21 Die Macht der Hölle
Lukes Schwester schaute auf und heftete ihre blauen Augen, die denen ihres Bruders so sehr ähnelten, fest auf Clary. Amatis wirkte benommen, geschockt und verwirrt, als hätte man ihr Drogen verabreicht. Sie versuchte, sich aufzurappeln, aber Cartwright stieß sie wieder auf den Boden, während Sebastian zu den beiden hinüberging, den Kelch in den Händen.
Clary wollte zu Amatis stürmen, doch Jace bekam sie am Arm zu fassen und zog sie zurück. Wütend versuchte Clary, nach ihm zu treten, aber er hatte bereits seine Arme um sie geschlungen und ihr eine Hand auf den Mund gepresst.
Sebastian redete leise und hypnotisch auf Amatis ein, woraufhin sie heftig den Kopf schüttelte. Doch Cartwright packte sie erneut an ihren langen Haaren und riss ihren Kopf zurück. Clary hörte, wie Amatis aufschrie – ein dünnes Heulen über dem Brausen des Windes.
Clary musste an jene Nacht denken, in der sie neben Jace gelegen und beobachtet hatte, wie sich sein Brustkorb ruhig hob und senkte. Wie sie überlegt hatte, dass sie alles mit einem einzigen Messerstich beenden könnte. Damals hatte diese Idee kein Gesicht, keine Stimme, keinen konkreten Plan gehabt. Doch nun, da die Geschichte das Gesicht von Lukes Schwester bekommen hatte und Clary den Plan kannte, war es zu spät.
Sebastian hatte eine Hand in Amatis’ Haare gekrallt und presste ihr den Kelch an die Lippen. Als er sie zum Trinken zwang, würgte und hustete sie und schwarze Flüssigkeit lief an ihrem Kinn herab. Dann riss Sebastian den Kelch zurück, dessen Inhalt bereits seine Wirkung zeigte: Amatis röchelte grauenhaft, ihr ganzer Körper fuhr in die Höhe und versteifte sich. Ihre Augen traten aus den Höhlen und verfärbten sich durchgehend schwarz, genau wie bei Sebastian. Sie schlug die Hände vors Gesicht, stieß ein gequältes Heulen aus – und dann sah Clary voller Entsetzen, wie die Voyance-Rune auf ihrer Hand erst verblasste und schließlich vollständig verschwand.
Amatis ließ die Hände herabsinken. Ihre Züge wirkten nun ruhig und sie richtete ihre Augen, die wieder blau waren, auf Sebastian.
»Mach sie los«, befahl Clarys Bruder dem Schattenjäger, den Blick weiterhin auf Amatis fixiert. »Lass sie zu mir kommen.«
Cartwright löste die Kette, die Amatis an ihn fesselte, und trat zurück, eine seltsame Mischung aus Furcht und Faszination auf dem Gesicht.
Einen Augenblick lang verharrte Amatis reglos; ihre Arme hingen schlaff an ihrem Körper herab. Dann stand sie auf, ging zu Sebastian und kniete vor ihm nieder, wobei ihre Haare durch den Staub streiften. »Gebieter«, sagte sie, »wie kann ich Euch dienen?«
»Erhebe dich«, befahl Sebastian.
Amatis richtete sich anmutig auf. Sie schien sich plötzlich ganz anders zu bewegen. Natürlich zeichneten sich alle Schattenjäger durch geschickte, gewandte Bewegungen aus, doch Amatis’ Körperhaltung strahlte nun eine lautlose Agilität aus, was Clary einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Amatis stand kerzengerade vor Sebastian und Clary erkannte, dass es sich bei ihrem Gewand, das sie für ein langes weißes Kleid gehalten hatte, in Wahrheit um ein Nachthemd handelte – als hätte man Amatis mitten in der Nacht aus ihrem Bett gezerrt. Was für ein Albtraum, nun hier aufzuwachen, inmitten maskierter Gestalten, an diesem finsteren, gottverlassenen Ort.
»Komm näher«, befahl Sebastian und winkte sie mit einer Handbewegung heran.
Amatis trat noch einen Schritt vor. Sie war mindestens einen Kopf kleiner als Clarys Bruder und musste sich etwas recken, während er ihr etwas ins Ohr flüsterte. Dann breitete sich ein kaltes Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
Sebastian hob eine Hand. »Würdest du gern gegen Cartwright kämpfen?«
Cartwright – ein junger Mann mit hellem Haar und einem breiten, kantigen Gesicht – ließ die Kette fallen, die er noch immer festgehalten hatte, und seine Hand zuckte zu seinem Waffengürtel unter dem Umhang. »Aber ich…«
»Eine kleine Demonstration ihrer Kräfte wäre jetzt sicherlich angebracht«, bemerkte Sebastian. »Komm schon, Cartwright, sie ist doch nur eine Frau und älter als du. Oder hast du etwa Angst?«
Cartwright wirkte bestürzt, zückte aber dennoch einen langen Dolch. »Jonathan…«
In dem Moment blitzten Sebastians Augen auf. »Er gehört dir, Amatis!«
Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. »Es ist mir ein Vergnügen«, erwiderte sie und sprang. Mit verblüffender Geschwindigkeit hechtete sie hoch in die Luft, stieß den Fuß vor und trat dem verwirrten Schattenjäger den Dolch aus der Hand. Verwundert beobachtete Clary, wie Amatis an Cartwrights Körper hochschnellte und ihm das Knie in den Magen rammte. Als er rückwärtstaumelte, verpasste sie ihm einen Kopfstoß, wirbelte um ihn herum, packte ihn am Rücken seiner Robe und riss ihn zu Boden. Mit einem grässlichen, knackenden Geräusch landete er vor ihren Füßen und stöhnte vor Schmerz.
»Das war dafür, dass du mich mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt hast«, knurrte Amatis und wischte sich mit dem Handrücken über die leicht blutende Lippe. Ein nervöses Lachen ging durch die Menge.
»Jetzt habt ihr es mit eigenen Augen gesehen«, rief Sebastian. »Selbst eine Nephilim ohne besondere Fähigkeiten oder Kräfte – nichts für ungut, Amatis – kann stärker und geschickter werden als ihr mit seraphischen Kräften ausgestattetes Gegenüber.« Theatralisch schlug er sich die rechte Faust in die linke Hand. »Macht. Echte Macht. Wer ist dazu bereit?«
Die Schattenjäger zögerten einen Moment, doch dann rappelte Cartwright sich auf, eine Hand schützend auf seinen Magen gepresst. »Ich! Ich bin dazu bereit«, sagte er und warf Amatis einen giftigen Blick zu, die jedoch nur kalt lächelte.
Sebastian hielt den Höllenkelch in die Höhe. »Dann tritt vor.«
Cartwright ging auf Sebastian zu, während hinter ihm die anderen Schattenjäger aus ihrer Erstarrung erwachten. Sie folgten Cartwright und stellten sich hinter ihm in einer lockeren Reihe auf. Amatis stand gelassen daneben, die Hände vor dem Körper verschränkt.
Clary starrte sie an und versuchte, die ältere Frau dazu zu bewegen, in ihre Richtung zu schauen. Amatis war Lukes Schwester – wenn sich die Dinge wie geplant entwickelt hätten, dann wäre sie inzwischen Clarys Stieftante.
