Nachwort

»Als es noch Menschen gab« entstand unter dem Eindruck von Ernüchterung und Resignation. Vielleicht war ich einer der wenigen, die damals unter diesen Empfindungen litten – wenn ja, ist das kaum zu verstehen. Der Krieg, der die ganze Welt über zogen hatte, hatte Millionen das Leben gekostet und das von Millionen anderen zerstört. Und er hatte eine Waffe hervorgebracht, deren Zerstörungskraft sich nicht auf die Vernichtung einzelner Armeen beschränkte, sondern ganze Nationen bedrohte.

Drei Jahrzehnte später wird kaum noch ernsthaft über das zerstörerische Potenzial von Atomwaffen nachgedacht. Wir haben so lange damit gelebt, dass ihre Gefahr zu einem von vielen Bestandteilen geworden ist, die zur Normalität unseres täglichen Lebens gehören. Ja, wir haben uns daran gewöhnt – und wenn wir doch einmal darüber nachdenken, sehen wir Atomwaffen unter dem Aspekt internationaler Politik, ohne zu erfassen, wie real die Bedrohung noch immer ist. Selbst damals, als die ersten atomaren Katastrophen über Japan hereinbrachen, begriffen viele Leute einfach nicht die Konsequenzen – sie nahmen an, es handele sich einfach nur um eine größere Bombe. Doch es gab einige, darunter eine Reihe von Science-Fiction-Autoren, die sich der Bedeutung dieser neuen Technologie sofort bewusst waren. Ich bin überzeugt, dass diese Schriftsteller und ihre Geschichten vom Weltuntergang eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, die Öffentlichkeit über die Gefahren eines Atomkriegs aufzuklären.

Für mich persönlich stand weniger die unglaubliche Zerstörungskraft dieser neuartigen Waffe im Mittelpunkt als die Erkenntnis darüber, dass der Mensch in seinem wahnwitzigen Hunger nach Macht vor nichts haltmachte. Offensichtlich kennt das Leid, das er seinesgleichen zufügt, keine Grenzen. Trotz alledem hatte ich immer noch die leise Hoffnung, die Menschheit würde in den kommenden Jahrhunderten eine Umgangsform finden, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichte – trotz der Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Doch nun, mit dem Auftreten dieses ganz neuen Ausmaßes menschlicher Barbarei, hatte ich auch das letzte bisschen Hoffnung verloren.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, in welcher Reihenfolge die Geschichten entstanden sind. Manche stammen aus der Zeit vor dem Beginn des atomaren Zeitalters, manche aus dessen erstem Jahr. Aber vielleicht sollte man dieser Frage auch keine allzu große Bedeutung beimessen: Die erste Ernüchterung hatte der Krieg ausgelöst – Hiroshima und Nagasaki bestätigten und vertieften sie nur.

»Als es noch Menschen gab« war nicht als Empörung gedacht – wem hätte das schon genutzt? –, vielmehr suchte ich nach einer Fantasiewelt, die als Gegenwicht zu der Brutalität dienen konnte, die die Welt gerade durchlitt. Tief in meinem Inneren versuchte ich, eine Welt zu erschaffen, in die ich mich gemeinsam mit anderen Menschen flüchten konnte, die ebenso desillusioniert waren wie ich, um zumindest für ein paar Augenblicke der realen Welt zu entkommen.

Die Geschichten wurden oft als Anklage gegen die Menschen bezeichnet – und obwohl ich damals nicht in derartigen Kategorien dachte, erkenne ich jetzt, dass es sich tatsächlich um eine Anklage handelt, und glaube, dass es gute Gründe dafür gab und immer noch gibt. Als ich die Geschichten niederschrieb, kam mir eine Idee, über die ich auch mit meinen Freunden sprach: Vielleicht, überlegte ich, konnte ich ja meine Fantasiewelt mit Hunden und Robotern bevölkern, da ich kaum noch zu hoffen wagte, dass die Menschheit es jemals schaffen würde, eine solche Welt zu erschaffen, wie sie mir vorschwebte. Ein hartes Urteil – und obwohl ich dieses Urteil heute, nach so vielen Jahren des Hin- und Herüberlegens, eventuell etwas abschwächen würde, gibt es doch nicht besonders viele Gründe dafür.

