KAPITEL 8
Vygards Tore waren verschlossen, aber nicht abgeschlossen. Zuerst dachte Sharpe, das Haus sei verlassen, weil es so still war, dann sagte er sich, dass niemand ein leeres Haus mit offenen Fensterläden zurücklassen würde. Rote Rosen wuchsen zwischen den Fenstern vor der Hauswand. Der vordere Rasen war frisch gemäht, und es duftete nach Gras.
Sharpe ging um die Seite des Hauses herum, an großen Stallungen und dem Kutscherhaus vorbei, durch einen Garten, in dem Bienen summten, unter einem Torweg vorbei, der aus einer Buchsbaumhecke geschnitten war. Dann gelangte er auf eine Wiese, die zu einem See hin abfiel.
Auf der Mitte der Wiese, unter einem großen Sonnenschirm, lag eine dunkelhaarige Frau auf einer Strandliege. Sie trug ein weißes Kleid. Ein Strohhut, mit einem weißen Band geschmückt, lag mit einer Zeitung und Handglocke neben einem Handarbeitskorb auf einem Korbtisch.
Sharpe blieb stehen, rechnete damit, dass sie erschrak und nach den Dienern rief, doch dann erkannte er, dass sie schlief. Ein ungewöhnlicher Anblick: Eine Frau verschlief friedlich einen sonnigen Nachmittag, während keine Meile entfernt Kavalleristen entsetzte Flüchtlinge aus Gräben und Hecken trieben.
Die Rückseite des Hauses war dicht mit Glyzinien bewachsen, zwischen denen eine weiß angestrichene Tür einladend offen stand. Ein Korb mit Birnen und Äpfeln stand neben der Türschwelle. Sharpe trat in die kühle und geflieste Diele. Bilder von Kirchen und Schlössern hingen an den Wänden. In einem Ständer standen ein Dutzend Spazierstöcke und zwei Schirme. Ein Hund döste in einem Alkoven. Er erwachte, als Sharpe vorbeiging, doch anstatt zu bellen, schlug er nur ein paarmal mit dem Schwanz auf den Boden.
Sharpe öffnete auf gut Glück eine Tür und fand sich in einem langen, elegant möblierten Salon mit einem weißen Marmorkamin wieder. Schaudernd erinnerte er sich an seine Qualen in Skovgaards Kamin. Sharpe trat an eines der Fenster und blickte hinaus. Er sah die schlafende Frau auf der Wiese und fragte sich, wer sie war. Lavissers Cousine? Sie war zu jung, um seine Großmutter zu sein. Sonderbare Stöcke lehnten an ihrer Liege, und erst auf den zweiten Blick stellte Sharpe fest, dass es sich um ein Paar Krücken handelte. Die Zeitung, beschwert von dem Handarbeitskorb, bewegte sich im leichten Wind.
Wo hatte Lavisser sein Goldversteck? Nicht in diesem Raum mit seinen Polstermöbeln, dicken Teppichen und goldgerahmten Porträts. Sharpe ging in die Halle und sah eine gewundene Treppe zu seiner Rechten und jenseits davon eine offene Tür. Er spähte hindurch und sah in ein kleines Wohnzimmer, das in ein Schlafzimmer ungewandelt worden war. Vermutlich konnte die Frau auf Krücken nicht die Treppe hinaufsteigen, und so war ein Bett unter das Fenster gestellt worden. Auf dem weiß gestrichenen Fensterbrett waren Bücher aufgestapelt, während Zeitungen auf dem Bett und einem Lederkoffer lagen, der voller Unterwäsche war. Auf dem Deckel des Koffers befanden sich die vergoldeten Initialen MLV.
Er fragte sich, ob das »L« für Lavisser stand, doch dann verwarf er den Gedanken, denn der Name Visser kam ihm in den Sinn. Lavisser, Visser, Madame Visser. Und in Skovgaards Haus hatte seine letzte Pistolenkugel jemanden getroffen, einen Schmerzensschrei hervorgerufen, und der Getroffene hatte Blut auf dem Boden hinterlassen. Die Frau auf der Wiese hatte Krücken.
Er schaute sich den Inhalt des Koffers an und fand nichts mit einem Namen darauf. Er blätterte in den Büchern. Alle waren französisch, aber es stand nicht der Name des Besitzers darin. Er ging in den großen Salon zurück und schaute durch das Fenster zu der schlafenden Frau. Sie war Lavissers Komplizin, sie war Französin, sie war der Feind. Sharpe nahm an, dass er den ganzen Tag damit verbringen konnte, das Haus nach dem Gold zu durchsuchen, aber warum sollte er sich die Mühe machen, wenn ihm Madame Visser vermutlich sagen konnte, wo es sich befand?
Er kehrte in die Diele zurück und verließ das Haus, überquerte die Wiese und stellte sich hinter den Liegestuhl, wo er seine Büchse von der Schulter nahm. »Madame Visser?«, fragte er.
»Oui?« Sie klang erschreckt. Dann schwieg sie, als hielte sie den Atem an, denn sie hörte, dass Sharpe die Büchse spannte. Langsam wandte sie den Kopf.
