15
Man staunt doch immer wieder, welche Überraschungen das Leben für einen bereithält. Wir hatten unser neues Haus bezogen und lebten darin fern von den Menschen, genau wie ich es beabsichtigt und geplant hatte. Bloß hatten wir sie natürlich nicht völlig ausschließen können. Die Ereignisse holten uns wieder ein, sie krochen übers Meer und umzingelten uns.
Als erstes Ellies verflixte Stiefmutter. Sie bombardierte uns mit Briefen und Telegrammen, in denen sie Ellie bat, sich für sie mit Grundstücksmaklern in Verbindung zu setzen. Unser Haus, schrieb sie, habe sie derart fasziniert, dass auch sie sich unbedingt ein englisches Heim schaffen müsse. Denn sie würde so schrecklich gern jedes Jahr ein paar Monate in England verbringen. Und kurz nach ihrem letzten Telegramm traf sie persönlich ein und musste in der Gegend herumgefahren und von einem Projekt zum anderen gebracht werden. Am Ende hatte sie sich für ein Haus so gut wie entschieden, ein Haus, das nur fünfundzwanzig Kilometer von unserem entfernt lag. Wir wollten sie nicht in der Nähe haben, die Aussicht war ein Albtraum für uns, aber das konnten wir ihr nicht sagen. Oder vielmehr, selbst wenn wir es ihr gesagt hätten – es hätte sie nicht daran gehindert, ihren Willen durchzusetzen. Wir konnten ihr nichts verbieten, und Ellie wollte das auch gar nicht. Jedenfalls kamen, als sie gerade noch ein Gutachten abwartete, einige Kabel an.
Onkel Frank hatte sich anscheinend in irgendeine Patsche geritten. Es musste etwas ziemlich Schräges und Betrügerisches sein, schätzte ich, und eine Menge Geld verschlingen, ehe er wieder flott war. Abermals wurden Telegramme gewechselt, zwischen Lippincott und Ellie. Und dann entstand irgendein Zwist zwischen Stanford Lloyd und Lippincott, eine Meinungsverschiedenheit über eine von Ellies Investitionen. Ich in meiner Naivität hatte geglaubt, dass zwischen Amerika und uns ein ausreichender Sicherheitsabstand lag – weit gefehlt. Mir war nie zu Bewusstsein gekommen, dass Ellies Verwandte und Geschäftskontakte nichts weiter daran fanden, morgens eine Maschine nach England zu nehmen und abends wieder zurückzufliegen. Zuerst kam Stanford Lloyd. Dann Andrew Lippincott.
Ellie musste nach London fahren und sich mit ihnen treffen. Ich für meinen Teil durchschaute diese Finanzangelegenheiten ja nie so ganz. Zwar war jedermann sehr vorsichtig in seinen Äußerungen, aber es hatte irgendetwas mit dem Auflösen der Treuhandverwaltung zu tun; es fielen dunkle Andeutungen, dass entweder Lippincott oder Stanford Lloyd den Fortschritt der Dinge und die Abrechnung ungebührlich aufhielt.
In einer Atempause zwischen diesen Ärgernissen entdeckten Ellie und ich unseren Pavillon. Wir hatten unseren Besitz noch lange nicht bis in seine letzten Winkel erforscht, nur die engere Umgebung des Hauses. Oft schlugen wir unbekannte Waldpfade ein, nur um zu sehen, wohin sie uns führten. Eines Tages stießen wir auf einen, der so überwuchert war, dass man ihn zunächst gar nicht ausmachen konnte. Aber wir schlugen uns dennoch hindurch und fanden uns an seinem Ende vor einem kleinen weißen Pavillon. Er war noch in recht gutem Zustand, deshalb räumten wir dort auf, ließen ihn neu streichen, stellten Tisch, Stühle, einen Diwan und ein Eckschränkchen hinein, das Porzellan, Gläser und ein paar Flaschen aufnahm. Wir hatten beide unseren Spaß daran. Ellie schlug vor, den Pfad roden zu lassen, damit man leichter hinaufgelangte, aber ich war dagegen, mit der Begründung, dass es mehr Spaß machte, wenn keiner außer uns den Pavillon kannte. Ellie gefiel diese Idee wegen ihrer Romantik.
