13
Ich versuche wirklich mein Bestes, so wenig das sein mag, ein Bild der Personen zu zeichnen, die in unser Leben traten, will sagen, in mein Leben, denn zu Ellie gehörten sie natürlich bereits. Unser Fehler war zu glauben, dass sie nun aus Ellies Leben verschwinden würden. Genau das taten sie nicht, hatten es auch gar nicht vor. Aber damals wussten wir das noch nicht.
Als nächstes begann die englische Episode. Unser Haus wurde fertig, ein Telegramm von Santonix traf ein. Er hatte uns gebeten, dem Bauplatz eine Woche fernzubleiben, dann kabelte er: »Kommt morgen.« Wir fuhren hinaus und trafen bei Sonnenuntergang ein. Santonix hörte unseren Wagen und trat vors Haus, uns zu begrüßen. Als ich unser Haus so dastehen sah, fix und fertig, machte irgendetwas in mir einen Satz, sprang hoch und wollte mir schier die Haut sprengen. Mein Haus – endlich hatte ich es! Ich umklammerte Ellies Arm.
»Gefällt es euch?«, fragte Santonix.
»Absolute Spitzenklasse«, sagte ich stupide, aber er wusste schon, wie’s gemeint war.
»Ja«, antwortete er, »es ist das Beste geworden, das ich je gebaut habe. Zwar kostet es euch einen Haufen Geld, aber es ist jeden Penny davon wert. Die Voranschläge habe ich natürlich weit überschritten. Also los, Mike, nehmen Sie sie schon hoch, und tragen Sie sie über die Schwelle. Das gehört sich so.«
Errötend hob ich Ellie auf die Arme – sie war leicht wie eine Feder – und trug sie, wie Santonix vorgeschlagen hatte, über meine Schwelle. Als ich dabei ein bisschen stolperte, runzelte Santonix die Stirn. »Na also«, sagte er, »da wären wir. Seien Sie anständig zu ihr, Mike; geben Sie auf sie Acht. Selber kann sie das nicht, auch wenn sie’s glaubt.«
»Was sollte mir schon passieren?«, fragte Ellie.
»Ach, es ist eine böse Welt mit schlechten Leuten darin«, sagte Santonix. »Und ein paar davon sind auch um Sie, Kind. Ich weiß es, ich habe schließlich einige von ihnen hier herumschnüffeln sehen. Wie die Ratten. Entschuldigen Sie meine Sprache, aber irgendjemand muss es Ihnen mal sagen.«
»Uns werden sie nicht mehr belästigen«, meinte Ellie. »Sie sind alle in die Staaten zurückgekehrt.«
»Mag sein. Aber schließlich sind es bis dort nur ein paar Flugstunden.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern, sie waren jetzt sehr hager und blass. Er sah entsetzlich aus.
»Wenn ich könnte, mein Kind«, sagte er, »würde ich selber auf Sie Acht geben. Aber ich kann nicht. Es dauert nicht mehr lange mit mir. Sie werden sich allein durchschlagen müssen.«
»Schluss jetzt mit dem Orakeln«, mischte ich mich ein. »Zeigen Sie uns das Haus – und zwar Zoll für Zoll.«
So machten wir den ersten Rundgang. Einige Zimmer waren noch leer, aber wir feierten doch Wiedersehen mit den meisten Dingen, die wir unterwegs gekauft hatten – Bildern, Möbeln und Vorhängen.
»Wir haben noch keinen Namen dafür«, sagte Ellie plötzlich.
»The Towers können wir es nicht nennen, das war lächerlich. Wie war noch der andere Name, den du einmal erwähnt hast?«, wandte sie sich an mich. »Gipsy’s Acre, nicht wahr?«
»So soll es aber nicht heißen«, sagte ich scharf. »Ich mag den Namen nicht.«
»Hier am Ort nennen es aber alle so«, meinte Santonix.
»Weil sie ein Haufen abergläubischer Trottel sind«, explodierte ich.
Dann ließen wir uns auf der Terrasse nieder, genossen den Sonnenuntergang und die Aussicht und überlegten uns Namen für das Haus. Doch dann wurde es unversehens kühl, es dunkelte schon, und wir gingen hinein. Wir schlossen nur die Fenster, die Vorhänge ließen wir offen. Für heute waren wir noch Selbstversorger; am nächsten Tag sollte das Personal eintreffen, das wir für teures Geld eingestellt hatten.
»Bestimmt werden sie sich über die Einsamkeit beschweren und sofort wieder kündigen wollen«, unkte Ellie.
