KAPITEL 10
Captain Joel Chase wagte sein Glück kaum zu glauben. Die ganze Nacht waren seine Männer von Schiff zu Schiff geklettert und hatten keine lebende dänische Seele an Bord der großen Linienschiffe gefunden. Die Flotte war ohne Mannschaften. Die Seeleute waren zum Dienst an den großen Geschützen auf den Mauern der Stadt geschickt worden, um Wache auf den Brüstungen zu stehen oder Wasser für die Pumpen zu holen.
Chase hatte sich Sorgen gemacht, dass die vertäuten Schiffe als Schlafräume für die Mannschaften benutzt werden könnten, doch es gab keine aufgehängten Hängematten, und Chase begriff, dass es keinem Matrosen erlaubt wurde, sich an Bord aufzuhalten, damit nicht durch Unachtsamkeit offenes Feuer in die Nähe einer Lunte geraten konnte. Die Besatzungen waren anscheinend in der Stadt einquartiert, und die dänische Flotte war zu einem Königreich für die Ratten und Chases Männer geworden, die in der Dunkelheit arbeiteten, Lunten entfernten und Brandbeschleuniger über Bord warfen. Wo Brandstiftermaterial auf offenen Decks lag, damit es leichter bei einer Inspektion zu überprüfen war, wurde es liegen gelassen, doch wo Bündel auf unteren Decks lagen, wurden sie durch Schießscharten gezwängt und ins stinkende Wasser des Hafens geworfen.
Sharpe kam kurz vor dem Morgengrauen in den inneren Hafen. Leichter Nebel trieb durch die Takelagen der Flotte, als er sich unter die Piek der Christian VII. duckte. »Pucelle!«, zischte er. »Pucelle!«
»Sharpe?« Es war der Midshipman Collier, der mit zwei anderen Männern als Chases Wachtposten diente.
»Helfen Sie mir an Bord. Wo ist der Captain?«
Chase war in der Kapitänskajüte an Bord der Skiold, wo er im schwachen Licht einer abgeschirmten Laterne die Karten des Ostseeraums betrachtete. »Außergewöhnliche Details, Richard! Weit besser als auf unseren eigenen Karten. Tommy Lister, ein toller Kerl, verlor fast die Naiad bei dieser Untiefe, und die Narren bei der Admiralität schworen, da gäbe es gar keine. Wir werden diese Karten mitnehmen. Wollen Sie einen Brandy? Dieser Captain lebt nicht schlecht.«
»Was ich will«, sagte Sharpe, »sind zwei oder drei Männer.«
»Wenn jemand sagt, dass er zwei oder drei will, meint er für gewöhnlich vier oder fünf.«
»Zwei werden reichen«, sagte Sharpe.
»Und wofür?«, fragte Chase. Er setzte sich auf die Bank unter dem Heckfenster und hörte Sharpe zu.
Die Glocken der Stadt läuteten vier, und ein dünner grauer Lichtstreifen begann sich an den Heckfenstern der Skiold zu zeigen, als Sharpe geendet hatte.
Chase nippte an seinem Brandy. »Lassen Sie mich zusammenfassen«, sagte er dann. »Da ist ein Mann, dieser Skovgaard, der noch leben könnte, vielleicht aber auch nicht, aber dessen Rettung von größtem Interesse wäre?«
»Wenn er noch lebt«, sagte Sharpe mürrisch.
»Was vermutlich nicht der Fall ist. In diesem Fall, meinen Sie, könnte es eine Liste von Namen geben, die sichergestellt werden könnte?«
»Ich hoffe es.«
»Und ob sie da ist oder nicht«, sagte Chase, »Sie möchten diesen Verräter namens Lavisser töten?«
»Ja, Joel.«
Chase lauschte dem Geschrei der Seemöwen über dem Hafen.
»Das Dumme ist, Richard«, sagte er nach einer Weile, »dass nichts von alldem offiziell ist. Lord Pumphrey hat große Sorgfalt aufgewandt, dass nichts schriftlich festgehalten wird, nicht wahr? Keine unterschriebenen Befehle. Auf diese Weise kann man ihm keine Schuld geben, wenn etwas schiefgeht. Es ist schmutzige Arbeit, Richard, äußerst schmutzige.«
»Wenn die Franzosen die Namensliste von Skovgaard bekommen haben, Joel, dann müssen sie gestoppt werden.«
Anscheinend hörte Chase nicht zu. »Und welche Befugnis hat Pumphrey überhaupt, um solche Befehle zu geben? Er ist kein Mann des Militärs. Alles andere als das.«
Sharpe hatte nichts von Pumphreys verschleierter Drohung wegen eines Mordes in Wapping gesagt, und er bezweifelte, dass Chase davon hören wollte. »Wenn es nicht für Pumphrey wäre, Joel«, sagte er stattdessen, »wären Sie nicht hier.«
»Ich wäre nicht hier?« Chase klang zweifelnd.
»Es war die Zeitung, die uns verriet, dass die Dänen planen, diese Flotte zu verbrennen. Ich informierte Lord Pumphrey über diese Tatsache, und er arrangierte den Rest.«
»Er ist ein emsiges Kerlchen, nicht wahr?« Chase schaute nachdenklich aus dem Heckfenster. Das Einzige, was er sehen konnte, war der Bug eines anderen Kriegsschiffes. Er hielt Sharpes Argument für schwach und er nahm an, dass es etwas Ungesagtes gab, doch er erkannte, wie wichtig es war, die Namensliste von Skovgaards Korrespondenten sicherzustellen. Er seufzte. »Ich mag keine schmutzige Arbeit«, sagte er. »Und besonders, wenn sie vom Außenministerium kommt. Es denkt, dass die Marine dazu da ist, die Welt zu säubern.«
»Ich muss es tun, Joel«, sagte Sharpe, »mit oder ohne Ihre Hilfe.«
»Sie müssen es tun?«, fragte Chase. »Ehrlich?«
Sharpe zögerte mit der Antwort. Wenn er in Dänemark bleiben würde, was machte es dann, ob er im fernen London des Mordes verdächtigt wurde? Aber würde er bleiben, wenn Skovgaard tot war? Oder würde Astrid mit ihm nach Britannien zurückkehren? Es war alles kompliziert. Einfach war, dass Skovgaards Namensliste gerettet und Lavisser aus dem Verkehr gezogen werden musste. Das war einfach genug zu verstehen. »Ja, Joel«, sagte er, »ich muss es tun.«
Midshipman Collier klopfte an die Kabinentür. Dann trat er ein, ohne hereingebeten worden zu sein. »Verzeihen Sie die Störung, Sir, aber es sieht aus, als ob ein Pumptrupp eintrifft.«
»Dann sollten wir umziehen«, sagte Chase.
»Pumptrupp?«, fragte Sharpe.
»Das Schiff hat ein Leck, Richard«, sagte Chase und erhob sich. »Sie können es nicht einfach volllaufen lassen. Deshalb schicken Sie Jungs, um die Bilgen leer zu pumpen. Es wird nicht lange dauern, aber wir sollten uns verstecken.«
»Und sie werden nicht Ihre abgeschnittenen Lunten finden?«
»Sie werden nichts bemerken. Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Danke, Mister Collier. Alle zurück zum Rattenloch!« Chase nahm die Karten an sich und lächelte Sharpe zu. »Werden Ihnen Hopper und Clouter reichen?«
Sharpe glaubte einen Moment, nicht richtig gehört zu haben. »Hopper und Clouter?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dies billige, Richard, aber ich traue Ihrer Einschätzung. Und die beiden sind meine besten Jungs, so sollten sie dafür sorgen, dass Ihnen nichts passiert. Aber ich bitte Sie, bringen Sie sie lebend zurück.«
»Danke, Joel.«
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«
»Schnell brennende Lunten.«
»Davon können Sie viele haben«, sagte Chase.
