5
GATOR LEHNTE SICH auf seinem Stuhl zurück, streckte die Beine träge vor sich aus und trommelte mit den Fingern im Takt der Musik auf den Tisch. Das Trommeln ermöglichte es ihm, die Konzentration beizubehalten, wenn sich jeder Takt der lauten Musik und die Gesprächsfetzen anfühlten wie Nägel, die in seinen Schädel eingeschlagen wurden. Lange hielt er das nicht mehr aus. Und es nutzte ihm nicht einmal besonders viel. Es war ihm gelungen, zwei Gespräche aufzuschnappen, die sich um Joy drehten. Das erste wurde außerhalb der Hütte geführt, geflüsterte Worte des Zorns und der Verschwörung, die durch die Wände drangen – Brüder und Freunde sannen auf Rache. In dem zweiten Gespräch hatten zwei Frauen sie beiläufig erwähnt, während sie einander daran erinnerten, ihre Getränke bloß keinen Moment lang aus den Augen zu lassen.
Er rieb sich die Schläfen und spürte, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Sogar sein Haar war ein wenig feucht von der Anstrengung, die Kakophonie in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Lily hatte recht gehabt, als sie gesagt hatte, wenn man Gespräche aus der Ferne und sogar durch Wände belauschen wollte, bestünde der Trick darin, dass man fähig war, die große Masse der Geräusche auszusortieren. Ihm platzte fast der Schädel. Sogar seine Zähne taten weh. Er musste sich dringend an einen stillen und friedlichen Ort begeben, irgendwohin, wo er allein der Stille der Nacht lauschen konnte. Er versuchte, die Geräusche zu unterdrücken, die ihn von allen Seiten bedrängten, aber keine der üblichen Methoden funktionierte. Er schöpfte tief aus seinem Innern und unternahm eine letzte Anstrengung, die zahllosen Stimmen um ihn herum zum Verstummen zu bringen und in seinem Geist die Stille zu finden, die seine einzig sichere Zuflucht war, aber nichts konnte verhindern, dass der Lärm auf sein Gehirn einstürmte.
Sein Magen hob sich. Die Reizüberflutung nahm bedrohliche Ausmaße an. Es war ein Fehler, sich derartige Strapazen zuzumuten, eine große Dummheit, die er schon lange nicht mehr begangen hatte, seit den Anfangszeiten nicht mehr, als seine übersinnlichen Fähigkeiten gesteigert worden waren. Er würde den Club so schnell wie möglich verlassen müssen. Er warf einen Blick auf seinen Bruder, der bereits eine hübsche Frau an die Bar führte. Neben ihm schmiss Ian gemeinsam mit allen anderen Erdnussschalen auf den Boden und lachte dabei. Keiner von beiden schien Gators brenzlige Lage bemerkt zu haben. Als er sich gerade mühsam erhob, ging die Tür auf, und Flame Johnson kam herein.
Sie wiegte sich beim Gehen. Gator ließ sich wieder auf den Stuhl sinken, glitt tiefer in seinen verborgenen Winkel und in die Schatten hinein und sog sie mit Blicken in sich auf. Sie war wunderschön und sexy. Zu sexy. Augenblicklich nahm er die anderen Männer bewusst wahr, und ihm fiel auf, wie ihre glühenden Blicke auf Flames Körper ruhten und über ihre weichen Rundungen glitten. Ihr Kleid schmiegte sich an ihre zarte Haut, als sie sich durch den Raum voranbewegte, und soweit er das sagen konnte, sah es nicht so aus, als hätte sie etwas darunter.
Gator bemühte sich einzuatmen, aber die vorhandene Luft schien nicht ausreichend zu sein. Flame riss ihren Kopf so abrupt herum, als ob sie Radar hätte, und sah ihm über die Menge hinweg direkt in die Augen. Einen Moment lang waren sie die beiden einzigen Menschen im Raum. Sie runzelte die Stirn, ließ ihren Blick ganz langsam über ihn gleiten und nahm den dünnen Schweißfilm auf seiner Haut und die Feuchtigkeit in seinem gelockten Haar wahr. Ihr Blick drang tief unter sein unbeschwertes Lächeln. Augenblicklich ließ der Lärm nach, und er vernahm einen leisen, beschwichtigenden Summton in seinem Innern. Das Pochen seines Schädels wurde schwächer, und gleichzeitig beruhigte sich sein Magen. Sie wandte sich ab und sprach angeregt mit Thibodeaux.
Gator saß ganz still da und spürte die erste überraschende Woge von unglaublicher Eifersucht. Diese Empfindung war ihm bisher vollkommen fremd gewesen, aber er erkannte das Gefühl sofort als das, was es war. Seine Aufmerksamkeit fokussierte sich, bis nur noch Flame vorhanden war. Er konnte bei der schummerigen Beleuchtung die kleinsten Einzelheiten sehen und ihren Duft inmitten des dichten Gedränges von Leibern einatmen. All seine Sinne waren geschärft, so akut geschärft wie nie zuvor, ein Gefühl, das er niemals vergessen würde. Er saß auf seinem Stuhl und konnte die heftige Reaktion seines Körpers genauso wenig beherrschen wie seine Gefühle – und das war für einen Mann wie Gator sehr gefährlich.
Seine Kopfschmerzen waren verflogen, und das hatte er Flame zu verdanken. Weshalb hätte sie ihm helfen sollen? Fühlte sie sich etwa gegen ihren Willen ebenso heftig von ihm angezogen wie er sich von ihr? Er hoffte es. Er hoffte, dass er mit seinem Verlangen, sie zu sehen, nicht allein dastand.