Amatis. Clary erinnerte sich an das schmale Kanalhaus in Idris und daran, wie freundlich Amatis zu ihr gewesen war und wie sehr sie Jace’ Vater geliebt hatte. Bitte sieh mich an, dachte Clary. Bitte zeig mir, dass du noch immer du selbst bist.
In dem Moment hob Amatis den Kopf, als hätte sie Clarys stummes Flehen gehört, und blickte sie direkt an. Dann schenkte sie ihr ein Lächeln – allerdings kein freundliches oder aufmunterndes, sondern ein finsteres, kaltes und leicht belustigtes Lächeln. Das Lächeln eines Menschen, der zusah, wie jemand anderes ertrank, und nicht einen Finger zu dessen Rettung krümmte, dachte Clary. Das hier war nicht Amatis’ Lächeln, denn das hier war nicht Amatis – Amatis existierte nicht mehr.
Inzwischen hatte Jace die Hand von Clarys Mund genommen, aber sie verspürte nicht länger das Bedürfnis zu schreien. Niemand würde ihr hier zu Hilfe kommen und die Person, die die Arme um sie geschlungen hatte und sie wie in einem Schraubstock festhielt, war nicht Jace. So wie Kleidungsstücke selbst nach Jahren noch die Konturen ihres ehemaligen Besitzers beibehielten oder ein Kissen den Abdruck der Person, deren Kopf einst darauf gelegen hatte, genau so war auch dieser Jace. Er war eine leere Hülle, die sie mit ihren Wünschen, ihrer Liebe und ihren Träumen ausgestopft hatte.
Damit hatte sie dem echten Jace ein schreckliches Unrecht zugefügt. In ihrem Bestreben, ihn zu retten, hatte sie fast vergessen, wen sie hier eigentlich rettete. Sie erinnerte sich wieder an seine Worte, als er für kurze Zeit er selbst gewesen war: Ich hasse die Vorstellung, dass er mit dir zusammen ist. Er. Dieser andere Teil von mir. Jace hatte gewusst, dass es sich um zwei verschiedene Personen handelte – dass er ohne seine Seele nicht mehr er selbst war.
Er hatte versucht, sich dem Rat zu stellen, aber sie hatte ihn daran gehindert. Sie hatte nicht auf seinen eigenen Wunsch gehört, sondern diese Entscheidung für ihn getroffen – zwar in blinder Panik, aber sie hatte sie einfach an seiner Stelle gefällt. Dabei war ihr nicht bewusst gewesen, dass ihr Jace lieber sterben würde, als so weiterzuleben, und dass sie ihm nicht das Leben gerettet, sondern ihn zu einem Dasein verdammt hatte, das er verabscheute.
Resigniert ließ Clary sich gegen Jace sinken, der ihre plötzlich veränderte Körperhaltung als Zeichen dafür wertete, dass sie sich ihm nicht länger widersetzte, und seinen Griff etwas lockerte. Mittlerweile stand der letzte der rot gekleideten Schattenjäger vor Sebastian und streckte begierig die Hände nach dem Höllenkelch aus.
»Clary…«, setzte Jace an.
Doch Clary sollte nicht mehr herausfinden, was er hatte sagen wollen. Denn im nächsten Augenblick ertönte ein Schrei und der Schattenjäger, der den Kelch entgegennehmen wollte, taumelte zurück, mit einem Pfeil im Hals. Ungläubig riss Clary den Kopf herum und entdeckte Alec, der in Kampfmontur und mit dem Bogen in der Hand auf dem Deckstein des Grabmals stand. Er grinste zufrieden und griff sich über die Schulter, um den nächsten Pfeil aus dem Köcher zu ziehen.
Und dann tauchten hinter ihm die anderen auf: Ein Rudel Wölfe lief geduckt über die Ebene; ihr scheckiges Fell glänzte im Schein des Monds. Clary vermutete, dass sich auch Maia und Jordan unter ihnen befanden. Nach ihnen trat eine Reihe vertrauter Nephilim durch das Portal: Isabelle und Maryse Lightwood, Helen Blackthorn und Aline Penhallow sowie Jocelyn, deren rotes Haar selbst aus der Entfernung deutlich zu erkennen war. Neben ihnen tauchte Simon auf, hinter dessen Schulter das Heft eines silbern schimmernden Schwerts aufragte, und schließlich Magnus, dessen Hände knisternde blaue Flammen versprühten.
Clarys Herz machte vor Erleichterung einen Satz. »Ich bin hier!«, rief sie ihnen zu. »Ich bin hier drüben!«
»Kannst du sie sehen?«, fragte Jocelyn unruhig. »Ist sie irgendwo in der Menge?«
Simon versuchte, sich auf das Gewimmel in der Dunkelheit vor ihm zu konzentrieren. Der deutliche Geruch von Blut stimulierte seine Vampirsinne so sehr, dass er sogar unterschiedliche Blutsorten erkennen konnte – Schattenjägerblut, Dämonenblut und die bittere Note von Sebastians Blut. »Ja, ich sehe sie«, bestätigte er. »Jace hält sie fest. Er zieht sie hinter die Linien der Schattenjäger.«
»Wenn sie Jonathan so treu ergeben sind wie einst Valentin, dann werden sie mit ihren Körpern einen Schutzwall um ihn herum bilden – und um Clary und Jace ebenfalls.« Eine kalte, mütterliche Wut sprach aus Jocelyn und ihre grünen Augen funkelten zornig. »Wir werden ihre Reihen durchbrechen müssen, um zu ihnen zu gelangen.«
»Wir müssen zuallererst zu Sebastian vordringen«, erwiderte Isabelle. »Simon, wir werden dir eine Schneise freischlagen. Du schnappst dir Sebastian und rammst ihm Glorious in die Brust. Sobald er erst einmal gefallen ist…«
»… werden die anderen sich wahrscheinlich in alle Winde zerstreuen«, ergänzte Magnus. »Oder – je nachdem, wie eng sie mit Sebastian verbunden sind – an seiner Seite sterben. Das können wir zumindest hoffen.« Er hob den Kopf und schaute zum Deckstein. »Apropos hoffen: Habt ihr den Schuss gesehen, den Alec mit seinem Bogen abgefeuert hat? So kenne ich meinen Freund.« Der Hexenmeister strahlte und bewegte seine Fingerspitzen, woraufhin blaue Funken in alle Richtungen stoben und er von Kopf bis Fuß aufleuchtete.
Nur Magnus war in der Lage, sich eine paillettenbesetzte Kampfmontur zu besorgen, dachte Simon ergeben.
Isabelle wickelte sich die Peitsche vom Handgelenk und ließ sie wie eine goldene Flamme nach vorn schnellen. »Okay, Simon«, sagte sie. »Bist du bereit?«
Simon straffte die Schultern. Sie standen noch immer ein Stück von den Reihen der gegnerischen Armee entfernt – er wusste nicht, wie er die anderen, schwer bewaffneten Nephilim in ihren roten Roben und Kampfmonturen sonst hätte bezeichnen sollen. Als einige von ihnen verwirrte Rufe ausstießen, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Beim Erzengel, Simon, was gibt es da zu grinsen?«, fragte Izzy.