»Und auf keinen Fall verraten wir Cora etwas davon«, sagte ich, und Ellie stimmte zu.
Als Cora wieder abgereist und der Friede ins Haus zurückgekehrt war, stolperte Ellie, die vor mir den Pfad hinunterschlitterte, plötzlich über eine Wurzel, stürzte und verstauchte sich den Knöchel.
Dr. Shaw kam und sah bedenklich drein, nannte die Verstauchung »sehr übel«, meinte aber, in etwa einer Woche werde Ellie wieder auf den Beinen sein. Da sandte sie nach Greta. Ich konnte nichts dagegen einwenden. Wir hatten wirklich niemanden, der sie richtig hätte pflegen können, keine Frau, meine ich. Die Dienstboten stellten sich ziemlich tolpatschig an und überhaupt – Ellie wollte Greta haben. Und Greta kam.
Natürlich war sie vom ersten Tag eine wahre Wohltat für Ellie. Und damit auch für mich. Sie sorgte für alles und brachte den Haushalt wieder in Schwung. Da unser Personal nun wegen der Einsamkeit zu kündigen begann, annoncierte sie in den Zeitungen und fand fast sofort ein neues Dienerehepaar. Sie sah nach Ellies Knöchel, unterhielt sie, besorgte ihr Dinge, von denen sie wusste, dass Ellie sie mochte – Bücher, Obst und so weiter, wovon ich keine Ahnung hatte. Die beiden schienen miteinander schrecklich glücklich; auf jeden Fall war Ellie entzückt, und auf die eine oder andere Art kam es dann eben nicht zu Gretas Abreise… Sie blieb. Ellie fragte mich: »Dir macht es doch nichts aus, wenn Greta noch ein bisschen bleibt?«
»O nein, natürlich nicht«, sagte ich.
»Sie ist mir eine so große Hilfe«, fuhr Ellie fort. »Du weißt doch, bei diesem typischen Weiberkram; wir können so schrecklich viel zusammen unternehmen. Ohne eine andere Frau im Haus wird man mit der Zeit furchtbar einsam.«
Jeden Tag sah ich Greta mehr an sich reißen, Befehle erteilen, die Herrin herauskehren. Ich tat so, als hätte ich sie gern im Haus, doch eines Tages, als Ellie mit hoch gelagertem Bein im Wohnzimmer lag und ich mit Greta draußen auf der Terrasse saß, gerieten wir plötzlich in Streit. Ich kann mich nicht mehr an die genauen Worte erinnern, mit denen es anfing. Irgendeine Bemerkung Gretas ärgerte mich, ich gab ihr scharf Kontra, und sofort hatten wir uns in den Haaren. Der Wortwechsel nahm an Lautstärke zu, sie gab es mir tüchtig, sagte alle Gemeinheiten, die ihr nur einfielen, und ich zahlte ihr in gleicher Münze heim: dass sie in meinen Augen eine herrschsüchtige Person sei, sich in alles einmische, dass sie viel zu viel Einfluss auf Ellie hätte und dass ich nicht dulden würde, dass sie Ellie die ganze Zeit herumkommandiere. So schrien wir einander an, und dann kam plötzlich Ellie auf die Terrasse herausgehinkt, sah von einem zum anderen, und ich sagte: »Tut mir leid, Liebling, tut mir entsetzlich leid.«
Ich brachte sie zurück ins Haus und bettete sie wieder aufs Sofa. Ellie sagte: »Ich wusste gar nicht… Ich hatte keine Ahnung, dass sie dir derart zuwider ist.«
Ich beruhigte sie, sagte, sie solle sich nichts daraus machen, ich hätte bloß die Nerven verloren, manchmal sei ich eben richtig streitsüchtig. Es sei weiter nichts. Greta kommandiere mir nur ein bisschen zu viel herum. Vielleicht könne man ihr das aber gar nicht verübeln, sie sei es zu lange gewohnt gewesen. Und schließlich sagte ich, im Grunde hätte ich Greta sehr gern, mein Temperament sei eben nur mit mir durchgegangen, weil ich mir Sorgen machte. Es endete damit, dass ich Greta praktisch anflehte, bei uns zu bleiben.