»Wir haben uns letzte Woche gesehen«, sagte Sharpe. »Ich bin der Mann, der auf Sie geschossen hat.«
»Dann hoffe ich, dass Sie all die Qualen der Hölle erleiden«, sagte sie ruhig. Sie sprach gut Englisch. Eine beunruhigend gut aussehende Frau, dachte Sharpe, mit einem fein geschnittenen Gesicht, schwarzem Haar und den Augen einer Jägerin. Statt Furcht zu zeigen, blickten diese Augen jetzt amüsiert. Ihr weißes Kleid war am Ausschnitt und am Saum mit Spitze besetzt und wirkte so feminin, dass Sharpe sich in Erinnerung rufen musste, was Ole Skovgaard über diese Frau gesagt hatte: Sie ist gnadenlos. »Was also wollen Sie?«, fragte sie.
»Wo ist Lavissers Gold?«
Sie lachte. Kein vorgetäuschtes Lachen, sondern echtes Gelächter. »Sie sind Lieutenant Sharpe, nicht wahr? Major Lavisser hat mir Ihren Namen genannt. Sharpe. Nicht sehr passend, oder?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Sie haben also auf dem Hügel gekämpft?«
»Das konnte man kaum als Kampf bezeichnen.«
»Das dachte ich mir. Richtige Soldaten gegen Bauernjungs, was kann man da erwarten? Aber mein Ehemann wird sehr enttäuscht sein. Er und sein Freund ritten hin, um den Kampf zu beobachten. Haben Sie sie gesehen? Vielleicht haben Sie zwei Gentlemen zu Pferde erschossen, während Sie die Bauernjungs aussortiert haben?« Sie lag immer noch mit dem Kopf zur Seite gedreht im Liegestuhl. »Warum stehen Sie nicht vor mir, wo ich Ihr Gesicht richtig sehen kann?«
Sharpe trat um den Liegestuhl herum, die Büchse immer noch auf sie gerichtet.
Madame Visser wirkte immer noch belustigt, anstatt ängstlich wegen der Bedrohung durch die Waffe. »Sind Sie wirklich gekommen, um das Gold zu finden? Major Lavisser hat es vermutlich mitgenommen, und wenn das der einzige Grund Ihres Besuchs ist, könnten Sie genauso gut wieder gehen.«
»Ich glaube, es ist hier«, sagte Sharpe.
»Dann sind Sie ein Narr«, erwiderte sie und griff nach der Handglocke auf dem Korbtisch. Sie hob sie an, klingelte jedoch nicht damit. »Was wollen Sie also tun, Dummkopf? Mich erschießen?«
»Ich habe schon einmal auf Sie geschossen, warum nicht noch einmal?«
»Ich glaube nicht, dass Sie das tun werden«, sagte sie und klingelte heftig mit der Handglocke. »Sie sehen, dass ich noch lebe.«
Sharpe fand ihr gutes Aussehen beunruhigend. Er ließ den Büchsenlauf sinken. »Wo habe ich Sie getroffen?«
»Ins Bein«, sagte sie. »Es wird eine Narbe am Oberschenkel bleiben, und ich glaube, ich hasse Sie.«
»Es hätte Sie auch in den Kopf treffen können«, sagte Sharpe.
»Aber die Wunde heilt gut«, fuhr sie fort. »Danke für die Nachfrage.« Sie wandte den Kopf, als ein Dienstmädchen mit schläfrigen Augen aus dem Haus kam. Sie sprach auf Dänisch mit dem Mädchen, und es machte einen Knicks und lief ins Haus zurück. »Ich lasse Hilfe kommen«, sagte Madame Visser. »Wenn Sie also einen Funken Verstand haben, sollten Sie jetzt gehen.«
Sie hat recht, dachte Sharpe. Er hätte gehen sollen, aber das Gold war eine Verlockung, und es würde eine süße Rache an Lavisser sein, es zu finden. »Ich suche nach dem Gold des Bastards, und Sie können mir so viele Diener auf den Hals hetzen, wie Sie wollen.« Er benutzte die Büchsenmündung, um den Handarbeitskorb zu öffnen, der die Zeitung beschwerte.
»Meinen Sie, ich bewahre darin tausend Guineas auf?«, fragte Madame Visser belustigt.
Sharpe hatte nach einer Pistole gesucht, doch die einzigen Dinge in dem Korb waren gefaltete Papiere und eine lange Hutnadel. Er wich zurück. »Tausend Guineas?«, fragte er. »Und was ist mit den anderen zweiundvierzigtausend?«
Zum ersten Mal, seit er sie aufgeweckt hatte, blickte Madame Visser unbehaglich drein. »Zweiundvierzigtausend?«
»Er hat dreiundvierzigtausend Guineas gestohlen, sagte Sharpe. »Was hat er Ihnen erzählt? Dass es tausend waren?« Sie sagte nichts, und er wusste, dass er sie überrascht hatte. »Welchen Raum hat er hier benutzt?«, fragte er.
»Das Zimmer oben, nehme ich an.« Sie blickte Sharpe finster an. »Dreiundvierzigtausend?« Es klang ungläubig.
»Außer den fünfzehn Guineas, die ich ihm gestohlen habe.«
»Ich kann mir vorstellen, dass er es nach Kopenhagen mitgenommen hat«, sagte Madame Visser.
»Oder es hier versteckt hat«, sagte Sharpe.
