Schwarzer Mond

Fasziniert und angstvoll zugleich starrte Admiral Tervosh wie auch jeder andere Mann in seiner Flotte nach oben in den Nachthimmel, der vier Monde am Firmament zeigte. „Ein schwarzer Mond, unglaublich!“ Ein neuer schwarzer Mond stand neben den drei bekannten Monden und zeigte sich als volle Scheibe, so als wäre er schon immer da gewesen. „War er das?“ Jetzt, wo der neue Mond sichtbar war, kam es Tervosh so vor, als ob ein Schleier von ihm abgefallen war, der schon sein ganzes Leben lang seine Sicht verklärt hatte.

„Die Zeit des Erwachens ist gekommen. Das ist kein Zufall, Admiral.“ Mit sicherem Schritt stellte sich General Gorky neben ihn an die Reling des Kommandoturms der Kiltis, dem Flaggschiff der Flotte. Im Gegensatz zu dem General der Elitetruppen, die sich an Bord seiner Flotte befanden, gefiel Admiral Tervosh der Anblick überhaupt nicht. Als er seine geheimen Befehle auf See geöffnet und gelesen hatte, war sein erster Impuls ein ungläubiges Lachen gewesen. Er hatte gehofft, dass es sich um einen schlechten Scherz gehandelt hatte, doch spätestens jetzt wusste er, dass aus dem Scherz blutiger Ernst werden würde.

„Admiral! Wir haben das vereinbarte Zeichen gesichtet, vier Feuer brennen auf dem großen Wehrturm des Hafens.“ Mit düsterem Blick und einem stummen Nicken vernahm Admiral Tervosh die Meldung seines ersten Offiziers. Jetzt gab es kein Zurück mehr, eine Befehlsverweigerung wäre sein Todesurteil und er hatte vor, noch möglichst lange zu leben. Er fuhr schon zu See, solange er denken konnte, erst an Bord des kleinen Walfängers seines Vaters und dann auf verschiedenen Handelsschiffen, die die nördlichen Routen befuhren. Er hatte es sowohl seiner Kompetenz in der Navigation als auch seiner ausgezeichneten Ortskenntnis des nördlichen Meeres zu verdanken, dass er sich schnell in der Rangleiter nach oben gearbeitet hatte und schon bald selbst Kapitän eines Schiffes geworden war.

Als die Tzarina mit dem Bau ihrer neuen Flotte begonnen hatte, rief sie alle Kaldarrer mit Kenntnissen in der Seefahrt zu sich und bot ihnen Posten in den neuen Seestreitkräften an. Zu dieser Zeit war Tervosh noch außer sich gewesen vor Freude. Endlich bekam Kaldarra eine eigene Flotte, nichts und niemand hätte ihn damals davon abhalten können, sich ebenfalls zu melden. Nur wenige Manöver als Kapitän eines der neuen Kriegsschiffe später hatte die Tzarina ihn persönlich zum Admiral der Flotte gemacht, eine kaum fassbare Ehre für einen Mann, der als einfacher Fischer aufgewachsen war.

Doch damals hatte Tervosh noch nicht gewusst, dass man ihn in den Krieg schicken würde. Damals dachte er noch, dass es um die Verteidigung der Küstenstädte seines Landes gegen Piraten ging. Hätte er zu jener Zeit geahnt, dass er einmal den Befehl zum Angriff auf Phrygia, die Stadt der Legenden selbst geben sollte, wäre er auf seinem eigenen Schiff geblieben und nie in die Dienste der Tzarina getreten.

Jetzt hatte er keine Wahl mehr. General Gorky, der Befehlshaber der Elitetruppen, die sich an Bord der fünfunddreißig Galeeren seiner Flotte befanden, sah ihn erwartungsvoll an und wartete auf seinen Befehl zum Angriff. „Selbst wenn ich jetzt den Befehl zum Rückzug gebe, wird er mich des Kommandos entheben und hinrichten. Keine Wahl mehr.“ Seinen Rücken gerade streckend richtete er sich schließlich an der Reling der Kommandoplattform seiner Admiralsgaleere auf, so dass er gut sichtbar für alle Seemänner und Soldaten war. „Gebt das Signal zum Angriff. Feuer an die Katapulte, alle Ruder schnelle Fahrt voraus.“

Mit eiserner Miene beobachtete er, wie seine Flotte Fahrt aufnahm und in perfekter V-Form in Richtung der vier klar sichtbaren Feuer fuhr. Sie hatten nicht zufällig genau an diesem Tag kurz außerhalb der Sichtweite des Hafens geankert, bereit zum Angriff. Dieser Tag war genauestens in seinen Befehlen vermerkt worden, wie auch in denen des Generals. Ebenso hatte er mit Überraschung in seinen Befehlen gelesen, dass Unterstützung von Seiten der Familie der Kadeen erwartet wurde. Offensichtlich putschte die ehrgeizige Triumvirin Schmee Kadeen gegen ihre beiden Mitregenten und wollte mit Hilfe der Tzarina von Kaldarra die alleinige Herrschaft in Phrygia übernehmen. All das hörte sich für Tervosh an wie eine jener Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählte, Legenden und Märchen über die großen Kriege der Vergangenheit. Doch dies war kein Märchen und auch keine Legende, es war bittere Realität und er war mitten drin in einem Krieg, den er nie gewollt hatte.

„Drei feindliche Galeonen voraus!“ Der Alarm des Ausgucks kam nicht überraschend, trotzdem fluchte Tervosh still in sich hinein. Er hatte gehofft, einen Kampf auf See vermeiden zu können, wo die größeren und wendigeren Schiffe aus Keldur ihnen mit ihren schweren Kriegsmaschinen überlegen waren. „Linker Flügel ausbrechen und Rammgeschwindigkeit aufnehmen.“ Direkt nach Übermittlung der entsprechenden Feuerzeichen verließen fünfzehn Galeeren auf der linken Flanke die Formation und nahmen Geschwindigkeit auf die neue Bedrohung auf.

Sie waren fünf zu eins in der Überzahl und doch hatte Tervosh keine Hoffnung, die drei gegnerischen Schiffe verlustlos zerstören zu können. Keldur war nicht ohne Grund das Land der Seefahrer, die drei gegnerischen Galeonen kreuzten schnell gegen den Wind und eröffneten bereits aus großer Entfernung das Feuer mit ihren gewaltigen Katapulten. Hilflos musste Tervosh mit ansehen, wie zwei seiner Galeeren durch direkte Treffer von Feuerkugeln in Flammen aufgingen, noch bevor sie selbst überhaupt einen eigenen Schuss hätten abgeben können. Der starre Blick des Generals neben ihm zeigte dem Admiral, dass er nicht allein mit seinen Gedanken war. Für die Besatzung der beiden Schiffe würde es keine Rettung geben, die Küste war noch zu weit und das Wasser zu kalt. Tervosh hatte gerade zwei Schiffe und der General vierhundert Mann verloren.

Insgesamt siebentausend Elitesoldaten der Tzarina befanden sich auf den fünfunddreißig Galeeren seiner Flotte, eine beachtliche Armee. „Aber nur, wenn sie auch das Festland erreichen.“ Mit einer Handbewegung gab er das Signal zum Feuern, dass sofort an die anderen Schiffe übertragen wurde. Dutzende Feuerbälle schossen von den Galeeren seines linken Flügels aus gegen die feindlichen Schiffe, aber nur wenige trafen. Gerade Mal eines der drei feindlichen Schiffe schien durch einige Treffer ernsthaft in Schwierigkeiten zu kommen, die anderen beiden wichen der Salve mit kaum fassbarer Wendigkeit aus.

Nur wenige Sekunden später rammten die ersten seiner Galeeren das angeschlagene Feindschiff. „Eins weniger, bleiben noch zwei.“ Mit steigender Bewunderung betrachtete Tervosh die atemberaubenden Segelmanöver der Galeonen, während sich seine Hauptstreitmacht weiter dem Hafen von Phrygia näherte. Inzwischen waren alle fünf großen Wachtürme des Hafens klar zu sehen. Der mittlere Turm war der stärkste, von ihm aus hatten sie das verabredete Zeichen erhalten. Die anderen vier Türme waren etwas kleiner, aber dennoch war jeder von ihnen eine tödliche Bedrohung für seine kleine Flotte, während sie in den Hafen navigierte.

Gerade, als der graubärtige Admiral den Befehl zum Ausschwärmen der Flotte geben wollte, startete der südliche Turm seinen Beschuss. Dutzende Feuerbälle und Steinkugeln schossen aus den Geschützplattformen des Wehrturms hinaus aufs Meer gegen seine Galeeren. Die anderen Türme wiederum schossen auf den südlichen Turm, doch dessen dicke Steinmauern zeigten sich sichtlich unbeeindruckt. Seine Galeeren jedoch waren aus Holz und jeder Treffer tötete Soldaten und Seemänner, verlangsamte Schiffe oder versenkte sie. Fluchend musste Tervosh mit ansehen, wie drei seiner vorderen Schiffe in Flammen aufgingen, sie würden den rettenden Hafen nicht mehr erreichen.

„Ruder maximale Geschwindigkeit. Ausschwärmen und Platz zwischen den Schiffen lassen, so sind wir schlechtere Ziele. Wir gehen bei den großen Stegen der vier Wachtürme, die uns helfen, an Land.“ Noch einmal sah Admiral Tervosh zum Himmel und betrachtete den schwarzen Mond, der kraftvoll neben den drei anderen Monden am Himmel stand. „Die Zeit des Erwachens. Wer hätte gedacht, dass es auch die Zeit der Kriege sein würde. Wir haben nur eine Chance, Phrygia muss heute Nacht fallen.

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„Es ist getan, die Barriere existiert nicht mehr. Geh und nimm deinen rechtmäßigen Platz im schwarzen Turm ein.“ Die Stimme des Mannes in der Rüstung war ebenso eisig wie die Aura von Kälte, die ihn umgab. Langsam trat er einen Schritt zurück und machte Platz für Hassem, der nun direkt auf den Turm sehen konnte. „Endlich! Der Turm ist mein. Seine Macht ist mein. Schon bald werde ich herrschen.“ Ohne seine Umgebung weiter zu beachten, ging Hassem mit festen Schritten auf die drei Säulen des Turms zu, deren Eingangstore auf die Mitte zwischen ihnen gerichtet waren.

Jedes der Tore war mit fremdartig wirkenden Schriftzeichen bestückt, so wie er es in seinen Träumen gesehen hatte. Vorsichtig ging Hassem weiter zur Mitte zwischen den Eingängen und betrachtete einmal mehr die seltsame Schrift. Doch je länger er sie betrachtete, umso deutlicher wurde sie und schon nach wenigen Minuten ergab sie plötzlich einen Sinn. „Drei Schulen der Magie des schwarzen Mondes. Nur wer alle drei Schulen meistert, kann Erzmagier des schwarzen Turms werden.“ Fasziniert las Hassem die alten Schriftzeichen, als ob er die Sprache beherrschen würde, in der sie geschrieben waren. Es dauerte einige Minuten, dann verstand er, was sie ihm zu sagen hatten. Er musste nicht lange überlegen, um seine Wahl zu treffen. Ohne zu zögern rief er nach Shimo und seiner kleinen Spinne durch ihren Seelenbund, dann stellte er sich vor das nördliche Tor. „Prüfe mich, ich bin bereit.“

Der mentale Finger, der ihn traf, war wie ein Schock, obwohl er es erwartet hatte. Es war, als ob ein unsichtbarer Geist in Hassems Kopf sehen und ihn lesen würde. Umgehend stieg Übelkeit in ihm auf, während stechender Schmerz in seinem Kopf herumstocherte. Konzentriert versuchte Hassem, aufrecht stehen zu bleiben und der fremden Präsenz in seinem Kopf zu widerstehen, doch mit jeder Sekunde spürte er, wie er mehr und mehr die Kontrolle verlor. „Wehre dich nicht, Bote des Erwachens. Lass mich sehen, ob du würdig bist, mich zu erwecken.“

Die Stimme in seinem Kopf traf Hassem wie ein Hammerschlag. Dies war kein magisches Siegel, das die Stärke seiner Magie prüfte, es war ein eigenes Bewusstsein. Für einen Moment noch hielt er seinen Widerstand aufrecht, dann ergab er sich der gewaltigen Kraft, die in seinen Geist eindrang. „Der Prätor hat gut gewählt, du bist stark und ehrgeizig. Auch deine Wahl war gut, deine Seelenkraft ist beeindruckend. Geh in die Säule der Seelenkraft und beginne deine Ausbildung. Jetzt!“

So schnell und stark, wie die fremde Präsenz in seine Gedanken eingedrungen war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Mit einem Rest von Übelkeit und Kopfschmerz, der ihm ein flaues Gefühl gab, machte Hassem schließlich einen großen Schritt in Richtung des nördlichen Tores, dass er erwählt hatte. Dann legte er langsam seine Hände auf das schwarze Holz und strich mit seinen Fingern über die Schriftzeichen, die die Turmsäule als Säule der Seelenkraft bezeichneten. Endlose Sekunden schienen zu vergehen, in denen er gegen die Übelkeit und den Schmerz in seinem Kopf ankämpfte, bis sich das Tor schließlich unendlich langsam öffnete und den Blick in das Innere freigab.