Das Ganze hatte sich zu einer richtigen Szene ausgewachsen, die den anderen Hausbewohnern wohl nicht verborgen geblieben war, auf keinen Fall unserem neuen Dienerehepaar. Wenn die Wut mich packt, dann schreie ich. Wahrscheinlich ging ich damals ein bisschen zu weit, aber ich bin nun mal so.
Greta machte eine ziemliche Schau aus Ellies Pflege, sorgte sich äußerst nachdrücklich um ihre Gesundheit, verbot ihr dies und riet ihr von jenem ab.
»Sie hat nämlich eine schwache Konstitution«, erklärte sie mir.
»Ellie fehlt überhaupt nichts. Sie war immer völlig gesund.«
»Nein, das war sie nicht, Michael. Sie ist zu zart.«
Bei seiner nächsten Visite sagte Dr. Shaw zu Ellie, alles sei wieder ganz in Ordnung, sie solle den Knöchel nur leicht bandagieren, wenn sie über unebenes Gelände ging. Ich nahm ihn beiseite und fragte ihn auf eine etwas unbeholfene Art, so von Mann zu Mann: »Sie ist doch nicht schwächlich, oder, Dr. Shaw?«
»Wer sagt denn das?« Dr. Shaw verkörperte den Typ des Landarztes, der heutzutage ziemlich selten ist; er war dafür bekannt, dass er auf die Heilkraft der Natur schwor.
»Soweit ich sehe, fehlt ihr überhaupt nichts«, sagte er. »Jeder kann sich mal den Knöchel verstauchen.«
»Daran hab ich auch nicht gedacht. Ich meine nur, ob sie vielleicht ein schwaches Herz hat oder so.«
Er musterte mich über seine Brille hinweg. »Nun fangen Sie mal nicht an, Gespenster zu sehen, junger Mann. Wie kommen Sie denn darauf? Sie scheinen mir doch, nicht der Typ, der sich über Frauenwehwehchen den Kopf zerbricht?«
»Ach, Miss Andersen hat nur gemeint…«
»Aha, Miss Andersen. Was versteht sie denn davon? Hat sie etwa Medizin studiert, he?«
»Nein, das nicht.«
»Ihre Gattin ist eine sehr reiche Frau«, begann Dr. Shaw. »Jedenfalls behauptet das der Dorfklatsch, aber für manche Leute sind ja alle Amerikaner steinreich.«
»Doch, sie ist reich«, bestätigte ich.
»Na also. Dann dürfen Sie folgendes nicht vergessen: Reiche Frauen sind manchmal sehr viel ärmer dran. Immer verschreibt ihnen irgendein Arzt Pülverchen oder Pillen, Anregungsmittel oder Beruhigungstabletten – jedenfalls Zeug, ohne das sie sich wohler fühlen würden. Die Dorfweiber da unten zum Beispiel sind viel gesünder, weil kein Mensch sich über ihre Gesundheit den Kopf zerbricht.«
»Aber Ellie nimmt wirklich irgendwelche Kapseln«, beharrte ich.
