeben, deinen Bruder zu ermorden.»

«Ihn zu liquidieren. Ich musste es tun, er war ein Verräter. Als er zu Borghesi in die Berge fuhr, ahnten wir, dass er endgültig die Seiten gewechselt hatte. Borghesi hat dem Orden schon vor Jahren den Rücken gekehrt, aber bis vor kurzem wussten wir nicht, wie tief er in unsere Geheimnisse eingedrungen war. Und als Parada – nach der Liquidierung – Heinrichs Wohnung vergeblich nach Albert Rosins Aufzeichnungen durchsuchte, stand auch fest, wohin Heinrich sie gebracht hatte. Ich hatte sie ihm anvertraut, bevor ich untertauchte; er sollte dich zum passenden Zeitpunkt in unsere Familiengeschichte einweihen.»

Markus Rosins Züge verhärteten sich. «Heinrich und Borghesi, sie waren beide Verräter!»

«So wie Danegger?»

«Was meinst du, Alexander?»

«Danegger ist nicht der Mörder, er ist auch ein Opfer.»

«Sehr scharfsinnig, Sohn», sagte Markus Rosin. «Danegger war, wie Heinrich, schwach im Glauben und wollte Totus Tuus verlassen. Ein schlechtes Beispiel für die Garde. Sein Opfer kam uns gerade recht.»

«Hat seine Freundin ihn verraten? War Raffaela Sini eine Art Treuschwester?»

«So kann man es nennen.»

«Dann hat sie begriffen, dass ihr Verrat den Tod ihres Freundes zur Folge hatte, und deshalb musste sie auch sterben, nicht?»

«Du weißt ja schon alles», sagte Markus Rosin leichthin und winkte der durch den Türspalt hereinblickenden Bedienung, die daraufhin große Platten mit Fisch und Beilagen auftrug.

Alexander ignorierte das Essen auch weiterhin, ebenso den Wein. «Es ist wichtig für mich, die Wahrheit aus deinem Mund zu hören, Vater. Juliette musste sterben, weil sie Zeugin von Heinrichs Hinrichtung war. Vielleicht auch, weil ihr befürchtet habt, ihr Mann könne sie eingeweiht haben. Nicht wahr?»

«Korrekt.» Markus Rosin, der es sich ungerührt schmecken ließ, sah seinen Sohn plötzlich erstaunt an. «Du isst ja gar nichts!»

Alexander erwiderte den Blick voller Abscheu. «Das lohnt sich wohl kaum, so schnell, wie du Todesurteile fällst. Wäre doch schade um den guten Fisch.»

«Warum sollte ich dich töten, Alexander?»

«Weil ich ganz gewiss nicht in deinen Orden eintreten werde und auch nicht in den Zirkel der Zwölf. Ich habe lange nachgedacht, aber es hat sich gelohnt. Ich habe dich und deinesgleichen durchschaut. Ihr behütet nicht den wahren Glauben, sondern nur eure eigene Macht. Ich weiß nicht, wann es passiert ist, aber irgendwann ist der Zirkel der Zwölf durch die Macht, die seine besondere Aufgabe ihm einräumte, korrumpiert worden. Ihr, und nicht der Heilige Vater, habt die Wahre Ähnlichkeit Christi bewacht. Damit hattet ihr die Möglichkeit, jeden Papst zu erpressen. Ganz einfach: Entweder der Papst unterstützt die wirtschaftlichen und politischen Ziele von Totus Tuus, oder ihr beweist mit dem Smaragd die Unrechtmäßigkeit der päpstlichen Herrschaft. Weide meine Schafe, soll Jesus laut dem Johannes-Evangelium zu Simon Petrus, dem ersten Papst, gesagt haben. Wenn Jesus aber nur ein Mensch war und nicht Gottes Sohn, kann auch die auf ihn begründete Stellung des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden nicht länger Bestand haben. Das ist der eigentliche Grund, warum ihr den Smaragd nicht längst vernichtet habt!»

Markus Rosin starrte ihn erschrocken an. «Du bist tatsächlich ein Ketzer!»

«Diese Diskussion haben wir hinter uns», sagte Alexander mit einer abweisenden Handbewegung. «Genauso überrascht wie du jetzt muss Onkel Heinrich gewesen sein, als er den frisch gewählten Papst über die Lage der Dinge aufklären wollte – war Custos doch sehr interessiert daran, die Wahre Ähnlichkeit Christi der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Und er hat Heinrich von seiner Position überzeugt. Das war das Todesurteil für Heinrich und dann auch für den Papst, denn Custos konntet ihr mit dem Smaragd nicht erpressen. Eure geheime Waffe hatte sich plötzlich gegen euch gekehrt.»

«Es tut mir weh, dass du so verblendet bist, Alexander.

Vielleicht hätte ich mich mehr um deine Erziehung kümmern sollen.»

Alexander hielt dem enttäuschten Blick seines Vaters stand und sagte mit fester Stimme: «Ich bin nicht verblendet, im Gegenteil, ich habe die Wahrheit erkannt. Deine Strafkompanie da draußen, in der auch Elena schuftet, hat mir die Augen geöffnet. Was hinter einer Religion steckt, erkennt man doch daran, wie sie mit den Menschen umgeht. Der Glaube ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Glauben. Ihr von Totus Tuus erniedrigt und misshandelt den Menschen, nehmt ihm die Grundbedingung seiner Existenz, die Würde. Das kann nicht Gottes Wille sein!»

Markus Rosin schob den Teller von sich weg, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und das Kinn auf die ineinander verschränkten Hände und sah seinen Sohn lange nachdenklich an. «Wenn du uns nicht aus Überzeugung helfen willst, dann tu es für deine Elena. Du bekommst sie zurück, wenn du uns die Wahre Ähnlichkeit Christi übergibst.»

«Das ist schlicht Erpressung», sagte Alexander.

Dass sein Vater ihn derart unter Druck setzte, war schmerzlich. Doch zugleich empfand er Befriedigung darüber, sich nicht getäuscht zu haben. Das lange Grübeln am Nachmittag hatte ihn zu der Einsicht geführt, dass die miteinander streitenden Mächte, die Electi und Totus Tuus, nach ihren Taten, nicht nach ihren Worten beurteilt werden mussten.

Da bot der Orden, der bedenkenlos Menschen mordete und entmündigte, um seine Ziele zu erreichen, ein düsteres Bild.

Und was sein Vater jetzt tat, bestätigte Alexander in dem Glauben, sich auf die richtige Seite geschlagen zu haben, auf die der Auserwählten.

«Nenn es, wie du willst», sagte Markus Rosin. «Hauptsache, du bringst uns den Smaragd!»

«Ich habe ihn nicht.»

«Du kannst ihn dir beschaffen. Die Electi vertrauen dir.»

«Und dann?», fragte Alexander. «Was nützt euch der Stein gegen Custos, der doch genau das enthüllen will, was die Wahre Ähnlichkeit Christi belegt?»

«Ohne den Stein wird Gardien es nicht leicht haben, seine Worte zu beweisen.»

«Man wird ihm glauben, weil er der Papst ist.»

Ein seltsames Lächeln huschte über Markus Rosins Gesicht.

Es erinnerte Alexander an ein Raubtier, das angesichts der sicheren Beute Befriedigung und Überlegenheit empfindet.

«Lange wird er nicht mehr Papst sein. Musolino und Tamberlani arbeiten bereits an seiner Absetzung.»

«Den Papst absetzen?», rief Alexander ungläubig. «Mit welcher Begründung?»

«Oh, da haben wir mehrere zur Auswahl. Gardien ist ein Häretiker, der die kirchliche Lehre ablehnt und sich mit dem Sohn Gottes auf eine Stufe stellt. Das allein würde genügen.

Schon seit Jahrhunderten wird in der Kirche die Lehre vertreten, dass ein häretischer Papst nicht rechtmäßiger Stellvertreter Gottes sein kann. Außerdem könnte man ihn schlichtweg für geisteskrank erklären.»

«Der Papst ist das Oberhaupt der Kirche. Es gibt keine Instanz, die befugt ist, über ihn zu richten.»

«Du hast Gott vergessen, mein Sohn. Er richtet über seinen Stellvertreter. Du kannst es im Johannes-Evangelium nachlesen: Wer nicht glaubt, der ist gerichtet. »

«Ein Putsch gegen den Papst also!» Vergeblich versuchte Alexander, sich die Folgen eines solchen Unternehmens auszumalen. «Das könnte die Kirche zerreißen.»

«Wenn einer die Kirche zerreißt, dann Gardien. Aber ich rechne nicht mit großen Schwierigkeiten. Schließlich gibt es noch ein formales Argument gegen die Fortsetzung seines Pontifikats. Kardinal Musolino hat die Hammerfrage gestellt und den Papst, der nicht geantwortet hat, für tot erklärt. In diesem Augenblick ist das Pontifikat nach kirchlichem Recht erloschen. Gardien ist nicht mehr der gewählte Papst.»

«Aber er war nicht tot!», protestierte Alexander.

«Darüber lässt sich streiten. Wenn er im Koma lag, muss man annehmen, dass sein Gehirn gelitten hat, was wiederum für seine Absetzung spricht. Unsere Leute sind im Vatikan, er nicht.

Dieser Umstand stärkt unsere Position. Und wenn wir die Wahre Ähnlichkeit Christi wiederhaben, ist Gardien für die Öffentlichkeit nichts weiter als ein Scharlatan, der sich auf den Heiligen Stuhl geschwindelt hat.» Markus Rosin lehnte sich zurück und fixierte seinen Sohn wie die Schlange das Kaninchen. «Nun, wie entscheidest du dich?»

Die Antwort war schwierig und sie brauchte Zeit. Zögernd sagte Alexander: «Bevor ich mich entscheide, will ich Elena sehen. Sofort!»

« Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis …»

Die monoton wiederholte Formel verschmolz mit dem unaufhörlichen Klatschen der Geißel. Als Markus Rosin und zwei bewaffnete Wächter ihn in die kleine Kapelle führten, rechnete Alexander mit vielem, aber nicht mit diesem erbärmlichen Anblick.

Nackt kniete Elena vor einem großen weißen Totus-Tuus-Kreuz und ließ immer wieder die verknoteten Lederriemen auf ihren Rücken niedergehen. Glasig blickten ihre Augen auf das Kreuz oder in eine Leere dahinter, während sie sich züchtigte und die Bußformel sprach. Sie war so tief in ihre Buße versunken, dass sie Alexander nicht wahrzunehmen schien und selbst dann nicht reagierte, als er sie mehrmals mit ihrem Namen ansprach.

