3. KAPITEL
Nebel hüllte Pier 39, das malerische Touristenmekka aus Geschäften und Restaurants an der Fisherman’s Wharf, in einen unwirklichen Zauber. Jessie hakte sich bei Joshua unter und passte sich seinem Schritttempo an. Tropfen glitzerten in ihrem dunklen Haar wie flüssige Diamanten. Ihre Schritte hallten auf dem Holzsteg, als sie fröhlich zwischen den Kübeln mit bunten Frühjahrsblumen und den unvermeidlichen mit Kameras bepackten Touristen spazierten.
Jessie zog Joshua an der Hand. „Komm schon. Ich möchte die Robben sehen.“
Sie beugte sich über das Geländer, um einen besseren Blick auf die Tiere zu haben, die sich auf speziell angefertigten Plattformen im Wasser rekelten. „Süß, oder?“
Joshua lachte. „Ja, wirklich süß.“ Er stellte den Kragen ihres knallroten Wollmantels auf. Seine Hände fühlten sich warm auf ihrer eisigen Haut an. „Du erfrierst ja.“ Er zog seinen eigenen Schal aus und packte Jessie bis zu den Augenbrauen ein. Sie kicherte. „Wie wäre es mit ein paar Litern heißem Kaffee?“
„Und Kuchen?“
„Und Kuchen.“
Sie gingen jetzt schneller und fanden ein kleines, verstecktes Café, in dem es warm war und einladend duftete. Sie wählten einen winzigen Tisch mit Blick auf die Boote, mit denen Touristen auf die Insel Alcatraz schipperten, und bestellten Kaffee, noch bevor sie ihre Mäntel ausgezogen hatten.
„Hier gibt’s nur etwa dreißig verschiedenen Kuchensorten. Wir könnten ein Stück von jedem bestellen“, schlug Joshua vor, als Jessie sich in die Karte vertiefte. Sie streckte ihm die Zunge raus.
Joshuas Augen verdunkelten sich. „Ich kann mir viel interessantere Dinge vorstellen, die du mit deiner Zunge anstellen kannst.“
„Schlimmer Junge.“ Sie lächelte den jungen Mann an, der in diesem Moment ihren Kaffee servierte und ihre weitere Bestellung aufnehmen wollte. Er fiel beinahe über den Tisch. Joshua seufzte. Jessie hatte diesen Effekt auf Männer jeder Altersklasse.
Nachdem sie den Kuchen bestellt und die Mäntel ausgezogen hatten, begannen sie ausführlich über die Ausstellung zu diskutieren, die sie eine Woche vorher zusammen besucht hatten, sprachen dann über Joshuas letzte Reise nach Japan und über den großen Auftrag, an dem Jessie gerade arbeitete, die Ausstattung eines kleinen Hotels in Marin.
Der Ober brachte den Kuchen und verschwand. Jessie griff nach der Gabel, legte sie dann aber wieder weg.
„Ich habe Angst, Conrad zu enttäuschen.“ Gedankenverloren begann sie, ihre Serviette in kleine Stücke zu reißen. „Die Leute, denen das Hotel gehört, besitzen auch ein kleines Weingut in Napa. Sie sind ziemlich einflussreich, wahrscheinlich werden sie Con eine Menge Aufträge erteilen, wenn ich meinen Job gut mache.“ Sie spielte mit den Serviettenschnipseln herum.
„Ich habe gesehen, was du kannst, Jessie. Du bist eine großartige Innenarchitektin. Die können von Glück sprechen, dass du für sie arbeitest.“
Sie errötete. „Wirklich?“
„Wirklich. Aber falls deine Bedenken dich davon abhalten, dein Zitronenbaiser zu essen, dann …“
„Finger weg!“ Jessie zog den Teller näher an sich und nahm die Gabel wieder in die Hand. Lächelnd bot sie ihm ein Stück an. Er schloss die Lippen um ihre Gabel. Heute Abend würde sie unter ihm liegen. All die Leidenschaft, die er bisher unterdrückt hatte, würde explodieren, bis sie beide zu erschöpft waren, sich noch zu rühren.
