Die Touren sind im Cityatlas grün markiert.

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WO EINST DIE MAUER STAND

Dass Berlin mit viel Beton, Stacheldraht und Minengürtel einst in zwei Hälften zerteilt war, ist heute kaum noch sichtbar. An einigen Orten allerdings lässt sich ein wenig vom damaligen Zustand der Teilung erspüren. Ein Spaziergang entlang der alten Mauerlinie lohnt sich besonders in Mitte zwischen Checkpoint Charlie und Bahnhof Friedrichstraße. Dauer: ca. 2 Std.

Am ehemaligen Checkpoint Charlie beginnt der Spaziergang. Vom ehemaligen Grenzübergang für Einreisende aus dem westlichen Ausland sind nur noch ein kleines Abfertigungshäuschen und die überdimensionalen Fotoporträts eines russischen und US-amerikanischen Soldaten geblieben. Im Haus am Checkpoint Charlie werden Fluchtgeschichten und die Verhältnisse in Ost und West eindrücklich dokumentiert. Bei dem Versuch, die Mauer zu überwinden, wurden bis zur Wende 254 Menschen von DDR-Grenzposten getötet! Mit dem Rücken zu den gestapelten Sandsäcken biegen Sie links in die Zimmerstraße ein, in deren Mitte früher die Mauer den Blick auf den jeweils anderen Gehweg versperrte. Das Eckhaus ist das älteste Barockhaus der Friedrichstadt und wurde 1735 zunächst einstöckig erbaut. Entlang der Zimmerstraße passieren Sie die Häuser, deren Mieter sich quasi schon im Osten befanden, wenn sie nur die Hand aus dem Fenster streckten, denn nicht die Mauer war die eigentliche Grenze, sondern eine „virtuelle“ Linie rund 2,50 m davor. So liefen die Bewohner und Passanten also immer schon durch Ost-Berlin, wenn sie durch die Zimmerstraße gingen. Mit dem Auto zu fahren war deshalb verboten, die Bewohner mussten ihr Hab und Gut bis zu 300 m weit schleppen, was besonders bei Umzügen lästig war. Bei Steuerflüchtlingen und Kriminellen allerdings war die Adresse begehrt, denn Polizei und andere Beamte durften nicht durch Ostberliner Gebiet, Pfändungen waren also nicht möglich. In dem Gebäude mit der Backsteinfassade auf der anderen Seite des Mauerstreifens befand sich das DDR-Außenhandelsministerium mit Stasi-Stützpunkt und Waffenlager im Keller.

Weiter geht es über die Wilhelmstraße hinüber Richtung Martin-Gropius-Bau. Hier befindet sich einer der letzten Reste der fast 4 m hohen Mauer aus Betonplatten. Das Teilstück ist allerdings schon sehr zerlöchert, weil Souvenirjäger viele Bröckchen herausgeschlagen haben. Besonders begehrt waren die Stücke mit Graffiti, galt doch die Mauer zu DDR-Zeiten als längste Galerie der Welt, jedenfalls auf West-Berliner Seite. Kaum ein Künstler von Rang und Namen ließ es sich damals nehmen, die Mauer mit einem Bild zu verzieren. Zu den bekanntesten Mauermalern gehörten Thierry Noir und Keith Haring.

Linker Hand liegt das Ausstellungszent-rum Topographie des Terrors. Hier sorgten früher die Hauptquartiere von Gestapo und SS für Angst und Schrecken. Es gibt weltweit kaum einen vergleichbaren Ort, an dem so viel Terror, Folter und Mord geplant und ausgeführt wurde. Ein neues Dokumentationszentrum auf dem Gelände ergänzt die Freilichtausstellung mit 15 Stationen, die u. a. längs eines Restes der Berliner Mauer an die Schicksale der Opfer sowie an die Gebäude, die hier früher standen, erinnert. Im Martin-Gropius-Bau, dem einstigen Museum für Kunstgewerbe, 1881 eröffnet und im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, werden heute wechselnde Ausstellungen zu historischen, wissenschaftlichen und kunstgeschichtlichen Themen gezeigt. Er wurde nach dem Architekten benannt, der ein Großonkel des berühmten Bauhaus-Architekten Walter Gropius war. Wegen der Mauer konnte der Haupteingang nicht benutzt werden, Besucher mussten zur Hintertür herein. Das Gebäude im Stil der italienischen Hochrenaissance gegenüber, also schon auf der früheren Ostseite der Mauer, beherbergt seit 1993 das Berliner Abgeordnetenhaus. Es war 1892 als Preußisches Abgeordnetenhauseingeweiht worden. Das ebenfalls im Krieg stark zerstörte Gebäude wurde von der DDR nur notdürftig in Stand gesetzt und gehörte zu dem benachbarten Haus der Ministerien.

Achten Sie jetzt auf die kupfernen Einlassungen im Boden, sie markieren den einstigen Verlauf der Mauer. An der Stresemannstraße kommt zur Rechten der Potsdamer Platz in Sicht. Neubauten verdecken heute den einstigen Mauerverlauf, nur ein Band aus Kopfsteinp flaster entlang der Stresemannstraße erinnert hier noch an die geteilte Stadt.