»Zahlen Sie ihnen eben den doppelten Lohn, dann bleiben sie schon«, meinte Santonix.
»Sie denken wohl, jeder ist käuflich«, lachte Ellie, aber es war nicht spaßig gemeint.
Wir hatten Pastete mitgebracht, Weißbrot und große rote Garnelen. Vergnügt saßen wir um den Tisch, aßen und unterhielten uns. Sogar Santonix wirkte gestärkt und belebt; seine Augen glänzten erregt.
Es geschah ganz plötzlich. Ein Stein flog durchs Fenster und krachte auf den Tisch. Dabei zerbrach ein Weinglas, und ein Splitter verletzte Ellie an der Wange. Einen Augenblick lang waren wir wie gelähmt, dann sprang ich auf, rannte zum Fenster, riss es auf und stürzte auf die Terrasse hinaus. Weit und breit niemand. Ich kehrte ins Zimmer zurück.
Mit einer Papierserviette wischte ich Ellie einen Tropfen Blut von der Wange. »Du bist verletzt… Hier, Liebes, es ist nur ein Kratzer. Nicht schlimm.«
Ich begegnete Santonix’ Blick.
»Warum machen sie so was?«, fragte Ellie.
»Halbstarke«, sagte ich, »du kennst sie ja, junge Taugenichtse. Wahrscheinlich wussten sie, dass wir heute einziehen wollten. Ein Glück, dass sie nur einen Stein geworfen haben. Sie hätten auch ein Luftgewehr oder so nehmen können.«
»Aber warum? Was haben sie gegen uns?«
»Das weiß ich doch nicht. Pure Roheit wahrscheinlich.«
Ellie erhob sich plötzlich. »Ich habe Angst«, sagte sie. »Ich fürchte mich.«
»Morgen werden wir’s schon herauskriegen«, beruhigte ich sie. »Die Leute hier sind uns noch fremd.«
»Liegt es daran, dass wir reich sind und sie arm?« Sie fragte es nicht mich, sondern Santonix, als ob er es besser wüsste.
»Nein«, antwortete Santonix langsam, »daran liegt es nicht, glaube ich…«
»Nein, sie hassen uns einfach«, sagte Ellie. »Sie hassen Mike und mich. Warum? Weil wir glücklich sind?«
Wieder schüttelte Santonix den Kopf.
»Nein«, stimmte Ellie ihm zu, »nein, es ist noch anders. Etwas, das wir nicht kennen. Es ist Gipsy’s Acre. Jeder, der hier wohnt, ist ihnen verhasst. Wird von ihnen verfolgt. Vielleicht gelingt es ihnen am Ende noch, uns von hier zu vertreiben…«
Ich schenkte ihr ein Glas Wein ein.
»Bitte nicht, Ellie, sag so was nicht. Hier, trink. Das eben war ein scheußliches Erlebnis, aber doch nur ein Dummerjungenstreich.«
»Wer weiß«, murmelte Ellie, »wer…« Sie sah mich scharf an. »Irgendwer will uns vertreiben, Mike.«
»Wir lassen uns aber nicht«, versprach ich und fügte hinzu: »Ich gebe schon Acht auf dich. Niemand wird dir was tun.«
Wieder sah sie Santonix an.
»Sie müssten es doch wissen. Sie waren die ganze Zeit hier auf der Baustelle. Haben sie Ihnen gegenüber nichts erwähnt? Auch schon Steine geworfen, oder die Bauarbeiten sabotiert?«
»Man bildet sich so leicht etwas ein«, sagte Santonix.
»Also doch Zwischenfälle?«
»Die gibt es immer beim Bau, das ist nicht weiter ernst zu nehmen. Ein Mann kippt von der Leiter, ein anderer lässt sich was auf den Fuß fallen, ein dritter reißt sich einen Splitter ein, und der Finger eitert.«
»Und sonst nichts? Nichts, das absichtlich herbeigeführt sein konnte?«
»Nein«, sagte Santonix, »nein. Ich schwör’s Ihnen, nein!«
Ellie wandte sich an mich.
»Weißt du noch, Mike, diese Zigeunerin… Wie komisch die sich damals aufführte, als sie mich vor dem Platz hier warnte.«
»Die ist nur ein bisschen verdreht, nicht ganz richtig im Kopf.«
»Aber wir haben auf Gipsy’s Acre gebaut«, fuhr Ellie fort. »Wir haben genau das getan, wovor sie uns warnte.« Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. »Und ich lasse mich nicht wegjagen! Von niemand. Nie und nimmer!«
»Niemand soll uns verjagen«, versprach ich. »Wir werden hier glücklich sein.«