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GATOR KÄMPFTE GEGEN die maßlose Wut an, die in seinen Eingeweiden brodelte. Bleib, wo du bist, und zieh den Kopf ein, oder, ich schwöre es dir, ich werde dich halb totprügeln. Er benutzte Richtschall, um ihr den Befehl zu erteilen, und er störte sich nicht daran, dass die Töne vor Wut pulsierten. Der schwammige Boden geriet kaum merklich in Bewegung; Vögel stießen alarmierte Rufe aus und stoben von Neuem in die Luft auf. Er machte sich keine Sorgen, dass der Scharfschütze ihn hören könnte. Die Richtschallwellen waren kräftig genug, um Wände zu durchdringen, und doch konnten sie spezifisch auf einen ganz bestimmten Empfänger gerichtet werden. Die Fähigkeit, das zu bewerkstelligen, hatte er im Einsatz oft erprobt und weiterentwickelt, und es erstaunte ihn nicht im Geringsten, dass Flame ebenso geschickt darin war wie er.

Schweig still, mein Herz.

Es juckte ihn in den Fingern, sie zu schütteln … oder sie zu erwürgen. Sie musste doch wissen, dass der Scharfschütze sie aufs Korn genommen hatte. Gator konnte ihn nicht entdecken, und das machte den Mann gefährlich. Er hatte offenbar eine gründliche Ausbildung durchlaufen, und er lag auf der Lauer und wartete einen günstigen Zeitpunkt ab, um auf Flame zu schießen. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als ihren Kopf zu heben, und schon würde der Schütze sie töten. Sie hatte doch gewusst, worauf sie sich einließ. Sie hätte warten sollen! Es war undurchdacht, Jagd auf vier bewaffnete Mörder zu machen, wenn sie nur auf Messer zurückgreifen konnte – und es war eine riesengroße Dummheit, den eigenen Standort preiszugeben.

Ich kann ihn nicht hören. Noch nicht einmal seinen Herzschlag. Hörst du ihn?

Das ließ ihn stutzen. Sie hatte recht. Er sollte Atemgeräusche hören oder wenigstens den Herzschlag des Scharfschützen, aber er hörte überhaupt nichts. Er konnte ihn fühlen, aber kein Laut war zu vernehmen – und er hätte den Mann hören sollen.

Gator bewegte sich betont langsam, während er einen Tarnanzug improvisierte, indem er Schilf, Laub und Moos durch sein Hemd fädelte. Es dauerte nicht lange, auch eine Kopf- und Rückenbedeckung herzustellen und sie mit Laub zu tarnen, damit er sich langsam durch den Sumpf anpirschen konnte. Irgendwo in der Nähe lag der Scharfschütze stumm da, hatte Flame anvisiert, hielt das Gewehr mit ruhiger Hand und wartete. Gator musste ihn finden, bevor es ihm gelang, einen sicheren Schuss abzugeben.

Da er ziemlich genau wusste, wo Flame zwischen dem Schilfrohr im Wasser lag, sah er sich näher dort um. Er konnte sie nirgends entdecken. Sie stellte es geschickt an, ihre Umgebung als Tarnung zu nutzen. Zweifellos grub sie sich noch tiefer in den Morast ein. Sie hatten zwei große Vorteile gegenüber dem Schützen: Er konnte nicht wissen, dass Gator an der Jagd auf ihn beteiligt war, und sie konnten sich miteinander verständigen.

Hast du klare Anhaltspunkte dafür, wo er ist?, fragte Gator.

Den letzten Schuss hat er direkt vor mir abgegeben, in der Nähe der Zypresse mit dem einen Zweig, der auf den Boden hängt, aber er hat sich sofort danach von der Stelle bewegt. Er hat mich nicht genau im Visier, denn sonst hätte er längst geschossen.

Gator wertete diese Information aus. Was täte er unter den gegebenen Voraussetzungen? Der Sumpf bot etliche gute Verstecke, und ein professioneller Scharfschütze konnte stundenlang auf der Lauer liegen und den richtigen Moment für den entscheidenden Schuss abwarten.

Gator arbeitete sich in einem weiten Bogen im Halbkreis vor und benutzte dabei Flames Stellung als Bezugspunkt. Er ging methodisch vor und kam nur langsam voran, denn er musste sorgsam darauf achten, jede auffällige Bewegung des Schilfs und des Laubwerks zu vermeiden.

Er muss gesteigerte Fähigkeiten haben. Whitney muss ihn geschickt haben.

Nicht zwangsläufig. Aber er wusste es nicht mit Sicherheit. Verdammt noch mal, seit wann konnte ein Scharfschütze seinen Herzschlag überdecken? Seinen Atem? War er wie sie? Gator und Flame dämpften jedes Geräusch, das sie verursachten. Konnte der Scharfschütze das auch?

Raoul? Es wird jeden Moment regnen. Ich kann Feuchtigkeit über uns fühlen, du nicht?

Hörte er ein Beben aus dem Klang heraus, der ihn erreichte? Ihre Stimme zitterte ein wenig. Wahrscheinlich hatte sie nach dem Sturz von ihrem Motorrad steife, schmerzende Gliedmaßen und war jetzt verkrampft, weil sie regungslos im Schlamm und im Wasser liegen musste. Sie brauchte Zuspruch, ohne sich dessen bewusst zu sein. Seine Beschützerinstinkte regten sich.

Ein kleiner Regenschauer hat noch niemandem geschadet. Du machst dir doch nicht etwa Sorgen, ich könnte dich hier allein lassen, oder doch, Cher? Ein Mann lässt die Mutter seines Kindes nicht im Stich. Und wenn wir das hinter uns haben, erwarte ich von dir, dass du mich als deinen Helden ansiehst.

Ihr leises Lachen erreichte seine Ohren auf der präzise gesteuerten Schallwelle, die sie erzeugte.

Plötzlich ertönte ein unheilvolles Donnergrollen, die Wolken barsten, und Regen ergoss sich vom Himmel herab. Gator hielt den Blick gesenkt, doch seine Augen glitten unaufhörlich über die Umgebung. Er hielt Ausschau nach irgendeiner Kleinigkeit, die Rückschlüsse auf die Anwesenheit des Killers zuließ. In dem strömenden Regen war die Sicht stark beeinträchtigt, doch er strengte seine Augen an und sah nicht wirklich, sondern fühlte eher, dass sich etwas näher an Flame heranschlich.

Er verändert seinen Standort. Flames Warnung folgte seinem eigenen Gefühl auf den Fersen. Der Mann war richtig gut. Obwohl der Regen das Schilf stellenweise platt drückte, verriet er sich durch nichts. Gator sah sich nach verräterischem »Baumkrebs« um, einem kleinen dunklen Fleck zu beiden Seiten eines Baums, der darauf hinweisen könnte, dass ein Scharfschütze dort Stellung bezogen hatte, aber es war nichts dergleichen zu sehen. Dennoch schrillten bei ihm die Alarmglocken.

Mein Ohr ist in den Schlamm gepresst, und ich kann fühlen, dass die Erde vibriert. Er nutzt den Regen als Deckung, um sich anzuschleichen, bis er einen besseren Schusswinkel hat. Ich werde mich jetzt nach links rollen. Ich glaube, er ist rechts von mir.