Flame stieg die eine Stufe zur Bühne hinauf. Thibodeaux sah das Huracan aufgrund des perfekt gestimmten Klaviers, das er besaß, als einen der gehobeneren Blues Clubs an. Das Instrument stand inmitten von Chaos und Erdnussschalen und schillerte wie schwarzer Obsidian, auf Hochglanz poliert und mit weißen Elfenbeintasten, der Schrein, den er für seine heiß geliebte Musik errichtet hatte. Kein Gast berührte jemals das Klavier, nur die Musiker. Das war eine stillschweigende Übereinkunft, die jedoch von keinem missachtet wurde. Thibodeaux trug den Baseballschläger nicht grundlos mit sich herum, und der Grund waren nicht die zahllosen Raufereien, die hier ausbrachen. Der Schläger diente zum Schutze des Klaviers.
Flame ging schnurstracks auf das Klavier zu, als sei es ihr Eigentum. Sie sah aus wie eine elegante, vornehme Dame, als sie sich auf den Klavierhocker setzte. Ihre Finger schwebten über den Tasten, und der asymmetrische Saum ihres Kleides lag über ihren wohlgeformten Beinen. Thibodeaux lungerte besorgt in der Nähe herum, hielt den Schläger in seinen fleischigen Händen und ließ Flame nicht aus den Augen, als die ersten Töne erklangen.
Ihre Stimme war leise und betörend. Sie schlich sich in Gators Gemüt ein und schlug ihn in eine Art Bann. Die ersten Worte ihres Songs sanken in sein Herz und in seine Seele, schlangen sich eng um ihn und zerquetschten seine Eingeweide, sodass ihr Song ihm ganz persönlich und nur ihm ganz allein galt. Alle anderen waren in weiter Ferne versunken. Es gab keinen anderen Mann auf Erden. Sogar der Raum zog sich zurück, sodass sie genau da waren, wohin sie seine Phantasie verschlug.
Er konnte fast spüren, wie zart ihre Haut war, während ihre Stimme ihn anlockte, ihn zu sich rief, ihn in einem Netz sexuellen Verlangens und sinnlicher Stimulation gefangen nahm. Ein Song ging in den nächsten über, rauchige Klänge, die ihn in Phantasiewelten entführten und ihn innerlich um verlorene Liebe und verpasste Gelegenheiten weinen ließen. Es kostete ihn Mühe, seine Gehirntätigkeit aufrechtzuerhalten, wenn er sich nichts anderes wünschte, als sie an einen Ort zu tragen, an dem sie miteinander allein sein konnten.
Sein Verstand schien träge zu sein und mit stark verlangsamtem Tempo zu arbeiten, und genau das bereitete ihm Sorgen. Es leuchtete ihm nicht ein, warum er den Kopf nicht umdrehen und seinen Bruder ansehen konnte, um dessen Reaktion auf sie zu beobachten. Stattdessen konnte er nur gebannt die Frau anstarren, die Klavier spielte. Er sah die Seide ihres roten Haares, einzelne Haarsträhnen, die darum baten, berührt zu werden. Ihre Haut schimmerte, unbeschreiblich zart und einladend. Ihr Hals war schmal und entblößt, wenn sie den Kopf umdrehte, und das trieb ihn an den Rand des Wahnsinns. Er konnte an nichts anderes mehr denken als daran, seinen Mund auf ihren Hals zu pressen und seine Lippen von dort aus weiterwandern zu lassen, sie zu erkunden und sich in der Sinnlichkeit ihres Körpers zu verlieren.
Eine Melodie ging nahtlos in die nächste über, während er um seine Selbstbeherrschung rang. Seine Jeans saß so eng, dass er fürchtete, sie zu sprengen, und sein schmerzender, pochender Körper spannte sich bis zum Zerreißen. Am Ende nahm er Zuflucht zu seinem alten Trick und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch, trommelte einen Rhythmus, auf den er sich konzentrieren konnte. Fast sofort erkannte er, wie viel Macht ihre Stimme besaß. Flame zog die Menschen mit ihrer unglaublichen sinnlichen Stimme nicht nur in ihren Bann, sondern hypnotisierte ihr Publikum mit ihrer Musik, und er war gemeinsam mit allen anderen in die Falle gegangen.
Er sah sich behutsam um. Niemand rührte sich. Niemand trank. Alle Augen waren auf sie gerichtet, und jeder war der Verführung ihrer rauchigen, erotischen Stimme erlegen und restlos verzaubert. Sie sah die Leute nicht an, fing keine Blicke auf und flirtete auch nicht. Sie war schlicht und einfach über das Klavier gebeugt und ließ sich von der Musik und dem Gesang willig davontragen. Ihr Publikum wurde gemeinsam mit ihr in eine Welt von erotischen Nächten zwischen Satinbettwäsche versetzt. Er fühlte sie auf seiner Haut, Finger, die streichelten und neckten, ihr Mund seidenweich und glühend heiß …
Gator schüttelte energisch den Kopf und versprach sich davon, wieder klar denken zu können. Sie besaß eine ganz erstaunliche Gabe, von deren Macht sich garantiert niemand eine Vorstellung machte, noch nicht einmal Whitney. Was hätte dieser Forscher getan, wenn er gewusst hätte, dass sie ein Publikum derart gefangen nehmen konnte? Gator war sich der hypnotischen Wirkung ihrer Stimme bewusst und musste dennoch aktiv dagegen ankämpfen. Er trommelte fester mit den Fingern auf die Tischplatte und zählte in Gedanken den Takt mit, um sich nicht in ihrer Stimme zu verlieren. Das würde Lily interessieren. Sie führte einige Verträge mit der Regierung weiter und hatte außerdem Zugang zur höchsten Sicherheitsstufe, und die Regierung würde ganz entschieden wissen wollen, was Flame mit ihrer Gabe bewirken konnte und was nicht. Es war kein Wunder, dass irgendwo auf einem Computer Alarm ausgelöst wurde, weil man zu überwachen versuchte, wo sie sich aufhielt und mit wem sie zu tun hatte.