»Ihre Seraphklingen funktionieren nicht mehr«, erklärte Simon. »Sie versuchen herauszufinden, warum. Sebastian hat ihnen gerade zugebrüllt, sie sollen andere Waffen benutzen.«
Erneut ertönte ein Aufschrei aus der Gruppe der Nephilim um Sebastian, als ein weiterer Pfeil in hohem Bogen vom Grabmal flog und sich in den Rücken eines stämmigen, rot gekleideten Schattenjägers bohrte, der daraufhin nach vorn kippte. Die Reihen der Schattenjäger bewegten sich ruckartig zur Seite und dazwischen öffnete sich ein Spalt. Simon erkannte seine Chance und stürmte vorwärts, dicht gefolgt von den anderen.
Das Ganze kam ihm wie der Versuch vor, bei Nacht in einen Ozean einzutauchen – in eine tiefschwarze See, in der es von Haien und Meeresungeheuern mit rasiermesserscharfen Zähnen nur so wimmelte. Dies war zwar nicht Simons erster Kampf, aber während der Großen Schlacht hatte Clary ihn gerade erst mit dem Kainsmal versehen gehabt. Obwohl das Mal noch nicht seine volle Wirkung entfaltet hatte, waren viele Dämonen schlagartig vor ihm zurückgewichen. Er hätte nicht gedacht, dass er das Zeichen auf seiner Stirn einmal vermissen würde – doch nun, als er versuchte, sich durch die dichten Reihen der rot gekleideten Schattenjäger zu kämpfen, die mit ihren Waffen nach ihm schlugen, fehlte es ihm gewaltig.
Isabelle und Magnus flankierten ihn, schützten ihn und schützten Glorious. Izzys Peitsche knallte kräftig durch die Luft und Magnus’ Hände sprühten rotes, grünes und blaues Feuer, das die getroffenen Dunklen Nephilim in Flammen aufgehen ließ. Andere Schattenjäger brüllten auf, als Lukes Wölfe, die sich zwischen sie gestohlen hatten, ihnen an die Kehle sprangen.
Plötzlich flog ein Dolch mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf Simon zu und traf ihn an der Seite. Vor Schmerz schrie er auf, lief aber weiter, weil er wusste, dass die Wunde innerhalb weniger Sekunden verheilen würde. Simon drängte vorwärts – und erstarrte. Ein vertrautes Gesicht tauchte vor ihm auf: Lukes Schwester, Amatis. Als sich ihre Blicke trafen, sah er, dass sie ihn wiedererkannte. Doch was tat sie hier? War sie hergekommen, um an ihrer Seite zu kämpfen? Aber…
Im nächsten Augenblick stürzte Amatis sich auf ihn, einen dunkel schimmernden Dolch in der Hand. Sie war zwar schnell – aber eigentlich hätten seine Vampirreflexe Simon vor Schaden bewahrt, wenn er nicht so überrascht gewesen wäre. Amatis war Lukes Schwester, er kannte sie doch…
Dieser Moment ungläubigen Zögerns hätte möglicherweise Simons Ende bedeutet, wenn Magnus ihn nicht aus dem Weg gestoßen hätte. Blaue Flammen sprühten von seinen Händen, doch Amatis war schneller als der Hexenmeister. Sie wich dem Feuer aus, tauchte unter Magnus’ Arm hindurch und einen Sekundenbruchteil später blitzte die Klinge ihres Dolchs im Mondlicht auf. Magnus’ Augen weiteten sich vor Entsetzen, als Amatis ihre mitternachtsschwarze Waffe herabsausen ließ und durch die Kampfmontur hindurch in seinen Körper rammte. Dann riss sie die Hand mit dem Dolch zurück, die Klinge verschmiert mit spiegelndem Blut.
Isabelle schrie auf, als Magnus zusammenbrach und auf die Knie fiel. Simon versuchte, zu ihm zu gelangen, doch die Woge der Kämpfenden riss ihn fort. Hilflos brüllte er Magnus’ Namen, als Amatis sich über den zu Boden gegangenen Hexenmeister beugte, den Dolch ein weiteres Mal anhob und auf sein Herz zielte.
»Lass mich los!«, schrie Clary und versuchte, sich zappelnd und tretend aus Jace’ Griff zu winden. Sie konnte kaum etwas von dem erkennen, was sich vor der hin und her wogenden Menge der rot gekleideten Schattenjäger abspielte, die Jace, Sebastian und sie vor ihrer Familie und ihren Freunden abschirmten. Die drei befanden sich ein paar Schritte hinter der Kampflinie; Jace hielt Clary fest, die wild strampelte, während Sebastian das Kampfgeschehen mit einer finsteren Wut in den Augen verfolgte. Seine Lippen bewegten sich unaufhörlich, aber Clary wusste nicht, ob er fluchte, betete oder eine weitere Beschwörungsformel murmelte. »Lass mich endlich los!«, brüllte Clary.
In diesem Moment wandte Sebastian sich ihr zu, mit einem Furcht einflößenden Ausdruck auf dem Gesicht – eine Mischung aus Grinsen und Zähnefletschen. »Bring sie zum Schweigen, Jace!«
Doch Jace, der Clary noch immer festhielt, erwiderte: »Wollen wir hier nur rumstehen und tatenlos zusehen, wie uns die anderen beschützen?« Er deutete mit dem Kinn auf die Reihen der roten Schattenjäger.
»Ganz genau«, bestätigte Sebastian. »Denn wir, du und ich, sind zu wichtig. Uns darf nichts zustoßen.«
Jace schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir nicht. Auf der anderen Seite kämpfen zu viele.« Er reckte den Hals, um über die Menge hinwegzuschauen. »Was ist mit Lilith? Kannst du sie nicht zurückrufen, damit sie uns hilft?«
»Was? Etwa hier?« Verachtung sprach aus Sebastians Stimme. »Nein. Außerdem ist sie noch zu schwach, um uns beizustehen. Früher hätte sie eine ganze Armee vernichten können, aber dieser Dreckskerl von Schattenweltler mit dem Kainsmal hat ihre Essenz in der Leere zwischen den Welten zerstreut. Es hat sie schon ihre ganze Kraft gekostet, hier zu erscheinen und uns ihr Blut zu geben.«
»Du Feigling«, fauchte Clary Sebastian an. »Du hast diese Nephilim in deine Sklaven verwandelt und rührst keinen Finger, um sie zu beschützen…«
Wütend hob Sebastian die Hand, als wollte er sie ohrfeigen. Clary wünschte sich, er würde sie schlagen, damit Jace es sehen konnte. Stattdessen ließ Sebastian die Hand sinken und verzog die Lippen zu einem hämischen Grinsen. »Wenn Jace dich losließe, würdest du sicher kämpfen, oder?«
»Selbstverständlich würde ich das…«
»Und auf wessen Seite?« Blitzschnell trat Sebastian auf Clary zu und hob den Höllenkelch. Clary konnte einen Blick hineinwerfen: Obwohl so viele Nephilim bereits davon getrunken hatten, war die Menge an Blut, die darin schwappte, unverändert. »Heb ihren Kopf an, Jace.«
»Nein!« Clary verdoppelte ihre Anstrengungen und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Jace’ Finger schoben sich unter ihr Kinn, doch Clary glaubte, ein Zögern in seiner Handbewegung zu spüren.