Es war nach acht Uhr, als Sharpe ging. Der Pumptrupp arbeitete sich an der Reihe der großen Schiffe entlang, doch keiner der Dänen bemerkte die drei Männer, die von der Christian VII. auf den Kai sprangen.
Alle drei waren bewaffnet. Hopper hatte eine weitere siebenläufige Waffe, zwei Pistolen und ein Entermesser, und Clouter eine Axt und zwei Pistolen.
Sie überquerten die Brücke, und niemand bemerkte sie. Noch vor vierzehn Tagen hätte ein Bewaffneter in Kopenhagen misstrauische Blicke geerntet, doch jetzt konnten ein britischer Schütze und zwei britische Seeleute genügend Artillerie mit sich herumschleppen, um eine Kompanie zu massakrieren, ohne aufzufallen. Der Anblick von zwei Männern mit Pferdeschwänzen, der eine mit Tätowierungen im Gesicht, der andere ein Schwarzer, war nichts Ungewöhnliches für Kopenhagen, denn die Stadt war an Seeleute gewöhnt. Man nahm einfach an, dass sie zu den Stadtmauern gingen, wo die verbliebenen dänischen Geschütze das Feuer auf die britischen Batterien eröffnet hatten. Ein paar Leute wünschten Sharpe und seinen Gefährten einen guten Morgen und erhielten als Antwort Grunzlaute.
Sharpe schloss Skovgaards Haustür auf. Astrid hörte ihn und kam aus dem Büro. Sie blickte alarmiert, als sie Hopper und Clouter sah, denn beide waren riesig. Sie rissen ihre Strohhüte vom Kopf und strichen sich das Haar aus der Stirn.
»Sie bleiben heute hier«, sagte Sharpe zu Astrid.
»Wer sind sie?«
»Freunde«, sagte Sharpe. »Ich brauche Sie, um deinen Vater zu befreien. Aber das kann ich erst tun, wenn die Bombardierung wieder anfängt. Können sie hier irgendwo schlafen?«
»Im Lagerhaus«, schlug Astrid vor. Sie berichtete ihm, dass sie die Arbeiter fortgeschickt hatte, als sie kurz nach dem Morgengrauen eingetroffen waren. Sie hatte ihnen ihren Lohn versprochen, doch gesagt, ihr Vater wolle, dass Sie halfen, in den von Bränden beschädigten Häusern nach Überlebenden suchten. Dann hatte sie die Dienstmädchen angewiesen, das vernachlässigte Dachgeschoss zu säubern. Dann war sie ins Arbeitszimmer ihres Vaters gegangen, um sich die Bücher anzusehen.
»Es ist nie Zeit, um die Zahlen richtig zu überprüfen«, sagte sie, als Clouter und Hopper im Lagerhaus verschwunden waren und sie mit Sharpe allein war. »Ich weiß, dass er das erledigt haben will.«
Sie arbeitete eine Weile schweigend, und Sharpe sah in einer der Spalten eine Eintragung, die sich plötzlich auflöste, als eine Träne darauf tropfte. Astrid rieb sich über die Augen. »Er ist tot, nicht wahr?«, fragte sie.
»Wir wissen es nicht.«
»Und er wird unter Schmerzen gestorben sein.«
»Wir wissen es nicht«, wiederholte Sharpe.
»Doch, ich weiß es.« Sie blickte auf und sah ihm in die Augen.
»Ich kann erst dorthingehen, wenn die Bombardierung anfängt«, sagte Sharpe rau.
»Es ist nicht deine Schuld, Richard.« Sie legte die Feder hin. »Ich bin so müde.«
»Dann geh in dein Zimmer und leg dich hin. Ich werde den Jungs etwas zu essen bringen.«
Astrid ging nach oben. Sharpe fand Brot, Käse und Schinken und aß dann mit Hopper und Clouter. Aksel Bang hämmerte gegen die Stalltür im Hof, hörte jedoch abrupt damit auf, als Sharpe grollend rief, er werde gleich böse.
Es war fast Mittag, als Sharpe nach oben ging. Leise öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Die dicken Vorhänge am Fenster waren zugezogen und im Zimmer war es fast dunkel, doch er spürte, dass Astrid wach war.
»Es tut mir leid«, sagte er.
»Was?«
»Alles.« Er setzte sich auf das Bett. Trotz des Halbdunkels konnte er ihr Gesicht und ihr blondes Haar auf dem Kissen sehen. »Ich dachte schon, du kommst nie«, sagte sie.
»Ich bin hier«, erwiderte er.
»Dann bleib bei mir.«
»Ich bleibe immer bei dir«, versprach er.
»Ich bin so einsam gewesen, seit Nils starb.«
Und ich auch, seit Graces Tod, dachte Sharpe. Er legte sein Entermesser auf einen Stuhl und zog die Stiefel aus. Ein kalter Wind trieb Regen und Rauch aus den Ruinen der Stadt von Osten heran. Die Geschütze auf den Stadtmauern feuerten, und Sharpe und Astrid schliefen miteinander.
Die Geschütze auf der westlichen Stadtmauer feuerten den ganzen Tag. Sie donnerten, bis der Regen, der auf ihre Rohre fiel, sich sofort in Dampf verwandelte. Kanonenkugeln und Granaten schlugen in die britischen Batterien, doch die mit Erde gefüllten Faschinen schluckten all die Wucht, und hinter ihren Schutzschilden und Brustwehren stapelten die britischen Kanoniere mehr Munition für die Mörser.
Die Stadt schwelte. Die letzten Flammen waren gelöscht, aber es glühte noch in den Ruinen der Häuser und Kirchen, und dann und wann setzte diese Glut die Lunte einer nicht explodierten Bombe in Brand, und die Explosion ließ die Fenster der Stadt erzittern. Die Leute duckten sich in Hauseingänge und warteten darauf, dass das nächste Geschoss einschlagen würde. Sie spähten besorgt zum Himmel und sahen, dass es keine Rauchspuren mehr am Himmel gab. Es blieb still, und die Angst ließ ein wenig nach.
General Peymann ging durch die beschädigten Straßen und erschauerte beim Anblick der geschwärzten Trümmer und dem Geruch verbrannter Menschen. »Wie viele Obdachlose?«, fragte er.
»Hunderte«, war die düstere Antwort.
»Können sie auf den Schiffen einquartiert werden?«
»Nicht, wenn wir die Flotte verbrennen müssen«, antwortete ein Adjutant. »Es würde Stunden dauern, die Leute an Land zu bringen.«
»Die Kirchen können noch einige aufnehmen«, meinte ein anderer Adjutant, »und wenn Sie es befehlen, Sir, wird die Universität ihre Türen öffnen.«
»Natürlich, das muss sein. Es muss sein!« Peymann beobachtete eine Gruppe Seeleute, die verkohlte Balken zur Seite zerrten, um eine Leiche zu bergen. Er wusste nicht, wie viele Tote es durch die Bombardierung gegeben hatte. Zu viele. Er wusste, dass er die Krankenhäuser besuchen musste, und fürchtete sich davor, aber es war seine Pflicht. Im Augenblick musste er jedoch die Stadt auf weiteres Ungemach vorbereiten, und er befahl, dass die Brauereien ihre größten Fässer an Straßenecken aufstellen und mit Seewasser füllen sollten. Die Briten hatten irgendwie die Versorgung mit frischem Trinkwasser abgeschnitten, und die Pumpen der Feuerwehr hatten stets Mangel, doch die Fässer konnten helfen. In Wahrheit wusste er, dass dies eine nutzlose Geste war, denn die Stadt hatte keinen richtigen Schutz. Sie musste leiden und hoffen, den Beschuss zu überstehen.