Was würde dann aus ihm werden? Er rieb sich die Schläfen und summte vor sich hin, um nicht in ihrer Stimme zu ertrinken. Er besaß dieselben Gaben, dieselben Fähigkeiten. Wenn das erst einmal bekannt wurde, wie sehr würde er dann zum Versuchskaninchen werden? Und wenn etwas über die früheren Experimente an ihm herauskam, wenn die Regierung – oder Lily – dahinterkam, was würden sie dann mit ihm tun? Wahrscheinlich würden sie ihn Seite an Seite mit Flame irgendwo in einen Käfig sperren.
Die letzten Töne der Musik verklangen. Ihre betörende Stimme erstarb, und die Gäste im Club begannen sich wieder zu rühren. Gläser klapperten, Stimmen erhoben sich, Füße scharrten, und auch das unvermeidliche Krachen von Erdnussschalen blieb nicht aus. Flame erhob sich anmutig und lächelte der Band zu. »Ich habe Durst, möchte einer von euch etwas trinken?«
»Oh, Baby«, rief ein Mann, »ich habe etwas zu trinken für dich.«
Flame drehte den Kopf um, und ihr Blick glitt mit gelangweilter Duldsamkeit über den Zwischenrufer. »Wie nett. Aber daraus wird nichts.« Sie wandte sich wieder der Band zu, doch Gator fiel auf, dass sie sich verteidigungsbereit hielt und, obwohl sie den Kopf abgewandt hatte, aus dem Augenwinkel beobachtete, wie es weiterging.
Gator erkannte Vicq Comeaux, der aus einer großen Familie stammte und viele Brüder und Cousins hatte, mit denen er und seine Brüder schon getrunken und gerauft hatten, seit sie etwa vierzehn Jahre alt gewesen waren.
Vicq rief eine weitere obszöne Bemerkung und stieß sich einen Weg durch die Menge, bis er direkt vor der Bühne stand. Etwas Finsteres und Gefährliches regte sich tief in Gators Eingeweiden. Vollkommene Stille senkte sich auf ihn herab. Seine Welt verengte sich zu einem Tunnel, bis nur noch der Neuankömmling, er und der rote Schleier der Wut, die ihn antrieb, übrig waren. Der Rest der Menge verschwand. Er stand mit einer einzigen gelenkigen Bewegung auf, die ihn auf den Zwischenrufer zuschießen ließ.
»Gator …« Wyatt trat ihm in den Weg und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. »Du willst dich nicht auf eine Schlägerei einlassen, damit ich Grandmère anschließend erklären muss, was passiert ist. Sie wird glauben, ich hätte damit angefangen.«
Gator schüttelte die Hand ab, ging um seinen Bruder herum und stieß Ians kräftige Gestalt aus dem Weg, als er auf die Band zuging. Die Menschenmenge teilte sich vor ihm, bis er direkt hinter Vicq Comeaux stand.
»Ich glaube nicht, dass du noch etwas zu meiner Frau sagen willst«, sagte er. Seine Stimme war gesenkt und nahezu sanft. »Kein weiteres Wort. Und wenn du doch noch etwas zu sagen hast, dann richtest du es an mich.«
Augenblicklich trat Stille ein. Die Musik kam ins Stocken, denn die Musiker ließen ihre Instrumente sinken, und Flame wandte sich ihm zu. Gator nahm die Bewegung kaum wahr. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem Mann in dem roten Hemd und den Cowboystiefeln.
»Er ist betrunken, Gator«, sagte Louis Comeaux hastig und sprang auf, um seinen Cousin zu verteidigen. »Vicq hat es nicht so gemeint.«
»Sie sieht zum Anbeißen aus«, sagte Vicq. Er ignorierte die Männer und trat auf das kleine hölzerne Podest, das eine Stufe erhöht war, um die Band vom Rest der ungebärdigen Menge abzugrenzen. »Ich bin hungrig, Baby. Komm zu Daddy.« Er streckte eine Hand aus und wollte sie um Flames nacktes Bein schlingen.
Das Geräusch, mit dem Fleisch auf Fleisch traf, hallte laut durch die Stille, als Gator Vicqs Arm packte, um zu verhindern, dass er Flame berührte. Gators Hand umklammerte Vicqs Handgelenk wie ein Schraubstock und riss den Mann mit einem Ruck vom Podest und fort von der Sängerin. »Ich vermute, du hast nicht gehört, was ich gesagt habe.« Er stieß die Worte durch zusammengebissene Zähne hervor. »Wenn du so weitermachst, wirst du an die Alligatoren verfüttert. Lass meine Frau in Ruhe. Sieh sie nicht an. Sprich nicht mit ihr und denke nicht an sie. Ich werde dich in Stücke reißen, hast du verstanden, was ich sage?«
Vicqs erste Reaktion war offensichtlich der Wunsch nach einer Schlägerei, doch etwas in Gators Gesicht musste ihn abgeschreckt haben. Er scharrte mit den Füßen, sah sich nach seinem Cousin um und war plötzlich viel nüchterner als noch vor wenigen Minuten.
»Gator.« Delmar Thibodeaux schlich sich mit dem Baseballschläger in der Hand an. »Wir wollen keinen Ärger. Nicht mit dir.«
Gator würdigte ihn keines Blickes, sondern konzentrierte weiterhin seine gesamte Aufmerksamkeit auf Vicq. »Es wird keinen Ärger geben, Del, es sei denn, Vicq vergisst, sich bei meiner Frau für seine große Klappe zu entschuldigen. Ich kann ziemlich unangenehm werden, wenn jemand so mit ihr spricht. Sobald er sich bei ihr entschuldigt hat, kann er es sich aussuchen: Entweder er setzt sich ruhig hin und genießt die Musik, und ich gebe ihm ein Getränk aus, oder er kann gehen, und wir sagen Schwamm drüber.« Er hatte seine Stimme nicht erhoben, aber sie war tragend und im ganzen Gebäude zu vernehmen.
Flame stellte fest, dass sie den Atem anhielt. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wurde derart von Gator und Vicq in Anspruch genommen, dass keinem auffiel, wie sich die Wände des Clubs ausdehnten und zusammenzogen, als atmeten sie. Sie bemerkten auch nicht die Vibrationen, die durch die hölzernen Planken hallten, oder die Erdnussschalen, die auf dem Boden hüpften. Sie sah, wie sich in dem Spiegel hinter dem Tresen ein kleiner Riss bildete. Alles würde in Windeseile vor die Hunde gehen, wenn nicht etwas – oder jemand – Gator Einhalt gebot.