»Wenn Sie wollen, untersuche ich sie mal gründlich. Vielleicht sollte ich tatsächlich feststellen, welchen Quatsch man ihr bisher verordnet hat. Ich kann Ihnen sagen, meistens rate ich den Leuten bloß, die ganze Apotheke in den Papierkorb zu kippen.«
Bevor er ging, sprach er noch mit Greta. »Mr Rogers hat mich gebeten, Mrs Rogers zu untersuchen. Meiner Meinung nach fehlt ihr nichts. Wahrscheinlich würde ihr ein bisschen Bewegung in der frischen Luft gut tun. Was für Medikamente nimmt sie?«
»Sie hat ein paar Mittel gegen Erschöpfung, und dann noch andere zur Beruhigung, falls sie nicht schlafen kann.«
Sie und Dr. Shaw machten in Ellies Arzneischränkchen Inventur.
Ellie musste ein wenig lächeln. »Von dem ganzen Zeug nehme ich kaum etwas, Dr. Shaw«, sagte sie. »Nur die Kapseln gegen meine Allergie.«
Shaw sah sich die Kapseln an, las die Gebrauchsanweisung, kam zu dem Schluss, dass sie harmlos seien, und wandte sich den Schlaftabletten zu. »Schlafen Sie denn schlecht?« fragte er.
»Nicht, seit ich auf dem Land wohne. Soweit ich mich erinnere, habe ich hier noch keine einzige Schlaftablette genommen.«
»Na, das ist ja prächtig.« Er tätschelte ihr die Schulter. »Meine Liebe, mit Ihnen ist wirklich alles in Ordnung. Vielleicht neigen Sie manchmal ein bisschen zum Schwarzsehen, weiter nichts. Diese Kapseln da sind relativ schwach, viele Leute nehmen sie heutzutage, und sie haben noch keinem geschadet. Bei denen können Sie bleiben, aber lassen Sie die Finger von den Schlaftabletten.«
»Ich weiß gar nicht, warum ich mir Sorgen gemacht habe«, sagte ich später zu Ellie. »Vielleicht lag’s an Greta.«
»Oh«, lachte Ellie, »Greta macht immer ein solches Theater mit mir. Sie selber nimmt gar keine Medikamente.« Und sie fuhr fort: »Wir wollen großen Hausputz machen, Mike, und den ganzen Kram wegwerfen.«
Mittlerweile verstand sich Ellie mit den meisten unserer Nachbarn glänzend. Claudia Hardcastle besuchte uns recht oft und ritt gelegentlich mit Ellie aus. Ich konnte nicht reiten, mein Interesse hatte von jeher mehr den mechanischen Fortbewegungsmitteln wie den Autos gegolten. Obwohl ich früher in Irland ein paar Tage lang Ställe ausgemistet hatte, verstand ich nicht das geringste von Pferden, aber ich nahm mir heimlich vor, bei unserem nächsten Aufenthalt in London eine dieser todschicken Reitschulen zu besuchen und dem Mangel abzuhelfen. Hier unten wollte ich damit nicht beginnen, die Leute hätten mich vermutlich ausgelacht. Meiner Ansicht nach bekam Ellie das Reiten sehr gut und schien ihr viel Freude zu machen. Greta ermunterte sie noch dazu, obwohl auch sie keine Ahnung von Pferden hatte.
Ellie und Claudia fuhren zusammen zum Pferdemarkt, wo Ellie sich auf Claudias Rat hin einen kastanienbraunen Wallach namens Conquer kaufte. Ich ermahnte Ellie immer, gut aufzupassen, wenn sie allein ausritt, aber sie lachte mich nur aus.
»Ich sitze seit meinem dritten Jahr im Sattel«, sagte sie.
Nun ritt sie zwei- oder dreimal in der Woche aus. Greta fuhr dann nach Market Chadwell einkaufen.
Eines Tages sagte Greta beim Mittagessen: »Ihr hier mit euren Zigeunern! Heute morgen, als ich losfuhr, stand so ein fürchterliches altes Weib mitten auf der Straße. Ich hätte sie fast überfahren, so plötzlich hatte ich sie vor dem Kühler.«
»Warum, was wollte sie denn?«
Ellie hörte uns zu, sagte aber kein Wort, obwohl sie, wie mir schien, ziemlich betroffen war.
