Zeit des Vergessens
Mit zusammengekniffenen Augen sah Fürst Fa-Sal in die südliche Wüste. Die brennend heiße Sonne stand bereits tief am Horizont, in wenigen Minuten schon würde sie hinter den weiten Dünen des Westens verschwinden und dem Anbruch der Nacht Platz machen. Das unruhige Wiehern und Stampfen von Tausenden Pferden war das einzige Geräusch, das die Stille der Wüste durchbrach, selbst sein eigenes Schlachtross Kiman, ein schwarzer Gelding aus edelstem Geblüt, wippte unruhig mit dem Kopf hin und her.
„Als ob sie es spüren können.“ Ein Blick zu den Seiten zeigte ihm die lange Reihe seiner Stammeskrieger, jeder Einzelne von ihnen ein schneller Reiter, ausgerüstet mit Speer, Scimitar, Schild und einem Reiterbogen. Sie alle würden im Krieg ihr Leben für den Stamm und ihren Fürsten geben, doch hier handelte es sich nicht um eine Stammesfehde. Sie waren nicht so weit in den Süden geritten, um sich mit einem anderen Stamm oder Fremdländern zu messen. Sie waren hier auf Geheiß des Orakels, um gegen die dunkle Garde zu kämpfen und so beruhigte Fa-Sal der Blick auf die drei Männer in roten Roben zu seiner Linken mehr wie der Blick auf seine Krieger.
Die Erzmagierin des roten Turms hatte ihm drei ihrer Magier geschickt, ein klares Zeichen für ihn, dass sie die Bedrohung ernst nahm. „Aber wie kann das sein, wie können Legenden zur Wirklichkeit werden?“ Fa-Sal war noch ein Kind gewesen, als er zum ersten Mal Geschichten über die dunkle Garde gehört hatte. Riesenhafte Monster mit Rabenköpfen, die am Tag unter dem Sand schliefen und bei Nacht auf ihm rannten, mit dem einzigen Ziel alles Leben zu vernichten. In den überlieferten Legenden waren sie vom alten Kaiser besiegt und in die südlichste Wüste gejagt worden, doch wer sollte es nun tun, wenn sie wirklich zurückgekehrt waren?
Haschekk ritt an seine Seite und griff sein Pferd hart am Zügel, ungewohnt für den Anführer der Reiterelite. Anders wie die anderen Stammeskrieger trugen Haschekk und seine Reiter eine Rüstung und verzichteten zugunsten eines großen halbmondförmigen Schildes aus bestem Stahl auf den Reiterbogen. Er und seine Männer waren der Wüstenwind, die gefürchtetste Kavallerie in ganz Alterra.
„Sind wir am richtigen Ort, mein Fürst?“ Die Frage des stolzen Reiterführers bedurfte keiner Antwort, sie wussten dass sie am richtigen Platz waren. Südlich von ihnen lag die Oase Gumurhei, einst Stammsitz der Fedak, des südlichsten Stammes in Alterra. Jetzt war die Oase zerstört, das Wasser vergiftet von den Tausenden Leichen, die in ihm schwammen und nur der Geruch des Todes zeugte von der einstigen Existenz des zurückgezogenen Stammes. Es gab keinen Zweifel, die dunkle Garde war hier, so wie es das Orakel vorausgesagt hatte.
Mit einem kurzen Blick zu Haschekk nickte Fa-Sal seinem Hauptmann zu. „Alle wissen Bescheid und sind vorbereitet. Wenn sie kommen, dann hier, und hier werden wir sie stellen.“ Stumm sah er zu, wie die Sonne immer weiter in den Horizont eintauchte, dann wurde es Nacht. Beinahe schlagartig kam die Dunkelheit und der kalte Griff der Angst legte sich über Fa-Sal und seine Männer, die nun nur noch das Licht der Sterne und der drei Monde auf ihrer Seite hatten. Fa-Sal hätte es vorgezogen, bei vollem roten Mond zu kämpfen, wenn seine verbündeten Magier am stärksten waren, doch die Angaben des Orakels waren eindeutig gewesen. Die dunkle Garde würde ihrem eigenen Mond folgen, was auch immer das bedeuten mochte. Wichtig war nur, dass das Orakel ihnen den Zeitpunkt und den Ort genannt hatte, wenn sich die Monster wieder erheben würden. „Beinahe fünftausend Krieger und drei Magier, wird das reichen um gegen Legenden zu kämpfen?“
Haschekk sah sie als erster, seinem Handzeichen folgend erspähte auch Fa-Sal die Bewegungen im Sand, nur wenige Hundert Meter entfernt. Wie kleine Trichter begann der Sand sich an unzähligen Stellen kreisförmig zu drehen, dann brachen die Monster aus dem Boden. Beinahe drei Meter groß hätte man sie für riesenhafte Menschen halten können, würden sich nicht Rabenköpfe auf ihren Schultern befinden. Ohne zu zögern hob der Fürst seinen Speer in die Luft und gab das Signal zum Angriff.
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Adrenalin floss durch Triumvir Kaldwells Körper, während er auf die alte, in schwarzen Marmor gemeißelte Karte sah. Obwohl er kein Magier war, konnte er die Magie in dem Marmor beinahe spüren. Der steinerne Block maß etwa einen Meter im Quadrat und wog sicher eine Tonne. Und doch war er eigentlich zu klein, um eine derart große genaue Karte abzubilden. Aber wenn immer Kaldwell auf die Karte blickte und sich konzentrierte, konnte er Phrygia und die umgebene Landschaft genau erkennen, in einem Detail, den selbst auf Papier gemalte Karten nicht erreichten. Es erschien ihm sogar so, als ob gerade der Bereich, auf den er sich konzentrierte, immer genauer und detaillierter wurde, je länger er auf ihn sah.
„Welch eine Karte, welch ein Schatz.“ Seit Jahren schon verfolgte er die Suche nach Artefakten aus der Zeit der Legenden, bisher allerdings weitgehend erfolglos. Erst jetzt, mit dem Fund der Karte aus schwarzem Marmor, hatte er erstmalig etwas Reelles in der Hand, etwas einmaliges. „Aber was ist es, das ich mit deiner Hilfe finden kann?“ Kaldwell hatte keinen Zweifel, dass die Karte dazu geschaffen worden war, etwas zu finden. Die magische Fertigkeit ihres Erschaffers musste gewaltig gewesen sein, er hatte noch niemals von etwas Gleichwertigem gehört.
Fasziniert strich er mit seinen Händen über einige feine Linien im Norden der Karte, die alte Tempelanlagen aus der Zeit der Legenden zeigten. Inzwischen zerfallen säumten unzählige alte Bauwerke die Umgebung Phrygias, der Stadt der Legenden. Viele von ihnen erkannte er, dort hatten bereits Ausgrabungsgruppen seiner Familie nach Schätzen gesucht. Dann streifte er mit seinen Fingern zu den kleinen Inseln vor der Küste der Stadt. Hier hatte man die Marmorkarte gefunden und dann direkt zu ihm gebracht.
Mit weiteren Fingerstrichen glitt er langsam über die südlichen Tempel, bis es ihn plötzlich durchzuckte. Wärme stach in seinen Finger, stark und schmerzhaft, so als hätte er in eine noch nicht erkaltete Feuerstelle gegriffen. Mit geweiteten Augen betrachtete er erst die Karte aus Marmor und dann seinen Finger. Keine Brandblase war zu sehen, keine Rötung und kein Einstich, nichts was den Schmerz hätte hervorrufen können.
Voll konzentriert bewegte er seinen rechten Zeigefinger ein weiteres Mal zur Karte und drückte ihn vorsichtig auf dieselbe Stelle. Diesmal blieb der Schmerz aus, doch stattdessen empfing ihn eine wohlige Wärme, beinahe so, als würde er ein gebackenes Brot anfassen. Aber es war nicht nur eine Wärme, die er spürte, es war mehr, eine Präsenz, die er erst schwach und nun immer deutlicher spüren konnte. Dann hörte er die Stimme in seinem Kopf mit voller Deutlichkeit.
„Wer ruft nach mir?“
„Ich bin Triumvir Kaldwell von den Trionen. Wer spricht zu mir?“
„Wenn du es nicht weißt, so sollst du es auch nicht erfahren.“
„So bist du ein Magier? Welchem Turm gehörst du an?“
„Die Türme haben keine Macht über mich. Ich bin allein.“
„Wo bist du? Hier in dem Tempel, den ich fühlen kann?“
„Sehen kannst du mich, doch das solltest du nicht. Lass mich allein, Triumvir Kaldwell von den Trionen.“
„Warum? Darf ich dich nicht besuchen?“
„Mein Schatten wacht über das Buch. Ihr habt kein Recht auf das Buch. Mein Schatten ist euer Tod.“
Mit dem letzten Wort der Stimme in seinem Kopf brach der Kontakt ab und Schmerz durchflutete Kaldwells Körper. Einen Schrei aus seinen Lungen pressend sprang er einen Schritt zurück und betrachtete mit weit geöffneten Augen den Block aus Marmor, der noch immer reglos auf dem Boden seiner geheimen Schatzkammer stand.
„Unglaublich, eine fremde Präsenz, und sie lebt.“ Kaldwell hatte keinen Zweifel daran, dass er gerade mit einem Artefakt aus der Zeit der Legenden gesprochen hatte. Es war kein Leben in der Stimme seines Gesprächpartners gewesen, es musste sich um einen jener magischen Gegenstände handeln, die einen eigenen Geist hatten. „Ein Artefakt aus der Zeit der Legenden. Ich muss es haben!“
Ohne der Warnung der fremden Stimme auch nur eine Sekunde lang Beachtung zu schenken, plante er bereits seine nächsten Schritte. Er war momentan der Einzige, der Geld für Ausgrabungen in den Ruinen um Phrygia zur Verfügung stellte, seine beiden Mit-Triumvire teilten seine Vorliebe für die Zeit der Legenden nicht. Das gab ihm Zeit, zu taktieren. Er musste wenigstens eine der anderen beiden Triumvire dazu bringen, weiteren Ausgrabungen zu zustimmen und er brauchte einen fähigen aber auch leicht zu entbehrenden Ausgrabungsleiter.
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Das Donnern der Pferde ließ den Boden erzittern, als die Stammeskrieger in einer langen Reihe zum Angriff stürmten. Tausende Speere senkten sich, als Fa-Sals Krieger die ersten der sich aus dem Sand erhebenden Monster erreichten, binnen Sekunden verwandelte sich das Tal in ein Schlachtfeld.
Die überraschten Rabenwesen der dunklen Garde hatten dem ersten Ansturm nichts entgegen zu setzen. Blut spritzte aus Tausenden Wunden, als sich die Speere der Reiter in ihre hünenhaften Körper bohrten, Hunderte der Monster brachen unter Schmerzensschreien verletzt oder sterbend zusammen. „Gut, sie können also sterben.“ Feuer verließ die knochigen Finger der Magier und hüllte ganze Gruppen der Rabenwesen in rote Flammen ein, während sie in vollem Galopp durch ihr Zentrum ritten. Dann waren sie durch, ein schneller Blick nach hinten zeigte Fa-Sal, dass ihr Sturmangriff erfolgreich gewesen war, wenigstens Eintausend ihrer Gegner waren gefallen.