Sie drängte sich an Vicq vorbei und schlang Gator einen Arm um den Hals. Er sah sie nicht an und ließ den Blickkontakt mit Vicq nicht abreißen. Der Fußboden zitterte mittlerweile stark genug für ein kleineres Erdbeben. In ihrer Verzweiflung umschlang Flame Gators Hals mit beiden Armen, schmiegte sich an ihn und küsste ihn auf den Mund. Es sollte dazu dienen, seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, nichts weiter. Nur eine kleine Ablenkung.
Elektrizität knisterte und ließ zwischen seiner und ihrer Haut Funken sprühen. Sein Mund war glühend heiß und sexy, und seine Arme hoben sich und hielten sie gefangen. Er presste sie noch enger an sich, sodass sein Körper sich ihrem Körper aufprägte. Seine Kraft war enorm. Er riss die Kontrolle über den Kuss an sich und wusste verdammt genau, was er tat. Feuer schoss durch ihre Adern, strömte in ihren Bauch und führte dazu, dass ihr Körper sich anspannte. Ihre Brustwarzen stellten sich auf, und sie spürte tatsächlich, wie sich ihr Schoß zusammenzog.
Sie zwang sich dazu, sich von ihm loszureißen, bevor es zu spät war, aber sie musste sich trotzdem an ihn klammern wie ein Groupie, dem die Knie weich wurden. Flame rieb sich den Mund und sah ihn finster an, weil er sie ausgenutzt hatte. Er wusste, dass sein Kuss nicht ohne Wirkung auf sie geblieben war; sie konnte es an seinem vielsagenden Grinsen und dem tückischen Glitzern in seinen dunklen Augen erkennen.
Gator ließ seine Hände besitzergreifend über ihren Brustkorb und von dort aus auf ihre Hüften gleiten. Dann beugte er sich hinunter und drückte Küsse auf ihren Bauch.
» Cher. Wie geht es mon enfant heute Abend?« Seine Stimme war so zärtlich, als sei er ihr liebevoll zugetan. Durch den dünnen Stoff ihres Kleides fühlte sich sein Atem warm an, und seine Küsse hatten etwas unglaublich Intimes. »Du machst ta mère doch keinen Ärger, oder?« Seine geflüsterten Worte schlüpften unter ihre Haut, schlangen sich um ihr Herz und drückten fest zu.
Flame erstarrte. Eine solche Unverschämtheit! Sie hatte ihn gerettet. Ihn gerettet, den undankbaren Kotzbrocken! Und er betatschte sie vor dem gesamten Club. Niemand würde es wagen, sich ihr zu nähern, solange er da war. Es war klar und deutlich zu erkennen, dass nicht einmal der berüchtigte Delmar Thibodeaux mit seinem albernen Baseballschläger Raoul Fontenot in die Quere kommen würde.
Sie packte eine Handvoll von seinem seidigen schwarzen Haar und riss seinen Kopf hoch. »Was bildest du dir eigentlich ein?«
Er griff nach ihrer Hand, bog ihre Finger auf und drückte einen weiteren Kuss mitten auf ihre Handfläche. »Ich rede mit unserem Baby, Cher. Die Ärzte sagen, Babys können schon früh hören. Ich möchte, dass der Kleine den Klang der Stimme seines Vaters kennenlernt.«
Sie schloss kurz die Augen und zählte bis zehn. In der Bar wurde wieder geplaudert, als Louis Comeaux seinen Cousin fortzog. Thibodeaux stellte sich wieder hinter den Tresen, und die Band machte Pause. Sofort plärrte die Jukebox los. Ihr fiel auf, dass alle hämisch grinsten. Gator war wieder gut angeschrieben. Nach den Gesetzen des Bayou war es sein volles Recht, sein Eigentum zu beschützen.
»Komm mit mir nach draußen«, verlangte Flame.
Gator grinste sie an, ohne sie aus seinen dunklen Augen zu lassen. »Ich folge dir überallhin, aber am liebsten in die Nacht hinaus.« Er erhob die Stimme und rief seinem Bruder zu: »Wyatt, ich verschwinde jetzt mit mon amour. Wir sehen uns dann später wieder.« Seine Finger legten sich wie eine Fessel um ihr Handgelenk, als sie auf die Tür zuging. »Bleib dicht an meiner Seite.«
Flame warf ihm einen gehässigen Blick zu. »Glaube bloß nicht, du könntest mich herumkommandieren.«
»Du hast mich aufgefordert, mit dir rauszugehen, Cher.« Er stieß die Tür auf, hielt aber weiterhin ihr Handgelenk fest. »Und ich komme deinem Wunsch nach.«
Er war stark. Sie hätte davon ausgehen müssen, dass jemand, der auf sie angesetzt wurde, mindestens eine verbesserte Muskelmasse haben würde. Körperlich war er blendend in Form. Wenn er sie in seinen Armen hielt, kam es ihr vor, als presste sich Eisen, das nicht eine Spur nachgab, an sie. Flame atmete langsam aus und versuchte, ihre Wut hinunterzuschlucken, während sie sich weiter von dem Licht und von der Möglichkeit entfernten, belauscht zu werden.
»Du kannst mich jetzt loslassen.«
»Ganz so weit sind wir noch nicht.« Seine freie Hand glitt an ihrem Rücken hinunter, über ihren Hintern und noch tiefer, auf ihre Oberschenkel. Er stieß den Saum ihres Kleides hoch, und seine Handfläche glitt über ihr nacktes Hinterteil und fand den schmalen Streifen Spitze, der zwischen ihren Pobacken verschwand. Seine Hand glitt noch tiefer, zwischen ihre Beine und auf die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Sie streifte über die zarte Haut, bis er die lederne Scheide des Messers fand. Aufgrund der ungleichmäßigen Länge des Kleides war sie hoch oben an ihrem Schenkel angebracht, und als er sie entfernte, streiften seine Knöchel mehrfach die empfindlichste intime Stelle zwischen ihren Beinen.