„Danke.“ Er war so erregt, dass er schon befürchtete, vielleicht Fieber zu haben. Seit Monaten köchelte er vor sich hin. „Es gefällt mir, wie du zu essen genießt. Du isst so viel wie ein Footballspieler und hast die Figur einer Nymphe. Wo steckst du das alles nur hin?“ Sein Blick wanderte über ihren schlanken Körper und blieb einen Moment an ihren kleinen Brüsten hängen.
„Nun, da jedenfalls offensichtlich nicht!“ Jessie wurde rot. „Schau dir lieber die Babyrobben oder so was an. Ich kann nicht essen, wenn du mich anstarrst wie ein Löwe, der gerade eine Antilope verschlingen will.“
„Hm. Weich, saftig und rosa.“
Jessie verdrehte die Augen. Joshua rechnete damit, dass sie spätestens in einer Stunde das Café verlassen würden. Zu Hause hatte er eine exzellente Flasche Cristal kühl gestellt. Er riss sich zusammen. „Erzähl mir, was für ein hinreißendes Kind du warst.“
„Ich war überhaupt kein hinreißendes Kind. Ich war ein hässliches, wildes Mädchen.“ Sie lächelte. „Es war gar nicht leicht für mich, Freunde zu finden. Meine Mutter und ich sind ständig umgezogen. Von Wohnung zu Wohnung, von Stadt zu Stadt, manchmal auch von Bundesstaat zu Bundesstaat. Ständig musste ich in eine andere Schule gehen.“
„Militärdienst?“
„Schulden.“
Er runzelte die Stirn. „Ihr wart arm.“
„Ich schätze schon, obwohl ich das damals nicht wusste. Die Dinge waren einfach, wie sie waren.“
„Und wann hast du diese Liebesbeziehung zum Essen begonnen?“ Er konnte es kaum erwarten, endlich ihren gierigen kleinen Mund überall auf seinem Körper zu spüren. Sich Jessie im Bett vorzustellen war weitaus angenehmer als darüber nachzudenken, wie arm und bedürftig und einsam sie gewesen war. Aus irgendeinem Grund machte ihn dieser Gedanke wütend und … er fühlte sich verdammt noch mal einfach unbehaglich.
„Oh, das ist lange her. Ich habe mit sechs oder sieben gelernt zu kochen, weil ich sonst nichts zu essen bekommen hätte. Meine Mutter tendierte dazu, solche Nichtigkeiten zu vergessen. Einmal hatten wir einen wunderbaren italienischen Nachbarn, dem ich manchmal beim Kochen zusehen durfte. Schon im Treppenhaus roch es immer fantastisch.“ Sie schloss die Augen und atmete tief ein. „Knoblauch. Tomaten. Lecker. Heißes, selbst gebackenes Pizzabrot. Manchmal saß ich einfach auf dem Boden vor seiner Tür und habe geschnüffelt. Alleine der Geruch von Knoblauch reicht, und ich denke sofort an diese Zeit.“
„Mein Gott, Jessie.“ Er hatte sie nie als Kind vor sich gesehen, nur als sinnliche Frau, die dazu geschaffen war, einen Mann im Bett glücklich zu machen.
Mit einer abwehrenden Handbewegung wischte sie sein Mitgefühl weg. „Ich muss dir nicht leidtun. Glaub mir, als Kind fand ich das alles total aufregend. Ich dachte, hungrig zu sein wäre normal. Und ich habe gelernt, wie man Spaghetti richtig kocht.“
„Das ist Kindesmissbrauch.“
„Von meiner Mutter? Nein, sie hat mir nie wehgetan. Sie hat mich nur …“
„… vernachlässigt.“ Himmel, kein Wunder, dass sie so aß. Es würde niemals genug Essen geben für das kleine Kind, das am Verhungern war. So erklärte sich auch, dass sie immer darauf bestand, die Reste einpacken zu lassen, selbst in den feinsten Restaurants.