Sie nickte. »Es gibt hier Kellerräume und ein Dachgeschoss.« Sie zuckte mit den Schultern. »Was wollen Sie mit dem Geld machen?«
»Es zu den Briten zurückbringen.«
Madame Visser lächelte. »Ich glaube, Lieutenant, Sie werden es behalten. Und mein Schweigen wird Sie fünftausend kosten.«
Er wich zurück.
»Billig, nicht wahr?« Sie lächelte und warf ihm eine Kusshand hin. Er wich immer noch zurück, unsicher, ob sie eine Pistole unter dem Kleid versteckt am Körper trug, doch sie bewegte sich nicht, schaute ihm nur nach, als er ins Haus zurückkehrte.
Er ging nach oben und überlegte, ob er die Schlafzimmer durchsuchen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Lavisser würde kein kleines Vermögen zurücklassen, wo jeder Diener es stehlen konnte, und so suchte er nach der Treppe zum Dachboden und fand sie hinter einer schmalen Tür. Der Dachboden war staubig, aber hell mit kleinen, senkrechten Dachfenstern. Und er sah viele Truhen, Koffer und Kisten. Seine Hoffnung stieg.
Da war kein Gold. Da waren Truhen, die mit alten Papieren gefüllt waren, Kisten mit altem Spielzeug und mottenzerfressenen Kleidungsstücken, ein Kinderschlitten, ein Schaukelpferd und ein Modellschiff, getakelt mit Spinnweben. Aber keine Guineas. Er konnte nicht alle Kisten durchsuchen, aber er hob sie an und schätzte an ihrem Gewicht, ob sie Gold enthielten. Da war keines. Verdammt, dachte er, durchsuche den Keller. Madame Visser hatte Hilfe gerufen, und auch wenn ihn bisher niemand gestört hatte, so wusste er, dass er nicht viel Zeit hatte.
Er stieg die schmale Dachbodentreppe hinab, überquerte den Treppenabsatz und ging die große gewundene Treppe in die Halle hinab, und da stand - Captain Warren Dunnett. Ein halbes Dutzend Schützen war bei ihm, und ihre schmutzigen Uniformen wirkten in dem eleganten Haus fehl am Platze.
Dunnett lächelte, als Sharpe die Treppe herunterkam. »Sie sind verhaftet, Lieutenant.«
»Spinnen Sie nicht rum«, sagte Sharpe. Er sah die Überraschung auf Dunnetts Gesicht und drängte sich an den sechs Schützen vorbei, die verlegen dreinblickten.
»Sharpe!«, rief Dunnett.
Du kannst mich mal, dachte Sharpe. Er verließ das Haus in den Garten, wo sich jetzt zwei Zivilisten im schwarzen Rock, Reithose und Reitstiefeln mit Madame Visser unterhielten. Das Dienstmädchen musste ins Dorf gelaufen sein und sich an die Briten gewandt haben.
Captain Murray, ein anständiger Mann, der eine Kompanie Schützen befehligte, schüttelte traurig den Kopf. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht, Sharpe?«
»Ich habe nichts gedacht«, protestierte Sharpe. Dunnett und seine Männer waren ihm auf die Wiese gefolgt. »Wissen Sie, wer diese Frau ist?«, fragte Sharpe Murray.
»Sie ist meine Frau, Lieutenant«, antwortete einer der beiden Zivilisten, »und ich bin akkreditierter französischer Diplomat.«
»Vorige Woche«, sagte Sharpe, »habe ich beobachtet, wie diese - Madame einem Mann Zähne zog, weil er ein britischer Agent war.«
»Seien Sie nicht albern«, blaffte Dunnett. Er trat auf Sharpe zu und streckte die Hand aus. »Geben Sie mir Ihre Pistole und Ihren Säbel.«
»Captain«, sagte Madame Visser tadelnd. »Vielleicht steht Lieutenant Sharpe nach der Schlacht noch unter Schock. Ich habe gehört, dass es manchmal die Männer verrückt macht. Sie sollten ihn in ein Hospital einliefern.«
»Wir werden ihn festnehmen, Ma'am«, sagte Dunnett begeistert. »Geben Sie mir Ihr Gewehr, Sharpe.«
»Das müssen Sie sich schon selbst holen, verdammt«, sagte Sharpe. Sein Zorn war kaum noch zu bezähmen.
»Richard«, sagte Captain Murray beruhigend. Er ergriff Sharpes Ellbogen, und sein Gesicht spiegelte Überraschung wider, als Sharpe seine Hand fortschlug. »Dies ist nicht der richtige Ort, Richard«, sagte er leise, »wir können das Problem lösen, wenn wir im Dorf sind.«
»Es gibt kein Problem zu lösen, verdammt! Ich habe hier nichts getan!«
»Sie haben eine unerlaubte Handlung begangen, Richard, und unbefugtes Betreten ist ein ernstes Vergehen.«
»Lieutenant Sharpe!« Dunnett wurde ungeduldig. »Sie geben mir jetzt Ihre Waffen, oder ich befehle meinen Männern, sie Ihnen abzunehmen.«
»Ruhig, Warren, ruhig«, sagte Murray.
Madame Visser beobachtete Sharpe mit gespieltem Mitleid und der Andeutung eines Lächelns. Sie hatte gewonnen und genoss seine Demütigung. Dann ertönte eine andere ärgerliche Stimme im Durchgang der Buchsbaumhecke.