Nein! Gator stieß den Befehl scharf hervor. Er versucht vorsätzlich, dich dazu zu bringen, dass du dich von der Stelle rührst. Halte still. Ich schnappe ihn mir. Für diese Form von Jagd braucht man Geduld. Gerate mir bloß nicht in Panik, Cher. Ihm graute bei dem Gedanken, Flame könnte sich von der Stelle rühren. Sein Herz machte tatsächlich einen Satz in seiner Brust, und etwas drückte schwer auf seine Lunge. Er wusste nicht, woher er wusste, dass der Killer es darauf abgesehen hatte, ihr einen solchen Schrecken einzujagen, dass sie sich rührte, aber er war sich seiner Sache vollkommen sicher. Und während er einerseits nicht glaubte, dass Flames Training eine Scharfschützenschulung umfasst hatte, hätte Gator andererseits seine Hütte im Bayou darauf gewettet, dass der Killer diese Schule durchlaufen hatte.

Das wäre ja noch schöner! Ich gerate nie in Panik.

Er hoffte, das sei wahr. Man brauchte Nerven wie Drahtseile, um mit einem professionellen Mörder Katz und Maus zu spielen. Flame wusste, dass der Killer die Stelle, an der sie lag, aufs Korn genommen hatte. Wenn es ihm gelang, einen gezielten Schuss abzugeben, war sie tot. Es erforderte eine Menge Mumm, stillzuliegen, wenn ein Präzisionsgewehr auf einen gerichtet war. Scharfschützen verfehlten ihr Ziel nicht. Die Trefferquote war ihm bekannt. Anstelle von Hunderten von Kugeln, die zahlreiche Soldaten in einer Schlacht abfeuerten, genügten einem Scharfschützen ein bis drei Schüsse pro Person.

Der Regen fiel in Strömen durch den Baldachin aus Laub und verschleierte die Sicht. Das Wasser würde helfen, die Spuren zu verwischen, wenn es an der Zeit war, hinter ihnen aufzuräumen, aber es diente auch als Leiter für Geräusche. Gator dämpfte jeden Laut, sandte Schallsignale aus und setzte Echoortung bei dem Versuch ein, den exakten Standort des Scharfschützen zu bestimmen. Der Mann musste sich in dem Wurzelgeflecht der Bäume verbergen. Gator setzte seine Willenskraft ein, um Flame dazu zu bringen, dass sie stillhielt, während er durch das Schilfrohr und den Morast näher an die Stelle herankroch, an der sein Gegner noch vor kurzem gewesen war.

Er schlüpfte durch eine kleine Bodensenke, die mit Wasser gefüllt war, bevor er erkannte, dass es sich um ein von Menschenhand geschaffenes Schützenloch handelte, so schmal, dass es einem Einzelnen gerade genug Raum bot, um dort zu liegen. Er erstarrte. Er musste dem Scharfschützen dicht auf den Fersen sein. Sorgsam suchte er seine nähere Umgebung methodisch ab und bewegte dabei nichts anderes als seine Augen. Selbst auszuatmen gestattete er sich kaum, während er auf etwas wartete, irgendetwas, was ihm den Standort des Scharfschützen verriet.

Die Zeit kroch im Schneckentempo voran. Der Regen fiel in Strömen. Jetzt konnte Gator den Rhythmus des Sumpfs fühlen, die geschäftigen Insekten, von denen es hier wimmelte, und das Rascheln, mit dem Frösche und Eidechsen aus der Deckung kamen, um schnell einen Happen zu sich zu nehmen. Sein wachsamer Blick streifte immer wieder über seine nähere Umgebung. Der Baumstamm zu seiner Linken war gespalten und vom Alter morsch und beheimatete diverse Lebensformen. Eine kleine grüne Eidechse huschte dem Baumstamm entgegen, machte immer wieder Halt und dann den nächsten Satz, doch bevor sie auf eine kleine Erhebung flitzte und dahinter verschwand, blieb sie abrupt stehen.

Gator stockte der Atem. Diese Erhebung, keine drei Meter vor ihm, war der Scharfschütze. Er hatte sich nicht gerührt und lag so vollkommen still, mit Schilfgras und Schlamm bedeckt, dass er ein Teil der Landschaft zu sein schien. Wenn er den Kopf umdrehte und hinter sich blickte, würde er Gator entdecken können, da nur sein Kopf und sein Hemd getarnt waren. Seine Jeans war mit Schlamm überzogen, aber aus nächster Nähe würde er einer Entdeckung niemals entgehen können. Er hatte keine Schusswaffe, was hieß, dass er ein Messer benutzen musste, und das wiederum hieß, er musste sich vorarbeiten, ohne entdeckt zu werden, bis er nahe genug an den Scharfschützen herangekommen war, um zuzustechen.

Was ist los?

Er hörte die Sorge deutlich aus Flames Stimme heraus.

Nichts. Bleib unten.

Dein Herzschlag ist abrupt in die Höhe geschossen. Erzähl mir keinen Blödsinn. Sag mir, was los ist. Ich bin keine Memme, die keine schlechten Nachrichten verkraftet.

Nein, das war sie wirklich nicht. Sie hatte fast ihr ganzes Leben lang schlechte Nachrichten weggesteckt. Nein, du bist ein Hitzkopf, und du könntest dich in Lebensgefahr bringen.

Ich weiß, dass Whitney, dieser heimtückische Kerl, mich lebendig haben will. Sag mir rundheraus, was los ist, Raoul. Ich muss wissen, was hier vorgeht.

Er wägte seine Möglichkeiten ab. Er würde nur eine einzige Chance haben, gegen den Scharfschützen zu siegen. Sie musste wissen, dass sie in Gefahr war. Er ist dicht vor mir. Wenn er den Kopf umdreht, wird er mich sehen. Rühr dich nicht, Flame. Dieser Typ weiß, was er tut. Er hat keinen Muskel bewegt, und er hat sein Auge nicht vom Zielfernrohr genommen.

Einen Moment lang herrschte Stille. Er ertappte sich dabei, dass er den Atem anhielt. Raoul. Wenn du das verpatzt und dabei draufgehst, werde ich wirklich wütend auf dich sein.

Du solltest dich entscheiden, Cher. Ich dachte, du wünschst mir den Tod.

Du hast noch nicht die Zeit gefunden, eine Lebensversicherung abzuschließen, damit für das Baby und für mich gesorgt ist.

Mir wird nichts zustoßen.

Flame schwieg wieder. Ich könnte ihn durch den Einsatz von Klängen töten. Das ist zwar riskant, aber immer noch besser, als es darauf ankommen zu lassen.

Nein! Er zwang sich zur Ruhe. Sie war scharfsinnig. Er hatte sich ihr gegenüber gerade verraten, aber das spielte keine Rolle. Er würde es nicht riskieren. Er würde nicht zulassen, dass sie es riskierte. Nein. Wir werden es auf die altmodische Weise erledigen.

Zähle langsam bis fünf. Jede fünfte Sekunde werde ich Geräusche dazu benutzen, das Schilf rechts von mir in Bewegung zu versetzen.

Hörte er Erleichterung aus ihrer Stimme heraus? Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Nein, verdammt noch mal.

