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Einige Sekunden lang stand sie regungslos inmitten der Menschen. Sie war es nicht gewöhnt, dass sie gleich zu Beginn eines Gesprächs einfach stehen gelassen wurde.

Er hieß Alexander. Und er sah verdammt gut aus, schien aber nicht viel von Höflichkeit zu halten. Sariel hätte gerne länger mit ihm gesprochen, was ungewöhnlich für sie war, denn in letzter Zeit ging sie Männern aus dem Weg. Aber sein offensichtliches Desinteresse hatte ein Gefühl der Sicherheit in ihr erweckt. Ein verspätetes Unbehagen kroch in ihr hoch. Er musste gedacht haben, sie wollte etwas von ihm! Was, wenn er …?

Mit einem Schulterzucken brach sie diesen Gedankengang ab. Am besten wäre es, sich ebenfalls zurückzuziehen. Sie hatte keine Lust, unter all den Fremden herumzustehen und so zu tun, als amüsierte sie sich. In Wahrheit fühlte Sariel sich unbehaglich, fehl am Platz, und wäre nur zu froh gewesen, sich in die Sicherheit und Abgeschiedenheit ihrer Räume flüchten zu können. Sie wünschte, ihr Onkel hätte nicht auf ihrer Anwesenheit bestanden.

„Es wird dir gut tun, Sariel. Du gehst zu wenig unter die Leute“, hatte er gesagt. Er hatte recht. Obwohl der Tod ihrer Eltern schon zwei Jahre zurücklag, war sie noch immer nicht darüber hinweg. Verkroch sich lieber in ihr Schneckenhaus, als unter Menschen zu sein.

Sie sollte loslassen. Aber es war so verdammt schwer.

Eine einzelne Träne löste sich. Glitt an ihrer Wange hinab und hinterließ eine silberne Spur. Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte Sariel den Beweis ihrer Trauer ab.

Es war lächerlich. Peinlich … Und außerdem würden ihre Eltern wünschen, dass sie glücklich war.

Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich um, versuchte mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Niemand sollte bemerken, wie sie sich davonstahl. Für diesen Abend reichte es ihr, die unbekümmerte, glückliche Sariel zu mimen. Außerdem war die Abgeschiedenheit ihrer Räume besser, als die hoffnungsfrohen Annäherungsversuche der Mitgiftjäger zu ertragen, die seit Kurzem Interesse an ihr bekundeten.

Sariel Halder war reich. Und jung. Und, wenn man Forbes glauben sollte, eine der besten Partien des europäischen Geldadels.

Toll!

Seit dieser Artikel herausgekommen war, konnte sie sich vor dem Interesse der männlichen Bevölkerung kaum noch retten. Zu einer anderen Zeit hätte Sariel sich darüber amüsiert. Jetzt aber sehnte sie sich nach Einsamkeit. Trotz dieses Gedankens ertappte sie sich dabei, wie sie die Menge nach dem Mann absuchte, der sich nicht für sie zu interessieren schien.

Er war fort. Was gut war. Sie wollte keine belanglose Konversation führen. Mit einem ärgerlichen Seufzer versuchte sie, das Gefühl zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Es fühlte sich an … wie Enttäuschung. Was war nur mit ihr los? Sie hatte kein Interesse …

„Ich hatte schon befürchtet, dich nicht mehr zu finden.“ Die Stimme beschwor ein Bild von schwarzem Samt herauf. Eine seltsame Klangfarbe für einen Mann. Bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wer sie angesprochen hatte. Der Unbekannte, nach dem sie vor wenigen Sekunden die Menge abgesucht hatte.

„Nein … ich ... Ich wollte gerade gehen.“ Sariel wurde heiß. Innerlich verwünschte sie ihr Gestammel ebenso wie ihr rot glühendes Gesicht.. Sie wusste es einfach, ihre blasse Haut gab jedes Gefühl preis.

„Wie schade. Ich wollte mich für mein ungehobeltes Benehmen entschuldigen. Es war unverzeihlich …“

Abwehrend hob Sariel die Hand. „Du bist mir keine Erklärung schuldig.“

Sein Blick ließ sie verstummen. Fast kam es ihr vor, als könne er bis in ihre Seele vordringen. Seine Augen waren schwarz. Hypnotisierend. Dann beugte er sich ein wenig vor und nahm mit einer fließenden Bewegung Sariels Hand. Wie eine Feder streiften seine Lippen über ihre Haut. Die Berührung war leicht, kaum wahrnehmbar. Trotzdem beschleunigte sich ihr Herzschlag.

„Ich muss … ich muss jetzt wirklich gehen.“ Verwirrt schob Sariel eine Haarsträhne zurück, trat einen Schritt nach hinten und drehte sich um. Verschwand in der Menge. Kurze Zeit später befand sie sich in ihrem Zimmer, lehnte mit dem Rücken gegen die Tür und fragte sich, was zum Teufel mit ihr los war.

 

 

Ein Handkuss! Handküsse waren seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit Jahrhunderten aus der Mode. Warum hatte er sich zu einer solchen Geste hinreißen lassen? Aus irgendeinem Grund bewirkte Sariel Halders Nähe, dass er nicht klar denken konnte. Das war schlecht. Sehr schlecht. Alexander war über hundert Jahre alt. In dieser Zeit hatte er ungezählte Morde gerächt. Jedes Mal war er kalt, besonnen und fokussiert gewesen. Heute aber verhielt er sich wie jeder andere hirnlose Trottel, dem eine Frau gefiel.

Anstatt sich in den Mantel seiner Unsichtbarkeit zu hüllen, verharrte er und dachte über die Begegnung nach. Sie war eine seltsame Frau, anders als die Menschen, mit denen er sonst zu tun hatte. Über ihrem Wesen lag etwas Ätherisches, fast so, als könne sie sich ebenfalls in Rauch auflösen.

Die Präsenz eines anderen Menschen unterbrach seine Gedanken. Trotz der Tatsache, dass er sich inmitten unzähliger Gäste befand, war es eine bestimmte Person, deren Gegenwart in sein Bewusstsein kroch.

Torsten Halder.

Wie ein schwarzer Schatten breitete sich seine Aura über der Terrasse aus. Winzige Nadelstiche schienen Alexanders Energiefeld zu durchbrechen. Noch bevor er reagieren konnte, überwältigte ihn der Gedanke, dass es zu spät war. Sein Körper fühlte sich mit einem Mal an, als sei er in ein Spinnennetz verstrickt. Zwang ihn, in Bewegungslosigkeit zu verharren, obwohl sich jede Faser seines Wesens danach sehnte, sich in Rauch aufzulösen.

Arroganz. Arroganz und Dummheit waren die größten Feinde eines Ifrit. Er war wie ein Tölpel in eine Falle gestolpert, deren Vorhandensein ihm entgangen war. Und das nur, weil eine Frau ihn abgelenkt hatte.

Zu der langen Liste der Fehler, die Alexander an diesem Tag begangen hatte, gesellte sich ein weiterer. Er hatte Torsten Halder unterschätzt. Ihre Blicke kreuzten sich, Halder deutete eine knappe Verbeugung an. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Mit einem Schlag traf Alexander eine Erkenntnis. Sein Gegner wusste genau, warum er hier war. Und schlimmer noch, er hatte Vorkehrungen getroffen.