Nachwort
Meist bin ich als Politiker meiner Intuition gefolgt. Ich habe mich sicherlich auch mal von taktischen Interessen treiben lassen. Persönliche Risiken habe ich dabei aber immer mit in Kauf genommen. Denn Risiken zahlen sich meistens aus. Vor allem: Man verbiegt sich nicht.
Überhaupt gibt es viele Situationen, in denen sich Mut und Spontaneität auszeichnen. Etwa als wir in der CDU Mitte der 90er Jahre eine Diskussion hatten über ein neues Rentensystem, das Kurt Biedenkopf damals vorstellte. Entgegen der Mehrheitsmeinung war ich von seinem Vorstoß überzeugt und machte mich öffentlich auch dafür stark. Biedenkopf wollte weg von der umlagenfinanzierten Rente hin zu einer Finanzierung durch die Steuer. Zwei Tage später rief mich der Chef des Bundeskanzleramts an, Friedrich Bohl, sehr nett und freundlich, und bat mich, meine Kritik doch etwas zurückzuhalten. Norbert Blüm und die Bundesregierung sähen das anders, und an das Rententhema zu gehen sei ohnehin nicht gerade populär. Ich erwiderte, dass ich in der Sache zwar anderer Meinung sei, aber ich erklärte mich bereit, keine weiteren Interviews dazu zu geben. Auf dem folgenden kleinen Bundesparteitag der CDU war ich neben Kurt Biedenkopf dann der einzige, der für dieses Modell gesprochen hat, und ich ging mit Pauken und Trompeten unter.
Auch da bin ich meiner Intuition gefolgt und habe mich nicht von taktischen Erwägungen leiten lassen. Ich will damit nicht sagen, dass ich damals unbedingt Recht hatte. Aber es war eine Entscheidung gegen den Mainstream und für meine eigene Überzeugung. Andere Parteifreunde waren der gleichen Auffassung, auch sie hielten das umlagenfinanzierte Modell für nicht mehr zeitgemäß, aber von denen hat sich kaum einer dazu bekannt.
Bei mir ist ein solches Verhalten wohl mehr durch Spontaneität als durch Mut begründet. Ich fühlte mich nie besonders mutig, aber ich war schon immer ein spontaner Mensch, der zu dem stand, was er meinte. Selbst wenn damit das Risiko der Ächtung verbunden war. Ich habe mich anschließend manches Mal geärgert, dass ich etwas gesagt hatte, was ich zwar so meinte, wo ich mich gleichzeitig aber auch etwas mit verplappert hatte. Dann aber war es draußen, und das war heilsam, denn ich hatte mir selbst nichts vorzuwerfen.
Wer das so macht, der sollte anschließend auch dazu stehen können. Man muss seine Meinung durchhalten, auch gegen Angriffe muss man die eigene Meinung dann verteidigen können und nicht, wie es oftmals ist, zurückrudern und sagen, man sei wohl einfach falsch verstanden worden. Dann ist man ein »Weichei« und gilt als »Fähnchen im Wind«. Man darf nicht wegknicken, das habe ich immer so gesehen. Unter dem Strich honorieren das die Leute. Selbst dann, wenn sie nicht der gleichen Meinung sind. Das Risiko, dass man aneckt, dass man auch mal angefeindet wird, besteht so natürlich. Aber die Haltung, dass man so ist, wie man ist, und dazu auch steht, selbst wenn einem der Sturm ins Gesicht bläst, die ist den Leuten wichtiger und hat größeren Anteil an einer positiven Bewertung als der inhaltliche Widerspruch zu ihnen.
Aber solcher Mut hat mich manchmal auch verlassen. Am Anfang meiner Amtszeit als Bürgermeister etwa habe ich gerne Persönlichkeiten »ins Boot« geholt, von denen ich überzeugt war, dass sie gut sind. Ich habe mich dabei nie von der Partei oder durch die Fraktion beeinflussen lassen. Wolfgang Peiner etwa, mein Finanzsenator, war keiner, der vom Parteiproporz her dran war. Ebenso die parteilosen Senatoren Jörg Dräger oder Karin von Welck. Das waren Entscheidungen, bei denen manchem aus der Fraktion das Messer in der Hose aufgegangen war, weil er meinte, eigentlich sei er jetzt dran. Diese Leute hatten die Kernerarbeit gemacht, eine Kanalarbeiterkarriere und langjährige Parteiarbeit hinter sich. Und nun wurden sie nicht berücksichtigt von mir. Da war ich am Anfang durchaus mutig, verlor aber später dann doch die Kraft, mich in solchen Fällen gegen die eigene Partei durchzusetzen.
