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Schmerz.

Eisige Flammen, die statt Blut durch ihre Adern flossen. Mit einem Stöhnen wand sie sich im Bett. Ihr Herz hämmerte, während die Schmerzen sie immer fester umklammerten. Dann endlich wachte sie auf. Schweißgebadet.

Trotz der erlösenden Erkenntnis, dass es ein Albtraum gewesen war, brauchte Sariel lange, um sich zu beruhigen. Die Bilder in ihrem Traum waren zu lebendig gewesen. Verfolgten sie noch immer, obwohl sie das Licht anknipste und versuchte, sich mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen zu entspannen.

Ein Körper. Unendliche Qualen. Angst, die wie Blut durch die Adern strömte, und der hilflose Versuch, sich zu wehren.

Allein die Erinnerung daran bewirkte, dass sich ihr Herzschlag erneut beschleunigte. Sie bekam kaum noch Luft.

„Aufhören! Sofort aufhören!“ Obwohl sie die Worte nur geflüstert hatte, bewirkten sie eine Veränderung. Die Atmosphäre in ihrem Schlafzimmer wurde wärmer. Fast so, als würde sich die eisige Kälte, die sie noch vor Kurzem gespürt hatte, zurückziehen.

Das helle Mondlicht zog eine silberne Spur durch den Raum. Mit den Augen folgte Sariel der klar erkennbaren Linie bis zu der großen, weißen Scheibe am Nachthimmel. Es war Vollmond. Wahrscheinlich hatte sie deshalb so schlecht geträumt. Ohne Vorwarnung durchzuckte sie ein weiteres Bild. Die Gestalt, deren Schmerzen sie beobachtet hatte, drehte den Kopf und sah sie an.

Alexander.

Die Erkenntnis war ein Schock. Dann aber rasten Fragen durch ihren Kopf: Warum sah sie das Gesicht eines Mannes, den sie kaum kannte, in ihren Gedanken? Warum hatte sie diese Vision im Wachzustand? Zuvor glaubte sie noch, es sei ein übler Traum. Aber jetzt?

Mit einem Satz sprang Sariel aus dem Bett. An Schlaf war nicht zu denken, denn das Chaos in ihrem Kopf würde sich nicht so schnell legen. Dazu waren zu viele Fragen aufgewirbelt worden. Bei all den Dingen, die ihr unklar waren, hatte sie doch eine Gewissheit. Er war in Gefahr. Die Qualen, die Sariel in ihrem Traum durchlebt hatte, waren real.

Kein Mensch sollte so leiden müssen.

 

 

Wie ein Sturm wirbelte die Erkenntnis durch seinen Kopf. Sariel Halder war eine Halbdämonin. Da ihr Vater Torsten Halders Bruder war, musste ihre Mutter eine Dämonin gewesen sein. Sariels Gesicht tauchte in seinen Gedanken auf. Umrahmt von Haaren, die wie Lava glühten.

Sie war halb Ifrit.

Er hätte es wissen müssen, aber Halbdämonen waren selten. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, sie als solche zu identifizieren. Mit einem Seufzen überließ er sich der Gedankenflut. Er musste zur Ruhe kommen, um seinen nächsten Schritt zu planen. Die Energie, die er durch Torsten Halders emotionalen Ausbruch gewonnen hatte, sorgte dafür, dass er sich von Minute zu Minute stärker fühlte. Wut war eine wunderbare Emotion, kein anderes Gefühl war so machtvoll.

Höchste Zeit, um diese ungastliche Zelle zu verlassen.

Alexander war zittrig auf den Beinen, als er aufstand und sich in die Mitte des Raumes stellte. Aber er wusste, er hatte genügend Lebenskraft gesammelt. Seine Verwandlung in Rauch würde gelingen. Gerade so.

Als Ziel wählte er die Sahara. Dort, inmitten der Wüste, befand sich eines seiner Häuser. Gebaut aus Steinblöcken, die er dem alten römischen Fort Tisavar entwendet hatte. Damals war die römische Befestigung bereits eine Ruine, die verlassen den Rand der Sahara säumte. Er hatte Jahre gebraucht, um aus den Steinen eine Behausung zu formen. Die viereckige Struktur schlang sich um einen Innenhof, dessen Mitte ein Brunnen schmückte. Während draußen die Sonne ein helles, in den Augen brennendes Licht verbreitete, herrschte innen ein schattiges Halbdunkel.

Die Räume mit ihren weiß gekalkten Wänden boten Zuflucht vor der gleißenden Hitze. Bunte Kissen und Diwane sorgten für Bequemlichkeit. Er liebte diesen Ort. Hier fühlte er sich in seinem Element, geschützt durch die unendliche Weite der Sahara, ihrer tödlichen Kargheit und Menschenfeindlichkeit.