Mein eigenes Land hat seither zwei große Kriege geführt, und die Historiker der Zukunft werden sehr lange suchen müssen, um eine längere Phase des Friedens in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu entdecken. Natürlich ist mir bewusst, dass sich die Nationen dieser Welt in den letzten dreißig Jahre sehr zurückgehalten haben (wenn auch nur aus Furcht), um eine atomare Katastrophe zu vermeiden. Das ist zwar ein gutes Zeichen, doch sollte es nicht überbewertet werden. Erst wenn sie es schaffen, die nuklearen Kräfte noch für – sagen wir einmal – weitere dreißig Jahre nicht zum Einsatz zu bringen, dürfen wir wieder ein wenig Mut schöpfen.

In »Als es noch Menschen gab« habe ich mich mit der immerwährenden Beschäftigung der Menschen mit einer mechanistischen Zivilisation auseinandergesetzt. Einige Autoren, so wie ich selbst auch, schreiben noch immer über dieses Thema, nur bezeichnen wir es heute als technologisierte Gesellschaft. An Technologie an sich ist nichts falsch – falsch ist nur, dass wir an nichts anderes mehr denken. Wir haben unsere Maschinen zu Göttern erhoben, ja in vielerlei Hinsicht haben wir ihnen unsere Seelen verkauft. Als ich diese Geschichten schrieb, spürte ich, dass es andere, wichtigere Werte geben musste als jene, die uns die Technologie bieten konnte – und meine Meinung hat sich nicht geändert. Heute wird der Einsatz von Maschinen von vielen Menschen verurteilt, weil zu ihrer Herstellung unersetzliche Rohstoffe benötigt werden. Aber das ist nicht der einzige Grund für ihre Ablehnung – mich sorgt vor allem, wie sehr die Maschinen unsere Gesellschaft und unsere Geisteshaltung verrohen lassen.

Den Hintergrund der Geschichten (zumindest der ersten) bilden der Niedergang und das Verschwinden der Stadt. Damals hielt ich die Stadt für einen Anachronismus, den wir baldmöglichst loswerden sollten – und diese Einstellung hat sich mit der Zeit nur verstärkt. Ja, der Zerfall der Städte ist heute noch viel offensichtlicher als damals. Die typische Stadt unserer Zeit sieht so aus: eine glitzernde Innenstadt, umgeben von immer weiter anwachsenden Ghettos. Früher einmal, als zu reisen oder miteinander zu kommunizieren noch sehr langwierig und umständlich war, hatte die Stadt ihre Berechtigung. Ursprünglich drängten sich die Menschen zusammen, weil sie Schutz gegen eine feindliche Außenwelt suchten. Später dann blieben sie beieinander, um Geschäfte zu machen. Als Verteidigungsanlage hat die Stadt ausgedient; in der Tat ist es heute außerhalb der Stadt meist sicherer als innerhalb. Dank moderner Medien müssen wir nicht mehr in der un mittelbaren Nachbarschaft unserer Geschäftspartner leben – heute können wir ebenso gut mit einem Menschen auf einem anderen Kontinent Geschäfte machen wie mit unserem Nachbarn. Die Stadt hat ihren Nutzen, ihren Zweck überlebt. Zudem ist sie teuer im Unterhalt, und wer in ihr lebt, läuft Gefahr, an ihrer stickigen Luft zu erkranken. Das Ganze hat schlicht keinen Sinn mehr.