»Sebastian«, setzte er an. »Nicht…«
»Tu es! Jetzt!«, befahl Sebastian. »Für uns besteht kein Grund, noch länger hierzubleiben. Wir sind wichtig, nicht dieses Kanonenfutter. Wir haben bewiesen, dass der Höllenkelch funktioniert – das ist das Einzige, was zählt.« Höhnisch grinsend krallte er seine Hand in Clarys Kleid. »Aber wir können wesentlich leichter fliehen, wenn dieses Miststück nicht die ganze Zeit schreit und strampelt und um sich tritt.«
»Wir können sie doch später aus dem Kelch trinken lassen…«
»Nein«, knurrte Sebastian. »Und jetzt halt sie gefälligst fest.« Damit hob er den Kelch, drückte ihn Clary an den Mund und versuchte, ihre Lippen auseinanderzuzwängen.
Erbittert setzte Clary sich zur Wehr und biss die Zähne zusammen.
»Trink!«, flüsterte Sebastian bedrohlich und so leise, dass Clary bezweifelte, ob Jace ihn hören konnte. »Ich hab dir ja gesagt, dass du am Ende dieser Nacht alles tun würdest, was ich von dir verlange. Also trink!« Seine schwarzen Augen verfinsterten sich und er presste ihr den Kelch fester gegen die Lippen und schob ihre Unterlippe nach unten.
Clary schmeckte Blut, während sie gleichzeitig hinter sich griff, Jace an den Schultern packte und seinen Körper dazu nutzte, Sebastian mit beiden Beinen einen Tritt zu verpassen: Sie spürte, wie erst der Saum und dann die Seitennaht ihres Kleides rissen, als sie ihre Füße mit Wucht in Sebastians Brustkorb rammte und er pfeifend zurücktaumelte. Währenddessen riss Clary ruckartig den Kopf zurück und hörte dann ein Knirschen, als ihr Schädel gegen Jace’ Gesicht schlug. Er schrie auf und lockerte seinen Griff lange genug, dass Clary sich losreißen konnte. Sie wirbelte herum und stürzte sich in das Kampfgetümmel, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Maia hetzte über den felsigen Untergrund; Sternenlicht streifte mit kühlen Fingern ihr Fell, während der Kampf ihre empfindliche Nase mit Gerüchen bombardierte: Blut, Schweiß und der Gestank brennender Gummireifen – das Zeichen Schwarzer Magie.
Ihr Rudel hatte sich über die gesamte Ebene verteilt und schlug mit todbringenden Zähnen und Klauen breite Lücken in die Reihen des Feinds. Maia hielt sich dicht neben Jordan – aber nicht, weil sie seinen Schutz brauchte, sondern weil sie festgestellt hatte, dass sie Seite an Seite besser und effektiver kämpfen konnten. Bisher hatte sie nur an einer einzigen Schlacht teilgenommen, auf der Brocelind-Ebene, und damals hatte um sie herum ein furchtbares Chaos aus Dämonen und Schattenweltlern geherrscht. Hier in dieser kargen Gegend standen ihnen zwar weniger Feinde gegenüber, aber die Dunklen Nephilim waren hervorragende Krieger und schwangen ihre Schwerter und Dolche mit Furcht einflößender Kraft und Geschicklichkeit. Maia hatte gesehen, wie ein schlanker Schattenjäger einem angreifenden Werwolf mitten im Sprung den Kopf abgetrennt hatte, woraufhin ein menschlicher Rumpf auf den Boden gefallen war, blutig und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Als Maia gerade daran zurückdachte, tauchte vor ihnen ein rot gekleideter Schattenjäger auf, mit einem zweischneidigen Schwert in den Händen. Die Klinge glitzerte im Mondlicht feucht und schwarzrötlich. Jordan knurrte, aber Maia attackierte den Mann als Erste. Er tauchte jedoch unter ihrem Angriff hinweg und versetzte ihr einen Hieb mit seinem Schwert. Maia spürte einen stechenden Schmerz an der Schulter und landete auf allen vieren. Als hinter ihr ein Klirren ertönte, wusste sie, dass sie dem Dunklen Nephilim bei ihrem Angriff die Waffe aus der Hand getreten hatte. Mit einem zufriedenen Knurren wirbelte sie herum, nur um festzustellen, dass Jordan bereits zum Sprung ansetzte, um dem Mann an die Kehle zu gehen…
Doch der Krieger packte ihn einfach am Nackenfell, als würde er einen ungezogenen Welpen mitten aus der Luft greifen. »Du Schattenweltabschaum!«, fauchte er, und obwohl Maia eine derartiges Schimpfwort nicht zum ersten Mal hörte, jagte ihr der eisige Hass in der Stimme des Mannes einen Schauer über den Rücken. »Dir sollte man das Fell abziehen! Ich sollte dich als Mantel tragen!«
Wütend schlug Maia dem Mann ihre Zähne ins Bein. Bitter-metallisch schmeckendes Blut explodierte in ihrem Mund, während der Nephilim vor Schmerz aufschrie, rückwärts taumelte, seinen Griff um Jordans Nacken lockerte und nach Maia trat. Die junge Werwölfin verstärkte ihren Biss und Jordan attackierte erneut. Und dieses Mal erstarben dem Schattenjäger die wüsten Beschimpfungen jäh auf den Lippen, als ihm die Krallen des Werwolfs die Kehle aufrissen.
Amatis wollte ihren Dolch in Magnus’ Herz stoßen – als ein Pfeil durch die Luft flog, sich in ihre Schulter bohrte und sie mit solcher Wucht zur Seite riss, dass sie sich um hundertundachtzig Grad drehte und mit dem Gesicht auf den felsigen Untergrund stürzte. Sie kreischte laut, doch ihre Schreie gingen schon bald im Tosen der klirrenden Waffen unter.
Isabelle kniete sich neben Magnus, während Simon rasch aufschaute und Alec auf dem Deckstein sah, der mit dem Bogen in der Hand wie erstarrt dastand. Vermutlich war er zu weit entfernt, um Magnus deutlich zu erkennen. Isabelle hatte dem Hexenmeister beide Hände auf den Brustkorb gepresst, um die Blutung zu stillen, aber Magnus – sonst ständig in Bewegung und voller Energie – lag vollkommen reglos da. Die junge Schattenjägerin hob den Blick und sah, dass Simon sie und Magnus fassungslos anstarrte; und obwohl ihre Hände bereits voller Blut waren, schüttelte sie heftig den Kopf und rief: »Lauf weiter! Such Sebastian!«
Simon gab sich einen Ruck, wirbelte herum und tauchte wieder in das Getümmel ein. Die dichten Reihen der rot gekleideten Schattenjäger hatten sich bereits gelichtet. Die Wölfe sprangen zwischen ihnen umher und trieben einzelne Nephilim von den anderen fort. Jocelyn befand sich in einem Schwertkampf mit einem knurrenden Mann, von dessen linkem Arm Blut tropfte – und Simon machte eine eigenartige Feststellung, während er weitertaumelte und sich durch die schmalen Lücken zwischen den Kämpfenden hindurchmanövrierte: Kein einziger der roten Nephilim trug ein Runenmal.
