Kurz nach Mitternacht stand auch Pat auf. Sie hatte sich die ganze Zeit lautlos Gedichte aufgesagt, um wach zu bleiben. Daher war ihr natürlich auch der Wirbel um Steffis Fest nicht entgangen. Die Mädchen, mit denen sie ihr Zimmer teilte, beide aus der Anfängergruppe, waren mit reichlichem Gepolter davongeschlichen. Pat grinste. Aha, die Anfängergruppe veranstaltet ein Mitternachtsfest!
Das braucht meine Pläne nicht zu stören, überlegte sie, die sind nun alle beschäftigt. Ich kann in Ruhe den Hund holen.
Im Grunde machte es die Sache nur einfacher. Es wäre schwierig gewesen, sich aus dem Zimmer zu schleichen, ohne dass die anderen aufgewacht wären. So musste sie gar nicht so vorsichtig sein. Sie schlüpfte in ihre Kleider, zog ihre Turnschuhe an und ergriff die Taschenlampe, die sie vorsorglich bereitgelegt hatte. Außerdem steckte sie einen Bindfaden in die Tasche. Vielleicht brauchte sie den als Leine für den Hund. Sie überlegte kurz, ob sie auf Fairytale reiten sollte, entschied sich dann aber dagegen. Es würde zu viel Lärm machen, das Pferd aus dem Stall zu führen.
Der Mond zeigte ihr den Weg. Sie lief schnell, rannte aber nicht, um nicht allzu sehr außer Atem zu geraten. Dort über den Acker, das könnte eine Abkürzung sein. Ihre Füße sanken tief in die weiche Erde. Als sie endlich den Krähenhof sehen konnte, hielt sie überrascht inne.
Aus einem der oberen Fenster schien Licht.
Wer ist denn um diese Zeit noch wach?, fragte sich Pat erstaunt. Es musste fast halb eins sein. Sie dachte nach. Nein, sie wollte nicht umkehren. Dem armen Hund musste endlich geholfen werden. Wenn sie vorsichtig wäre, könnte nichts passieren.
Sehr langsam näherte sie sich dem Hof. Sie hoffte, dass der Hund noch immer im Obstgarten angebunden war. Es war kaum anzunehmen, dass diese Leute ihn ins Haus holten. Hoffentlich, hoffentlich bellte er nicht!
Pat hatte den Hof fast erreicht, da tauchte aus dem Schatten der Scheune eine Gestalt auf. Sie sah sich nach rechts und links um, ehe sie geduckt über den Hof schlich. Pat runzelte die Stirn. Wer war das schon wieder? Weshalb schlich bloß immer irgendjemand über diesen Hof?
Und dann geschah plötzlich alles blitzschnell. Eine weitere Gestalt löste sich von der Scheunenwand, folgte der ersten in leisen, federnden Sprüngen. Es sah aus wie ein unheimliches Schattenspiel. Pat wollte einen Warnschrei ausstoßen, aber er blieb ihr im Hals stecken. Entsetzt beobachtete sie das Geschehen. Die zweite Gestalt hatte die erste beinahe erreicht. Mit dem nächsten lautlosen Sprung fiel sie sie von hinten an. Ein gellender Schrei hallte durch die Nacht. Es war der Schrei eines Mädchens.
Die beiden rangen ein paar Momente miteinander. Pat konnte jetzt erkennen, dass es sich um einen großen, kräftigen Mann und ein kleines Mädchen handelte. Das Mädchen hatte keine Chance. Der Mann packte es und schleppte es auf das Haus zu. Als er die Tür aufstieß, fiel Licht in den Hof. Im hellen Schein konnte Pat für einen winzigen Augenblick das Gesicht des Mädchens erkennen. Ihre Augen weiteten sich. »Kathrin?«, flüsterte sie ungläubig.
Das Mitternachtsfest am Strand hatte unterdessen seinen Höhepunkt erreicht. Die Kinder saßen im Kreis herum auf mitgebrachten Kissen und Decken. Es wehte nur ein ganz schwacher Wind, sodass sie nicht froren. Alle hielten Pappbecher mit Saft in den Händen und aßen Salate und Brote, so viel sie konnten. Alle hatten glückliche, zufriedene Gesichter.
»Ich muss sagen, du verwöhnst uns wirklich, Steffi«, sagte Diane. »Dieser Salat ist einfach köstlich!«
»Kann ich noch eine Pizza haben?«, fragte Sabine. »Sie schmeckt wunderbar!«
Steffi strahlte vor Stolz. »Es freut mich, dass es euch schmeckt. Ich glaube, das ist mein schönster Geburtstag.«
Vor einer halben Stunde hatte der Uhrzeiger Mitternacht überschritten und Steffis Geburtstag hatte begonnen. Die Freunde hatten ihr ein Lied gesungen und eine Flasche Sekt war gekreist - eine Überraschung von Angie.