»Sie hat mir gedroht – so eine verdammte Frechheit!«
»Gedroht?«
»Na ja, sie wollte mich verscheuchen. ›Das Land hier gehört den Zigeunern‹, rief sie, ›also verschwindet! Verschwindet alle miteinander dahin, woher ihr gekommen seid, wenn euch euer Leben lieb ist.‹ Und dann drohte sie mir mit der geballten Faust. ›Wenn ich euch verfluche‹, sagte sie, ›ist es mit eurem Glück vorbei, für immer. Wagt es nur, unser Land zu kaufen und Häuser daraufzustellen! Auf dieses Land gehören Zelte, keine Häuser.‹«
Greta erzählte noch eine Menge mehr; hinterher meinte Ellie zu mir: »Das klingt alles ziemlich unwahrscheinlich, glaubst du nicht auch, Mike?«
»Ja, Greta hat wohl ein bisschen übertrieben«, stimmte ich zu.
»Irgendwie kam es mir unecht vor«, fuhr Ellie fort. »Ob Greta uns da etwas vorgemacht hat?«
Ich bedachte das. »Aber warum sollte sie?« Dann fragte ich scharf: »Hast du etwa die alte Esther in letzter Zeit gesehen? Beim Ausreiten?«
»Die Zigeunerin? Nein.«
»Das hört sich nicht ganz überzeugend an, Ellie.«
»Na ja, vielleicht ein- oder zweimal. Aber es war immer nur so ein Schatten zwischen den Bäumen; sie schien mir nachzuspähen, aber es war nie nah genug, dass ich mich hätte vergewissern können.«
Doch eines Tages kehrte Ellie bleich und zitternd von einem Ausritt zurück. Die Alte war unter den Bäumen hervorgetreten, Ellie hatte ihr Pferd gezügelt, um sie anzusprechen. Die alte Frau hatte ihr mit der Faust gedroht und irgendetwas vor sich hin gemurmelt. Ellie erzählte: »Diesmal wurde ich aber wirklich wütend. Ich fuhr sie an: ›Was wollen Sie denn hier? Das Land gehört nicht mehr euch, es ist unser Land und unser Haus.‹ Da sagte die Alte: Nie und nimmer wird dir dieses Land gehören. Ich habe dich gewarnt, einmal und noch einmal. Ein drittes Mal warne ich dich nicht. Es währt nicht mehr lange – das sage ich dir. Ich kann den Tod schon sehen, da, hinter deiner linken Schulter. Der Tod steht hinter dir – er kommt dich holen. Dein Pferd da hat einen weißen Fuß. Weißt du nicht, dass es Unglück bringt, so ein Pferd zu reiten? Ich sehe Tod und Verfall, die ganze Pracht, die ihr da hingestellt habt, sehe ich verfallen!«
»Dem muss ein Ende gemacht werden«, sagte ich wütend.
Auch Ellie ging diesmal nicht mit einem Lachen darüber hinweg; im Gegenteil, sowohl sie wie Greta bekamen ängstliche Gesichter. Ich machte mich sofort auf den Weg ins Dorf hinunter. Mrs Lees Kate war mein erstes Ziel, aber sie lag dunkel und verlassen da, und so ging ich weiter, zum Polizeirevier. Ich kannte den Reviervorsteher, Sergeant Keene, einen vierschrötigen, vernünftigen Mann. Er hörte sich meine Geschichte an und sagte dann: »Tut mir leid, dass Sie diesen Ärger haben. Sie ist eben schon sehr alt und wird wohl allmählich wunderlich. Eine Nervensäge. Wir hatten allerdings bis jetzt kaum Ärger mit ihr. Aber ich werde mal mit ihr reden, damit sie das sein lässt.«
»Wenn Sie so freundlich wären«, sagte ich.