Als er aus dem Augenwinkel sah, wie einer der feindlichen Schattenjäger Aline mit einem Streitkolben angriff, aber von Helen niedergestreckt wurde, erkannte Simon, dass diese Schattenjäger außerdem wesentlich schneller waren als alle anderen Nephilim, die er kannte, von Jace und Sebastian einmal abgesehen. Sie bewegten sich mit der Schnelligkeit von Vampiren, überlegte er, als einer von ihnen einen Wolf mitten im Sprung erwischte und ihm den Unterleib aufschlitzte. Der tote Werwolf stürzte zu Boden – als Leichnam eines stämmigen Mannes mit lockigen hellen Haaren. Also weder Maia noch Jordan. Erleichterung durchströmte Simon, dicht gefolgt von Schuldgefühlen. Er stolperte weiter, umgeben vom intensiven Blutgeruch, der die Luft erfüllte. Erneut musste er an sein Kainsmal denken: Wenn es noch auf seiner Stirn leuchten würde, könnte er alle feindlichen Schattenjäger auf der Stelle vernichten…
Plötzlich tauchte einer der Dunklen Nephilim vor ihm auf und schwang ein einschneidiges Schwert. Simon duckte sich blitzschnell, doch das wäre eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Denn der Mann hatte kaum mit der Waffe ausgeholt, als ihn auch schon ein Pfeil in den Hals traf und er blutspuckend zu Boden ging. Ruckartig hob Simon den Kopf und sah Alec, der noch immer auf dem Grabmal stand. Sein Gesicht wirkte wie versteinert, aber er schoss seine Pfeile mit maschinenartiger Präzision: Seine Hand griff mechanisch über die Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf den Bogen und ließ ihn durch die Luft sirren, woraufhin dieser sich unfehlbar in sein Ziel bohrte. Das schien Alec aber kaum wahrzunehmen, denn sobald er einen seiner Pfeile abgeschickt hatte, griff er bereits nach dem nächsten. Simon hörte, wie ein weiterer Pfeil an ihm vorbeizischte und sich in einen der roten Nephilim bohrte, während er selbst vorwärtsstürmte, um zu einem weniger umkämpften Bereich des Schlachtfelds zu gelangen…
Im selben Moment erstarrte er. Dort drüben war sie: Clary. Eine winzige Gestalt, die sich mit bloßen Händen einen Weg durch die Menge kämpfte und dabei wie wild um sich schlug und trat. Sie trug ein zerrissenes rotes Gewand und ihre Haare waren vollkommen zerzaust. Als sie Simon entdeckte, huschte ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens über ihre Züge und ihre Lippen formten seinen Namen.
Direkt hinter ihr war Jace mit blutüberströmtem Gesicht. Die Menge teilte sich, als er hindurchstürmte, und ließ ihn passieren. Hinter ihm, in der entstandenen Lücke, konnte Simon einen rot und silbern schimmernden Schemen ausmachen – eine vertraute Gestalt, mit inzwischen wieder weißblonden Haaren, dieselbe Farbe wie einst Valentins Haar.
Sebastian. Clarys Bruder, der sich noch immer hinter der letzten Verteidigungslinie der Dunklen Schattenjäger versteckte. Dieser Anblick veranlasste Simon, über seine Schulter zu greifen und Glorious aus der Scheide zu ziehen. Eine Sekunde später trieb eine Woge im Gedränge ihm Clary entgegen. Ihre Augen wirkten vor lauter Adrenalin fast schwarz, aber ihre Freude bei seinem Anblick war ungetrübt. Enorme Erleichterung durchströmte Simon und ihm wurde bewusst, dass er sich die ganze Zeit gefragt hatte, ob Clary wohl noch sie selbst war – oder aber verwandelt, so wie er es bei Amatis erlebt hatte.
»Gib mir das Schwert!«, brüllte Clary, deren Stimme fast vom ohrenbetäubenden Klirren der Schwerter übertönt wurde. Sie streckte Simon ihre Hand entgegen – und in diesem Augenblick war sie nicht länger Clary, seine Freundin seit Kindergartenzeiten, sondern eine Schattenjägerin, ein Racheengel, dem dieses Schwert zustand.
Blitzschnell hielt Simon ihr das Schwert entgegen, mit dem Heft voran.
Der Kampf wogte hin und her wie ein aufgewühltes Meer, dachte Jocelyn und bahnte sich einen Weg durch das Getümmel, wobei sie mit Lukes Kindjal auf alles einschlug, das auch nur irgendwie rot leuchtete. Die Gegner tauchten so schnell aus der Menge auf und wieder darin unter, dass sie kaum etwas anderes wahrnahm als ein Gefühl konstanter Gefahr und den unbedingten Willen, nicht unterzugehen und am Leben zu bleiben.
Jocelyns Blick glitt fieberhaft über die wild aufeinanderprallenden Kämpfer, immer auf der Suche nach ihrer Tochter, nach rot leuchtenden Haaren – oder gegebenenfalls nach Jace. Denn wo er war, würde auch Clary sein. Mehrere Felsbrocken waren über die Ebene verstreut. Rasch erklomm Jocelyn die raue Kante eines dieser Blöcke, um sich einen besseren Überblick über das Schlachtfeld zu verschaffen. Aber sie konnte nur dicht aneinandergedrängte Körper, aufblitzende Waffen und die dunklen, tief geduckten Gestalten der Werwölfe im Getümmel ausmachen.
Resigniert wandte sie sich ab und kletterte wieder hinunter… nur um am Fuß des Felsbrockens jemanden vorzufinden, der bereits auf sie wartete. Abrupt hielt Jocelyn inne und starrte den Mann an.
Er trug eine scharlachrote Robe und auf seiner Wange prangte eine zerklüftete, blasse Narbe, ein Andenken an eine frühere Schlacht. Sein Gesicht wirkte verkniffen und längst nicht mehr jugendlich, doch es bestand kein Zweifel an seiner Identität.