Für einen Moment hielt Hassem noch einmal inne, dann machte er seinen ersten Schritt in den Turm. „Jetzt gibt es kein zurück mehr.“ Mit einem leisen Grollen folgte ihm Shimo und auch sein Spinnenbegleiter krabbelte nun aus seiner Tasche auf seine Schulter. Fasziniert betrachtete er den riesigen runden Raum, der mehr wie der Gastsaal einer gehobenen Taverne wirkte denn wie das Innere eines Magierturms. Zahlreiche aus dunklem Holz gearbeitete und mit weißen Fellen bespannte Sessel standen in kleinen Gruppen um große Tische, während drei Feuer in Kaminen an den Außenwänden prasselten und für angenehme Wärme sorgten. An der linken Seite jedoch befand sich eine größere freie Fläche, die mit Stroh bedeckt war. Ohne Hassems Befehl abzuwarten, ging Shimo wie selbstverständlich zu dem Bett aus Stroh und ließ sich mit einem wohligen Gähnen dort nieder, als hätte er schon immer im schwarzen Turm schlafen wollen.

Das plötzliche Klatschen eines Händepaares weckte Hassem hart aus seinen Gedanken. Erst jetzt sah er die schmale Treppe im hinteren Bereich des Saals, auf der nun eine Gestalt in schwarzem Umhang stand und ihn mit leuchtend roten Augen zu betrachten schien. „Willkommen, Anwärter. Es ist lange her, dass Schüler den Saal der Lehren betreten haben. Wie ich sehe, kommt Ihr nicht ohne Kenntnisse.“ Für einen langen Augenblick musterte der plötzlich aufgetauchte Mann Hassems Horntiger, dann wandte er sich wieder ihm zu. „Mein Name ist Orloff, ich bin der Verwalter der Säule der Seelenkraft. Meine Diener und ich werden dafür sorgen, dass es Euch während eurer Studien an nichts fehlen wird.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, klatschte der Mann erneut in die Hände, woraufhin ein gutes Dutzend Diener die Treppe herunterkamen und sich vor Hassem aufstellten. Einige trugen Platten mit Obst, Brot und Wasser, andere zwei frisch geschlachtete Schweine, die sie zu Shimo trugen, der sofort ein hungriges Grollen von sich gab. Am überraschendsten jedoch war die kleine Platte, auf der einige Grillen mit feiner Schnur zusammengebunden lagen und verzweifelt versuchten, sich zu befreien. Umgehend krabbelte sein kleiner Spinnenfreund zu seinem Futter und begann nun ebenfalls, sich zu stärken.

Als Hassem sich nun auch an einen der Tische setzte und sein Mahl begann, stellte sich der Magistrat ein weiteres Mal vor ihn. „Jetzt, wo die Ausbildung wieder beginnt, werden wir auch außerhalb des Turms Gebäude errichten. Solange wir daran arbeiten, solltet Ihr hier im Turm schlafen. Wir haben die Turmwache aktiviert, niemand wird Euch während eurer Studien stören.“ Verdutzt sah Hassem den Mann an, der von der Errichtung von Gebäuden und dem Aufstellen von Wachen sprach, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Verwalter Orloff. Es gibt wohl einiges, das wir bereden sollten.“

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„Die Reserve auf die westliche Wehrmauer, sofort!“ Als hätte sie nie etwas anderes getan, gab Tertia Gilnos vom Balkon ihres Palastes aus Befehle an die Soldaten, deren Führung sie übernommen hatte. Seit einer halben Stunde kämpfte die zusammengewürfelte Truppe aus meronischen Bogenschützen, valkallischen Barbaren und Gilnos Soldaten nun schon gegen die anstürmende dunkle Garde, die wie ein nicht enden wollender Strom gegen die Wehrmauern anstürmten, welche um den Palast des Familienhügels angelegt waren. Dann war es passiert, plötzlich von einer Sekunde auf die andere war der schwarze Mond am Himmel erschienen, so als ob er schon immer da gewesen wäre. Mit einem Schlag hatten die Verteidiger des Palastes auf den neuen Mond gestarrt und aufgehört zu kämpfen. Für Tertia jedoch war es keine Überraschung gewesen, sie hatte gewusst, was die Zeit des Erwachens bringen würde, sie hatte sofort reagiert und die Truppen aus ihrer Starre geweckt. Ihrem Befehl folgend stürmten nun die mit Speeren und großen Äxten bewaffneten Barbaren auf die angegebene Wehrmauer, auf der einige der mit riesigen Säbeln bewaffneten Monster erschienen waren.

„Sie klettern über ihre eigenen Leichen auf die Mauer, wir können sie nicht länger aufhalten.“ Der Ruf ihres jüngeren Bruders kam nicht überraschend, es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Mit Horror sah Tertia, wie mehr der riesigen Monster mit Rabenköpfen auf der Mauer erschienen und dort Fuß fassten. Die gesamte Verteidigung ihres Palastes basierte darauf, die Wehrmauer zu halten, sie alle wussten, dass sie die Schlacht nicht mehr würden gewinnen können, wenn ihre Gegner erst einmal eine der Mauern überwunden hatten. Tubor hatte das Kommando über die Männer an der Westmauer übernommen, die von der dunklen Garde am stärksten bedrängt wurde. Die Professionalität, mit der Tubor die Verteidigung leitete, hatte sie zuerst überrascht, doch dann wurde ihr bewusst, dass er dieselbe Ausbildung genossen hatte wie sie. Genau wie sie selbst war er sein gesamtes Leben darauf vorbereitet worden, einmal Triumvir zu sein und so war es auch nicht überraschend, dass er sich als Führungsfigur in einer militärischen Krise erwies.

Schon seltsam. Noch vor wenigen Tagen war er als mein direkter Nachfolger auch mein gefährlichster Rivale. Und jetzt kämpfen wir auf derselben Seite. Bis zum Tod.“ Tertia war nicht feige und auch keine Pessimistin, aber sie wusste wann eine Schlacht verloren war. Die Anzahl ihrer Gegner schien unendlich und auch wenn viele von ihnen scheinbar ziellos durch die Stadt streiften und jedes Lebewesen wahllos auf Sicht angriffen, so führte der Sog des schwarzen Buches die meisten von ihnen doch genau zu ihrem Palast. Für eine Weile hatten sie sich erfolgreich verteidigen können, was nicht zuletzt an den zwei Hundertschaften Waldwächter aus Meronis gelegen hatte. Die Fertigkeit der legendären Späher mit dem Langbogen stand ihrem Ruf in nichts nach, und so richteten ihre Pfeilhagel ein Massaker unter den angreifenden Riesen an. Doch auf lange Sicht siegte die schiere Übermacht der Angreifer, die durch ihre gewaltige Zahl allein immer näher an die Wehrmauer heran gekommen waren.

Und was passiert, wenn sie das Buch erreichen?“ Mit einem langen Blick musterte sie die kleine Frau aus Begos, die in zusammengeflickter Kleidung ruhig neben ihr stand und noch immer in den Nachthimmel sah. Tertia ließ sich nicht von ihrer ungepflegten Erscheinung oder Größe täuschen, sie hatte sofort gespürt, dass sie eine Kriegerin vor sich hatte. Der durchtrainierte Körper und die Entschlossenheit in ihren Augen zeugten von eiserner Disziplin und Furchtlosigkeit. „Und sie hat das schwarze Buch. Wie hat sie es nur bekommen?“ Sie konnte sich nicht los reißen vom Anblick des schwarzen Buches, dessen Nähe allein ein Kribbeln unter ihrer Haut erzeugte. „Es ist vorbei, sie brechen durch.“ Lingards Hand auf ihrer Schulter sandte eine Schockwelle durch ihren Körper, der sie umgehend aus ihren Überlegungen weckte. Der Prinz aus Meronis hatte recht mit seiner Einschätzung der militärischen Lage, sie hatten die Schlacht verloren, und doch spürte sie ein warmes Gefühl der Zufriedenheit bei seiner Berührung. Sie hätte ihn erwählt als ihren ersten Mann, einen Prinz adligen Geblüts und eine politisch vorteilhafte Partie. Und was beinahe eben so wichtig war, sie fühlte sich wohl in seiner Nähe, er war ein beeindruckender Mann. Doch nun würde es nicht mehr dazu kommen, sie würden sterben, noch bevor er seinen Platz an ihrer Seite finden konnte.

Wortlos nahm Lingard nun auch seinen Bogen in die Hand und legte seinen ersten Pfeil ein. Die Kämpfe auf der Westmauer wurden heftiger, die Monster würden trotz der Unterstützung der valkallischen Barbaren in den nächsten Minuten durchbrechen. Mit einem Zischen schoss der Pfeil durch die Luft und traf trotz der gewaltigen Entfernung zielgenau in den Kopf eines der Rabenwesen, das umgehend mit einem Aufschrei zusammenbrach. Direkt darauf trat auch der dicke Mann an die Brüstung ihres Balkons, der sich als Poca vorgestellt hatte. Er war offensichtlich nicht von Adel und nahm auch keine wichtige Position bei den Barbaren ein, daher hatte Tertia ihn bisher ignoriert. Jetzt aber nahm der Mann eine Offiziersarmbrust in die Hand brachte sich in Position, zu feuern. Er konnte nicht auf dieselbe Entfernung schießen wie der Prinz aus Meronis, aber die ersten Monster, die den Palast stürmen würden, hatten sicher einen Hagel aus Armbrustbolzen zu erwarten.

Nach einem weiteren Blick auf die Westmauer musste Tertia ihren Verbündeten aus Valkall Respekt zollen. Ohne Furcht warfen sie sich den Monstern entgegen und schlugen tiefe Wunden mit ihren breiten Äxten. Obwohl keiner von ihnen eine Rüstung trug, stellten sie sich der dunklen Garde wie eine Mauer entgegen und fügten ihnen schwere Verluste zu. Ihr Anführer, ein wilder furchteinflößend aussehender Barbar namens Tyr wütete mit seiner riesigen Zweihandaxt in der vordersten Schlachtlinie, ohne an seine eigene Sicherheit zu denken. „Narr. Ein Anführer muss zuerst für seine eigene Sicherheit sorgen. Stirbt er, so sind seine Männer führerlos und werden auch fallen.“ Ein weiterer Pfeil verließ Lingards Bogen und traf erneut zielsicher den Kopf eines der Monster, der Prinz war wahrlich ein Meisterschütze.

„Das Dach. Haltet euch am Dach fest!“ Die plötzlichen lauten Schreie kamen direkt von oben über Tertia, gefolgt von mehreren harten Aufschlägen auf das Dach ihres Balkons. Dann gab es ein weiteres, lauteres Krachen und diesmal stürzte das Dach ein. Wie in Zeitlupe sah sie Poca in Panik über den Balkonrand hinunter in den Hof springen, während sie selbst wie angewurzelt stehen blieb. Tertia war eine Anführerin, gewohnt schnelle strategische Entscheidungen zu treffen, ihr körperliches Reaktionsvermögen war jedoch nicht so gut.