Es ist also eine ständige Aufgabe, sich selbst zu prüfen, mit einem gewissen Abstand auf sich selbst zu blicken und zu prüfen, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet. Möglicherweise muss man dann auch manchmal feststellen, dass man von der Spur doch abgekommen ist. Das kann passieren, und das passiert auch immer wieder. Wichtig ist nur, dass man sich das selbst dann auch eingestehen kann und notfalls eine Korrektur vornimmt. Dafür braucht man ein ehrliches Umfeld, das einem den Spiegel vor das Gesicht hält im entscheidenden Moment.
Hier und da höre ich nach meinem politischen Rückzug als Bürgermeister, dass ich die Partei im Stich gelassen hätte. Und man könnte die Frage anschließen, was das dann mit Mut, mit Konsequenz und mit Ehrlichkeit zu tun hat. Solche Kritiker übersehen dabei, dass ich meinen Rückzug schon vor Jahren angedeutet hatte. Ich habe immer gesagt, dass ich etwa ein Jahr vor der nächsten Wahl entscheiden würde, ob ich noch einmal antrete oder ob ich es sein lasse. Die Bürgerschaftswahl wäre im Frühjahr 2012 gewesen. Und ich bin im Herbst 2010 zurückgetreten. Insofern habe ich mich recht genau an meine Aussagen von damals gehalten.
Dass viele enttäuscht waren von dieser Entscheidung, das kann ich wiederum verstehen. Viele mochten mich und wollten nicht wahrhaben, dass ein Politiker einfach sagt: Ich höre auf. Der Erfolg der Partei war schließlich stark mit meinem Namen verbunden. Und so waren sie letztlich enttäuscht, dass ich sie um ihre eigene Hoffnung betrogen hatte. Aber ich selbst habe nie den Eindruck erweckt, ich würde 2012 erneut kandidieren wollen. Ich wusste immer, dass ich nicht alt werden will im Amt. Politik bedeutet zwar im Kern Pflichterfüllung und Verantwortung, sie ist aber kein lebenslanger Opfergang. Und die persönliche Freiheit muss man jedem Menschen zugestehen. Insofern sage ich auch an diesem Punkt, dass ich konsequent gehandelt habe und ehrlich. Und ich hoffe, dass die meisten das im Nachhinein auch so verstehen.
Natürlich braucht es in der Politik heute mehr Ehrlichkeit und Konsequenz. Aber Politik funktioniert auch nicht anders als der Sport. Jeder Trainer sagt vor einem großen Spiel, dass er Chancen sieht für seine Mannschaft, selbst dann, wenn er weiß, dass keine Chance besteht. Sagt er etwas anderes, heißt es, er sei ein Feigling. Und natürlich hält auch jeder Trainer an einem Spieler fest, wo eine Sympathie oder eine langjährige Freundschaft besteht, auch wenn der Spieler nicht mehr so richtig für die Mannschaft taugt. Das ist völlig normal. So sind Menschen. Und die Politik macht da keine Ausnahme. Auch da geht es um Eitelkeiten, um Klatsch und Tratsch. Die Politik unterscheidet sich nur in einem Punkt von anderen Bereichen, dass nämlich ihre Akteure besonders stark im Fokus stehen. Und das hat in den letzten Jahren enorm zugenommen.
Der Beruf des Politikers ist faszinierend, das habe ich immer so empfunden. Man kann Dinge durchsetzen, vieles machen, man kommt mit interessanten Menschen zusammen, hat Einblicke in alle möglichen Bereiche des Lebens. Der Nachteil aber ist die gnadenlose Öffentlichkeit. Und so ist es immer schwerer, Personen zu finden, die sich dem aussetzen wollen.
Keiner kann sich Politiker wünschen, die ohne Blessuren durch das Leben gekommen sind. Erst durch Fehler lernt man. Erst durch Niederlagen weiß man dem Leben zu begegnen. Erst dadurch wird das Leben fassbar. Ein gelebtes Leben trägt nun einmal seine Narben davon. Doch als Politiker muss man heute die Sorge haben, dass das alles öffentlich groß und breit auch ausgetreten wird. Ich selbst bin dazu nicht mehr bereit. Uns allen täte darin etwas mehr Ehrlichkeit gut, mehr Ehrlichkeit mit uns selbst und mit dem gelebten Leben. Das ist auch eine Frage des gegenseitigen Respekts und der Demut. Und schließlich auch eine Frage des Mutes, sich etwas zurückhaltender zu zeigen.