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15

Welpenliebe

Als ich mit Aurora über das Schicksal des Welpen rede, lasse ich mir nicht anmerken, dass ich im Stillen über Shannons Angebot erleichtert bin. Wenn es hart auf hart gekommen wäre, hätte ich es nicht über mich gebracht, ihn einzuschläfern. Letzten Endes hätte ich doch selbst alles getan, um ihn aufzuziehen.

Shannons Versuche, ihn zu überreden, mit Hilfe einer Pipette Muttermilchersatz zu trinken, haben wenig Erfolg, und so nutze ich am nächsten Tag eine kurze Pause zu einem Besuch in der Apotheke, um ein Babyfläschchen und einen Sauger zu kaufen, denn Shannon ist die Vorstellung, dabei zufällig einer ihrer Freundinnen über den Weg zu laufen, viel zu peinlich.

Ich reiche meine Auswahl der Verkäuferin an der Kasse.

»Hallo, Maz. Ich hab ganz viele Bläschen.« Beim Klang einer Stimme, die sich als deutlich größer erweist als ihre Besitzerin, drehe ich mich um. Lucie schaut zu mir auf wie ein kleines Gespenst. Ihr Gesicht ist vollständig mit Zinkoxidsalbe bedeckt. »Oma, es ist Maz.«

»Bleib weg von ihr, Liebes.« Sophia packt Lucie am Arm und zieht sie zu sich herüber, und ich spüre, wie sich mir vor Ärger die Haare sträuben. Wie unhöflich kann ein Mensch denn sein?

»Sie hat die Windpocken. Ich glaube nicht, dass es dem Baby schadet, aber man kann ja nicht vorsichtig genug sein«, erklärt Sophia, was erstaunlich rücksichtsvoll von ihr ist, wenn man bedenkt, dass sie dieses Kind bereits vor seiner Geburt verstoßen hat.

»Ist schon in Ordnung«, sage ich, um Lucie zu beruhigen, nicht Sophia. »Ich hatte die Windpocken auch schon, dem Baby kann also nichts passieren.«

Sophia nickt in Richtung meiner Einkäufe. »Fangen Sie beizeiten an, alles vorzubereiten, oder kommt das Baby früher, als ich dachte? Alexander erzählt mir ja nichts.«

Ich will Lucie nicht unnötig aufregen, aber gegenüber Sophia kann ich nicht um den heißen Brei herumreden.

»Ich wüsste auch nicht, warum er das tun sollte. Sie haben uns doch klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie mit mir und dem Baby nichts zu tun haben wollen. Offen gesagt, Sie haben sich ausgesprochen gemein über uns geäußert.« Ich bemerke, dass die Verkäuferin interessiert zuhört, und senke die Stimme. Das hier geht nur mich und Sophia etwas an, nicht den Rest von Talyton St. George.

»Es tut mir leid, Madge … Wir sollten miteinander reden, aber nicht hier. Warum kommen Sie nicht irgendwann einmal nachmittags hoch ins Herrenhaus und trinken mit mir und Lucie Tee? Wann immer es Ihnen passt. Ich weiß, dass Sie sehr beschäftigt sind.«

Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, wirkt Sophia auf mich wie eine alte Frau. Ihr Gesicht ist von Falten durchzogen und mit Altersflecken gesprenkelt. Ihr mit Pferdemotiven bedrucktes Seidentuch ist am Rand ausgefranst, und ihr Regenmantel ist mit Salbe verschmiert, wo Lucie ihr Gesicht dagegengerieben hat. Sie sieht müde und ein wenig traurig aus, als sie in ihrer Handtasche herumkramt und ringsum Minzbonbonhüllen und Papiertaschentücher verstreut, ehe sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier herausholt und es dem Apotheker reicht.

»Bitte, Maz«, schließt sich Lucie an. »Oma sagt, wir können aus Hettys Eiern Cupcakes backen.«

»Hetty ist eine von Lucies Hennen«, informiert mich Sophia. »Wie wäre es mit heute Nachmittag?«

»Einverstanden«, sage ich. Ich wollte ohnehin früher Feierabend machen, weil ich die ganze Nacht auf den Beinen war. »Ich kann aber nicht lange bleiben. Vielleicht eine halbe Stunde.«

»Das wäre wunderbar«, antwortet Sophia entzückt. »Wir freuen uns auf Ihre Gesellschaft.«

»Dann sehen wir uns gegen vier«, erwidere ich. »Und, Sophia, ich heiße Maz, nicht Madge.«

»O ja, natürlich. Jetzt fällt es mir wieder ein«, entgegnet Sophia entschuldigend.

Als ich meine Tüte und die Quittung von der Verkäuferin entgegennehme, kommt der Apotheker aus dem Hinterzimmer zurück und wedelt mit dem Papier, das Sophia ihm gegeben hat.

»Offenbar hat Ihr Mann sich schon wieder selbst ein Rezept ausgestellt, Mrs Fox-Gifford«, sagt er. »Ich kann das unmöglich einlösen. Sie wissen, dass ich ihn dafür anzeigen könnte.«

Sophia nimmt ein Brillenetui aus ihrer Tasche und setzt eine derart verkratzte Hornbrille auf, dass es ein Wunder ist, dass sie überhaupt noch etwas erkennen kann.