Flame biss die Zähne zusammen und weigerte sich, die Schockwellen anzuerkennen, die bei jeder federleichten Berührung durch ihren Körper zuckten. »Hat es dir Spaß gemacht?«
»Mehr, als du jemals wissen wirst.« Er stieß das Messer in eine kurze Lederscheide, die an seinem eigenen Gürtel hing. »Meine Großmutter erwartet dich morgen zum Tee. Ich habe ihr gesagt, ich brächte dich zu ihr.«
»Ich will mein Motorrad wiederhaben.«
»In dem Fall vermute ich, du wirst zum Tee kommen, oder etwa nicht?« Sein Grinsen wurde breiter. »Du bist äußerst geschickt darin, dich in brenzlige Lagen zu bringen, Cher.«
»Falls du von diesem betrunkenen Idioten sprichst – mit dem wäre ich fertig geworden. Ich arbeite. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass du sämtliche Männer vergraulst. «
Seine schwarzen Augenbrauen schossen in die Höhe. »Du arbeitest? Woran arbeitest du?«
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »Es geht dich nichts an, was ich tue. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ich es nicht gebrauchen kann, wenn du die Männer abschreckst.«
»Es genügt wohl, wenn ich sage, dass du mit mir verlobt und von mir schwanger bist. Das wird sich bis zum frühen Morgen im ganzen Bayou herumgesprochen haben. Kein anderer Mann wird in deine Nähe kommen, ohne dass ich ihm den Kopf abreiße und alle der Meinung sind, das sei mein Recht.«
»All das hast du den Leuten gesagt.«
»Ich habe die Neuigkeit bekannt gegeben«, stimmte er ihr selbstgefällig zu.
»Wirst du jetzt endlich aufhören? Das ist nicht komisch! Du weißt verdammt gut, dass ich nicht schwanger bin und dass wir nicht verlobt sind. Hör also auf, dich wie ein Neandertaler zu benehmen.«
»Oh, da bin ich aber ganz anderer Meinung, Cher. Meine Großmutter glaubt felsenfest daran, dass du mein Kind austrägst.« Seine Handfläche glitt über ihren Bauch. Es war nichts als eine federleichte Berührung, die ihren Puls dennoch rasen ließ. »Sie besteht darauf, dass ich das einzig Richtige tue und dich heirate, und ich habe ihr gesagt, das täte ich selbstverständlich. Wir sind also offiziell verlobt.«
Ein aufgebrachter Laut entrang sich ihr. »Sieh mal. Sei vernünftig. Ich weiß, dass du einen klitzekleinen Grund haben könntest, dich über das Messer an deiner Kehle neulich zu ärgern, obwohl du mir mein Motorrad gestohlen hast, aber ich kann deiner Großmutter alles erklären …«
Er schüttelte den Kopf. »Sie hat ein Herzleiden. Ich will nicht, dass sie sich in irgendeiner Weise aufregt. Du hättest an die Folgen denken müssen, bevor du eine derart krasse Lüge in Umlauf setzt. Meine Großmutter legt enormen Wert auf Familie und Tradition. Es brächte sie um, wenn ich mich vor meiner Verantwortung drücken würde, insbesondere dann, wenn es um ein Kind geht. Und du musst die Verantwortung für deine Lüge auf dich nehmen. Du hast einer älteren Frau mit einem Herzleiden etwas Schlimmes über ihren Enkelsohn erzählt. Sie will diese Angelegenheit bereinigt wissen.«
Flame stieß zischend ihren Atem aus. »Jetzt hör mir mal gut zu, du Schwachkopf. Das hast du dir selbst zuzuschreiben und nicht mir. Ich wollte lediglich mein Motorrad wiederhaben. Du hättest es mir überlassen sollen.«
Er warf einen Blick auf das Sumpfboot, das unter den Transportmitteln der Gäste des Huracan eine relative Seltenheit darstellte. »Ist das dein Gefährt?«
»Ja, und ich habe es nicht gestohlen.«
»Nein, nur das Geld, von dem du es gekauft hast.« Er nahm ihren Arm und stieß sie näher an den Rand des Bootsstegs. »Lass uns aufbrechen.«
Sie widersetzte sich, machte aber einen Schritt auf das Boot zu, nicht etwa, um ihm zu gehorchen, sondern, um seinen Berührungen auszuweichen. »Ich gehe nirgendwohin mit dir, es sei denn, du gibst mir mein Messer wieder.«
»Um Gottes willen, jetzt steig schon in das verdammte Boot.« Seine Hände gruben sich in ihre Taille, als er sie hochhob und sie in das Sumpfboot warf. »Wenn ich vorhätte, dich zu töten, Flame, dann wärst du bereits tot.«
Sie sah ihn finster an und rieb sich ihre Seiten, in die sich seine Finger gebohrt hatten. »So gut, wie du glaubst, bist du nun auch wieder nicht.«
»Oh, doch, das bin ich, und ich weiß es.« Er bedrängte sie vorsätzlich und trat so dicht an sie heran, dass er ihr schwaches Parfum riechen konnte. Er wusste, was sie tun würde, und sie tat es – sie wich vor ihm zurück und überließ ihm damit die Kontrolle über das Sumpfboot.