Er zögerte und fragte dann: »Ich will ja nichts unterstellen – aber gibt es Ihres Wissens hier am Ort irgend jemanden, der es, vielleicht aus ganz nichtigem Grund, auf Sie oder Ihre Frau abgesehen haben könnte?«
»Nicht dass ich wüsste – es wäre auch höchst unwahrscheinlich. Warum?«
»Die alte Mrs Lee ist neuerdings recht gut bei Kasse. Ich kann mir gar nicht denken, wo dieser Segen herkommt…«
»Was wollen Sie damit andeuten?«
»Es wäre immerhin möglich, dass jemand sie bezahlt – jemand, der Sie von hier vertreiben will. Da war so eine Sache, vor vielen Jahren – sie nahm von einem Dorfbewohner Geld an und verscheuchte dafür dessen Nachbarn. Genau auf die gleiche Masche, mit Drohungen, Warnungen, Sprüchen vom bösen Blick. Dörfler sind eben abergläubisch. Man hat sie damals verwarnt, und so viel ich weiß, hat sie es danach nie wieder versucht – bis jetzt vielleicht. Sie ist scharf aufs Geld, und für Geld tun die Leute allerhand…«
Aber mir wollte diese Version nicht einleuchten. Ich erinnerte Keene daran, dass wir völlig fremd waren. »Um uns Feinde zu machen, dazu hatten wir noch gar keine Zeit.« Niedergeschlagen wanderte ich nach Hause. Als ich um die Ecke der Terrasse bog, hörte ich die leisen Klänge von Ellies Gitarre und sah eine hoch gewachsene Gestalt, die von außen durchs Fenster gespäht hatte und nun herumfuhr und auf mich zukam. Einen Augenblick lang hielt ich sie für unsere Zigeunerin, aber dann erkannte ich aufatmend Santonix. »Oh«, sagte ich etwas atemlos, »Sie sind’s. Wo hat Sie’s denn hergeschneit? Wir haben ja eine Ewigkeit nichts mehr von Ihnen gehört.«
Er antwortete mir nicht gleich, sondern zog mich am Arm vom Fenster weg.
»Sie ist also da!«, sagte er. »Eigentlich überrascht es mich gar nicht. Ich dachte mir schon, dass sie früher oder später kommen würde. Aber warum lassen Sie das zu? Sie ist gefährlich. Und Sie müssten das eigentlich wissen.«
»Wer – Ellie?«
»Nicht doch, nicht Ellie. Die andere! Wie heißt sie noch? Greta.«
Wortlos starrte ich ihn an.
»Sie haben Greta doch hoffentlich durchschaut, oder? Sie ist von sich aus gekommen, nicht wahr? Hat von euch Besitz ergriffen. Jetzt werden Sie sie nie mehr los. Die hat sich eingenistet.«
»Ellie hat sich den Knöchel verstaucht«, erklärte ich, »und Greta ist sie pflegen gekommen. Sie… Wahrscheinlich reist sie bald wieder ab.«
»Da kennen Sie diese Sorte schlecht. Sie hatte es von Anfang an so geplant. Ich wusste es gleich. Damals, als sie während der Bauarbeiten kam, da hab ich mir schon ein Bild von ihr gemacht.«
»Ellie braucht sie anscheinend«, murmelte ich.
»O ja, sie ist schon lange bei Ellie, nicht wahr? Sie versteht sich darauf, Ellie zu beeinflussen.«
Genau das hatte auch Lippincott gesagt. Ich hatte in letzter Zeit selber feststellen können, wie Recht er damit gehabt hatte.
»Ist das denn in Ihrem Sinne, Mike?«
»Ich kann sie schließlich nicht hinauswerfen«, entgegnete ich gereizt, »sie ist Ellies beste Freundin. Was kann ich schon dagegen tun, verdammt noch mal?«
»Nein«, sagte Santonix, »Sie können wohl nichts dagegen tun. Sie nicht.«
Dabei musterte er mich mit einem eigenartigen Blick. Santonix war schon ein seltsamer Mensch; man war sich nie sicher, wie er seine Bemerkungen eigentlich meinte.