»Du meine Güte«, meint sie, nachdem sie das Rezept gelesen hat. »Sie haben recht. Was soll ich nur mit deinem Großvater machen, Lucie?«

»Steck ihn in einen Sack und wirf ihn in den Fluhuuss«, antwortet Lucie fröhlich.

»Ich sorge dafür, dass er zum Arzt geht, und wenn ich ihn unter Treten und Schreien hinschleifen muss. Männer«, fügt sie, an mich gewandt, hinzu, als gehörten wir plötzlich einer gemeinsamen Schwesternschaft an. »Mein Mann weigert sich einzusehen, dass er schwer krank ist. Wenn er irgendwann abtritt, werde ich ›Ich habe es dir ja gesagt. Ich habe dir gesagt, du bist krank‹ auf seinen Grabstein meißeln lassen.«

Als ich Lucie und Sophia gerade aus der Apotheke auf die Straße folgen will, kommt Declan herein und hält die Tür auf. Ich trete einen Schritt zur Seite und lasse Penny herein. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl, hat einen Korb auf dem Schoß und einen leichten Verband am Bein. Sally trottet in Mantel und Geschirr neben ihr her. Sie begrüßt mich schwanzwedelnd und läuft dann davon.

»Hallo, Declan. Penny, wie geht es Ihnen?«

»Dank Ihnen wieder viel besser«, antwortet Penny. »Dieser Fleck an meinem Bein, das war Krebs. Ein Melanom, verursacht durch zu häufiges Sonnenbaden als Teenager, aber sie haben ihn erwischt, ehe er sich ausbreiten konnte.«

»Das haben Sie Sally zu verdanken, nicht mir.« Ich senke den Blick und beobachte Sally, die Päckchen mit Haarnetzen und Lockenwicklern aus einem Warenständer holt und in Pennys Korb fallen lässt. »Soll sie das tatsächlich machen?«

»Sie ist im Moment ein bisschen übermotiviert«, sagt Penny. »Ich glaube, sie fühlt sich etwas an den Rand gedrängt, weil Declan viel häufiger da ist, seit ich operiert wurde. Sie hat wohl Angst, ihren Job zu verlieren.« Sie lässt ein Papiertaschentuch auf den Boden fallen. »Sally, Schatz, das reicht jetzt. Heb lieber das für mich auf. So ist’s gut. Braves Mädchen.«

»Bis zum nächsten Mal«, verabschiede ich mich und gehe zurück ins Otter House, wo ich Shannon dabei helfe, den Welpen zu füttern. Ich zeige ihr, wie man das Milchersatzpulver in warmem Wasser auflöst und die Temperatur an der Innenseite seines Handgelenks prüft. Dann erkläre ich ihr, wie sie den Welpen auf der Küchenwaage wiegen und anhand seines Gewichts ausrechnen soll, wie viel Milch er braucht.

»Sind Sie sicher, dass das reicht?«, fragt Shannon.

»Schau dir doch mal an, wie klein er noch ist«, gebe ich zu bedenken. »Er hat einen winzigen Magen.«

»O ja«, sagt sie langsam, und es dauert eine Weile, bis sie die Logik begriffen hat. (Es wundert mich nicht, dass sie etwas träge ist, nachdem sie letzte Nacht alle zwei Stunden aufgestanden ist und versucht hat, ihn zum Trinken zu bewegen.)

Es hat sich gelohnt, das Fläschchen und den Sauger zu kaufen, denn kaum hat sich Shannon auf einen Hocker gesetzt, kuschelt sich der Welpe gemütlich in ihre Ellbogenmulde, nimmt den Sauger ins Maul und schlägt sich den Bauch voll.

»Ist der süß. Wie heißt er denn?«, erkundigt sich Izzy, die in diesem Moment hereinkommt.

»Ich weiß nicht«, antwortet Shannon.

»Ich würde ihm keinen richtigen Namen geben, zumindest jetzt noch nicht«, sage ich und hasse mich selbst dafür, dass ich Shannons Enthusiasmus dämpfe. In solchen Dingen bin ich ein bisschen abergläubisch. Ich würde lieber noch ein paar Tage warten. Dann trifft es sie vielleicht nicht so hart, wenn er es doch nicht schafft.

»Doch, er braucht einen richtigen Namen«, entgegnet Izzy.

»Na gut. Dann heißt er Sieben«, schlägt Shannon vor. »Weil er der siebte Welpe war.«

»Der Gute«, sagt Frances.

»Er ist so niedlich«, schwärmt Emma entzückt, und wir scharen uns um Shannon und unseren kleinen Neuankömmling wie eine Gruppe alter Bantamhühner.

»Darf man sich anschließen?«, fragt Drew und zwängt sich mit dem Ellbogen zwischen Emma und Izzy. Es scheint ihn zu stören, dass er selbst nicht mehr im Mittelpunkt steht.