In den vergangenen Tagen musste Elena die Geißelung öfter vollzogen haben. Viele der alten Narben waren aufgeplatzt, neue Striemen hatten sich hinzugesellt. Ihr Rücken war eine einzige Wunde.

Tat sie das freiwillig, war es ihr ein inneres Bedürfnis? Hatte die Gehirnwäsche so schnell gegriffen? Oder musste Elena der hageren Frau gehorchen, die mit unbewegter Miene neben ihr stand und sie beobachtete?

Die Augen in dem strengen Gesicht waren das Einzige, was lebte. In ihnen brannte das Feuer tiefer Befriedigung. Obwohl Alexander die Frau in dem schwarzen Kleid noch nie gesehen hatte, wusste er, dass es Mutter Assunta, ehemalige Oberin des Mädchenhorts zu Gottes großer Gnade, war. Die Vergangenheit hatte Elena eingeholt.

Als er den Anblick des aufgerissenen Rückens, das widerliche Klatschen der Geißel und den süßlichen Blutgeruch nicht länger ertrug, sprang er vor und packte Elenas Arm. Sofort war einer der Wächter bei ihm und riss ihn zurück. Der zweite Wächter zog seine Glock-Automatik und zielte drohend auf Alexanders Brust.

Elena sah ihn für kurze Sekunden an, dann versank ihr Blick wieder in innerer Leere, und sie fuhr mit der Geißelung fort.

«Wenn sie so weitermacht, holt sie sich den Tod!», keuchte Alexander.

«Du kannst es verhindern, es liegt in deiner Hand», erwiderte sein Vater kühl. «Bring uns den Smaragd!»

Alexander schluckte und sagte gequält: «Also gut, ich werde es tun.»

Sosehr er auf die Begegnung mit Elena gedrängt hatte, so erleichtert war er, als sein Vater und die Wachen ihn aus der Kapelle führten. Er wusste selbst nicht mehr, was genau er sich von dem Treffen erhofft hatte. Der Gedanke an die Qualen, die Elena sich zufügte, verdrängte alles andere.

Er hörte nur mit halbem Ohr, wie sein Vater sagte: «Leg dich hin und schlaf, Alexander. Morgen früh wirst du Brecqhou verlassen.»

Wie in Trance ließ er sich in sein Zimmer bringen, wo sie ihn einschlossen. Er schaltete nicht das Licht an, blieb einfach in dem fast dunklen Raum stehen und wartete darauf, dass der Albtraum endete.

Die Gedanken flogen in seinem Kopf hin und her, quälten ihn mit Fragen, auf die er keine Antworten fand.

Die Auserwählten hatten ihm geholfen, nach Brecqhou zu gelangen. Und hier war seine Mission so gründlich gescheitert, dass er, wollte er Elena noch retten, seine Verbündeten verraten musste.

Kein Zweifel, sein Vater hatte das alles seit Tagen geplant.

Schon ab dem Zeitpunkt, als er erfahren hatte, dass die Wahre Ähnlichkeit Christi im Besitz der Auserwählten war. Markus Rosin allein trug die Verantwortung für Elenas Leid. Das war Alexander klar, doch er war zu geschockt, um noch Hass auf seinen Vater zu empfinden.

Er fühlte sich betäubt. Seine Beine begannen zu zittern. Erst jetzt, als er in Gedanken die grausige Szene in der Kapelle wieder und wieder durchlebte, durchlitt, traf ihn die Bestürzung mit ganzer Wucht. Er wankte zum Bett und ließ sich niederfallen. Dabei berührte sein Arm einen kleinen weichen Körper, der hier nicht hingehörte. Elektrisiert zog er seinen Fund unter der Decke hervor und knipste die Nachttischlampe an.

Er hielt einen Teddybären in der Hand. Winnie-the-Pooh mit Schlafmütze und Nachthemd und mit einem Kissen unter dem rechten Arm. Es war der Bär, den Elena auf der Piazza Navona erstanden hatte, ihr ständiger Begleiter.

Bei genauerem Hinsehen bemerkte Alexander ein dünnes Röllchen, das zwischen Teddyarm und Kissen klemmte. Er zog es heraus, entrollte den Zettel. Drei Wörter waren mit Bleistift auf das Papier geschrieben: Warte auf mich.

Immer wieder las er die verheißungsvolle Nachricht. Sie änderte die Lage völlig. Mutlosigkeit wich neuer Hoffnung, Verzweiflung dem Aufkeimen wilder Pläne.

Er machte das Licht aus, blieb auf dem Bett sitzen und starrte, den Teddybären an sich gepresst, auf die dunklen Umrisse der Tür. So wartete er Stunde um Stunde.

Ein leises Knacken im Türschloss, in seinen Ohren so laut wie eine Explosion, holte ihn aus dem Dämmerzustand, in den er gefallen war. Er riss die halb geschlossenen Augen auf und starrte auf die Tür, die langsam aufgeschoben wurde. Als der Spalt groß genug war, schlüpfte eine dunkle Gestalt ins Zimmer und schob die Tür vorsichtig wieder zu. Alexanders Hand schwebte über dem Knopf der Nachttischlampe.

«Kein Licht!», zischte eine leise Stimme. «Es könnte uns verraten.»

«Ja, ich weiß», seufzte Alexander bedauernd.

Das schwache Sternenlicht, das durchs Fenster hereinfiel, entriss dem nachtdämmrigen Zimmer Elenas schlanke Gestalt, die näher kam. Sie trug wieder den Arbeitsoverall. Mit großen Augen sah sie Alexander erwartungsvoll an.

Er stand auf und nahm sie in die Arme, drückte sie an sich. Es tat gut, ihre Wärme zu spüren. Er schloss die Augen und kostete ihre Nähe aus.

Elena stöhnte auf und sofort lockerte er seinen Griff. Er hatte nicht an ihren wunden Rücken gedacht. Schon das Reiben der Kleidung an ihrer Haut – oder was davon übrig war – musste ihr unsägliche Schmerzen bereiten.

«Was haben diese Schweine dir angetan?», fragte er erregt und musste sich zum Flüstern regelrecht zwingen.

«Ich hatte keine Wahl. Nur indem ich ihnen die reuige Sünderin vorspielte, konnte ich sie täuschen. Ich war mir sicher, dass du kommen würdest, und habe die Zeit genutzt, um einen Fluchtweg auszuspähen. Dafür war die Schufterei auf der Baustelle sehr nützlich.»

«Ich hätte nicht an dir zweifeln sollen, Elena. Aber das Bild vorhin in der Kapelle, ich …»

Seine Rede erstarb. Er konnte nicht in Worte fassen, was ihn in jenem Augenblick bewegt hatte.

Elena blickte über seine Schulter zum Bett, wo ein matter Lichtschein auf den Bären fiel. Sie hob ihn hoch, küsste seine schwarze Nase und schob ihn unter den Overall.

«Mein kleiner Freund hat dir also die Nachricht überbracht.

Ihn haben sie mir gelassen. Und das haben sie, Gott sei Dank, auch nicht gefunden.» Sie hielt den Bund mit Dietrichen hoch, mit dem sie auf der Piazza Bocca della Verità das Tor zur Kirche Santa Maria in Cosmedin geöffnet hatte. «Ohne die Schlüssel wäre ich nie aus meiner Zelle und in dein Zimmer gekommen. Und jetzt werden sie uns dabei helfen, dieses gastliche Haus zu verlassen.»

Sie hatte ihre Zeit auf Brecqhou gut genutzt. Das erkannte Alexander, als sie ihn zielsicher durch das halbdunkle, nachtstille Schloss führte. Mehrmals mussten sie sich vor Wächtern verstecken, bis sie schließlich durch eine schmale Tür, die Elena mit einem Dietrich öffnete, ins Freie gelangten. Auf einen Hof, der von hohen Mauern umgeben war.

«Dienstboteneingang», flüsterte sie. «Und das ist ein Wirtschaftshof. Ein Gang führt von hier in die Nähe der Baustelle. Und dort habe ich eine Pforte in der Außenmauer entdeckt, zu der einer meiner Schlüssel passt. Auf diesem Weg dürften wir keinen Wachen begegnen.»

Sie behielt Recht. Wirklich glauben konnte er es erst, als sie vor der südlichen Schlossmauer standen, im Freien! Vor ihnen stieg die Insel zur Spitze hin in einem sanften Bogen an. In einigen der frei stehenden Häuser brannte Licht. Auf dem unbeleuchteten Hubschrauberlandeplatz zeichneten sich verschwommen die Umrisse eines Helikopters gegen den Himmel ab.

«Schade, dass ich so ein Ding nicht fliegen kann», brummte Alexander. «Das wäre der schnellste und sicherste Weg.»

Elena fasste ihn bei der Hand und zog ihn mit sich. «Wir bedienen uns bei den Bootsschuppen.»

Sie führte ihn in einem weiten Bogen zur Westküste und erklärte, als er sich nach dem Grund für den Umweg erkundigte:

«Die Bastion, die das Schloss zur offenen Küste hin abriegelt, ist mit einem Wachtrupp besetzt.»

«Bestimmt die Radarstation», meinte er.

Das letzte Stück Weg zu den Klippen legten sie kriechend zurück, um von den Wachen in der Bastion nicht bemerkt zu werden. Den gewundenen Pfad, der zu den Bootsschuppen führte, meidend, kletterten sie die Felsen hinab. In der Dunkelheit war das schwierig. Sie rissen sich die Haut auf und waren mehrmals nahe daran, den Halt zu verlieren. Mit mehr Glück als Verstand kamen sie weitgehend unversehrt unten an, wo die flachen Schuppen wie schlafende Riesentiere vor ihnen lagen.

«Gibt’s hier keine Wachen?», fragte Alexander.

«Das konnte ich nicht herausfinden.»

«Gott ist mit den Dummen», sagte er und blieb nach wenigen Schritten in Richtung Schuppen überrascht stehen. «Was ist das?»

Ihr Blick folgte seinem ausgestreckten Arm. Zwischen zwei Schuppen lag ein kleines Segelboot auf dem Uferstreifen.

«Die Saints Boy! » , stieß er hervor. «Ja, das ist sie. Die Männer meines Vaters müssen sie geborgen und hergebracht haben.

Glück für uns. Sie ist das ideale Boot für zwei Personen, die von dieser Insel fliehen wollen.»