Er ging durch die zerstörten Straßen mit rauchenden Ruinen, zwischen Schutt und Trümmerbergen hindurch. »Wie viele Granaten haben die Engländer letzte Nacht verschossen?«
»Viertausend?«, schätzte ein Adjutant. »Vielleicht fünftausend?«
»Und wie viele haben sie noch?« Das war die Frage. Wann würde den britischen Geschützen die Munition ausgehen? Denn dann mussten sie warten, bis Nachschub aus England kam, und unterdessen würden die Nächte länger dunkel sein, und vielleicht würde der Kronprinz aus Holstein mit einer Armee regulärer Soldaten kommen, die den britischen Truppen zahlenmäßig überlegen sein würden. Dann kann das Leiden noch zu einem Sieg werden, dachte Peymann. Die Stadt musste einfach überleben.
Major Lavisser, das Gesicht angespannt und düster, bahnte sich einen Weg durch die Trümmer. »Ich komme zu spät zum Dienst, Sir«, sagte er zu Peymann, »und bitte um Entschuldigung.«
»Sie hatten bestimmt eine lange Nacht.«
»Eine sehr lange«, bestätigte Lavisser. Sie war nicht mit dem Feuerlöschen vergangen. Er hatte die dunklen Stunden damit verbracht, Ole Skovgaard zu verhören, und die Erinnerung daran gab ihm Befriedigung, doch er war immer noch besorgt wegen des unbekannten Besuchers, der zwei seiner Männer im Hof verwundet hatte. Ein Dieb, vermutete Barker, vielleicht ein Soldat oder Matrose, der die Bombardierung als Gelegenheit nutzte, die reichen Häuser in Bredgade zu plündern.
Lavisser hatte zuerst befürchtet, dass es Sharpe gewesen sein könnte, aber dann hatte er sich eingeredet, dass der Schütze längst wieder zur britischen Armee zurückgekehrt war. Barker hatte vermutlich recht. Es war nur ein Dieb gewesen, wenn auch ein gut bewaffneter.
General Peymann starrte zu einem zerstörten Kirchturm hinauf, wo eine einzelne Glocke an einem geschwärzten Balken hing, auf dem eine Taube hockte. Die Überreste der Kirchenbänke qualmten schrecklich. Ein Kinderbein ragte aus der Asche, und er wandte sich entsetzt ab. Es war an der Zeit, die Krankenhäuser zu besuchen, und obwohl er nicht den Brandopfern gegenübertreten wollte, war ihm klar, dass er sich nicht davor drücken konnte.
»Sie haben heute Nacht Dienst?«, fragte er Lavisser.
»Jawohl, Sir.«
»Dann könnten Sie einen guten Aussichtspunkt finden«, sagte der General. »Irgendeinen Turm oder vielleicht den großen Ladekran in Gammelholm? Aber irgendwo, wo es sicher ist. Ich will, dass Sie die Bomben zählen, so gut Sie können.«
Lavisser war verwirrt. Er fand, dass Bomben zählen ein erniedrigender Dienst war. »Sie - zählen, Sir?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Es ist wichtig, Major«, sagte Peymann, »denn wenn sie heute weniger Bomben feuern, werden wir wissen, dass ihnen die Munition ausgeht. Wir werden wissen, dass wir durchhalten können.« Und wenn sie mehr feuern ..., dachte er, doch er schreckte vor diesem Schluss zurück.
Eine Botschaft vom Kronprinzen war in die Stadt geschmuggelt worden. Der Kronprinz bestand darauf, dass die Stadt sich hielt, und so würde Peymann sein Bestes dafür tun.
»Zählen Sie die Bomben, Major«, wiederholte er. »Sofort beim Beginn des Beschusses zählen Sie die Bomben.«
Es bestand die Möglichkeit, dass das Bombardement während des Tages wiederholt wurde, doch Peymann bezweifelte das. Die Briten würden die Nacht nutzen. Vielleicht glaubten sie, die Dunkelheit verstärke den Terror der Bombardierung oder verberge ihre Untaten vor Gott, aber heute Nacht würden sie das Unheil fortsetzen, davon war Peymann überzeugt. Er musste an der Intensität ihrer Bombardierung einschätzen, wie lange sie noch so weitermachen konnten. Und Kopenhagen musste weiter leiden.
»Was mache ich mit Aksel?«, fragte Sharpe Astrid an diesem Nachmittag.
»Was willst du denn mit ihm machen?«
»Ihn töten.«
»Nein.« Sie runzelte missbilligend die Stirn. »Kannst du ihn nicht einfach laufen lassen?«
»Und er wird in zehn Minuten mit Soldaten zurück sein«, sagte Sharpe. »Er wird einfach in seinem Gefängnis warten müssen.«
»Bis wann?«
»Bis die Stadt kapituliert«, sagte Sharpe. Noch eine Nacht wie die vergangene, dachte Sharpe, und Kopenhagen wird aufgeben.
Und was dann? Würde er bleiben? Wenn ja, dann würde er sich für eine Nation entscheiden, die Britanniens Feind und Frankreichs Verbündeter war. Angenommen, er musste für sie kämpfen? Würde er die grüne Uniform ausziehen und stattdessen die blaue der Dänen tragen? Oder würde Astrid mit ihm nach Britannien gehen? Und was würde er dann tun außer kämpfen und sie allein in einem fremden Land lassen? Ein Soldat sollte nicht heiraten, dachte er.
»Was denkst du?«, fragte Astrid.
»Es ist Zeit zum Aufbruch.« Er küsste sie, dann zog er sich an und ging hinunter in den Hof.
Die Stadt stank nach verbranntem Pulver, und eine dünne Rauchwolke verschmierte den Himmel, aber wenigstens der Regen hatte aufgehört. Er brachte Bang Brot und Wasser und betrachtete ihn mürrisch.
»Du bleibst hier, Aksel, bis alles vorüber ist«, sagte Sharpe.
Er schloss die Tür des provisorischen Gefängnisses wieder ab und weckte dann Hopper und Clouter. Das Trio ging dann in den Hof und machte neue Lunten für drei der nicht explodierten Bomben. »Wenn wir im Haus sind«, sagte Sharpe, »töten wir jeden.«
»Auch die Dienstmädchen?«, fragte Hopper.
»Keine Frauen«, sagte Sharpe, »und nicht Skovgaard, wenn er noch lebt. Wir gehen rein, suchen ihn und hauen mit ihm ab. Und wir töten alle Männer.« Er setzte die letzte der schnell brennenden Lunten ein, sodass die Bombe binnen Sekunden nach dem Anzünden explodieren würde.
»Wie viele Bastarde sind es?«, fragte Clouter.
Sharpe wusste es nicht. »Ein halbes Dutzend? Und ich nehme an, es sind Franzosen, keine Dänen.«
Er hatte sich gefragt, wer in der vergangenen Nacht auf ihn geschossen hatte, und war zu dem Schluss gelangt, dass die Franzosen Männer zurückgelassen hatten, als ihre Botschaft nach Süden umgesiedelt war. »Oder es können Dänen sein, die für die Franzosen arbeiten«, fügte er hinzu.
