Politikerjahre I – Oder warum ich immer unterschätzt wurde
Talentiert, aber faul – mit diesem etwas zweifelhaften Ruf musste ich mein ganzes politisches Leben zurande kommen. Obwohl ich sechs Jahre Landesvorsitzender der Jungen Union gewesen war und davor schon Vorsitzender der Schülerunion mit eigentlich sehr guten Ergebnissen, traute man mir innerhalb der CDU nicht das zu, was ein Politiker wohl haben musste, wenn er in diesem Haifischbecken Karriere machen wollte: den nötigen Biss. Man hatte mich als Sunnyboy abgestempelt. Nett und talentiert, aber eben auch ein Hobby-Segler und Leichtmatrose. Solche Vorurteile sind schnell oberflächlich gefällt, und wenn einem ein solcher Stempel erst einmal aufgedrückt ist, dann kriegt man ihn nur schwer wieder weg.
Schon mein äußeres Erscheinungsbild trug dazu seinen Teil bei. Ich muss nur drei Stunden in die Sonne gehen, um braun zu werden. Andere brauchen dafür drei Wochen. Wenn ich einen Tag an der See bin, erwecke ich den Eindruck von vierzehn Tagen Urlaub. Ich war also immer knallbraun und sah erholt aus und dann noch meine hellblonden Haare dazu, das reichte vielen schon, um mich als Sunnyboy abzustempeln. Und vielleicht liegt es auch daran, dass ich nie wirklich viel »Alphatier-Gehabe« benötigte, um Karriere zu machen. Zwar wusste ich immer, was ich wollte, aber die Leute mochten mich gleich und so brauchte ich meinen Willen nie mit besonderer Kraftanstrengung durchzudrücken. Ich konnte immer mit großen Sympathien rechnen. Mag sein, dass man mehr Power und Dampf und Autorität entwickelt, wenn man sich das alles schwer erkämpfen muss.
Trotz meiner Beliebtheit war ich häufig nur zweite Wahl, und meine politische Laufbahn war sicherlich auch vom Zufall begleitet. Schon in der Jungen Union hatte eigentlich jemand anders den Landesvorsitz übernehmen sollen. Doch der schied aus beruflichen Gründen aus, und so bekam ich das Amt an der Landesspitze. Und dann der Fraktionsvorsitz 1993: Auch dafür war ich gar nicht wirklich vorgesehen. Aber da sich schlicht kein anderer fand, der den Vorsitz übernehmen wollte, nahm man mich. Sozusagen aus Mut der Verzweiflung. Die CDU hatte kurz zuvor nach einem vernichtenden Verfassungsurteil mit 25 Prozent ein katastrophales Wahlergebnis eingefahren. Zehn Prozent hatte die CDU zum Ergebnis von 1991 verloren und keiner wollte in dieser Situation ernsthaft Verantwortung übernehmen. Also wurde gesagt: Wir sind so am Ende, da kann selbst der Ole nichts mehr verschlimmern.
Mich reizte die Aufgabe. Und ich hatte nichts zu verlieren. Ich stand vor der Wahl, mich entweder intensiv um meine Karriere als Anwalt zu kümmern oder Politik als Fulltimejob zu praktizieren. Nun sah ich also meine Chance. Der erste Parteitag nach der Niederlage wurde meine Bühne. Zwanzig Minuten wollte ich reden. Drei Tage zuvor hatte ich mich zurückgezogen, um mich detailliert darauf vorzubereiten. Teilweise allein, teilweise aber auch mit Freunden schrieb ich am Manuskript herum, änderte Passagen, übte das Reden. Einer dieser Freunde war rhetorisch äußerst bewandert und verpasste dem Ganzen den letzten Schliff. Die Rede war liebevoll und mit großer Hingabe vorbereitet worden und ich wusste, dass sie gut war. Ich war einer der letzten Redner, es war spät am Vormittag, und ich bekam einen riesigen Applaus, der nicht enden wollte. Den Ritterschlag erteilte mir danach Volker Rühe, der öffentlich bekundete: »Wir haben einen neuen Hoffnungsträger!«
Ich war bis über beide Ohren stolz. Rühe war damals Verteidigungsminister im Kabinett Kohl, und als ich aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden heraus Spitzenkandidat der CDU wurde, da erfuhr ich, dass Kohl gegen meine Kandidatur gewesen war. Er sah mich als ein Jüngelchen und sagte zu einigen: »Was soll das, ihr braucht einen Kaufmann, nehmt jemanden aus der Handelskammer oder einen Reeder. Das passt zu Hamburg, aber doch nicht dieser Sunnyboy.« Doch Helmut Kohl hatte nicht ernsthaft interveniert. Dafür erschien ihm die CDU in Hamburg wohl auch viel zu unbedeutend. Immerhin hatten wir gerade desaströs eine Wahl verloren. Die SPD war als Sieger hervorgegangen und stellte mit Henning Voscherau nun einen starken Bürgermeister.
Zumindest konnte ich die Parteitagsdelegierten von mir überzeugen, auch gegen die Bedenkenträger, und wurde so Fraktionsvorsitzender. Es war mein Durchbruch. Die nächsten vier Jahre wurden gute Lehrjahre für mich, in denen ich vor allem versuchte, diesen Imageschaden wegzubügeln, der mir anhaftete. Ich war engagiert und sehr präsent. Noch heute erinnere ich mich an mindestens zwanzig Grünkohlessen allein im ersten Jahr und an unzählige plakatierte Veranstaltungen mit dem Motto: »Ole bei uns«. Auch hier floss meine Leidenschaft für die Sprache in die Politik mit ein, denn wir entschieden uns damals schon für einen umgangssprachlichen Ton statt für das allgegenwärtige Politikdeutsch: »Ole vor Ort«.