»Dieser gefräßige kleine Kerl hat schon alles leer getrunken.« Shannons Haar fällt in schwarzen und honigblonden Strähnen nach vorn, als sie das leere Fläschchen auf der Sofalehne abstellt.

»Du weißt, was als Nächstes kommt, oder?«, sagt Izzy mit ungerührter Miene. »Jetzt musst du seinen Hintern ablecken, damit er lernt, auf die Toilette zu gehen.«

»Ich werde ihm ganz bestimmt nicht den Hintern ablecken!«, schreit Shannon entsetzt auf.

»Reingelegt.« Kichernd gibt Izzy ihr ein feuchtes Tuch. »Damit müsste es genauso gut funktionieren.«

»Zum Glück bin ich nicht seine richtige Mutter«, entgegnet Shannon. Ihre Wangen sind knallrot, weil sie auf Izzys Neckerei reingefallen ist.

Bei dem Wort »Mutter« sehe ich zu Emma hinüber. Sie beißt sich auf die Lippen und schaut aus dem Fenster, und beim Gedanken daran, was sie im Moment durchmacht, schnürt es mir die Kehle zu.

»Wenn ihr hier ohne mich zurechtkommt, mache ich jetzt Feierabend«, sage ich leise.

»Ja, danke«, sagt Emma. »Geh nur und leg die Füße hoch, Maz. Das hast du dir redlich verdient.«

»Ehrlich gesagt, ich fahre für eine Stunde hoch ins Herrenhaus. Sophia und Lucie haben mich zum Tee eingeladen.«

»Ach was?« Emmas Augenbrauen verschwinden unter ihrem Pony. »Und du hast angenommen?«

Ich nicke. »Lucie backt Cupcakes. Da konnte ich schlecht nein sagen.«

Emma starrt mich an, als sei mir aus heiterem Himmel ein zweiter Kopf gewachsen, doch dann entspannen sich ihre Züge wieder, und sie lächelt.

»Na, dann viel Spaß, Maz. Ich behalte Ginge solange im Auge.«

»Ich bleibe nicht lange weg.« Ich schaue auf die Uhr und grinse. »Für mich ist längst Bettgehzeit.«

Am Herrenhaus angekommen parke ich zur Abwechslung vor dem Gebäude, aber als ich an die Haustür klopfe, kommt Lucie außen um die Ecke gerannt und führt mich nach hinten durch den Dienstboteneingang hinein.

»Ich weiß, was du gerade gemacht hast«, sage ich lächelnd, denn ihr Gesicht ist mit rosa Zuckerglasur verschmiert, die sich an den Rändern mit Zinkoxidsalbe vermischt hat.

»Ich habe die Cupcakes glasiert, und dann habe ich Smarties draufgemacht«, antwortet sie, ohne zu ahnen, wie sie aussieht. »Oma sagt, ich soll dich in den Salon bringen, sie kommt gleich.«

»Ist das Pony heute drinnen?«, frage ich, als wir den Salon betreten.

»Ich muss Skye noch rauswerfen«, erwidert Lucie und deutet auf das abgewetzte Sofa neben den Glastüren, die sich zum Rasen hin öffnen.

»Wo ist er denn? Ich sehe kein Pony.«

»Hinterm Sofa. Wenn du genau hinguckst, kannst du seine Ohren sehen. Er kommt immer wieder rein und will Minzbonbons.« Lucie marschiert zu einem der Beistelltische und nimmt eine Keksdose in die Hand. Als sie den Deckel öffnet und ein paar Bonbons herausnimmt, taucht plötzlich ein schwarzes Shetlandpony auf und stupst mit der Nase gegen ihren Arm. »Komm mit, Skye«, sagt sie, »hier lang.« Er folgt ihr nach draußen, nimmt vorsichtig die Bonbons von ihrer Handfläche und versucht anschließend, sich wieder mit hereinzudrängen.

»Raus mit dir!«, brüllt Lucie und wedelt mit den Armen, und als das Pony für einen Moment zurückweicht, schlägt sie die Türen so fest zu, dass die Scheiben klirren. »Setz dich, Maz«, fordert sie mich auf. »Nein, nicht dahin«, fügt sie hinzu, als ich mich für einen der Sessel entscheide. »Das ist Opas Lieblingssessel.«

»Welchen Platz würdest du mir denn empfehlen?«, frage ich.

»Auf dem Sofa am Kamin, aber ich muss erst noch die Hundedecke wegnehmen, damit du keine Haare an den Hintern kriegst.« Ihr Lachen ist ansteckend, und wir kichern fröhlich vor uns hin, bis Sophia mit einem Tablett voller Tee und Kuchen hereinkommt. Genau in diesem Moment schiebt sich eine Wolke vor die Sonne, die bis dahin ins Zimmer schien, und die Stimmung wird mit einem Schlag frostiger.

Lucie stürzt vor, wählt einen Cupcake aus und reicht ihn mir.