Sie hielt Abstand zu ihm und ließ ihn nicht aus den Augen, als er sie in den Bayou hinausbeförderte. »Du kannst beruhigt sein, Flame. Ich kann dich nicht einfach umbringen und deine Leiche in den Bayou werfen, auch wenn ich die Vorstellung noch so verlockend fände. Meine Großmutter steht für mich an erster Stelle, und sie möchte dich morgen sehen. Ich habe ihr versprochen, dich zu ihr zu bringen.«
»Warum?«
Ihm war bewusst, dass sie ganz genau auf seine Stimme achtete. Geräusche waren ihre Welt, und sie waren auch ihr entscheidendster Verbündeter. Er konnte Schallwellen manipulieren und exakt die benötigten Klänge in seine Stimme einfließen lassen, um andere von seiner absoluten Aufrichtigkeit zu überzeugen – nur Flame könnte möglicherweise eine Ausnahme darstellen. Er war nicht sicher, wie er ihr antworten sollte, da er die Wahrheit selbst nicht kannte.
Seine Großmutter wollte sie wiedersehen. Nonny war gerissen. Wahrscheinlich hatte sie keinen Moment lang geglaubt, dass Flame schwanger war, aber es passte ihr gut in den Kram, sie alle glauben zu lassen, sie täte es. Sie verlangte von ihm, dass er Flame noch einmal nach Hause mitbrachte. Außerdem wollte sie, dass er sich endgültig festlegte und ihr versprach, »die Dinge in Ordnung zu bringen«. Er hatte keine Ahnung, was sie ausheckte, aber er respektierte ihr Urteil. Außerdem war ihm klar geworden, dass Flame ihn niemals ohne guten Grund nah an sich heranlassen würde.
»Trotz allem, was du von mir halten könntest, Cher, liebe ich meine Großmutter. Wenn sie dich besser kennenlernen will, dann bringe ich dich eben zu ihr.«
So hätte er sich nicht ausdrücken dürfen. Gator konnte es ihr augenblicklich ansehen. Ihre Augen funkelten ihn erbost an, und er sah sie aufbrausen, bevor sie das Gesicht abwandte und offensichtlich um ihre Selbstbeherrschung rang. Sie förderte seine schlechtesten Eigenschaften zutage – das Bedürfnis, andere zu dominieren, und das Verlangen, sich ihrer zu bemächtigen und sie zu beherrschen, genau die Charakterzüge, die er im Allgemeinen geheim hielt. Er war nicht der gelassene, umgängliche Mann, den er vor aller Augen darstellte, und Flame bekam den echten Raoul zu sehen, nicht denjenigen, als den er sich normalerweise ausgab. Es war nicht so, als könnte er diese Worte zurücknehmen. Außerdem meinte er sie ernst, verdammt noch mal. Er würde sie mit nach Hause bringen, auf die eine oder andere Weise.
»Für dich ist nur das Beste gut genug, stimmt’s, Flame?« Er ließ echte Bewunderung in seine Stimme einfließen. »Das ist ein hübsches Boot. Was für eine Art Motor hat es?« Ihm war alles recht, um das Thema zu wechseln, und nach ihrem Motorrad zu urteilen, kannte sich die Frau mit guten Maschinen aus und wusste sie zu schätzen.
»Einen sehr starken V8-Motor«, antwortete sie. Ihre Augen leuchteten sofort, und sie ließ ihre Hand über den Sitz gleiten. »In seichtem Wasser und an Land läuft er wie geschmiert. Schnell ist er obendrein, und er kann sogar Lasten ziehen und ist ungeheuer wendig.«
Er ergriff die Gelegenheit, das Boot schnell durch den schmalen Wasserlauf und in offeneres Gewässer zu steuern. Keiner von beiden sagte etwas, während er das Sumpfboot auf Herz und Nieren prüfte und vorsätzlich scharf im rechten Winkel abbog, um Flame Zeit zu geben, sich in seiner Gegenwart zu entspannen. Sie war wie geschaffen für das Boot, ein echtes Naturtalent, und er war sicher, dass es sich mit ihr und dem Motorrad genauso verhielt. »Du magst Spielzeuge.«
Aus irgendwelchen Gründen, vielleicht weil er seine Stimme senkte und einen Hauch von Sinnlichkeit einfließen ließ, errötete sie und senkte den Blick. Augenblicklich wurde ihm die Spannung bewusst, die zwischen ihnen in der Luft hing. Sein Körper schmerzte immer noch, und es war ein Wunder, dass er überhaupt laufen konnte. Es war keineswegs erstaunlich, dass Vicq Comeaux Annäherungsversuche gemacht hatte. Ihn überraschte nur, dass kein Tumult ausgebrochen war.
»Worauf sollte das eigentlich alles hinauslaufen?«
»Wie bitte?« Sie neigte den Kopf mit einer Spur von Hochmut zur Seite, die Prinzessin und der Bauer.
»In dem Club heute Abend. Worauf sollte all das hinauslaufen? « Er bemühte sich, nicht wütend zu werden. Und auch nicht eifersüchtig. Worauf zum Teufel hätte er schon eifersüchtig sein können? Aber er konnte ihr nur raten, dass sie es nicht darauf abgesehen hatte, einen Mann nach Hause mitzunehmen.
»Ist das deine Angelegenheit?«
»Ich habe es zu meiner Angelegenheit gemacht, und daher wirst du jetzt so tun, als ginge es mich etwas an, und mir antworten. Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, wie gefährlich das war? Was wäre gewesen, wenn diese Männer außer Rand und Band geraten wären? Es hätte ein Tumult ausbrechen können, und, offen gesagt, Cher, ich hätte es den Männern nicht verübelt.« Er strich lässig mit einer Hand über seinen Reißverschluss, um ihr zu zeigen, was er meinte. »Ich spüre die Wirkung immer noch, und das, obwohl ich wusste, dass dein Gesang, deine Stimme, eine Waffe ist.«
Ihre Röte wurde tiefer. »So stark war es bisher noch nie. Das war deine Schuld. Du hast meine Kraft verstärkt.«
»Nein, eben nicht. Wage es nicht, mir die Schuld an dieser kleinen Vorführung deines Könnens zuzuschieben. Du hast vorsätzlich Männer angelockt, und die Wirkung war durchschlagend.«
»Ich sage es dir doch, das war nicht nur ich allein. Ich kann alle …« Sie zögerte und suchte nach dem richtigen Wort. »Ich kann alle in einen Bann schlagen. Ich kann Menschen beschwichtigen, und ich kann sie anlocken, aber so wie heute ist es bisher noch nie gewesen. Du hast meine Gabe verstärkt.«
»Ich bin niemand, der Empfindungen verstärkt«, stritt er ab.