„Das war alles ein wenig komplizierter.“ Jessie biss sich auf die Lippen und schwieg einen Moment. Ihre Blicke trafen sich. „Meine Mutter hat nebenbei als Prostituierte gearbeitet, damit wir über die Runden kamen. So. Jetzt ist es raus. Uff. Als Teenager habe ich sie dafür gehasst, für das, was sie getan hat, dafür, dass wir so leben mussten. Ich war ein Unfall, sie weiß nicht, wer mein Vater ist. Vor sechs Jahren ist sie gestorben. Ich kann ihren Lebensstil nicht gutheißen, aber ich habe sie geliebt.“ Ihre Augen wirkten ungewöhnlich düster. „Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, vermisse ich sie irgendwie. Familie ist wichtig, Joshua. Ganz gleich, was passiert.“
„Familie“, wiederholte er leidenschaftslos und mit finsterem Blick. „Ich dachte schon, meine wäre schlimm, aber mit deiner Kindheit verglichen war meine ein Spaziergang.“
„Erzähl mal. Du sprichst immer nur von Simon und deinem Cousin Paul the Playboy.“
„Möchtest du noch ein Stück Kuchen?“
„Was glaubst du denn?“ Sie winkte dem Ober zu, formte das Wort „Apfel“ mit ihren Lippen und fixierte dann Joshua wieder mit ihren schokoladenbraunen Augen. „Verrate mir all die kleinen Familiengeheimnisse der Falcons.“
„Kannst du in den Klatschblättern nachlesen. Da scheint wirklich alles drinzustehen.“
„Die erfinden doch den ganzen Kram. Danke“, sagte sie an den Ober gewandt, der mindestens die Hälfte des Kuchens für Jessie abgeschnitten hatte. „Oder sollte die Geschichte, dass du mit einer Außerirdischen ein Kind hast, doch wahr sein?“
Joshua grinste. „Das habe ich gar nicht mitbekommen.“
„Es gab sogar ein Foto“, nuschelte Jessie mit vollem Mund.
„Echt?“
„Mhm.“ Sie schluckte. „Keine Familienähnlichkeit. Nun erzähl schon.“
Ich hätte so jemanden wie dich, Jessie Adams, gut in meinem Leben gebrauchen können. Wenn er zurückdachte, hatte er das Gefühl, immer schon gefühlskalt gewesen zu sein. „Ich bin überwiegend von unseren Angestellten aufgezogen worden, bis ich eines Tages in ein Internat verfrachtet wurde“, sagte er kurz angebunden. Es war ihm unangenehm, jetzt selbst auf dem heißen Stuhl zu sitzen.
„Armer kleiner reicher Junge.“
Joshua starrte sie einen Moment lang an, dann schüttelte er den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich hatte alles, was ich brauchte.“
„Nicht ganz. Ich wette, du hast deine Mutter vermisst.“
„Ich habe sie nur vermisst, wenn ich zu Hause war. Weil sie immer irgendwo unterwegs war. Nein, was ich wirklich wollte, war eine Spielzeugeisenbahn“, erklärte er, verärgert über ihre Fehleinschätzung. „Stattdessen wurde einmal um unser komplettes Anwesen eine Gleisanlage mit echter Bimmelbahn gebaut. Das war nicht gerade das, was ich mir für mein Zimmer vorgestellt hatte. Ich wollte natürlich immer das, was die ‘normalen’ Kinder auch hatten. Ein Jo-Jo oder ein blaues Klappmesser oder eine braune Lederbomberjacke, wie sie der Sohn eines unserer Angestellten hatte. Ziemlich dumm von mir, denn ich hätte von meinem Taschengeld Hunderte davon kaufen können. Aber komischerweise war das nicht dasselbe. Schließlich ist mir klar geworden, dass das alles überhaupt keine Rolle spielt. Für mich wurde gut gesorgt, ich hatte eine hervorragende Schulbildung und habe schließlich auch gelernt, harte Arbeit zu schätzen. Ich wollte kein Stümper werden, sondern Verantwortung übernehmen.“
„Ach, Joshua …“
„Auf der anderen Seite, was ich jetzt wirklich gerne hätte, ist, dass du mit mir nach Hause kommst.“
Jessie lächelte beinahe traurig. „Tut mir leid, Romeo. Schlechtes Timing.“
„Verdammt.“
„Das kannst du laut sagen. Wie wäre es mit einem weiteren Stück Kuchen?“
„Wann trefft ihr euch wieder?“, fragte Archie.