»Lucie, Liebes, eigentlich lässt man die Gäste ihren Kuchen selbst aussuchen«, sagt Sophia. »Nein, lass, jetzt ist es auch zu spät. Maz, wie trinken Sie Ihren Tee?«

»Weiß, keinen Zucker«, antworte ich. Auch wenn es lächerlich klingt, ich bin nervös. Auf ihrem eigenen Territorium wirkt Sophia viel einschüchternder als noch heute Morgen. Ich sehe zu, wie sie erst Milch und dann den Tee in edle Porzellantassen schenkt. Eine davon gibt sie mir. »Danke.«

»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, Maz«, entgegnet Sophia. »Lucie langweilt sich schon. Tinky hat ein Hufeisen verloren, und der Hufschmied kann erst morgen kommen.«

»Also kann ich nicht reiten, weil ihm sein Fuß wehtut«, ergänzt Lucie. »Du hast deinen Kuchen noch gar nicht probiert, Maz«, fügt sie hinzu.

»Ich bin sicher, er schmeckt fantastisch«, erwidere ich.

»Lucie, gehst du kurz nach draußen und sperrst die Hühner ein«, sagt Sophia. »Maz und ich müssen ein Erwachsenengespräch führen.« Lucie zögert. »Lauf schon, ehe der Fuchs sie erwischt.«

Lucie verschwindet und lässt mich mit Sophia allein.

»Ich habe nachgedacht«, setzt Sophia an, »und mir ist klar geworden, dass die Unstimmigkeiten zwischen uns darauf zurückzuführen sind, dass wir verschiedenen Generationen angehören. Es fällt mir schwer, ein unehelich geborenes Baby zu akzeptieren, aber ich weiß, dass sich die Zeiten ändern und dass ich mich mit ihnen ändern muss. Es tut mir sehr leid, was ich in der Vergangenheit gesagt habe, Maz. Natürlich kann ich nicht für meinen Mann sprechen, doch ich wünsche mir – ich wünsche mir wirklich sehr –, zu Ihrem Kind eine genauso enge Beziehung aufzubauen wie zu Lucie und Sebastian.«

»Es geht hier nicht nur um mich und das Baby. Was ist mit Alex? Sie und Mr Fox-Gifford sind seine Eltern, er ist Ihr einziger Sohn, und trotzdem drohen Sie ihm, ihn zu enterben, weil er sich für mich entschieden hat. Ich schäme mich nicht für meine Herkunft, und ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich brauche Ihre Anerkennung nicht. Das Baby und ich« – ich weiß genauso wenig, ob ich in Alex’ Namen sprechen kann – »brauchen Sie nicht in unserem Leben.«

»Ich muss meinen Mann immer wieder daran erinnern, was Alexander für ihn getan hat und nach wie vor tut. Ohne ihn gäbe es die Praxis nicht mehr. Es kommt überhaupt nicht infrage, dass er unseren Sohn um sein Erbe bringt. Nein, Alexander wird bekommen, was ihm zusteht.« Sophia hält für einen Moment inne. »Aber hier geht es nicht ums Geld. Es geht darum, ob Großeltern Kontakt zu ihrem Enkelkind haben. Die Generationen können doch so viel voneinander lernen, finden Sie nicht auch?«

»Dazu kann ich nichts sagen«, antworte ich und beginne mich zu fragen, was ich als Kind alles verpasst habe. Ich erinnere mich nur undeutlich an meine Großeltern. Mein Großvater mütterlicherseits saß den ganzen Tag wie angeklebt in seinem Sessel vor dem Fernseher, und meine Großmutter väterlicherseits – ich nannte sie Nan – besuchte uns einmal in der Woche und steckte mir jedes Mal ein Pfund zu, bis sie sich mit meiner Mutter zerstritt, weil sie glaubte, sie sei für das Verschwinden meines Vaters verantwortlich. Sie beschuldigte sie, einen Auftragsmörder angeheuert zu haben, der ihn »kaltgemacht« habe. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr heiß geliebter Sohn einfach so seine Familie verlassen würde.

»Ich würde ihm gerne das Reiten beibringen. Der Pony Club braucht ständig frisches Blut.«

»Ich weiß nicht recht.«

»Ein Baby sollte bei seiner Familie sein, nicht bei einem Kindermädchen«, sagt Sophia verzweifelt. »Bitte. Das bedeutet mir sehr viel … Uns allen. Ich habe Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen dürfen …« Sie starrt blicklos in ihre Teetasse. Als sie wieder aufschaut, glitzern Tränen in ihren Augen. »Wenn Sie mich lassen, werde ich Ihr Baby genauso lieben und mich genauso darum kümmern wie um Lucie und Sebastian. Das verspreche ich.«

Ihre Worte würden sogar die Polkappen schmelzen lassen, und ich spüre, wie meine Entschlossenheit ins Wanken gerät.

»Einverstanden, Sophia«, erwidere ich.

»Ich werde die perfekte Großmutter sein. Ich werde bestimmt nicht versuchen, Ihnen das Heft aus der Hand zu nehmen, oder Ihnen sagen, was Sie zu tun haben«, fährt sie fort.

»Sophia, ich sagte ›einverstanden‹. Ja, Sie dürfen das Baby sehen.«

»Wirklich? Oh, das ist wunderbar. Danke.«

Einen Moment lang fürchte ich, sie würde aufspringen und mich küssen, aber da kommt Lucie in den Salon zurückgehüpft, als säße sie auf einem Pony.