Schließlich erreichten sie den Fuß der großen Dünen und wendeten. Der nächste Angriff würde schwerer werden, das Überraschungsmoment war vorbei und die meisten seiner Krieger hatten ihre Speere in den Körpern der Monster gelassen. Nun würden die Schwerter sprechen müssen. Doch die Riesen formierten sich schneller als erhofft, immer mehr von ihnen erhoben sich aus dem Wüstensand und ersetzten die Reihen der Gefallenen, um ihren Gegnern eine Wand aus Körpern entgegen zu stellen. Fa-Sal erhob seinen Krummsäbel und gab das Signal zum zweiten Ansturm. Diesmal stürmten sie nicht gegen orientierungslose einzelne Gegner, diesmal wurden sie erwartet und zu Fa-Sals Entsetzen sah er auch Waffen in den Händen der Riesen. Die dunkle Garde hob ihre meterlangen Krummsäbel, als sie dem Aufschlag der Kavallerie entgegentrat. „Jetzt!“ Fa-Sals Ruf brachte die Magier umgehend in Aktion, ein Feuersturm bildete sich vor der Linie seiner Krieger und brachte Tod und Zerstörung in die Reihen der Garde.
Dann erreichten sie die vorderste Linie und mit dem lauten Krachen zerbrechender Knochen, Schilde, Waffen und sterbender Pferde schlug der Ansturm seiner Kavallerie gegen die Wand aus Monstern. Seinen Säbel in kreisenden Bewegungen schwingend köpfte er den ersten Riesen, der in seine Reichweite kam, während die roten Magier mit Strahlen aus Feuer einen Korridor vor sich schufen. Wieder ertönten Schreie von Sterbenden durch die Nacht, aber diesmal waren es mehr menschliche wie nichtmenschliche Schreie, die sein Blut gefrieren ließen.
Mit weiteren Schwertschlägen fällte er halbverbrannte Riesen, während er durch ihre Linien brach. Noch einmal gab er seinem Pferd das Zeichen zur Beschleunigung und hob sein Schwert in die Luft. Wie verabredet hüllte einer der Magier es in rote Flammen, so dass es nun weit in der Nacht zu sehen war wie ein Leuchtfeuer. Schließlich erreichte er den Fuß der Düne, von der aus sie den ersten Angriff gestartet hatten und hielt an, die drei Magier neben ihm. Ein Blick zurück zeigte ihm seine Krieger, die durch die Reihen der dunklen Garde gebrochen waren. „So wenige haben es geschafft, so viele Verluste.“ Gerade mal die Hälfte seiner Reiter hatte den zweiten Ansturm überlebt und sammelte sich nun gemäß Plan bei ihm an der Düne. Umgehend griffen sie alle nach ihren Reiterbögen, während sich die Magier konzentrierten. Haschekk und seine Elite bildete eine Mauer aus Schilden vor den Kriegern, während die Bogenschützen ihren Pfeilhagel vorbereiteten.
Schließlich durchbrachen neue nichtmenschliche Schreie die Nacht und einmal mehr durchfuhr Fürst Fa-Sal kalte Angst, als sich Tausende Riesen formierten und in geschlossenen Reihen auf seine Stellung stürmten. „Sie werden immer mehr und der Sand bewegt sich noch immer.“ Für einen Moment zögerte der alte Fürst, doch dann überwand er seine Angst und gab das Zeichen. Tausende Bögen entluden einen Pfeilhagel auf die anstürmenden Monster, noch bevor die Pfeile einschlugen entzündeten sie sich in rotem Feuer und brachten Flammen und Tod auf ihre Gegner. Erschöpft brach einer der Magier neben ihm zusammen und fiel bewusstlos vom Pferd, seine magische Kraft war ausgereizt.
Fürst Fa-Sal, Führer der Ha-Dat und gewählter Sprecher der Stämme Alterras erkannte in demselben Moment, dass die Schlacht verloren war, als die inzwischen zahlenmäßig überlegenen anstürmenden Riesen durch die Reihen von Haschekks Schildwall brachen.
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Voller Vorfreude warf Herm die Kartoffelscheiben in die heiße Pfanne. Er hatte den Sud aus ausgelassenem Speck und Zwiebeln bereits in einer kleinen Schale aufgefangen, so dass er ihn später zu den gebratenen Kartoffelscheiben würde zugeben können. Ein kurzer Blick auf das große Rebhuhn, das auf einem Spieß über dem Feuer briet zeigte ihm, dass das Essen bald fertig war. Die Haut war bereits knusprig und der Duft der Kräuter und Pilze, mit denen er den Vogel gefüllt hatte, ließ umgehend seinen Magen knurren.
Herm war freudig überrascht gewesen, als Lingard das Tier auf seiner kurzen Jagd erlegt und zu ihnen gebracht hatte. Wenn ihm auch immer noch nicht klar war, warum der Waldwächter darauf bestanden hatte, sie nach Alterra zu begleiten, so bot sein Talent mit dem Langbogen doch einige offensichtliche Vorteile für die kleine Reisegruppe. Inzwischen hatten sich alle vier Mitglieder ihrer Gemeinschaft um das Feuer versammelt und zu seiner Genugtuung konnte Herm sehen, dass er nicht der Einzige war, der den intensiven Duft des Essens sichtlich genoss.
Kira war sichtlich bemüht, unbeteiligt zu wirken und konzentrierte sich auf eine Schnitzerei, an der sie schon eine Weile arbeitete, doch sie konnte ihn nicht täuschen. Ihr gieriger Blick, den sie dem gebratenen Vogel nur dann zuwarf, wenn sie glaubte dass er es nicht sah, sprach Bände. Auch Ise und Lingard leckten sich in kurzen Abständen über die Lippen, während sie ihm zusahen, wie er die Kartoffelscheiben salzte und wendete, auch wenn sie sich seiner Beobachtung nach ebenso oft gegenseitig Blicke zuwarfen wie dem Essen.
Lingards Interesse an der nordischen Schönheit war schon zu Beginn der Reise offensichtlich für Herm gewesen und zu seiner großen Überraschung zeigte Ise dem Waldwächter nicht die kalte Schulter, die er erwartet hätte. Stattdessen hatte sie ihn auf einigen seiner Jagdausflüge begleitet und ihre kühle Unnahbarkeit abgelegt. Die gute Laune war anscheinend auch auf Kira übergesprungen, die wieder deutlich entspannter auf ihn wirkte, seit Ise und Lingard so viel Zeit miteinander verbrachten. „Versteh einer die Frauen.“
Mit einem Zischen landete der Zwiebel-Speck-Sud in der Kartoffelpfanne, umgehend schoss eine Wolke aus intensivem Zwiebelduft in die Luft und bewirkte ein erneutes Befeuchten der Lippen aller um das Feuer sitzenden. Ein kurzes Rühren in der Pfanne, noch etwas Salz, dann war Herm zufrieden mit dem Ergebnis. Mit den geübten Handgriffen eines Kochs nahm er das Huhn vom Spieß und zerlegte es in vier gleiche Teile, die in den kleinen Blechschalen vor ihm landeten. Daneben legte er für jeden einen guten Löffel der Speckkartoffeln und gab anschließend etwas weißen Wein in die nun leere Pfanne. Mir neugierigen Blicken verfolgten seine Begleiter, wie Herm unter einem neuen Zischen die Pfanne schwenkte, so die Aromen in dem Wein löste und die dabei entstandene Soße über die Teile des gebratenen Rebhuhns gab. Ein letzter zufriedener Blick und er gab das Essen frei, umgehend griffen acht schnelle Hände nach ihren Schüsseln und in den nächsten Minuten war außer Schmatzen nichts zu hören.
„Also gut Lingard, warum reist du wirklich mit uns nach Alterra? Du weißt doch genau so gut wie wir, dass wir nicht zum roten Turm reisen.“ Herm stellte seine Frage offen und direkt. Er hatte eine Weile darüber nachgedacht, wie er das Thema ansprechen sollte und sich für die Wahrheit entschieden. Immerhin hatte der Waldwächter ihr Leben gerettet und so hatte er wenigstens ihre Ehrlichkeit verdient. Die Reaktion war wie er es erwartet hatte, nicht nur Lingard sondern auch Kira und Ise waren von einem Moment zum Anderen wie erstarrt. Schließlich hob Lingard seinen Kopf und traf Herms Blick. „Ich muss zum Orakel, euch zu begleiten war der einfachste Weg, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.“ Mit einem Grinsen quittierte Herm seine Antwort. „Dann haben wir den gleichen Weg, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Bleib doch bei uns, es sind gefährliche Zeiten und zusammen sind wir stärker.“ Lingard überlegte kurz, dann nickte er zustimmend. Sie waren zu viert.
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Mit ernstem Gesicht sah Karrek aus der Höhle in die vor ihm liegende Ebene. Der Frühling näherte sich dem Ende und wurde langsam von der heißen Sonne des Sommers abgelöst. Wo vor Wochen noch Frühlingsblumen in allen denkbaren Farben die Ebene bedeckt haben mussten, befand sich nun ein Meer aus gelben Honigsternen. Die gelben Blumen waren der erste Bote des Sommers und wurden von den Bauern zur Orientierung bei der Aussaat genutzt.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, als er selbst noch ein Junge war und nach den ersten Honigsternen für seinen Vater Ausschau gehalten hatte. Nun, beinahe dreißig Jahre später war nichts mehr übrig von dem einstigen Bauernsohn, er war ein anderer Mensch geworden. „Mensch oder eher ein Monster?“ Ein Blick auf seinen linken Schuppenarm brachte ihn zurück in die Realität, aus der er in letzter Zeit immer öfter zu fliehen versuchte. Er hatte versagt, nun schon zum zweiten Mal. Zornig dachte er noch einmal zurück an den Kampf auf der Plattform des Tempels der Sternensinger. Es war sein zweites Duell mit dem jungen Magier gewesen und wieder hatte er fliehen müssen.
Teleportation war eine riskante Flucht und sollte nur gut überlegt eingesetzt werden. Wenn man den Zielort nicht perfekt studiert hatte, konnte man in einer Wand herauskommen oder im Erdboden. Zu Karreks Zufriedenheit war seine Teleportation aus Paitai gut geglückt und hatte ihn in seine geheime Höhle gebracht, die er sich speziell für diese Notfälle perfekt in seinem Geist memorisiert hatte. Die Höhle war nicht zufällig gewählt, hier hatte er als Kind das erste Mal seine magischen Kräfte entdeckt, ein Umstand der sein Leben grundlegend verändert hatte. Und hier war auch einer der wenigen Orte der Welt, an denen er Frieden finden konnte, an dem nicht seine Dämonen an ihm nagten.
Mit einem Schütteln warf Karrek die negativen Gedanken an seine Vergangenheit ab und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Sein Meister würde schon bald erscheinen und Antworten fordern, doch Karreks Bericht würde ihm nicht gefallen. Er könnte einfach verschwinden und sich verstecken, aber das kam für ihn nicht in Frage. Er war einen Pakt eingegangen, einen Pakt der ihn bereits viel gekostet hatte, eingeschlossen seinen linken Arm. Es wurde Zeit, dass er sich auch für ihn zu lohnen begann.
Der eiskalte Hauch aus der Höhle hinter ihm ließ Karrek umgehend herumfahren. „Er ist hier.“ Nur Sekunden später ertönten die metallischen Schritte auf dem harten Höhlenboden, die er erwartet und gefürchtet hatte. Langsam sank Karrek auf die Knie und erwartete seinen dunklen Meister. „Nun Karrek, was gibt es zu berichten?“ Die kalte Stimme des Mannes in der metallischen Rüstung ließ keinen Zweifel daran, dass er bereits mehr wusste, als er zugab, Lügen waren keine Option für Karrek.