„Heute Abend. Hört mal, Jungs. Verklärt die Situation nicht. Es geht hier schlicht und ergreifend um Sex.“ Nur dass es jedes Mal, wenn sie sich trafen, komplizierter wurde. Sie schüttelte den Kopf, als Archie ihr Kaffee nachschenken wollte. „ Für mich keinen mehr, danke.“ Jessie stand auf und spülte die Tasse im Waschbecken aus. Dann trocknete sie sich die Hände ab und rief über die Schulter: „Wir gehen zu Noble’s. Er sagt, es gäbe etwas Besonderes zu feiern.“
„Valentinstag“, erklärte Archie fröhlich.
„Er wird dich endlich ins Bett bekommen“, sagte Conrad missmutig und fuhr sich mit den Fingern durch das blonde Haar.
„Nein, wird er nicht“, entgegnete Jessie eisern und hängte das Handtuch wieder auf. „Da kann er sich auf den Kopf stellen, es wird nicht passieren.“ Dann lächelte sie. „Zumindest nicht in den nächsten zwei Wochen. Also brauche ich die gute Unterwäsche bis dahin nicht rauszusuchen.“
„Du solltest besser losziehen und richtig aufregende Unterwäsche besorgen.“ Archie zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Conrad ging zu Jessie und hob ihr Kinn. „Du solltest dir nicht eine Sekunde lang einbilden, dass der Eisklotz eine ehrbare Frau aus dir macht. Das wird nicht passieren. Du weißt es, wir wissen es, du kannst deinen süßen Hintern darauf verwetten, dass er nicht den geringsten Gedanken daran verschwendet. Ich wette, dieser Typ hat noch nie in seinem Leben Hackbraten gegessen.“
„In diesem Fall bin ich eine ehrbare Frau. Nämlich seine. Zumindest so lange, bis ich geschieden bin. Ich will nicht, dass einer von uns sich verliebt, egal wer“, rief ihm Jessie in Erinnerung. „Ich will nur mein Kind.“ Und mit heilem Herzen aus dieser Geschichte herauskommen.
„Dann, meine Liebe, schlage ich vor, dass du keine Unterwäsche kaufen gehst“, sagte Conrad mit weicherem Ton, „sondern noch mal die Presseartikel über Falcon liest, bevor du deine Temperatur misst.“
Joshua schenkte ihr zum Valentinstag rosa Diamanten. Sie saßen an einem von Kerzen beleuchteten Tisch bei Noble’s. Joshua beobachtete ihre Reaktion.
„Vielen Dank, Joshua. Sie sind wunderschön. Aber ich möchte nicht, dass du mir Geschenke machst.“ Wieder lag dieser unergründliche Blick in ihren Augen.
„Magst du keine Ohrringe?“, fragte er sarkastisch, weil ganz klar war, wie sehr ihr der Schmuck gefiel.
Jedes Geschenk, das er Jessie machte, war eine Art Test. Sie konnte schließlich nicht jedes ablehnen. Und sich auch nicht jedes Mal so aufrichtig freuen. Niemand war so gut. Er musste dafür sorgen, dass seine Gefühle für sie wieder auf ein akzeptables Niveau fielen.
„Ich liebe Ohrringe, je größer, desto besser. Und diese sind absolut fantastisch.“ Sie berührte einen der großen, pinkfarbenen Tropfen. „Was sind das für Steine?“
„Diamanten.“
Jessie errötete, am liebsten hätte er sie berührt. Er stellte sich vor, wie er seine Lippen an der Hitze ihrer Wangen wärmte.
„Ich meine die rosa Steine.“
„Diamanten“, wiederholte er.