«Wird der Radarstrahl uns nicht erfassen?»

«Doch, das wird er. Aber das Risiko müssen wir eingehen.

Wir können nur hoffen, dass wir den Küstenbereich schnell genug verlassen und es wenigstens bis Herrn schaffen. Jenseits von Brecqhou gelten die Gesetze von Totus Tuus nicht mehr.»

Vorsichtig schoben sie das Boot ins Wasser, nachdem Alexander es untersucht hatte. Soweit er das bei dem schwachen Licht feststellen konnte, war es unversehrt. Die Boues hatten dem Rumpf zwar ein paar Schrammen zugefügt, ihn aber nicht ernsthaft beschädigt.

«Wir paddeln, bis wir an den Felsen vorbei sind», sagte Alexander. «Dann setzen wir die Segel und müssen …»

Er verschluckte den Rest seines Satzes, als gleißendes Licht aufflammte und ihn blendete, als sei direkt vor seinen Augen die Sonne aufgegangen. Er hörte schnelle Schritte und knappe Befehle. Schatten hetzten durch das Licht, das jede differenzierte optische Wahrnehmung ausschloss. Er wollte die Hände vors Gesicht reißen, aber da wurde er gepackt und zu Boden gestoßen. Er spürte die kühle Mündung einer Schusswaffe an der Stirn.

Allmählich gewöhnten seine Augen sich an die unnatürliche Helligkeit. Er sah Männer in der dunklen Ordensuniform, darunter seinen Vater. Und ihm wurde klar, dass dies keine zufällige Begegnung war. Markus Rosin und seine Schergen hatten sie hier unten erwartet. Der Totus-Tuus-General hatte ihnen das Entkommen aus dem Schloss absichtlich leicht gemacht und die Saints Bay wie auf dem Präsentierteller angeboten – nur damit das Scheitern der Flucht möglichst schmerzhaft geriet.

Zwei Männer, darunter der mit der Kerbe im Kinn, zerrten die sich sträubende Elena vom Boot weg. Es tat Alexander weh, ihre Verzweiflung mit ansehen zu müssen, denn er wusste, dass es nun keinen Ausweg mehr gab. Sein Vater bestimmte die Regeln, er schob sie beide ganz nach seinem Willen auf dem Spielbrett herum.

Markus Rosin trat auf seinen Sohn zu und sah mit einem unpassenden Lächeln auf ihn herab. «Steig ruhig ein, Alexander.

Das Boot wird dich zurück nach Guernsey bringen. Von dort kannst du nach Rom fliegen, um den Smaragd zu holen. Elena kann dich nicht begleiten. Sie ist noch nicht fertig mit ihrer Buße. Dieser Fluchtversuch ist der beste Beweis.»

Erst jetzt erfasste Alexander die ganze Perfidität des Plans.

Nachdem er schon mit Elena vereint und fast mit ihr in Freiheit gewesen war, traf es ihn umso härter, sie in den Fängen des Ordens zurücklassen zu müssen. In dem Wissen, dass sie tagsüber bis zum Umfallen schuften und sich abends bis aufs Blut geißeln würde. Das sollte ihn anspornen, die Wahre Ähnlichkeit Christi möglichst schnell zu beschaffen.

Langsam erhob er sich. Er versuchte, seiner Stimme einen möglichst festen Klang zu geben, und sagte: «Ich weigere mich, die Insel ohne Elena zu verlassen!»

Markus Rosin drehte sich um und gab seinen Leuten einen Wink. Der Mann mit dem gekerbten Kinn zog seine Automatik und presste die Mündung gegen Elenas linke Hand, deren Gelenk er umklammerte.

Markus Rosin wandte sich wieder seinem Sohn zu. «Wenn Sandro abdrückt, bleibt von der Hand nichts übrig. Noch hast du die Möglichkeit, deine Elena unversehrt zurückzuerhalten.»

Seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an. «Aber du musst allmählich zu einer Entscheidung kommen!»

Alexander konnte auf Brecqhou nichts weiter tun. Zögernd stieg er in das Boot, das zwei Ordensmänner ein Stück ins Wasser schoben.

Er hatte schon nach einem Paddel gegriffen, da wandte er sich noch einmal um und rief: «Ich werde dir den verfluchten Smaragd übergeben, Vater, aber in Rom. Du musst selbst hinkommen. Und du wirst Elena mitbringen!»

26

Sonnabend, 23. Mai

«Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das zur Bedingung gemacht habe», sagte Alexander nachdenklich. «Sicher auch, weil Elena den Leuten auf Brecqhou so vollkommen ausgeliefert ist. Ich bezweifle, dass der General sie von der Insel lässt, selbst wenn ich ihm den Smaragd dort übergeben sollte.

Hier habe ich wenigstens Unterstützung. Außerdem gehört das Geheimnis der Wahren Ähnlichkeit Christi zu Rom. In dieser Stadt wurde der Knoten vor Jahrhunderten geknüpft, hier muss er durchschlagen werden. Mich erstaunt allerdings, dass er sich darauf eingelassen hat.»

«Er» – das war sein Vater. Aber Alexander nannte ihn nicht länger so, für ihn war er nur noch «Markus Rosin» oder «der General».

Geistesabwesend griff er zu seinem Wasserglas, trank einen Schluck und starrte durch das vergitterte Fenster hinaus in den Park, der Professor Orlandis Privatklinik umgab. Rom lag noch immer unter dicken Wolken, die wie festzementiert am Himmel hingen. Entsprechend düster wirkten Gebüsch und Skulpturen, besonders jetzt, da der Tag zu weichen begann. Feste Formen lösten sich auf, Unverrückbares geriet in Bewegung, vom Tagesschlaf erwachende Bäume reckten kraftvoll ihr Geäst, und eben noch toter Stein atmete geheimnisvolles Leben.

Er fühlte sich hin- und hergerissen wie der zwischen Tag und Nacht schwankende Abend. Einerseits konnte er noch nicht richtig glauben, dass er wieder in Rom war. Andererseits kam ihm das Abenteuer auf Brecqhou vollkommen irreal vor, wie der flüchtige Traum eines unruhigen Schlafs.

Kein einziges Mal hatte Alexander sich umgesehen, als er die Insel in der Saints Bay hinter sich zurückließ. Die Boues und die Strömung, die alles tat, um sein Boot gegen die verhängnisvollen Felsen zu schleudern, hatten seine ganze Aufmerksamkeit verlangt. Und er hatte durch einen Blick zurück auf Elena, die er ihren Qualen überließ, nicht dasselbe Unheil heraufbeschwören wollen wie einst Orpheus, als er sich zu Eurydike umdrehte.

Auch war Alexander sich nicht sicher gewesen, ob er den Anblick ertragen würde. Er war sich wie ein feiger Verräter vorgekommen, als er Brecqhou ohne Elena verließ. Sie noch einmal inmitten ihrer Peiniger zu sehen hätte ihn vielleicht zur Umkehr bewogen. Aber er wusste, dass er ihr dadurch bloß geschadet hätte.

Nur kurz hatte er in St. Peter Port mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen. Man hätte ihm seine Geschichte kaum geglaubt, ihn vielleicht sogar für verrückt erklärt und eingesperrt. Außerdem hatten die Behörden keinerlei Befugnis auf Brecqhou. Die Insel von Totus Tuus war auf ihre Weise ein ebenso unabhängiger Staat wie der Vatikan, nur dass ihre Existenz der Öffentlichkeit kaum bekannt war. Sie unterhielt keine diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten und brauchte sie auch nicht. Weltweit vertraten Ordensangehörige in Politik und Wirtschaft die Interessen ihrer Vereinigung im Geheimen und dadurch umso wirkungsvoller.

Alexander war klar gewesen, dass er Elena am besten helfen konnte, indem er sofort nach Rom zurückkehrte. Er hatte den nächsten Flug nach Heathrow gebucht und war von dort nach kurzem Aufenthalt nach Rom weitergeflogen. Am späten Donnerstagabend war er in der Ewigen Stadt eingetroffen und hatte mit Commissario Donati Kontakt aufgenommen –

nachdem er sich vergewissert hatte, dass er nicht von Totus-Tuus-Angehörigen verfolgt wurde.

Nun saßen ihm Donati, Solbelli, Orlandi und Papst Custos gegenüber, um ein letztes Mal den Plan für jenes Ereignis zu besprechen, das alles entscheiden würde: das Zusammentreffen der Auserwählten mit Totus Tuus – des Papstes mit dem Ordensgeneral.

«Markus Rosin will die Entscheidung erzwingen, genauso wie wir», nahm der Heilige Vater den Faden auf. «Wäre er auf seiner Insel geblieben, hätte der Besitz der Wahren Ähnlichkeit Christi für ihn nur einen Teilsieg bedeutet. Zwar hätten die möglichen Vorgehensweisen zu meiner Entmachtung, die er Ihnen skizziert hat, sicher Aussicht auf Erfolg, aber noch verlockender dürfte es für ihn sein, mich mitsamt dem Smaragd in die Hand zu bekommen. Er ist ein alter Soldat und schätzt es, dem Feind ins Auge zu blicken. So hat er sich ausgedrückt, als ich ihm vorschlug, ihm den Smaragd persönlich zu übergeben.»

«Sie … haben selbst mit ihm gesprochen, Heiligkeit?», fragte Alexander verblüfft. «Wie?»

Der Papst lächelte. «Auch auf Brecqhou gibt es Telefon. Die Nummer erhält man allerdings nicht bei der Auskunft.»

Die aufgeräumte Art des Heiligen Vaters setzte Alexander in Erstaunen. Man merkte nichts mehr davon, dass der Papst noch vor einer Woche mit dem Tod gerungen hatte. Er schien vollkommen wiederhergestellt, und Alexander bezweifelte nicht, dass es so war. Ob wissenschaftlich erklärbare Spontanremission oder ein göttliches Wunder, ihm war es gleich. Er war einfach froh, dass Ovasius Shafqat und die anderen ihr Leben nicht vergebens geopfert hatten. Denn hier, wo er die warmherzige Ausstrahlung Seiner Heiligkeit spürte, war er ganz sicher, nicht dem Antichrist gegenüberzusitzen, sondern dem Mann, der das Christentum auf den rechten Weg zurückführen wollte – dem Engelspapst.