„Wir haben den Tempel der Sternensinger angegriffen, nachdem der erste Singer aufgebrochen war, so wie es verlangt wurde. Alle Singer bis auf einer sind tot und der Überlebende wird auf Wochen keine Visionen empfangen können.“ Das war soweit korrekt, wenn auch nicht die komplette Wahrheit. Doch das Aufblitzen in den Augen seines Meisters bestätigte Karreks Befürchtung, dass er bereits mehr wusste. Erwartungsgemäß fragte der Mann in der Rüstung nach. „Wie ich höre, wurde der überlebende Singer in die Hallen der Stadtherrin gebracht, es wird äußerst schwer werden, dort an ihn heran zu kommen, falls er sich doch schneller erholt. Und die Burrak-Kumun hatten Verluste, ein Kampf fand öffentlich unter freiem Himmel statt, entsprach das deiner Planung, Karrek?“
Mit verzerrtem Gesicht biss er seine Zähne zusammen, es machte keinen Sinn mehr, Details zurück zu halten. „Der junge Magier aus Magystra war dort, ebenso wie die Schülerin des Meister Yi und eine weitere Magierin. Ich erkaufte uns in einem magischen Duell soviel Zeit wie möglich, bevor wir den Rückzug antraten, aber erst nachdem der Auftrag erledigt war.“ Mit einem Kopfnicken quittierte der furchteinflößende Mann Karreks Bericht, offenbar entsprach er seinem eigenen Wissensstand. Dann kam die Frage, die Karrek gefürchtet hatte. „Der Magier, von dem du sprachst. Ich nehme an, er ist unverletzt?“
Für einen Moment zögerte Karrek, doch dann antwortete er mit fester Stimme. „Er trug einige leichte Verletzungen davon, möglicherweise war sein Arm gebrochen.“ Langsam sah er auf und traf den Blick seines Meisters, die lodernden Flammen in seinen schwarzen Augen ließ augenblicklich sein Blut gefrieren. „Das ist….sehr enttäuschend, Karrek. So wie es aussieht, werde ich wohl einen meiner anderen Agenten nach Alterra schicken müssen. Immerhin hast du nicht völlig versagt, mit den Sternensingern sind nun die letzten Seher der Welt ausgeschaltet. Wer auch immer die Zukunft sehen will, kann nur noch zum Orakel nach Alterra gehen. Dir wird nun eine andere Aufgabe in unserem Plan zu Teil, aber dazu benötigst du noch einer kleinen…Transformation.“ Augenblicklich fuhr ein kalter Schauer über Karreks Rücken. Was auch immer sein Meister für ihn vorgesehen hatte, es war sicherlich nichts worauf er sich freuen konnte.
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Erschöpft warf Herm seinen Rucksack auf den Boden und ging mit zügigen Schritten zu dem kleinen Bach, dessen Ufer sie als ihr Nachtlager ausgesucht hatten. Der Anbruch des Sommers zusammen mit ihrem guten Reisefortschritt in den heißen Süden Alterras wurde langsam aber sicher zu einer Belastung für Herm und seine Begleiter, erleichtert zog er seine Rüstung und sein Oberhemd aus, um sich mit dem kalten Wasser des Baches abzukühlen. Schnell ließ sich auch Ise neben ihm nieder, um ihr Gesicht mit dem kalten Nass zu kühlen, die rothaarige Klanfrau reagierte eben so schlecht auf die ansteigende Hitze wie er selbst. Kira nahm nur einige kurze Schlucke Wasser, er wusste nicht ob es an ihrer Disziplin lag oder ob sie heiße Sommer aus ihrer Heimat Begos kannte, aber sie schien das warme Wetter des Südens besser zu verkraften wie er selbst oder Ise. Auch Lingard zeigte sich unbeeindruckt von der heißen Nachmittagssonne und stand mit aufmerksamem Blick Wache, während sich seine drei Begleiter erfrischten.
Der meronische Waldwächter hatte sich erstaunlich schnell in ihre seltsame Reisegruppe eingefügt und ihren Respekt als guter Jäger und aufmerksamer Späher verdient. Herm ging nicht so weit, ihm vollständig zu trauen, dafür kannte er ihn zu kurz, doch weder sein eigener noch Kiras innerer Alarm waren bei ihm angeschlagen und so hatten sie ihn als momentanen Begleiter akzeptiert. Obwohl Herm allzu gerne erfahren hätte, warum der mittelalte drahtige Mann zum Orakel wollte, hatte er ihn nicht gefragt. Es war zu einer stillen Absprache zwischen ihnen geworden, Lingard fragte sie nicht und sie fragten ihn nicht, alle Seiten schienen damit für den Moment zufrieden.
Nachdem sich alle mit dem kalten Wasser gekühlt und ihren Durst gestillt hatten, begannen sie gemeinsam, das Lager aufzuschlagen. Steine für die Umrandung des Feuers zu finden war nicht schwer, da sie nun schon seit einigen Tagen in felsiger Gegend unterwegs waren. Dafür waren die Jagd und das Sammeln trockenen Feuerholzes zunehmend schwieriger geworden, an einigen Tagen hatten sie sich nur von Brot und Beeren ernähren müssen. Herm hoffte inständig, dass Ise und Lingard heute mehr Glück haben würden, ein gutes Essen zur Anhebung ihrer müden Stimmung käme nicht ungelegen. Besonders Ise schien zunehmend besorgt über den drohenden Krieg in ihrer Heimat. Sie waren nun schon einige Wochen unterwegs und Ise hatte keine Möglichkeit gehabt, Neuigkeiten von den Klans zu erfahren. Herm beneidete die rothaarige Magierin nicht um die Zwickmühle, in der sie sich befand. Einerseits war sie offenbar loyal gegenüber Marla, die den Klankrieg unbedingt hatte verhindern wollen, andererseits war ihr Vater Marlas erbittertster Gegner.
Während Lingard und Ise auf die Suche nach Holz und Nahrung gingen, nahm Herm seine Hellebarde auf und wartete auf Kira für ihre tägliche Übungsstunde. Die Trainingsstunden mit der jungen Kampfexpertin hatten sich zum Angenehmeren verbessert, seit auch Kira ihre Anspannung abgelegt hatte und inzwischen freute er sich jeden Tag auf die Stunde der Zweisamkeit mit ihr, auch wenn er ihr so genanntes zweites Shitsu auf Monate nicht würde meistern können. „Immerhin hat sie nun hin und wieder ein Wort des Lobes für mich übrig. Und schließlich bin ich ein Magier und kein Krieger mehr.“ Der Gedanke setzte sich für einen Moment in seinem Kopf fest. Wenn er ein Magier war und kein Krieger, warum bekam er dann keine Ausbildung als solcher? Er sollte in einem der Türme sein und dort ausgebildet werden, nur gab es keinen Turm, in dem Magier des schwarzen Mondes ausgebildet wurden. „Oder doch?“ Der Gedanke an den schwarzen Turm kam wieder in ihm hoch, er hatte inzwischen noch mehrfach von ihm geträumt und der Sog, der ihn nach Osten zog war keine Einbildung. Aber erst musste er mit dem Orakel sprechen, er brauchte Antworten.
Zu seiner Überraschung legte Kira ihren Kampfstab wieder auf den Boden und bedeutete ihm, dasselbe mit seiner Waffe zu tun. „Es wird Zeit, dass du lernst, dich auch ohne Waffe zu wehren. Heute fangen wir mit dem waffenlosen Kampftraining an.“ Herm hatte sich in jungen Jahren oft mit seinen älteren Brüdern geboxt und das aufgrund seiner höheren Schnelligkeit auch erfolgreich, doch hatte er das Gefühl, dass ihm seine rudimentären Kenntnisse nicht viel gegen Kira helfen würden. Sich innerlich auf Schmerzen einstellend stellte er seine Beine in eine stabile Position und hob die Fäuste, um sein Kinn zu schützen. Ihr Blick sagte ihm schnell, was sie von seiner Kampfstellung hielt, doch zu seiner Erleichterung behielt sie ihre Kommentare für sich.
Mit einer fließenden Bewegung begab sich nun auch Kira in eine seltsam anmutende Kampfstellung und signalisierte ihm, sie anzugreifen. Während Herm ihr ohne seine Rüstung und mit freiem Oberkörper gegenüber stand, trug sie noch immer ihre geschnürten Leinenkleider, die von Schweiß befeuchtet an ihrem schlanken Körper klebten. Angestrengt versuchte er, seine Gedanken von ihrem Körper weg auf seinen Angriff zu lenken, doch es war bereits zu spät. Der Wind trug ihren Geruch direkt zu ihm und er konnte spüren, wie ihn Erregung durchflutete, wie von selbst wanderte sein Blick auf ihre kleinen festen Brüste, die sich allzu deutlich unter ihrer Kleidung abzeichneten.
Mit einer ruckartigen Bewegung löste er seinen Blick von ihren Wölbungen und begann seinen Angriff. Den vorderen Fuß zuerst vorwärts bewegend näherte er sich ihrer Position und behielt so die Balance, während er seine Schlagkombination startete. Seine Linke prüfte die Distanz zu Kira, dann versuchte er mit einem rechten tiefen Schlag ihre Deckung herunter zu ziehen, um danach einen linken Haken zu ihrem Kinn zu führen. Es war eine bewährte Kombination, die er schon oftmals mit Erfolg eingesetzt hatte, er schlug sie so schnell er konnte und doch flogen seine Fäuste ins Nichts. Scheinbar ohne jede Anstrengung duckte sie sich unter seinem ersten Schlag weg und wich dem folgenden Haken mit einer halben Linksdrehung aus, die ihren Ellbogen in seine Magengrube und ihren Rücken an seine Brust führte. Mit einem Grunzen krümmte Herm seinen Oberkörper und noch bevor der Moment des Schmerzes vorbei war hatte sie ihn gepackt und über ihre Schulter zu Boden geworfen, als wäre er nur ein Strohballen. Ihren Wurf beendend folgte sie der Drehung ihres Körpers und landete direkt auf seinem Unterleib sitzend, die Faust zum finalen Schlag gegen seinen Kopf gehoben.
Schwer atmend erstarrte Herm und hob nicht einmal seine Hände zur Abwehr, wie gelähmt spürte er das Blut in seinem Unterleib pulsieren, der von Kiras Schenkeln umschlossen war. Auch sie hielt in ihrer Bewegung inne und wirkte plötzlich seltsam überrascht. Herm hatte keinen Zweifel daran, dass sie seine Erregung deutlich spüren konnte. Umgehend erinnerte er sich an ihren Kuss und ihre anschließende Flucht, seitdem waren sie verfänglichen Situationen so gut es ging aus dem Weg gegangen, doch jetzt hatte es sie wieder eingeholt, er musste eine Entscheidung treffen. Impulsiv fasste er Kira an ihren Hüften und zog ihren Oberkörper herunter zu ihm, ohne Gegenwehr ließ sie zu, wie er langsam seine Lippen auf die ihren legte. Der Kuss war intensiv und für einen Augenblick verschwand die Welt um ihn herum, mit geschlossenen Augen nahm er nur noch ihren Duft und ihre Berührung wahr.