»Jeremy«, sagte Jocelyn langsam, wobei ihre Stimme im Kampfgetümmel kaum zu hören war. »Jeremy Pontmercy.«
Der Mann, der einst das jüngste Mitglied in Valentins Kreis gewesen war, schaute sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Jocelyn Morgenstern. Bist du hier, um dich uns anzuschließen?«
»Mich euch anschließen? Nein, Jeremy…«
»Du hast einst auch dem Kreis angehört«, erwiderte er und kam näher. Er hielt einen langen Dolch mit einer rasiermesserscharfen Klinge in der rechten Hand. »Du warst eine von uns. Nun folgen wir deinem Sohn.«
»Ich habe mich von euch abgewendet, als ihr meinem Mann gefolgt seid«, erklärte Jocelyn. »Wieso kommst du auf die Idee, dass ich mich euch jetzt anschließen würde, wenn mein Sohn euch anführt?«
»Entweder bist du für uns oder gegen uns, Jocelyn.« Jeremys Gesicht verfinsterte sich. »Aber du kannst dich nicht gegen deinen eigenen Sohn stellen.«
»Jonathan ist das größte Verbrechen, das Valentin je begangen hat«, erwiderte Jocelyn leise. »Ich könnte niemals an seiner Seite stehen. Letztendlich habe ich auch nie an Valentins Seite gestanden. Also was verleitet dich zu der Annahme, mich jetzt vom Gegenteil überzeugen zu können?«
Jeremy schüttelte den Kopf. »Du hast mich missverstanden. Ich meinte, dass du dich ihm nicht entgegenstellen kannst. Denn du hast keine Chance gegen uns. Auch der Rat hat keine Chance; seine Mitglieder sind nicht auf uns vorbereitet… auf das, was wir können und wozu wir bereit sind. Schon bald wird in jeder Stadt Blut durch die Straßen fließen. Die ganze Welt wird brennen. Alles, was du gekannt hast, wird zerstört werden. Wir werden aus den Trümmern eures Untergangs auferstehen wie ein Phönix aus der Asche. Das hier ist deine einzige Chance, denn ich bezweifle, dass dir dein Sohn noch eine weitere geben wird.«
»Jeremy«, setzte Jocelyn an, »du warst noch so jung, als Valentin dich rekrutiert hat. Du könntest dich lossagen, sogar in die Reihen des Rats zurückkehren. Man würde sich dir gegenüber bestimmt nachsichtig zeigen…«
»Ich kann nie mehr in die Reihen des Rats zurückkehren«, erwiderte Jeremy mit dunkler Genugtuung. »Verstehst du das denn nicht? Diejenigen von uns, die zu deinem Sohn stehen, sind keine Nephilim mehr.«
Keine Nephilim mehr. Jocelyn hob zu einer Antwort an, doch bevor sie etwas sagen konnte, quoll Blut aus Jeremys Mund. Dann brach er zusammen. Hinter ihm stand Maryse, ein Breitschwert in der Hand.
Die beiden Frauen warfen sich über Jeremys toten Körper einen kurzen Blick zu. Dann wandte Maryse sich um und kehrte in das Kampfgetümmel zurück.
In dem Moment, in dem Clarys Finger sich um das Heft schlossen, erstrahlte das Schwert in einem goldenen Licht. Flammen züngelten über die Klinge, ließen mehrere darin eingravierte Worte aufblitzen – Quis ut Deus? – und erfüllten das Heft mit einem Leuchten, als wäre das Licht der Sonne darin gefangen. Beinahe hätte Clary das Schwert fallen gelassen, in der Annahme, es sei in Flammen aufgegangen. Doch das Feuer schien innerhalb der Waffe zu lodern, denn das Metall fühlte sich weiterhin kühl in ihren Händen an.
Danach spielte sich alles wie in Zeitlupe ab: Clary drehte sich um, das flammende Schwert fest in den Händen. Fieberhaft suchte sie die Menge nach Sebastian ab. Sie konnte ihn nirgends entdecken, aber sie wusste, dass er sich hinter der dichten Reihe roter Nephilim befand, durch die sie sich hindurchgekämpft hatte. Das Schwert vor sich ausgestreckt, bewegte sie sich auf die Nephilim zu. Doch jemand versperrte ihr den Weg.
Jace.
»Clary«, sagte er. Eigentlich hätte sie ihn unmöglich hören können, da um sie herum ohrenbetäubender Lärm herrschte: laute Schreie und das Knurren von Wölfen, das Klirren und Knirschen von Metall auf Metall. Aber die Wogen der kämpfenden Gestalten hatten sich offenbar wie das Rote Meer geteilt und um Jace und sie herum eine freie Fläche gelassen.
Das Schwert brannte in Clarys feuchten Fingern. »Jace. Geh mir aus dem Weg!«, stieß sie hervor und hörte, wie Simon hinter ihr etwas rief.
Jace schüttelte den Kopf. Seine goldfarbenen Augen schauten sie ausdruckslos und unergründlich zugleich an. Sein Gesicht war blutverschmiert – Clary hatte ihm mit dem Schädel den Wangenknochen gebrochen, über dem die Haut bereits anschwoll und sich zu verfärben begann. »Gib mir das Schwert, Clary«, befahl er.
»Nein.« Heftig schüttelte Clary den Kopf und wich einen Schritt zurück. Glorious beleuchtete den Bereich, in dem sie standen, beleuchtete das niedergetrampelte, blutgetränkte Gras um Clary herum und beleuchtete Jace, der sich auf sie zubewegte. »Jace. Ich kann dich von Sebastian trennen. Ich kann ihn töten, ohne dich dabei zu verletzen…«
Sein Gesicht zuckte. Seine Augen leuchteten in derselben Farbe wie das Feuer des Schwerts. Oder reflektierten sie nur das Licht? Clary war sich nicht sicher.
Doch als sie ihn musterte, erkannte sie, dass es keine Rolle spielte. Denn sie sah Jace und dann auch wieder nicht: ihre Erinnerungen an ihn, den wunderschönen Jungen, den sie vor Monaten kennengelernt hatte und der am Anfang rücksichtslos gegen sich und andere gewesen war und erst im Laufe der Zeit gelernt hatte, fürsorglich und vorsichtig zu sein. Clary erinnerte sich wieder an jene Nacht, die sie in Idris gemeinsam verbracht hatten, die Hände über dem schmalen Bett verschränkt. Dann an den blutüberströmten Jungen, der sie in Paris mit gehetzten Augen angesehen und ihr gestanden hatte, dass er jemanden umgebracht hatte.
»Sebastian töten?«, herrschte der Jace, der nicht Jace war, sie nun an. »Hast du völlig den Verstand verloren?«
Clarys Gedanken kehrten zu jenem Abend am Lyn-See zurück, als Valentin Jace das Schwert in die Brust gerammt und sie mit dem Gefühl zurückgelassen hatte, dass mit Jace’ Blut auch ihr Leben endete.
Sie hatte ihn dort sterben sehen, am Ufer dieses Sees in Idris. Und nachdem sie ihn zurückgeholt hatte, war er zu ihr gekrochen und hatte sie angeschaut, mit seinen Augen, die so brannten wie dieses Schwert – wie das weiß glühende Blut eines Engels.
Ich war in der Dunkelheit, hatte er gesagt. Dort gab es nichts außer Schatten und auch ich war ein Schatten… Doch dann hörte ich deine Stimme.
Aber seine Worte wurden von anderen überlagert, von Worten, die Jace erst kurz zuvor ausgesprochen hatte: Im Wohnzimmer von Valentins Wohnung, wo er Sebastian gegenübergestanden und Clary erklärt hatte, er wäre lieber tot als so weiterzuleben.
Auch jetzt konnte sie ihn hören: Er befahl ihr, das Schwert freiwillig herauszurücken, andernfalls würde er es ihr einfach wegnehmen. Seine Stimme klang hart, ungeduldig – der Ton eines Menschen, der mit einem ungezogenen Kind spricht. In diesem Moment wusste Clary, dass nicht nur Jace nicht mehr er selbst war, sondern auch sie nicht mehr die Clary, die er liebte. Dieses Mädchen war nur eine Erinnerung, ein verschwommenes, verzerrtes Bild einer gefügigen, folgsamen Person; einer Person, die nicht verstand, dass Liebe, die nicht freiwillig und ehrlich geschenkt wurde, in Wahrheit keine Liebe war.