Als sie schon den Aufschlag der Trümmer auf ihren Kopf erwartete, stürzte Lingard mit einem Hechtsprung vom Balkon in das Gebäudeinnere und riss sie dabei mit sich, nur um unsanft mit ihr auf dem harten Boden zu landen. Der Aufschlag auf den Marmorboden unter sich mit dem meronischen Prinzen über ihr presste alle Luft aus ihren Lungen, umgehend wurde ihr schwarz vor Augen und für einen Moment dachte sie, dass sie die Besinnung verlieren würde. Wie in einem Traum sah sie das Gesicht des Prinzen über ihrem eigenen schweben, während er etwas sagte, dass sie nicht verstand. Erst jetzt spürte sie, wie die Nähe seines Körpers sie erregte, während sein Gewicht sie unsanft gegen den Boden drückte. Sie hatte noch nie einen Mann so eng an sich gespürt, es schickte sich nicht für eine Adlige, Männer zu berühren. Sie war oft versucht gewesen, dieses Verbot ihrer Lehrer zu umgehen, doch es hatte sich nie für sie ergeben. Und jetzt, im unmöglichsten Moment, kurz vor ihrem wahrscheinlichen Tod, raubte ihr seine Berührung den Verstand. Schließlich stand Lingard von ihr auf und so kehrte langsam die Luft zurück in ihre Lungen, während auch ihr Intellekt wieder die Oberhand über ihren Instinkt gewann. „Sollten wir das überleben, gehörst du mir, mein Prinz.“ Mühsam brachte Tertia ihren Pulsschlag unter Kontrolle und stand dabei nun ebenfalls vom Boden auf. Zu ihrem Entsetzen jedoch sah sie sich plötzlich einem riesigen Bären gegenüber, der wie vom Himmel gefallen durch das Dach ihres Balkons geschlagen und unsanft in einem Haufen von Stein und Schutt vor ihr gelandet war. Schockiert überlegte sie noch, welche Chance sie haben würde, wenn sie nun los rannte, als der meronische Prinz in einem offensichtlichen Anfall von Wahnsinn mit ausgebreiteten Armen auf das Monster zu rannte. „Ketara. Beim großen Baum, wie kommst du nur hierher? Und wo ist Herm?“

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„Vier Strich links, Weite zwei Strich vor.“ Konzentriert sah Oberleutnant Kaldos, wie die Besatzung des großen Zentralkatapults seinen Anweisungen folgte und eine der kaldarrischen Galeeren ins Visier nahm. „Feuer frei!“ Mit einem Krachen löste der Bombardier des riesigen Katapults, das auf einer drehbaren Stafette auf der obersten Plattform des südlichen Abwehrturms stand, die Arretierung des Hebelarms und gab dem Gegengewicht freien Lauf. Mit gewaltiger Kraft hob der hölzerne Arm die große metallische Kugel empor und schleuderte sie hinaus in den Nachthimmel.

Für einen Moment folgte sein Blick der Flugbahn des Geschosses, doch dann blieb er noch einmal an der schwarzen Scheibe stehen, die am Himmel neben den anderen drei Monden erschienen war und für einen Moment das Schlachtfeld hatte erstarren lassen. „Volltreffer!“ Der Jubelschrei des Bombardiers riss Kaldos aus seinem Tagtraum. Ein schneller Blick in den Hafen zeigte ihm das Ausmaß des Treffers, das bronzene Geschoss hatte den Hauptmast der gegnerischen Galeere zertrümmert und ein tiefes Loch in ihr Oberdeck gerissen. „Das war die siebte Galeere, wir schicken diese kaldarrischen Hunde zu den Haien!“ Mit einem zustimmenden Nicken bestätigte Kaldos den Jubel seiner Männer, auch wenn er innerlich wusste, dass ihre Situation keineswegs zum Jubeln war. Die Streitkräfte der Kadeen waren seinen Männern wenigstens drei zu eins überlegen und hielten vier der fünf Hafentürme. Es war lediglich der brillanten Konstruktion der Wehrtürme zu verdanken, dass seine Männer den Südturm noch immer erfolgreich halten konnten.

Doch inzwischen hatten einige der kaldarrischen Galeeren die Anlegestege erreicht und damit begonnen, schwer bewaffnete und gepanzerte Soldaten in den Hafen auszuladen. Als ob das nicht genug wäre, erreichten ihn immer mehr wirre Meldungen über riesige Monster mit Rabenköpfen, die wie Berserker durch seine Stadt liefen und unter den Bewohnern wüteten. „Verfluchte Kadeen. Reicht es euch nicht, die Stadt an die Tzarina zu verraten? Müsst ihr nun auch noch Monster nach Phrygia bringen?“ Erleichtert dachte er an Suki, die in Magystra in Sicherheit war, fernab vom Wahnsinn dieses Krieges. Kaldos hoffte inständig, dass sich die Stadtstaaten von Kaitain nicht an dem Irrsinn beteiligten, der die halbe Welt in einen Krieg zu ziehen schien. Meldungen über einen Klankrieg in Valkall, der Bau einer kaldarrischen Kriegsflotte, die Mobilisierung meronischer Soldaten im Norden ihres Waldes und Wahnsinnige aus Alterra, die Geschichten über ein neues Zeitalter erzählten, waren nur die Vorboten gewesen. Die Vorboten des Wahnsinns, in dem er sich nun befand.

Inständig wünschte er sich, dass er ein einfaches Leben als Gewürzhändler gewählt hätte. Mit Suki an seiner Seite wäre auch ein Leben ohne Reichtum in dem kleinen Gewürzladen Magystras erfüllt gewesen, doch sein Ehrgeiz hatte ihn eine militärische Laufbahn einschlagen lassen. Hauptmann der Stadtgarde wollte er werden, mit einem guten Sold, und dann Suki zu sich holen nach Phrygia. „Vielleicht ist es besser so. Hätte ich sie schon früher geholt, wäre sie jetzt vielleicht tot.“ Ein weiterer Blick zu den Landungsstegen am großen Hauptturm des Hafens zeigte Kaldos einmal mehr die Hoffnungslosigkeit seiner Position. Hunderte kaldarrische Soldaten vereinten sich dort mit der Hauptstreitmacht der Kadeen, seine Männer würden dem Ansturm nicht weiter widerstehen können.

Dann plötzlich riss ihn der das Erklingen lauter Signalhörner aus seinen düsteren Überlegungen. Verwirrt sah er vom Wehrturm aus nach Süden, wo die Quelle der zahlreichen Hornstöße lag, deren Klang ihm gänzlich unbekannt war. „Oberleutnant Kaldos, Reiter am Südtor. Es sind Tausende, sie stürmen in die Stadt.“ Angestrengt kniff Kaldos seine Augen zusammen in dem Versuch, die Meldung vom Ausguck mit eigenen Augen sehen zu können. „Reiter? Tausende? Was bei allen Monden geschieht hier nur?

Offensichtlich hatten seine Gegner dieselbe Beobachtung gemacht, mit Erleichterung sah der Offizier, wie sich die Truppen der Kadeen und Kaldarrer neu formierten und eine Verteidigungsstellung um den Hauptturm errichteten. „Also ist es keine weitere Verstärkung für sie, wenigstens etwas.“ Ohne zu zögern, reagierte nun auch Kaldos auf die neue Situation und formierte seine Truppen neu. „Brandgeschosse in die kleinen Schleudern, richtet sie auf die Stellungen am Hauptturm. Die Hauptstafette beschießt weiter die Galeeren und ich will Bogenschützen am südlichen Wehrfried.“ Umgehend begannen seine Männer, die neuen Befehle auszuführen, mit ein wenig Stolz betrachtete er die professionellen Handgriffe der Geschützbesatzungen und Bombardiere. Phrygia hatte nicht umsonst eine der besten Festungsanlagen der Welt an seinem Hafen, die Soldaten waren es gewohnt, wöchentliche Übungen abzuhalten. Die Routine zahlte sich nun aus, jeder Handgriff saß und innerhalb weniger Minuten waren seine Truppen neu ausgerichtet.

„Seht, die Monster!“ Der Ausruf seiner Späher ließ ihn augenblicklich herumfahren, noch in demselben Moment stockte sein Atem bei dem Anblick, der sich ihm bot. Eine Gruppe riesenhafter Gestalten mit Rabenköpfen, schwarz wie die Nacht, stürmte wilde Schreie ausstoßend aus dem Handelsviertel auf den Hafen zu. Es war also wahr, Monster streiften durch die Stadt.

Doch dann geschah etwas, was Kaldos, Oberleutnant der Stadtgarde Phrygias, neue Hoffnung gab. Die Monster teilten sich in mehrere Gruppen und griffen sowohl seinen Turm wie auch die Türme der Kadeen und Kaldarrer an. „Sie gehören nicht zu ihnen. Aber wer kontrolliert sie dann? Kontrolliert sie überhaupt jemand?“ Kaldos hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, wer die Monster in die Stadt geschickt hatte. Auf seinen Befehl hin ließen die Bogenschützen am südlichen Turmfried einen tödlichen Pfeilhagel auf die ersten der Rabenwesen, die mit unnatürlichen Schreien zu Boden gingen.

„Seht, die Reiter. Es ist der Wüstenwind!“ Kaldos ließ sich von der neuen Meldung nicht mehr überraschen. Eine Invasiosflotte der Tzarina, ein Putschversuch innerhalb des Triumvirats, ein schwarzer Mond am Himmel und Rabenmonster in seiner Stadt. Warum also sollte nicht auch die legendärste Kavallerie der Welt durch seine Strassen ziehen? Fasziniert folgte er der Richtungsangabe seines Ausgucks und sah, wie hunderte alterrische Kavalleristen durch die breite Hafenstrasse ritten und dabei Tod und Verderben über die Monster brachten. Rote Feuerblitze schossen zahlreich in die Gruppen der Monster, der Wüstenwind war offensichtlich nicht ohne Unterstützung des roten Magierturms nach Phrygia gekommen. „Setzt Flaggenzeichen. Wir heißen unsere Verbündeten aus Alterra willkommen im Kampf gegen die Monster.“ Mit neuer Hoffnung sah Kaldos einmal mehr zum Nachthimmel und den vier Monden. Er würde Suki endlich fragen, ob sie seine Frau werden wolle, wenn er das hier überleben sollte. All der militärische Ehrgeiz, die Hoffnung auf besseren Sold, mehr Ansehen, diese Dinge waren nebensächlich geworden. Wenn er diese Nacht überlebte, würde er nach Magystra reisen und sie mit sich nehmen. Vielleicht dort sesshaft werden und eine Familie gründen. Es spielte keine Rolle, alles war besser wie dieser Albtraum.

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„Er hat was getan?“ Zufrieden sah Bermon auf das wutentbrannte Gesicht des alten Königs, der mit einem Aufschrei aus seinem Thron aufgesprungen war. „Meine Quellen lassen keinen Zweifel, mein König. Prinz Lingard, der abtrünnige Sternensinger Vecox und eine ganze Kompanie Waldwächter sind nach Keldur gereist, um dort ein sicheres Exil zu verlangen. Ganz offensichtlich hofft Euer Sohn, von dort aus mit Söldnern seine Truppen verstärken und dann Meronis angreifen zu können.“ Die unkontrollierten Gesichtszüge von König Garm IV, Herrscher über Meronis, zeigten Bermon, dass er seine Worte gut gewählt hatte. Waren seine ersten Bezichtigungen von Vecox und Lingard als Verräter noch auf Zweifel bei dem alten Mann gestoßen, so hatte Bermon das Verschwinden seines Rivalen und der ihm treuen Waldwächter gut in die Karten gespielt.

„Verrat in der eigenen Familie, es ist unglaublich! Sind wir schon so weit gefallen, dass wir Intrigen aus unseren eigenen Reihen mehr fürchten müssen wie die Bedrohungen von außen?“ Die Schimpftirade des Königs war genau, was sich Bermon erhofft hatte, er war seinem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen. Nachdem Lingard sich unerlaubt von seinem Posten entfernt hatte, hatte Bermon nur noch Vecox mit dem Überfall auf den Tempel der Sternensinger in Verbindung bringen müssen und so erreicht, dass der König beide für ein Jahr aus Meronis verbannte.