Vorsichtig fuhren seine Hände an ihrem Körper nach oben, während sie sich wieder auf ihm sitzend aufrichtete, schwer atmend und noch immer mit geschlossenen Augen. Schließlich erreichte er ihre Brüste und streichelte langsam über die kleinen Hügel, deren Brustwarzen sich deutlich unter ihrer dünnen Kleidung aufgerichtet hatten. Plötzlich öffnete sie ihre Augen wieder und warf ihm einen seltsamen Blick zu, bevor sie schließlich ihren Gurt öffnete und in einer einfachen Bewegung ihr Oberteil abwarf. Atemlos sah Herm auf ihren nackten Oberkörper, seine Erregung gewann die Oberhand, er spürte dass er dabei war, jegliche Kontrolle zu verlieren. Ihren Oberkörper wieder zu ihm neigend gab sie ihm einen weiteren Kuss, während ihre rechte Hand langsam an seinem Körper entlang fuhr und in seine Hose glitt. Ein Zucken ging durch seinen Körper, als sie seinen harten Schaft umfasste, für einen Moment glaubte er einen Ausdruck von Zufriedenheit in ihrem Blick zu sehen, aber auch einen Hauch von Angst.
Ohne zu zögern übernahm Herm wieder die Kontrolle und drehte Kira auf ihren Rücken, auf ihr liegend konnte er ihren rasenden Herzschlag spüren, während er seine Männlichkeit gegen ihren Unterleib drückte. Schwer atmend küsste er erst ihren Nacken und ging dann tiefer, zu ihren Brüsten, zu ihrem muskulösen Bauch. Eine einfache Bewegung und ihre Hosenschnüre waren geöffnet, schnell hatte er ihre Stiefel und Leinenhose ausgezogen und betrachtete nun für einen kurzen Moment ihren nackten Körper, bevor er sich selbst auszog.
Mit weit geöffneten Augen und leicht zitterndem Körper sah Kira ihn an, während er sich langsam wieder auf sie legte. Ihre Arme umklammerten ihn zu einem innigen Kuss, während er langsam und bestimmt in sie eindrang. Mit einem Aufstöhnen bäumte sie sich kurz auf, als er ihre Jungfräulichkeit durchstieß, um ihn danach wieder in einem innigen Kuss zu umarmen. Ihre Fingernägel waren inzwischen tief in das Fleisch seines Rückens eingedrungen, doch er konnte den Schmerz nicht spüren, längst hatte er alles um sich herum ausgeblendet, konnte nur noch Kira wahrnehmen, ihren Duft, ihre Küsse und die rhythmische Bewegung ihrer Körper.
Ohne jedes Gefühl für Zeit liebten sie sich auf dem sandigen Boden ihres Lagerplatzes, während sich langsam die Sonne zum Horizont schob. Dann plötzlich legte Kira ihre Schenkel fest um ihn und beschleunigte ihre Bewegungen. Herm hatte schon mit anderen Frauen sein Lager geteilt und spürte, dass es nun nicht mehr lange dauern würde. Unter ihrem lauter werdenden Stöhnen konnte auch er sich nicht länger zurück halten und ergoss sich noch während ihres Höhepunktes in ihr.
Ohne jedes Zeitgefühl lag er mit geschlossenen Augen auf ihr und genoss den perfekten Moment, den er sich in seiner Phantasie schon so oft ausgemalt hatte. Dann kehrte langsam das Blut zurück in seinen Kopf, vorsichtig öffnete er die Augen und traf direkt Kiras Blick. Zu seiner Erleichterung war kein Anzeichen von Bedauern oder Zorn in ihrem Gesicht zu sehen, wortlos sahen sie sich für einen langen Moment an, dann löste sich Herm von ihr und stand auf. Schließlich stand auch Kira auf und gab ihm einen kurzen Kuss, bevor sie in den Bach stieg, um sich zu waschen. In demselben Moment begriff Herm, dass sich alles verändert hatte. Die seltsame Anspannung zwischen ihnen war verschwunden und einem Gefühl der Zugehörigkeit gewichen, sie war nun seine Gefährtin und damit alles, was er sich erträumt hatte.
Ein Blick zur untergehenden Sonne brachte ihn unsanft in die Gegenwart zurück, Lingard und Ise würden schon bald zurück kommen. Schnell wusch auch er sich in dem kalten Wasser und zog sich ebenso wie Kira seine Kleidung wieder an.
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Mit einer einfachen Handbewegung gab Tzarina Katarina IV zu verstehen, dass sie mehr Wärme wünschte. Umgehend gingen ein halbes dutzend Diener zu den beiden großen Feuerstellen auf der Aussichtsplattform, die eigens für sie aufgestellt worden war und verstärkten die Glut. Der Anblick, der sich der Herrscherin Kaldarras bot, war atemberaubend. Sie hatte die Pläne der Festung des dunklen Magiers studiert, bevor sie den Befehl zum Bau gegeben hatte, und doch war sie nicht auf diesen Anblick vorbereitet gewesen.
Geschlagen in den Fels eines Berges in dem unbewohnten nördlichen Teil ihres Reichs ragten zweiundzwanzig Türme bereits in ihrer Form erkennbar kreisförmig um das Zentrum der Festung in den Himmel. Höhlen wurden in den Berg getrieben zu einem ausgeklügelten Tunnelsystem und auch der Bau des Hauptgebäudes auf dem Berggipfel hatte bereits begonnen, insgesamt würde das Bauwerk die Größe einer kleinen Stadt haben, wenn es fertig war. Tausende Arbeiter schwirrten über die Baustelle wie Ameisen über ihren Hügel, angetrieben von den Aufsehern ihrer Garde leisteten sie das Äußerste. Die meisten von ihnen würden das Ende des Baus nicht überleben und diejenigen die zäh genug waren, würden trotzdem hier ihr kaltes Grab finden. Katarina hatte Vorlorn zugesichert, dass die Festung ein Geheimnis bleiben würde und sie hatte schon in ihrem eigenen Interesse vor, ihr Versprechen zu halten.
Katarina hatte schon einige Male versucht, den Sinn der Festung zu ergründen und so Aufschluss über Vorlorns Pläne zu erlangen, doch bisher ohne Erfolg. Es gab keine Feinde so weit im kalten Norden, genau genommen wohnte überhaupt niemand hier, auch gab es nichts von Wert zu bewachen. „Es spielt keine Rolle, er wird zufrieden sein mit dem Fortschritt, das ist alles was zählt.“ Das Geräusch eines schnellen Reiters riss die Tzarina aus ihren Gedanken, ein kaiserlicher Bote ritt mit hoher Geschwindigkeit zu dem Aussichtsturm und wurde von ihrer Leibwache in Empfang genommen. Sie hatte ihren Aufenthaltsort nur ihren engsten Beratern mitgeteilt, die Botschaft musste äußerst wichtig sein.
Obwohl sie neugierig war wie alle Frauen, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie war die Herrscherin eines Volkes und ihre Position der Macht hing davon ab, wie sie von ihren Untertanen gesehen wurde, jede Art von Schwäche war inakzeptabel. Geduldig und scheinbar desinteressiert wartete sie, bis der kleine dünne Bote die Stufen herauf zu ihr gebracht wurde. Reiterboten waren meist klein und leicht, um die Pferde auf langen Ritten so wenig wie möglich zu belasten, sie konnte mit einem Blick sehen, dass er kein möglicher Anwärter für ihr Bett war. Mit einer tiefen Verneigung hielt er ihr den versiegelten Umschlag hin, beinahe beiläufig, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken nahm sie den Brief entgegen und gab ihren Leibwächtern ein unauffälliges Zeichen mit ihrem Kopf. Der Bote würde hier im kalten Norden sein Grab finden, niemand außer ihrer persönlichen Garde verließ diesen Ort lebend.
Noch während ihre Wachen das Blut des bedauernswerten Boten über das Holz des Turmes verspritzten, las Katarina aufmerksam die überbrachte Nachricht.
Fürst Tirkan, der Leiter ihres Geheimdienstes schrieb ihr die letzten Neuigkeiten aus Valkall, der erwartete Krieg hatte begonnen. Offenbar hatte Kermo, der Klanlord der Tomaren, mit einer Übermacht von Klankriegern die Stellungen der Turok bei den nördlichen Eisenminen überrannt und die strategisch wichtigen Rohstoffe unter seine Kontrolle gebracht. Sein Gegenspieler war Teschokk, Klanlord der Ygmaren und wie sie sich erinnerte ehemaliger Anführer der valkallischen Klankrieger im Krieg gegen sie und ihre Truppen. Er war ein überaus fähiger Anführer und würde es Kermo nicht leicht machen. „Genau genommen spielt es keine Rolle, wer gewinnt. Sind sie einmal ausgeblutet, werden die Minen mir gehören.“
Während sie sich bereits ausmalte, wie sie mit den Rohstoffen Valkalls ihre Vormachtstellung in der Welt ausbauen konnte, erregte eine kleine Fußnote ihre Aufmerksamkeit. Offenbar waren einige kleinere Truppenbewegungen im Gange, die sich nicht direkt auf den Krieg beziehen ließen. Teschokk hatte seine Eliteeinheit, die Berserker, in der Nähe der Grenze zu Kaldarra stationiert, der alte Klanlord war offensichtlich kein Narr. Dann waren zwei kleinere Klangruppen nach Süden in Richtung Meronis gezogen, was überaus auffällig war. Valkallische Klans verließen so gut wie nie ihre Heimat, was also brachte die stolzen Krieger gerade jetzt in Zeiten des Krieges dazu, in den warmen Süden zu reisen? Sie würde ein Auge auf Valkall haben müssen, aber momentan gab es Wichtigeres zu tun. Ihr Einfluss in Keldur war gewachsen, ebenso wie ihre Flotte, die sie auf Wunsch Vorlorns gebaut hatte. Kaldarra war kein Volk von Seefahrern und so war es nicht einfach gewesen, Schiffsbauer ins Land zu holen, Besatzungen auszubilden und Häfen zu bauen.
Und doch hatte es sich als lohnende Investition herausgestellt, die Einnahmen durch den Handel hatten ihre Ausgaben bereits übertroffen und sie konnte eine bleibende Handelsdelegation in Keldur etablieren. „Wenn ich nur wüsste, was er in Keldur vorhat. Und was nützt ihm diese Festung im Nichts?“ Mit einem Schulterzucken warf Katarina die Fragen von sich, sie würde heute keine Antworten finden. Stattdessen fokussierte sie ihren Blick auf einen hochgewachsenen blonden Mann, der neu in ihrer Garde zu sein schien. Auch wenn sie seinen Namen noch nicht kannte, versprachen seine Jugend und breiten Schultern Energie und Standvermögen. Mit einem kurzen Handzeichen winkte sie den muskulösen Mann zu sich, es gab keinen Grund auf ihr Vergnügen zu verzichten, nur weil sie sich im Niemandsland befand.
Fasziniert sah Hassem hinab in das Tal. Er hatte auf seiner Reise so viele Informationen über das Orakel gesammelt wie er konnte ohne aufzufallen, und doch war der Anblick, der sich ihm bot gleichermaßen atemberaubend wie verstörend. Hier, inmitten der heißesten Wüste, fernab von allen Städten und Siedlungen befand sich eine gewaltige Oase in einem Tal zwischen zwei kleinen Gebirgen. Das Wasser vieler kleiner Bäche sammelte sich in dem zentralen kleinen See, der das Herz der Oase bildete, umgeben von Tausenden Palmen und anderen Wüstenpflanzen.
Das allein war nicht ungewöhnlich, Hassem hatte schon viele Oasen in Alterra gesehen, die meisten dienten umherziehenden Stämmen als Lagerplätze oder Handelsposten. Die Oase, auf die er nun sah war jedoch anders wie alle anderen, die er bisher bereist hatte. Sie war nicht nur mit Abstand die Größte, sondern auch Standort eines der seltsamsten Bauwerke das er je erblickt hatte. Inmitten des kleinen Sees erhob sich eine nachtschwarz glänzende Pyramide, als käme sie aus einer anderen Welt. Nahtlose Mauern, wie aus einem Metall gegossen, ragten in alle vier Himmelsrichtungen. Keine Öffnung war in dem Bauwerk zu sehen, kein Fenster und kein Eingang, abweisend und kalt schien das sagenumwobene Orakel alles und jeden von sich zu weisen.