»Wissen Sie denn, worauf Sie zusteuern, Mike?«, fragte er. »Haben Sie auch nur einen Schimmer? Manchmal glaube ich wirklich, Sie sind mit Blindheit geschlagen.«
»Natürlich weiß ich das«, protestierte ich. »Ich lebe jetzt so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Und das gilt auch für die Zukunft.«
»Tatsächlich? Das fragt sich noch. Es fragt sich, ob Sie wirklich wissen, was Sie eigentlich wollen. Ich fürchte für Sie – jetzt, da Greta im Haus ist. Die ist nämlich stärker als Sie.«
»Ich sehe nicht ein, woraus Sie das schließen. Es geht hier doch nicht darum, wer der Stärkere ist.«
»Wirklich nicht? Vielleicht doch. Greta ist eine starke Persönlichkeit, von der Art, die sich immer durchsetzt. Sie wollten sie nicht hier haben, zumindest sagen Sie das. Aber da sitzt sie, und ich sehe ihnen schon die ganze Zeit zu. Die beiden hocken beieinander, sie und Ellie, plaudern gemütlich, sind sich völlig genug. Und Sie, Mike? Wo passen Sie ins Bild? Sind Sie der Außenseiter? Oder sind Sie gar kein Außenseiter mehr?«
»Reden Sie nicht so konfuses Zeug. Was soll das heißen – ich ein Außenseiter? Schließlich bin ich Ellies Mann, oder?«
»Ah – sind Sie Ellies Mann, oder ist Ellie Ihre Frau?«
»Quatsch! Das kommt doch auf dasselbe raus.«
Er seufzte und ließ die Schultern hängen. »Ich kann mich Ihnen nicht verständlich machen. Sie begreifen einfach nicht. Manchmal denke ich, ja, diesmal hat er’s kapiert, und dann kommt es mir wieder so vor, als wüssten Sie nicht das geringste über sich selbst, geschweige denn über andere.«
»Also jetzt reicht’s mir. Sie sind ein großartiger Architekt, Santonix, aber…«
Sein Ausdruck wechselte abrupt, wie üblich. »Ja, ich bin ein guter Architekt. Dieses Haus hier ist meine beste Arbeit, und ich bin auch fast damit zufrieden. Sie haben sich so ein Haus gewünscht; und Ellie auch, um, mit Ihnen darin zu leben. Ihr beide habt jetzt euer Haus. Schicken Sie diese Frau weg, Mike, bevor es zu spät ist.«
»Wie könnte ich Ellie so vor den Kopf stoßen?«
»Die Person hat auch Sie schon um den Finger gewickelt«, stellte Santonix fest.
»Hören Sie, ich kann Greta auch nicht leiden. Sie geht mir auf die Nerven. Unlängst hatte ich sogar einen fürchterlichen Krach mit ihr. Aber das alles ist gar nicht so einfach, wie Sie meinen.«
»Nicht so einfach mit Greta.«
»Also – wer den Namen Gipsy’s Acre auch erfunden hat und diese Geschichte mit dem Fluch, der war gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt«, schimpfte ich. »Hier springt hinter jedem Baum ein Zigeuner hervor und schreit einen an, wenn wir nicht sofort verschwinden, passiert uns etwas ganz Furchtbares. Hier auf diesem Stück Land, das so freundlich und so schön sein sollte.«
Die letzten Worte waren mir nur so herausgerutscht, aber Santonix griff sie sofort auf.
