Bild: Bundesinnenministerium am Spreeufer

ALTERNATIVKULTUR

Off-Theater mit 99 Plätzen, kleine Szeneclubs und Konzertbühnen im Hinterhof: Der Charme der Berliner Kulturszene entfaltet sich jenseits der staatlich subventionierten Kulturpaläste. Wer schon einmal eine Vorstellung des Theaters zum Westlichen Stadthirschen besucht oder einer Punkband im Schokoladen gelauscht hat, wird wissen, was gemeint ist. Hier haben sich Anwohner und Zugezogene ein Stück kulturellen Freiraums erkämpft, um jenseits gängiger Vorstellungen neue Wege der Darstellungskunst auszuprobieren. Die Ursprünge neuer Strömungen in Musik, Theater und Kunst – hier kann man sie hautnah kennenlernen! Immer Neues hat Berlin auch in Bezug auf das Nachtleben zu bieten: Szeneclubs in leerstehenden Häusern oder alten Fabriken sind häufig nicht angemeldet, Adressen werden daher nur unter der Hand weitergereicht. Am besten, man fragt einfach die Berliner oder schaut bei Facebook nach. Wenn man dann eine der Geheimadressen ergattert hat, ist man stolzer Mitwisser eines nur begrenzt haltbaren Insidertipps – die meisten Clubs dieser Art ziehen wie Nomaden schon bald wieder woanders hin.

BERLINER SCHLOSS

Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, die Reste dann auf Ost-Berliner Geheiß gesprengt, jetzt kurz vor der Auferstehung: Nach dem Abriss des Palasts der Republik, des einstigen Kulturzentrums der DDR, bietet eine grüne Wiese mit Holzbank am Rand Raum für eine weite Sicht bis zum Fernsehturm. Ab 2017 sollen hier die Schlossfassaden errichtet werden, hinter denen das Humboldt-Forum mit den Museen außereuropäischer Kulturen, der Landesbibliothek und den Sammlungen der Humboldt-Universität Platz finden soll.

DEMONSTRATIONEN

Berlin ist nicht nur Regierungshauptstadt, sondern auch Zentrum des Protests. 2010 wurden 2473 Demos bei der Polizei angemeldet; das sind im Schnitt fast sieben pro Tag! Unter den Demos sind immer wiederkehrende Events wie etwa der Gedenkmarsch zu Ehren der Arbeiterführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar, mehrere 1.-Mai-Demonstrationen oder die Schwulenund Lesbendemo am Christopher Street Day im Juni. An manchen Tagen kommt der Stadtverkehr in arge Bedrängnis, etwa wenn Bauern mit ihren Traktoren gegen die Agrarpolitik demonstrieren, gleichzeitig Studenten die Sparpolitik des Landes Berlin anprangern, während Eltern vor dem Rathaus kostenfreie Kitaplätze einfordern.

DESIGN

Von der Unesco als „Stadt des Designs“ ausgezeichnet, ist Berlin die erste deutsche Stadt im globalen Netzwerk der kreativen Städte, dem von der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur gegründeten „Creative City Network“. Weitere Städte in diesem illustren Kreis sind u. a. Buenos Aires, ebenfalls als „Stadt des Designs“, sowie Edinburgh als „Stadt der Literatur“. Neun Ausbildungsstätten, darunter zwei Kunsthochschulen und drei Modeschulen, bilden in Berlin derzeit Designer aus, laut Wirtschaftssenat rund 5500 an der Zahl. Etwa 8000 Designer und Künstler arbeiten in der sogenannten Kreativwirtschaft und produzieren Möbel, Kleiderständer, Lampen oder bildende Kunst. Künstler und Designerfirmen erwirtschaften in Berlin einen Umsatz von ca. 800 Mio. Euro jährlich – ein Wachstumsmarkt, der international wahrgenommen wird. Wichtigste Veranstaltung der Branche ist das jährliche Festival DMY International Design Festival Berlin (www.dmy-berlin.com) mit Ausstellungen und experimentellen Entwürfen zu einem Schwerpunktthema.

GROSSFLUGHAFEN

Der Hickhack um den Ausbau des Flughafens Schönefeld zum neuen Super-Airport reißt nicht ab. Zwar wird er 2012 nach über 20 Jahren Planungs- und Bauzeit tatsächlich eröffnet, dafür gehen die Berliner jetzt wegen der Flugrouten auf die Barrikaden. Besonders der Süden der Stadt ist vom Fluglärm betroffen. Die Bewohner fürchten zu Recht eine Wertminderung ihrer Lebensqualität und natürlich auch ihrer Immobilien. Dafür dürfen die Nachbarn im Norden aufatmen. Wegen der Schließung des Flughafens Tegel kann man nun in den Bezirken Spandau und Reinickendorf nach über 40 Jahren wieder besser schlafen.