Erstaunlich war aber auch, dass der Papst mit dem bevorstehenden Unternehmen sein Leben aufs Spiel setzte und damit die Verwirklichung des selbst gesteckten Ziels. Zwar gab es andere Auserwählte, doch war fraglich, ob jemals wieder einer von ihnen den Heiligen Stuhl einnehmen würde. Totus Tuus und der Zirkel der Zwölf würden alles tun, um das zu verhindern. Und gerade deshalb bot Custos sich selbst als Lockvogel an. Er war ein Köder, nach dem Markus Rosin mit Sicherheit schnappen würde.

Alexander merkte, dass die Augen des Papstes auf ihm ruhten.

Es war ein eigenartiger Blick, der sich nicht auf sein Äußeres richtete, sondern tief in seine Seele drang. Doch das war ihm nicht unangenehm. Im Gegenteil, in Custos’ Gesicht standen Verständnis und Anteilnahme geschrieben.

«Sie müssen sich nicht fürchten, Alexander, nicht um meinetwillen. Der Herr hat schon einmal seine schützende Hand über mich gehalten. Wäre er gegen mich, hätte er meiner Mission längst ein Ende gesetzt.»

Zweifelnd sah Alexander den Papst an. «Es gibt so viele Unwägbarkeiten in diesem Plan. Ich frage mich, ob ich den Smaragd nicht doch nach Brecqhou hätte bringen sollen. Dann wären wenigstens Sie nicht in Gefahr geraten, Heiligkeit.»

«Dann wäre ich in eine viel größere Gefahr geraten», erwiderte Custos kopfschüttelnd. «Eine Gefahr, die vielleicht nicht mein Leben bedroht hätte, dafür aber den Fortbestand der Christenheit.»

«Glaubt man Markus Rosin, dann ist die Christenheit gerade durch Ihr Pontifikat bedroht», seufzte Alexander und sah den Papst erschrocken an, als ihm bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte. «Verzeihen Sie, Heiliger Vater! Bitte glauben Sie nicht, ich würde Ihnen misstrauen.»

Der Papst lächelte. «Ich weiß, wie schwer es ist, in diesem Labyrinth aus Lügen, Anschuldigungen und Theorien das Licht der Wahrheit zu erspähen. Markus Rosin mag sogar glauben, was er sagt. Die Auserwählten und ich aber wissen, dass er im Unrecht ist. Warum ist die Kirche denn ein Schiff mit schwankendem Kurs, ein Schiff vor allen Dingen, von dem immer mehr Menschen desertieren? Nur wahrer Glaube kann auf Dauer festigen. Das Netz falscher Dogmen, so fein es auch gesponnen sein mag, wird mit der Zeit brüchig und reißt. Die Kirche hat ihr Netz zweitausend Jahre lang zusammengehalten, aber jetzt lösen die Knoten sich auf. Wir müssen es ganz neu knüpfen, diesmal zum Wohle aller Menschen und nicht nur einiger Herrschender.»

Alexander spürte, wusste, dass Custos die Wahrheit sprach.

Markus Rosin war es beinahe gelungen, ihn zu überreden.

Custos aber musste ihn nicht überreden, er überzeugte ihn. Der Blick des Heiligen Vaters war offen, seine Worte kamen aus dem Herzen. Mit diesen Worten konnte es ihm gelingen, die Christenheit für einen neuen Kurs zu gewinnen.

«Unser Freund sorgt sich nicht nur um Bruder Gardien, sondern auch um Elena Vida», sagte Remigio Solbelli, während er einen winzigen Zigarettenstummel im Aschenbecher zerdrückte. «Und das ehrt ihn. Auch ich mache mir große Sorgen um die junge Frau. Wir können Bruder Gardien schützen, zumindest weitgehend, aber an Elena müssen wir erst mal herankommen.»

«Falls sie überhaupt Schutz nötig hat.»

Das kam von Stelvio Donati und jedes Wort traf Alexander wie eine persönliche Beleidigung.

«Was wollen Sie damit sagen?», fuhr er auf.

«Elena Vidas Rolle in diesem Spiel erscheint mir ziemlich undurchsichtig», antwortete der Commissario gelassen. «Immer taucht sie an den Brennpunkten auf, ist meistens an Ihrer Seite.»

«Sie hat ein ernst zu nehmendes Motiv, Bruder Donati, sie hasst Totus Tuus», meinte Solbelli.

«Vielleicht», sagte Donati in einem Ton, der seine Zweifel überdeutlich machte. «Vielleicht hat sie aber auch ein ganz anderes Motiv. Signor Rosin sprach davon, dass Elena Vida auf Brecqhou einer Gehirnwäsche unterzogen wird. Möglicherweise hat diese Gehirnwäsche schon viel früher stattgefunden. Ihr Motiv, sich mit Alexander Rosin zusammenzutun, könnte gewesen sein, Totus Tuus zu schützen, nicht, den Orden auffliegen zu lassen.»

«Das ist doch völlig aus der Luft gegriffen!», schrie Alexander.

«Keineswegs. Als Polizist bin ich gewöhnt, mich an die Fakten zu halten. Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet Elena nach dem Attentat entführt wurde? Hatte der Attentäter mit seiner Flucht nicht genug zu tun?»

«Auf Brecqhou wollte sie mir helfen zu entkommen», wandte Alexander ein.

«Wollte sie das wirklich? Die Flucht ist gründlich danebengegangen. Ihr Vater hat am Strand schon auf Sie gewartet. Und wie seltsam, dass Sie unterwegs kaum auf Wachen gestoßen sind. Nicht weniger seltsam ist, dass Elena Vida ihre Nachschlüssel behalten konnte, wohingegen man Sie peinlich genau gefilzt hat, Signor Rosin.»

«Vielleicht gehörte es zum Plan des Ordensgenerals, Elena genauso in Sicherheit zu wiegen wie mich.»

Er konnte nicht glauben, dass Donati mit seiner Verdächtigung Recht hatte, wollte noch nicht einmal die Möglichkeit in Betracht ziehen. Sicher, er kannte Elena erst seit kurzem, doch in den wenigen Tagen war sie ihm wichtiger geworden als jeder andere Mensch. Sein Vater war nur eine Erinnerung, zudem eine trügerische, wie er schmerzhaft erfahren hatte. Juliette hatte ihm Wärme und Leidenschaft geschenkt, auch Liebe, aber ihnen beiden war immer klar gewesen, dass es kein gemeinsames Leben für sie gab, keine Zukunft, nur ein paar Stunden pro Woche, die sie in einem Kälte und Leere betäubenden Rausch zusammen verbrachten. Im Zusammensein mit Elena hatte er zum ersten Mal gespürt, dass es einen Weg aus der Einsamkeit gab, die sein ganzes Leben bestimmt hatte. Die Vorstellung, dass alles, was ihn mit Elena verband, auf einer Täuschung beruhte, auf einer weiteren Perfidität Markus Rosins, war geeignet, ihn um den Verstand zu bringen – oder ihm das Herz zu brechen.

«Ein Streit um des Kaisers Bart», mischte Orlandi sich ein. «In wenigen Stunden werden wir wissen, auf welcher Seite Elena Vida steht. Und selbst wenn wir es jetzt schon wüssten, könnte das nichts an unserem Plan ändern. Wir sollten uns lieber daran begeben, die E-Mail zu formulieren.» Der Professor sah Alexander an. «Sagen Sie, Signor Rosin, sind wirklich so viele Gardisten im Internet?»

«Nicht weniger als andere Menschen auch. Nur weil wir der Kirche dienen, leben wir nicht hinterm Mond.»

«Vielen Dank», sagte der Papst mit einem ironischen Unterton.

«Aber was ist, wenn heute Nacht keiner der Gardisten online geht?», fragte Donati.

«Das wäre höchst ungewöhnlich», antwortete Alexander. «Ab Mitternacht hat jeder Gardist in der Kaserne zu sein. Eigentlich müssten alle, die keine Wache haben, sogar im Bett liegen, aber daran halten sich die wenigsten. Fernsehen wäre auffällig, online zu gehen dagegen kaum. Außerdem ist das Surfen um diese Zeit sehr billig. Und wenn nur zwei oder drei meine Mail rechtzeitig lesen, werden sie die Kameraden mit Sicherheit informieren.»

«Aber auch jemand vom Zirkel der Zwölf oder ein Gardist, der mit Totus Tuus sympathisiert, könnte die Mail lesen», gab der Commissario zu bedenken.

«Sie werden in der Minderzahl sein», sagte Custos. «Das hoffen wir zumindest, denn darauf basiert unser Plan. Nur dann können wir Totus Tuus und den Zirkel aufhalten.»

Der Mut und die Entschlossenheit des Papstes beeindruckten Alexander. In seiner weißen Soutane war er ein weithin sichtbares Ziel. Custos hatte auf dem Gewand bestanden, um jedem zu zeigen, dass er der rechtmäßige Pontifex war. Obwohl es zur Abmachung gehörte, dass beide Parteien unbewaffnet kamen, traute Alexander der Zusage von Totus Tuus nicht.

Donati, ebenso skeptisch wie er, hatte den Papst mit Mühe und Not dazu gebracht, unter der Soutane eine schusssichere Kevlarweste zu tragen.

«Gott wird mich beschützen», hatte Custos abgewehrt.

«Gott beschützt Ihre Seele, die Weste Ihren Leib», hatte Donati geantwortet.

Ein höchst fragwürdiger Schutz, fand Alexander, als er sah, wie deutlich das Papstgewand sich gegen die Dunkelheit abzeichnete.

Gegen eine Handgranate oder einen Kopfschuss half auch das stärkste Kevlargewebe nicht.

Der Papst, Donati, Alexander und die drei erprobten Helfer, die sie schon acht Tage zuvor zum Largo di Torre Argentina begleitet hatten – Silvio, Dario und Leone –, stiegen die Treppe zu dem Ruinenfeld hinab. Der Kleintransporter, den Dario gefahren hatte, blieb verlassen am Straßenrand zurück. Jeder Mann konnte wichtig sein, und mehr als sechs durfte keine Partei mitbringen. So lautete die Abmachung. Custos hatte angeordnet, die Abmachung einzuhalten, um Elenas Leben nicht zu gefährden.

Silvio, Dario und Leone schirmten ihn ab, so gut es ging. Der Heilige Vater murrte, als sie ihn in ihre Mitte nahmen und beinahe erdrückten. Er trug den Holzkasten mit der Wahren Ähnlichkeit Christi selbst. Alexander und Donati, der mit seinem steifen Bein auf der engen Treppe nur schwer zurechtkam, bildeten den Abschluss.