Der König hatte es mehr als erzieherische Strafe für seinen Sohn gesehen, der ihm schon so lange mit seiner Widerspenstigkeit Sorgen bereitet hatte, doch Bermon wusste, welche Wirkung die Strafe auf Lingard haben würde, es war perfekt. „Lingard hatte noch nie Ambitionen auf den Thron, genau genommen war es schon beinahe unmöglich, ihn überhaupt einmal in höfische Gewänder zu kleiden. Mir erscheint das alles sehr fragwürdig, Vater.“ Die helle, rauchige Stimme, die hinter Bermon aus der Türöffnung in den Thronsaal erklungen war, ließ Bermon augenblicklich zusammenzucken. Lydia war Lingards ältere Schwester und Dritte in der Erbfolge, man sagte ihr ein besonderes Verhältnis zu ihrem jüngeren Bruder nach, was sie zu einem Problem für den ersten Singer machte.

„Die Welt ist im Wandel, Prinzessin Lydia. Der schwarze Mond ist ein Zeichen des Bösen und warnt uns vor dunklen Mächten und schwärzestem Verrat. Ich bin sicher, dass euer Bruder lediglich unter dem schädlichen Einfluss des Verräters Vecox liegt, doch trotz alledem ist es Verrat.“ Bermon spannte unbewusst jeden Muskel seines Körpers an, während die jüngste Tochter Garms langsam den Thronsaal betrat. Sie war seine gefährlichste Gegnerin in dem gewagten Spiel, das er spielte, er durfte jetzt keinen Fehler machen.

„Vater, komm zur Besinnung. Sigtur ist mit der Armee im Norden, um die Grenzen zu sichern und Carelia im grünen Turm mitten in der Ausbildung, die noch Jahre dauern wird. Willst du wirklich den dir noch verbliebenen Sohn verbannt halten, in solch gefährlichen Zeiten?“ Für einen Moment schien der alte König nachzudenken, doch dann kehrte zu Bermons Freude die Wut zurück in sein Gesicht.

„Es ist zu spät für Nachsicht. Er hat eine Grenze überschritten, die er nie hätte überschreiten dürfen. Verrat an der eigenen Familie ist unverzeihlich.“ Für einen Moment schien Lydia zu überlegen, ob es Sinn machte die Diskussion weiter zu führen, doch dann überraschte sie sowohl Bermon wie auch ihren Vater mit einem gänzlich unerwarteten Vorschlag. „Also gut, sehen wir ihn als möglichen Feind an. Dann sollten wir unbedingt in Verhandlungen gehen. Ich werde mit einer Einheit Luftreiter zu ihm fliegen und seine Forderungen aufnehmen.“ Lydias Worte trafen Bermon umgehend wie ein Schlag direkt in die Magengrube. Bevor er überhaupt in der Lage war, noch zu reagieren, nickte der König bereits zustimmend. „Also gut, so sei es. Und sage deinem Bruder, dass ich keinen weiteren Verrat dulden werde, er und seine Mitverschwörer müssen sich alle bedingungslos ergeben oder sie sind des Todes!“

Scheinbar ausdruckslos vernahm Garms Tochter die harten Worte ihres Vaters, doch Bermon konnte das versteckte Lächeln in ihrem Gesicht sehen. Er hatte sie unterschätzt. Sie hatte klug auf den richtigen Moment gewartet und dann ihren Schlag ausgeführt, hart und präzise. Bermon hatte jetzt keine Chance mehr, den König davon abzubringen und wenn Lydia erst einmal ihren Bruder erreichte, war sein gesamter Plan in Gefahr. Sie durfte Meronis auf keinen Fall lebend verlassen.

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„Oh nein“ In demselben Augenblick, in dem Herm das Balkondach unter Ketara zusammenbrechen sah, wusste er was kommen würde. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte beinahe unnatürliche Ruhe, dann gab der Rest des Daches nach und Herm, Secan, Ise und Kalinde fielen in einem großen Schwall von Schutt und Steinen hinter Ketara auf den Balkon des Palastes.

Ein Schlag in seinen Rücken nahm ihm schmerzhaft die Luft zum Atmen, während spitze Steine seine Haut abschürften und ein Teil eines Holzbalkens in seine linke Schulter krachte. Dann war es vorbei und für einen Augenblick dachte Herm, er würde die Besinnung verlieren. „Nein, nicht jetzt. Wir müssen kämpfen!“ In flackernden Bildern kehrte der Anblick in sein Gedächtnis zurück, der sich ihnen geboten hatte, als sie über den Palast der Triumvirin teleportiert waren. Die meisten Magier hatten eine Spezialität, eine Fertigkeit, in der sie stärker waren wie andere und bei Ise war es die Fähigkeit zur Teleportation. Die magische Reise durch den Raum war nicht nur kraftraubend sondern auch äußerst gefährlich. Kam man nicht genau am Zielpunkt heraus, konnte man in einer Wand landen oder im Erdboden, eine solche Abweichung wäre der sichere Tod.

Also hatten Herm und Ise einen Plan gefasst. Sollten sie keine Wahl mehr haben als die Flucht, würde die rothaarige Magierin sie über das Dach des Palastes von Triumvirin Tertia teleportieren. Eine Abweichung hoch oben in der Luft wäre nicht weiter schlimm und im Palast waren Freunde und Heiler. Doch sie hatten die Rechnung ohne die Schwarze Garde gemacht. Direkt, nachdem sie von Kahilis weg teleportiert und über Keldur wieder erschienen waren, hatte Herm ihre Anwesenheit spüren können. Und die Anwesenheit von etwas anderem, einer großen Macht mit starkem Willen. Dann hatte er aus der Luft die Kampfszenen sehen können. Tausende Rabenmonster, die den Palast belagerten, Schreie und Kampfeslärm überall, sie waren mitten in eine Schlacht gesprungen.

Doch es gab auch Hoffnung. Herm hatte tausende Reiter von Süden in die Stadt reiten sehen, begleitet vom roten Feuer der Magier Zonahs. Er hatte keinen Zweifel daran, wer die Reiter waren und wer sie anführte, der Wüstenwind war mit ihnen. Jetzt galt es unbedingt, den Palast zu halten, sie hatten keine Zeit zu verlieren.

„Ise, Kalinde, wir müssen die Mauer zurücknehmen. Ketara, zu mir.“ Den schrecklichen Schmerz in seiner Schulter ignorierend kämpfte sich Herm aus dem Schuttberg, seine Yamasu noch immer fest gegriffen. Schließlich spürte er den heißen Atem Ketaras, die mit ihrem riesigen Kopf letzte Schuttreste über ihm zur Seite schob und ihn mit ihrer feuchten Zunge beglückte. Für einen kurzen Moment genoss Herm ihre Nähe, schnell vergewisserte er sich, dass auch Wandler den Sturz gut überstanden hatte, die kleine Echse war wahrlich mit Glück gesegnet.

Dann zeigte ihm das Krachen roter Feuerblitze, dass Kalinde und Ise den Sturz offenbar besser weggesteckt hatten wie er. Der Mauerteil, der von der schwarzen Garde schon beinahe überrannt worden war, wurde nun in ein Meer von Feuer und Zerstörung getaucht, während valkallische Krieger die Stellung zurückeroberten. „Ist das Tyr? Was bei allen Monden tut er nur hier?“ Ein freundschaftlicher Klaps auf seine Schulter setzte ungewollte Schmerzwellen in seinem Körper frei, als Lingard neben ihn trat. „Schön, dich wieder zu sehen, Herm. Aber da gibt es noch jemanden, den du begrüßen solltest.“ Verwirrt versuchte Herm, den Waldwächter zu ignorieren, während er weiter zum Kampfgeschehen sah. Was bei allen Monden könnte jetzt wichtiger sein wie diese Schlacht? Begrüßungen würden warten müssen.

„Herm Pendrak, du kaldarrischer Sturkopf. Komm her und gib mir einen Kuss oder ich werde jeden noch heilen Knochen in deinem Körper brechen!“ Herm erstarrte augenblicklich. Er hatte nur noch wenig Hoffnung gehabt, jemals wieder diese Stimme zu hören. Wie erstarrt hielt er inne und drehte sich unendlich langsam um, während Kira in sein Blickfeld trat. Dann brachen alle Dämme und mit einem Aufschrei stürzte er auf sie zu, wie sie auch auf ihn. Mit einer heftigen Umarmung, die nahezu unendliche Schmerzen in seinem geschundenen Körper auslöste, drückte er sie an sich. Der Schmerz war ihm egal. Seine gesamte Umgebung, die Schlacht, alles war auf einmal egal. Nur Kira war wichtig, sie und der lange heiße Kuss, den sie ihm gab und der die Umgebung um ihn herum ins Nichts verschwinden ließ.

Schließlich, nach einer Zeit die Herm wie eine Ewigkeit vorkam, lösten sie sich und sahen einander in die Augen. „Ich liebe dich auch, Herm, aber jetzt haben wir keine Zeit. Die schwarze Garde wird uns überrennen, wenn du sie nicht stoppst. Und ich habe das schwarze Buch.“ Verdutzt sah er Kira an. „Das schwarze Buch. Das ist es, was ich gespürt habe. Welch eine Präsenz!“ Mit einem weiteren Blick sah Kira nun zu Secan, der schwer verletzt und bewusstlos am Boden lag.

Mit einem tiefen Durchatmen löste er sich von Kira und nahm nun zum ersten Mal seine direkte Umgebung wahr. Ketara stand neben ihm und ließ sich kurz von Lingard kraulen, bevor der Waldwächter zu Secan eilte und ihm einen Verband anlegte. Weiter hinten im Palast stand Triumvirin Tertia Gilnos, die sichtlich bemüht war, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Dann stürmte eine weitere Gestalt schnaufen in den Raum, die offenbar kopflos die Treppe nach oben gerannt war. „Kira, Triumvirin, seid ihr in Ordnung? Was bei allen Kraken der Meere ist geschehen?“ Nun war es einmal mehr Herm, der nicht glauben wollte, was er sah. Immer noch deutlich übergewichtig und seinen albernen bunten Hut auf dem Kopf stand Poca im Treppenaufgang, der Karawanenmeister, den er auf seinem Weg nach Magystra getroffen hatte. Eine Offiziersarmbrust in den Händen sah der dicke Händler Herm ebenso verdutzt an, wie er ihn. „Herm? Bist du das wirklich? Ich habs nicht glauben wollen. Tut das gut, dich zu sehen.“ Bevor er überhaupt etwas tun konnte, kam sein alter Arbeitgeber auf ihn zugestürmt und nahm ihn heftig in seine Arme. „Wir haben einen Schatz gefunden, Kira und ich, musst du wissen. Endlich habe ich eine echte Schatzkarte, auch wenn der Schatz nur ein Buch ist.“

Augenblicklich richteten sich Herms Gedanken wieder auf das schwarze Buch. Kira hob langsam ihre rechte Hand, mit der sie ein schwarzes ledernes Buch fest gegriffen hielt. Das Buch sah winzig aus in ihrer Hand und doch wirkte es riesig, so als ob selbst ein Dutzend starker Männer es nicht würden heben können. Vorsichtig sandte er eine leichte Welle seiner Magie aus und wartete auf Antwort. Die Reaktion des Buches hob ihn augenblicklich von seinen Füßen, als ein Schlag stärkster Magier auf ihn zurückgeworfen wurde.