„Diamanten.“ Jessie wurde blass. „O mein Gott. Joshua! Die müssen ja … die sind riesig!“
„Fünf Karat.“ Er hatte seine Sekretärin wie immer aufgefordert, die Rechnung in der Schachtel zu lassen. Vermutlich würde er die Ohrringe noch einmal zu sehen bekommen, bevor sie dann irgendwo angeblich verloren wurden.
„Bitte, ich finde sie toll, aber ich kann sie nicht annehmen.“ Sie riss sich einen der Ohrringe ab. „Ich mag großen, glänzenden Modeschmuck. Ich würde ja durchdrehen, wenn ich die verlieren würde.“ Sie legte den Ohrring so vorsichtig auf den Tisch, als ob er zerbrechlich wäre. Joshua nahm ihn und steckte ihn wieder an ihr Ohr. „Behalte sie. Sie sind versichert.“ Gespräch beendet.
Sie saßen nebeneinander, er spürte die Wärme ihres Schenkels. Sie trug ihr Haar zu einem sexy Knoten zusammengefasst. Die rosa Diamanten schimmerten und malten Regenbogenprismen auf ihre zarten Wangen. Das Kerzenlicht tanzte in ihren Augen, während sie die Paare beobachtete, die sich langsam auf der winzigen Tanzfläche bewegten. Die rosa Jacke knisterte, als sie sich bewegte und ihn fragend anblickte.
„Du brauchst gar nicht zu fragen“, murmelte er heiser; sein Atem ließ eine ihrer lockigen Strähnen flattern. Er hatte nicht vor, noch einmal mit ihr zu tanzen, bevor er seinen Hunger auf sie nicht im Bett gestillt hatte. Denn im Moment war er eine tickende Zeitbombe. „Wenn ich dich jetzt im Arm halte, bleibt mir nichts anderes übrig, als dich hier auf dem Boden zu nehmen. Hart und schnell.“
Sie lächelte dieses verflucht aufregende rätselhafte Lächeln, das die Neuronen in seinem Hirn immer derart unter Strom setzte, dass seine Muskeln zu zucken begannen.
„Ich will dich“, murmelte er. „Sofort.“ Er hielt ihre Hand fest, als sie sich etwas zurücklehnen wollte. „Du hast mich länger hingehalten als jede Frau zuvor.“
Der warme Schein der Kerze flackerte auf ihrem Gesicht, tauchte es in goldenes Licht und ließ ihre dunklen Augen strahlen. Er richtete seinen Blick auf ihren feucht schimmernden Mund. Mit der Zunge fuhr sie sich über die Unterlippe. Joshua unterdrückte ein Stöhnen. Sie beugte sich nach vorne und legte die Ellbogen auf den Tisch. Dabei verschob sich ihr Dekolleté so, dass er die weichen Rundungen ihrer Brüste sehen konnte. Er riss sich von dem Anblick los, und sie gab einen tiefen, kehligen Laut von sich.
„Ich schätze, du mischst dieses Zeugs unter mein Essen.“ Sie sprach so leise, dass er sie kaum verstehen konnte. „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gefühlt.“
Joshua räusperte sich. „Was für Zeugs?“
Jessies Augen schimmerten feucht, sie errötete tief. „Spanische Fliege.“
Joshua glaubte, explodieren zu müssen. „Die Spanische Fliege wird in Wahrheit aus den Knochen von Käfern hergestellt.“
Sie zog eine Grimasse.
Joshua musste sich das Lachen verkneifen. „Das juckt ein bisschen, gut, aber man braucht es nicht, um Sex zu haben.“ Falls überhaupt möglich, errötete sie noch tiefer und gab ein kleines, verlegenes Stöhnen von sich. Sein Körper vibrierte vor Begehren. „Wir beide haben einfach eine Überdosis der guten alten Lust abbekommen.“ Er hob sein Glas. „Auf alles Neue!“
„Auf alles Neue.“ Jessie prostete ihm zu und lächelte strahlend. Dann aß sie fröhlich ihre Garnelen auf.