»Ich hab sie eingesperrt, Oma«, sagt sie und wiehert, als sie in der Mitte des Axminsterteppichs zum Stehen kommt. »Die Hühner sind ins Bett gegangen.« Ihr Blick fällt auf den Kuchen in meiner Hand. Ich schäle das Papier ab und beiße ein Stück ab. Er ist süß, krümelig und einfach köstlich. Ich nicke anerkennend, und Lucie schnaubt vor Freude.

»Ich habe Maz gerade erzählt, dass wir es kaum erwarten können, deinen neuen Halbbruder oder deine Halbschwester in der Familie willkommen zu heißen«, meint Sophia.

»Ich will aber kein halbes Baby«, entgegnet Lucie erschrocken. »Ich will ein ganzes. Warum wird es denn kein ganzes?«

»Ich glaube, das ist ein Missverständnis«, werfe ich ein und bemühe mich, nicht zu lächeln. »Ich bekomme ein ganzes Baby, Lucie.«

»Kann ich dann eine Schwester haben?«, fragt Lucie, wieder aufgeheitert. »Ich will nicht noch einen Bruder.«

»Madge – ich meine Maz – kann sich das nicht aussuchen. Man muss nehmen, was kommt.« Sophia wendet sich wieder mir zu. »Ich habe mich schon gefragt, warum sich Lucie nicht auf ihr neues Geschwisterchen gefreut hat. Wie auch immer, ich habe an den meisten Wochentagen Zeit, mich um das Baby zu kümmern. Wir können das einrichten, wie es Ihnen am besten passt.«

»Das ist sehr nett von Ihnen, Sophia«, sage ich, doch ich gehe nicht näher darauf ein, denn ich bin fest entschlossen, ihr das Kind nur zu eingeschränkten Zeiten zu überlassen, und auch dann nur zu meinen Bedingungen. Es kommt mir jetzt bereits so vor, als versuchte Sophia, das Baby zu kidnappen.

Nachdem ich mich bei Lucie und Sophia für ihre Gastfreundschaft bedankt habe, schaue ich noch schnell nach, ob Alex irgendwo zu sehen ist, aber er ist weder in der Praxis noch zu Hause in der Scheune, also fahre ich zurück zum Otter House, wo Drew noch immer Sprechstunde abhält, während Shannon am Empfang sitzt. Ich lasse die beiden in Ruhe weiterarbeiten und gehe nach hinten, um ein wenig Zeit mit Ginge zu verbringen. Als ich seine Käfigtür öffne, stupst er mit dem Kopf gegen meinen Arm und versucht, sich rauszudrängen. Ich nehme ihn mit in den Personalraum, damit er ein bisschen herumlaufen kann, doch er bleibt reglos vor der dunkelsten Ecke stehen und faucht die Schatten an.

Ich rufe ihn, aber entweder hört er mich nicht, oder er erkennt meine Stimme nicht. Ich lehne mich gegen den Tisch und beobachte ihn, während ich Alex anrufe.

»Hallo, Schatz«, sagt er. »Wie geht’s dir?«

»Geht so. Ich hatte einen schlimmen Tag. Und was ist mit dir?«

»Heute Morgen um sieben stand Astra vor der Tür und hat Lucie und Seb bei mir abgeladen.«

»Ja, die arme Lucie.«

»Du weißt es schon?«

»Ich habe Lucie und deine Mutter heute Morgen in der Stadt getroffen. Wie lange bleiben die Kinder denn hier?«

Alex seufzt. »Bis Lucie wieder in die Schule gehen kann, was bedeutet, dass sich Seb bis dahin auch angesteckt haben wird …«

Ich verstehe nicht, warum Astra die Kinder nicht bei sich behält, wo sie doch so eine tolle Mutter ist.

»Es ist natürlich angenehmer für sie hier bei meiner Mutter«, fährt Alex fort. »Aber das bedeutet, dass sie am Wochenende auch noch hier sein werden. Tut mir leid. Ich weiß, sie können manchmal ziemlich nervig sein.«

»Das macht doch nichts«, sage ich und bin von mir selbst überrascht. »Du hättest Lucies Lächeln sehen sollen, nachdem ich sie davon überzeugt hatte, dass ich ein ganzes Baby bekomme und nicht bloß ein halbes.«

»Ich habe mich schon gefragt, warum sie so still war – ich dachte, sie wäre eifersüchtig«, entgegnet Alex. »Ich hoffe, meine Mutter war diesmal wenigstens höflich zu dir.«

»Sie war die Liebenswürdigkeit in Person. Sie hat ihre Meinung geändert. Ich war heute Nachmittag zu Tee und Kuchen im Herrenhaus eingeladen. Sie möchte Kontakt zu dem Baby haben.«

»Und was hast du gesagt?«

»Ich war einverstanden. Sie sah so traurig aus.«

»Danke, Maz.«

»Aber ich werde nicht zulassen, dass sie im Herrenhaus auf das Baby aufpasst.« Vor meinem geistigen Auge sehe ich den alten Fox-Gifford mit seiner rauchenden Flinte und den auf einem Strohballen aufgereihten Ratten. »Dein Vater könnte es erschießen.«

Alex lacht.