1997 folgte dann meine erste Wahl als Spitzenkandidat der Union. Henning Voscherau war damals der König von Hamburg, und wir versuchten einen Wahlkampf zu machen, der ganz auf mich zugespitzt war, da man mich in der Öffentlichkeit noch nicht besonders gut kannte. »Ich bin für Ole«, hieß die Kampagne, in der sich Hamburger für mich stark machten.
Henning Voscherau kannte ich noch aus Kindertagen. Er war häufig bei uns Zuhause gewesen in der Zeit, als er SPD-Fraktionsvorsitzender war und mein Vater noch Bezirksbürgermeister in Wandsbek. Ich war damals zwölf oder dreizehn Jahre alt, und wenn er zu Besuch kam, hörte ich immer interessiert mit zu, was sich die Erwachsenen zu erzählen hatten, bis ich mich irgendwann doch verpieselte. Jedenfalls kokettierte Henning Voscherau später im Wahlkampf gern damit, indem er sagte: »Den kleinen Ole kannte ich schon, als er noch kurze Hosen anhatte.« Das entsprach zwar der Wahrheit, aber wahrscheinlich machte er das nur, um zu demonstrieren, dass ich ein Leichtgewicht sei und man mich nicht so ernst nehmen solle.
Ich selbst hielt ihn immer für einen hervorragenden Repräsentanten. Er sprach ein ausgezeichnetes Englisch und hatte einen sehr gewandten Umgang. Und er war ein strategischer Kopf, was sich etwa in seiner Idee zum Bau der Hafencity zeigte. Auf der anderen Seite war er extrovertiert und selbstverliebt. Er hatte diese affektierte Art zu sprechen, die ich nie mochte. Ich hielt ihn nicht für einen schlechten Bürgermeister, aber meine persönliche Sympathie hielt sich in Grenzen. Er erwähnte gern, dass sein Vater ein berühmter Volksschauspieler gewesen war, und teilweise hat er die Rolle des Bürgermeisters, oder wie er meinte, dass ein Hamburger Bürgermeister eben zu sein hätte, wohl auch selbst gespielt.
Voscherau beging bei diesem Wahlkampf 1997 jedenfalls einen Kunstfehler. Er hatte seine Kandidatur mit seinem Rücktritt verknüpft, sollte die SPD unter der Vierzig-Prozent-Marke landen. Sie erhielt 37 Prozent, die CDU 30, womit ich 5 Prozent zum Ergebnis von 1993 zulegen konnte. Und Voscherau musste abtreten. Anschließend war er wohl etwas beleidigt – und ich fürchte, dass er es bis heute ist –, weil ihn die SPD nicht auf Knien bat zu bleiben. Er hatte sich selbst als unersetzlich empfunden, dabei aber unterschätzt, dass man auch in der SPD seine etwas affektierte Art mittlerweile nicht mehr schätzte.
Dann kam Ortwin Runde und mit ihm auch meine Chance. Kurz nachdem Voscherau abgetreten war, wurde eine Meinungsumfrage gemacht: »Wenn Sie direkt wählen könnten, wer sollte Bürgermeister werden?« Die Umfrage fiel in die Zeit der Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der SPD, und wenn ich mich recht entsinne, lag ich vorne. Runde kannte kaum jemand, ich war im Wahlkampf sehr präsent gewesen und mir schmeichelte das enorm. Ich hatte schon im Wahlkampf Blut geleckt und dachte mir nun: »Verflucht noch mal, irgendwie muss es doch eine Chance geben.« Trotzdem war mir klar, dass wir als CDU in Hamburg die Wahlen kaum gewinnen konnten.
In den nächsten vier Jahren unter Ortwin Runde kam das Thema Innere Sicherheit stark auf. Obwohl Hamburg als Hauptstadt des Verbrechens galt, legte Runde kein besonderes Augenmerk darauf. Ein von Jugendlichen spektakulär verübter Mordfall an einem Kioskbesitzer bestimmte das Medienbild. Die offene Drogenszene in Hamburg explodierte förmlich. An lauen Sommerabenden tummelten sich Hunderte Junkies am Hauptbahnhof; bis in die Lange Reihe hinein wandelten sie umher. Runde hatte Hartmut Wrocklage zum Senator für Inneres ernannt, den wir damals aus der Opposition heraus massiv attackierten. Wrocklage selbst war ein sehr angenehmer Mann, außerordentlich gebildet und als Kultursenator wäre er vermutlich eine gute Wahl gewesen. Doch als Innensenator war er schwach und ohne nötige Durchsetzungskraft. Das Thema lag ihm nicht. Er hatte einfach keinen Zugang dazu und versuchte die Probleme zu verharmlosen, was aber zu noch größerem Aufschrei führte. 2001 spitzte sich das Thema dann massiv zu, der Druck auf Wrocklage war so immens, dass dieser – nach eigenen Worten vor allem aufgrund harscher Medienkritik – letztlich zurück-und Olaf Scholz an seine Stelle trat. Doch für die SPD kam dieser Schritt zu spät.