Alles in allem muss ich feststellen, dass sich mein Standpunkt in den dreißig Jahren, seit ich diese Geschichten geschrieben habe, nicht verändert hat. Mag sein, dass die Zeit meine Einstellung ein wenig abgemildert hat, aber wenn, handelt es nur um winzige Unterschiede.

So viel also zum Hin tergrund der Geschichten – doch ich frage mich, wie viel davon bei der Lektüre durchscheint. Tatsächlich wäre es mir nicht recht, wenn es allzu viel wäre, denn schließlich habe ich meine damalige Aufgabe – genauso wie meine heutige – nicht darin gesehen, diese Geschichten von einem hohen Ross aus, sondern mit einem gewissen Unterhaltungswert zu schrei ben. Sollte das, was mir damals vielleicht durch den Kopf ging, zu sehr in den Vordergrund treten, hätte ich als Geschichtenerzähler versagt – und das ist mein einziger Anspruch: mich mit aller Kraft und vollem Ernst zu bemühen, ein Geschichtenerzähler zu sein.

Letztendlich hat »Als es noch Menschen gab« ein größeres und nachhaltigeres Echo ausgelöst als alles, was ich sonst noch geschrieben habe. Wenn mich irgendeines meiner Werke für mehr als nur kurze Zeit überdauern sollte, werden es wahrscheinlich diese Geschichten sein. Manchmal finde ich das schade, weil ich überzeugt bin, Erzählungen geschrieben zu haben, die besser sind. Doch darüber zu urteilen, steht mir nicht zu – denn ein Schriftsteller kann nicht sein eigener, kompetenter Kritiker sein. Er ist zu nahe an seinem Werk, um über die gebotene Objektivität zu verfügen.

Eine Zeitlang sagte ich mir, dass die Geschichten in »Als es noch Menschen gab« so gut ankamen, weil sie eben zum richtigen Augenblick erschienen. Ihre Wirkung stimmte mit dem Zeitgeist überein – ein glücklicher Zufall also: Ich schwamm einfach auf der großen Welle mit. Aber zu meinem Erstaunen scheint das nicht der Fall zu sein. Immer neue Lesergenerationen nehmen die Geschichten mit derselben Begeisterung auf wie die ersten Leser. Plötzlich schreibt mir ein Student, der eine Arbeit über mein Buch schreiben will, und stellt mir Fragen, die ich kaum beantworten kann. Dann erhalte ich einen Brief von einem Leser, der vor kurzem zum ersten Mal über die Geschichten gestolpert ist und mir unbedingt mitteilen möchte, wie sehr sie ihm gefallen haben. Nach all den Jahren stößt meine Arbeit immer noch auf Resonanzen. Und sosehr mich das verblüfft, bin ich doch auch froh darüber, erfüllt es mich doch mit einem echten Gefühl der Befriedigung zu wissen, dass etwas, das ich vor so vielen Jahren geschrieben habe, immer noch seinen Zweck erfüllt.

Die Widmung dieser Geschichtensammlung lautete in der Erstausgabe: »Im Gedenken an Scootie, der Nathaniel war«

Mir flattern noch immer Briefe ins Haus, in denen sich die Leute erkundigen, wer Scootie war. Nun, Scootie war ein schottischer Terrier, der fünfzehn Jahre lang bei uns lebte. Wobei das wohl nicht ganz korrekt ausgedrückt ist, denn Scootie hätte niemals auch nur den Anflug eines Gedankens daran verschwendet, dass er bei uns lebte – vielmehr lebten wir bei ihm. Er war ein guter Freund und unbestechlicher Kamerad. Ich stelle mir gerne vor, dass er irgendwo in einer Art Hundewalhalla noch immer Kaninchen hinterherjagt (stets vergeblich) und Murmeltiere versucht auszugraben, dass die Erde nur so fliegt (während sie ihm aus sicherer Entfernung zupfeifen), um sich schließlich nach getaner Arbeit auf einem Teppich vor einem knisternden Feuer auszuruhen.