»Was, zum Teufel, ist hier los?«
Die Gruppe auf der Wiese wandte sich um und sah, dass Sir Arthur Wellesley, begleitet von drei Adjutanten, zum Haus gekommen war. Der General war sichtlich wütend, als er über die Wiese schritt. »Mein Gott, ich dulde kein Plündern, besonders nicht von Offizieren. Wie kann man von den Männern Gehorsam verlangen, wenn Offiziere korrupt sind?«
»Ich habe nicht geplündert!«, protestierte Sharpe.
»Ah, Sie sind das«, sagte Wellesley in distanziertem Ton. Madame Visser, beeindruckt vom guten Aussehen des Generals, lächelte ihn an, während sich ihr Mann steif verneigte und vorstellte. Wellesley sprach in fließendem Französisch mit ihnen. Dunnett und Murray standen abseits, und Sharpe starrte auf den Korbtisch und verwünschte sein impulsives Verhalten.
Wellesley heftete den Blick seiner kalten Augen auf Sharpe. »Monsieur Visser sagt mir, dass Sie seine Frau belästigt haben.«
»Ich habe ihr eine Kugel ins Bein geschossen, Sir, wenn es das ist, was sie meint«, sagte Sharpe.
»Sie haben - was?«, blaffte Wellesley.
»Letzte Woche, Sir, in Kopenhagen. Sie zog zu diesem Zeitpunkt einem Mann die Zähne, und er war einer unserer Agenten.«
Wellesley starrte ihn an.
Madame Visser lachte.
»Er hat den Verstand verloren, Sir«, sagte Captain Dunnett.
»Ich befürchte, die Sonne oder der Stress der Schlacht haben seinem Kopf geschadet, Sir Arthur«, sagte Madame Visser sanft. »Ich habe mir das Bein verletzt, als ich vom Pferd abgeworfen wurde. Andernfalls wäre ich mit meinem Mann hergeritten, damit wir Zeugen Ihres großen Sieges werden. Stattdessen bin ich hiergeblieben, und Lieutenant Sharpe hat mich mit einem Gewehr bedroht und gesagt, er würde das Haus nach Gold durchsuchen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist traurig, finde ich, aber vielleicht bekommen Ihre Offiziere nicht genügend Sold?«
»Stimmt das, Sharpe?« Wellesleys Stimme klang so kalt, wie Sharpe sie noch nie gehört hatte.
»Natürlich ist das nicht wahr«, sagte Sharpe. Er schaute dabei Sir Arthur nicht an, sondern sah auf den Handarbeitskorb. Eine Hutnadel, dachte er, sie hat eine Hutnadel in dem Korb. Mein Gott, es war eine verrückte Idee, kaum eine Chance, aber vielleicht die einzige, die er hatte. Sir Arthur stand einer attraktiven Frau gegenüber, sprach Französisch mit ihr und glaubte zweifellos alles, was sie sagte. Und jeden Moment konnte er Dunnetts Befehl, Sharpe zu verhaften, bestätigen. Als der General abgelenkt war, neigte sich Sharpe vor und zog die Zeitung unter dem Korb hervor. Es war ein Exemplar der Berlingske Tidende. Daran war nichts Besonderes. Dennoch machte Madame Visser einen unwirksamen Sprung auf ihn zu, um ihm die Zeitung zu entreißen.
Wellesley runzelte die Stirn. »Was, zum Teufel ...«, begann er. Dann sah er, dass Sharpe die Zeitung entfaltete und gegen die Sonne hielt. Winzige Punkte von Licht waren auf der Seite zu sehen. Monsieur Visser und der andere Zivilist traten zurück, wie um zu sagen, dass sie nichts mit dem zu tun hatten, was immer als Nächstes geschehen würde. Und Sharpe starrte nur auf die Lichtpunkte und atmete erleichtert auf. Er war gerettet.
»Sir?« Sharpe blickte fragend zu Wellesley.
Der General kam zu ihm, nahm von Sharpe die Zeitung entgegen und hielt sie hoch. Er starrte lange auf die Nadelstiche. Dunnett, der nicht verstand, was los war, zappelte nervös. Madame Visser saß still und schweigend da. Der General untersuchte immer noch die Pünktchen in der Zeitung.
»Man sagte mir, dass jeder Nadelstich unter einem Buchstaben ...«, begann Sharpe.
»Ich weiß, wie das System funktioniert, danke, Sharpe«, sagte Wellesley kalt. Er las jede Zeile des Zeitungsartikels, um die verborgene Botschaft anstelle der Nadelstiche zu entschlüsseln, und ließ dann schließlich die Zeitung sinken. »Sie waren in einer geheimen Mission für Sir David Baird unterwegs, habe ich recht?«
»Jawohl, Sir.«
»Und Lord Pumphrey war in die Sache verwickelt, ja?«
»Jawohl, Sir.«
»Er suchte mich in London auf, um meine Meinung über Sie einzuholen, Sharpe.«
»Das hat er getan?« Sharpe konnte seine Überraschung nicht verbergen.