»Gib mir das Schwert.« Er hatte die Hand ausgestreckt, das Kinn angehoben und befahl herrisch: »Gib mir endlich das Schwert, Clary!«
»Du willst das Schwert?« Clary hob Glorious an, so wie er es ihr beigebracht hatte, und balancierte es in den Händen, obwohl es sich sehr schwer anfühlte. Im nächsten Augenblick begann die darin eingeschlossene Flamme aufzulodern, bis zur Spitze und dann darüber hinaus, als würde das Feuer bis zu den Sternen reichen.
Jace war nur eine Schwertlänge von Clary entfernt; seine goldenen Augen funkelten ungläubig. Selbst jetzt schien er nicht glauben zu können, dass sie ihn ernsthaft verletzen würde.
Clary atmete tief ein. »Dann hol’s dir doch.«
Sie sah seine Augen aufblitzen wie damals am See – und dann rammte sie ihm das Schwert in die Brust, exakt wie Valentin es getan hatte. Clary verstand nun, dass es auf diese Weise getan werden musste. Denn genau so war er gestorben. Sie hatte ihn den Klauen des Todes entrissen, doch nun war dieser zurückgekehrt.
Man kann den Tod nicht betrügen. Letztendlich wird er sein Recht einfordern.
Glorious versank tief in Jace’ Brust und Clary spürte, wie ihre blutigen Hände über das Heft rutschten, als sich die Klinge zwischen die Rippen seines Brustkorbs bohrte und durch ihn hindurchfuhr, bis ihre Faust gegen seinen Rumpf stieß und sie erstarrte. Jace hatte sich nicht gerührt und Clary stand nun direkt vor ihm und umklammerte Glorious, während das Blut aus der Wunde in seiner Brust hervorzusickern begann.
Gleichzeitig ertönte ein gellender Schrei – eine Mischung aus Wut und Schmerz und Angst, das Kreischen einer Person, die brutal auseinandergerissen wurde. Sebastian, dachte Clary sofort. Sebastian, der laut brüllte, als sein Bund mit Jace durchtrennt wurde.
Aber Jace… Jace gab keinen Mucks von sich. Trotz allem wirkte sein Gesicht ruhig und friedlich – wie das einer Statue. Er schaute auf Clary hinab und seine Augen funkelten, als füllten sie sich mit Licht.
Dann ging er in Flammen auf.
Alec konnte sich nicht erinnern, wie er vom Deckstein des Grabmals heruntergeklettert war oder sich einen Weg zwischen den Gefallenen hindurch gesucht hatte, die überall auf der felsigen Ebene verstreut lagen: Dunkle Schattenjäger, tote und verwundete Werwölfe. Seine Augen suchten nur nach einer einzigen Person. Er taumelte vorwärts und wäre fast hingefallen. Als er wieder hochschaute, entdeckte er Isabelle, die neben Magnus auf dem steinigen Boden kniete.
Plötzlich hatte Alec das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nie zuvor hatte er Magnus so bleich und so reglos gesehen. Blut schimmerte auf seiner Ledermontur und auch auf den Felsen unter ihm. Aber das war unmöglich! Magnus lebte doch schon so lange. Er war immer da gewesen. Eine Konstante. Alec konnte sich keine Welt vorstellen, in der Magnus vor ihm starb.
»Alec.« Izzys Stimme drang gedämpft zu ihm vor wie durch eine Wasserwand. »Alec, er atmet noch.«
Langsam ließ Alec die angehaltene Luft aus den Lungen entweichen, streckte seiner Schwester die Hand entgegen und stieß keuchend hervor: »Dolch. Gib mir deinen Dolch!«
Schweigend reichte Isabelle ihm die Waffe. Sie hatte im Erste-Hilfe-Kurs nicht so gut aufgepasst wie ihr Bruder, weil sie immer die Ansicht vertreten hatte, Heilrunen würden schon genügen. Jetzt schaute sie zu, wie Alec mit zusammengebissenen Zähnen Magnus’ Ledermontur und dann das darunterliegende Hemd aufschlitzte. Möglicherweise war die Kampfmontur das Einzige, was den Hexenmeister noch zusammenhielt.
Vorsichtig klappte er das aufgetrennte Leder beiseite, selbst überrascht, dass seine Hände nicht unkontrolliert zitterten. Blut hatte sich über den gesamten Oberkörper verteilt und unter dem rechtem Rippenbogen entdeckte Alec eine breite Stichwunde; aber die gleichmäßige Atmung verriet ihm, dass Magnus’ Lunge nicht punktiert war. Rasch riss Alec sich die Jacke vom Körper, knüllte sie zusammen und drückte sie fest auf die noch immer blutende Wunde.
Magnus’ Lider hoben sich flatternd. »Aua«, stöhnte er kläglich. »Nicht auf mich stützen.«
»Dem Engel sei Dank. Du lebst«, stieß Alec erleichtert hervor. Er schob eine Hand unter Magnus’ Kopf und streichelte ihm mit dem Daumen die blutige Wange. »Ich hab gedacht…«, setzte er an und schaute kurz zu seiner Schwester hoch, ehe er irgendetwas sagte, das peinlich gewesen wäre. Doch Isabelle hatte sich bereits lautlos entfernt. »Ich hab gesehen, wie du getroffen wurdest«, flüsterte Alec leise, beugte sich vor und küsste Magnus leicht auf den Mund, um ihm keine zusätzlichen Schmerzen zu bereiten. »Ich hab gedacht, du wärst tot.«
Magnus grinste schief. »Was, von dem kleinen Kratzer?« Er warf einen Blick auf Alecs Jacke auf seinem Brustkorb, die sich inzwischen rot verfärbt hatte. »Okay, okay, ein großer Kratzer. Wie von einer richtig großen Miezekatze.«
»Fantasierst du?«, fragte Alec besorgt.
»Nein.« Magnus runzelte die Stirn. »Amatis hat auf mein Herz gezielt, aber glücklicherweise keine lebenswichtigen Organe getroffen. Das Problem ist nur, dass mich der Blutverlust Energie kostet und meine Selbstheilungskräfte.« Er holte tief Luft und begann dann zu husten. »Bitte gib mir deine Hand«, sagte er, als der Hustenanfall vorüber war. Alec verschränkte seine Finger mit Magnus’ und presste ihre Handflächen fest zusammen. »Erinnerst du dich noch an die Nacht auf Valentins Jacht, als ich während des Kampfes etwas von deiner Kraft benötigte?«
»Brauchst du auch jetzt Kraft?«, fragte Alec. »Denn du kannst sofort welche haben.«
»Ich brauche deine Kraft immer, Alec«, erwiderte Magnus und schloss die Augen, während ihre verschränkten Hände zu leuchten begannen, als umfassten sie einen strahlenden Stern.
Ein weiß glühendes Licht explodierte im Heft des Engelsschwertes und setzte sich augenblicklich über die Klinge fort. Die Flamme schoss wie ein elektrischer Schlag durch Clarys Arm und riss sie von den Füßen. Schmerz zuckte wie ein heller Blitz durch ihre Adern; Clary krümmte sich zusammen und schlang die Arme um sich, als könnte sie auf diese Weise verhindern, dass ihr Körper in tausend Stücke gerissen wurde.