HOFARCHITEKTUR

Berlin ist berühmt für seine Hofensembles. Zwei bis acht Häuser hintereinander, verbunden durch Höfe und Durchgänge, sind keine Seltenheit. Nicht zuletzt die Hackeschen Höfe in Mitte haben dieser besonderen Architektur wieder Geltung verschafft. Weitere Highlights gekonnter Hofsanierungen in Mitte sind die Heckmann-Höfe in der Oranienburger Straße, die Sophie-Gips-Höfe in der Sophienstraße sowie die Kurt-Berndt-Höfe an der Neuen Schönhauser Straße. Letztere wurden 1911/12 für die Metropol-Palast-Gesellschaft errichtet. Nach der Rückübertragung an den Alteigentümer wurde das Gebäude Ende der 1990er-Jahre modernisiert und rekonstruiert.

KUNSTMETROPOLE

Über 400 Galerien sowie zahlreiche Sammlungen machen Berlin zu einem der größten Kunstmärkte der Welt. Regelmäßig fliegen Sammler ein, um hier neue Werke einzukaufen. Streetart ist ebenfalls ein großes Thema. An jeder Ecke der Innenstadt kann man die Bilder von Streetartkünstlern wie Alias oder Emess bewundern. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat Berlin mit sechs Prozent die höchste Dichte an selbstständigen Künstlern in ganz Deutschland. Seit 2000 ist die Anzahl der Künstler in Berlin um über vierzig Prozent gestiegen! Das liegt u. a. an der Möglichkeit, relativ günstig Ateliers und Studios mieten zu können. Auch als junger Künstler kann man in Berlin gut leben, im Gegensatz zu Paris, London oder New York.

MODE

Trendscouts großer Modefirmen tummeln sich regelmäßig in der Stadt, um sich von dem phantasievollen und gewagten Outfit der Bewohner in Szenevierteln wie Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain inspirieren zu lassen. Modedesign ist nicht zuletzt dank Modemessen wie Bread and Butter und Premium ein großes Thema. Etliche Berliner Designer nähen Unikate im Hinterzimmer, während sie vorne im Laden verkaufen. Otto Normalverbraucher schert sich um Mode allerdings wenig. So ziehen es die meisten Berliner vor, möglichst bequem durch den Alltag zu laufen. Und als hinreichend schick gelten in manchen Bezirken vor allem Jogginganzug und Badelatschen ...

MULTIKULTI

Rund 190 Nationalitäten sind in Berlin vereint: In manchen Straßen, vor allem in Neukölln, Kreuzberg, Moabit und Wedding, dominieren die arabische und die türkische Kultur. Aber auch Russen (vor allem in Charlottenburg und Marzahn), Polen und Vietnamesen, die einstigen DDR-Vertragsarbeiter, prägen mit ihren eigenen Supermärkten, Bäckereien, Cafés und Restaurants das Leben in der Stadt. Die Arbeitslosigkeit ist unter Migranten besonders hoch, viele Türken kamen vor über 40 Jahren als Gastarbeiter hierher und wurden nach der Wende arbeitslos, als Fabriken und Firmen reihenweise schlossen. Für ungelernte Kräfte ohne Schulabschluss gibt es heute kaum Jobs, daher ist es auch so fatal, dass 20 Prozent aller Berliner Jugendlichen mit Migrationshintergrund keine Ausbildung beginnen können, weil sie keinen Hauptschulabschluss vorzuweisen haben. Mit neuen Bildungsmaßnahmen, etwa der Pflicht zum Besuch einer Kita mit Sprachförderung vor der Einschulung, versucht der Berliner Senat dieses Problem zu lösen.

Orient an der Spree – türkischer Wochenmarkt in Kreuzberg

MUNDART

„Die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“, lautet eine gängige Erklärung für das oftmals etwas barsche rhetorische Gebaren der Berliner. Wer in einen Bus steigt und den Fahrer nach dem Weg fragt, muss schon mal auf eine pampige Antwort gefasst sein („Bin ick hier det Auskunftsbüro oder wat?“). Freundlichkeit hält sich in Grenzen, doch wer die raue Schale nicht so ernst nimmt und schlagfertig kontert, wird schnell akzeptiert. Übrigens: Brötchen sagen in Berlin nur die Zugereisten, an der Spree isst man nämlich Schrippen. Und Berliner heißen hier nicht Berliner, sondern Pfannkuchen.