„Herm!“ Mit einem besorgten Aufschrei sprang die kleine Kämpferin zu ihm und hielt vorsichtig seinen Kopf. „Das Buch hat einen eigenen Willen, Kira. Und mir scheint, es will nicht mit mir reden.“ Zu seiner Überraschung nickte sie bestätigend. „Ja, ich weiß. Es ist sehr starrköpfig. Aber wir müssen einen Weg finden.“ Mit zusammengekniffenen Augen starrte Herm weiter auf das Buch. Was für Geheimnisse mochte es hüten, welche Macht war in ihm verborgen? Hassem war inzwischen im schwarzen Turm, daran hatte er keinen Zweifel. Er war einen Bund mit Mächten eingegangen, die nichts Gutes verhießen. Würde Herm nun dasselbe tun müssen? „Wie kann ich nur das Buch dazu bringen, mir gegen die schwarze Garde zu helfen?“

Mit einem schnellen Blick zum Kampffeld vergewisserte er sich, dass Tyr und seine Barbaren mit der Unterstützung der beiden roten Magierinnen die Palastmauer zurückerobert hatten. Erst jetzt fiel ihm wirklich auf, welch seltsame Mischung an Männern und Frauen den Palast der Triumvirin gegen die Garde verteidigte. Bogenschützen in grünen Umhängen und braunem Leder, die Lingard zum Verwechseln ähnlich sahen, ließen Pfeilhagel um Pfeilhagel auf die Monster regnen, während Tyrs valkallische Krieger mit ihren langen Speeren und breiten Äxten die Mauer sicherten. Soldaten der Gilnos Familienwache kämpften Seite an Seite mit Adligen, die in wertvollen Rüstungen steckten, offenbar hatte jeder Mann und jede Frau, die sich im Palast befand und kämpfen konnte, ihre Erbstücke aus den Truhen und von den Wänden genommen. Jetzt kämpften sie alle gemeinsam um ihr Überleben, Adliger wie einfacher Soldat.

„So öffnet das Tor, wir haben eine Nachricht für Herm Pendrak.“ Die Worte waren laut und mit alterrischem Akzent gerufen, anscheinend hatte es eine Gruppe der alterrischen Kavallerie bis ans Palasttor geschafft. „Aber was wollen sie von mir?“ Bevor Herm seine Gedanken beenden konnte, betrat Tertia wieder den großen Balkon ihres Palastes und rief mit bestimmendem Klang Befehle über den Platz, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Umgehend öffnete eine Abteilung Soldaten auf ihren Befehl hin das Tor, gedeckt von zwei Dutzend meronischen Bogenschützen. Kalinde postierte sich so am Balkon, dass sie ebenfalls ihre Magie wirken konnte, während Ise sich erschöpft eine Auszeit nahm, die Massenteleportation hatte beinahe alle ihre Reserven aufgebraucht.

Kaum war das Tor geöffnet, stürmte eine halbe Hundertschaft leicht bewaffneter Reiter in den Hof, die nur leicht gerüsteten Späher hatten den Durchbruch durch die Linien der Garde offenbar aufgrund ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit geschafft, doch an den blutüberströmten verkniffenen Gesichtern ließ sich ablesen, dass der Vorstoß teuer erkauft worden war, Herm mochte sich nicht ausmalen, wie viele von ihnen den Weg zum Palast nicht überlebt hatten.

Nur einen Sekundenbruchteil, nachdem der letzte Reiter das Tor passiert hatte, gab Tertia Befehl, das Tor wieder zu schließen. Zwanzig Soldaten schoben umgehend mit aller Kraft an den schweren metallverstärkten Holztoren, während die Bogenschützen eine Flut von Pfeilen durch die kleiner werdende Öffnung auf die nachrückenden Rabenmonster schoss. Doch zu ihrem Entsetzen waren die Männer nicht schnell genug und konnten die Stahlriegel nicht einrasten, bevor die von außen drückende Garde gegenschob und langsam begann, das Tor wieder zu öffnen. Dann schlugen drei Feuerbälle durch die sich wieder vergrößernde Öffnung und brachten Flammen und Tod über die Monster, doch Herm spürte, dass Kalindes Magie allein sie nicht würde aufhalten können.

„Ketara, wir müssen schnell sein!“ Noch in demselben Augenblick, in dem er seinen Gedanken bildete, reagierte die riesige Bärin. Umgehend sprang sie zu seiner Seite und senkte den Kopf, so dass er trotz seiner Blessuren auf ihren Nacken steigen konnte. Seine magische Hellebarde fest in der Hand hielt er sich in ihrem langen Fell fest, während sie mit einem riesigen Satz vom Balkon in den Hof sprang. Sofort machten die alterrischen Reiter Platz für die Bestie und ihren Reiter, die in Windeseile durch ihre Reihen zum sich öffnenden Tor stürmten.

Dann gewann die dunkle Garde die Oberhand am Tor, stieß mit einem gewaltigen Ruck beide Torflügel auf und die Gilnos Soldaten zur Seite. Für einen Moment stockte Herm der Atem beim Anblick der schier unendlichen Flut der riesigen Monster, die den Familienhügel belagerten wie Ameisen ihren Bau. Doch das erneute Zischen und Krachen roter Feuermagie weckte ihn aus seiner Starre. Ein Hagel von Feuer ging auf die Monster in der Toröffnung nieder und noch in derselben Sekunde wurden Herm und Ketara von einem roten Schutzwall umgeben, offenbar brachte nun auch Ise ihre letzten Reserven ein.

Einen Kampfschrei rufend, den er vor langer Zeit einmal bei seinem Vater gehört hatte, gab er Ketara das Zeichen zum Angriff. Mit einem gewaltigen Grollen, dass das Schlachtfeld für einen Moment erstarren ließ, ritt die Riesenbärin frontal auf die erste Reihe der Monster zu, die bereits schwere Verluste und Verletzungen durch die Feuermagie der roten Magierinnen hatten nehmen müssen. Ein kurzer Blick zum Himmel, der Herm seinen schwarzen Mond zeigte, so wie er es nun schon als normal wahrnahm, dann atmete er tief ein und sog die schwarze Energie in sich auf. Mehr und mehr magische Kraft pulsierte durch seinen Körper, bis er fürchtete, Besinnungslos zu werden. Dann entließ er die Magie verstärkt durch seine Hellebarde und brachte den Untergang über seine Gegner. Dutzende schwarze Strahlen schossen kegelförmig in die Rabenmonster und schleuderten sie zur Seite, als wären sie nur Spielfiguren eines Kindes, während Ketara wütend brüllend in ihre Mitte rannte. Schließlich entließ er eine Welle seiner Magie und konzentrierte sich auf die Monster, die von der Welle durchlaufen wurden. Zu Dutzenden explodierten ihre Körper um ihn herum, während sie Mark erschütternde Todesschreie in die Nacht riefen. Welle um Welle strömte aus seinem Körper über die Yamasu in die Horde seiner Feinde und schon nach wenigen Sekunden war der Vorplatz zum Tor in ein Meer aus Blut und zerfetzten Körpern getaucht.

„Herm, das reicht. Wir brauchen dich hier. Dort draußen kannst du nicht gewinnen, du musst das Buch meistern und sie verbannen.“ Die Stimme, die ihn rief schien unendlich weit entfernt, leise und nahezu unhörbar unter dem Kampfeslärm und doch erreichte sie sein Innerstes. „Kira! Sie hat recht, ich muss zum Buch.“ Aus seinem Blutrausch geweckt gab Herm seiner Begleiterin das Zeichen, umgehend drehte Ketara um und rannte mit schnellen Schritten zurück in den Hof. Sekunden später fiel das Tor unter dem beruhigenden Geräusch einrastender Metallriegel hinter ihm zu.

Erst jetzt merkte Herm, dass beinahe jeder im Hof ihn anstarrte. Die Gilnos Soldaten, die meronischen Bogenschützen, die ihnen Deckung gegeben hatten und die alterrischen Reiter, die es in den Vorhof des Palastes geschafft hatten, wirkten allesamt wie erstarrt und sahen ihn an, als ob er die Mutter aller Tempoks selbst wäre. „Was ist, wir haben eine Schlacht zu schlagen. Bogenschützen auf den Balkon zur Triumvirin, dort habt ihr besseres Schussfeld. Infanterie an den Eingang zum Palast. Alle Alterrer, die noch kämpfen können, runter von den Pferden und auf die Mauer. Wer auch immer eine Botschaft für mich hat, zu mir. Ich bin Herm Pendrak.“

Von seinem eigenen Befehlston überrascht, stieg Herm von Ketara und kraulte sie für einen kurzen Augenblick hinter den Ohren, wo sie es besonders liebte, dann wandte er sich dem Mann zu, der eilig auf ihn zugestürmt kam. „Leichter Reiter Huzuk, mein Lord. Ich bringe euch Nachricht von Fürst Fa-Sal.“ Mit einer Verbeugung, wie sie eher einem König gebührte, übergab der leicht gerüstete Reiter Herm eine Schriftrolle, die mit dem Zeichen des Fürsten selbst versiegelt war. Während er sich noch wunderte, wie er wohl plötzlich vom verarmten Ritter ohne Titel zum Lord geworden war, nahm Herm mit einem Nicken die Rolle aus der Hand des tapferen Boten und brach das Siegel.

„Der Gruß der Sonne für dich, mein Freund Herm Pendrak. Mögest du immer Wasser finden, wenn du durstig bist.

Wie Haschekk mir mitteilte, hat er dich und deine Begleiter wohlbehalten nach Phrygia geleitet und wenn das Schicksal dir gnädig war, so hast du inzwischen deine Gefährtin gefunden. Bei meinen Studien in der alten Bibliothek habe ich etwas gefunden, einen Hinweis, geschrieben in der alten Schrift. Verzeih mir, dass ich ihn dir erst so spät überbringen lasse, doch die Übersetzung war langwierig und schwer. Wir mussten uns erst sicher sein, doch jetzt sind wir überzeugt, dass dies der Schlüssel zur Verbannung der schwarzen Garde ist:

‚Dreizehn Glockenschläge gegen die Verdammnis.’

Wenn es dir gelingt, das schwarze Buch zu finden, so suche die größte und mächtigste Glocke, die du finden kannst. Dreizehn Schläge, mehr kann ich dir nicht sagen. Ich habe Haschekk und meine besten Krieger zu deiner Unterstützung geschickt, sie werden dir bei allem helfen, was du auch brauchst. Krimhall, die rote Erzmagierin, ist auf unserer Seite und hat Magier bereitgestellt, die helfen können.

Du reitest auf dem Schicksal, Herm Pendrak. Mögest du es zähmen und uns vor der dunklen Garde retten.

Fürst Fa-Sal“

Zweimal las Herm aufmerksam die Zeilen, dann sah er zu dem Boten, der ihm das Papier überbracht hatte. „Wo ist Haschekk jetzt? Ich brauche ihn, ihn und den Wüstenwind.“ Der Bote schien die Frage erwartet zu haben und antwortete sofort. „Der Wüstenwind ist auf dem Weg zur Kapelle des Triumvirats. Haschekk lässt euch ausrichten, ihr trefft ihn am Glockenturm.“

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Stumm betrachtete Karrek den schwarzen Mond am Nachthimmel. Das gemeinsame Licht der vier Monde spiegelte sich beinahe gespenstisch am Stahl des großen Turms, auf dem der grüne Magier stand, während er hinab auf die von Schnee bedeckte Ebene sah. Die schwarze Festung mit ihren vielen Türmen wirkte falsch und deplaziert auf dem großen Berg, auf dem sie stand, hier oben im Norden, fernab jeglicher Zivilisation.

„Was für ein Wahnsinn! Welchen Nutzen hat das alles?“ Karrek hatte viel Zeit gehabt, sich die gewaltige Festung und den inzwischen von endlosen Tunneln durchzogenen Berg, auf dem sie stand, zu erkunden. Als Abgesandter des Prätors war er einer der wenigen Menschen auf der Welt, die Zutritt zu allen Teilen des Bauwerks hatten. „Mensch? Oder Monster? Die Zeit wird kommen, da wirst du für deine Taten bezahlen, Bastard. Aber erst wird der schwarze Magier sterben, er und seine Begos-Schlampe. Und sie werden leiden!“ Ein Blick auf seine Beine ließ umgehend kalten Hass in Karrek aufsteigen. Wo er einst Füße hatte, befanden sich nun schwarze mit Krallen besetzte Echsenfüße, von denen dunkle Schuppen hoch zu seinen Beinen wanderten.

Es hatte vor einigen Tagen begonnen und war seitdem stetig fortgeschritten. War einst nur sein Arm der eines Monsters, so verwandelte er sich nun vollständig. Die Verwandlung fand langsam statt, man konnte sie nicht mit bloßem Auge verfolgen, doch an jedem Tag, an der er aufwachte, hatten neue Schuppen seinen Körper bedeckt. Der Prätor hatte etwas über ihn gelegt, einen alten Fluch oder eine noch ältere Magie. Es spielte keine Rolle, was es war, Schuld an seiner Strafe hatten einzig der junge Magier und seine Gefährtin, deren Weg er mehrmals schmerzlich gekreuzt hatte.