Aus der unterirdischen Wohnung der Katzennärrin fiel Lichtschein nach draußen, aber nichts rührte sich, nicht einmal eine Katze huschte an den sechs Männern vorbei. Oben rauschte der auch kurz vor Mitternacht noch starke Verkehr, hier unten schienen die Tempelruinen in der Zeit eingefroren zu sein.

Erst als auch Donati den unteren Treppenabsatz erreichte, wuchsen ein paar dunkle Gestalten aus dem Ruinenfeld. Als sie vorsichtig näher traten und über den Absperrzaun kletterten, erkannte Alexander Riccardo Parada, Roland Schnyder, Anton von Gunten und Markus Rosin. Alle vier trugen sie dunkle Kleidung, als wollten sie sich die Nacht zur Verbündeten machen. Waffen waren nicht zu erkennen, konnten aber sehr wohl unter den Jacken verborgen sein.

Alexander trat vor den Ordensgeneral und fragte: «Wo ist Elena?»

«Wo ist der Smaragd?»

«Hier.» Custos hob den Kasten hoch.

Markus Rosin blickte den Papst finster an. «Ich sehe nur ein Stück Holz.»

«Und wir sehen keine Gegenleistung», entgegnete der Papst.

Der General streckte wie zum Angriffsbefehl die geballte Faust nach oben. Drei weitere Gestalten traten aus den Schatten der Ruinen, die Gardisten Utz Rasser und Kurt Mäder und zwischen ihnen Elena, die sie festhielten. Sie leistete keine Gegenwehr, schien die Männer vielmehr willenlos zu begleiten.

Ihre Augen blickten seltsam starr.

«Was ist mit ihr?», rief Alexander und wollte hinlaufen, aber von Gunten und Schnyder versperrten ihm den Weg.

«Wir haben ihr nur ein kleines Beruhigungsmittel gegeben, damit sie uns keine Schwierigkeiten macht», sagte Markus Rosin. «Sobald wir den Smaragd haben, kannst du deine Geliebte in die Arme schließen.»

«In der Kapelle», sagte Custos und zeigte auf die ins Erdreich geschlagene Wohnung der Katzennärrin. «Dort findet der Austausch statt.»

«Davon war nicht die Rede!», stieß der Ordensgeneral hervor.

«Der Glaube muss nicht noch mehr entweiht werden», erwiderte der Papst. «Ich weigere mich, die Wahre Ähnlichkeit Christi in dieser heidnischen Kulisse zu übergeben. Außerdem habe ich zu Gott gebetet, er möge die Irregeleiteten zur Vernunft bringen. Vielleicht geschieht das an einem zur Andacht einladenden Ort wie der Edelsteinkapelle.»

«Sollte mich freuen, wenn Sie dort Vernunft annehmen, Heiligkeit» , versetzte Markus Rosin spöttisch. «Also gut, bringen wir es hinter uns. In der Kapelle sind wir ungestört.»

Die Katzennärrin öffnete die Tür ihrer Wohnung. Tiger kauerte auf ihrer Schulter und blickte wachsam in die Nacht.

Während der vergangenen Tage hatten die Auserwählten ein schützendes Auge auf Signora del Grosso geworfen. Es war ihr mitgeteilt worden, dass es in dieser Nacht zu einer bedeutenden, aber auch gefährlichen Begegnung kommen würde und dass man dafür durch ihre Wohnung müsste. Sie hatte es abgelehnt, den Zufluchtsort ihrer geliebten Katzen auch nur für ein paar Stunden zu verlassen.

Beim Anblick des Heiligen Vaters wollte sie auf die Knie fallen. Fast wäre sie dabei umgeknickt, und Leone sprang ihr helfend zur Seite. Als er die Signora an der Schulter packte, stieß Tiger ein wütendes Fauchen aus. Die alte Frau küsste den Fischerring des Papstes und wich ehrerbietig zur Seite.

In den engen Gängen, die zur Edelsteinkapelle führten, versuchte Alexander, in Elenas Nähe zu gelangen. Er machte sich so große Sorgen um sie und konnte sie doch nicht fragen, wie es ihr ging. Sie schien kaum in der Lage, ihm zu antworten, außerdem war sie noch immer zwischen Rasser und Mäder eingekeilt. Mehrmals begegnete sein Blick dem Rassers, aber keiner von ihnen sagte ein Wort.

In der Edelsteinkapelle wies Markus Rosin Oberleutnant Schnyder an, die Kerzen anzuzünden, «damit wir zur Andacht kommen», wie er mit einem anzüglichen Lächeln hinzufügte.

«Und jetzt will ich endlich den Inhalt des Kastens sehen!»

Der Papst klappte den Deckel hoch und Alexander blickte verstohlen auf die Uhr. Gleich war es eins. Pünktlich um Mitternacht sollte Professor Orlandi die E-Mail abgeschickt haben, die Alexander geschrieben hatte. Der Weg vom Vatikan in die Kapelle war viel kürzer als von der Wohnung der Katzennärrin. Aber in dem Gang, der zur vatikanischen Tiefgarage führte, blieb alles still.

Markus Rosin nahm den Smaragd aus dem Kasten und drehte ihn, damit er beide Gesichter sehen konnte. Der Stein warf das Licht der Kerzen mit einem intensiven grünen Leuchten zurück.

«Sind Sie überzeugt?», fragte der Papst.

«Es ist der echte Stein», bestätigte Markus Rosin.

Custos lächelte verhalten. «Der Stein, der die Wahrheit verkündet, nicht wahr?»

«Was soll die Bemerkung?», fragte Markus Rosin. «Wir wissen beide, dass dieser Smaragd seinen Namen zu Recht trägt.»

«Sie geben also zu, dass die kirchliche Lehre auf falschen Dogmen beruht», stellte Custos fest.

«Die Dogmen sind richtig, nur gehen sie nicht auf Jesus zurück. Aber das ist vollkommen unwichtig. Was zählt, ist, dass die heilige Kirche und ihre Wertordnung Bestand haben. Dafür haben wir …»

Heftiger Lärm brachte Markus Rosin zum Schweigen. Aus dem Durchgang zum Vatikan kam ein Mann in blaugrauer Gardeuniform gelaufen, Adjutant Walter Stückelberger. Sein Gesicht war noch blasser als gewöhnlich. Er gehörte dem Zwölferzirkel an – hatte er den unterirdischen Gang bewacht?

Wahrscheinlich, dachte Alexander, als Stückelberger hastig seine Meldung herunterspulte.

«Die Gardisten kommen!»

«Welche Gardisten?», fragte von Gunten.

«Alle möglichen», keuchte Stückelberger. «Männer aus allen drei Geschwadern stürmen den Gang.»

Wenige Sekunden später erschienen an die fünfzig Schweizer, viele in Zivil, andere in Uniform. Nicht alle passten in die kleine Kapelle, einige mussten im Gang bleiben. Verwirrt blickten sie sich um. Der unterirdische Raum mit dem Edelsteinschmuck war allein schon erstaunlich genug. Den verschwundenen Papst nun Seite an Seite mit dem als Attentäter und Kidnapper gesuchten Alexander Rosin zu sehen, war noch viel verblüffender. Am irritierendsten aber musste der Anblick des totgeglaubten Gardekommandanten Markus Rosin sein – einige der Männer hatten immerhin noch unter ihm gedient.

Dass nicht tausend Fragen gestellt wurden, war hauptsächlich Alexanders E-Mail zu verdanken. Er hatte in kurzen Zügen dargelegt, was sich in den vergangenen Wochen ereignet hatte.

Er hatte seine Kameraden auf das, was sie hier unten vorfinden würden, vorbereitet und ihnen den Weg durch die Tiefgarage beschrieben. Und er hatte sie im Namen Seiner Heiligkeit aufgefordert, schnellstmöglich zu erscheinen.

Papst Custos zeigte den Männern den Edelstein und erklärte ihnen, was die zwei eingeschliffenen Gesichter bedeuteten. Als er sich als Nachfahre Jeschuas, des historischen Jesus, zu erkennen gab, stießen viele der Gardisten ungläubige Rufe aus.

Andere verrieten ihre Zweifel durch konsternierte Mienen.

Markus Rosin nutzte die Gelegenheit und rief: «Glaubt ihm nicht, Männer! Gardien ist ein Lügner und Scharlatan, der sich auf den Stuhl Petri geschwindelt hat. Durch faulen Zauber will er die Kirche zu Fall bringen, der zu dienen wir geschworen haben.»

Alexander streckte die rechte Hand aus und zeigte auf den General. «Dieser Mann, mein Vater, ist der Lügner und Verschwörer. Er hat seinen Tod vorgetäuscht, um zum Anführer des geheimen Ordens Totus Tuus aufzusteigen. Er hat das Attentat auf Papst Custos befohlen, den wir, Kameraden, mit unserem Leben zu schützen geschworen haben. Nicht der Kirche gilt unser Eid, sondern dem Papst, und das ist Custos!»

Als aus den Reihen der Gardisten zustimmende Rufe laut wurden, bellte Oberstleutnant von Gunten: «Ruhe, Männer! Als euer Kommandant befehle ich euch zu schweigen. Gardien hat die Kirche verraten, er ist nicht mehr der rechtmäßige Papst.

Euer Eid bindet euch nicht an ihn.»

«Das zu entscheiden steht nicht in Ihrer Befugnis, Herr Oberstleutnant», widersprach Alexander. «Niemand kann den Papst absetzen und nur er selbst kann die Garde von ihrem Eid entbinden.»

Custos hob die Arme und erklärte: «Ich verlange keinen blinden Gehorsam von euch, meine Schweizer. Hört auf die Stimme eures Herzens, auf euren Glauben, prüft euch. Erkennt, was richtig ist, und dann handelt!»

«Auch wir hören auf die Stimme unseres Glaubens», rief Markus Rosin.

«Das allein spricht noch nicht für Ihren Orden», sagte der Papst. «Wie auch immer der Teufel beschaffen sein mag, er ist bestimmt kein Atheist.»

Markus Rosin wandte sich an die Gardisten. «Ihr könnt euch nicht auf euren Glauben berufen und gleichzeitig die Dogmen der Kirche für ungültig erklären. Gerade das würde gegen den Glauben verstoßen!»