Er würde ein paar Stunden dort bleiben, so lange, bis er seine Kräfte regeneriert hatte, und dann zurückkehren, um Sariel in Sicherheit zu bringen. Der Gedanke, sie zurückzulassen, gefiel ihm nicht, aber er war noch nicht stark genug, um ihr jetzt schon helfen zu können.

Das Bild der flimmernden Glut vor Augen, die die Wüste zu dieser Tageszeit erfüllen würde, löste er sein stoffliches Sein auf.

Der Aufprall war heftig und raubte ihm für einen Augenblick den Atem. Die unsanfte Landung bewirkte eine abrupte Transformation in seinen menschlichen Körper.

Er lag auf dem Boden … auf … einem Teppich?

„Beeindruckend.“ Ohne aufzusehen, schrieb Torsten Halder in ein Journal. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so schnell in der Lage sein würden, die Kälte zu überwinden.“ Der Banker hob den Kopf und streifte Alexander mit einem Blick, der vollkommen emotionslos war.

„Setzen Sie sich.“ Mit einer knappen Geste zeigte Halder auf einen Sessel, der vor seinem Mahagonischreibtisch stand. Alexander hatte sich in Halders Bibliothek materialisiert. Ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen. Wenn es denn ein Fehler war …

Dem neuen Zeitalter entsprechend gab es hier nicht nur etliche Bücher, sondern eine umfangreiche CD-und DVD-Kollektion. Ein großer Flachbildschirm dominierte Halders Schreibtisch.

Noch immer erschöpft von der Kraftanstrengung, stand Alexander auf, versuchte das Zittern seiner Beine zu unterdrücken und bewegte sich auf den Sessel zu. Dann setzte er sich und unterzog den Banker einer eingehenden Musterung.

Halder war etwa sechzig Jahre alt. Seine stahlgrauen Haare passten zu den Augen, deren innere Kälte keine Gefühle preisgab. Seine Haltung ließ auf einen militärischen Hintergrund schließen. Seine Körper war trotz seines fortgeschrittenen Alters schlank und durchtrainiert. Alles an ihm verriet ein Übermaß an Disziplin.

„Man begegnet nur selten einem Ifrit, der … wie soll ich es ausdrücken? …, dumm ist?“

„Dumm?“ Noch während Alexander dieses Wort wiederholte, breitete sich die Erkenntnis in ihm aus. Der Banker hatte recht. Der Fluchtversuch, die Tatsache, dass er unvorbereitet in Halders Falle getappt war - er hatte sich wie ein Tölpel benommen. Wie ein Anfänger, der …

„Wie schön. Selbsterkenntnis stärkt den Charakter.“ Der Spott war nicht zu überhören. Halder spielte mit ihm. Das Bild einer Katze schob sich in Alexanders Gedanken. Einer Katze, die mit einer Maus spielte. Wie hatte ihm ein solcher Fehler unterlaufen können? Wie war es möglich, …?

Wieder unterbrach der Banker seine Gedanken. „Sie wundern sich, warum Sie hier sind. Nicht wahr?“

Statt einer Antwort nickte Alexander. Er würde Halder nicht verraten, dass er bereits wusste, was dieser mit ihm vorhatte.

„Vielleicht mag ich es nicht, wenn man mich töten will“, sinnierte der Banker, lehnte sich in seinem Sessel zurück und maß Alexander mit seinem Blick.

„Das ist nicht der wahre Grund“, murmelte Alexander. Sein Kopf wurde schwer, sein Körper schien mit Bleigewichten nach unten gezogen zu werden. Es war anstrengend, einen klaren Gedanken zu fassen. Trotzdem schaffte er es, an einer Gewissheit festzuhalten. Sein Eindringen in Torsten Halders Gedankenwelt musste sein Geheimnis bleiben.

„Oh nein. Nicht so schnell.“ Ein schwacher Stromschlag fuhr durch seinen Körper. Energie. Nicht genug, um ihn zu kräftigen, doch so viel, um zu verhindern, dass die Dunkelheit gewann.

„Anscheinend habe ich Ihre Kräfte überschätzt. Wie dumm von mir.“ Der Banker lachte, aber Alexander konnte dem nichts entgegensetzen. Außer einer Frage:

„Was wollen Sie von mir?“

Statt Worte ließ Halder Bilder in seinem Kopf entstehen. Visionen, die einen Teil seiner Pläne so deutlich zeigten, als würde Alexander sie auf dem Fernseher verfolgen. Natürlich würde er ihn umbringen. Zuvor aber würde er sich jede seiner Fähigkeiten aneignen. Das Wichtigste aber zeigte Halder ihm nicht: Sein Plan, eine schwarze Hostie zu kreieren, sollte wohl das Geheimnis des Bankers bleiben.