»Sehen wir uns nachher?«, fragt er.

»Ich will heute früh ins Bett, wenn es dir nichts ausmacht. Ich habe vor, mich mit Clives Pralinen und einem guten Buch unter die Decke zu verziehen.«

»Nichts allzu Aufregendes, hoffe ich.«

»Schwangerschaft für Dummies. Emma hat es mir geschenkt, und ich sollte es lieber lesen – wahrscheinlich wird sie mich morgen abfragen.« Schon komisch, wie plötzlich alle Besitzansprüche an das Baby stellen. Sophia, Emma und natürlich Alex. Aber was ist mit mir? Wird es mir irgendwann auch so gehen?

Es ist Ende April, zwei Wochen nach Sabas Operation, und ich erwarte sie zur letzten Nachuntersuchung. Über Frances’ Schulter hinweg spähe ich auf die Warteliste.

»Ich dachte, Aurora hätte einen Termin bei mir vereinbart«, sage ich, während ich Drews Terminliste überfliege.

»Aurora? Nein, sie wollte ausdrücklich zu Drew«, antwortet Frances. »Sie ist gerade bei ihm.«

»Hat sie gesagt, warum?«

»Sie sagte etwas davon, dass Saba einen männlichen Tierarzt vorzöge.«

»Ach?« Es versetzt mir einen Stich, dass ich nicht erwünscht bin. Der Anteil frauenfeindlicher Tiere in Talyton scheint in letzter Zeit enorm gestiegen zu sein. Ich gehe in den Flur, um ein paar Stifte aus dem Schrank mit dem Büromaterial zu holen – seit Drew hier arbeitet, sind Stifte so selten geworden wie Wasser in der Sahara. Ich zögere, als ich ein Kichern höre, und bemerke, dass die Tür zum Sprechzimmer nur angelehnt ist. Ich ignoriere alles, was ich Frances über das Belauschen von Privatgesprächen gesagt habe, beruhige mein schlechtes Gewissen mit dem Gedanken, dass ich schließlich die Chefin bin und wissen sollte, wenn sich meine Angestellten danebenbenehmen, und nähere mich auf Zehenspitzen der Tür.

»Kommen Sie doch her – von da drüben können Sie ja gar nichts sehen.« Aurora knöpft ihre Bluse auf und winkt Drew zu sich heran. Geschmeidig umkurvt er den Behandlungstisch und nimmt Auroras Dekolleté in Augenschein, während Saba gelangweilt zusieht.

»Das sieht mir nicht nach einem Ausschlag aus.« Drew hält kurz inne. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich die Stelle einmal anfasse?«

»Wenn es Ihnen bei der Diagnose hilft.« Aurora kichert erneut, und zu meinem Entsetzen beginnt Drew, ihre Brüste abzutasten.

»Kein Mensch würde glauben, dass die nicht echt sind«, sagt Drew. Ich höre Auroras scharfes Einatmen und sehe, wie ihre Hand zuckt, als wollte sie ihm eine Ohrfeige verpassen. Doch da hat er sich schon ihrem Ohr zugewandt und untersucht es mit den Lippen, während sie sich an seinem Gürtel zu schaffen macht.

»Ist das eine Spritze in Ihrer Tasche, oder freuen Sie sich so, mich zu sehen?«

Aus Sorge, sie könne dieser Frage gleich höchstpersönlich nachgehen, trete ich ein und räuspere mich.

Aurora sieht auf, errötet und zieht ihre Bluse zurecht. Drew schnappt sich Saba und hebt sie auf den Tisch.

»Ich hoffe, ich störe nicht«, sage ich sarkastisch. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, Drew. Im Büro. In zehn Minuten.«

Wie sich herausstellt, treffen wir uns doch nicht im Büro, denn gleich darauf ruft mich Frances an den Empfang, wo eine Frau in dunklem Hosenanzug sich wegen eines Hamsters in einer Taschentuch-Box die Augen ausheult. Es ist Ally Jackson, die rasende Reporterin des Chronicle, die den sensationslüsternen Artikel über den Captain geschrieben hat. Ich muss gestehen, mein Mitleid mit ihr hält sich in Grenzen.

»Ich habe ihm gesagt, wenn Harry stirbt, lasse ich mich scheiden«, erklärt sie schluchzend.

Ich schaue in die Box und sehe ihren Hamster. Er liegt reglos da, und Blut läuft ihm aus dem Maul. Sofort ändere ich meine Meinung. Armes Kerlchen.

»Was ist denn passiert?« Ich nehme ihn heraus und lege ihn auf den Empfangstresen.

»Wehe, da ist nachher Blut auf meinem Terminbuch«, droht Frances.

»Mein Mann ist auf ihn draufgetreten.« Ally presst ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch vor ihren Mund.