«Nur gegen den falschen Glauben, der blindem Gehorsam gleicht», erwiderte Custos augenblicklich. «Gott hat uns den Verstand nicht gegeben, damit wir uns seinen Gebrauch untersagen lassen. Wer von uns verlangt, dass wir um des Glaubens willen aufhören zu denken, beleidigt den Schöpfer.

Denken und Glauben sind keine Gegensätze, sie müssen sich ergänzen!»

«Das ist Ketzerei!», ereiferte sich Markus Rosin. «Dieser angebliche Papst ist ein Ungläubiger!»

Custos bedachte ihn mit einem ernsten Blick und sagte vollkommen ruhig: «Ob ich gläubig oder ungläubig bin, vermag allein Gott zu entscheiden.»

«Geht in eure Quartiere zurück!», rief von Gunten den Schweizern zu. «Ich kümmere mich um den Papst und nehme ihn in Gewahrsam. Die Kurienkardinäle werden über sein Schicksal befinden.» Als die Gardisten keine Anstalten machten, die Kapelle zu verlassen, setzte er nach: «Führt den Befehl sofort aus, verlasst diesen Ort!»

Alexander sagte: «Von Gunten, Sie vergessen, dass der Heilige Vater unser oberster Befehlshaber ist.»

«Das stimmt, er hat Recht!», rief ein Gardist aus den hinteren Reihen. Andere schlossen sich an: «Niemand kann den Heiligen Vater absetzen!» – «Wir dienen dem Papst und beschützen ihn, so lautet unser Eid!»

Einer nach dem anderen traten die Schweizer vor, um einen schützenden Kreis um Custos zu bilden, da ließ das Krachen eines Schusses – in der kleinen Kapelle so laut wie eine Kanone

– alle erstarren. Gestein rieselte von der Decke, wo die Kugel abgeprallt war. Der Querschläger traf einen Gardisten aus dem Romandgeschwader ins Bein. Aufstöhnend ging der Verletzte zu Boden.

Riccardo Parada hielt eine Beretta-Automatik in der Hand.

Nun zogen auch die anderen Verschwörer Handfeuerwaffen unter ihrer Kleidung hervor. Sie hatten sich nicht an die Abmachung gehalten, natürlich nicht!

Wut stieg in Alexander hoch. Er und seine Begleiter waren unbewaffnet gekommen – wenn auch nicht aus Ehrlichkeit, wie er zugeben musste. Sie hatten Elena nicht gefährden wollen.

Nachdem der Schuss gefallen war, ging alles blitzschnell. Die Verschwörer drängten die Gardisten zurück und versuchten, den Papst aus der Kapelle zu zerren, in den Gang, der zu Signora del Grossos Wohnung führte.

Markus Rosin und Utz Rasser hatten die Kapelle mit ihrem Gefangenen bereits verlassen, als sich die Gardisten, wie auf einen geheimen Befehl, auf die übrigen Verschwörer stürzten.

Zwar hatten die Schweizer keine Feuerwaffen, aber ihre Überzahl sicherte ihnen einen schnellen Sieg. Parada, von Gunten, Schnyder, Mäder und Stückelberger lagen bald entwaffnet am Boden, hatten allerdings noch einigen Gardisten Schusswunden beigebracht.

Das alles bekam Alexander nur beiläufig mit. Nach einem letzten Blick auf Elena, die von Silvio gestützt wurde, folgte er Markus Rosin, Utz Rasser und dem Heiligen Vater. Seine Schritte hallten in dem unterirdischen Gang laut wider. Weiter vorn leuchtete unerklärlicherweise ein Licht. So sah Alexander, dass Rasser zu ihm herumfuhr, um zwei Schüsse abzugeben.

Nur weil Alexander sich geistesgegenwärtig zu Boden warf, pfiffen die Projektile über ihn hinweg.

Als er auf dem Boden lag, bekam seine Rechte einen faustgroßen Stein zu fassen und umklammerte ihn. Gleichzeitig entdeckte er die Lichtquelle, eine gebückte Gestalt mit einer Taschenlampe. Die Katzennärrin. Es gab nur eine Erklärung für ihr Erscheinen: Sie hatte es vor Neugier nicht mehr ausgehalten.

Markus Rosin feuerte und die alte Frau brach vor ihm zusammen. Die Taschenlampe entglitt ihrer Hand, rollte über den Boden. Der Lichtstrahl tanzte über die Felswände wie ein verirrter Kugelblitz.

Als die Lampe liegen blieb, fiel das Licht auf Rasser, der mit schussbereiter Pistole suchend in Alexanders Richtung starrte.

Alexander sprang auf, schleuderte den Stein und ließ sich sofort wieder fallen.

Rassers Aufstöhnen ging in der Detonation des Schusses unter.

Die Kugel klatschte zwei, drei Meter hinter Alexander gegen den Fels.

Er stieß sich vom Boden ab und sprintete auf Rasser zu, der die linke Hand gegen die blutende Stirn presste. Rasser riss die Automatik herum und wollte erneut abdrücken. Alexander war schneller, er packte den rechten Arm seines einstigen Freundes und hielt ihn fest. Die Wucht seines Ansturms riss sie beide zu Boden. Sie rangen um die Kontrolle über die Waffe, die noch immer in Rassers Hand lag.

«Diesmal werde ich dich nicht schonen, Verräter!», keuchte Rasser. «Ich hätte schon damals in der Waffenkammer Schluss mit dir machen sollen!»

«Ich halte einen anderen von uns für den Verräter», brachte Alexander im stoßweisen Rhythmus seines heftigen Atmens hervor, während er zu verhindern suchte, dass der kräftige Gardist, der über größere Körperkraft verfügte als er, die Waffe auf ihn richtete. «Du warst der Einbrecher?»

«Natürlich. Wenn das Waffenausgabebuch als gestohlen galt, konnte auf mich kein Verdacht fallen. Mit dir habe ich nicht gerechnet, dachte, du wärst längst in dein Zimmer gegangen.

Fehlanzeige! Als ich dich kommen sah, habe ich mich zwischen den Stahlschränken versteckt. Den Rest kennst du.»

«Nicht ganz. Wer hat mir den Hieb verpasst?»

«Der FvD natürlich, Mäder. Der Idiot sollte Schmiere stehen, hat dich aber nicht bemerkt. Erst der Lärm unseres Kampfes hat ihn stutzig gemacht. Er hätte fester zuschlagen sollen, aber das hole ich jetzt nach!»

Rasser glaubte, die Oberhand zu gewinnen, als Alexanders Druck auf seinen Waffenarm nachließ. Alexander hatte absichtlich nachgegeben, um ihn in falscher Sicherheit zu wiegen, getreu den Worten Meister Funakoshis: Das Nachgeben hat nur Sinn, wenn die Kraft des Gegners gegen ihn verwendet, wenn er durch seine Kraft besiegt wird.

Als Rasser die Waffe auf Alexanders Brust richtete, packte dieser den Unterarm des Gegners mit neuer Kraft und drehte ihn herum. Der Schuss löste sich und traf Rasser mitten ins Herz.

Alexander spürte kein Bedauern. Er hatte den Freund längst verloren.

Hastig rappelte er sich auf, um nach den anderen zu sehen.

Infernalischer Lärm erfüllte den Gang: Kreischen, Schreien und Fauchen, in das sich die schnellen Schritte der Gardisten mischten, die aus der Kapelle herankamen. In dem engen, dunklen, ihnen unbekannten Stollen mussten sie sich erst zurechtfinden, was Zeit kostete.

Alexander hob die Taschenlampe auf und beleuchtete die am Boden kauernde Gestalt des Papstes. Ein Schreck durchfuhr ihn.

War der Heilige Vater verwundet?

Dann aber sah er, dass Custos sich um die Katzennärrin kümmerte. Sie blutete aus einer Wunde am Kopf. Hätte die Kugel sie nicht nur gestreift, hätten wohl selbst die heilenden Kräfte des Papstes ihr nicht mehr helfen können. Custos wirkte vollkommen konzentriert; vorsichtig strich er mit der Hand über die Stirnwunde. Die Signora lag mit geschlossenen Augen in seinem Schoß.

Alexander ließ den Lichtkegel weiterwandern zu einem Knäuel miteinander ringender Leiber. Markus Rosin wälzte sich am Boden hin und her und versuchte, etliche Katzen von seinem Körper zu schütteln. Immer wieder sprangen die Tiere ihn an und schlugen ihre scharfen Krallen in sein Fleisch. Kein Zweifel, sie verteidigten ihre Herrin – oder rächten sie. Tiger bearbeitete das Gesicht des Generals, der sich mit fahrigen Bewegungen wehrte. Die Waffe war ihm entfallen.

Alexander nahm die Automatik auf und vertrieb die Katzen mit ein paar Fußtritten. Markus Rosins Abwehrbewegungen erlahmten, als die Tiere ihn nicht mehr bedrängten, aber er schien nicht aufstehen zu wollen. Jetzt erkannte Alexander, warum er sich so unbeholfen gegen die Katzen verteidigt hatte: Tiger hatte ganze Arbeit geleistet und ihm beide Augen ausgekratzt.

Alexander richtete die Waffe auf die Stirn des laut stöhnenden Mannes, genau zwischen die beiden blutigen Augenhöhlen. Er erinnerte sich gut an seinen Schwur, seinen Vater zu töten, aber er drückte nicht ab. Er hatte keinen Vater mehr, den er hätte bestrafen können. Vielleicht hatte er nie einen richtigen Vater gehabt, sondern immer nur ein flüchtiges Trugbild. Und selbst das war schon vor zehn Jahren erloschen. Seitdem gab es nur noch den Ordensgeneral Markus Rosin, und über den würden andere richten.

Gardisten umringten sie, und mit ihnen kam Donati angehumpelt. Alexander übergab ihm die Waffe und wandte sich dem Papst zu, auf dessen Stirn dicke Schweißperlen glänzten.

«Wird die Signora durchkommen?»

Custos nickte und erhob sich schwankend. «Der Herr ist mit ihr.»

Alexander übergab die Lampe einem Kameraden und lief zurück zur Edelsteinkapelle. Zu Elena.

Epilog

«Elena geht es bald besser», verkündete einige Stunden später Professor Orlandi, als er aus ihrem Krankenzimmer trat. «Sie muss ein paar Stunden schlafen, dann wird das Gift in ihrem Körper weitgehend abgebaut sein. Ich habe auch ihren Rücken behandelt, damit die Wunden schneller verheilen.»

«Kann ich zu ihr?», fragte Alexander.

«Wenn Sie sie schlafen lassen, ja.»