»Puh, ich kann nicht mehr«, stöhnte Sabine und legte sich in den Sand zurück. »Ich platze einfach, wenn ich noch einen Bissen esse!«
»Ihr müsst noch essen«, widersprach Steffi. »Es gibt nämlich eine Schokoladentorte. Oh, da kommen ja unsere Schwimmer!«
Angie und Beate hatten dem Wunsch nicht widerstehen können, kurz in die Wellen zu tauchen und ein paar Stöße zu schwimmen. Nun kamen sie schlotternd und zähneklappernd zurück.
»Ist das kalt!«, rief Angie. »Ihr könnt euch das gar nicht vorstellen. Diane, wo ist mein Handtuch? Kannst du mich abrubbeln? Ich erfriere sonst!«
»Nimm einen Schluck Sekt», sagte Benny und reichte ihr die Flasche. »Da wird dir schon warm.«
Steffi wühlte in sämtlichen Taschen und Körben. »Ich verstehe das nicht«, murmelte sie.
»Steffi gräbt wie ein Hund, der einen Knochen sucht«, sagte Sabine und alle kicherten.
»Der Schokoladenkuchen!«, sagte Steffi verzweifelt. »Ich habe ihn vergessen!«
»Das kannst du uns nicht antun«, sagte Angie, die über dem Schwimmen wieder hungrig geworden war. »Er muss doch irgendwo sein!«
Nun wühlten alle, doch so sehr sie auch suchten: Der Kuchen blieb verschwunden.
»Ich weiß, er steht in meinem Schrank«, sagte Steffi endlich. »Was bin ich für ein Idiot! Ich gehe schnell und hole ihn.«
»Das musst du nicht«, protestierte Angie schwach.
Steffi war schon aufgestanden. »Ich bin gleich zurück«, sagte sie und verschwand in der Dunkelheit. Die anderen blieben behaglich liegen.
»Gib mir noch ein bisschen von diesem Früchtequark, Diane«, sagte Angie schläfrig. »Wisst ihr, das ist ehrlich ein Superfest.«
Tina und Moni teilten sich ein Zimmer. Ihre dritte Zimmergenossin, die farblose Edith, hatten sie in ihr Vorhaben, Frau Jung einen Streich zu spielen, eingeweiht. Edith würde sie nicht verpetzen. Sie schüttelte nur den Kopf und wunderte sich, auf welch eigenartige Ideen andere Menschen kamen.
Tina und Moni lasen eine ganze Weile, dann spielten sie Karten. Schließlich dämmerte Moni ein. Tina blieb wach, sie war viel zu aufgeregt, um jetzt schlafen zu können. Da ihr Zimmer etwas abseits lag, bekam sie von den Vorbereitungen des Mitternachtsfestes nichts mit. Der Aufbruch der anderen entging ihr völlig. Sie wähnte alle tief schlafend in ihren Betten.
Gegen halb eins hielt sie die Zeit für gekommen. Sie rüttelte Moni, die jammernd erwachte und nur schwerfällig ihr Bett verließ und sich anzog. Tina fischte die vorbereiteten Wollmützen aus dem Schrank.
»Hier«, flüsterte sie. »Zieh dir eine über!«
Moni sah furchterregend aus mit der Mütze über dem Gesicht und den schmalen Sehschlitzen, hinter denen ihre Augen glühten. Tina war ganz in Schwarz gekleidet, und da sie sehr groß und kräftig war, konnte man sie fast für einen Mann halten.
Unter der Maske verzog sie den Mund zum Lachen. »Das wird ein Heidenspaß«, sagte sie.
Edith richtete sich verschlafen auf. Sie betrachtete die beiden Gangster, gähnte, und fiel in ihr Kissen zurück.
Die Mädchen verließen das Zimmer und tappten die Treppe hinunter. Ein blasses Licht erhellte die Gänge, sodass sie den Weg leicht finden konnten. Vor Frau Jungs Zimmertür blieben sie stehen.
»Wir schleichen erst nur durch das Zimmer«, befahl Tina flüsternd. »Und wenn sie davon nicht aufwacht, müssen wir lauter werden. Sowie sie schreit, machen wir uns davon.«
Leise drückten sie die Klinke hinunter. Mit einem kaum hörbaren Quietschen öffnete sich die Tür. Alles war dunkel und still. Zu still. Tina und Moni vermissten etwas: den Atem der Schlafenden.
Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Sie konnten das Bett sehen. Die Decken waren zurückgeschlagen, die Kissen zerwühlt. Aber das Bett war leer. Frau Jung war nicht in ihrem Zimmer.
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