Jace fiel auf die Knie. Glorious durchbohrte ihn noch immer, ging aber nun in weißgoldenen Flammen auf. Das Feuer erfüllte seinen Körper wie Tinte eine klare Glaskaraffe. Goldene Funken schossen durch seinen Leib und ließen ihn transparent schimmern. Sein Haar leuchtete bronzefarben und seine harten Knochen traten wie glühender Zunder unter der Haut hervor. Das Schwert brannte lichterloh und löste sich wie schmelzendes Gold zu Tropfen auf. Jace hatte den Kopf in den Nacken geworfen und sein Körper war gespannt wie ein Bogen, während der Feuersturm durch ihn hindurchraste.
Clary wollte über den steinigen Boden auf ihn zukriechen, aber die Hitze, die von ihm abstrahlte, war einfach zu groß. Er griff sich mit beiden Händen an die Brust und ein Strom goldenen Blutes rann durch seine Finger. Der Fels, auf dem er kniete, begann zu verkohlen, bekam dunkle Risse und zerfiel schließlich zu Asche. Dann explodierte der Rest des Schwertes wie ein Feuerwerk in einem glühenden Funkenregen und Jace brach zusammen und kippte vornüber auf das Geröll.
Sofort versuchte Clary, sich aufzurappeln, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Ihre Adern fühlten sich noch immer an, als stünden sie in Flammen, und Schmerz wanderte über ihre Haut, als würde jemand mit der weiß glühenden Spitze eines Schürhakens darüberfahren. Mühsam schleppte sie sich vorwärts, bis ihre Fingernägel blutig einrissen, ihr Festgewand endgültig in Fetzen hing und sie Jace endlich erreichte.
Er war auf die Seite gerollt; sein Kopf ruhte auf einem Arm, während der andere weit abgespreizt dalag. Clary sank neben ihm zusammen. Hitze strahlte von seinem Körper ab wie von der Glut eines erlöschenden Feuers; doch das kümmerte sie nicht. Sie konnte den Riss in seiner Kampfmontur erkennen, wo sich Glorious hindurchgebohrt hatte. Unter die Asche der versengten Steine hatte sich das Gold seiner Haare und sein Blut gemischt.
Langsam und mit schmerzenden Gliedern, die sich bei jeder Bewegung qualvoll bemerkbar machten – als wäre Clary mit jeder Sekunde, die Jace in Flammen stand, um ein Jahr gealtert – zog sie ihn zu sich heran, bis er mit dem Rücken auf dem blutgetränkten und schwarz verkohlten Boden lag. Dann betrachtete sie sein Gesicht, das nicht länger golden leuchtete, sondern vollkommen ausdruckslos war – und noch immer wunderschön.
Vorsichtig legte Clary eine Hand auf seine Brust, wo sich das helle Rot seines Bluts vom dunkleren Rotton seiner Kampfmontur abhob. Sie hatte gespürt, wie sich die Klinge des Schwertes durch seine Rippen gebohrt hatte. Sie hatte gesehen, wie das Blut zwischen seinen Fingern hervorgequollen war – solche Mengen von Blut, dass es den Fels unter ihm schwarz verfärbt und seine Haare verklebt hatte.
Und dennoch. Nicht wenn er eher ein Geschöpf des Himmels ist als der Hölle.
»Jace«, wisperte sie. Um sie herum herrschten Chaos und Panik: Die zersprengten Reste von Sebastians Truppe rannten in alle Richtungen und ließen ihre Waffen fallen. Doch Clary ignorierte sie. »Jace.«
Er rührte sich nicht. Sein Gesicht blieb reglos, fast friedlich im Mondschein. Seine Wimpern warfen dunkle, spinnenartige Schatten auf seine Wangenknochen.
»Bitte«, brachte Clary hervor. Ihre Stimme fühlte sich an, als würde sie ihr aus der Kehle geschabt, und jeder Atemzug brannte wie Feuer. »Bitte, sieh mich an.«
Clary schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, kauerte ihre Mutter neben ihr und berührte sie vorsichtig an der Schulter.
Tränen strömten über Jocelyns Gesicht. Aber das konnte doch nicht sein… Warum sollte ihre Mutter weinen?
»Clary«, flüsterte Jocelyn. »Lass ihn gehen. Er ist tot.«
In der Ferne sah Clary, dass Alec neben Magnus kniete. »Nein«, erwiderte sie. »Das Schwert… es verbrennt alles Böse in ihm. Er… er könnte es überleben.«
Jocelyn strich ihr über den Rücken, wickelte ihre Finger in Clarys zerzauste Locken. »Clary, nein…«
Jace, dachte Clary mit eiserner Entschlossenheit und krallte ihre Hände um seinen Arm. Du bist stärker. Wenn das hier wirklich dein wahres Ich ist, dann öffnest du jetzt die Augen und siehst mich an.
Plötzlich war Simon neben ihr und kniete sich auf die andere Seite von Jace’ reglosem Körper; sein Gesicht war mit Blut und Dreck verschmiert und er streckte ihr die Hände entgegen. Ruckartig hob Clary den Kopf und funkelte ihn an – ihn und ihre Mutter. Dann entdeckte sie hinter ihnen Isabelle, die mit großen Augen und zögernden Schritten näher kam. Ihre Kampfmontur starrte vor Blut. Unfähig, Izzy ins Gesicht zu schauen, wandte Clary den Blick ab und heftete ihn auf Jace’ goldblonde Haare.
»Sebastian«, brachte Clary krächzend hervor. »Jemand sollte ihn verfolgen.« Und mich in Ruhe lassen.
»Man sucht bereits nach ihm.« Jocelyn beugte sich vor und musterte sie mit besorgten Augen. »Clary, lass ihn gehen. Clary, Süße…«
»Lass sie in Ruhe«, hörte Clary Isabelles scharfe Stimme. Und sie hörte auch, wie ihre Mutter protestierte, aber jedes Wort schien wie aus großer Entfernung zu ihr zu dringen, als würde sie ein Theaterstück von der letzten Sitzreihe aus verfolgen. Alles um sie herum war vollkommen unwichtig, für sie zählte nur eines: Jace. Jace, der in Flammen aufgegangen war. Tränen brannten in ihren Augen. »Jace, verdammt noch mal«, stieß sie mit heiserer Stimme hervor. »Du bist nicht tot!«
»Clary«, setzte Simon sanft an. »Die Chance war sehr gering…«
Lass ihn los. Das war die eigentliche Bitte hinter Simons Worten, doch sie konnte es nicht. Wollte es nicht.
»Jace«, wisperte sie. Sein Name war wie ein Mantra, genau wie er sie einst in Renwicks Ruine in den Armen gehalten und ihren Namen wieder und wieder gemurmelt hatte. »Jace Lightwood…«
Plötzlich erstarrte sie. Da! Eine Bewegung, die so winzig war, dass sie eigentlich kaum als eine Bewegung bezeichnet werden konnte: das Flattern einer Wimper. Clary beugte sich vor, verlor dabei fast das Gleichgewicht und presste ihre Hand auf den zerrissenen scharlachroten Stoff seiner Jacke, als könnte sie die Wunde in seiner Brust heilen – die Wunde, die sie ihm selbst zugefügt hatte. Stattdessen spürte sie etwas unter ihren Fingerspitzen, so wundervoll, dass sie es einen Moment lang selbst nicht begreifen konnte: den Rhythmus von Jace’ Herzschlag.