»Woher willst du das wissen? Gibt es noch mehr von der Sorte? Andere, die dieselben Gaben besitzen wie wir? Du hast die Wachhunde vom Bellen abgehalten. Du bist ebenso wie ich in der Lage, Geräusche zu manipulieren. Du hast dich von Whitney zu einer Anomalie machen lassen, zu einem Ungeheuer, und das, obwohl du eine Familie hattest. Ein Zuhause. Menschen, die dich lieben.« Sie trat dichter vor ihn, denn es juckte sie, ihn zu ohrfeigen. Ihre Wut nahm zu, und um das Sumpfboot herum brodelte das Wasser. »All das hast du weggeworfen. Was hat er dir dafür versprochen? Geld? Macht? Was hat er dir als Gegenleistung für den Verzicht auf deine Familie gegeben, Raoul?«
Gator steuerte das Boot in die Mitte des Wasserlaufs und stellte den Motor ab. Jetzt waren nur noch die Geräusche des Bayou zu vernehmen, das Surren von Insekten und das Plätschern von Wasser. »Sag mir, was du heute Abend im Club vorhattest, und ich sage dir, warum ich mich freiwillig gemeldet habe, um ein echtes Versuchskaninchen auf dem Gebiet übersinnlicher Fähigkeiten zu werden.«
»Warum interessierst du dich so sehr dafür, was ich vorhatte? « Flame betrachtete ihn voller Unbehagen.
»Es interessiert mich nun mal. Du hast die Männer vorsätzlich erregt. Du wolltest, dass sie besessen von dir sind. Warum?«
»Ich traue dir nicht.«
»Du brauchst mir nicht zu trauen. Wir sind hier draußen ganz allein. Von mir aus kannst du mich durchsuchen, wenn du glaubst, ich würde unser Gespräch aufzeichnen. Wenn ich deinen Tod wollte, wärst du längst im Sumpf begraben.« Er wandte sich mit einer ruckhaften, zornigen Bewegung von ihr ab, die nichts von seinen sonst so anmutigen Bewegungsabläufen hatte.
»Warum bist du so wütend auf mich?« Es hätte ihr gleichgültig sein sollen, ob er sich über sie ärgerte – er bedeutete ihr nichts –, aber es war ihr nicht egal. Sie konnte ihm ansehen, dass er sie am liebsten geschüttelt hätte. Das erotische Geflecht zwischen ihnen war stark. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt, und die beiderseitige Abneigung, die feindliche Haltung, die sie beide annahmen, schien die Glut noch mehr anzufachen, wie Öl, das man ins Feuer goss.
»Was zum Teufel hattest du heute Abend in dem Club vor?«
Flame wartete, bis er sich wieder zu ihr umdrehte und sein finsterer, wütender, aufgewühlter Blick sich auf sie richtete. Er schwelte vor Zorn, und seine Faust öffnete und schloss sich. Sein ungezwungener Charme schien sich erschöpft zu haben.
»Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, was dir dort hätte zustoßen können? Willst du etwa, dass Männer sich nicht mehr beherrschen können, weil sie von dir besessen sind?« Er machte einen aggressiven Schritt auf sie zu.
Sie wich nicht vor ihm zurück, stützte sich mit einer Hand auf dem Sitz des Boots auf und war nicht bereit, sich von ihm einschüchtern zu lassen. Sie ließ sich niemals einschüchtern. Sie konnte sich schützen, ganz gleich, ob er ihr Messer an sich gebracht hatte oder nicht. Seine Augen funkelten sie mit einer Form von Wut an, die sie eher faszinierend als beängstigend fand. Raoul Fontenot war ein Mann, der sich gern unbeschwert und lässig gab, doch unter dieser dünnen Lackschicht steckte ein Mann mit glühenden Leidenschaften und finsteren Geheimnissen, ein Mann, den er vor dem Rest der Welt verbarg.
»Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass es so kommen würde. Offensichtlich hat mein Gesang seine Wirkung auf dich gehabt, und das hat dich aus der Fassung gebracht. Dachtest du wirklich, bei dir würde die Wirkung ausbleiben? Hast du dich mal mit den Schallwaffen befasst, die sie mittlerweile haben oder die im Moment gerade entwickelt werden? Inzwischen haben sie tatsächlich alles, von akustischen Strahlen und Druckwellen bis hin zu meinem ganz speziellen Liebling, dem akustischen Geschoss – leistungsstarkem, sehr tieffrequentem Schall –, von ein bis zwei Meter großen Antennenschüsseln gesendet; er verursacht ein Trauma wie durch einen stumpfen Gegenstand, das von Unbehagen bis zum Tod alles nach sich ziehen kann. Und was glaubst du wohl, Raoul, so eine Überraschung, sogar die Schützen können davon betroffen sein, wenn sie sich nicht hinter der Vorrichtung befinden, die benutzt wird, um den Laut hervorzubringen. Du und ich, wir sind im Grunde genommen akustische Geschosse in Menschengestalt. Wir können mit großer Geschwindigkeit an Orten auftauchen und wieder verschwinden, ohne gesehen zu werden, und wir brauchen keine Antennen.« Ihre Augen wurden plötzlich groß. »Du bist nach meinem Vorbild erschaffen worden, stimmt’s? Und du verstärkst meine Gabe, nicht wahr?«
»Sieh mich bloß nicht so an.«
»Wie denn?«
»Als würdest du mich irgendeiner Verschwörung verdächtigen. « Er fluchte in seinem Cajun-Dialekt, ein Wortschwall, den er so rasch hervorstieß, dass sie ihm kaum noch folgen konnte.