Doch, verdammt noch mal. Gerade genug, damit er sich Sorgen macht, ich könnte mich in Bewegung gesetzt haben. Er wird sich auf mich konzentrieren, und das gibt dir eine Chance. Ich werde nicht so dumm sein, ihn auf mich schießen zu lassen. Er hörte ihre Entschlossenheit. Du kannst nicht beides haben. Entweder wir setzen Töne ein oder wir gehen das Risiko gemeinsam ein.

Gator zählte bis fünf und zog sich auf den Ellbogen mit Schwung nach vorn. Er brachte die saugenden Geräusche zum Verstummen, mit denen der Schlamm an seinem Körper zerrte, um ihn an Ort und Stelle festzuhalten. Er war einen guten halben Meter näher an den Scharfschützen herangekommen. Es fehlte nicht mehr allzu viel, bis er sich auf sein Opfer stürzen konnte. Er würde aus einer kauernden Haltung zum Frontalangriff übergehen und das letzte Stück mit einem Sprung bewältigen müssen, bevor sich der Schütze umdrehen und ungehindert auf ihn schießen konnte.

Als er das zweite Mal bis fünf gezählt hatte und sich nach vorn warf, sah er, wie sich der Scharfschütze kaum merklich bewegte und die Schulter hochzog.

Er schießt auf dich.

Er sandte die Warnung in dem Moment aus, als der Schuss abgefeuert wurde. Der Scharfschütze rollte sich nach links, zog sich auf ein Knie und hob das Gewehr für den zweiten Schuss an seine Schulter. Gator sprang und war mehr als nur dankbar für die genetische Verbesserung, die es ihm erlaubte, gegen den Scharfschützen zu knallen und ihn bäuchlings in den Schlamm zu werfen.

Der Mann musste seine Anwesenheit im letzten Augenblick wahrgenommen haben, denn erversuchte, sich umzudrehen und zu verhindern, dass sein Gewehr im Schlamm landete. Gator stieß dem Mann sein Messer in die Rippen und spürte gleichzeitig, dass der Gewehrkolben seitlich gegen seinen Kopf geschlagen wurde. Im ersten Moment drehte sich ihm alles vor Augen. Der Scharfschütze wälzte ihn von sich herunter, aber Gator packte das Gewehr, hielt es mit aller Kraft fest und trat dem anderen Mann in die Leisten.

Flame! Bist du verletzt? Er war außer sich und brauchte dringend die Bestätigung, dass sie am Leben war und dass ihr nichts fehlte, obwohl er selbst gerade um sein Leben kämpfte. Der Scharfschütze kämpfte verbissen; Furcht und Wut verliehen ihm Kraft, als sie miteinander um den Besitz der Waffe rangen. Antworte mir.

»Ich bin hier«, rief Flame ihm zu, während sie sich aus dem Morast zu befreien versuchte. Der nasse Boden wollte sie mit seiner Saugkraft an Ort und Stelle festhalten, und ihr Bein pochte schmerzhaft, als sie versuchte aufzustehen. Gator hatte dem Scharfschützen das Gewehr entrissen; es flog durch die Luft und landete außer Reichweite der Männer. Beide Männer zogen ihre Messer und begannen einander zu umkreisen.

Flame zog sich aus dem Schlamm hoch und zwang ihr Bein mit reiner Willenskraft, sie zu tragen, als es unter ihr nachgeben wollte. Jetzt zählte nur, dass sie die Waffe an sich brachte. Gator sprang mit einem Satz zurück, entging dem Messer des Scharfschützen um Haaresbreite, führte mit der rechten Hand einen Scheinangriff aus, ging auf den Mann los und setzte mit der linken Hand zum Todesstoß an. Flame stieß sich ab, sprang in die Luft und landete dicht neben dem Gewehr, sackte zusammen, als ihr Bein unter ihr nachgab, schlang aber die Faust um die Waffe und riss sie an ihre Schulter hoch. Der Scharfschütze wankte bereits rückwärts, denn Gators Messer steckte in seinem Herzen. Er kippte langsam nach hinten und landete der Länge nach im Schlamm. Seine Augen waren weit aufgerissen, und auf seinen Gesichtszügen drückte sich deutlich aus, wie schockiert er war.

Gator drehte sich um und sah Flame an. Ihre Blicke trafen sich. Sie wirkte erschöpft und ziemlich mitgenommen. Und obendrein schockiert. Beide hörten das Fahrzeug mit Vierradantrieb näher kommen, aber sie ließen einander nicht aus den Augen. Gator ging auf Flame zu und zog sie auf die Füße. Sie stolperte, und ihre sonst so flüssigen Bewegungen ließen jede Anmut vermissen. Er packte sie an den Armen, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor, und dann streckte er eine Hand aus, um ihr den Schlamm aus dem Gesicht zu wischen. Braune und rote Rinnsale flossen über ihr blasses Gesicht, als der Regen sie reinzuwaschen versuchte.

»Hast du das geplant?« Ihre Stimme war leise, kaum hörbar, doch sie sah ihm weiterhin tief in die Augen. Mit einem festen, herausfordernden Blick. Auch Schmerz war darin zu erkennen. Kummer. Und dass sie sich verraten fühlte. All das verband sich miteinander, und es zerriss ihn innerlich, dass sie im Ernst glauben konnte, er hätte etwas mit Burrells Tod zu tun gehabt. Trotz der Hitze und des warmen Regens zitterte ihr Körper nahezu unbeherrscht.

Gator schnappte hörbar nach Luft, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Was zum Teufel unterstellst du mir?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich frage dich nur. Sag mir die Wahrheit. Ich muss die Wahrheit hören.« Mit einer weit ausholenden Bewegung beschrieb sie den Sumpf. »Hast du das getan? Das alles arrangiert?«

Das Geländefahrzeug kam mit kreischenden Bremsen zum Stehen. Wyatt und Ian sprangen heraus und sahen sich um, warfen erst einen Blick auf die Toten und dann auf das Paar, doch sie kamen nicht näher. Gator und Flame standen dicht beieinander, der eine in einer beschützenden Haltung, die andere zerbrechlich, und doch wirkten beide so kampfbereit, dass sie die Männer abschreckten.

»Verdammt noch mal, Flame. Fragst du mich, ob ich Burrell getötet habe? Grandmères Freund? Meinen eigenen Freund? Welches denkbare Motiv könnte ich dafür haben? «, erkundigte sich Gator schroff.

»Ein Übungseinsatz, um zu sehen, ob unsere Zusammenarbeit gut ist. Ob wir das tun, worum es Whitney ging, als er uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Wir haben es nämlich getan. Wir haben gerade einen perfekten Kampfeinsatz absolviert.«

»Du musst auf der Stelle von hier verschwinden. Geh mit Wyatt, und bleib bei Nonny, bis ich nach Hause kommen kann.« Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich habe dir gerade das Leben gerettet, Flame, und du beschuldigst mich einer solchen Abscheulichkeit. Ich könnte echt und ehrlich aus der Haut fahren.«

»Ich muss die Worte aus deinem Mund hören.«

»Weil du mir andernfalls ein Messer in die Kehle rammen wirst? Du darfst unter gar keinen Umständen hier sein, wenn sie kommen, um hinter uns aufzuräumen. Ich werde den Kopf dafür hinhalten müssen. Ich denke gar nicht daran, mich dir gegenüber zu rechtfertigen.« Er ging einen Schritt näher auf sie zu und packte sie an den Oberarmen, weil er es nicht lassen konnte, sie zu schütteln. »Was du sagst, ist unvernünftig, unsachlich und unlogisch …« Seine Stimme verhallte. Stimmte das? Konnte er mit Sicherheit sagen, dass niemand diese Situation herbeigeführt hatte, um ihr Können auf die Probe zu stellen? Der Scharfschütze hatte außergewöhnliche Fähigkeiten besessen.