„Und jetzt bin ich der Gesandte des Prätors, ein Monster, im verlassensten Winkel der Welt in einer Festung, von der niemand etwas weiß.“ Mit einem tiefen Atemzug sog Karrek die eiskalte Luft Kaldarras tief in seine Lungen. Der Vorteil seiner ungewollten Metamorphose schien zu sein, dass er keinerlei Kälteempfinden mehr hatte. Obwohl er lediglich eine kurze Lederhose und einen weiten Umhang trug, der sein unmenschliches Aussehen teilweise verdeckte, fror er nicht im Geringsten, während der eisige Bergwind um ihn herum pfiff.

„Mein Lord, eure Nachtdame ist bereit.“ Mit einem stillen Grinsen vernahm er die emotionslos gesprochenen Worte des Gardisten der Tzarina. Es spielte keine Rolle, ob der Mann ihn für ein Ungeheuer hielt oder etwas Schlimmeres, solange er ihm nur Respekt zollte. Mit einer halbherzigen Handbewegung entließ er den Soldat und ging langsam in das Turmzimmer, in dem er sich inzwischen häuslich eingerichtet hatte.

Seit er erfahren hatte, dass die Tzarina die Arbeiter, die die Festung errichteten, in regelmäßigen Abständen hinrichten ließ, um den Bau geheim zu halten, hatte er eine tägliche Nachtdame verlangt. Schließlich spielte es keine Rolle, ob sie direkt von den Soldaten vergewaltigt und dann ins Massengrab geworfen wurde, oder ob Karrek erst eine Nacht lang Spaß mit ihr haben konnte. Ein kurzer Blick zeigte ihm seine Gesellschaft für die heutige Nacht, die nackte am Boden liegende Frau war klein und dunkelhaarig und entsprach somit seinen Vorgaben. Ob sie vor Angst zitterte oder vor Kälte spielte keine Rolle für ihn, schon bald würde der Schmerz in ihrem Körper jedes andere Gefühl überdecken.

Er hatte lange überlegt und inzwischen viele Variationen der Folter ausprobiert, doch er war noch immer nicht zufrieden. Wenn er einst die kleine Frau aus Begos in seine Hände bekam, dann würde sie leiden wie kein Mensch zuvor. Und ihr Begleiter würde zusehen und dem Wahnsinn verfallen. „Und dann habe ich meine Rache.“ Das leise Weinen der Frau brachte ihn aus seinen Überlegungen zurück zu seinem Vorhaben. Die Frau war hübsch, er würde sie nehmen, bevor er seine neue Technik an ihr ausprobierte. Aber diesmal würde er die Überreste ihrer Leiche selbst verschwinden lassen, anstatt die Soldaten der Tzarina zu rufen. Der Blick, den ihm die Soldaten zugeworfen hatten, nachdem er sie letzte Nacht für die Beseitigung der Überreste seiner letzten Nachtdame gerufen hatte, hatte ihm nicht gefallen. Die Soldaten töten zu müssen, würde seine Position nur verkomplizieren, am besten würde er die Reste über die Brüstung werfen, wofür lebte er schließlich in einem Turm?

Das leise Klopfen an seiner Tür weckte ihn abermals aus seinen Überlegungen. Wütend sah er, wie die Tür aufging, noch bevor er es erlaubt hatte, doch dann besänftigte sich seine Wut wieder. Die Tzarina selbst schritt in sein Zimmer und die Tatsache, dass sie vor ihrem Eintritt anklopfen ließ zeigte ihm, welch hohen Respekt sie ihm zollte. Vier furchterregend aussehende Wachen traten mit ihr in sein Zimmer, mehr eine symbolische Geste, sie würden ihn nicht aufhalten können, wenn er sie wirklich töten wollte. Doch so lautete nicht sein Auftrag, also durfte sie weiterleben.

„Schafft die da weg, Karrek kann seinen Vergnügungen später nachgehen. Wir haben zu reden.“ Mit einer höflichen Verbeugung akzeptierte er, dass die Leibwache der Tzarina seine Nachtdame aus dem Turm zerrte und die Tür hinter sich schloss, sie waren allein. „Habt ihr Nachricht vom Prätor? Wie läuft die Schlacht um Phrygia?“ Karrek konnte der Tzarina die Anspannung im Gesicht ansehen. Sie war eine harte Frau und kluge Herrscherin. Nicht viele Frauen schafften es, sich in eine solche Position der Macht zu bringen und auch noch so lange zu halten. Sie war wie er, nur keine Magierin sondern eine weltliche Herrscherin, einflussreich, mächtig und ehrgeizig. Sie hoffte durch ihr Bündnis mit dem Prätor ihre Macht zu vergrößern, so wie er einst auch. Ob sie wusste, was die Strafe für Versagen war, wusste sie dass er einst ein normaler Mensch war? Es spielte keine Rolle, im Moment waren sie Verbündete, Diener unter dem gleichen Meister.

„Nein, eure Hoheit, ich habe keine Informationen. Aber wie ihr seht, hat mein Meister Wort gehalten, der schwarze Mond ist erschienen so wie er es sagte.“ Mit seiner menschlichen Hand zeigte Karrek in den Nachthimmel, während er wieder raus zur Brüstung ging. Etwas frische kalte Luft würde der Herrscherin Kaldarras gut tun.

Ohne sich irgendetwas anmerken zu lassen, folgte sie ihm und sah nun ebenfalls in den Himmel. Sie war schön für ihr Alter und trotz der dicken Kleidung konnte man eine angenehme weibliche Form darunter erkennen. Wie es wohl wäre, einmal die Herrscherin eines Landes seiner Prozedur zu unterziehen? Würde sie anders schreien wie andere Frauen?

„Ich hoffe sehr, dass Schmee Kadeen sich ebenfalls an den Pakt hält. Für mich stehen nicht nur die neue Flotte, sondern auch siebentausend Elitesoldaten auf dem Spiel. Und letztendlich ist es der Prätor, der die Kontrolle über Phrygia will, für mich selbst hat die Stadt keinen strategischen Nutzen. Was will er dort nur, was ist so besonderes an der alten Stadt?“ Karrek konnte sich nur mühsam ein Lächeln auf ihre Frage verkneifen. Sie hatte schon in früheren Begegnungen versucht, ihn auszuhorchen und beinahe jedes Mal so plump wie jetzt auch. Erwartete sie wirklich, dass er ihr in einem beiläufigen Gespräch die Pläne seines Meisters offenbarte. „Nicht das ich etwas zu erzählen hätte, ich weiß nichts.“ Der erkennende Blick der Tzarina auf sein Zögern hin zeigte ihm, dass er sie unterschätzt hatte. Sie wusste, dass er nichts sagen würde, sie wollte lediglich wissen, ob er überhaupt etwas wusste oder von seinem Meister im Ungewissen gelassen wurde. Still fluchte er in sich hinein. Jetzt wusste sie, dass er kein Vertrauter des Prätors war und damit auch keine wichtige Schlüsselfigur. Er würde Respekt und Ansehen verlieren, kalte Wut stieg in ihm auf.

„Ich bin sicher, Eure Streitkräfte sind siegreich, eure Hoheit.“ Mit zusammengebissenen Zähnen und unterdrückter Wut antwortete er auf ihre Provokation, während er zurück in den Turm ging. Schließlich folgte ihm auch die Tzarina zurück in das Turmzimmer. „Wir werden sehen, Karrek. Wir werden sehen.“

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„Das ist vollkommen unmöglich und nach allen gängigen Militärtaktiken undurchführbar.“ Verzweifelt vernahm Herm die erneute Absage Tertias an seinen Ausfallplan. So sehr er sich auch anstrengte, ihm fiel kein realistischer Plan ein, wie er mit nur wenigen hundert erschöpften Männern einen Ausfall aus dem Palast machen und lebend bei der Kapelle des Triumvirats ankommen könnte, ohne dabei von zigtausend Rabenmonstern in Stücke gerissen zu werden.

„Ich weiß, dass es Wahnsinn ist. Aber es ist der einzige Weg. Kira und ich müssen zur Kapelle und der großen Glocke, die dort hängt, solange Haschekk und seine Männer sie noch halten können. Nur von dort aus kann ich die dunkle Garde stoppen.“ Kiras Hand auf seiner Schulter strömte Ruhe in ihn aus und einmal mehr schloss er die Augen und dachte nach. Ein Teil seines Plans sah vor, dass er eine Brücke aus schwarzer Magie von der Wehrmauer über die ersten Linien der Garde hinweg erschaffen könnte. So hätten sie einen leichten Vorsprung, bis die Monster die Bewegung des Buches bemerken und ihm folgen würden. Die Waldwächter unter Vecox, dem inzwischen genesenen Freund Lingards könnten Feuerschutz von der Mauer aus geben, während Herm und Kira mit der alterrischen Kavallerie zur Kapelle stürmten. Das Problem war, dass der Weg von beinahe zwei Meilen durch die Gassen der Stadt unmöglich zu schaffen war, selbst seine Magie würde nicht lange genug vorhalten. Es musste einen anderen Weg geben.

„Ich glaubs nicht. Beim großen Schatz des Alchemisten, seht euch das an.“ Neugierig schritten Herm und Kira zu Poca, der noch immer bei ihnen auf dem Balkon des Palastes stand, und nun aufgeregt mit seinem Arm nach Norden zeigte. Der Richtungsangabe des dicken Schatzsuchers folgend sah Herm über die Brüstung in den nördlichen Teil der Stadt, woraufhin ihm augenblicklich der Atem stockte. Inmitten der Massen der Rabenmonster hatte sich eine Gasse gebildet, durch die sich eine kleine aber schlagkräftige Armee scheinbar unaufhaltsam ihren Weg zu bahnen schien. Berge von Leichen hinterlassend hatte die Gruppe offenbar nur ein Ziel, Tertias Palast.

„Das ist er! Kira, siehst du, was ich sehe?“ Alarmiert sah Herm nun zu Kira, die neben ihn getreten war und nun ebenfalls angestrengt in das Kampfgetümmel sah. „Ja, das ist er. Kein Zweifel, es ist Perkles. Aber wer sind seine Begleiter, sind das Riesen?“ Plötzlich und ohne Vorwarnung kam ein ungutes Gefühl in Herm auf. Kira hatte ihm bereits eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse gegeben, die ihre Flucht ermöglichten und schließlich in der Bergung des schwarzen Buches geendet waren. Den Namen des Kriegers, der eine Waffe aus der alten Zeit trug und Kira im direkten Zweikampf hatte besiegen können, hatte er dabei klar in seinem Kopf gespeichert.

Und jetzt war er hier. Begleitet von einer Armee von Riesen schlug er sich durch die dunkle Garde auf ihn zu. „Aber ist er Feind oder Freund?“ Herm zögerte nur eine Sekunde, dann ging er in Aktion, jetzt war nicht die Zeit für lange Überlegungen. Konzentriert griff er nach seiner magischen Kraft und erschuf eine lange schwarze Brücke, die sich von ihm über die Mauer bis hin zu dem fremden Krieger und seiner Armee erstreckte. Bevor seine Begleiter überhaupt reagieren konnten, sprang er auf Ketaras Rücken und reichte Kira seine Hand. Wortlos ergriff die kleine Kriegerin seinen Arm und ließ sich von ihm auf den Rücken der Bärin hochziehen, aber nicht ohne ihm vorher einen dieser Blicke zu zuwerfen, der klar sagte, dass die Sache noch ein Nachspiel haben würde. Herm kannte den Blick nur zu gut, Kira ließ ihn deutlich spüren, was sie von seiner spontanen Aktion hielt.