»Ja, das sollte es. Freundlich und schön. Aber kann es das denn, wenn sich das Böse nicht vertreiben lässt?«
»Nun sagen Sie bloß nicht, Sie glauben an…«
»Ich glaube an die seltsamsten Dinge. Und vom Bösen verstehe ich etwas, ich bin’s ja selber zum Teil. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen? Aber dieses Haus, das ich gebaut habe, das soll davon befreit werden. Begreifen Sie das?« Er fragte es fast drohend. »Begreifen Sie? Es ist mir wichtig.«
Dann sprang seine Stimmung abermals um. »Los, kommen Sie«, drängte er, »hören wir auf mit der Unkerei. Gehen wir endlich hinein zu Ellie.«
Als wir durch die Verandatüren traten, begrüßte Ellie ihn geradezu stürmisch.
An diesem Abend zeigte sich Santonix von seiner ausgeglichensten Seite. Er wurde nicht mehr theatralisch, sondern gab sich ganz, wie er war – charmant und fröhlich. Meist unterhielt er sich mit Greta, als wolle er seinen ganzen Charme gerade über sie ausgießen. Jeder Beobachter hätte geschworen, dass sie ihm großen Eindruck machte, dass er sie mochte und ihr gefallen wollte. In mir verstärkte das den Eindruck, dass Santonix wirklich ein gefährlicher Charakter war, mit vielen Untiefen, von denen ich keine Ahnung hatte.
Greta verfehlte nie, auf Bewunderung zu reagieren. Jetzt zeigte sie sich von ihrer besten Seite. Sie war eine Frau, die ihre Schönheit an- und abstellen konnte, und heute wirkte sie so anziehend, wie ich es an ihr noch nicht erlebt hatte. Lächelnd hörte sie Santonix zu, hing gebannt an seinen Lippen. Ich fragte mich, was er mit dieser Taktik beabsichtigte. Bei Santonix wusste man das nie. Ellie wollte ihn gern noch einige Tage dabehalten und sagte das auch, aber er schüttelte den Kopf. Morgen müsse er aufbrechen, meinte er.
»Sind Sie so beschäftigt? Bauen Sie wieder ein neues Projekt?«
Nein, antwortete er, er sei gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden.
»Sie haben mich wieder einmal überholt«, ergänzte er. »Aber es war wahrscheinlich das letzte Mal.«
»Überholt? Was machen sie denn mit Ihnen?«
»Sie zapfen mir mein krankes Blut ab und pumpen mir frisches ein, gesundes rotes Blut.«
»Oh, wie schrecklich«, flüsterte Ellie.
»Nur keine Angst«, beruhigte Santonix sie. »Sie brauchen so etwas nie zu befürchten.«
»Wenn man doch nur gefeit wäre«, seufzte Ellie.
»Wieso, wovor fürchten Sie sich?«
»Ach, diese Drohungen nehmen mich doch ziemlich mit«, sagte Ellie. »Ich lasse mich nicht gern verfluchen.«
»Sie sprechen von Ihrer Zigeunerin?«
»Ja.«
»Denken Sie nicht mehr daran«, sagte Santonix, »wenigstens heute abend nicht mehr. Heute soll nichts unser Glück trüben. Ellie – auf Ihre Gesundheit und ein langes Leben, und für mich auf ein schnelles und schmerzloses Ende – auf Mikes Glück, und…« Er verstummte, das Glas zu Greta erhoben.
»Ja?«, fragte Greta. »Und für mich?«
»Auf das, was Ihnen gebührt. Erfolg vielleicht?« Er sagte es mit ironischem Unterton.
Am nächsten Morgen reiste er sehr früh ab.
»Ein seltsamer Mensch«, meinte Ellie. »Ich hab ihn nie ganz verstanden.«
»Mir ist auch das meiste an ihm schleierhaft«, stimmte ich zu.
»Aber er weiß eine Menge.«
»Meinst du, was die Zukunft betrifft?«
»Nein, das nicht. Er durchschaut die Leute. Wir haben schon einmal davon gesprochen. Er kennt einen besser, als man sich selber kennt. Manchmal hasst er die Leute dann dafür, manchmal bemitleidet er sie. Mich bemitleidet er aber nicht«, fügte sie nachdenklich hinzu.
»Warum sollte er auch?«
»Ach, nur so.«