Er ließ seine Arme sinken, denn er war plötzlich auf der Hut, und sein Blick streifte über das Gelände. »Verdammt noch mal, jetzt bringst du mich auch noch dazu, über Verschwörungstheorien nachzudenken.«

»Sei froh, dass du denkst. Das ist doch schon mal etwas. Aber ich kann nicht zu deiner Großmutter gehen. Keine Einwände, ich kann es beim besten Willen nicht. Ich werde schon einen ungestörten Ort finden, ein Motel, ein Zimmer, das spielt gar keine Rolle. Ich will keine Schwierigkeiten machen, ich brauche nur einfach … Platz. Eine Auszeit. Du weißt, was ich meine.«

Er wusste es. Es behagte ihm zwar nicht, aber er wusste ganz genau, was sie meinte. »Ich habe eine Hütte im Bayou, weit draußen und fern von allen anderen. Ich sage Wyatt, dass er dich dorthin bringen soll.« Sie wandte sich von ihm ab, doch Gator hielt sie am Arm fest. »Ich erwarte, dass du dort sein wirst, wenn ich hier fertig bin.«

»Ich höre, was du sagst. Es ist ja schließlich nicht so, als hätte ich zu viele Zufluchtsorte zur Auswahl.«

»Ich war es nicht. Ich meine, ich habe das nicht eingefädelt. Meines Wissens war kein Übungseinsatz geplant. Ich habe keine Ahnung, wer diese Männer waren oder wer sie geschickt hat, aber ich werde es herausfinden. Ich stecke nicht dahinter, Flame.«

»Noch eine Frage aus reiner Neugier: Vom wem hast du Hilfe beim Aufräumen angefordert? Ich würde wetten, dass es nicht die hiesigen Behörden waren. Du hast Whitney angerufen, stimmt’s?«

Er wünschte fast, ihre Stimme hätte wütend geklungen. Stattdessen wirkte Flame ermattet, erschöpft und sogar niedergeschlagen. »Nicht Whitney. Lily.«

Sie zuckte die Achseln. »Das läuft auf dasselbe hinaus, Raoul. Wenn du mit einem von beiden sprichst, dann redest du auch mit dem anderen. Du kannst es dir nur nicht eingestehen.«

Er streckte eine Hand aus, um ihr noch einmal Schlamm aus dem Gesicht zu wischen, und seine Berührung war sanft, wenn nicht gar zärtlich. Flame trat einen Schritt zurück, stieß seinen Arm fort und richtete ihren Blick erst auf Wyatt, dann auf Ian. »Tu das nicht.« Ihr Flüstern war selbst für ihn kaum hörbar. »Du darfst nicht gerade jetzt nett zu mir sein. Ich würde es nicht überleben.« Ihre Stimme brach, und sie wandte ihr Gesicht von ihm ab.

Schmerz grub sich wie ein Messer in sein Herz. Sie wirkte so gebrochen, so verletzlich, dass sich seine Beschützertriebe regten und ihn nahezu überwältigten. Er musste sie in seine Arme ziehen und sie trösten. »Flame.« Er zog sie an sich, ohne sich an ihren schlammigen Kleidungsstücken oder an ihrem Widerstand zu stören. »Ich möchte mit dir kommen, aber das geht nicht. Wir können hier nicht einfach ein paar Leichen liegen lassen.« Sie zitterte, und er zog sie noch enger an sich und versuchte vergeblich, ihren Körper zu wärmen. Nicht einmal die Hitze und die Schwüle des Bayou schienen auszureichen, um die eisige Kälte von ihrer Haut zu vertreiben.

»Warum nicht? Burrell haben sie den Alligatoren überlassen. « Ihre Stimme brach, und sie senkte den Kopf und lehnte ihre Stirn an seine Brust.

Gator schlang seine Arme um sie, ohne sich darum zu sorgen, dass Wyatt auf seine Armbanduhr sah und dann zum Himmel aufblickte. Der Hubschrauber würde jeden Moment landen, und jemand würde Antworten verlangen. Sie zu trösten war das Einzige, was Gator in diesem Augenblick wirklich interessierte. »Es tut mir leid, Bébé. Je vais faire ce droit. Je jure que je ferai ce droit.«

Sie hob den Kopf, um ihm forschend ins Gesicht zu sehen. »Du kannst es nicht wiedergutmachen, Raoul. Du kannst Burrell nicht ins Leben zurückholen. Nichts kann das wieder in Ordnung bringen.«

Er streifte mit seinen Lippen ihre Augenbraue, eine zärtliche Liebkosung, die dazu gedacht war, Trost zu spenden. »Je suis desolé, le miel. Ich wünschte, ich könnte es wieder in Ordnung bringen. Bitte, geh mit Wyatt.«

Seine schleppende Stimme war so sexy und voller Zärtlichkeit, dass es ihr beinah zum Verhängnis wurde. Sie blickte blinzelnd zu ihm auf und war sich ihrer nassen Kleidungsstücke bewusst, des Umstands, dass sie wie der Sumpf roch, dass sie mit Schlamm überzogen war, aber noch deutlicher als alles andere war ihr bewusst, dass Tränen in ihren Augen schimmerten. Sie wandte den Blick von ihm ab und wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte. Sie musste ganz dringend allein sein.

Seine Hände legten sich auf ihre. »Du hast Handschuhe getragen. Braves Mädchen. Ian sammelt die Messer auf, und wir werden zusehen, dass wir sie möglichst weit weg von hier irgendwo im Bayou endgültig loswerden. Ich will nicht, dass sie mit dir in Verbindung gebracht werden können. Er ersetzt auch jedes Anzeichen dafür, dass du hier warst, durch seine eigenen Spuren. Diese Männer haben Burrell umgebracht, wir haben Jagd auf sie gemacht, und es ist zum Kampf gekommen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Die Gerichtsmediziner verstehen ihr Handwerk zu gut.«

»Nicht, wenn sie glauben wollen, was sie sehen. Unsere Leute werden die hiesigen Behörden nicht hinzuziehen. Ich werde behaupten, ich hätte das Motorrad zu Schrott gefahren, als ich mich mit dem Fahrer des Wagens angelegt und ihn teuflisch getreten habe. Den Scharfschützen habe ich getötet, und die anderen sind ohnehin schuldig, weil sie Burrell getötet haben. Ich will nur deinen Namen aus dieser Geschichte raushalten. Um deiner Sicherheit willen.«

»Warum tust du das für mich?«

»Frag mich das nicht. Ich kann es nicht beantworten, weil ich es selbst nicht weiß. Und jetzt verschwinde. Geh mit meinem Bruder.« Er bog ihren Kopf zurück und streifte ihre Lippen mit seinem Mund. Es war ihm ganz egal, dass sie beide von Kopf bis Fuß schmutzig waren. »Zwing mich nicht, dich heute Nacht zu suchen, Flame.«