»Ich nehme ihn mit nach hinten und sehe, was ich für ihn tun kann. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen …« Ich nicke in Richtung Frances, als ich Harry hochnehme. »Können Sie bitte die Einverständniserklärung ausfüllen?«

»D-darf ich mich noch von ihm verabschieden?«, stammelt Ally, und ehe ich weiß, wie mir geschieht, greift sie nach meiner Hand – mit der ich den Hamster halte – und bedeckt sie mit feuchten Küssen. »Leb wohl, Mamis allerliebstes Schatzilein.«

»Ich sage Ihnen gleich Bescheid«, erwidere ich und weiche hastig durch die zweiflügelige Tür zurück in den Flur. Im Behandlungsraum verabreiche ich Harry eine körperwarme Infusion, spritze ihm eine Dosis Steroide und lege ihn in den Inkubator.

»Frances hat mir gesagt, dass Sie hier hinten sind.« Drew schlendert herein. An seinem Praxishemd hängen noch ein paar Nylonfäden, die er Saba vorhin gezogen hat. Er schnippt sie weg, während er auf mich zukommt und einen Blick über meine Schulter wirft. »Das sieht nach Zeitverschwendung aus, wenn Sie mich fragen. Warum kaufen die sich nicht einfach einen neuen?«

»Weil ihnen der hier ans Herz gewachsen ist.« Ich mustere kritisch Harrys flache Atmung, die stumpfen stecknadelkopfgroßen Augen und das unregelmäßige Zucken seiner Pfoten. »Und mir auch.«

»Im Gegensatz zu mir und Aurora«, sagt Drew mit einem verschmitzten Zwinkern. »Sie hat mich gebeten, einen Blick auf ihren Ausschlag zu werfen. Und aus reiner Nächstenliebe habe ich ihr den Wunsch erfüllt.«

»Klar doch«, entgegne ich und fülle dabei Harrys Karteikarte aus.

»Ich hatte Angst, es könnte die Räude sein. Das wäre immerhin möglich. Sie könnte sich bei ihrem Hund angesteckt haben.«

»Dann hätten Sie sie zu einem Arzt schicken sollen.«

»Was? Und den ganzen Spaß einem anderen überlassen?« Drew legt den Kopf auf die Seite, und ich muss lächeln. »Sie hat nur mit mir geflirtet, mehr nicht. Es war vollkommen harmlos.«

»Sie hat einen Freund – was ist mit dem?«

»Davon hat sie nichts erwähnt. Kommen Sie schon, Maz. Was ist denn los mit Ihnen? Wir sind beide erwachsen und hatten unseren Spaß. Ich und Aurora, meine ich. Nicht ich und Sie …«

»Es könnte als sexuelle Belästigung aufgefasst werden.« Es ist schwierig, bei seinen Scherzen die Fahne moralischer Bedenken hochzuhalten. Man kann ihm einfach nicht lange böse sein.

»Ihrerseits. Nicht meinerseits. Sie hat angefangen.« Drew seufzt. »Ich kann doch auch nichts dafür, wenn sich die Frauen in meiner Gegenwart gerne die Kleider vom Leib reißen.«

»Sie können von Glück reden, dass ich Sie erwischt habe und nicht Shannon.« Drew runzelt die Stirn. »Offensichtlich ist sie der Meinung, Sie beide seien ein Paar.«

Ich mag Shannon. Sie gehört jetzt zum Team, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Drew sie zum Narren hält. Und deswegen verstumme ich auch, als sie mit einem weißen Drahtkäfig in den Behandlungsraum kommt.

Sieben hockt darin auf einer weißen Decke, neben sich einen Ball, der fast genauso groß ist wie er selbst. Er ist noch immer winzig, aber seine Augen haben sich mittlerweile geöffnet – sie sind graublau, genau wie sein lockiges Fell –, und ich denke, wie schade es ist, dass noch niemand Shannon in Bezug auf Drew die Augen geöffnet hat.

»Das ist doch bloß Welpenliebe, Maz, mehr nicht«, meint Drew. Dass dieser Kerl auch immer das letzte Wort haben muss.

Trotzdem glaube ich ihm nicht. Shannon steckt gerade mitten in ihrer ersten erwachsenen Beziehung zu einem Mann, für den das alles bloß ein Spiel ist. Ich verbünde mich mit Frances und bitte sie, mir dabei zu helfen, Drew zu überführen.

»Es ist mir ein Vergnügen«, antwortet sie strahlend, wahrscheinlich voller Vorfreude, weil ich ihr erlaubt habe, hemmungslos herumzuschnüffeln. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie Drew bei Tee und Keksen in die Mangel nimmt. Sicher wird er eine Weile Widerstand leisten, aber Frances versteht sich darauf, einem Informationen zu entlocken, die man eigentlich nicht preisgeben wollte. Sie beugt sich über den Tresen zu mir herüber. »Maz, es tut mir leid, dass ich bei den Fox-Giffords ins Fettnäpfchen getreten bin. Ich wollte schon früher mit Ihnen reden, aber –«

»Ach was«, unterbreche ich sie. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Frances.«

»Na gut, aber ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich sage, dass Sie nicht sonderlich viel Notiz von Ihrem hübschen kleinen, runden Bauch zu nehmen scheinen. Ich habe Sie noch nie mit ihm reden sehen.«

Mir bleibt die Spucke weg.

