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Am nächsten Tag regnete es. Dichter Nebel hüllte Meer und Wiesen in graue Schleier. Ein kalter Wind blies. Simone hatte in der Halle einen Parcours aufgebaut, an dem die Kinder für das Turnier üben konnten. Der große Tag war in greifbare Nähe gerückt.

»Hoffentlich wird das Wetter besser«, sagte Tina, die neben Angie und Diane auf der Tribüne saß und das Anfängerspringen verfolgte. »Es wäre viel schöner, wenn das Turnier draußen stattfände. Oh, seht nur, dieser Benny! Jetzt ist er schon wieder die falsche Reihenfolge geritten!«

Benny mühte sich mit dem sturen Chico redlich ab, doch er wirkte klein und verloren auf dem riesigen Pferd. Chico hatte ein Hindernis ausgelassen, beim nächsten die obere Stange abgeworfen, und nun verweigerte er ganz. Er blieb stehen, warf den Kopf hoch, und machte ein paar tänzelnde Schritte zurück.

»Armer Benny«, sagte Diane mitleidig. »Er ist Chico einfach nicht gewachsen. Warum gibt ihm Simone kein anderes Pferd?«

»Manchmal ist Simone ein bisschen schikanös«, meinte Tina.

Angie stand auf. »Mir ist kalt«, sagte sie. »Das Wetter ist zu ungemütlich. Ich gehe ins Haus.«

Vor ihrem Zimmer auf dem Gang traf sie Steffi. Die kicherte geheimnisvoll.

»Ich habe euch gerade gesucht, dich und Diane«, sagte sie, »weil ich euch einladen wollte.«

»Einladen? Wozu?«

»In drei Tagen habe ich Geburtstag. Und ich habe hin und her überlegt, wie ich ihn feiern kann. Ich denke, ich werde ein Mitternachtspicknick am Strand veranstalten.«

Angie machte große Augen. »Wie aufregend! Das ist eine wunderbare Idee, Steffi! Hoffentlich hat es bis dahin aufgehört zu regnen!«

»Oh, bestimmt«, sagte Steffi mit Überzeugung. »Über dem Meer klart es doch schon ein bisschen auf, nicht?«

»Und wer kommt? Alle?«

»Das sind ein bisschen viel. So viel Geld hat mir meine Mutter nicht geschickt. Nein, ich lade ein paar aus meinem Anfängerkurs ein, und vom Fortgeschrittenenkurs dich und Diane.«

Steffi mochte die beiden Schwestern sehr. Angie hatte sie manchmal longiert und ihr gute Tipps gegeben.

»Ich werde tolle Sachen zum Essen kaufen. Kuchen und Schokolade und belegte Brote und verschiedene Salate. Es wird bestimmt großartig!«

»Warte mal«, sagte Angie plötzlich. »In drei Tagen, ist das nicht die Nacht vor dem Turnier?«

»Ja. Aber es ist nun einmal meine Geburtstagsnacht. Ich hoffe, das stört euch nicht?«

Angie hätte es gescheiter gefunden, die Nacht vor einem solchen Ereignis zum Schlafen zu benutzen, aber sie mochte Steffi nicht den Spaß verderben. Außerdem freute sie sich viel zu sehr.

»Ich habe gelesen, ein Mensch ist viel besser in Form, wenn er weniger schläft«, behauptete Steffi. »Ihr kommt doch?«

»Klar kommen wir«, versicherte Angie. »Danke für die Einladung. Es ist wirklich lieb, dass du an uns gedacht hast!«

Tina hatte ihren Plan, Frau Jung einen Streich zu spielen, nicht vergessen. Sie konnte die strenge Lehrerin einfach nicht leiden, und weil sie im theoretischen Unterricht faul, schlampig und unaufmerksam war, rasselte sie mit Frau Jung oft zusammen. Beinahe so oft wie Pat und Frau Jung. Pat machte sich jedoch nicht das Geringste daraus. Wenn sie getadelt wurde, reckte sie das Kinn in die Höhe, sah zum Fenster hinaus und summte eine leise Melodie. Tina hingegen ärgerte sich. Sie ärgerte sich im Grunde schon darüber, dass man sie in den Ferien zum Lernen zwingen wollte. Sie hatte hin und her überlegt wegen des Streiches, aber alles, was ihr einfiel, kam ihr dumm und kindisch vor. Frau Jung war ja nicht einfältig. Man konnte nicht ohne Weiteres erwarten, dass sie in jede Falle tappte. Wenn sie es gleich durchschaute, hatte es aber keinen Sinn. Sie sollte einen richtigen Schrecken bekommen. Tina besprach sich mit ihrer besten Freundin Moni.

»Es soll eine Lehre für die alte Kuh sein«, sagte sie rachsüchtig. Am Morgen war sie wieder einmal vor allen anderen für einen Fehler zurechtgewiesen worden. »Sie soll noch lange daran denken.«

Moni überlegte. »Muss es im Unterricht stattfinden?«, fragte sie. So hatte sich Tina das vorgestellt. Aber eigentlich ...

»Nein, nicht unbedingt«, meinte sie zögernd.

»Gespenster«, schlug Moni vor.