»Komm mit mir.« Wyatt wies mit einem Daumen auf den Sumpf. »Wir wollen keine Spuren hinterlassen, die sie nicht verwischen können. Du hast meinen Jeep irgendwo versteckt. Den können wir nehmen.«

»Was ist mit meinem Motorrad?« Sie war nicht sicher, ob ihr Bein einen schnellen Lauf durch den Sumpf durchhalten würde, aber das Geländefahrzeug würde von der Luft aus zu sehen sein. Ian würde sagen, er sei zum Schauplatz des Kampfes gefahren, als Gator ihn angerufen hatte. »Wenn sie es überprüfen …«

»Ich habe es gestohlen«, sagte Gator. »Das hast du doch nicht etwa schon vergessen? Mach dir keine Sorgen, ich weiß längst, dass es nicht auf den Namen Iris Johnson angemeldet ist. Niemand wird einen Zusammenhang herstellen, Flame.«

»Lily wird sofort wissen, was los ist. Whitney wird es wissen. «

»Verschwinde.« Er würde diese Diskussion mit ihr nicht fortsetzen. Himmel noch mal, ihre Theorie klang zunehmend einleuchtender. Er blickte finster hinter ihr und Wyatt her, als sie in den Sumpf hineinliefen. Flame rannte, aber sie schien zu humpeln. Fast hätte er sie zurückgerufen, aber Ian räusperte sich.

»Dieser Typ hat keine Fingerabdrücke. Alles weggeätzt. Er hat keinerlei Papiere, Gator. Was zum Teufel geht hier vor?«

Gator stieß den angehaltenen Atem aus. Was ging hier vor? War es möglich, dass Flame recht hatte und Whitney noch am Leben war? Niemand hatte die Leiche gesehen. Nur Lily behauptete, dass er tot war. Würde sie lügen, um ihren Vater zu beschützen?

Als er sicher sein konnte, dass Flame außer Hörweite war, wandte sich Gator an Ian. »An Flames Verdacht könnte etwas dran sein. Ich konnte ihn nicht mal atmen hören, Ian. Du weißt ja, dass ich so ziemlich alles hören kann.«

»Du glaubst, er war einer von uns? Einer von dem anderen Team?«, fragte Ian.

Gator zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Besteht auch nur die geringste Möglichkeit, dass Peter Whitney noch am Leben ist?«

Ian schluckte seine erste instinktive Antwort hinunter und dachte über die Frage nach. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Es gab keine Leiche. Er ist verschwunden, und Lily hat Rye erzählt, sie hätte Kontakt zu ihm aufgenommen, während er ermordet wurde. Ich vermute, es ist möglich.«

»Glaubst du, Lily würde ihm helfen, spurlos zu verschwinden? «

Ian kratzte sich am Kopf. »Nein. Das ist ganz ausgeschlossen. Sie ist innerlich zerrissen wegen der Dinge, die er getan hat. Falls er noch am Leben ist, weiß sie es nicht.«

Gator zog die Stirn in Falten. »Lily besitzt übersinnliche Fähigkeiten, Ian. Wie könnte er sie zum Narren halten? Sie hat seinen Tod ›gesehen‹.«

Ian zog die breiten Schultern hoch. »Whitneys Experimente waren gewagter und fortschrittlicher als alle anderen. Niemand wusste über die Steigerung übersinnlicher Anlagen besser Bescheid als er. Er hat an Kindern, an uns und an mindestens einem anderen Team experimentiert. Das wissen wir. Wer kann uns sagen, dass er nicht auch Experimente an sich selbst durchgeführt hat?«

»Warum? Weshalb sollte er einfach verschwinden?«

»Higgens wollte ihn aus dem Weg räumen lassen. Das Militär wäre ihm zwangsläufig auf die Schliche gekommen. Die meisten seiner Experimente waren illegal. Sogar sein Geld hätte ihn auf die Dauer nicht retten können. Wie hätte er den Kopf besser aus der Schlinge ziehen können als durch seinen ›Tod‹? Er war so reich, dass er nicht wusste, was er mit dem Geld anfangen sollte. Es wäre nicht allzu schwierig gewesen, ein paar Millionen auf ein geheimes Konto abzuzweigen und außerhalb der Vereinigten Staaten einen neuen Wohnsitz zu beziehen und ein neues Labor aufzubauen.«

»Flame glaubt, dass er am Leben ist. Sie glaubt sogar, das hier könnte eine Art Übungseinsatz gewesen sein, um herauszufinden, wie gut wir zusammenarbeiten.«

Ians Augenbrauen schossen in die Höhe.

Gator nickte. »Flame meint, dass Peter Whitney noch am Leben ist und hinter den Kulissen die Fäden zieht. Anfangs dachte ich, sie sei übergeschnappt, aber mittlerweile geben mir ein paar Kleinigkeiten zu denken. Zum einen fühle ich mich so verdammt stark zu ihr hingezogen, dass ich kaum noch klar denken kann. Hier geht es nicht nur um körperliche Gelüste oder um Gefühle, es ist eine enorm wirkungsvolle Verbindung von beidem, und es grenzt an Besessenheit. Wenn ich mit ihr zusammen bin, täte ich so ziemlich alles, um sie zu kriegen, und mir ist danach zumute, jeden Mann, der sich ihr nähert, umzubringen. Das sieht mir gar nicht ähnlich, Ian, und ich traue diesen Gefühlen nicht. Sie traut ihnen auch nicht. Sie empfindet dasselbe, und sie glaubt, Whitney sei es gelungen, uns irgendwie von vornherein als Paar anzulegen.«

»Das ist doch wohl etwas weit hergeholt, meinst du nicht auch?« Ian trat einen Schritt zurück in dem unbewussten Bemühen, sich ein wenig von ihm zu distanzieren, um zu leugnen, was er sagte.

»Wirklich? Mein Verhalten ist vollkommen untypisch für mich. Und es steht im krassen Widerspruch zu meiner Ausbildung. Ich wusste, dass sie gefährlich ist, aber ich habe sie geradewegs in mein Haus geholt. Sie mit meiner Familie in Berührung gebracht. Mit Wyatt und Nonny. Und mit dir. Weshalb sollte ich das tun, wenn jeder meiner Instinkte mich dazu brächte, das genaue Gegenteil zu tun? Wenn sie in der Nähe ist, treffe ich unlogische Entscheidungen. Und warum? Weil ich sie sehen muss. Das Verlangen ist so stark wie die Gier nach jeder Droge. Sieh dir Ryland und Lily an. Und Nico und Dahlia. Bei ihnen ist es dasselbe. Und als ob das noch nicht genügen würde, ergänzen sich unsere übersinnlichen Gaben. Meine übersinnliche Veranlagung entspricht ihrer. Ich kann sie sogar noch verstärken. In einer Umgebung, in der wir eine große Anzahl von Zielen ohne Gefahr für Zivilisten zerstören könnten, wären wir beide gemeinsam als Waffe wahrscheinlich unschlagbar. Flame glaubt, Whitney hätte es absichtlich so eingerichtet, und jetzt lehnt er sich zurück und stellt uns auf die Probe.«