»Mir ist klar, dass Sie versuchen, Emma zu schonen, doch Sie müssen auch an sich und Ihr Baby denken.«

»Sie finden also, ich sollte ihm ab und zu ein bisschen Mozart vorspielen?«, frage ich mit blecherner Stimme.

»Und machen Sie sich keine Sorgen, weil Sie so emotional sind, meine Liebe.« Frances streckt eine Hand aus und tätschelt meinen Arm. »Es ist ganz normal, dass einem etwas weinerlich zumute ist.«

»Ich bin aber nicht normal.«

»Natürlich sind Sie das …«

»I-ich habe gar keine mütterlichen Gefühle. Ich wünsche ihm nichts Böses, aber ich habe keine Ahnung, was ich zu ihm sagen soll …« Ich schniefe in eines der Taschentücher aus der Box auf ihrem Tresen. »Ich kann einfach keine Beziehung zu ihm aufbauen.«

»Weiß Alexander davon?«

»Ich bringe es nicht übers Herz, es ihm zu sagen, er freut sich doch so. Ich habe Angst, ihn zu enttäuschen.«

Frances lächelt, und ausnahmsweise bin ich ihr dankbar für ihre Einmischung.

»Es klingt vielleicht etwas albern, aber haben Sie schon einmal versucht, sich in Ruhe hinzusetzen und einfach nur mit ihm zu reden?«

»Natürlich habe ich das. Alex und ich reden ständig miteinander.«

»Nicht mit Alex. Mit dem Baby.«

Ich schüttele den Kopf.

»Das kommt schon noch, Maz«, beruhigt mich Frances. »Wenn Sie das Baby bei Ihrem nächsten Ultraschall sehen, werden Sie vollkommen hingerissen sein.«

»Das glaube ich nicht. Beim ersten Mal war ich das doch auch nicht.«

»Aber mittlerweile sieht es ganz anders aus«, beharrt Frances. »Kommen Sie, Maz, haben Sie sich noch nie vorher verliebt? Denken Sie nur an sich und Alexander. Nein, das ist kein so gutes Beispiel. Denken Sie an sich und Ginge. Sie müssen zugeben, dass er nicht gerade das liebenswerteste Geschöpf war, als Sie ihm zum ersten Mal begegnet sind, doch Sie haben hinter all sein Fauchen und Spucken gesehen und ihn trotz allem ins Herz geschlossen.«

Das stimmt, denke ich, und folge Frances’ Blick hin zu Emma, die gerade von draußen hereinkommt. »Sie werden Ihr Baby vergöttern, glauben Sie mir. Hallo, Emma.« Frances schlägt ihre Telefonnotizen auf. »Hier sind drei Nachrichten für Sie.« Sie pikst mit einem limettengrünen Fingernagel auf die Seite. »Die Klinik in London hat zurückgerufen.«

»Was für eine Klinik?«, frage ich, als ich Emma nach hinten in den Personalraum begleite, wo sie ihr Mittagessen – einen Salat und frische Beeren – aus einem Leinenbeutel holt.

»Eine Kinderwunschklinik. Meine biologische Uhr tickt, und jeder weitere Monat ist ein verschwendeter Monat. Ich weiß, es klingt etwas herzlos, schließlich ist es noch nicht lange her, seit – na ja, du weißt schon … Ben und ich wollen es noch einmal versuchen, aber diesmal will ich nichts dem Zufall überlassen. Wir zahlen privat, um das Ganze zu beschleunigen. Wir können alle Tests innerhalb eines Monats hinter uns bringen und notfalls gleich mit der künstlichen Befruchtung anfangen.« Emma nimmt eine Gabel aus der Schublade unter dem Becken. »Wir müssen ein paar Veränderungen im Dienstplan vornehmen, denn ab jetzt werde ich immer nur sehr kurzfristig wissen, ob ich verfügbar bin.« Sie setzt sich aufs Sofa. »Sieh mich nicht so an, Maz. Es ist ja nicht für immer. Und Gott sei Dank haben wir ja jetzt Drew, was?«

»Lass mich einfach wissen, wann du nicht da bist, dann kläre ich alles Weitere mit ihm.«

»Danke, Maz. Ich wusste, dass du das verstehen würdest.«

Als ich mich ans andere Ende des Sofas setze, versetzt das Baby mir einen Tritt. Ich schaue nach unten, lege eine Hand auf meinen Bauch und pikse vorsichtig zurück.

»Ist das das Baby?«, fragt Emma. »Darf ich?«, fügt sie hinzu und legt die Gabel quer über ihre Salatschale.

Ich nicke. Als sie die Hand auf meinen Bauch legt, leuchten ihre Augen auf, und ich freue mich für sie.

Ich wünsche ihr, dass ihre Besuche in der Kinderwunschklinik erfolgreich sind und ihr Traum von einer Familie endlich Wirklichkeit wird. Und trotzdem wäre es mir im Grunde meines Herzens lieber, wir könnten einfach nur wieder zwei Tierärztinnen sein, ohne diese ganzen privaten Probleme, die unsere Beziehung belasten.