Und doch gab es eine Brücke, die vom Ufer des Sees zu dem schwarzen Koloss führte und einige Meter vor ihm mit einer kleinen Plattform endete. Rauchöfen waren in allen vier Ecken der Plattform angebracht und stießen weißen Rauch in hohen Säulen in den Himmel.
Hassem war noch weit entfernt, aber er war sich sicher, dass er die Bewegung von mehreren Gestalten auf der Plattform erkennen konnte. Beinahe ebenso seltsam wie das Bauwerk des Orakels waren auch die unzähligen kleinen Gebäude, die die Oase schier überwucherten. Chaotisch und gewachsen wie die Hütten eines Vorstadt-Slums überzogen tausende hölzerne Häuser die Oase scheinbar ohne jeden Sinn und Ordnung.
Als Hassem gehört hatte, dass sich viele Suchende beim Orakel in der Hoffnung nieder ließen, dass es sie eines Tages empfangen würde, hätte er nicht im Traum mit derartigen Massen gerechnet, nicht hier, mitten in der Wüste. „Bei allen Monden, wie kann man so leben?“ Nach seinen bisherigen Informationen gab es eine selbstständige Armee in der Oase, die sich aus den Spenden der Suchenden finanzierte...oder vielmehr ihren Steuern. Er würde vorsichtig sein müssen, es gab mit Sicherheit genügend Männer dort unten im Tal, die ihn sofort töten würden, wenn sie von dem Kopfgeld hörten, dass auf ihn ausgesetzt war.
Er hatte ein wenig nachgeforscht in den kleineren Städten, in denen er unterwegs gehalten hatte und so seine Befürchtung bestätigt. Die sieben Spinnen hatten ein beträchtliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, früher oder später würde es ihn einholen, später wäre ihm lieber. Doch seine ehemalige Gilde war nur sein kleinstes Problem, jetzt beschäftigten ihn wichtigere Dinge. Er musste einen Weg finden, zum Orakel vorgelassen zu werden und was noch wichtiger war, das Orakel dazu bringen ihm zu sagen was er wissen wollte. „Schon bald werde ich wissen, was mein Schicksal ist.“
Langsam ritt Hassem auf seinem Horntiger in das Tal hinab, sein kleiner Spinnen-Begleiter gut versteckt in seiner linken Manteltasche, ihr Lieblingsplatz. Er hatte lange darüber nachgedacht, ob er sich wie in Meronis von seinem treuen Shimo trennen sollte und dagegen entschieden. Hier draußen im heißen Glutofen der Sonne würde es der Tiger schwer haben, allein zu überleben und ein Gefühl sagte Hassem, dass er möglicherweise den Schutz seines Begleiters brauchen würde.
Nach wenigen Minuten des Weges auf dem sandigen Pfad ins Tal traf er auf die ersten bewaffneten Männer. Fünf Krieger in langen weißen Umhängen, wie sie beim Wüstenvolk üblich waren, versperrten seinen Weg und sahen mit weit geöffneten Augen auf sein Reittier. Die Männer trugen das Zeichen einer schwarzen Pyramide auf ihrer Brust, Hassem hatte keinen Zweifel daran, dass sie der autarken Armee des Orakels angehörten. Trotz des offensichtlichen Respekts vor seinem Reittier brachen die Wachen nicht in Panik aus. Zwei von ihnen zielten mit ihren Armbrüsten auf Hassem, jeder von ihnen von jeweils einem Mann mit Speer und Schild gedeckt, während der Fünfte, vermutlich ihr Anführer das Wort an Hassem richtete. „Das Orakel heißt dich willkommen, Fremder. Die Passage zur Oase kostet fünf Silberstücke. Und wenn du mit dem da zusammen ins Tal willst, kostet es insgesamt fünfzehn.“ Hassem war nicht überrascht ob des hohen Preises, er war sich ziemlich sicher, dass die Wachen schon allein deshalb mehr Zoll von ihm verlangten, weil er auf seinem Tiger sitzend Macht und somit auch Wohlstand ausstrahlte. Zusammen mit Shimo und seiner Magie wäre es ihm ein leichtes, die Männer zu töten, doch es würde seine Chancen verringern, das Orakel zu befragen, und so warf er dem Anführer der Wachen einen kleinen Beutel mit Silberstücken zu. Der große bärtige Mann warf nur einen kurzen Blick in den gut gefüllten Geldsack und gab seinen Männern mit einem Grinsen zu verstehen, dass sie Platz machen sollten.
„Wasser und ein langes Leben, mein Lord. Das Orakel ruft diejenigen, die es sprechen will selbst. Wenn ihr auserwählt seid, werdet ihr seinen Ruf hören. Geht dann zur Plattform im See und sprecht mit den Priestern.“ Mit einem Nicken nahm Hassem die Worte der Wache zu Kenntnis und ritt in das Tal.
Wie von ihm erwartet erregte der Ritt auf seinem treuen Shimo in das Tal einige Aufmerksamkeit. Hunderte der teilweise zerlumpt aussehenden Bewohner der hölzernen Behausungen stockten in ihren Tätigkeiten und starrten ihn an, während er langsam in Richtung der Plattform ritt. Die Behausungen wirkten abstoßend auf Hassem, selbst in den Slums Magystras schien es mehr Ordnung und Sauberkeit zu geben. Er konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, so zu leben. Dementsprechend erregten auch nur wenige der Oasenbewohner seine Aufmerksamkeit. Ein Edelmann hatte sein Zelt etwas abseits der Holzhütten aufgebaut und ließ sich von seinen Dienern mit Wasser und Früchten bedienen, er war offensichtlich noch nicht lange hier. Ab und zu passierte er eine Gruppe von Wachsoldaten, ähnlich denen die ihn am Eingang zum Tal aufgehalten hatten. Sie waren stets zu fünft und strahlten nur wenig Gefahr aus.
Doch dann hielt er für einen Moment inne. Auf einem freien Platz am Ufer des kleinen Sees trainierten zwei Kämpfer, die augenblicklich seinen Fokus auf sich zogen. Klar erkennbar aus Begos stammend lieferten sich der Mann und die Frau ein atemberaubendes Duell im unbewaffneten Kampf. Doch es war weniger die hervorragende Kampfkunst, die Hassems Aufmerksamkeit auf sich zog, als die feste Leinenkleidung, in der sie trainierten. Er hatte eben solche Kleidung schon einmal gesehen, in Begleitung seines Bruders. „Erst die Attentäter in Magystra, dann in Paitai. Die kleine Frau aus Begos in Begleitung meines Bruders und nun treffe ich hier beim Orakel einen Mann und eine Frau, die ihre Geschwister sein könnten?“ Hassem glaubte genau so wenig an Zufälle dieser Art wie an die Märchen aus seiner Kindheit, er würde wachsam sein müssen.
Auch die beiden Kämpfer aus Begos hielten für einen Moment inne, als sie ihn auf seinem Horntiger vorbeireiten sahen, doch es war kein Zeichen des Erkennens in ihren Augen zu sehen. Sie warteten nicht auf ihn, sondern auf jemand anderes. Hassem warf der Frau einen letzten Blick zu, bevor er weiter ritt, trotz ihrer Fremdartigkeit war sie eine Schönheit. Ihr langes schwarzes Haar fiel offen auf ihre Schulter, von der aus sein Blick unwiderstehlich auf ihre Brüste gezogen wurde. Er hatte viele Frauen getroffen, die den Weg einer Kriegerin gingen, doch selten war eine fähige Kriegerin mit derart weiblicher Schönheit gesegnet. Schließlich riss er sich von ihrem Anblick los und konzentrierte seinen Blick wieder auf die Plattform, der er sich langsam näherte. Keine Wachen waren auf ihr zu sehen, lediglich drei Männer in langen Roben standen bei den Rauchöfen.
„Komm jetzt zu mir, ich habe dich schon erwartet. So lange warte ich schon, aber wirst du der Bote des Erwachens sein?“ Die laute Stimme in seinem Kopf traf Hassem wie ein Schlag. Es gab keinen Zweifel, das Orakel hatte ihn gerufen. Ohne zu zögern lenkte er Shimo auf die Plattform und hielt erst kurz vor den drei Priestern an, die das Zeichen der schwarzen Pyramide übergroß auf ihren Roben trugen. Wortlos stieg er ab und sah die Männer an, die mit Angst in ihren Augen auf ihn und sein Reittier sahen. „Wenn das Orakel dich gerufen hat, dann entzünde die Öfen mit der heiligen Glut. Aber sei gewarnt, wenn das Orakel dich nicht gerufen hat, wird der Rauch dich töten.“ Eine eindeutige Geste des Priesters, der ihn angesprochen hatte, zu einer seltsam weiß brennenden Fackel am äußersten Ende der Plattform gab ihm zu verstehen, was er zu tun hatte. Während die drei Priester die Plattform verließen, nahm er die leuchtende Fackel und entzündete die vier Rauchöfen. Umgehend stieg Rauch in den Himmel, doch diesmal waren die vier Rauchsäulen nicht weiß wie die, die er aus der Ferne gesehen hatte, als er sich der Oase näherte. Diesmal stieg der Rauch in vier Farben in den Himmel, blau, rot, grün und schwarz. Das laute Rufen vom Ufer des Sees zeigte ihm, dass dies wohl nicht sehr häufig vorkam, aufgeregte Stimmen von hunderten Männern und Frauen schienen sich zu überschlagen, doch dann wurden sie zunehmend leiser und verschwanden schließlich aus seiner Hörreichweite.
Der Rauch hatte ihn inzwischen komplett eingehüllt und schien ihm neben der Sicht auch jedwede andere Wahrnehmung seiner Umgebung zu nehmen, es war als wäre er nicht länger auf dem Steg vor der Pyramide sondern an einem anderen Ort. Dann erklang wieder die fremde Stimme in seinem Kopf, noch lauter wie zuvor, unwiderstehlich und mächtig. „So lange warte ich schon. Aber sage mir, wirst du es sein, der die Welt wieder ins Gleichgewicht bringt? Oder wirst du sie ins Chaos stürzen?“ Verdutzt erstarrte Hassem für einen Moment. Er hatte das Orakel aufgesucht, um Antworten zu erhalten, mit einer Frage an ihn hatte er nicht gerechnet. „Orakel, ich kam zu dir, weil ich Antworten suchte, aber jetzt bist du es, der eine Antwort von mir will. Dabei verstehe ich die Frage nicht, ist die Welt denn nicht im Gleichgewicht?“ Das Lachen des Orakels erschallte wie ein Donner in seinem Kopf, während der Rauch sich in den vier Farben der Monde um ihn schlang.