Dort, wo sich heute die Hochhaustürme der Deutschen Bahn und von Daimler Benz in den Himmel recken, dehnte sich zu Mauerzeiten auf einer Fläche von 480 000 m2 Brachland aus – mit nur zwei Gebäuden, dem Weinhaus Huth sowie einem kleinen Rest des einst mondänen Hotels Esplanade. Bis zu seiner Bombardierung im Zweiten Weltkrieg war der Platz der verkehrsreichste Ort Europas, und hier wurde 1925 auch die erste Berliner Ampelanlage installiert. Daran erinnert ein Turm am S-Bahn-Eingang mit Uhr und horizontaler Ampellichtanlage. Das riesige Zeltdach im Sony-Center wird, wenn es dunkel wird, mit farbigem LED-Licht ausgeleuchtet. Besuchen Sie hier – falls Zeit bleibt – das Filmmuseum oder essen Sie ein Backhendl auf der Terrasse des Brauhauses Lindenbräu mit bestem Blick ins Rund dieses beeindruckenden Baus von Helmut Jahn. Auch die Bar Billy Wilder’s direkt an der Potsdamer Straße ist abends mit vielen Cocktails und Wodkasorten ideal für eine Rast.

Weiter geht es auf der Ebertstraße Richtung Pariser Platz. Zur Rechten liegen die sogenannten Ministergärten mit zahlreichen Landesvertretungen der Bundesrepublik. Daneben befindet sich das Denkmal für die ermordeten Juden Europas nach einem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman. Am Brandenburger Tor angekommen, sollte man eine kleine Pause einlegen und den Raum der Stille besuchen. Er ist im nördlichen Pfeiler des Tores untergebracht. Dort haben Fußmüde Gelegenheit auszuruhen. Kaum vorstellbar, dass noch vor 23 Jahren niemand das Brandenburger Tor durchschreiten durfte, befand es sich doch im Niemandsland zwischen Ost und West. Beim ersten gemeinsamen Silvester 1989/90 feierten über 2 Mio. Menschen rund um das Tor. Die Bebauung nördlich des Brandenburger Tores ist neu, auch wenn es nicht so aussieht. Wem nach einem Kaffee oder einer Kleinigkeit zu essen zumute ist, der kehrt am besten im Café Theodor Tucher ein. Hier verleitet eine Galerie mit vielen Büchern zum Schmökern; bequeme Sessel sorgen für Entspannung. Gestärkt geht es dann weiter Richtung Reichstag, dem heutigen Sitz des Bundestags, von dessen Kuppel Besucher einen phantastischen Ausblick über die Stadtmitte haben. Das Regierungsviertel rundherum gilt als ökologisch vorbildlich betriebenes Gebäudeensemble, das von einem mit Rapsöl betriebenen Blockheizkraftwerk sowie von Solaranlagen versorgt wird. Die gläserne Kuppel verschafft dem Deutschen Bundestag darunter Tageslicht, das durch Spiegel verstärkt wird. Auch ein Grundwasserspeicher versorgt die Regierungsgebäude mit Energie.

Hinter dem Parlamentsgebäude verlief zur Spreeseite hin früher die Mauer. Gegenüber dem Reichstag, hinter dem Elisabeth-Lüders-Haus, befindet sich die 1990 von dem Berliner Ökokünstler Ben Wargin konzipierte Gedenkstätte „Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt“. Sie besteht aus Mauersegmenten sowie quadratisch angeordneten Bäumen. Vom Uferweg aus geht es weiter vorbei am ARD-Hauptstadtstudio. Dort können Sie an kostenlosen Führungen (Mi, Sa 15 Uhr) durch Fernseh- und Tonstudios teilnehmen und erfahren, wie Nachrichtensendungen produziert werden (Mitte | Wilhelmstr. 67 a | Tel. 030 22 88 11 10 | www.ard-hauptstadtstudio.de). Zum Bahnhof Friedrichstraße ist es nur noch ein Katzensprung: immer an der Spree entlang Richtung Osten, nach fünf Minuten sind Sie da. Vielleicht mögen Sie noch ein bisschen shoppen gehen? Die Friedrichstraße mit vielen Mode- und Trendgeschäften sowie dem Kulturkaufhaus Dussmann bietet reichlich Auswahl. Wer noch mehr von der Stadt sehen möchte, steigt einfach in einen der Ausflugsdampfer, die am Bahnhof Friedrichstraße ablegen, und unternimmt eine Fahrt durch Berlins Mitte Richtung Museumsinsel (siehe auch Kasten).