»Was meinst du dazu?«

»Ich weiß nicht mehr, was zum Teufel ich glauben soll. Es gab einen Scharfschützen in dieser Gruppe – mit einem äußerst fragwürdigen Hintergrund. Er gehörte nicht zu den anderen, er war ihnen von der Ausbildung her um Lichtjahre voraus. Keiner von ihnen hatte Papiere bei sich. Von ihm ließen sich keine Fingerabdrücke mehr nehmen – alles weggeätzt. Das ist verdammt viel Mühe, die sich keiner macht, um irgendeinen Flussschiffer im Ruhestand zu töten.« Er legte den Kopf schräg und lauschte. »Der Hubschrauber ist auf dem Weg hierher. Wem vertrauen wir, Ian?«

»Einander. Genau so, wie es immer war.«

»Warnen wir die anderen? Wir haben keine Fakten in der Hand, nichts weiter als reine Mutmaßungen.«

»Im Grunde genommen ist es ganz egal, ob das ein Übungseinsatz war oder ob etwas ganz anderes dahintersteckt«, sagte Ian. »Wenn die Möglichkeit besteht, dass Whitney noch am Leben ist, müssen die anderen es wissen. «

»Dann sollten sie aber auch wissen, dass nicht nur unsere übersinnlichen Anlagen verstärkt worden sind, sondern dass er uns auch körperlich weiterentwickelt hat.«

Ian nickte. »Den Verdacht hatte ich bereits. Ich habe nie geglaubt, die Fähigkeit, durch Wände hindurchzusehen, würde mir dabei helfen, über sie hinüberzuspringen. Aber die körperlichen Begleiterscheinungen schienen nichts weiter als ein zusätzlicher Pluspunkt zu sein.«

»Er hat bei Flame mehr als einmal Krebs ausgelöst, als sie noch ein Kind war. Die genetische Weiterentwicklung kann manchmal Krebs hervorrufen, und er wollte eine Möglichkeit finden, das zu vermeiden. Er hat sie wie eine Laborratte benutzt. Und, Ian …« Gator wartete, bis sein Freund ihn ansah. »Sie ist ebenso wenig zur Adoption freigegeben worden wie Dahlia. Sie sagt, falls es unter den Mädchen überhaupt welche gibt, die adoptiert wurden, dann waren es nur ein oder zwei von ihnen, was bedeutet, dass Whitney unwahre Geschichten hinterlassen und dafür gesorgt hat, dass Lily sie findet. Lily ist bereits sehr argwöhnisch.«

Ian stieß einen Pfiff aus. »Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, Peter Whitney könnte noch am Leben sein.«

»Ist dir klar, was das bedeuten würde? Er zerrt an unseren Fäden. Er manipuliert uns. Er benutzt uns weiterhin für seine Experimente, nur wissen wir es diesmal nicht.«

»Wir sind beim Militär, Gator. Es ist ja nicht so, als rechneten wir nicht damit, zu Kampfeinsätzen herangezogen zu werden. Deshalb haben wir doch der Steigerung unserer übersinnlichen Fähigkeiten überhaupt erst zugestimmt. Wir dachten alle, wir könnten die Verluste begrenzen und unserem Land bessere Dienste erweisen. Er könnte bei unseren Einsätzen einfach jemanden hinter uns herschicken, der dokumentiert, was wir tun. Es scheint mir übertrieben, dass er sich solche Mühe machen sollte, wie du es hier vermutest.«

»Nicht, wenn er sehen will, wie wir mit den Frauen zusammenarbeiten. Falls Whitney noch am Leben ist und geheime Experimente durchführt, indem er die Frauen dazu benutzt, uns in andere Positionen zu bringen, dann ändert sich dadurch alles. Dazu haben wir uns nicht freiwillig bereit erklärt, und das macht uns zu …« Er ließ seinen Satz abreißen, weil er nicht fähig war, das Wort tatsächlich auszusprechen, ohne dass Galle in seiner Kehle aufstieg. »Der Teufel soll diesen Schurken holen, Ian.«

»Ich bin kein verdammtes Opfer, falls es das ist, worauf du hinauswillst«, erwiderte Ian, und seine leuchtend grünen Augen wurden plötzlich hart.

»Ja, darauf will ich hinaus. Glaubst du, wir fühlen uns Lily, Dahlia, Flame und den anderen überlegen, weil wir selbst eine Wahl getroffen haben? Wir haben uns freiwillig zur Steigerung unserer übersinnlichen Fähigkeiten gemeldet. Bemitleiden wir sie?«

Ian machte den Mund auf und ließ ihn dann wieder zuklappen. »Von Überlegenheit würde ich nicht sprechen. Aber das mit dem Mitleid könnte wahr sein. Obwohl ich nicht begreife, wie jemand Flame bemitleiden könnte. Sie ist eine ausgesprochene Schönheit, und sie ist enorm gefährlich. Und teuflisch sexy.«

»Danke. Das brauchst du nie wieder zu sagen. Oder auch nur zu denken.« Gator atmete langsam aus. »Wir haben nie in körperliche Weiterentwicklungen eingewilligt, und wenn die Folgen auch noch so cool sind, bedeutet es doch auch, dass wir, genau wie Flame, Krebs bekommen könnten. Was wissen wir denn schon? Dieser Schurke könnte bei uns ebenfalls Krebs angelegt haben. Sowie er festgestellt hatte, dass die genetische Verbesserung eine Zellmutation anregen konnte, hat er die Mutation absichtlich herbeigeführt, um dahinterzukommen, was er dagegen tun kann. Auf die Weise hat er bei Flame Krebs ausgelöst und dann mehrfach dafür gesorgt, dass sich die Symptome partiell zurückbilden. Er hat sie behandelt wie eine Laborratte. Woher sollen wir wissen, dass er es bei uns nicht genauso gehandhabt hat?«

Ian fluchte leise. »Krebs? Ist das wahr, Gator?«

»Ja, es ist wahr. Lily glaubt, Flame könnte wieder erkranken. Whitney hat Viren als Trägermoleküle für die Genverbesserung benutzt. Manchmal hat die Weiterentwicklung eine Zelle stimuliert, von der man besser die Finger gelassen hätte, und schon war es passiert. Krebs. Lily kann all das natürlich viel besser erklären, aber im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass Whitney Flame vorsätzlich als medizinisches Forschungsobjekt benutzt hat.«

»Was ist mit Kindern?«, fragte Ian. »Woher wissen wir, dass wir nichts an sie weitervererben?«

»Genau darum geht es. Lily behauptet, das Gendoping sollte eigentlich nicht vererbbar sein, aber sie macht sich Sorgen.«

»Sie macht sich Sorgen, dass er zumindest an den Frauen experimentiert hat, weil er wissen wollte, ob es sich an die nächste Generation weitergeben lässt«, mutmaßte Ian. »Weil er sich diese Frage nämlich auch gestellt hätte. Und wie ich Whitney kenne, hätte er sich nicht zufriedengegeben, bis er die Antwort auf seine Frage hat.«

»Und das heißt, die Frauen mussten erwachsen werden und Partner finden«, sagte Gator. »Falls Whitney auch noch Experimente anderer Art durchgeführt hat, damit jede von ihnen in einem von uns ihren Partner findet, dann wäre er in einer glänzenden Position, um Antworten auf all seine Fragen zu erhalten.«