„Ich habe auch keine Antwort von dir erwartet, Erbe des Pendrak. Aber wisse, dass die Zeit des Vergessens vorüber ist. Die Zeit des Erwachens ist gekommen und die Welt wird zurück ins Gleichgewicht gelangen. Die Frage ist, welchen der Wege du gehen wirst.“ Für einen Moment stockte Hassem der Atem. „Erbe des Pendrak? Hat es etwas mit meinem Vater zu tun?“ Nach kurzer Überlegung sprach er das Orakel erneut an. „Du bist das Orakel, solltest du nicht wissen, welchen Weg ich gehen werde?“ Wieder umschlangen ihn die Säulen aus Rauch, es war beinahe als wollten sie ihn zornig erdrücken. „Mein Schicksal ist es, hier gefangen zu sein, doch auch die Zeit der Gefangenschaft wird enden. Wenn ich auch viel sehen kann, was geschehen ist oder geschehen wird, so kannst nur du allein entscheiden, welchen Weg du gehen wirst. Geh nach Osten zur Insel Kahilis, dort wirst du den schwarzen Turm finden und deine Entscheidung treffen. Später dann werden wir uns noch einmal treffen, aber nun geh.“
Im gleichen Moment, in dem das letzte Wort des Orakels in seinem Kopf erklang, verschwand auch der Rauch. Verwirrt stand Hassem noch immer auf der Plattform zwischen den Rauchöfen die aussahen, als hätten sie nie den Himmel mit ihrem Rauch verdunkelt. Hunderte Männer und Frauen standen am Ufer des Sees und sahen zu ihm, auch die drei Priester, die am Fuß des Stegs respektvoll warteten. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, stieg Hassem wortlos auf Shimo und ritt langsam an den gaffenden Massen vorbei aus dem Tal. „Nach Osten, zur verfluchten Insel Kahilis. Wir müssen nach Keldur, ein Schiff finden und einen Kapitän der wahnsinnig genug ist, uns dorthin zu bringen.“
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Angewidert sah Kira auf die Stücke abgehangenen Fleisches, die in der Auslage des Metzgers lagen. Der Geruch von Fäulnis war unverkennbar, sie würde das Fleisch nicht einmal dann anrühren, wenn sie kurz vorm Verhungern wäre. „Stinkend wie der Rest dieser verrottenden Slums.“ Sie hatten die Oase des Orakels am frühen Morgen erreicht, nachdem sie sich darauf verlegt hatten, bei Nacht zu reisen und am Tag zu schlafen. Herm und Ise reagierten zunehmend schlecht auf die Hitze und auch Kira selbst vermochte nicht zu lange ungeschützt unter der brennenden Sonne der Wüste stehen.
Ihr Einmarsch in die Oase hatte für einige Aufregung gesorgt, Herm hatte seinen Reißer nicht alleine in der Wüste lassen können und so war er an der Spitze ihrer kleinen Gruppe auf ihm geritten, während Kira, Ise und Lingard ihm wie seine Dienerschaft gefolgt waren. Überraschenderweise hatten die Wachen am Eingang der Oase sie ohne zu viele Fragen, aber dafür für einen frech hohen Wegzoll passieren lassen. Dann waren sie zu der seltsamen schwarzen Pyramide geritten und während Kira noch überlegte, wie man wohl eine Audienz bekam, hatte Herm ihnen nur kurz mitgeteilt, dass er gerufen worden war und war geradewegs zu dem Steg mit den Rauchöfen geritten.
So hatten sie kurzfristig beschlossen, dass Lingard in Herms Nähe bleiben und auf ihn aufpassen würde, während Ise und Kira in der hölzernen Siedlung nach Nahrung und anderen nützlichen Dingen für ihre Vorräte suchten. Den Geruch der Fäulnis hinter sich lassend verließ Kira die kleine Metzgerei und fand sich in einer kleinen Spinnerei wieder. Weite Umhänge, die vor der Sonne schützen konnten wurden genauso feil geboten wie kleinere Handwerkswaren. Mit einem Blick auf ihre von der langen Reise mitgenommene Kleidung erstand sie einige Nadeln und etwas weißes Garn, es wurde wirklich Zeit, die Risse in ihren Leinen zu flicken. Ihr Blick streifte über die eng an ihren Körper geschnürte Hose, die bereits an drei Stellen starke Beschädigungen aufwies. Langsam schloss sie die Augen und erinnerte sich an das unbeschreibliche Gefühl, als Herm die Schnüre geöffnet und ihr die Hose langsam über ihre Beine gezogen hatte. Umgehend stieg ein warmes Gefühl in ihre Lenden bei dem Gedanken daran, was er danach mit ihr getan hatte. Sie hatte sich fallen lassen und Herm die Kontrolle überlassen. Es war ein eigenartiges Gefühl gewesen, sie hatte in ihrem Leben nicht oft die Kontrolle an andere gegeben, und doch würde sie es wieder genau so tun.
Genau genommen wünschte sie sich nichts mehr, als wieder in seinen Armen zu liegen, ihn zwischen ihren Schenkeln zu spüren. Wütend biss sie sich auf die Lippe und öffnete ihre Augen. Erleichtert stellte sie fest, dass offenbar niemand in der kleinen Spinnerei bemerkt hatte, wie sich ihr Körper erhitzte und verließ schnell die dunkle hölzerne Kammer. Ziellos wanderte sie durch die übel riechenden Slums, während sie weiter versuchte, die Bilder von Herm und seinem verschwitzten Körper aus ihren Gedanken zu verbannen.
Der Tag, an dem Kira sein Lager teilte hatte alles verändert. Zwar stritten sie noch immer wie früher, doch war es kein echter Streit mehr. Sie gehörte jetzt zu ihm und ihre Spitzen gegen ihn waren nur noch ein Schauspiel für ihre Reisebegleiter. „Wie seltsam. Erst spielen wir ein Paar obwohl wir es nicht sind und jetzt spielen wir Fremde, obwohl wir zusammengefunden haben.“
Weder Herm noch Kira hatten ihr Verhalten vor Lingard und Ise geändert, aus irgendeinem Grund den sie selbst nicht verstand hatten sie es für sich behalten. Kira hatte dem nächsten Tag entgegen gefiebert, wenn Ise und Lingard wieder auf Jagd gehen würden, hatte gehofft dass sie noch einmal in seinen Armen liegen würde wie am Tag zuvor. Doch ihre Hoffnung war enttäuscht worden, inzwischen waren sie so weit in die Wüste vorgedrungen, dass Lingard keinen Sinn mehr in der Jagd gesehen hatte. Ohne Lingards und Ises täglichen Jagdausflug waren Herm und sie nicht mehr allein gewesen und so hatten sie keine Gelegenheit gehabt, über das Geschehene zu reden oder wie Kira gehofft hatte, es möglicherweise zu wiederholen. Stattdessen hatten sie gemeinsam mit altem Brot und trockenem Käse am Lagerfeuer gesessen und nur dann verstohlene Blicke getauscht, wenn sie sich unbeobachtet fühlten.
„Was für Narren wir doch sind.“ Mit einem Kopfschütteln warf Kira abermals ihre Gedanken an Herm von sich, als plötzlich ein kleines Mädchen an ihrem Leinengurt zupfte. „Kleine Tante, möchtest du einen Reiskuchen? Meine Herrin ist aus Begos und macht die besten Reiskuchen in der ganzen Oase.“ Verdutzt sah Kira das verwahrlost aussehende Mädchen an, dass sie angesprochen hatte. Sie hatte schon seit Ewigkeiten keinen Reiskuchen mehr gegessen und nun fand sie nicht nur das leckere Essen aus Begos, sondern auch Landsleute hier mitten in der Wüste? Ohne zu überlegen und mit einem deutlichen Magenknurren folgte sie dem jungen Mädchen durch die schier endlosen Holzhütten der Slums, über einige Brücken und dann hinab auf die unterste Ebene, bis ihre Führerin plötzlich von einem Augenblick auf den anderen verschwand.
Verwirrt sah Kira sich in der leeren Hütte um, in die das Mädchen noch vor Sekunden hinein gelaufen war. Sie war zu sorglos gewesen, dies war offensichtlich eine Falle. Nicht nur, dass sie nun allein in einem dunklen Raum war, sie hatte auch jede Orientierung verloren, wo genau sie sich eigentlich befand. Umgehend spannte sie ihre Muskeln an und wartete auf das unvermeidliche Auftauchen der Räuber, die ihr diese Falle gestellt hatten. Sie musste nicht lange warten, nur Sekunden später schob sich eine Gestalt in den engen Eingangsbereich der Hütte. „Hallo, Kira.“
Atemlos und mit weit aufgerissenen Augen sah Kira auf den schlanken Mann, der ihr den Weg aus der Hütte versperrte. „Nakang. Bei allen Drachen, was tust du hier?“ Wie gelähmt starrte sie auf ihren Klosterbruder, den sie tot geglaubt hatte. Wie ein Geist aus einem anderen, früheren Leben baute er sich vor ihr auf und grinste sie an. Er war schon immer ein Anblick gewesen, drahtig und muskulös, mit einer geheimnisvollen Ausstrahlung die ihren Blick in seinen Bann ziehen konnte. Aber nun war sein Auftreten nicht weniger als atemberaubend. Sein freier Oberkörper präsentierte sechs klar definierte Bauchmuskeln und auch seine Schultern hatten an Masse zugelegt, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.
„Nun, genau genommen bin ich wegen dir hier. Wie es scheint, misst mein Meister dir eine gewisse Bedeutung zu, auch wenn ich nicht verstehe, welche. Kommst du freiwillig mit mir oder wählst du den schmerzhaften Weg?“ Umgehend verschwand Kiras Gefühl der Starre und Wut stieg in ihr auf. „Du warst der Verräter. Du hast die Attentäter zur weißen Blume geführt. Nakang, wie konntest du deine Brüder und Schwestern verraten? Dafür wirst du bezahlen.“ Ihre Fäuste spannend begab sich Kira wieder in ihre Kampfstellung, bereit den Verräter anzugreifen, als eine andere bekannte Stimme ihr das Blut gefrieren ließ. „Noch immer ein naives Kind. Ich hab dir doch gesagt, sie hat sich nicht geändert.“ Kira erkannte, dass die Falle zugeschnappt war, als Beras Stimme in ihrem Rücken erklang. „Närrin, das hättest du wissen müssen.“ Auf sich selbst fluchend wählte sie die letzte Option, die ihr blieb, den Angriff.
So schnell sie konnte rollte sie sich zur linken Seite, um so dem erwarteten Angriff Beras in ihrem Rücken zu entgehen und startete noch aus der Rolle heraus eine Trittkombination auf Nakang. Ihr Angriff war schnell und präzise ausgeführt, doch traf er ins Leere. Nakang hatte die Art ihrer Attacke geahnt und sich mit einem schnellen Schritt aus ihrer Reichweite gebracht. Stattdessen trat Bera vor sie und gab Kira mit einem arroganten Lächeln ein Zeichen, sie anzugreifen. Wütend explodierte Kira in einem Schlagwirbel, als sie die Formen des sechsten Shitsu gegen Bera anwandte. Bera war damals in der weißen Blume nicht so weit fortgeschritten wie Kira und hatte die sechste Shitsu noch nicht erreicht. Umso überraschter war Kira, dass ihre Angriffe von ihrer ehemaligen Klosterschwester gekonnt pariert wurden, offenbar hatte Bera in den letzten Monaten viel gelernt.