»Gespenster?«

»Na ja, wir beide als Gespenster verkleidet nachts in ihrem Zimmer. Ich weiß, das ist nicht besonders originell, aber es würde sie sehr erschrecken. Wenn sie aufwacht, wird sie erst einmal gar nicht begreifen, was los ist, und bestimmt gellend um Hilfe schreien. Bis die anderen wach sind, haben wir genug Zeit, uns aus dem Staub zu machen.«

Tinas Augen leuchteten. »Das ist eine tolle Idee. Aber wir verkleiden uns nicht als Gespenster. Wir verkleiden uns als Einbrecher. Das wird sie noch mehr erschrecken, denn jeder weiß ja, dass hier eine Einbrecherbande zurzeit ihr Unwesen treibt. Wir ziehen uns Strumpfmasken oder so etwas über den Kopf und lassen eine Taschenlampe im Zimmer herumgeistern.«

Davon war Moni ebenfalls begeistert. Gleich gingen sie auf die Jagd nach den notwendigen Utensilien. Es gab im unteren Flur eine Kammer, in der eine Ansammlung von Gegenständen herumlag, die die Gäste der Eulenburg im Laufe der Jahre liegen gelassen hatten. Gummistiefel, Sporen, eine zerbeulte Reitkappe, alles flog wild durcheinander. Hier fanden die Mädchen auch zwei gestrickte dunkle Wollmützen.

»Die sind genau das Richtige«, sagte Tina. »Wir schneiden Löcher für die Augen rein und stülpen sie über das Gesicht. Was meinst du, wie schrecklich wir aussehen!«

Beide lächelten.

»Arme Frau Jung«, sagte Moni. »Diese Nacht vergisst sie so schnell nicht mehr.«

Steffi bereitete mit großem Eifer das Mitternachtsfest vor. Sie ließ sich von Herrn Stern in die Stadt mitnehmen und kaufte nach Herzenslust ein, Wurst, Käse, Schinken, Tomaten und saure Gurken für die belegten Brote, Paprika und Oliven für den Salat, eine Menge kleiner kalter Pizzas und zum Nachtisch einen gewaltigen Schokoladenkuchen.

»Dann brauche ich noch ein paar Flaschen Saft und Sprudel«, sagte sie und hakte alles auf ihrer Liste ab. »Ich glaube, jetzt muss keiner hungrig wieder fortgehen.«

Herr Stern lachte, als er die vielen Taschen sah. Zum Dank, dass er sie mitgenommen hatte, schenkte Steffi ihm eine Pizza. Es war ohnehin mehr als genug, was sie gekauft hatte.

Zu Hause wollte sie alles rasch in ihr Zimmer bringen. Da wieder ein Ausflug geplant gewesen war, hoffte sie, niemandem zu begegnen. Es wäre ihr peinlich gewesen, weil sie ja nicht alle eingeladen hatte. Aber schon auf der Treppe traf sie Kathrin. Wie üblich hatte die sich vor dem Ausflug gedrückt.

»Was hast du denn da?«, fragte Kathrin neugierig.

Steffi zuckte mit den Schultern. »Das geht dich gar nichts an«, sagte sie schnippisch.

Aber so einfach ließ sich Kathrin nicht abspeisen. »Zeig mal her!«, rief sie und zog an einer Tüte. Krach! Der Henkel riss und ein Haufen Salamis, Tomaten und grüne Paprika rollten über den Fußboden.

Steffi schrie wütend auf. »Was für ein dummes Stück du doch bist, Kathrin! Sieh nur, was du angerichtet hast! Jetzt hilf mir wenigstens beim Aufsammeln!«

Die Mädchen krochen auf der Erde herum.

»Wozu kaufst du denn alle diese Sachen, Steffi?«, fragte Kathrin. »Das sieht ja fast so aus, als würdest du ein Fest planen!«

Steffi gab darauf keine Antwort.

Aha, also stimmt es, dachte Kathrin und gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie selber nicht eingeladen war. Sonst sicher jeder in der Eulenburg - nur sie nicht!

Steffi hatte alles wieder eingesammelt und verschwand wortlos in ihrem Zimmer. Kathrin beschloss, sie ganz genau im Auge zu behalten.

Ich werde schon noch herausfinden, wann und wo ihre Party stattfindet, dachte sie, und vielleicht findet sich dann ein Weg, diesen albernen Gänsen einen Schrecken einzujagen. Ich lasse mich nicht so einfach ausschließen!

Kathrin war hochzufrieden über ihre Entdeckung.

Pat hatte den Hund auf dem Krähenhof nicht vergessen. Aber seit ihr klar war, dass es sich bei den Mommsens um Verbrecher handelte, wusste sie, dass sie sehr vorsichtig sein musste. Tom hatte ihnen von seinem Erlebnis im Wald erzählt. Seitdem schien ihr alles noch viel gefährlicher. Die Gauner waren jetzt aufgescheucht. Wer wusste, wie skrupellos sie waren? Offenbar stand für sie eine Menge auf dem Spiel. Auf jeden Fall konnte sie ihr Vorhaben vergessen, den Hund bei Tag zu befreien. Das Risiko, erwischt zu werden, war zu hoch.

Ich muss es nachts machen, überlegte sie, wenn es ganz dunkel ist. Das ist die einzige Möglichkeit.

Noch immer wollte sie ihre Freunde nicht einweihen. Tom hatte sicher etwas dagegengehabt. Und sie wollte sich nicht lange mit ihm auseinandersetzen.

Übermorgen Nacht, dachte sie, das ist gut. Die Nacht vor dem Turnier. Alle werden früh schlafen gehen, und ich kann mich ungestört aus dem Haus schleichen. Ich darf ja sowieso bei dem Turnier nicht mitreiten, aber alle anderen werden sehr genau auf ihre Ruhe achten!

Sie ahnte nicht, wie viele offene Augen und Ohren die Nacht vor dem großen Turnier haben würde.

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