„Lingard, versorge Secan und halte den Palast bis zum Morgengrauen…oder bis wir es geschafft haben, die Garde zu verbannen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte er seinen Gefährten auf dem Balkon des Palastes noch einmal zu, dann ritten sie über die magische Brücke hinaus in das Schlachtfeld. Noch während sie über die Brücke und die unter ihnen schreiende dunkle Garde ritten, betrachtete Herm die kleine Armee, die sich mit dem fremden Krieger an ihrer Spitze durch die Rabenmonster bewegte, als wären es nur lästige Insekten. Drei Meter hoch und offenbar aus Metall geschaffen schlugen vier Dutzend magisch belebte Riesen tiefe Furchen in die Reihen der dunklen Garde. Perkles selbst trug ein langes zweihändiges Schwert, dessen Klinge weiß leuchtend durch die Rabenmonster wirbelte, als würde es lediglich Spinnweben zerschneiden. Noch ein weiterer Mann war bei ihm, etwas älter aber ebenfalls mit einem beeindruckenden Schwert bewaffnet hielt er dem grauen Krieger den Rücken frei.

Dann erreichten sie den Fuß der Brücke und für einen Moment schien der Kampf um ihn herum vergessen. Herm konnte die Gefahr, die von dem Krieger ausging, augenblicklich spüren. Er war kein gewöhnlicher Mann und er musste auch keine Angst vor einem Magier haben, das wusste Herm in demselben Augenblick, in dem sich ihre Blicke trafen. Hinter ihm spannte Kira alle Muskeln ihres Körpers an, sie würde im Bruchteil einer Sekunde zur Kampfmaschine werden, wenn es nötig war und auch Ketara legte ihren Kopf tief in den Nacken, bereit zu einem tödlichen Angriff, den jedes Lebewesen auf der Welt würde fürchten müssen.

Der Krieger in Grau und sein Begleiter jedoch schienen sichtlich unbeeindruckt und kamen mit ruhigen Schritten auf Herm und seine zwei Begleiter zu, während die magischen Metallriesen einen unüberwindbaren Kreis um sie bildeten. Zu Herms Überraschung blieben die Männer einige Schritte vor ihm stehen und deuteten eine leichte Verneigung an. „Die Zeit des Erwachens ist gekommen, der schwarze Turm wurde erweckt. Da nicht Ihr in den Turm gegangen seid, wart Ihr auch nicht der Bote des Erwachens. Was also ist Euer Ziel?“ Die Worte des Kriegers trafen Herm vollkommen unvorbereitet. „Wie kann er das wissen?“ Offensichtlich wusste der gefährliche Mann in Grau weit mehr, als Herm vermutet hatte.

„Dreizehn Glockenschläge gegen die Verdammnis. Wir müssen die Kapelle des Triumvirats erreichen, dort hängt die größte Glocke der Stadt.“ Für einen Moment schien Perkles zu überlegen und betrachtete dabei das schwarze Buch, das Kira fest umschlossen hielt, dann nickte er stumm. Ohne weitere Worte formierte er die metallischen Riesen neu in einem Dreieck um sie herum, dessen Spitze zur Kapelle zeigte. Der blutige Marsch zum großen Glockenturm Phrygias begann.

Scheinbar unaufhaltsam pflügten die metallischen Krieger durch die Reihen ihrer Gegner, bis Herm den ersten aus ihren Reihen fallen sah. Eines der Rabenmonster hatte den Halsansatz des bronzenen Riesen aus dem Sprung heraus mit seinem gewaltigen Krummschwert getroffen und seinen Kopf vom Rumpf getrennt. Augenblicklich brach das magisch animierte Wesen zusammen und blieb reglos am Boden liegen. „Also sind sie nicht unbesiegbar. Wer hat nur soviel Wissen und Macht, um solche Wesen zu erschaffen? Hat Perkles noch einen Meister?“

Weiter kämpften sie sich durch die Strassen Phrygias auf dem Weg zur Kapelle des Triumvirats, doch ihr Vorstoß geriet zunehmend ins Stocken. Die Garde, angezogen vom schwarzen Buch, verstopfte mehr und mehr die engen Strassen mit ihren Körpern und brachten die kleine Armee langsam aber sicher zum Stillstand.

Weitere metallische Krieger waren gefallen und so schrumpfte ihre kleine Armee langsam aber sicher, während die Anzahl der dunklen Garde schier unendlich schien. „Lasst mich an die Spitze, nun kann uns nur noch Magie helfen.“ Herms Forderung war ruhig und bestimmt gesprochen, er hatte unmittelbar Perkles Aufmerksamkeit. „Brauchst du deine Energie nicht, um die Garde zu bannen?“ Still in sich fluchend musste Herm dem grauen Krieger recht geben, er konnte nicht den verbleibenden Weg bis zur Kapelle kämpfen und dann noch ein magisches Ritual abhalten, es war hoffnungslos.

Gerade, als Herm schon nicht mehr an einen Sieg glauben wollte, durchschnitt plötzlich der Klang von mehreren Hörnern die Nacht. Er hatte diesen Klang schon einmal gehört und war augenblicklich wieder voll Hoffnung. Nur Sekunden später hörte Herm die erwarteten Kampfschreie, als der Wüstenwind in die Horde der Monster stürmte.

„Jetzt oder nie. Formiere deine Riesen in unserem Rücken, ich mache uns den Weg frei.“ Ohne auf Perkles Antwort zu warten, sog Herm einmal mehr die Energie des schwarzen Mondes in sich auf. Dann verwandelte er die Gasse vor sich in eine Hölle schwarzen Feuers. Er hörte noch, wie Kira ungläubig hinter ihm sitzend nach Luft schnappte, während er Strahlen und Bälle schwarzen Feuers in Salven auf die Masse der Rabenmonster vor sich schoss. Nur Augenblicke später war die Gasse nur noch mit den verkohlten Überresten der Garde bedeckt, während er und Kira auf Ketara in Richtung des Wüstenwindes stürmten.

„Herm Pendrak, Ihr reitet wahrlich auf der Welle des Schicksals. Ich hoffe, Ihr habt das schwarze Buch, denn ohne Buch habe ich keine Hoffnung auf einen Sieg.“ Haschekks Erscheinen an der Spitze seiner Reiterelite überraschte Herm nicht. Mit einem Grinsen ritt er zu dem Wüstenkrieger, der sein großes Krummschwert kampfbereit in seiner Hand hielt. „Haschekk, ich möchte dir meine Gefährtin Kira vorstellen, sie hält das schwarze Buch in ihren Händen.“ Ob es Haschekks Erstaunen über Kiras kleine Erscheinung oder die Tatsache war, dass sie tatsächlich das Buch hatten, konnte Herm nicht sagen, aber er hatte den dunkelhaarigen Wüstenkrieger noch niemals zuvor derart sprachlos gesehen. Ohne weitere Worte winkte er Herm und seinen Begleitern zu, ihm zu folgen und führte den Weg zum großen Glockenturm der Kapelle des Triumvirats.

Noch während sie näher kamen, bewunderte Herm einmal mehr das fantastische Bauwerk. Angeblich stammten die Mauern wie auch der große Turm selbst noch aus der Zeit der Legenden und waren vom Triumvirat lediglich restauriert worden, bevor sie die Kapelle zu ihrem Hauptsitz gemacht hatten. Der große Turm erhob sich beinahe fünfzig Meter hoch und würde alle anderen Bauwerke der Stadt überragen, wenn er sich auf und nicht zwischen den drei großen Hügeln der Stadt befinden würde. So aber stand die Kapelle zwischen den drei Hügeln der mächtigen Familien der Stadt und wurde von deren Palästen überragt. „Die Familien stellen sich selbst über das gemeinsame Triumvirat. Kein Wunder, dass Keldur als nahezu unregierbar gilt.“ Noch während Herm über das seltsame politische Gerüst Keldurs und seiner Hauptstadt Phrygia nachdachte, erreichten sie den Fuß der Kapelle. Perkles formierte seine Riesen umgehend in einem Kreis um das Bauwerk, während die alterrischen Krieger nach kurzem Zögern mit ihren Speeren hinter den Metallwesen Stellung bezogen. Erst jetzt sah Herm, dass die gesamte Kapelle auf ihrem Dach und an allen Fenstern mit hunderten Bogenschützen besetzt war, Haschekk hatte sich gut vorbereitet.

Das Aufheulen neuer Rabenmonster der dunklen Garde, unausweichlich angezogen von dem schwarzen Buch, machte allen klar, dass es keine Zeit zu verlieren gab. Ohne zu zögern stürmte Herm mit Kira und Ketara in die Kapelle, Haschekk, Perkles und sein älterer Begleiter dicht auf ihren Fersen. „Hoch zur obersten Plattform. Wir müssen dahin, wo die Glocke hängt.“ Ohne irgendwelche Antworten abzuwarten, begann Herm, die Stufen hinauf zustürmen, seine Begleiter dicht hinter ihm. Lediglich Ketara musste unten warten, sie passte nicht in den engen Treppenaufgang. Ein schnelles gedankliches Bild des Eingangstores reichte aus, um seiner Begleiterin verständlich zu machen, was sie tun sollte. Mit einem bedrohlichen Grollen platzierte sich die Riesenbärin vor dem Tor, sie war nun ihre letzte Verteidigungslinie.

Nach einer schier endlosen Anzahl an Stufen kam Herm schließlich auf der obersten Plattform des Glockenturms an. Obwohl er von der Anstrengung heftig schnaufend nach Luft schnappte, stockte ihm für einen Augenblick der Atem bei dem Anblick, der sich ihm bot. Eine scheinbar unendlich große schwarze Armee hatte den Glockenturm eingekreist und rannte mit ungebremster Wildheit gegen die Verteidigungslinie von Perkles Metallriesen und dem Wüstenwind an. Hunderte brennende Pfeile flogen in Salven von der Kapelle in die Gegner und brachten Feuer und Tod über die Garde, die unbeeindruckt von ihren Verlusten den Kampf fortsetzte. Am Hafen brannten mehrere Schiffe und ein einzelner Verteidigungsturm feuerte brennende Kugeln durch den Nachthimmel auf eine Flotte von Galeeren, die Kurs hinaus in die See nahm. Der Palast der Gilnos war noch immer umlagert von Rabenmonstern, auch wenn dort nicht mehr ihre Hauptarmee kämpfte. Rot leuchtende Feuerbälle zeigten klar, dass Ise und Kalinde die Mauern noch immer erfolgreich verteidigten. Weitere Feuermagie zeigte sich inmitten der Stadt zwischen dem Südtor und der Kapelle, wo Herm die alterrische Hauptarmee mit den Feuermagiern des roten Turms vermutete. Überall in der Stadt schienen Chaos und Kampf zu herrschen.

„Du weißt also, wie du die dunkle Garde verbannen kannst?“ Die plötzliche Frage riss Herm aus seinen Gedanken und dem Anblick der umkämpften Stadt. Perkles hatte sich neben ihm platziert, sein älterer Begleiter dicht hinter ihm, beide noch immer mit ihren beeindruckenden Schwertern in den Händen. „Nein, aber das Buch weiß es.“ Mit einem Kopfnicken deutete er auf Kira, die noch immer ruhig atmend das Buch in ihrer rechten Hand hielt, als wäre es nur ein Pergament mit unwichtigen Notizen. „Wie macht sie das nur, dass sie nicht völlig außer Puste ist? Das waren wenigstens eine Million Stufen und sie hat nicht einmal geschwitzt.“ Unbeeindruckt und als wäre es das normalste der Welt, trat Kira einen Schritt vor und hob das Buch gut sichtbar in die Luft, bevor sie zu Herm ging und es zu ihm reichte. Haschekk, Perkles und der Alte hielten augenblicklich die Luft an, während Herm das schwarze Buch ein weiteres Mal betrachtete, das nun weniger Zentimeter vor ihm greifbar nahe war.

Für einen Augenblick hielt er noch inne, dann konzentrierte er sich auf das in schwarzem Leder eingebundene Artfakt. Diesmal jedoch versuchte er nicht, es mit seiner Magie zu berühren, sondern seine Gedanken zu ihm zu transportieren. Erst passierte nichts, doch dann, ganz langsam, nahm er die Präsenz des Buches wieder wahr und fühlte es in seinen Gedanken.