„Viel, aber nicht genug.“ Mit einer fließenden Bewegung wechselte Kira in die Form der Schlange, die bevorzugte Form ihres alten Meisters. Auch wenn sie die komplizierte Kampfform nicht auch nur annähernd so gut beherrschen würde wie ihr toter Meister, so war sie doch das Werkzeug ihrer Rache. Mit blitzschnellen Angriffen schlugen ihre Hände durch Beras Verteidigung und landeten mehrere Treffer, mit Genugtuung sah Kira wie Beras arrogantes Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand. „Genug damit.“ Nakangs Worte waren mit Autorität gesprochen und ließen keinen Zweifel daran, wer von den beiden Verrätern das Sagen hatte. Umgehend trat Bera einen Schritt zurück und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Seite, an der sie von Kira hart getroffen worden war. Kira zögerte nicht und griff Nakang an, noch immer in der Form der Schlange schlugen ihre Hände schnelle Attacken gegen den Kopf ihres ehemaligen Jugendschwarms. Doch zu ihrem Entsetzen wich Nakang ihrer Schlagserie scheinbar mühelos aus, seine Bewegungen waren beinahe zu schnell, um ihnen mit bloßem Auge folgen zu können. So spürte sie den Schmerz erst in dem Moment, in dem die Luft ihre Lungen verließ, sein Tritt hatte sie hart und wie aus dem Nichts getroffen. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, zu schnell war sein Angriff gekommen und hatte sie direkt auf den Solarplexus getroffen.
Mit einem Keuchen fiel sie auf die Knie und rang nach Luft. „So schnell, wie ist das möglich?“ Noch während Kira darüber nachdachte, wie Nakang und Bera in so kurzer Zeit so viel gelernt haben konnten, sah sie seine Faust auf sich zu kommen. Sie konnte den Aufschlag nicht mehr spüren, nur noch die Dunkelheit, die sie umgab.
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Tief in Gedanken versunken verließ Herm den Steg, der ihn zum Orakel geführt hatte. Ketara, Wandler und Lingard warteten ruhig am Ende des Steges, der Waldwächter sah ihn mit fragenden Augen an, während Wandler wieder den von ihm favorisierten Platz auf Herms linker Schulter einnahm und Ketara ein unwohles Gefühl zu starker Hitze auf ihn projizierte. Die riesenhafte Bärin litt unter der brennenden Sonne der Wüste ebenso wie Herm selbst, lediglich Wandler, der dritte in ihrem Bund schien die Wärme Alterras zu genießen.
„Was für eine seltsame Weissagung.“ Noch immer von den Worten des Orakels verwirrt wandte sich Herm Lingard zu. „Was ist mit den anderen?“ Er hatte gehofft, endlich eine Gelegenheit zu bekommen, mit Kira allein reden zu können, vielleicht eine Herberge zu finden. „Ise und Kira suchen nach Vorräten, aber ehrlich gesagt habe ich nicht zu viel Hoffnung, die Qualität der Waren scheint der Qualität der Bauwerke angepasst.“
Mit einem Lachen quittierte Herm die Antwort seines neuen Reisebegleiters aus Meronis, Lingard hatte auf ihrem Weg zum Orakel zunehmend seine Sympathie gewonnen, es tat gut einmal wieder zu Lachen. Unter den Blicken vieler Neugieriger gingen sie zu einigen aufgespannten Zeltdächern am Ufer des Sees, ein Ruhelager hier würde Geld kosten, aber wenigstens waren sie vor der Sonne geschützt. Während Lingard die Bezahlung einiger Kupferstücke übernahm, legte sich Herm still in den Schatten eines der Zeltdächer und lehnte nachdenklich seinen Kopf an Ketaras Flanke, die ebenso wie er der direkten Sonneneinstrahlung entfloh. „Dein Weg zum schwarzen Turm wird ein Weg voller Entscheidungen sein. Und die erste Entscheidung ist die, ob du gewillt bist, ihn zu gehen.“ Was für eine seltsame Weissagung. „Nein, genau genommen war es gar nichts. Wozu brauche ich ein Orakel, wenn doch alles bei mir liegt?“ Die Worte des Orakels hatten Herm keine Antworten gebracht, nur neue Fragen. „Die Welt ins Gleichgewicht bringen, was soll das bedeuten? Und warum werde ich das Orakel noch einmal treffen?“ Herm hatte nicht vor, noch einmal in die brennende Hitze Alterras zu reisen. Was auch immer die Mächte der Welt mit ihm vorhatten, er würde nicht mitspielen. Er würde zurück in seine Heimat gehen und Kira fragen, ob sie mit ihm geht. Eine Familie gründen, Frieden finden weit weg von schwarz gekleideten Attentätern, Sehern und mordlüsternen Magiern.
„Ob sie wohl mit mir kommt?“ Sein Plan, in die Heimat zurück zukehren und dieses verrückte Abenteuer hinter sich zu lassen, hatte sich schon länger in seinem Hinterkopf gebildet. Doch war noch immer die Hoffnung dagewesen, dass er Antworten bekäme, die den Geschehnissen der letzten Monate einen Sinn geben würden. Aber nun, da die Worte des Orakels ihm mehr neue Fragen aufgeworfen hatten als Antworten gegeben, manifestierte sich der Plan immer mehr in seinem Kopf. „Ich muss unbedingt mit Kira reden.“
Die Rückkehr Ises aus den hölzernen Slums der Oase riss Herm abrupt aus seinen Gedanken, mit einem Wollbeutel voll erstandener Vorräte schlenderte die rothaarige Schönheit an einer Truppe der Oasenwachen vorbei zu ihrem schattigen Lagerplatz und ignorierte dabei die gierigen Blicke der bärtigen schwarzhaarigen Männer. Es war bestimmt nicht einfach als Frau, so begehrenswert zu sein, Männer reagierten im Allgemeinen nicht allzu gut auf Zurückweisungen.
„Warst du nicht mit Kira zusammen, wo ist sie?“ Erschöpft setzte Ise sich zu Herm in den Schatten und begann, den Wollbeutel auszupacken. „Wir haben uns getrennt in der Hoffnung, mehr von diesen stinkenden Slums durchkämmen zu können. Keine Sorge, Kira kann sehr gut auf sich aufpassen.“ Er wusste, dass sie recht hatte. Von ihnen allen konnte Kira mit Sicherheit am besten auf sich aufpassen, es würde eine kleine Armee benötigen um die widerspenstige kleine Frau zu überwältigen und doch verspürte Herm ein unwohles Gefühl in seinem Magen, Irgendetwas war nicht in Ordnung.
Als Kira bei Anbruch der Dunkelheit immer noch nicht bei ihnen war, wurden auch Ise und Lingard unruhig. Herm starrte bereits seit Stunden auf den Weg, der aus den Slums in Richtung des Sees führte, aber niemand ging auf ihm mit Ausnahme eines älteren Händlers, der zielstrebig auf sie zukam. Verwundert sah Herm den Mann an, während er langsam weiter in ihre Richtung ging. Er trug einen großen Korb auf seinem Rücken, der voll mit kleinen Handwerkswaren war, ein Kiepenhändler wie man sie auf der ganzen Welt kannte. Sie reisten von Ort zu Ort und lebten vom Handel mit kleinen Dingen wie Schnüren, Nägeln, Sehnen oder kleinem Werkzeug.
Als der alte Händler schließlich ihr Lager erreicht hatte, wandte er sich umgehend an Herm. „Das Glück der Monde sei mit euch, junger Herr. Ich habe eine Nachricht für Meister Pendrak, bin ich da bei euch richtig?“ Umgehend sprang Herm auf und ging zu dem alten Händler, der erschrocken durch seine plötzliche Reaktion ängstlich zurückwich. „Woher kennst du diesen Namen? Was ist mit Kira, weißt du wo sie ist?“ Auch Ketara richtete sich nun aus ihrer liegenden Position zu ihrer vollen Größe auf, die Reißerin spürte Herms Aufregung durch ihren Bund und ließ ein gefährliches Grollen aus ihrem Bauch ertönen. „Ich...ich...ich kenne keine Kira. Eine Frau gab mir diesen Brief für euch. Bitte, ich habe niemandem etwas getan.“
Herm erkannte sofort, dass der Mann die Wahrheit sagte. Der Angstschweiß auf seiner Stirn sowie sein erhöhter Pulsschlag zeigten deutlich das Bild eines verängstigten Boten. Schnell nahm er ihm den Brief aus der Hand und las mit bebenden Händen die kunstvoll mit schwarzer Tinte geschriebenen Zeilen.
„Wenn du Kira lebend wieder sehen willst, komm zum schwarzen Turm. Fälle die richtige Entscheidung oder wir werden den Fuß des Turms in ihrem Blut tränken.“
Wie gelähmt starrte Herm auf die geschriebenen Zeilen und las sie immer wieder. „Wer hat dir diesen Brief gegeben?“ Seine Stimme klang dunkel und bebend, er konnte an den angsterfüllten Augen des alten Händlers sehen, wie bedrohlich er wirken musste. Es war ihm egal, er musste Kira finden, die Zeit für Höflichkeiten hatte er hinter sich gelassen. „Eine junge Frau aus Begos. Sie gab mir den Brief heute Morgen, zusammen mit einem Silberstück. Ich sollte ihn euch heute Abend bringen, ich dachte es geht um eine Einladung.“ Mühsam unterdrückte Herm seinen Zorn. Er wusste, dass es nicht die Schuld des Händlers war und doch konnte er nur schwer sein Verlangen unterdrücken, nach der Kraft des schwarzen Mondes zu greifen und ihn mit dunkelsten Zaubern zu zerfetzen. „Beschreib sie mir. War sie allein? Irgendetwas Auffälliges?“ Trotz seiner Angst schien der Kiepenhändler für einen Moment zu überlegen. „Sie war sehr schön für eine Fremdländerin. Langes schwarzes Haar, braune Augen. Aber keine Edeldame, sie wirkte eher wie eine Kriegerin auf mich. Eine dieser Frauen, deren Weg man lieber nicht kreuzen möchte, wenn ihr versteht was ich meine, junger Herr.“
Es war offensichtlich, dass er hier nicht weiterkommen würde und so entließ er den alten Mann, nachdem er ihm noch einige Kupferstücke für seine Mühen gegeben hatte. Wer auch immer Kira aus seinem Leben gerissen hatte, würde es bitterlich bereuen. Stumm schloss er für einen Moment seine Augen und ließ Kiras Bild in seinen Gedanken erscheinen, er würde es abspeichern und sich so an sie erinnern, bis er sie zurückgeholt hatte.
„Lingard, Ise. Es ist Zeit für euch, in eure Heimat zurück zu kehren. Das ist nicht euer Kampf, ich werde Kira finden oder bei dem Versuch sterben.“ Zu seiner Überraschung baute sich nun Ise mit verschränkten Armen und Wut im Gesicht vor ihm auf. „Denkst du so schlecht von uns Valkallern, dass du wirklich glaubst ich würde Kira im Stich lassen? Du hast wohl vergessen, dass ihr beide in Tyrs Klan aufgenommen wurdet. Wir mögen in deinen Augen noch immer Barbaren sein, aber wir lassen keinen der Unseren zurück. Ich werde mit dir kommen und gemeinsam werden wir sie finden.“ Ises Blick ließ keinen Zweifel daran, dass jedwede Diskussion unnötig war, und so akzeptierte Herm ihr Hilfsangebot mit einem Nicken. „Wir mir scheint braucht ihr einen guten Fährtenleser mehr wie alles andere, wenn wir die Entführer einholen wollen, also werde ich euch begleiten.“ Überrascht sah Herm auf Lingard, der sich nun neben Ise gestellt hatte. Obwohl der Waldwächter sie erst kurz kannte, war er bereit sein Leben für Kira zu riskieren. „Oder will er nur in Ises Nähe bleiben?“ Es spielte keine Rolle, er konnte jede Hilfe brauchen und Lingards Talent als Späher und Fährtenleser stand außer Frage.
„Dann wollen wir nicht rasten oder ruhen, bevor wir sie nicht gerettet haben und unsere Gemeinschaft wieder vollzählig ist.“ Wie einen Pakt sprach Herm die Worte und streckte seinen Arm vor sich aus. Mit einem Nicken griffen Ise und Lingard seinen Arm und wiederholten seine Worte. Wer auch immer Kira entführt hatte, er hatte nun drei gefährliche Feinde.