»Die Botschaft ist auf Französisch, Sharpe«, sagte der General. Er faltete die Zeitung. »Und soweit ich das sehen kann, weist sie ihre Agenten in der Stadt an, den Anweisungen des Kronprinzen zum Verbrennen der Flotte zu folgen. Ich kann mir vorstellen, dass General Cathcart interessiert sein wird.« Wellesley gab Sharpe die gefaltete Zeitung zurück. »Bringen Sie sie zu ihm. Anscheinend ist Ihre Mission noch nicht beendet. Können Sie noch auf einem Pferd sitzen?«
»Jawohl, Sir.«
»Ein guter Reiter waren Sie ja nie. Hoffen wir, dass Sie dazugelernt haben.« Er wandte sich an einen seiner Adjutanten. »Sie werden für mich in die Wege leiten, dass Lieutenant Sharpe jetzt nach Norden reiten kann. Jetzt gleich! Madame? Sie sind eine Diplomatenfrau, so muss ich Sie unbehelligt lassen.«
»Wie schade«, sagte Madame Visser, sichtlich hingerissen von Sir Arthur.
Captain Dunnett kochte vor Wut, Murray lächelte, und Madame Visser blickte nur kopfschüttelnd zu Sharpe.
Er warf ihr nur eine Kusshand zu.
Dann ritt er nach Norden.
Das Abendessen fand in einem der großen Häuser in einem Vorort von Kopenhagen statt, ein Haus, das demjenigen sehr ähnlich war, in dem Skovgaard zwei seiner Zähne verloren hatte. Ein Dutzend Männer saß um den Tisch, an dem General Sir William Cathcart präsidierte - der zehnte Baron Cathcart und Kommandeur der Armee Seiner Britannischen Majestät in Dänemark. Er war ein schwergewichtiger und düsterer Mann mit ständig besorgtem Blick. Rechts von ihm saß Francis Jackson vom Außenministerium, der nach Holstein geschickt worden war, um mit dem Kronprinzen zu verhandeln, lange bevor Cathcarts Truppen Britannien verlassen hatten. Die Dänen hatten Jacksons Forderungen abgewiesen, und er war nach Kopenhagen gekommen, um darauf zu bestehen, dass Cathcart die Stadt bombardierte.
»Ich mag die Vorstellung nicht«, grollte Cathcart.
»Sie brauchen sie auch nicht zu mögen«, sagte Jackson. Er betrachtete das Lammfleisch und die Rüben auf seinem Teller, wie um genau zu überprüfen, was ihm serviert worden war. »Wir müssen es einfach tun.«
»Und schnell«, unterstützte Lord Pumphrey Jackson. Der kleine, vogelartige Pumphrey saß zu Cathcarts Linker und komplettierte so die Zange, in die das Außenministerium den General genommen hatte. Seine Lordschaft hatte einen weißen Rock mit goldenen Tressen ausgewählt, der ihm ein vages militärisches Aussehen verlieh, doch es wurde durch das Schönheitspflästerchen verdorben, das er wieder auf seine Wange geheftet hatte. »Das Wetter wird bald unser Feind sein«, sagte er. »Stimmt das, Chase?«
Captain Joel Chase von der Royal Navy, der am fernen Ende des Tisches saß, nickte. »Die baltischen Staaten werden im späten Herbst sehr unangenehm, Mylord«, antwortete Chase in seinem starken Devonshire-Dialekt. »Nebel, Sturm, all die üblichen Ärgernisse.« Chase war an Land eingeladen worden, mit Cathcart zu dinieren, eine höfliche Geste, die jeden Abend einem Marineoffizier gewährt wurde, und er hatte seinen Ersten Lieutenant, Peel, mitgebracht, der zu viel getrunken hatte und jetzt auf seinem Stuhl eingeschlafen war. Chase, der darauf geachtet hatte, neben Sharpe zu sitzen, neigte sich jetzt zu dem Schützen. »Was meinen Sie, Richard?«
»Wir sollten es nicht tun«, sagte Sharpe. Er saß so weit von Cathcart entfernt, dass seine Bemerkung nicht gehört wurde.
»Wir werden es aber«, sagte Chase leise. Der große, blonde Marine-Captain war der Kapitän der Pucelle, dem Schiff, auf dem Sharpe bei Trafalgar gedient hatte, und er hatte Sharpe mit sichtlicher Freude begrüßt. »Mein lieber Richard! Wie schön, Sie zu sehen. Und es tut mir so leid, was geschehen ist.« Die beiden Männer hatten sich seit Graces Tod nicht mehr gesehen, und es war an Bord von Chases Schiff gewesen, auf dem Grace und Sharpe sich so leidenschaftlich geliebt hatten. »Ich habe Ihnen geschrieben«, hatte Chase Sharpe gesagt, »doch der Brief ist zurückgekommen mit dem Vermerk ›Adresse unbekannt‹.«
»Ich habe das Haus verloren«, sagte Sharpe.
»Das ist hart, Richard, sehr hart.«
»Wie liegen die Dinge auf der Pucelle, Sir?«
»Wir kämpfen uns durch, Richard. Lassen Sie mich nachdenken, an wen Sie sich erinnern werden. Hopper ist immer noch mein Bootsmann, Clouter geht es gut, nachdem er einige Finger verloren hat, und der junge Collier hat seine Prüfung zum Lieutenant im nächsten Monat. Er sollte sie schaffen, wenn er bei der Trigonometrie nichts durcheinanderbringt.«
»Was ist das?«
»Langweiliger Stoff, den Sie am Tag nach der Prüfung vergessen haben«, sagte Chase. Er hatte darauf bestanden, neben dem Schützen zu sitzen, obwohl er wegen seines höheren Rangs viel näher bei Lord Cathcart hätte Platz nehmen sollen. »Der Mann ist ein Langweiler«, hatte er Sharpe zugeraunt, »übervorsichtig und zum Gähnen.« Chase lauschte jetzt der Unterhaltung am fernen Ende des Tischs, bevor er sich wieder zu Sharpe neigte. »Die Wahrheit ist, Sharpe, dass sie nicht die Stadt angreifen wollen, weil sie zu starke Mauern hat. So werden wir die Mörser einsetzen. Wir haben keine große Wahl. Entweder das, oder ihr Jungs müsst durch eine Bresche gehen.«
»Drinnen sind Frauen und Kinder«, protestierte Sharpe zu laut.