Inzwischen hatten sich noch mehr Strähnen aus ihrem Knoten gelöst und sich in den Ohrringen verhakt. Er befreite sie und ließ dann die Hand in ihrem Nacken verweilen. „Du weißt doch, dass wir miteinander schlafen werden, Jessie. Ich war weiß Gott sehr geduldig und habe lange genug gewartet. Aber das werde ich nicht länger tun. Ich bin kein Mann, der ewig auf egal was wartet. Ich will jetzt eine Antwort von dir.“
Jessie legte eine Hand auf ihre Tasche, etwas, was sie oft tat, als ob es sich um einen Talisman handelte. „Du hast mir keine Frage gestellt.“
„Dann frage ich jetzt.“
„Ich bin mir nicht ganz sicher, was.“
Er zog ein gefaltetes Dokument aus der Hemdtasche und schob es über den Tisch. „Ich möchte, dass du meine Geliebte wirst, Jessie.“ Seine Stimme wurde eine Oktave dunkler, seine Augen blitzten, als er ihren Mund beobachtete. Zögernd nahm sie das Papier, trank einen Schluck Wasser. „Was ist das?“
„Ein Vertrag. Eine rechtskräftige, verbindliche Vereinbarung.“ Sein stechender Blick erinnerte sie an den eines Raubvogels. „Lies es.“
„Ich hätte es lieber, wenn du mir eine kurze Zusammenfassung gibst.“ Unter dem Tisch ballte sie die Fäuste. Ein Vertrag! Dieser Bastard. Und sie hatte schon Schuldgefühle gehabt, weil sie so kaltblütig vorging.
„Ab heute bis zum Jahresende bist du meine Geliebte“, sagte er ausdruckslos. „Ich zahle deine Miete. Kaufe deine Kleider. Dafür gibst du mir für diese Zeit exklusive Rechte.“ Ganz klassisch. Seine Treue wurde gar nicht erwähnt.
Sie erinnerte sich an Frankie, einen Fünfzehnjährigen, in den sie einmal wahnsinnig verliebt war. Als sie versuchte, ihn zu küssen, hatte er sie als Nutte beschimpft, sie sei genau wie ihre Mutter. Drei Kinder hatten einschreiten müssen, um ihn von ihr zu befreien. Sie hatte ihm die Nase gebrochen und ihm ein blaues Auge verpasst. Jetzt fragte sie sich, wie viele Leute wohl nötig wären, um sie von Falcon loszureißen.
„Du willst mich doch genauso wie ich dich.“
Ja. Und wenn ich schon vor Monaten mit dir geschlafen hätte, würde das jetzt nicht so wehtun. „Und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut.“
„Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du mich willst, Jessie. Du bist eine erfahrene Frau. Du kennst das Spiel. Du willst mich, und ich will dich. Ich kann ein sehr großzügiger Liebhaber sein.“ Er berührte einen Ohrring, der gegen ihren Hals strich und ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen.“
Sie versuchte, sich zu beruhigen, und holte tief Luft. „Du willst, dass ich einen Vertrag unterschreibe.“ Das war nicht als Frage gemeint.
„Was hast du erwartet?“, fragte er ungerührt. „Einen Handschlag, ein Gentlemen’s Agreement?“
Jessies Lachen klang spröde, auch in ihren eigenen Ohren. „Ich kann dir sagen, warum das nicht möglich ist. Weil keiner von uns beiden ein Gentleman ist.“ Sie zögerte. „Was passiert, wenn meine Zeit abgelaufen ist?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Soll ich einfach verschwinden, sozusagen auf dem großen Friedhof begraben werden wie deine anderen Geliebten?“
Joshua sah sie nur an. Er war so verdammt kalt. Zornig gab sie ihm das Papier zurück. „Ich enttäusche dich nur ungern, Joshua, aber nicht jede Frau findet dich unwiderstehlich. Ich habe gedacht, ich könnte das hier tun, aber nein, danke.“
Das war zu unpersönlich, zu kalkuliert. Sie hatte wirklich geglaubt, dass sie damit umgehen könnte, aber sie hatte sich geirrt. Sehr geirrt. Fällt dir ziemlich früh ein, Jessie, dachte sie höhnisch.