„Wer bist du?“

„Herm Pendrak ist mein Name.“

„Pendrak…jaaa…lange ist es her, dass ich diesen Namen hörte.“

„Dann kennst du meine Vorfahren?“

„Vielleicht ja, vielleicht nein. Was willst du von mir, Herm Pendrak?“

„Ich brauche dich, um die dunkle Garde zu verbannen. So wie du es schon einmal getan hast.“

„Die dunkle Garde…jaaa…lange ist es her. Doch habe ich bereits einen Träger gewählt, sie hat ein reines Herz. Du jedoch bist noch nicht fertig geschmiedet.“

„Kannst du mir bei der Verbannung helfen, auch wenn ich nicht dein Träger bin?“

„Ich kann dir helfen, Sprössling der Pendraks. Aber jede Hilfe hat seinen Preis. Bist du bereit, ihn zu zahlen?“

„Ja, das bin ich.“

„Gut.“

Mit einem Schlag erwachte Herm aus seiner Traumstarre und sah direkt in Kiras Augen, die ihn erstarrt ansahen. Seine Hände umschlossen das Buch, das noch immer von ihr gehalten wurde und augenblicklich konnte er spüren, wie die Kraft des Buches über Kira in ihn floss. „Schlage die Glocke. Dreizehn Mal!“ Ohne zu zögern folgte Herm der Aufforderung in seinem Kopf. Seine Magie wirkend spürte er die Glocke und ließ seine magische Kraft in sie fließen. Dann verband er seine Magie mit der des Buches und es geschah.

Der erste Glockenschlag bereits riss alle seine Begleiter auf der Turmplattform von den Füßen. Lediglich er selbst, Kira und das Buch schienen unbeeinflusst von der gewaltigen Schockwelle. Der zweite Schlag war noch stärker und brachte die alterrischen Krieger in und um die Kapelle auf ihre Knie. Beim dritten Glockenschlag begannen Perkles Riesen zu schwingen und wanken, bis sie der vierte Schlag zum Zerbersten brachte. Der fünfte Schlag brachte die Rabenmonster rund um die Kapelle zum Erstarren, der sechste Schlag schien bereits die gesamte Stadt zu erfassen. Mit dem siebten Schlag begann die Erde zu erzittern und der Achte ließ erste Mauern einstürzen. Der neunte Glockenschlag riss ein tiefes Loch in die Mitte des Hafenviertels Phrygias, aus dem mit dem zehnten Schlag ein Bauwerk emporstieg, das sich fremdartig und majestätisch an die Küste der Hafenstadt hob, als wäre es schon immer da gewesen. Der elfte Schlag brachte die erstarrten Riesen zum Schreien, der Zwölfte löste ihre Starre zur Flucht. Dann ertönte der dreizehnte Glockenschlag und mit der Wucht der Schockwelle verschwand die Garde in den Erdboden, als wäre sie niemals auf ihm gewandelt.

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Beinahe unendlich langsam ging am Horizont die Sonne auf und badete erst das Meer und dann die noch rauchenden Ruinen Phrygias in ein beinahe unwirkliches Licht. Die dunkle Garde war fort, genau wie die Leichen ihrer Gefallenen, und hinterließ ein Schlachtfeld, auf dem es keine Sieger gegeben hatte. Tausende von Toten säumten die Gassen und Strassen, eingefallene Gebäude versperrten die Wege und letzte Feuer rauchten aus ihren Brandherden. Stumm sah Kira, wie die vier Monde vom Himmel verschwanden, während der Mantel der Nacht dem Tageslicht wich. Soldaten und andere Überlebende zogen durch die Stadt, löschten Feuer und versorgten Verwundete, die Nacht des Kampfes war vorbei.

„Haben wir gesiegt?“ Ihre Frage war nicht an jemand bestimmtes gerichtet, doch augenblicklich sahen sie alle Männer an, die mit ihr noch immer auf dem Glockenturm der Triumviratskapelle standen. „Die Verbannung der dunklen Garde ist ohne Zweifel ein Sieg, denn ihr Hass auf alles Leben war unendlich.“ Perkles Worte waren emotionslos gesprochen, doch gaben sie Kira Hoffnung, dass nicht alles umsonst gewesen war.

„Nein, es war kein Sieg. Die dunkle Garde war nur eine Ablenkung, ein Spielzug auf einem gigantischen Schachbrett. Dieser Mann in der eisernen Rüstung, den sie Prätor nennen, er hat sicher größere Ziele wie nur den schwarzen Mond zu befreien. Die Welt ist in Krieg und Chaos gestürzt und was auch immer der Prätor vorhat, ich bin sicher, er hat seine Pläne bereits in die Wege geleitet.“ Kira konnte nicht anders, als Herm zu zustimmen. Seit dem Beginn ihrer Reise durch die Welt von den Eisebenen Valkalls über die Sandwüsten Alterras waren sie stets auf Krieg und Chaos gestoßen. Die Welt war im Wandel, aber bisher hatte die Zeit des Erwachens nicht positives für ihre Bewohner gebracht. Ein neuer Mond stand nun am Himmel, aber wer konnte sagen, was noch mit dem schwarzen Mond erwacht war? Beinahe unbewußt spielte sie ein weiteres Mal mit der Schriftrolle, die Borresch ihr einst gegeben hatte und zog sie schließlich aus ihrem Gewand, um das Siegel ein weiteres Mal zu betrachten. Es war diese Schriftrolle, die sie mit Herm zusammengebracht hatte und die der Auslöser für ihre Reise durch die Welt gewesen war. Und doch hatte sie die lederne Hülle nie geöffnet, um zu erfahren, was in ihr stand. Mit einem Schmunzeln musste sie an die heftigen Streitgespräche mit Herm denken, der die Rolle schon in Valkall hatte öffnen wollen. „Vielleicht ist es ja nun an der Zeit?“

Ein lautes Einatmen riss sie aus ihren Gedanken, als plötzlich der ältere Begleiter von Perkles vor ihr stand und auf die Schriftrolle starrte. „Woher habt ihr das? Das ist das Siegel der Wächter.“ Überrascht starrte Kira erst auf das Siegel an ihrer Nachricht und dann auf den alten Mann, während sich nun auch die anderen Männer zu ihr wandten und die Lederrolle ansahen. „Ihr kennt den Bund der Wächter?“ Erstaunt sah Kira auf den alten Mann und betrachtete ihn nun zum ersten Mal genauer, während er ein Amulett unter seiner Kleidung hervorholte. „Mein Name ist Harmondir, ich bin ein Diener des Turms und Bote der Wächter.“ Sprachlos sah Kira auf das Amulett, das dasselbe Zeichen trug wie ihre Nachricht von Borresch und das Amulett, das sie von ihrem Meister Yi erhalten hatte, ein großes Auge mit einer einzelnen Träne.

„Ich denke, diese Nachricht ist für meinen Meister. Wir haben wohl einiges zu bereden.“ Perkles Worte überraschten sie nicht. Er stand in der Rangordnung offenbar über dem Mann, der sich als Harmondir vorgestellt hatte, war also sicher auch mit dem Bund der Wächter verknüpft. Es gab in der Tat viel zu bereden.

„Das werden wir. Aber erst werden wir etwas essen.“ Verdutzt sahen die Anderen zu Herm, der nun ein schlitzohriges Lächeln aufgesetzt hatte. „Wie ihr schon sagtet, es gibt viel zu bereden und das kann man nicht mit einem leeren Magen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten zog er Kira zu sich und gab ihr einen heißen innigen Kuss, der ihre Schenkel warm und Kniegelenke weich werden ließ. „Ganz wie du meinst, Geliebter. Aber diesmal werde ich nicht deine Küchenhilfe sein.“ Die verdutzt schauenden Männer zurücklassend begannen sie gemeinsam den langen Abstieg vom hohen Glockenturm der Kapelle. Die Zeit des Erwachens war gekommen und sie würden sie mit einem Festmahl begrüßen.

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Mit hängenden Schultern betrachtete Rakul vom Balkon des Kristallturms aus den Sonnenaufgang. Langsam schob sich die helle Scheibe der Sonne über den Horizont und ließ die vier Monde in seinem Licht verblassen. „Wir haben versagt. Ich habe versagt.“ Über Jahrhunderte hatte er sein Leben dem Dienst im Kristallturm geopfert, eingesperrt in einen goldenen Käfig, ausgestattet mit nahezu unendlicher Macht. Und doch hatte er es nicht verhindern können.

Karas, der schwarze Mond, der vergessene Mond, war zurückgekehrt. Die Barriere, vor ewigen Zeiten errichtet von den Erzmagiern des Jesah, Jatul und Zonah, war zerstört. „Aber noch gibt es Hoffnung.“ Er hatte zu Mitternacht die Steine des Schicksals geworfen und ihr Bild zeigte ihm viele mögliche Wege, noch hatte er nicht vollends verloren.

Dann schweifte sein Blick nach Südosten, nach Phrygia. Er hatte die immens starke Magie gespürt, die dort gewirkt worden war. Kein lebender Magier außer ihm, nicht einmal die Erzmagier der drei Türme, waren in der Lage, derart starke Magie zu wirken. Es gab nur eine Erklärung, das Buch war gefunden worden. „Und jemand war mächtig genug, seine Kraft zu nutzen.“

Aber wozu war die Kraft des schwarzen Buches genutzt worden? Hatte einer der schwarzen Magier die Macht, mit Hilfe des Buches die Kontrolle über die dunkle Garde zu erlangen? Oder ist die Garde gebannt worden? Wütend stapfte Rakul mit seinem Fuß auf den Boden. Perkles hatte sich seit Tagen nicht gemeldet, er wusste nicht einmal, ob sein Waffenmeister noch am Leben war. „Ich brauche Informationen, so dringend wie nie.

Noch einmal nahm Rakul einen tiefen Atemzug und war gerade dabei, zurück in das Innere des Kristallturms zu gehen, als er plötzlich inne hielt. „Das Datum. Es stimmt nicht.“ Kalter Schauer lief dem alten Erzmagier über den Rücken, während er noch einmal blitzartig zum Morgenhimmel sah. Die vier Monde waren noch blass sichtbar und der schwarze Mond Karas zeigte sich in voller Scheibe. So schnell er konnte, rannte Rakul zurück in den Turm und nahm die Stufen in die oberste Ebene, in die Kammer der Sterne. Schnell verglich er die Daten der letzten Konjunktionen in seinen Aufzeichnungen mit den Positionen und der Fülle der vier Monde. „Es stimmt nicht, man hält uns zum Narren.“

Seit Jahrhunderten verfolgte er die Bahnen der drei Monde wie auch seine Vorgänger vor ihm, lediglich der Bahn des Karas hatte er nicht folgen können, nicht einmal seine eigene Macht hatte die Barriere durchdringen können. Also hatte er sich auf die Berechnungen seiner Vorgänger verlassen, die die Position und Fülle des schwarzen Mondes auch für diesen Tag vorausgesagt hatten. Nur waren diese Daten offensichtlich nicht korrekt gewesen. Der Karas hätte heute nicht voll in der Nacht stehen dürfen, die Grundlage seiner Jahrhunderte alten Berechnungen war nicht korrekt.

Schweiß bildete sich auf der Stirn des alten Magiers, während er in Gedanken die neue Position des schwarzen Mondes in das Gesamtgefüge der Mondbahnen einreihte. „Eine große Konjunktion. Wahnsinn!“ Wieder und wieder ging er durch seine Aufzeichnungen und Berechnungen, doch zu seinem Entsetzen gab es keine Zweifel. Die nächste große Konjunktion, die bevorstand, war nicht nur eine Konjunktion des blauen, grünen und roten Mondes, wie er erwartet hatte. Es war eine Konjunktion aller vier Monde, die gleichzeitig in voller Scheibe am Nachthimmel stehen würden. Ein Ereignis, das die Welt erschüttern, ja sogar würde zerstören können.

Das ist es also. Er hat uns getäuscht, in Unwissenheit gelassen. Er will zur großen Konjunktion zurückkehren, daran gibt es keinen Zweifel.“ Mit einem krampfenden Knoten im Bauch sah Rakul ein letztes Mal auf die Bahnen der Monde, bevor er die Kammer der Sterne wieder verließ. Er würde handeln müssen, und er hatte nicht mehr viel Zeit.