Orlandi ging ins Nebenzimmer, wo Signora del Grosso lag.

Alexander weckte Elena nicht. Es genügte ihm, an ihrem Bett zu sitzen, sie anzuschauen und zu wissen, dass sie beide es überstanden hatten. Nach allem, was hinter ihm lag, hätte er erschöpft sein müssen, leer, ausgebrannt. Aber es war nicht so.

Elena und er hatten die Vergangenheit abgeschüttelt. Ihr Leben wurde nicht länger von fremden Kräften gelenkt. Was die Zukunft auch für sie beide bereithalten mochte, es lag bei ihnen, ihre Chancen zu nutzen.

Länger als eine Stunde blieb er bei ihr und sah sie einfach nur an. Dann ging er in den Salon, in dem einige der Auserwählten, darunter Orlandi, Solbelli und ihr Verbündeter Donati, die Sondersendung im Fernsehen verfolgten. Egal, welchen Sender man an diesem Sonntag einschaltete, jeder hatte sein Programm für die Berichterstattung aus dem Vatikan gekippt, sogar die Sportkanäle.

Donati trat auf Alexander zu und sagte: «Was Elena betrifft, muss ich mich wohl bei Ihnen entschuldigen. Vermutlich ist das Verdächtigen bei mir eine Berufskrankheit.»

«Was Sie heute Nacht getan haben, auch für Elena, bedeutet tausendmal mehr als jede Entschuldigung, Commissario.»

Alexander reichte ihm die Hand. «Ich danke Ihnen, für alles.»

Donati ergriff seine Hand und schüttelte sie. «Gleichfalls, Signor Rosin.»

Ein Fernsehsprecher berichtete von nächtlichen Kämpfen in unterirdischen Gängen unter dem Vatikan, über die noch nichts Genaues bekannt sei. Alexanders Gedanken kehrten zur letzten Nacht zurück.

Mit den sich überstürzenden Ereignissen in der Edelsteinkapelle waren die Aufregungen noch nicht beendet gewesen. Die Gardisten hatten die gefangenen Verschwörer durch den Geheimgang in den Vatikan gebracht. Auch Alexander war dabei gewesen. Der Papst brauchte in dieser Stunde jeden Getreuen.

Die Schweizer holten ihre Schusswaffen aus der Waffenkammer und setzten alle ihnen bekannten Verschwörer, die sich im Vatikan aufhielten, fest: die Kardinäle Musolino und Tamberlani, Monsignore Wetter-Dietz, Gardekaplan Imhoof sowie einige ihrer Mitarbeiter.

Anfangs erschien ungewiss, auf welche Seite die Vigilanza sich schlagen würde. Erst als die Gendarmen sich für Papst Custos entschieden, hatte festgestanden, dass dem Vatikan eine bewaffnete Auseinandersetzung erspart bleiben würde.

Commissario Donati war zu diesem Zeitpunkt schon im Präsidium gewesen, um die Polizeiführung über die Lage zu informieren. Falls die Vigilanza sich gegen die Schweizergarde gestellt hätte, hätte Papst Custos römische Ordnungskräfte zur Verstärkung anfordern müssen.

Aber auch so hatten Stadtpolizei und Carabinieri alle Hände voll damit zu tun, den Vatikan abzuriegeln. Die Nachricht von der ominösen Rückkehr des Papstes in den Kirchenstaat, von seiner völligen Genesung und dem geplanten Putsch einiger Kurienkardinäle lockte Heerscharen von Neugierigen, Gläubigen und Journalisten zum Vatikan. Rom glich einem Hexenkessel.

Als reichten all diese Neuigkeiten noch nicht aus, um die Welt in helle Aufregung zu versetzen, wartete Papst Custos mit der nächsten Sensation auf. Der Heilige Vater höchstpersönlich erschien zur Presseerklärung im Konferenzraum des vatikanischen Pressesaals. Und als die Kameraleute und Fotografen sich einigermaßen gefangen hatten, waren es seine Worte, die für den nächsten Aufruhr sorgten.

Seine Heiligkeit präsentierte der Öffentlichkeit die Wahre Ähnlichkeit Christi und berichtete von der Bedeutung des Smaragds. «Wird die Menschheit diese Botschaft verkraften?», fragte Elena am Abend, als sie sich mit Alexander eine Aufzeichnung der Pressekonferenz ansah. «Werden die Christen zusammenfinden oder sich noch weiter spalten? Werden die Fundamentalisten im Islam eine Chance wittern, den Heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen auszurufen?»

Sie waren zu Elenas Wohnung gefahren. Elena hatte darum gebeten, als sie erwacht war; sie hatte mit ihm allein sein wollen.

«Der Heilige Vater hat gewusst, was er tat», erwiderte Alexander, der sich den ganzen Tag über dieselben Fragen gestellt hatte. «Natürlich haben ihn die Umstände dazu gedrängt, Hals über Kopf an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie sonst sollte er die Festnahme hochrangiger Kardinäle, des Vatikansprechers, des kommissarischen Gardekommandanten, des Gardekaplans und des Generalinspektors der Vigilanza erklären? Vielleicht ist es gut so. Ein heilsamer Schock kann zuweilen mehr bewirken als ein quälend langsamer Prozess. Er wird die Menschen überzeugen. Wenn es einen Engelspapst gibt, dann ist es Custos!»

Elena griff zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher aus und sah Alexander an. «Hast du auch einen heilsamen Schock erlebt?»

«Ja», sagte er nachdenklich. «Ich weiß jetzt, dass ich keinem Vater und keiner Vergangenheit nachtrauern muss. Was mit Markus Rosin auch geschehen mag, für mich wird es das Schicksal eines Fremden sein.»

Sie sah ihn prüfend an. «Das klingt verbittert.»

«Nein, nicht verbittert.» Er lächelte und es war ein offenes, ehrliches Lächeln. «Verbittert war ich, als wir die Zusammenkunft des Zirkels belauscht haben und ich erkennen musste, wer das Haupt der Zwölf war. Da habe ich mich von meinem Vater verraten gefühlt. Inzwischen weiß ich, dass dieser Mann schon lange nicht mehr mein Vater war. In gewisser Hinsicht bin ich froh über die Erkenntnis. Ich wünschte nur, es hätten nicht so viele Menschen dafür ihr Leben gelassen.»

«Nach allem, was du für den Papst getan hast, ist dein Aufstieg an die Spitze der Schweizergarde sicher, Alexander.

Du wirst Gelegenheit haben, den Namen Rosin rein zu waschen.»

Er schüttelte den Kopf. «Das habe ich bereits getan, mehr als genug, denke ich. Im nächsten Jahr hätte ich meine Dienstzeit verlängern müssen, was ich jedoch nicht tun werde. Mehr noch, ich werde Seine Heiligkeit um vorzeitige Entlassung bitten. Zu viele ungute Erinnerungen sind mit dem Namen Rosin verbunden, ich werde die Familientradition beenden.»

«Und dann? Was hast du vor?»

«Ich denke, ich werde mich dem Journalismus zuwenden.

Bevor ich nach Rom kam, habe ich zwei Semester Journalistik studiert. Mit meinem Hintergrundwissen als Exgardist könnte ich doch einen passablen Vatikanisten abgeben. Natürlich muss ich den Job von der Pike auf lernen, am besten bei einer Meisterin des Fachs. Du brauchst jetzt ja wohl einen neuen Rechercheur, Elena.»

Sie blickte ihn ungläubig an. «Du willst mich verkohlen, oder?»

«Ganz im Gegenteil, ich habe es noch nie so ernst gemeint.»

Er nahm sie in die Arme und küsste sie, und das Schicksal der Menschheit erschien auf einmal vollkommen unbedeutend.

Die ganze Nacht über lagen sie sich in den Armen und hielten einander einfach nur fest. Und jeder von ihnen wusste, dass er in dieser kleinen Ewigkeit alles hatte, was er brauchte, was er sich wünschte. Wäre es möglich gewesen, hätten sie die Zeit angehalten. Aber das Tageslicht, das die Dachwohnung irgendwann durchflutete, schwemmte die Illusion eines abgeschlossenen Mikrokosmos hinweg.

Nur widerwillig löste Alexander sich aus der Umarmung und ging zum Fenster. Das Erste, was ihm auffiel, war der strahlend blaue Himmel, an dem nicht die kleinste Wolke zu sehen war.

Die Sonne lachte, als wollte sie die vielen trüben Wochen, die Rom gesehen hatte, an einem Tag vergessen machen. Er blickte den Hügel hinunter auf die Stadt, sah Autos, Busse und einen Milchauslieferer, dessen kleiner Transporter den Gianicolo heraufzuckelte.

«Und?», fragte Elena zaghaft, als er zu ihr zurückkam. Sie sah ihn an wie den Engel des Jüngsten Gerichts.

Er schloss sie wieder in die Arme und sagte lächelnd: «Rom lebt!»

Nachbemerkung des Autors

Die Schweizergarde der Päpste, heute gerade mal hundert Mann stark, ist eine Kompanie im Rang eines Regiments. Daraus resultiert ein auf den ersten Blick verwirrend anmutender Unterschied zwischen Funktion und Dienstrang der Gardisten.

Die siebzig Hellebardiere, die das Gros der Einheit stellen, stehen im Rang eines Wachtmeisters. Zehn Vizekorporale haben den Rang eines Feldweibels, der bei den Schweizern noch so heißt wie der Feldwebel zu Landsknechtszeiten. Auf der nächsthöheren Stufe stehen zehn Korporale im Rang eines Adjutanten (wie auch Alexander Rosin). Darauf folgen vier Wachtmeister im Rang eines Leutnants. Einem Feldweibel, der die Funktion eines Adjutanten erfüllt, kommt der Rang eines Oberleutnants zu. Zwei Leutnants schließen sich an, von denen der eine im Rang eines Hauptmanns und der andere in dem eines Majors steht. Ein Oberleutnant als stellvertretender Kommandant und der Gardekaplan haben jeweils den Rang eines Oberstleutnants inne. Der Kommandierende Hauptmann als Gardekommandant steht im Rang eines Obersten.

«Der Engelspapst» ist ein Roman, eine Fiktion. Reale Personen und Begebenheiten mögen als Vorlage gedient haben, sollen aber hier nicht porträtiert werden. Natürlich gab der im Mai 1998 verübte Mord am Kommandanten der Schweizergarde und seiner Frau eine wesentliche Anregung zu dieser Geschichte. Den Presseberichten zufolge hat der Vatikan die Akten so schnell geschlossen, dass mehr unaufgeklärt blieb, als aufgeklärt wurde. Die Hintergründe der realen Mordtat liegen im Verborgenen, die der fiktiven entspringen meiner Fantasie.