Lord Pumphrey, der dafür gesorgt hatte, dass Sharpe zu dem Essen eingeladen worden war, hörte die Bemerkung. »Da sind Frauen, Kinder und Schiffe, Sharpe, Schiffe, und darum geht es.«
»Aye, aber werden wirklich irgendwelche Schiffe dort sein?«, fragte Chase.
»Da sollten verdammt Schiffe sein«, grollte Sir David Baird.
Cathcart ignorierte Baird und starrte stattdessen zu Chase, dessen Frage Alarm in der Tischrunde ausgelöst hatte. Jackson, der Diplomat, schob ein knorpeliges Fleischstück an den Rand des Tellers. »Den Dänen wird es widerstreben, ihre Flotte zu verbrennen. Sie werden bis zur letzten Minute damit warten, oder nicht?«
»Letzte Minute oder nicht«, sagte Chase, »sie werden sie trotzdem verbrennen, und Schiffe brennen schnell. Erinnern Sie sich an die Achille, Richard?«
»Die Achille?«, fragte Pumphrey.
»Ein französischer 74er, Mylord, verbrannt bei Trafalgar. Gerade hatte sie noch gekämpft, und in der nächsten Minute war sie ein weiß glühendes Wrack. Weiß glühend.« Er betonte jede Silbe. »Wir riskieren eine Stadt voller toter Frauen und Kinder für einen Haufen feuchter Asche.«
Cathcart, Jackson und Pumphrey starrten ihn an. Lieutenant Peels leises Schnarchen verstummte abrupt, als er aufschreckte und sich am Tisch umsah. »Die Botschaft, die in der Zeitung verborgen war«, sagte Lord Pumphrey, »ist vermutlich an Lavisser gerichtet?«
»Davon können wir ausgehen«, sagte Jackson.
»Und sie gibt ihm die Erlaubnis von seinen französischen Herren, die dänischen Befehle auszuführen, um uns die Flotte zu rauben.«
»Stimmt«, sagte Jackson.
»Die gute Nachricht ist«, sagte Cathcart, »dass dank Mister ...«, er überlegte, konnte sich jedoch nicht an Sharpes Namen erinnern, »... dass dank der Aufmerksamkeit des Lieutenants die Botschaft abgefangen wurde.«
Lord Pumphrey lächelte. »Wir können ganz sicher sein, Mylord, dass mehr als ein Exemplar verschickt wurde. Es ist unter solchen Umständen üblich, dass solch eine Vorsichtsmaßnahme ergriffen wird. Wir können ebenso sicher sein, dass Monsieur und Madame Visser, weil sie durch diplomatische Immunität geschützt sind, weitere solcher Botschaften schicken können.«
»Genau«, sagte Jackson.
»Ah.« Cathcart zuckte mit den Schultern und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Und wir werden äußerst lächerlich aussehen«, fuhr Lord Pumphrey sanft fort, »wenn wir die Stadt einnehmen und feststellen, dass sie das ist, was Captain Chase als ein Haufen feuchter Asche bezeichnet hat.«
»Verdammt, Mann«, sagte Cathcart, »wir wollen die Schiffe haben!«
»Er denkt ans Prisengeld«, flüsterte Chase Sharpe zu. »Mehr Wein?«
»Aber wie verhindern wir, dass die Schiffe verbrannt werden?«, fragte Pumphrey die Tischrunde.
»Beten wir, dass es regnet«, schlug Lieutenant Peel vor, dann wurde er rot und murmelte: »Verzeihung.«
General Baird runzelte die Stirn. »Sie werden ihre Brandstiftung vorbereitet haben«, bemerkte er.
»Können Sie das erklären, Sir David?«, fragte Jackson.
»Sie haben die Schiffe mit Brandbeschleunigern vollgestopft«, sagte Baird. »Segeltuchsäcke, gefüllt mit Salpeter, Pulver, Schwefel, Harz und Öl, und wenn sie die Lunten anzünden, werden die Boote in drei Minuten in Flammen aufgehen. Ein Höllenfeuer!« Er lächelte und steckte sich mit einer Kerze eine dunkle Zigarre an.
»Guter Gott«, murmelte Jackson.
»Es reicht vermutlich nicht aus, Captain Lavisser aus der Stadt zu entfernen?«, sagte Lord Pumphrey.
»Entfernen?«, fragte Cathcart verwundert.