ÖKOSTADT

Die Berliner sind Energiesparer: Sie produzieren laut Statistik deutschlandweit am wenigsten CO₂ pro Einwohner! Und nur jeder zweite Haushalt, d. h. rund jeder dritte Einwohner, verfügt über ein eigenes Auto. Etliche große Konzerne und staatliche Einrichtungen heizen mit pflanzenölbefeuerten Blockheizkraftwerken und erwärmen Heißwasser mittels Solarzellen, z. B. für die Regierungsgebäude und den Deutschen Bundestag. Auch die Bundes-Parteizentrale der CDU oder das neue Haus der Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) sind mit Photovoltaikanlagen ausgerüstet. Bei einer Rundtour mit dem Solarboot (www.solarpolis.de | Tel. 0151/54 22 80 44) können Interessierte vom Wasser aus u. a. Orte und Gebäude mit sparsamem Energieverbrauch kennenlernen. Auch bei Lebensmitteln denken viele Berliner ökologisch und regional. Unzählige Biosupermärkte und Ökomärkte gedeihen prächtig, obwohl das Haushaltsnettoeinkommen der Berliner im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt eher niedrig ist. Der größte Biosupermarkt befindet sich im Prenzlauer Berg am Senefelderplatz. Hier locken 18 000 Produkte, u. a. 200 Sorten Wein und 180 Sorten Käse, auf 1600 m² Verkaufsfläche die ernährungsbewusste Kundschaft an.

OSTALGIE

Spätestens seit Wolfgang Beckers Film „Good bye Lenin“ ist die Alltagskultur der DDR voll im Trend. Design aus ehemals Volkseigenen Betrieben (VEB) wird inzwischen hoch gehandelt: Shops mit Mitropa-Geschirr und DDR-Möbeln können sich vor Interessenten kaum retten. Und wer im Plattenbauhotel Ostel unbedingt in einem original DDR-Bett übernachten möchte, bekommt auch diesen Wunsch in der Nähe des Ostbahnhofs erfüllt. Dennoch sollte man die andere Seite der Medaille nicht vergessen: Ein Besuch des Stasigefängnisses in Hohenschönhausen erinnert beispielsweise an die Schattenseiten des Regimes. Ehemalige Häftlinge führen durch das Gefängnis und berichten von Einzelhaft und unmenschlichen Verhörmethoden.

TIERLIEBE

Die Berliner sind gewissermaßen vernarrt in alles, was vier Beine hat. Besonders Hunde erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass Fußgänger immer schon einen Schritt vorausdenken müssen, damit ihnen keine stinkende Tretmine zum Verhängnis wird. Aber nicht nur der Hundekot ist ein Problem, auch der mangelnde Auslauf für viele Bellos. Die legalen Auslaufzonen im Volkpark Friedrichshain und in der Hasenheide in Kreuzberg sind notorisch überfüllt. Dass längst nicht jeder mit seiner Mieze oder seinem Fiffi klarkommt, zeigt das Tierheim am nordöstlichen Stadtrand. Mit einer Fläche von 16 ha ist es das derzeit größte Tierheim Europas, inklusive Tierfriedhof. Bis zu 12 000 Tiere werden dort jährlich von über hundert Mitarbeitern betreut. www.tierschutz-berlin.de

Was braucht der Berliner das Mittelmeer, er hat doch den Wannsee

WASSERSTADT

Kaum eine Stadt in Europa verfügt über so viele Seen, Flüsse und Kanäle wie Berlin. Rund 500 km Ufer bieten sich zum Spazierengehen, Wohnen und Sonnen an! Restaurants und Clubs mit Wasserblick gibt es vor allem an der Oberbaumbrücke in Friedrichshain. Strandbars mit Liegestühlen am Ufer der Spree und natürlich jede Menge Sommerbäder mit guter bis hervorragender Wasserqualität laden zum Relaxen ein. Ein Highlight ist das mehr als 100 Jahre alte Strandbad Wannsee, Europas größte Binnenseebadeanstalt. Hier fühlen sich Gäste wie am Ostseestrand mit feinem Sand und Strandkörben (April–Okt. tgl. 10–18, im Sommer bis 20 Uhr | Eintritt 4 Euro | www.strandbadwannsee.de | S 1, 7 Nikolassee).

WISSENSCHAFT

Berlin ist – hätten Sie’s gewusst? – eine der führenden Wissenschaftsstädte Europas: Rund 200 000 Wissenschaftler, Angestellte und Studenten aus aller Welt lehren, studieren und forschen an vier Universitäten, der Charité-Universitätsmedizin, acht Fachhochschulen, drei Kunsthochschulen, 18 privaten Hochschulen und über 60 Forschungseinrichtungen. Einen interessanten Einblick in die Leistungen der verschiedenen Institute und Forschungseinrichtungen bekommen Sie bei der Langen Nacht der Wissenschaften, die jedes Jahr im Juni veranstaltet wird. www.langenachtderwissenschaften.de