Dasselbe gilt für die mysteriösen Umtriebe auf der winzigen Kanalinsel Brecqhou. Dort wurde tatsächlich vor wenigen Jahren unter strengster Geheimhaltung ein Schloss im gotischen Stil erbaut, und Spekulationen ranken sich um das, was seine Besitzer auf dem öden Eiland tun. Was auch immer die wirklichen Schlossherren auf Brecqhou veranstalten, es steht in keiner Beziehung zu den von mir geschilderten Vorgängen, die, wie der Orden Totus Tuus, frei erfunden sind. Die geheimnisvolle Insel war so verführerisch, dass ich sie mir einfach ausleihen musste.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vatikan. Zwar habe ich den Kirchenstaat besucht und hatte auch Gelegenheit, an einer Audienz des Papstes teilzunehmen, doch sind die kurialen Personen und Machenschaften in diesem Roman sämtlich Produkt meiner Fantasie. Was nicht heißen soll, dass es im kleinsten Staat der Welt keine Intrigen gäbe.

Berichte über einen Zwillingsbruder Jesu existieren tatsächlich. Und es hat einen Smaragd mit der Profilansicht eines Mannes gegeben, der als Wahre Ähnlichkeit Christi bezeichnet wurde und seit dem Sacco di Roma als verschollen gilt. Wie es auch immer wieder Legenden über den das Christentum reinigenden Engelspapst gegeben hat.

Ebenfalls belegt ist, was in diesem Roman über die Schließung der römischen Fuggerniederlassung kurz nach dem Sacco di Roma berichtet wird. Die Unterlagen der Niederlassung sind tatsächlich verschwunden. Und tatsächlich traten damals zwölf Schweizer nach der Auflösung ihrer Garde in die neue Leibwache des Papstes ein. Einer von ihnen war Albert Rosin aus Zürich.

Die Hand des heiligen John Kemble wird in der Kirche St.

Francis Xavier in Hereford als Reliquie verehrt. Die mysteriöse Bombardierung des Vatikans im Zweiten Weltkrieg hat ebenso stattgefunden wie der Bombenangriff auf das Mailänder Kloster Santa Maria delle Grazie. Auch dass es den Plan «Rabat-Föhn»

zur Entführung von Papst Pius XII. gegeben hat, ist belegt.

Aus all diesen und anderen Bausteinen entstand meine Geschichte, die keine Wahrheit sein will, jedenfalls nicht mehr als jede andere Geschichte. Denn wahr sein kann nur das, was jeder für sich selbst feststellt.

Jörg Kastner

Glossar

Apostolische Kammer: vatikanisches Ministerium zur Verwaltung der weltlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls Apostolische Signatur: oberster Gerichtshof im Vatikan, zuständig für die Gerichtsbarkeit in der ganzen Kirche Bidenhänder: auch Beidhänder; Schwert mit sehr langer und breiter Klinge, das im Kampf mit beiden Händen geführt wird Camerlengo: Kämmerer

Carabinieri: paramilitärische Polizeitruppe, deren Aufgaben sich im täglichen Einsatz mit denen der Stadtpolizei, der

«Policia Municipale», überschneiden

Feldschlange: Geschütz mit sehr langem Rohr zum Verschie-

ßen kleinerer Eisenkugeln

Haufnitze: Kurzrohrgeschütz auf Lafette für Stein- und Hagel-beschuss

Hauptbüchse: schweres Geschütz ohne Lafette (Legestück) zum Verschießen von großen Steinen und Eisenkugeln Kake-Phase: im Judo abschließende Kampfphase, in der die Kampftechnik ausgeführt wird

Kartdune: Geschütz zum Verschießen von Eisenkugeln auf Lafette

Katzbalger: Kurzschwert mit breiter Klinge Kongregation: regelmäßig tagendes Komitee von Kurienkardinälen und anderen Mitgliedern zur Erörterung eines bestimmten Sachgebiets, ähnlich dem «Rat»; ansonsten Bezeichnung für eine ordensähnliche Gemeinschaft, die keine feierlichen Gelübde kennt

Konklave: Bezeichnung für die Papstwahlversammlung der Kardinäle und für die Räume, in denen die Wahl stattfindet Konsistorium: Bezeichnung für die Versammlung der Kardinäle unter dem Vorsitz des Papstes wie auch für den Versammlungsraum

Kuzushi-Phase: im Judo Kampfphase, in der man den Gegner aus dem Gleichgewicht bringt, häufig durch Nachgeben Monsignore: «mein Herr»; Ehrentitel für Priester, die fünf Jahre lang für den Vatikan arbeiten

Reisige: berittener Krieger

Reisläufer: besonders bei Schweizern üblicher Begriff für Söldner

Serenissima: «die Allergnädigste» oder «die Durchlauchtigte»; in der Renaissance Bezeichnung für Venedig Tsukuri-Phase: im Judo zwischen Kuzushi- und Kake-Phase die mittlere Phase, in der die Kampftechnik angesetzt wird; die drei in der Theorie getrennten Phasen gehen beim Kampf nahtlos ineinander über

Wichtige Daten zur Geschichte der

Schweizergarde und des Vatikans

1506

Hauptmann Kaspar von Silenen zieht mit 150 Schweizern in den Vatikan ein - Beginn der offiziellen Geschichte der Schweizergarde der Päpste.

1510

Matthäus Schiner, Bischof von Sitten und Kardinal, vermittelt einen Beistandspakt zwischen der Schweiz und dem Vatikan.

I512

Julius II. verleiht den Schweizergardisten durch päpstliche Bulle den Titel Defensores Ecclesiae Libertatis (Hüter der Freiheit der Kirche).

1526

Da die Eroberungspolitik Kaiser Karls V. in den Augen von Papst Clemens VII. eine Gefahr für den Kirchenstaat darstellt, schließt der Papst sich mit dem französischen König Franz I., dem Herzog von Mailand, der Republik Venedig und Florenz am 22. Mai zur Heiligen Liga von Cognac zusammen. Die dem Papst feindlich gesinnten Colonna, ein römisches Adelsgeschlecht, nutzen die politischen und militärischen Wirren, indem sie am 20. September mit 5000 Mann Rom überfallen und plündern. Clemens VII. flieht in die Engelsburg. Ein aus der Lombardei anrückendes Heer von 7000 Mann, unter denen sich auch 2000 Schweizer befinden, befreit den Papst.

Am 6. Mai stürmt das kaiserliche Heer, von Karl V. ohne Sold gelassen und seit der schweren Erkrankung des berühmten Söldnerführers Georg von Frundsberg ohne straffe Führung, Rom. Als Sacco di Roma geht die anschließende Plünderung der Stadt in die Geschichte ein. Von 189 Schweizern lassen 147, darunter Hauptmann Kaspar von Silenen, ihr Leben, um Papst Clemens die Flucht in die Engelsburg zu ermöglichen. Die Engelsburg wird wacker verteidigt, unter anderem von dem Goldschmied und Bildhauer Benvenuto Cellini, der sich erfolgreich als Bombardier betätigt. In den Verhandlungen mit den Belagerern lässt der Papst sich auf die Abschaffung der Schweizergarde ein. Nur zwölf Schweizer bleiben bei ihm, darunter Albert Rosin aus Zürich. Am 7. Dezember flieht Clemens aus Rom nach Orvieto.

1528

Der von Orvieto nach Viterbo weitergezogene Papst Clemens erhält im Oktober von Karl V. die Erlaubnis, nach Rom zurückzukehren.

1529

Karl V. und Clemens VII. schließen am 29. Juni den Vertrag von Barcelona mit gegenseitigen Zugeständnissen. Clemens sichert dadurch die weltliche Macht des Kirchenstaates, den Karl als Schutzwall gegen die Protestanten benötigt. Am 3.

August schließen Karl und Franz I. den Frieden von Cambrai, worin Franz auf seine italienischen Ansprüche verzichtet.

1548

Papst Paul III. schließt mit der Schweiz einen Vertrag über die Neuaufstellung der Schweizergarde. Hauptmann Jost von Meggen rückt mit 231 weiteren Gardisten in den Vatikan ein.

1798

Napoleons Truppen besetzen Rom und auch die Schweiz, was zur Auflösung der alten Eidgenossenschaft und zur Gründung der Schweizer Republik führt. Gardekommandant Alois Pfyffer erhält aus Luzern den Befehl zur Auflösung der Schweizergarde.

Nur fünf Unteroffiziere und 36 Hellebardiere bleiben in Rom.

1801

Neugründung der Schweizergarde unter dem Kommandanten Karl Pfyffer von Altishofen.

1808

Neuerliche Besetzung Roms durch Napoleons Truppen. Papst Pius VII. flieht in den Quirinal und gibt der Schweizergarde schließlich den Befehl, die Waffen zu strecken. Die Garde wird erneut aufgelöst.

1814

Nach Napoleons Abdankung kehrt der nach Fontainebleau verbannte Pius VII. nach Rom zurück und beauftragt Karl Pfyffer von Altishofen mit der Reorganisation der Schweizergarde.

1870

Die Truppen des Königreichs Italien erobern Rom. Der Kirchenstaat als weltlicher Territorialstaat hört auf zu existieren.

Papst Pius IX. entlässt die päpstlichen Truppen mit Ausnahme der Schweizergarde.

1929

Die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem italienischen Staat geschlossenen Lateranverträge geben dem Heiligen Stuhl das Recht auf politische und juristische Selbstverwaltung. Der autonome Kirchenstaat im Herzen Roms ist geboren. Der schweizerische Gesamtbundesrat genehmigt das Fortbestehen der Schweizergarde als Wachtruppe des Kirchenstaats.

1979

Papst Johannes Paul II. legt die Sollstärke der Schweizergarde auf 100 Mann fest.

1998

Eine Bluttat erschüttert Anfang Mai die Schweizergarde: Der frisch ernannte Kommandant Alois Estermann und seine Frau werden ermordet. Der mutmaßliche Täter, der Gardist Cedric Tornay, wird tot am Tatort aufgefunden; angeblich hat er sich selbst gerichtet. Sein vorgebliches Motiv: dienstliche Differenzen mit dem Vorgesetzten.

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!