»Das ist das Gleiche«, sagte Hopper. »Aber was tun sie hier?«
»Sie sind Spione«, sagte Sharpe. »Es findet ein dreckiger geheimer Krieg in ganz Europa statt, und sie sind hier, um unsere Spione zu töten, und wir sind hier, um ihre zu töten.«
»Gibt es Extrasold für das Töten von Spionen?«, fragte Clouter.
Sharpe grinste. »Ich kann es nicht versprechen, aber mit etwas Glück werdet ihr so viel Gold bekommen, wie ihr tragen könnt.« Er blickte zum Himmel. Die Abenddämmerung war nahe, doch das Zwielicht des Spätsommerabends würde noch eine Weile anhalten. Sie mussten warten.
Es lag eine Atmosphäre der Erschöpfung über der Stadt. Die britischen Batterien waren still. Die dänischen Geschütze feuerten weiter, aber langsam, als wüssten die Kanoniere, dass ihre Bemühungen an Faschinen und Feldschanzen verschwendet waren. Einige Haubitzen waren aus der wiederholt bombardierten Zitadelle geholt und auf der Stadtmauer aufgestellt worden. Ihre Kanoniere versuchten die nächsten britischen Batterien zu beschießen, doch keiner konnte sehen, welche Wirkung sie damit erzielten.
Die Dunkelheit senkte sich langsam über den wolkenverhangenen Himmel. Der Wind wehte kühl von Osten, während die ganze Stadt wartete. Eine Zeitlang hatte es den Anschein, als gäbe es keine Bombardierung in dieser zweiten Nacht, doch dann gab es einen großen Blitz in der Dunkelheit im Westen, und ein Streifen Rot, dünn wie ein Nadelstich, stieg zu den Wolken empor. Der rote Strich der brennenden Lunte erreichte seinen Gipfelpunkt und schwebte dort sekundenlang, bevor er zu fallen begann.
Und dann feuerten die anderen Mörser, und ihr Lärm vereinigte sich zu einem gewaltigen Donnerschlag, der auf die Stadt zurollte, als die Spuren der brennenden Lunten emporstiegen und die ersten der Bomben auf die Häuser fielen.
»Wir können gehen«, sagte Sharpe.
Die drei Männer gingen durch die Straßen, die von fernem Feuerschein erhellt waren. Sharpe konnte an der Spur der brennenden Lunten erkennen, dass die Bombardierung in dieser Nacht nicht der Zitadelle galten, sondern die Bomben auf die gleichen Straßen fielen, die bereits gestern bombardiert worden waren. Die Geschosse von der Flotte zogen ihre Spuren am Himmel, während die Raketen, dick und glühend, über die Dächer der Häuser flogen. Sharpe trug wie seine beiden Gefährten eine Dreizehn-Zoll-Bombe in einem Lederbeutel an der Schulter.
Er führte Hopper und Clouter in die Gasse hinter Lavissers Haus. Es war stockdunkel zwischen den hohen, eng beieinanderstehenden Mauern, doch die Rückseiten der großen Häuser von Bredgade schimmerten rötlich vom Schein ferner Feuer. Dieses Viertel der Stadt, das in der Nähe der königlichen Schlösser lag, war von Bomben verschont geblieben.
Sharpe legte seine Bombe neben dem Tor ab, das in Lavissers Hof führte. Dann kniete er sich nieder, nahm seine Zunderbüchse und rieb den Stahl auf Feuerstein. Das verkohlte Leinen glühte, und er blies darauf, bis Flammen daraus züngelten, die er an die schnell brennende Lunte hielt. Dann rannte er die Gasse hinab und duckte sich neben Hopper und Clouter.
Er konnte das Glühen der Lunte wie einen winzigen roten Punkt in der Dunkelheit sehen, dann verschwand es, und er senkte den Kopf und wartete, doch es explodierte nichts, und er fragte sich, ob das Pulver nass geworden war.
»Verdammtes Ding«, murmelte er, doch in diesem Augenblick fing die Bombe Feuer, und die Gasse war vom Krachen erfüllt, das mit dem Kreischen von Metall von den Mauern widerhallte. Flammen und Rauch stiegen auf, und Lavissers Tor wurde aus den Angeln gerissen und über den Hof geschleudert.
»Deine, Hopper«, sagte Sharpe, und die drei Männer rannten zum raucherfüllten Eingang des Hofes, wo jetzt das Tor fehlte.
Hopper holte die Bombe aus dem Lederbeutel. Sharpe benutzte wieder seine Zunderbüchse, hielt das Feuer an die Lunte, dann wurde die Bombe in die Mitte des Hofs gerollt.
Die drei Männer suchten Schutz hinter der Mauer. Jemand rief etwas vom Haus. Sharpe nahm an, dass Männer im Kutscherhaus stationiert waren, die als Erste im Hof sein würden, um nachzusehen, was die erste Explosion zu bedeuten hatte. Deshalb schickte er ihnen die zweite Bombe. Eine Stimme rief etwas ganz in der Nähe, doch dann zerriss das Krachen von Hoppers Bombe die Nacht, tauchte die Gasse in grelles Licht und erfüllte den Hof mit weiterem dichten Rauch.
Clouter war bereits mit der dritten Bombe zur Stelle. Sharpe machte mit der Zunderbüchse Feuer und zündete die Lunte an. Er nahm die Bombe von Clouter entgegen und rannte durch den Rauch, bis er die Treppe sehen konnte, die zum Eingang des Kellergeschosses führte. Die Lunte zischte an seinem Bauch. Er stoppte, schätzte die Entfernung und schleuderte die Bombe. Sie landete kurz vor der Treppe.
Hopper und Clouter pressten sich mit dem Rücken gegen die Stallwand. Beide starrten durch den Rauch. Eine Muskete feuerte von einem oberen Fenster, und die Kugel knallte dich neben Sharpe auf die Kopfsteine. Er sprang instinktiv zurück und wäre fast über eine Leiche gestolpert. Es war also jemand von der zweiten Bombe getroffen worden. Dann explodierte die dritte und erschütterte das Haus. Glas zersplitterte in den Fenstern.
»Kommt!«, rief Sharpe. Er hielt das Gewehr in der rechten Hand, als er die Treppe hinaufstürmte und die zersplitterte Tür aufstieß. Er fand sich in einer Küche wieder, die von brennenden Stücken der bei der Explosion gesprengten Tür erhellt war. Er sprang über das brennende Holz, schob eine Tür auf und sah eine dunkle Treppe, die nach oben führte. Hinter ihm krachten Pistolenschüsse, und er erkannte mit einem schnellen Blick, dass Clouter in den Hof feuerte. »Brauchst du Hilfe?«
»Sie sind tot!«, sagte Clouter und wich von der Türschwelle fort und lud die Waffe. Eine Decke auf einem Tisch beim Fenster hatte Feuer gefangen. Sharpe ignorierte es. Er rannte die Treppe hinauf. Oben war ein Mann, doch er warf sich herum und verschwand, bevor Sharpe auf ihn zielen konnte. Clouter kam von der Küche herauf, und hinter ihm verdichtete sich der Rauch mit alarmierender Schnelligkeit.