„Ich will mehr als das. Ich verdiene mehr als das.“
„Zehntausend im Monat.“
„W…Wie bitte?“
„Zehntausend im Monat, steuerfrei. Die Wohnung und die Klamotten. Und ein Auto.“
Jessie biss die Zähne zusammen. „Ich habe nicht von Geld gespr…“
„Zwölftausend. Das ist mein letztes Angebot.“
Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen. „Du kannst dieses Papier nehmen und es dir in den …“
Sie schnappte ihre Tasche und sprang auf. Er packte sie am Handgelenk, als sie versuchte, an ihm vorbeizugehen. Mit der anderen Hand hielt er ihr den Vertrag hin. „Nimm ihn. Lies ihn. Ich gebe dir zwei Wochen Zeit, dich zu entscheiden.“
Jessie starrte auf ihn hinunter, ihr Atem ging hastig. „Eine meiner besten Eigenschaften“, sagte sie kühl und riss die Hand weg, „ist, dass ich mich immer schnell entscheide. Du bist ein selbstgerechter Bastard, und ich bin unendlich froh, dass ich nicht mit dir geschlafen habe. Du kalter, arroganter …“ Ihr Herz schlug so schnell, dass sie befürchtete, ohnmächtig zu werden. „… Trottel.“
Sie musste hier raus. Jetzt. Mit kalten Händen nahm sie das Papier, faltete es klein zusammen und rollte es dann zu einem Röhrchen. „Hier.“ Sie drückte es an seine Brust. „Das entspricht ungefähr deiner Größe.“
Der Vertrag fiel in seinen Schoß. Er hielt ihr Handgelenk schmerzhaft umklammert. „Jessie …“
Sie machte sich los, zog die Ohrringe ab, legte sie vorsichtig neben seine Kaffeetasse und lief eilig aus dem Restaurant.
Verflucht noch mal. Konnte dieser Mann denn gar nichts richtig machen? An jedem ihrer fruchtbaren Tage im Januar war er nicht in der Stadt gewesen. Auch im Februar nicht. In ein paar Wochen hätten alle Signale auf Grün gestanden, und mit etwas Glück wären sie dann auch mal zur selben Zeit am selben Ort gewesen.
Aber nein. Stattdessen hatte er sie so dermaßen in Rage gebracht, dass sie ihm beinahe seine arrogante Nase gebrochen hätte. Jessie hätte sich vor Ekel am liebsten übergeben.
Sie fuhr durch die Toreinfahrt. Das war ein typischer Fall von: Überleg dir gut, worum du bittest, es könnte dir erfüllt werden. Und, Himmel, sie hatte tatsächlich darum gebeten. Ein eisiger Wind fegte um ihr Auto. Jessie starrte mit stumpfem Blick auf ihr Cottage. Dann wurde der Schmerz in ihrer Brust so groß, dass sie die Stirn aufs Lenkrad legte und die Augen schloss.
Sie war schon so nah dran gewesen. So verdammt nah dran. Tränen der Wut und Enttäuschung tropften unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Sie hämmerte mit der Faust aufs Lenkrad. „Ich will ein Baby.“ Ihre Stimme brach und sie schlug erneut drauf los. „Du hast mir versprochen, mir meinen Herzenswunsch zu erfüllen. Du schuldest mir mein Baby, du Mistkerl.“
Jessie hob den Kopf und schaute in die Dunkelheit, auf die schaukelnden Baumwipfel neben ihrer Hütte. Joshua Falcon ging an eine menschliche Beziehung genauso heran wie an ein Geschäft. Warum hatte sie das überrascht? Für ihn war das ein und dasselbe.
Sie hatte noch zwei Wochen Zeit, sich wieder zu beruhigen. Ich werde an meinem ersten fruchtbaren Tag zu ihm gehen, dachte sie wütend und knirschte mit den Zähnen.
Ich werde ihn verführen.
Wenn ich ihn nicht vorher umbringe.