Lord Pumphrey, so klein und zerbrechlich wirkend, machte die Geste des Halsabschneidens, dann zuckte er mit den Schultern. »Die Botschaft lässt darauf schließen, dass unser Renegat der Offizier ist, der den Auftrag hat, die Flotte zu verbrennen, aber wahrscheinlich wird jemand anderer den Befehl geben, wenn er nicht anwesend ist.«
Alle starrten den kleinen Pumphrey an. Baird, dem die Idee gefiel, Lavisser umzubringen, lächelte, aber die meisten der anderen Offiziere blickten schockiert. Jackson schüttelte nur traurig den Kopf. »Man wünscht inbrünstig, dass solch eine einfache Lösung unser Problem lösen würde, aber leider werden die Dänen andere Männer haben, die bereit sind, einen Brand auszulösen.« Er seufzte und blickte zur Decke. »Es wird eine schreckliche Niederlage sein, wenn wir so weit gekommen sind und die Prisen verlieren.«
»Aber, verdammt, die Franzosen werden die Schiffe nicht bekommen«, wandte Cathcart ein. »Das ist der springende Punkt, nicht wahr?«
»Eine äußerst feige Niederlage«, sagte Jackson und ignorierte die Worte des Generals, »denn all die Männer und Pferde sind von so weit hergekommen, um ein Freudenfeuer zu entfachen. Wir werden die Lachnummer von Europa.« Er richtete die letzten Worte an Cathcart, offensichtlich mit der versteckten Andeutung, dass Seine Lordschaft die Zielscheibe des Spottes sein würde.
General Baird signalisierte einem Kellner, dass er die Karaffe mit Portwein bringen sollte. »Werden die Schiffe voll bemannt sein?«, fragte er.
Niemand antwortete. Die meisten blickten fragend zu Chase, als erwarteten sie von ihm eine Antwort. Der Marine-Captain zuckte mit den Schultern, wie um zu sagen, dass er es nicht wusste.
Sharpe ergriff zögernd das Wort. »Die Matrosen sind der Garnison hinzugefügt worden, Sir.«
»Wie viele Männer sind an Bord geblieben?«, wollte Baird wissen.
»Zwei oder drei«, sagte Chase. »Die Schiffe sind nicht in Gefahr, wo sie ankern, warum sollten also Mannschaften an Bord sein? Außerdem bin ich sicher, dass sie en flûte sind.«
»Was sind sie?«
»En flûte, Sir David. Ihre Geschütze sind an Land gebracht und der Artillerie der Garnison hinzugefügt worden, sodass ihre Schießscharten leer wie die Fingerlöcher einer Flöte sind.«
»Und warum sagen Sie das nicht, verdammt?«
»Und Schiffe en flûte brauchen keine Mannschaften, höchstens ein paar Mann, um ein Auge auf die Haltetaue zu halten und die Bilgen leer zu pumpen.«
»Ein paar Mann, wie?«, fragte Baird. »Dann ist die Frage, wie wir ein paar Mann in den inneren Hafen bekommen.« Cathcart sah ihn nur mit großen Augen an. Jackson nippte am Portwein. »Nun?«, fragte Baird aggressiv.
»Ich war vorige Woche dort«, sagte Sharpe. »Bin einfach reinspaziert. Dort sind keine Wachen.«
»Sie können keine Männer in die Stadt schicken! Sie würden keine Stunde überleben!«, protestierte Cathcart.
»Sharpe hat überlebt«, sagte Pumphrey. Er starrte auf den Kronleuchter, offenbar fasziniert von einem länger werdenden Strang Wachs, von dem Wachs in die Dessertschüssel zu tropfen drohte. »Sie haben ein paar Tage gut überlebt, nicht wahr, Sharpe?«
»Tatsächlich?« Cathcart starrte Sharpe an.
»Ich habe vorgegeben, ein Amerikaner zu sein, Sir.«
»Was haben Sie getan?«, fragte Cathcart. »Überall Takaksaft hingespuckt?« Er hatte seinen Namen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gemacht und betrachtete sich als Experte bezüglich der ehemaligen Kolonien.
»Aber selbst wenn Ihre Jungs in der Stadt überleben können«, sagte Captain Chase, »wie bekommen wir sie hinein?«
Francis Jackson, elegant in schwarzem Anzug und weißem Seidenhemd, schnippte die Asche von seiner Zigarre. »Wie bringen die Dänen ihre Boten in die Stadt?«
»In kleinen Booten, nahe am Ufer, in dunklen Nächten«, sagte Chase.
»Da ist ein kleiner Hafendamm«, sagte Sharpe, »ein kleiner hölzerner Pier bei der Zitadelle, wo Leute angeln gehen. Er ist sehr nahe bei der Festung. Vielleicht zu nahe.«
»Und gleich unter den Geschützen der Sixtus-Batterie«, bemerkte einer von Cathcarts Adjutanten.
»Aber in einer dunklen Nacht?« Chase war plötzlich begeistert. »Mit umwickelten Rudern und einem geschwärzten Boot? Ja, warum nicht? Aber warum am Pier landen? Warum nicht den ganzen Weg in den Hafen rudern?«
»Da ist eine Sperre vor dem äußeren Hafen«, sagte Sharpe, »und vor dem inneren, doch der Pier ist außerhalb der Sperre.«
»Ah, dann also der Pier.« Chase lächelte und blickte den Tisch entlang zu Cathcart. »Aber wir bräuchten die Genehmigung des Admirals, eine Barkasse zu schicken, Mylord, und darf ich vorschlagen, dass diese Mission am besten von Matrosen erledigt werden kann? Es sei denn, natürlich, Sie haben Soldaten, die ihren Weg des Nachts um ein abgedunkeltes Schiff finden können.«
»Zitieren Sie einen Vers aus der Bibel«, sagte Lord Pumphrey ruhig, »das rechtfertigt eine solche Unternehmung, und ich bin sicher, dass Lord Gambier die Genehmigung geben wird.«
Ein paar Männer lächelten, die anderen fragten sich, ob der Admiral tatsächlich ein solches Spiel erlauben würde. »Er wird seine Genehmigung geben, wenn er weiß, dass sein Prisengeld davon abhängt«, grollte Baird.