»Nach oben!«, rief Sharpe. Dort oben waren Männer. Sie wussten, dass er zu ihnen hinaufkommen würde, und erwarteten ihn mit Waffen in den Händen, doch er konnte nicht warten. Unter ihm breitete sich das Feuer aus. »Wartet hier«, sagte er zu den beiden Matrosen. Er hängte das Gewehr über die Schulter und nahm stattdessen die siebenläufige Waffe. Er wollte nicht gern die Treppe hinaufstürmen, sondern sich lieber anschleichen, doch wenn er den Männern oben noch mehr Zeit ließ, würden sie sich verbarrikadieren. Er fluchte, holte tief Luft und rannte los.
Er nahm immer drei Stufen auf einmal. Vom ersten Treppenabsatz gingen zwei Türen ab. Er ignorierte sie. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Bewohner des Hauses sich höher aufhielten, und so bog er um die Ecke des Absatzes und nahm im Laufen die nächste Treppe. Er sah eine halb offene Tür - und einen Musketenlauf. Einen Sekundenbruchteil, bevor die Muskete aufblitzte, warf er sich hin. Die Kugel krachte in ein Porträt hoch an der Wand im Treppenschacht. Sharpe rappelte sich auf, schob die siebenläufige Waffe über die oberste Treppenstufe und drückte ab.
Die sieben Kugeln zerfetzten die untere Hälfte der Tür. Ein Mann schrie. Sharpe zog eine Pistole und feuerte von Neuem, dann waren Hopper und Clouter hinter ihm, und beide schossen auf die Tür, bevor sie an Sharpe vorbeirannten.
»Wartet!«, rief er. Er wollte als Erster in das Zimmer, nicht aus Heroismus, sondern weil er Captain Chase versprochen hatte, auf seine beiden Männer aufzupassen, doch Clouter, die Axt in der Hand, hatte bereits mit der Schulter die Tür aufgerammt und taumelte hindurch.
»Pucelle!«, schrie der Schwarze. »Pucelle!« Es klang, als entere er ein feindliches Schiff.
Sharpe folgte ihm, als Hoppers siebenläufige Waffe krachte. Eine feindliche Kugel pfiff an seinem Kopf vorbei, während er durch die Tür sprang. Mit einem schnellen Blick erfasste er ein elegantes Arbeitszimmer mit Bücherregalen, Porträts, einem Schreibtisch und Sofa. Ein Mann krümmte sich beim Schreibtisch, getroffen von einer von Hoppers Kugeln. Ein anderer Mann lag beim Fenster, von Clouters Axt getroffen. »Da lebt noch einer hinter dem Schreibtisch«, sagte Hopper.
Sharpe gab die leer geschossene Siebenläufige Hopper. »Lade sie«, sagte er, dann schritt er auf den Schreibtisch zu. Er hörte das Scharren eines Ladestocks in einem Waffenlauf und wusste, dass sein Feind im Augenblick nicht schießen konnte. Mit drei weiteren schnellen Schritten war er bei dem Mann und sah, dass sich der Mann mit einer halb geladenen Pistole duckte. Sharpe hatte gehofft, Lavisser zu finden, doch diesen Mann hatte er noch nie gesehen. Der Mann schaute ihn entsetzt an und schüttelte den Kopf. »Non, Monsieur, non!«
Sharpe feuerte. Die Kugel traf den Franzosen in den Schädel, und Blut schoss über den Schreibtisch und auf den Sterbenden zu Sharpes Füßen.
Es war ein vierter Mann im Zimmer. Er lag gefesselt und geknebelt auf einem Sofa in einem Alkoven. Er war nackt. Sharpe musste schlucken, als er ihn sah. Es war ein Wunder, dass er noch lebte.
Ole Skovgaard war gefoltert worden. Ein grässlicher Anblick. Er war halb blind und bewusstlos, hatte anscheinend nichts von dem Kampf mitbekommen, der das Zimmer mit erstickendem Pulverrauch erfüllte.
Clouter, die blutige Axt in einer großen Hand, kam zum Sofa. Sharpe erschauerte beim Anblick von Skovgaards leerer Augenhöhle, dem blutigen Mund und den Fingerspitzen, wo die Nägel ausgerissen waren, bevor man ihm die Fingerknochen gebrochen hatte.
Sharpe legte sein Gewehr ab, nahm sein Messer und zerschnitt die Stricke, mit denen Skovgaard gefesselt war. »Können Sie mich hören?«, fragte er.
Skovgaard hob eine zitternde Hand. »Lieutenant?« Er konnte kaum sprechen, denn sein blutiger Mund war zahnlos.
»Wir bringen Sie nach Hause«, sagte Sharpe.
Hopper feuerte mit der Pistole zum Treppenschacht, und Clouter eilte ihm zur Hilfe. Skovgaard wies schwach zum Schreibtisch, und Sharpe ging hin. Er sah einen Stapel von Papieren, die mit dem Blut des Franzosen besprenkelt waren, den er soeben erschossen hatte. Auf den Blättern standen viele Namen.
Es war die Liste der Korrespondenten, die London schützen wollte. Hans Bischoff aus Bremen, Josef Gruber aus Hannover, Carl Friederich in Königsberg. Da waren russische und preußische Namen, sieben Seiten voller Namen, und Sharpe raffte die Seiten zusammen und steckte sie ein.
Clouter feuerte die Treppe hinab. Hopper hatte eine der siebenläufigen Waffen nachgeladen und schob Clouter zur Seite, um einzugreifen, doch da gab es anscheinend keine Bedrohung mehr, denn er schoss nicht.
Vor den Fenstern hingen Samtvorhänge. Sharpe packte einen, zog hart daran und riss ihn los. Er hüllte den nackten Skovgaard in den Samt ein und hob ihn hoch. Skovgaard stöhnte vor Schmerzen.
»Wir gehen jetzt heim«, sagte Sharpe. Rauch trieb vom Treppenschacht herauf. »Wer ist da unten?«, fragte Sharpe Clouter.
»Zwei Mann, vielleicht drei.«
»Wir müssen runtergehen«, sagte Sharpe, »und durch die Vordertür raus.« Er hatte weder Lavisser noch Barker gesehen.
Hopper lud die zweite siebenläufige Waffe. Die erste hatte er Clouter gegeben. Sharpe konnte die Flammen unten im Haus prasseln hören. Im Westen explodierten Bomben. Ein Dienstmädchen, die Augen entsetzt aufgerissen, rannte die Treppe hinunter. Sie bemerkte die Männer im Arbeitszimmer anscheinend nicht und verschwand um den Treppenabsatz. In der Halle fiel ein Schuss, und das Dienstmädchen schrie auf. Sharpe fluchte.
Hopper hatte vier der Läufe geladen und sagte sich, dass das reichen musste. »Gehen wir?«
»Los!«, sagte Sharpe.
Clouter und Hopper gingen voran, und Sharpe trug Skovgaard hinterher. Die beiden Matrosen sprangen auf den Treppenabsatz hinunter und feuerten in die vom Rauch erfüllte Halle. Sharpe folgte langsamer. Skovgaard stöhnte leise. Das Dienstmädchen lag neben dem Treppengeländer. Blut befleckte ihr Nachthemd. Eine Leiche lag neben einem Tisch in der Halle, und Flammen loderten aus der Tür, die zur Küche führte.
Die Haustür war offen, und Clouter ging als Erster hinaus. Sharpe rief eine Warnung, dass Lavissers Männer auf der Straße warten könnten, doch die einzigen Leute dort waren Nachbarn, die glaubten, dass das Feuer und der Rauch von britischen Bomben verursacht worden sei. Eine der Frauen blickte alarmiert beim Anblick der beiden riesigen Männer, die mit Waffen aus dem Haus stürmten, dann ertönte mitfühlendes Gemurmel, als die Menge Skovgaard auf Sharpes Armen sah.