»Vorausgesetzt, er ist noch am Leben«, fügte Ian hinzu. »Genau. Vorausgesetzt, er ist noch am Leben.« Gator fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. »Dieser Scharfschütze war zu gut ausgebildet, um ein Zivilist wie die anderen zu sein. Ich schwöre es dir, Flames Theorie ist einleuchtender, als ich zugeben möchte.«

»Wie konnte Flame Whitney entkommen, wenn sie nicht zur Adoption freigegeben wurde? Und wann? Wie lange hat er sie festgehalten?«

Gator schüttelte den Kopf. »Sie hat sich mir noch nicht anvertraut. Sie glaubt, Whitney hätte mich geschickt, um sie zu ihm zurückzubringen.«

»Tja, das entspricht doch in gewisser Weise der Wahrheit, oder etwa nicht?«

»Nicht ganz.« Gator sah sich um. »Ich will nicht, dass sich das, was hier passiert ist, zu ihr zurückverfolgen lässt. Dann stünde sie auf einer weiteren Abschussliste.«

»In dem Fall müssen wir sichergehen, dass sie glauben, du hättest das Motorrad gefahren und du hättest die Messer geworfen und die Garrotte zum Einsatz gebracht. Wir müssen all ihre Spuren sorgfältig entfernen, und uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Während er sprach, hatte er sich wieder an die Arbeit gemacht. »Wenn sie nach ihr fahnden, Gator, und wenn sie auch nur den leisesten Verdacht haben, sie könnte hier gewesen sein, dann werden sie durch die Gegend kriechen und alles nach einer Strähne von ihrem Haar absuchen. Ich hinterlasse überall da, wo sie war, meine Fingerabdrücke und meine Fußspuren, aber du musst dir dieses Motorrad vornehmen und es komplett mit deinen Abdrücken überziehen. Jeder Laie käme dahinter, was sich hier abgespielt hat. Und sie werden Experten schicken.«

»Der Hubschrauber ist bereits gelandet.« Gator legte den Kopf schräg und lauschte. »Zwei von unseren Jungs, Kaden Montague und Tucker Addison, sind auf dem Weg hierher. Was könnten die beiden in dieser Gegend zu tun gehabt haben?« Er half Ian eilig dabei, alle Anzeichen zu verwischen, die darauf hinwiesen, dass Flame vor Ort gewesen war.

»Jetzt mach aber mal einen Punkt, Gator. Kaden und Tucker stehen auf unserer Seite. Du kannst sie nicht verdächtigen, an einer Verschwörung beteiligt zu sein.«

Gator sah Ian fest in die Augen. »Solange wir nicht wissen, was hier vorgeht, sollten wir vorsichtshalber gut aufpassen, was wir sagen.«

»Flame wird tierisch sauer sein, wenn sie erfährt, dass du Ansprüche auf dieses Motorrad erhebst«, warnte ihn Ian. »Wenn es um ihr Motorrad geht, versteht sie überhaupt keinen Spaß.«

»Sie wird sich damit abfinden müssen. Bis wir wissen, was hier wirklich geschieht, werde ich davon ausgehen, dass sie in Gefahr ist. Ob es Lily oder sonst jemandem passt – Flame ist ein Schattengänger und unserem Schutz unterstellt.«

Ian lachte, als er sich abwandte, um zu der kleinen Lichtung zu laufen, auf der der Hubschrauber gelandet war. »Das siehst du falsch, Gator. Diese Frau glaubt, du seist ihrem Schutz unterstellt. Sie wird dir Saures geben. Du nutzt den Umstand aus, dass Burrells Tod sie aus der Fassung gebracht hat. Wenn sie wieder in Form ist …«

»Du willst mir wohl Alpträume verursachen.« Gator richtete das Motorrad auf, was keine einfache Aufgabe war, da es halb im Schlamm begraben lag und das Vorderrad restlos verbogen war. Es würde nicht leicht sein, wahrscheinlich sogar ein Ding der Unmöglichkeit, die Tatsache, dass Flame hier gewesen war, vor Kaden und Tucker zu verbergen. Er hätte den beiden jederzeit sein eigenes Leben anvertraut, aber er war keineswegs sicher, ob er ihnen Flames Leben anvertrauen wollte. Er wusste nicht genau, wie er das Ian erklären sollte.

»Ich glaube, du steckst bis über beide Ohren drin«, warf Ian über seine Schulter zurück, während er sich entfernte und mit seinen langen Beinen schnell vorankam.

»Das ist eine Untertreibung«, gab Gator zu.

Er hob das Motorrad aus dem Morast und achtete erstmals wirklich auf die übermenschliche Muskelkraft, die in seinem Körper steckte. Er konnte doppelt so schnell und doppelt so lange laufen wie vor den Experimenten. Er konnte mühelos über unglaublich hohe Hindernisse springen, aber was ihn wirklich erstaunte, war seine enorme Kraft. Er kniete sich neben das Motorrad und sah es an, als untersuchte er das verzogene Fahrgestell und das Rad.

»Eine schöne Schweinerei«, sagte Kaden zur Begrüßung, als er näherkam. »Was zum Teufel ist hier vorgefallen, Gator? Es sieht so aus, als seist du auf die Jagd gegangen. « Sein scharfer Blick fiel jetzt schon auf die Spuren im Schlamm, die sich bereits mit Wasser füllten.

Kaden war bei den Sondereinheiten ausgebildet worden und hatte ein paar Jahre beim Militär gedient, war dann zum FBI gegangen und stand in dem Ruf, auch sehr komplizierte Mordfälle zu lösen. Er hatte sich freiwillig der paranormalen Einheit angeschlossen und war bereit gewesen, zusammen mit den anderen ein Zusatztraining zu absolvieren, als man an ihn herangetreten war. Es war allgemein bekannt, dass Kaden vor der Steigerung ihrer übersinnlichen Kräfte weitaus größere übersinnliche Anlagen besessen hatte als alle anderen Schattengänger.

»Vier Männer haben einen hiesigen Flussschiffer getötet, einen Kapitän im Ruhestand. Er war ein guter Freund von mir. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit. Sie haben ihn auf seiner Insel gejagt, ihn ermordet und seine Leiche einem der großen Alligatoren vorgeworfen. Vorher haben sie die Leiche beschwert, damit keiner sie findet. Dann haben sie sein Boot angezündet. Burrell war kein Unruhestifter, einfach nur ein netter Mann, der etwas viel Besseres als das verdient gehabt hätte.«

Kadens stahlblaue Augen lösten sich keinen Moment lang von Gators Gesicht. »Und du bist zufällig auf sie gestoßen? «

Gator nickte. »Ich war auf dem Weg zu seinem Hausboot und hatte gerade das Motorrad geparkt, als ich die Schüsse auf der Insel hörte.«

Kaden warf einen Blick auf den Jeep, der gegen den Baumstamm gefahren war, auf die Leiche des einen Mannes, dem ein Messer bis zum Heft in der Kehle steckte, und den Fahrer, der mit einer Drahtschlinge erwürgt worden war und dessen Waffe neben ihm lag. »Deine Wut ist mit dir durchgegangen, Gator.«

Hinter ihm schnaubte Tucker Addison. »Das würde ich als eine teuflische Untertreibung bezeichnen. Es ist der reinste Kriegsschauplatz. Und dein Motorrad ist auch nicht gerade gut dabei weggekommen.«

Gator rang sich nicht zu einem Lächeln durch. Ihm war nicht danach zumute. Seine Wut war tatsächlich mit ihm durchgegangen, und das war gefährlich. Und er war nicht der Einzige gewesen. Flame hatte sich Zurückhaltung auferlegt. Danach sah es zwar nicht aus, denn schließlich lagen vier Leichen im Sumpf, aber sie hätte in einem Radius von fünf Meilen alles dem Erdboden gleichmachen können, wenn sie nicht so diszipliniert gewesen wäre, sich ausschließlich auf die vier hinterhältigen Mörder zu konzentrieren.