Flame sagte nichts dazu. Es faszinierte sie, wie er aussah, als sein Entwicklungsprozess ans Licht kam. Er war ein gut aussehender Mann, mit markanten Zügen und blauschwarzen Schatten auf seinem Kinn und über der Oberlippe, aber seinen umwerfenden Charme hatte er dem dichten schwarzen, lockigen Haar und seinem zauberhaften Lächeln zu verdanken. »Mir ist schlicht und einfach aufgegangen, dass Whitney sehen wollte, was passiert, wenn wir beide zusammentreffen.«
»Whitney ist tot.«
»Von mir aus kannst du dir das ruhig einreden.«
»Erzähl mir, was du heute Abend in dem Club vorhattest. «
Flame seufzte. »Du bist wie ein Bär mit Zahnschmerzen. Ich habe versucht, eine ganz bestimmte Person anzulocken. Vor ein paar Wochen ist ein Mädchen verschwunden. Sie war Sängerin und hatte eine wunderschöne erotische Stimme. Die Bullen glauben, sie hätte ihre Sachen gepackt und sei von hier fortgegangen, weil es für die Polizei bequem ist, sich das einzureden. Aber ihre Familie und alle, die sie kannten, glauben, dass ihr etwas zugestoßen ist. Und ich glaube das auch.« Ihre Stimme war gesenkt und in keiner Weise reumütig oder trotzig.
Es entstand ein langes Schweigen. Es zog sich zu sehr in die Länge und erstreckte sich zwischen ihnen, bis sie die vollständige Last seiner Missbilligung fühlen konnte. »Du willst mir einreden, du hättest dich selbst als Köder für jemanden ausgelegt, der ein Mörder sein könnte, weil ein Mädchen, das du nicht einmal kanntest, verschwunden ist? Hast du den Verstand verloren, oder verspürst du einfach nur Todessehnsucht?«
»Ich brauche mein Vorgehen dir gegenüber nicht zu rechtfertigen.«
»Du hast keine Rückendeckung. Man führt einen Auftrag nicht ohne Unterstützung aus. Das ist nichts weiter als blanke Dummheit.« Er trat noch näher vor, und seine Finger schlossen sich um ihre Oberarme.
Flame spürte den Schauer, der ihn durchzuckte. »Lass mich los, bevor ich dich mit einem Tritt in den Bayou befördere. Ausgerechnet du musst von Dummheit reden! Du hattest alles, und du hast es weggeworfen. Ich habe wenigstens einen guten Grund für die Dinge, die ich zu tun beschließe.«
»Wie Saunders zu bestehlen, den ich übrigens mal näher unter die Lupe genommen habe. Er ist so hinterhältig wie kaum jemand sonst. Es besteht der Verdacht, dass er Verbindungen zur Unterwelt hat …«
Sie riss sich von ihm los. »Glaubst du etwa, das hätte ich nicht gewusst? Ich mache meine Hausaufgaben.« Ihr rotes Haar flog in alle Richtungen, als sie den Kopf schüttelte. »Ich bin nicht wirklich ein Mannschaftsspieler. Ich treffe meine Entscheidungen auf der Grundlage von Gewinnchancen, und diesmal sah es gut für mich aus. Das Mädchen …«
»Joy Chiasson«, warf er mit einem Blick auf ihre Kehle ein. Als sie den Kopf drehte, verrutschte der Schal, den sie trug. Er rückte noch näher, streifte ihren Körper mit seinem. »Unsere Familien kennen einander schon seit Jahren. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, was ihr zugestoßen ist.« Er ließ seinen Satz abreißen, da seine Aufmerksamkeit abgelenkt wurde. Seine Fingerspitze berührte die dunklen Male an ihrer Kehle. Seine Fingerabdrücke. »War ich das?«
Sie hob eine Hand, um die Male zu verbergen, doch er hielt ihre Hand zurück, diesmal wesentlich sanfter. »Tut mir leid, Flame. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Ich habe dir ein Messer an die Kehle gehalten. Ich vermute, die Situation war ein wenig angespannt.« Ihre Stimme war plötzlich heiser und klang etwas zu intim. »Bist du wirklich nach New Orleans gekommen, um Joy zu suchen?« Warum war sie keinen Schritt zurückgetreten? Er stand so dicht vor ihr, dass sie seinen Herzschlag fühlen konnte. Und warum flüsterte sie?
»Ja. Meine Großmutter hat mich gebeten zu kommen. Als sie mir erzählt hat, dass Joy vermisst wird, ist mir eine andere Frau eingefallen, eine Sängerin aus einer anderen Gemeinde, die vor etwa zwei Jahren verschwunden ist. Ich fand, der Umstand, dass sie beide unglaubliche Stimmen hatten, sei es wert, sich damit zu befassen. Und ich mag es nicht, wenn Grandmère sich aufregt.«
»Wegen ihres Herzens.«
»Weil ich sie liebe und weil sie mich selten um etwas bittet. Aber ich werde dich nicht belügen. Lily hat mich gebeten, dich zu finden, falls es möglich ist, und dich zu überreden, dass du zu uns zurückkommst.«
Jetzt trat Flame zurück, und ihre Augen waren plötzlich hart und sprühten Funken vor Wut. »Und woher könnte Miss Lily wissen, dass ich mich in New Orleans aufhalte?«
»Sie hat ein Computerprogramm die Wahrscheinlichkeit dafür errechnen lassen, dass du herkommst.«
»Sie wusste, dass der Brand im Sanatorium mich aus der Reserve locken würde. Sie haben einen Anschlag auf Dahlia verübt, stimmt’s?« Sie wandte sich jetzt ganz von ihm ab, aber nicht ehe er das Glitzern von Tränen in ihren Augen gesehen hatte. »Ich habe sie nicht rechtzeitig gefunden.«
»Die Schattengänger haben sie rechtzeitig gefunden«, sagte Gator. »Dahlia ist am Leben. Sie ist gesund und munter, und für ihre Sicherheit ist bestens gesorgt. Wenn du es genau wissen willst – sie ist mit einem Kumpel von mir verheiratet.«