Eine Frau schrie beim Anblick des verletzten Mannes auf.
Es war Astrid, die Sharpe entgegenrannte. »Was machst du hier?«, fragte er.
Sie antwortete ihm nicht und schrie entsetzt auf, als sie das Gesicht ihres Vaters sah. »Lebt er?«
»Er braucht einen Arzt«, sagte Sharpe. Er nahm an, dass Skovgaard lange gelitten hatte, bevor er unter der Folter zusammengebrochen war.
»Die Krankenhäuser sind überfüllt«, sagte Astrid. »Man hat vorhin verkündet, dass nur die Schwerverletzten behandelt werden können.«
»Er ist schwer verletzt«, sagte Sharpe, dann dachte er, dass Lavisser das wusste, und so waren die Krankenhäuser genau die Orte, an denen Lavisser nach Skovgaard suchen würde.
Die Bomben krachten stetig, und ihre Explosionen erhellten den mit Rauch verhüllten Himmel.
»Nicht ins Krankenhaus«, sagte er zu Astrid. Er dachte an Ulfedts Plads, doch das war die zweite Adresse, an der Lavisser suchen würde.
Astrid berührte die Wange ihres Vaters. »Im Waisenhaus gibt es eine gute Krankenschwester, und es ist nicht weit.«
Sie trugen Skovgaard zum Waisenhaus, wo die Krankenschwester ihn in ihre Obhut nahm. Astrid ging ihr zur Hand, während Sharpe Hopper und Clouter hinaus auf den Hof führte, wo sie sich unter dem Flaggenmast hinsetzten. Einige der kleineren Waisenkinder weinten wegen des Krachens der Bomben, aber sie waren alle sicher in ihrem Schlafsaal, der weit entfernt von den Orten war, auf die irgendwelche Geschosse fielen. Zwei Frauen trugen Milch und Wasser über die Außentreppe nach oben und blickten ängstlich zu den drei Männern.
»Lavisser war nicht hier«, sagte Sharpe.
»Macht das was?«, fragte Hopper.
»Er will diese Liste haben«, sagte Sharpe und klopfte auf seine Tasche. »Mit ihr will er sich die Gunst der Franzosen erkaufen.«
»Da war auch kein Gold«, grollte Clouter.
Sharpe blickte überrascht, dann schüttelte er den Kopf. »Das Gold habe ich ganz vergessen«, sagte er. »Es tut mir leid.« Er rieb sich übers Gesicht. »Wir können auch nicht zurück zum Lagerhaus gehen, Lavisser wird dort nach uns suchen.« Und Lavisser wird dänische Soldaten mitnehmen und behaupten, er suche nach britischen Agenten, fügte er in Gedanken hinzu. »Wir werden hierbleiben müssen«, entschied er.
»Wir könnten zum Schiff zurückkehren«, schlug Clouter vor.
»Das könnt ihr, wenn ihr wollt«, sagte Sharpe. »Aber ich werde hierbleiben.« Er würde bleiben, weil er wusste, dass Astrid bei ihrem Vater bleiben würde und er bei Astrid bleiben wollte.
Hopper begann eine der siebenläufigen Waffen zu laden. »Hast du diese Krankenschwester gesehen?«, fragte er.
»Ich glaube, er will hierbleiben, Sir«, sagte Clouter mit einem Grinsen.
»Wir können hier das Ende abwarten«, sagte Sharpe. »Und danke euch beiden. Vielen Dank.«
Die Bomben erhellten den Himmel. Am Morgen, dachte Sharpe, müssen die Dänen kapitulieren. Die britische Armee wird die Stadt besetzen, und Lavisser wird sich verstecken, aber ich werde ihn finden. Und wenn ich jedes verdammte Haus in Kopenhagen durchsuchen muss, ich werde ihn finden und töten. Erst dann ist die Mission beendet und ich kann hierbleiben, hier in Dänemark.
Bei Astrid.
Am nächsten Morgen berief General Peymann eine Konferenz in Schloss Amalienborg ein. In königlichem Porzellan wurde Kaffee serviert. Die Männern waren schmutzig von Ruß und Asche, ihre Gesichter bleich und abgespannt, nachdem sie eine weitere Nacht mit Brandbekämpfung und dem Transport schlimm verletzter Brandopfer in überfüllte Krankenhäuser verbracht hatten.
»Ich glaube, in der letzten Nacht sind weniger Bomben gefallen«, sagte der General.
»Sie feuerten knapp unter zweitausend ab, Sir«, berichtete Major Lavisser, »und das schließt Raketen ein.«
»Und die Nacht davor?«, versuchte Peymann sich zu erinnern.
»Fast fünftausend«, antwortete ein Adjutant.
»Ihnen wird die Munition knapp«, erklärte der General, und seine Stimme klang triumphierend. »Ich bezweifle, dass wir heute Nacht mit mehr als tausend Geschossen von ihnen rechnen müssen. Und morgen? Vielleicht mit überhaupt keinem. Wir sollten durchhalten, meine Herren, wir sollten durchhalten!«
Der Leiter des König-Frederick-Hospitals gab einen ernüchternden Bericht. Es waren keine Betten mehr frei, und es bestand ein ernster Mangel an Salben, Bandagen und frischem Wasser. Dennoch strahlte er einen vorsichtigen Optimismus aus. Wenn die Bombardierungen nicht schlimmer wurden, dann würden seiner Meinung nach die Krankenhäuser mit der Situation fertig werden.
Ein Sprecher der Stadt berichtete, dass ein alter Brunnen in Bjornegarden eine befriedigende Menge an Frischwasser geben und dass drei andere damals aufgegebene Brunnen, als die Stadt Wasser aus Nord-Seeland aus der Röhrenleitung bezogen hatte, noch während des Tages wieder geöffnet werden würden. Der stellvertretende Bürgermeister berichtete, es gebe keine Knappheit an Nahrungsmitteln. Einige Kühe seien in der Nacht verendet, aber es seien viele übrig geblieben.
»Kühe?«, fragte Peymann.
»Die Stadt braucht Milch, Sir. Wir haben zwei Herden in die Stadt geholt.«
»Dann finde ich, dass alles gesagt ist und wir uns beglückwünschen können«, sagte General Peymann abschließend. »Die Briten haben uns schlimm zugesetzt, aber wir haben überlebt.« Er zog die Karte der Stadt zu sich. Die Pioniere hatten die Straßen, die in der ersten Bombennacht am schlimmsten betroffen gewesen waren, markiert, und jetzt sah Peymann die leichteren Striche des zweiten nächtlichen Angriffs. Die neu markierten Gebiete waren viel kleiner, nur ein kleines Stück beim Nörre-Tor und einige Häuser in Skindergade. »Wenigstens haben sie die Kathedrale verfehlt«, sagte er.
»Und hier entstand ebenfalls Schaden.« Ein Adjutant neigte sich über den Tisch und tippte auf Bredgade. »Major Lavissers Haus wurde zerstört, und die Dächer der Nachbarhäuser brannten ab.«
Peymann blickte Lavisser mit gerunzelter Stirn an. »Ihr Haus, Major?«
»Das Haus meines Großvaters, Sir.«
»Tragisch!«, sagte Peymann. »Tragisch.«
»Wir denken, dass es eine Rakete gewesen sein muss, Sir«, sagte der erste Adjutant. »Es ist weit vom Rest der anderen beschädigten Straßen entfernt.«
»Ich hoffe, niemand ist verletzt worden«, sagte Peymann ernst.