Begehbares Stelenfeld: Denkmal für die ermordeten Juden Europas

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DURCH DIE BERLINER GESCHICHTE: DIE SPANDAUER VORSTADT

Der Name spricht für sich: Als ehemaliges Neubaugebiet für die Stadterweiterung bekam das Viertel im 18. Jh. den Namen Spandauer Vorstadt, weil hinter dem Stadttor der Weg gen Spandau führte. Heute haben sich viele Medienagenturen sowie In-Boutiquen und Bars hier angesiedelt. Dauer: ca. 1 Stunde

Das Scheunenviertel, das heute als Teil der Spandauer Vorstadt begriffen wird, liegt nördlich des S-Bahnhofs Hackescher Markt. Dort reihten sich im 18. Jh. die Scheunen vor den Toren Berlins wie Perlen an einer Kette. Auf diese Art wollte man Großbrände innerhalb der Stadt verhindern. War die Spandauer Vorstadt im 18. Jh. vor allem ein Zentrum von Landwirtschaft und Handel, entwickelte sich nach und nach immer mehr urbanes Leben. Die „goldenen“ 1920er-Jahre ließen schließlich ein kulturelles und handwerkliches Leben erblühen; Religionen mischten sich, und im östlich gelegenen Scheunenviertel lebten viele Juden vornehmlich aus Osteuropa. Heute knüpft der Stadtteil mit Theatern, Kunsthandwerksbetrieben und vielen Läden und Cafés wieder an diese Tradition an.

Der S-Bahnhof Hackescher Markt, an dem der Spaziergang beginnt, markiert die alte Stadtgrenze, denn zwischen Jannowitzbrücke und Friedrichstraße fährt die S- und Fernbahn auf den Fundamenten der alten Stadtmauer. Benannt ist der S-Bahnhof nach dem Stadtkommandanten von Hacke, der Mitte des 18. Jhs. das dortige Sumpfgelände trockenlegen ließ. Er ist auch Namensgeber der Hackeschen Höfe gegenüber vom Bahnhofsvorplatz. Europas größtes Hofensemble bietet in acht hintereinander angeordneten Höfen viel Mode, Kultur, Kunsthandwerk und Restaurants. Wer alle Höfe passiert, steht am Ende in der Sophienstraße, einer herausgeputzten Straßenzeile, die in den 1980er-Jahren auf Geheiß der Ostberliner Stadtoberen zur 750-Jahr-Feier saniert wurde, während nur ein paar Ecken weiter die Spandauer Vorstadt dem Verfall preisgegeben wurde. Links entlang, passieren Sie nach etwa 50 m den Kirchhof der Sophienkirche mit dem ältesten Barockkirchturm der Stadt. Auf der rechten Seite steht das Handwerksvereinshaus von 1844, Berlins erster selbstständiger Arbeiterorganisation. In den Sälen tagten und diskutierten bis zu 3000 Personen. Besonders in den 1920er-Jahren hielten Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten hier Parteiversammlungen ab. Auch die so genannten Ring-Vereine, mafiose Verbände Krimineller, trafen sich dort regelmäßig.

Ein paar Meter weiter führt der Weg durch ein Tor in die Sophie-Gips-Höfe. Medienagenturen, Galerien und Gastronomiebetriebe haben sich hier niedergelassen. Kunstinteressierte schätzen hier die Sammlung Hoffmann, eine private Sammlung zeitgenössischer Kunst, die samstags öffentlich zugänglich ist (Anmeldung: Tel. 030 28 49 91 21). Im Café Barcomi’s schmeckt amerikanischer Kuchen, im Sommer sitzen Sie sehr idyllisch auf der Hofterrasse. Der Hinterausgang des Hofensembles führt in die Gipsstraße. Sie gehört zu den ältesten Straßen der Spandauer Vorstadt. Früher gab es in der Straße eine Gipsbrennerei. Weiter geht es links die Straße entlang bis zum Ende. Die Gründerzeithäuser sind inzwischen renoviert worden, und auch hier lohnt sich ein Blick in die Hinterhöfe mit oft einstöckigen Remisen.

An der Auguststraße angekommen, biegen Sie nach etwa 50 m links in die Große Hamburger Straße ein. Sie war noch in den 1920er-Jahren berühmt für das Zusammenleben von Juden, Protestanten und Katholiken. Auf der rechten Seite kommt bald die hübsche Klinkerfassade des St.-Hedwig-Krankenhauses in Sicht. Es wurde 1888 als Hospital für Altersschwache eröffnet. Gewidmet ist es der heiligen Hedwig, die im 12. Jh. während der Christianisierung Schlesiens für ihre Armen- und Krankenpflege bekannt wurde. In der Großen Hamburger Str. 27 betreibt die Jüdische Gemeinde ein Gymnasium. Neben dem Schulhof befand sich früher ein jüdischer Friedhof, der allerdings schon 1827 zum Park des ehemaligen jüdischen Altersheims umgewidmet wurde. In diesem Heim, das heute nicht mehr steht, organisierte die SS maßgeblich die Deportationen in die Konzentrationslager. Ein Gedenkstein und eine Skulptur erinnern an die 56 000 Berliner Juden, die in die Todeslager deportiert wurden. Gegenüber dem ehemaligen Friedhof gilt Haus Nr. 19a als das älteste Haus der Spandauer Vorstadt. Am Ende der Großen Hamburger Straße biegen Sie links in die Oranienburger Straße ein. Nach rund 100 m kommt der Hackesche Markt wieder in Sicht, wo die Tour endet.

Lauschiger Platz: Sophie-Gips-Höfe in der Spandauer Vorstadt