Er senkte den Kopf, denn bevor er es verhindern konnte, bestürmte ihn die Erinnerung daran, wie er vor ewigen Zeiten tatsächlich in Wut geraten war und es ihm an Disziplin gefehlt hatte. Es traf ihn wie ein Hieb in die Magengrube, und Scham und Schuldbewusstsein schnürten ihm die Luft ab. Er musste sich von Kaden abwenden, dessen Augen nichts entging. Er konnte nie einem anderen Schattengänger ins Gesicht, ihnen nicht in die Augen sehen, wenn er sich an gewisse Ereignisse aus den Anfangszeiten seiner Ausbildung erinnerte. Er schlug die Tür zu, hinter der sich diese hässlichen Erinnerungen verbargen, wie er es sonst auch immer tat, doch er fragte sich, wie viele hässliche Erinnerungen Flame wohl haben mochte. Auch das verband sie miteinander.

Er dachte sich nichts dabei, als er seine Hand über den Sitz des Motorrads gleiten ließ. Er merkte es erst, als er fühlte, dass Kadens Blick der Bewegung folgte. Abrupt zog er seine Hand zurück. »Ich konnte sie nicht ungeschoren davonkommen lassen, Kaden. Sie haben fröhlich auf den Putz gehauen, und ich bin ihnen gefolgt. Wir haben gekämpft, und sie sind gestorben.«

»Das klingt alles sehr einleuchtend, meinst du nicht auch, Tucker?«, fragte Kaden.

Gator sah ihn finster an. »Sie hätten mich genauso gut umlegen können. Der kräftige Kerl dort drüben«, sagte er und wies mit dem Daumen auf den Scharfschützen, »hätte mich fast umgebracht.«

»Hast du versucht, sie festzunehmen?« Kaden starrte den Jeep und den Toten mit dem Messer in der Kehle an.

»Sie waren zu viert, und sie haben nicht gerade den Eindruck erweckt, als wollten sie sich ergeben.«

Kadens scharfer Blick glitt über ihn. »Wenn man ein Messer in der Kehle hat, ist es zu spät, um sich zu ergeben, das muss ich dir lassen. Warum sagst du mir nicht die Wahrheit? Was ist hier vorgefallen?«

»Warum wart ihr in New Orleans?«, entgegnete Gator. »Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass ihr euch von einem Einsatz erholt und eine Weile untertaucht.«

Die Spannung nahm beträchtlich zu. Der Regen strömte herab. Kadens blaue Augen wurden kälter und wirkten eher grau als blau. »Was zum Teufel geht hier vor, Gator?«

Tucker stellte sich neben Kaden; seine Gesichtszüge waren hart und unbeweglich. Ian veränderte seine Haltung, bis er Schulter an Schulter mit Gator war und sie den beiden anderen Schattengängern gegenüberstanden.

Kadens Handy läutete schrill. Er ließ es zweimal klingeln, bevor er es herauszog und es aufklappte. »Fass dich kurz. Ich habe gerade zu tun.«

»Sag mir, was dort draußen vorgeht, Kaden.« Lilys Stimme war deutlich zu verstehen. »Hat das irgendetwas mit Flame zu tun? Mit Iris Johnson?«

»Soweit ich weiß, ist Gator hergekommen, weil er Joy Chiasson finden wollte. Von dieser Johnson weiß ich nichts. Ich weiß nicht, ob es etwas mit Joys Verschwinden zu tun hat oder nicht, aber es sieht ganz so aus, als hätten vier Männer, darunter einer mit großem Geschick und eindeutig beim Militär ausgebildet, wahrscheinlich bei den Sondereinheiten, einen alten Mann ermordet, einen Freund von Gator. Darum geht es hier. Weißt du von jemandem, der hier unten im Einsatz ist, Lily?«

»Ich werde es herausfinden. Fehlt jemandem etwas?«

»Keinem von den Guten. Die Bösen sind ziemlich schlimm dran.« Kaden beendete das Gespräch, steckte sein Handy ein und sah Gator ins Gesicht. »Es geht um Flame, stimmt’s? Du hast sie gefunden.«

Wieder sank Stille auf sie herab, sodass der Regen, der auf sie herunterprasselte, lauter erschien. Gator zuckte die Achseln. »Sie ist hier, in New Orleans. Sie hat bei Burrell gewohnt, in seinem Hausboot.«

»Du glaubst, sie war diejenige, auf die sie es abgesehen hatten?« Tucker wies mit einer Geste auf die Toten. »Du glaubst nicht wirklich, dass jemand diese Männer hierher geschickt hat, um sie abzumurksen, oder? Wer könnte von ihr wissen? Wer könnte die Männer geschickt haben? Und warum sollte ein Mistkerl darunter sein, der so gut ausgebildet ist wie wir und dessen übersinnliche Anlagen wahrscheinlich ebenso sehr verstärkt worden sind wie unsere? «

»Du glaubst, dass Whitney noch am Leben ist«, sagte Kaden. Es war keine Frage, sondern eine klare Feststellung.

Gator schüttelte den Kopf, und ein humorloses Lächeln hob seine Mundwinkel. »Du bist wirklich gut, Kaden. Und du hast mich noch nicht mal berührt. Ja, ich glaube, der Halunke könnte unter Umständen noch am Leben sein. Und ich glaube, er könnte uns reingelegt haben, weil er sehen will, wie wir uns gemeinsam mit den Frauen, an denen er experimentiert hat, im Einsatz machen.«

Kaden zog die Stirn in Falten und dachte darüber nach. »Niemand hat seine Leiche gesehen. Ich vermute, es ist möglich. Er hätte Lily zum Narren halten können, um es so einzurichten, dass sie seine Arbeit für ihn weiterführt.« Er sah sich mit argwöhnischem Blick um. »Gator, du hast doch nicht etwa geglaubt, Tucker und ich würden für jemand anderen arbeiten, oder?«

Gator fuhr sich mit einer schlammigen Hand durch sein zerzaustes Haar. »Ich weiß selbst nicht mehr, was zum Teufel ich glaube und was nicht. Wem kann ich vertrauen, wenn ihr Leben auf dem Spiel steht? Lily will, dass sie zurückkommt, aber ich kann sie schließlich nicht zwingen, an einen Ort zurückzugehen, an dem sie nie etwas anderes als Schmerz und Leid erlebt hat. Sie traut Lily nicht.«

»Was ist mit dir, Gator? Traust du Lily?«

»Tja, das ist die Frage, nicht wahr?«