»Wir befürchten, dass einige Diener in der tödlichen Falle umgekommen sein können«, antwortete Lavisser, »aber mein Großvater ist natürlich mit dem Kronprinzen zusammen.«
»Gott sei Dank«, sagte Peymann, »aber Sie müssen sich heute sicherlich einige Zeit nehmen, um vom Besitz Ihres Großvaters zu retten, was Sie können. Es tut mir sehr leid, Major.«
»Wir müssen alle das Leid der Stadt teilen, Sir«, erklärte Lavisser, eine Bemerkung, die zu zustimmendem Gemurmel am Tisch führte.
Ein Marine-Pastor beendete die Konferenz, indem er Gott dankte, dass er der Stadt half, ihr Martyrium zu ertragen, und den Allmächtigen bat, seine heilende Gunst den Verwundeten und Trost den Hinterbliebenen der Toten zu gewähren. »Amen«, sagte General Peymann mit dröhnender Stimme. »Amen.«
Die schwache Sonne drang durch den Dunstschleier, der die Stadt einhüllte, als Lavisser in den Schlosshof ging, wo Barker wartete.
»Sie haben gebetet, Barker«, sagte er. »Gebetet!«
»Das tun sie hier sehr oft, Sir.«
»Und was hast du inzwischen gemacht?«
Während sein Herr die Konferenz besucht hatte, hatte Barker sein Bestes getan, um die Ruinen in Bredgade zu erkunden. »Es ist immer noch zu heiß, um ins Haus zu kommen, Sir, und es ist ohnehin nur noch ein Haufen rauchender Trümmer, aber Jules hat entkommen können.«
»Nur Jules?«
»Er war der Einzige, den ich finden konnte, Sir. Der Rest ist tot oder im Krankenhaus, nehme ich an. Und Jules schwört, es war Sharpe.«
»Das kann nicht sein!«
»Er sagt, drei Männer kamen aus dem Haus, Sir. Zwei waren Matrosen und der andere ein großer Mann mit schwarzem Haar und einer Narbe auf der Wange.«
Lavisser fluchte.
»Und«, fuhr Barker fort, »der Mann mit der Narbe im Gesicht trug Skovgaard.«
Lavisser fluchte von Neuem. »Und das Gold?«, fragte er.
»Das ist vermutlich noch in Bredgade, Sir. Vielleicht geschmolzen, aber es wird dort sein.«
Lavisser schwieg eine Weile. Die Bergung des Goldes konnte sicherlich warten, aber er konnte keinen Vorschuss von den Franzosen erwarten, wenn er ihnen nicht die Liste mit den Namen gab, die er aus Skovgaard herausgefoltert hatte. Diese Liste würde Lavisser die Großzügigkeit des Kaisers eröffnen, der ihn dafür zum Prinzen von Seeland oder Herzog von Holstein oder sogar, wie er es sich schon oft in seinen geheimsten Träumen ausgemalt hatte, zum König von Dänemark machen würde.
»Hat Jules irgendetwas über die Liste gesagt?«
»Er nahm an, dass sie im Haus war, als es brannte, Sir.«
Lavisser raufte sich die Haare. »All die Mühe für die Katz«, zürnte er. »Reine Zeitverschwendung!«
Baker starrte zu den Tauben auf dem Dach des Schlosses. Er dachte daran, dass auch seine Nacht vergeudet war, denn Lavisser hatte darauf bestanden, dass er mit ihm die fallenden Bomben beobachtete und zählte. Barker hätte es vorgezogen, das Haus in Bredgade zu bewachen, doch Lavisser hatte ihn angewiesen, die Mündungsblitze der Geschütze von der Flotte zu zählen, während Lavisser die Schüsse von den Batterien an Land gezählt hatte. Eine wahre Verschwendung, dachte Barker, denn wenn er in Bredgade gewesen wäre, dann wäre Sharpe jetzt tot, und Skovgaard würde vielleicht noch immer Namen preisgeben.
»Wir müssen Skovgaard wiederfinden, Sir«, sagte Barker.
»Wie?«, fragte Lavisser verdrossen, dann beantwortete er selbst seine Frage. »Er muss im Krankenhaus sein, nicht wahr?«
»Oder bei einem Doktor.«
Lavisser schüttelte den Kopf. »Alle Ärzte sind in die Krankenhäuser befohlen worden.«
So suchten Lavisser und Barker in den Krankenhäusern von Kopenhagen nach Ole Skovgaard. Die Suche dauerte den ganzen Morgen, als sie von Station zu Station gingen, wo Hunderte Opfer mit Verbrennungen in schrecklichen Schmerzen lagen, aber Skovgaard fanden sie nicht. Ein verschwendeter Morgen, und Lavisser war in grimmiger Stimmung, als er sich auf den Weg machte, um zu sehen, was vom Haus in Bredgade noch übrig war.
Das Haus war eine rauchende Ruine, und das Gold, wenn es noch da war, musste eine geschmolzene Masse tief in seinem Keller sein.
Jules, einer der Franzosen, der zurückgeblieben war, als die Diplomaten aus Kopenhagen geflüchtet waren, befand sich immer noch im unbeschädigten Kutscherhaus, und Jules wollte seine eigene Rache an Sharpe.
»Wir wissen, wo er ist«, sagte Barker.
»Ulfedts Plads?«, fragte Lavisser.
»Wo sonst?«
»Du, ich und Jules gegen drei von ihnen?«, sagte Lavisser. »Ich glaube, wir müssen diese Chance verbessern.«
Barker und Jules machten sich auf den Weg, um Ulfedts Plads zu beobachten, und Lavisser ging zur Zitadelle, wo General Peymann sein Quartier hatte. Der General war die ganze Nacht auf gewesen und jetzt zu Bett gegangen, und es war schon Nachmittag, als er erwachte und Lavisser ihm seine Lügengeschichte auftischen konnte.
»Ein Kind hat mit einem Blindgänger gespielt, Sir«, sagte er, »und ich befürchte, dass es noch mehr solcher tragischen Todesfälle gibt. Es liegen zu viele Bomben auf den Straßen herum.«
Peymann blies auf seinen Kaffee, um ihn abzukühlen. »Ich dachte, Captain Nielsen beschäftigt sich mit diesem Problem.«
»Er ist mit Arbeit überschüttet, Sir. Ich brauche ein Dutzend Männer.«
»Natürlich, natürlich.« Peymann unterzeichnete den notwendigen Befehl. Lavisser weckte einen Leutnant und befahl ihm, eine Gruppe antreten zu lassen.
Der Leutnant fragte sich, warum seine Männer Musketen brauchten, um Blindgänger zu sammeln, doch er war noch zu schläfrig, um zu diskutieren. Er folgte mit seinen Männern einfach zum Ulfedts Plads, wo zwei Zivilisten neben einem Lagerhaus warteten.
»Klopfen Sie an die Tür, Leutnant«, befahl Lavisser.
»Ich dachte, wir sind hier, um Bomben zu sammeln, Sir.«
Lavisser nahm den Mann beiseite. »Können Sie diskret sein, Leutnant?«
»Selbstverständlich.« Der Leutnant fand die Frage beleidigend.
»Ich konnte nicht offen zu Ihnen sein, Leutnant. Gott weiß, dass schon zu viele Gerüchte in der Stadt im Umlauf sind, und da wollte ich nicht für weitere sorgen, aber General Peymann hat eine Warnung erhalten, dass englische Spione in Kopenhagen sind.«
»Spione?« Die Augen des Leutnants weiteten sich. Er war neunzehn und erst zwei Monate Offizier, und bis jetzt hatte sein Dienst mit der höchsten Verantwortung darin bestanden, dafür zu sorgen, dass an jedem Morgen die Flagge der Zitadelle gehisst wurde.