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Das Licht der vier Monde erhellte den Nachthimmel gerade so viel, dass das Grün der Handelsoase in ihre Sicht kam. „Wir sind zu langsam, wir hätten die Oase vor Stunden erreichen müssen.“ Behutsam klopfte Herm Ketara auf die Seite, seine Begleiterin schnaufte schwer von dem langen Nachtritt und brauchte dringend Wasser. Auch Ise und Lingard auf ihren Pferden waren offensichtlich froh, dass die Oase endlich wie erhofft vor ihnen aufgetaucht war. Ohne Wasser würden sie in der Wüste sterben und weder Ises rote noch seine schwarze Magie würden daran etwas ändern können. Sie hatten gute Pferde beim Orakel erstanden, Wüstenpferde die wenig Wasser benötigten und unempfindlich gegen Hitze waren, aber dennoch brauchten auch sie Rast und Wasser. Es war ein Glück für sie gewesen, dass Lingard genügend Geld hatte, weder er noch Ise hätten die edlen Rösser bezahlen können und Ketara konnte mehrere Personen nur über kurze Distanz tragen.
Sie waren den Steinmarkierungen der alten Handelsstrasse gefolgt, die über unzählige Oasen in den Osten Alterras und von dort nach Keldur führte. „Und von dort zum schwarzen Turm.“ Aber obwohl sie die Tiere bis zu ihrer Grenze antrieben, wurde die Distanz auf die Entführer größer. Es war nicht schwer gewesen, ihre Spur aufzunehmen, ein muskulöser Mann und eine schöne Frau aus Begos waren auch den Wachen am Ausgang der Oase aufgefallen, als sie diese verließen. Sie hatten neben ihren eigenen Pferden noch zwei Packpferde dabei, die mit großen Körben beladen waren, Herm hatte keinen Zweifel, dass sich Kira in einem der Körbe befand.
Der Gedanke an Kira, die vermutlich gefesselt bei unmenschlicher Hitze in einem Korb durch die Wüste getragen wurde, ließ umgehend wieder heiße Wut in Herm aufkommen. Er musste einen Weg finden, schneller zu reisen und sie einzuholen. Bisher waren die beiden Entführer in jeder Oase aufgefallen, durch die sie geritten waren, beinahe als ob sie wollten, dass man sie verfolgen konnte. Und jedes Mal war es länger her gewesen, seit man sie gesehen hatte, Herm und seine Gefährten verloren mit jedem Reisetag etwas Distanz auf die Gejagten.
Frustriert stieß Herm einen Fluch aus und sah überrascht, wie ein schwarzer Strahl seinen Mund verließ und einen großen Kaktus neben ihm traf, der umgehend in schwarze Flammen aufging. „Schon wieder, ich muss es besser unter Kontrolle bringen.“ Es war nicht das erste Mal, das ihm das in den letzten Tagen passiert war. Wann immer er an Kira dachte und die Wut von ihm Besitz ergriff, schien er seine Magie zu nutzen ohne es zu merken. Ein Blick zum Himmel zeigte ihm den vollen schwarzen Mond im Zenit stehen, heute Nacht war seine Macht am stärksten, er musste vorsichtig sein.
Zügig ritten sie weiter auf die Oase zu, Herm wollte sie noch unbedingt vor Sonnenaufgang erreichen, doch irgendetwas störte ihn am Anblick der langsam näher kommenden Palmengruppen. „Stopp!“ Lingards Ruf bestätigte Herm nur sein eigenes Gefühl, umgehend gab er Ketara das Zeichen anzuhalten und sah angestrengt auf die Oase, die noch einige Kilometer entfernt war. Eine Staubwolke kam von der Oase auf sie zu, verfolgt von einer zweiten, größeren. „Ärger, und er kommt direkt auf uns zu.“ Ein Blick zu seinen Begleitern genügte, sofort machten Ise und Lingard sich kampfbereit. Zonah, Ises roter Mond war nur auf einer Viertelsichel, ihre magische Macht war in dieser Nacht stark eingeschränkt, aber Lingards Langbogen war eine von den Monden unabhängige tödliche Waffe. Herm selbst wurde von der Magie des schwarzen Mondes so stark durchflutet wie selten zuvor, er musste nicht einmal nach der Kraft greifen, sie durchfloss ihn als wäre sie schon immer da gewesen.
Ein weiterer Blick zu der kleinen Staubwolke, die auf sie zukam, offenbarte erste Details. Es handelte sich um zwei Reiter in weiten Umhängen, wie sie in Alterra üblich waren, die in schnellstem Galopp von der Oase weg und damit auf Herm und seine Begleiter zuritten. Langsam schob sich Lingard auf seinem schwarzen Wüstenpferd neben Herm. „Vermutlich Räuber, die die Oase angreifen. Vielleicht sollten wir dem Ärger aus dem Weg gehen und verschwinden?“ Angestrengt sah Herm auf die größere Wolke, die den beiden Männern folgte und aufholte. „Nein. Das sind keine Räuber. Die zweite Wolke, ich spüre da etwas, die Magie meines Mondes.“
Das Fragezeichen in Lingards Gesicht ignorierend gab er Ketara das Zeichen, sich vorwärts zu bewegen. Wenn sie die zwei Männer noch vor ihren Verfolgern erreichen wollten, mussten sie ihnen entgegen kommen. „Macht euch bereit, wir reiten ihnen entgegen.“ Ohne Ises oder Lingards Antwort abzuwarten, führte er seine riesige Bärin in einen Galopp, während er einen schwarzen Schutzschild um ihre gesamte Gruppe formte. Was auch immer die beiden Männer verfolgte, es strahlte die Magie seines Mondes aus.
In schnellem Galopp näherten sie sich den Verfolgten, die nun besser zu erkennen waren. Einer der Männer trug seinen Umhang bunt bestickt mit goldenem Rand, wie es für Edelleute in Alterra üblich war. Der zweite Mann trug die roten Roben eines Magiers des Zonah, beiden war die Panik im Gesicht anzumerken. „Was mag einen Magier des Zonah dermaßen erschrecken, sollte er nicht umdrehen und kämpfen?“ Noch während Herm sich über das Verhalten der beiden Männer wunderte, erreichten sie die Rufreichweite zu den Männern. „Flieht, ihr Narren. Es ist die dunkle Garde, flieht um euer Leben.“ Verdutzt hielten Herm und seine Begleiter einen Moment inne. Sie alle kannten Geschichten über die dunkle Garde aus Kindermärchen und Legenden, doch die beiden Verfolgten flohen sicher nicht vor Kinderschrecken.
„Nein, wir kämpfen.“ Herms Stimme durchschnitt die Nacht mit übernatürlicher Lautstärke und einer Bestimmtheit, die ihn selbst überraschte. Offenbar hatte er wieder unbewusst seine Magie eingesetzt, und seine Worte zeigten Wirkung. Mit überraschten Augen hielten die beiden Männer bei ihnen an und starrten nun mit offenem Mund auf Herm, wie er selbstsicher auf seinem Reißer saß, umgeben von knisternder schwarzer Magie, seinen Blick fest auf die schnell näher kommende zweite Wolke gerichtet. Lingard stieg ruhig von seinem Pferd und steckte einige Pfeile vor sich in den Sand, während er mit zusammengekniffenen Augen in dieselbe Richtung blickte. Ise stellte sich hinter ihn und erzeugte einen roten Schild vor dem Waldwächter, der ihn während seiner Schüsse schützen würde.
„Ha. Also kämpfen wir. Die Sonne geht in wenigen Minuten auf, dann verschwinden sie wieder unter den Sand.“ Die Worte des Mannes in dem edlen Gewand ließen keinen Zweifel daran, dass er ein autoritärer Anführer war, der es gewohnt war, Befehle zu geben. Der rot berobte Magier nahm umgehen hinter ihm Position ein und erzeugte ebenfalls einen roten Schutzschild, aber nicht ohne vorher einen aufmerksamen Blick zu Ise zu werfen.
Dann konnte Herm sie sehen, zwei Dutzend riesenhafte Gestalten, die in unmenschlicher Geschwindigkeit über den Wüstensand rannten. Doch es war nicht ihre Größe, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog, es waren ihre Köpfe, die anstelle von menschlichen Häuptern die von schwarzen Raben hatten. Große Krummschwerter schwingend stürmten sie auf Herm und seine Begleiter zu und nun konnte er auch klar den magischen Fluss spüren, der sie durchströmte. Es gab keinen Zweifel, sie wurden von der Energie des schwarzen Mondes durchflossen.
Das Zischen eines ersten Pfeils startete den Kampf, auf unglaubliche Entfernung hatte Lingard bereits seinen ersten Schuss gesetzt und traf die vorderste der Kreaturen direkt in die Brust. Zur selben Zeit wie das Monster langsamer wurde und schließlich zur Seite kippte, schoss Lingards nächster Pfeil auf die anstürmenden Riesen. Noch während der Waldwächter seinen Hagel von Pfeilen auf ihre Gegner fortführte, kanalisierte Herm seine Energie und gab Ketara das Zeichen zum Angriff. Geschwindigkeit aufnehmend stürmte der riesige Bär den Rabenmonstern entgegen, während Herm die Energie in einer seiner Wurfäxte bündelte, die er nun in der rechten Hand hielt.
Weitere Pfeile zischten an ihm vorbei und fällten mehrere der Riesen, während er auf die Monster zuraste. Dann im letzten Augenblick vor dem Aufschlag warf er die vor Energie knisternde Axt in die vordere Front seiner Gegner. Mit einem lauten Krachen explodierte die Axt beim Aufschlag und ließ den Boden erbeben, wenigstens zehn der Kreaturen wurden direkt von der Explosion zerrissen. Nun prallte Ketara in die zweite Reihe der Gegner und warf ihren direkten Gegenüber zu Boden, um ihm dann den Rabenkopf von den Schultern zu reißen. Drei weitere der Monster sprangen unbeeindruckt auf Herm zu, zwei von ihnen wurden augenblicklich von roten Strahlen getroffen und gingen unmenschliche Schreie ausstoßend in Flammen auf. Der Dritte schlug seinen gewaltigen Krummsäbel mit übernatürlicher Kraft auf den schwarzen Schild, der Herm umgab, noch vor Wochen hätte die Aufprallenergie ihn in die Knie gezwungen. Doch nicht heute Nacht, nicht an diesem schwarzen Vollmond. Nur vom Gedanken an Kira geleitet kanalisierte Herm seine Wut in die schwarze Magie, die ihn stärker durchfloss als je zuvor. Wie ein Berserker wütete er auf Ketara in den Reihen der dunklen Garde, während Pfeile und Feuer auf sie nieder regnete, bis auch das letzte der Monster gefallen war.
Schließlich beendeten die ersten Strahlen der langsam aufgehenden Sonne die Nacht und damit auch die Schlacht. Dutzende Leichen der Monster umgaben Herm und versanken nun im Licht der Sonne in den Sand wie Steine im Wasser. Sekunden später zeugte nur noch das rote Blut am Boden von der Existenz der dunklen Garde. Schnelles Pferdegalopp brachte Herm zurück aus seiner Raserei in die Wirklichkeit, als der in edlen Stoffen gekleidete Reiter vor ihm anhielt und Herm direkt in die Augen sah. „Bei allen Monden. Wer auch immer Ihr seid, ich schulde Euch mein Leben. Ich bin Fürst Fa-Sal und mein Zelt möge das Eure sein.“