Über die eigene Arbeit zu schreiben, ist genauso heikel wie herausfordernd. Man kann sich nicht lässig geben, man kann nicht einfach irgendetwas aus dem Ärmel schütteln, will man nicht seiner Integrität als Schriftsteller schaden. Zugleich besteht immer die Gefahr, dass ein missverständlicher Satz wie Angeberei wirken könnte, was nicht nur schlechter Stil, sondern zudem grundlos wäre. Mehr als die stille Zufriedenheit eines Handwerkers, der seine Aufgabe so gut bewältigt hat, dass sie von seinen Kollegen als ehrliche Arbeit anerkannt wird, kann man nicht verlangen.

Wenn ich an »Als es noch Menschen gab« zurückdenke, bedauere ich nichts. Hin und wieder zucke ich zusammen, wenn ich einen Absatz lese, von dem ich weiß, dass ich ihn heute treffender formulieren könnte als damals. Aber das geht vorüber, denn ich weiß, dass ich die Geschichten heute überhaupt nicht mehr schreiben könnte. Ich bin überzeugt davon, dass besondere Umstände nötig waren, um sie hervorzubringen, und ebenso, dass diese heute keine so große Rolle mehr spielen – aber dass die Folgen dieser Umstände nach wie vor wirksam sind und die zentralen Inhalte nach wie vor aktuell.

Ein Wort noch zur letzten Geschichte: »Epilog« ist eine Erzählung, die ich eigentlich niemals schreiben wollte, denn ich hatte mit »Die Lösung« einen Schlussstrich unter die Geschichten der Tiere gezogen. Doch 1971 starb John W. Campbell und eine Gruppe von Schriftstellern, die ihn seit den Vierziger- oder Fünfzigerjahren begleitet hatten, beschloss, ihren langjährigen Herausgeber mit einer Gedenkschrift zu ehren. Dieses Buch sollte aus noch unveröffentlichten Geschichten von Autoren bestehen, die allesamt für die Zeitschrift Astounding geschrieben hatten (beziehungsweise für Analog, wie sie seit einigen Jahren hieß). Dabei wollten die Autoren versuchen, den Geist und die Machart der alten Geschichten aus Astounding einzufangen.

Da bis auf eine Ausnahme alle Erzählungen in »Als es noch Menschen gab« unter Campbells Leitung zuerst in Astounding erschienen waren, bat mich Harry Harrison, der zum Herausgeber der Gedenkschrift ernannt worden war, um eine weitere Geschichte aus dieser Reihe. Doch ich zögerte. Diese »Legende«, sagte ich mir, war vollendet – und zwar genauso, wie sie war. Außerdem fragte ich mich, ob es mir überhaupt gelingen würde, nach über zwanzig Jahren eine neunte Geschichte hinzuzufügen. Schließlich war ich nun ein anderer Schriftsteller als der deutlich jüngere Mann, der damals diese Erzählungen erdacht hatte. Andererseits lag mir viel daran, noch eine letzte Geschichte für John zu schreiben – und ich wusste, wenn ich eine schreiben würde, konnte sie nur zu »Als es noch Menschen gab« gehören. Also schrieb ich »Epilog«. Natürlich musste es um Jenkins gehen, denn er war als Einziger von all den Figuren übrig geblieben, die ich erschaffen hatte. Die Websters waren schon lange fort.

Ich glaube, »Epilog« ist ganz ordentlich geworden. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob ich diese Geschichte gern mit den anderen zusammen sehe – obwohl ich den Wunsch der Verlage nachvollziehen kann, sie in Neuausgaben von »Als es noch Menschen gab« aufzunehmen, und sei es nur der Vollständigkeit halber. Was mich betrifft, klingt in dieser Geschichte eine gewisse Endgültigkeit und Traurigkeit an, an die ich lieber nicht gerührt hätte.

Clifford D. Simak