»Saboteure, höchstwahrscheinlich«, schmückte Lavisser seine Geschichte aus. »Wir nehmen an, dass den Briten die Bomben ausgehen. Sie werden vermutlich heute Nacht ein paar abfeuern, aber wir denken, sie werden sich darauf verlassen, dass ihre Agenten in der Stadt größeren Schaden anrichten. Der General glaubt, dass diese Männer sich in diesem Gebäude verstecken.«
Der Leutnant befahl seinen Männern, die Bajonette aufzupflanzen, und hämmerte an Skovgaards Tür, die von einem ängstlichen Dienstmädchen geöffnet wurde. Ihr entfuhr ein Aufschrei, als sie die Bajonette sah, dann sagte sie hastig, dass ihr Herr und die Herrin nicht zu Hause waren.
»Was ist mit dem Engländer?«, fragte Lavisser über die Schulter des Leutnants hinweg.
»Er ist nicht zurückgekommen«, sagte das Dienstmädchen. »Keiner von ihnen ist das.«
»Durchsucht das Gebäude!«, befahl Lavisser den Soldaten. Er schickte einige der Männer ins Lagerhaus und die anderen die Treppe ins Haus hinauf, während er, Jules und Barker in Skovgaards Büro gingen.
Sie fanden dort keine Liste mit Namen. Sie fanden eine Metallkiste, die voller Geld war, aber keine Namen. Der Leutnant entdeckte oben eine ungeladene Muskete, und dann erzählten ihm die angsterfüllten Dienstmädchen, dass Herr Bang im Stall eingesperrt sei. Der Leutnant ging mit der Nachricht hinab ins Büro.
»Bang?«, fragte Lavisser und stopfte Geld in seine Tasche.
»Der Typ, der uns Skovgaard verkauft hat«, erinnerte Barker.
Das Vorhängeschloss wurde von der Tür gesprengt, und ein erschreckter Aksel Bang stolperte ins trübe Tageslicht. Er war nervös und empört und so durcheinander, dass sein Gestammel kaum einen Sinn ergab, und so wies Lavisser die Dienstmädchen an, Tee für seine Beruhigung zu kochen. Dann nahm er Bang mit nach oben in Skovgaards Wohnzimmer.
Bang erzählte ihm, wie Lieutenant Sharpe in die Stadt zurückgekommen war und wie er versucht hatte, ihn festzunehmen. Die Geschichte war hier ein wenig konfus, denn Bang wollte nicht zugeben, wie leicht er überwältigt worden war, aber Lavisser fragte nicht nach den Einzelheiten. Bang wusste nicht, wie viele Männer Sharpe halfen, aber Bang hatte die Stimmen auf dem Hof gehört und wusste, dass es mindestens zwei oder drei waren.
»Und Ole Skovgaards Tochter half diesen Engländern?«, fragte Lavisser.
»Nicht bereitwillig«, behauptete Bang. »Sie muss getäuscht worden sein.«
»Selbstverständlich.«
»Aber ihr Vater, nun, der war immer schon auf der Seite der Engländer«, sagte Bang rachsüchtig, »und er hat sie gezwungen, ihm zu helfen. Das wollte sie natürlich nicht, aber er hat sie gezwungen.«
Lavisser nippte an seinem Tee. »Astrid weiß also so viel wie ihr Vater?«
»O ja«, sagte Bang.
»Sie kennt die Namen der Korrespondenten seines Vaters?«, fragte Lavisser.
»Was er weiß, das weiß auch sie«, sagte Bang.
»Soso«, murmelte Lavisser vor sich hin. Er zündete eine Kerze an, denn die Abenddämmerung machte den Raum düster. »Es war gut von Ihnen, Leutnant«, sagte er und achtete darauf, Bang zu schmeicheln, indem er seinen militärischen Rang benutzte, »dass Sie Skovgaard der Polizei übergeben haben.«
Leise Zweifel nagten an Bang. »Lieutenant Sharpe sagte, dass Sie es waren, der Skovgaard geschnappt hat.«
»Er sagte - was?« Lavisser blickte erstaunt, dann setzte er sein charmantes Lächeln auf. »Natürlich nicht. Ich habe dafür keinerlei Befugnis. Nein, Herr Skovgaard wurde für eine Befragung durch die Polizei geschnappt, aber leider konnte er entkommen. Die Verwirrung durch die Bombardierung, verstehen Sie? Und unser Problem ist, dass Sharpe und seine englischen Helfer irgendwo in der Stadt sind. Sie könnten Ole Skovgaard bereits gerettet haben. General Peymann dachte, wir würden sie hier finden, aber leider ist das nicht der Fall.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, sie sind irgendwo untergetaucht, aber Sie, Leutnant, kennen Herrn Skovgaard ja besser als jeder andere.«
»Das stimmt«, sagte Bang.
»Und wer weiß, vielleicht täuschen sie Astrid wieder?«, fragte er in besorgtem Tonfall.
»Sie täuschen sie schamlos!«, sagte Bang wütend, und er erzählte Lavisser, der Engländer habe Astrid versprochen, in Dänemark zu bleiben. »Und sie glaubt ihm das!«, sagte Bang. »Sie glaubt ihm, weil er ihr den Kopf verdreht hat.«
Einen schönen Kopf hat sie, dachte Lavisser, und gefüllt mit dem Wissen, das ich brauche.
»Ich habe Angst um sie, Leutnant«, sagte er mit ernster Stimme. »Ich mache mir große Sorgen.« Er stand auf und blickte aus dem Fenster, damit Bang nicht seine Belustigung sehen konnte.
Sharpe war also verliebt? Lavisser lächelte bei dieser Vorstellung. Der dunkel werdende Himmel war von schwarzen Wolken überzogen, und bald werden an diesem Abend die ersten Bomben fallen, dachte er, es sei denn, die Briten haben ihren Vorrat erschöpft. In diesem Fall wird die Stadt verschont bleiben, bis Nachschub aus England eintreffen würde.
»Sie halten die arme Astrid zweifellos als Geisel«, wandte er sich wieder an Bang, »und wir müssen die Dreckskerle finden.«
»Sie könnten überall sein«, sagte Bang hilflos.
»Ole Skovgaard wurde durch eine Bombe verletzt, als er entkam«, log Lavisser glatt. »Er braucht einen Arzt, nehmen wir an, aber er befindet sich in keinem der Krankenhäuser.«
Bang nickte. »Sein Doktor wohnt in Vester Fælled.«
»Auch dorthin kann er gewiss nicht gegangen sein«, sagte Lavisser. »Also, wo könnte er sich verstecken?« Er war plötzlich alarmiert von Bangs weit aufgerissenen Augen.
Aber Bang lächelte. »Herr Skovgaard braucht ärztliche Hilfe?«, fragte er. »Dann weiß ich, wo sie sind.«
»Tatsächlich?«
»Geben Sie mir eine Waffe?«, fragte Bang begierig. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich habe nichts anderes von einem loyalen Dänen erwartet«, sagte Lavisser salbungsvoll.
»Dann bringe ich Sie zu ihnen«, sagte Bang.
Denn er wusste genau, wo sie waren.
Im Westen erhellte der rötliche Schein von einem Mündungsblitz den Himmel, und die erste Bombe stieg in die Dunkelheit.
Dann hämmerten die anderen Geschütze, und die Bombardierung begann von Neuem.