Es folgte peinliches Schweigen. Über Prisengeld, obwohl sehr geschätzt, wurde selten offen geredet. Jeder ranghohe Offizier bei Armee und Marine konnte ein kleines Vermögen verdienen, wenn die Dänen sich weigerten zu kapitulieren, denn dann würden die Schiffe Kriegsbeute und so viel wie bares Geld wert sein.
»Ich nehme an, Lieutenant Sharpe sollte mit Ihren Matrosen gehen«, schlug Lord Pumphrey vor. »Er kennt sich in der Stadt ein wenig aus.«
»Ich bin mir sicher, dass er willkommen sein wird«, sagte Chase. Dann blickte er seinen Freund an. »Würden Sie mitkommen?«
Sharpe dachte an Astrid. »Jawohl, Sir«, sagte er.
»Aber wenn es getan werden muss«, sagte Lord Pumphrey, »dann kann es genauso gut schnell getan werden. Ihre Jungs werden bereit sein, das Bombardement in ein, zwei Tagen zu eröffnen, nicht wahr?«
»Wenn wir bombardieren«, grollte Cathcart.
»Wir müssen«, beharrte Jackson.
Das Streitgespräch setzte die Frage fort, ob die Stadt bombardiert werden sollte oder nicht. Sharpe nippte am Portwein, lauschte, wie Kopenhagens Glocken die Stunde schlugen, und dachte an Astrid.
Der Lastkarren ächzte den Hang hinauf und hing an der Kuppe fest.
»Um Himmels willen schieben, ihr heidnischen Bastarde!«, schnauzte ein Sergeant, bis zur Hüfte mit Schlamm bedeckt, ein Dutzend Männer an. »Schieben!«
Die acht Pferde vor dem Lastkarren wurden mit der Peitsche angetrieben, die Männer stemmten sich gegen die Räder, und der Karren drohte über den Haufen Ton hinabzurutschen.
»Stemmt euren verdammten Rücken dagegen«, bellte der Sergeant. »Schieben!«
»Viel zu aufregend, zuzuschauen«, sagte Lord Pumphrey und wandte sich ab.
Es war der Morgen nach Cathcarts Dinner, und seine Lordschaft fühlte sich nicht in bester Verfassung. Er und Sharpe standen auf einer Düne, und Seine Lordschaft hatte eine Staffelei aufgestellt, auf der ein kleines Stück Papier befestigt war. Er hatte ebenfalls einen Malkasten mit Aquarellfarben, einen Becher mit Wasser und Pinsel dabei, mit denen er ein Bild von Kopenhagens Silhouette malte.
»Ich danke dem Herrn, dass ich nie die Absicht hatte, zur Armee zu gehen«, fuhr Seine Lordschaft fort und fügte seinem Gemälde einen Pinselstrich hinzu. »Da ist es so laut.«
Der »Teufel«, wie das Gefährt genannt wurde, überwand die Hügelkuppe und rollte hinab zur Batterie. Es war ein grotesk schwerer Karren für den Transport von Mörsern. Die Lafette des Mörsers ruhte auf dem Karren, während das Rohr unter der hinteren Achse ruhte. Die Batterie hatte bereits sechs 24-Pfünder-Geschütze mit langem Rohr, die von einem Schiff an Land geholt worden waren, und jetzt wurde sie mit ebenso vielen Mörsern ausgerüstet.
Es waren teuflisch aussehende Waffen. Eigentlich nur Metalltöpfe, gedrungen und kurz. Die Lafette war ein Holzklotz, in den der Pott eingebettet war, sodass er hoch in die Luft ragte, vorne mit einem Keil zum Ändern der Richthöhe, obwohl die meisten Kanoniere es vorzogen, ihr Geschütz mit der Pulvermenge in der Ladung auszurichten. Sharpe, der die Männer beim Manövrieren des »Teufels« unter die dreibeinige Winde beobachtete, die das schwere Rohr vom Boden anheben und auf die Lafette legen würde, versuchte sich vorzustellen, wie das Geschütz abgefeuert wurde. Es würde keinen Rückstoß geben, denn die Lafette hatte keine Räder, und das Geschütz wurde nicht horizontal abgefeuert. Und so würde die Masse aus Holz und Eisen statt zurückzuspringen einfach versuchen, sich selbst ins Erdreich zu graben. Die in dieser Batterie zusammengezogenen Mörser waren alle Zehn-Zoll-Waffen, nicht die größten, aber Sharpe stellte sich vor, wie die rauchenden Kugeln hoch im Bogen in den bewölkten Himmel stiegen und in Kopenhagen einschlugen.
Lord Pumphrey musste seine Gedanken erraten haben. »Diese Geschütze werden auf die Zitadelle abgefeuert werden, Sharpe. Beruhigt das Ihr Gewissen?«
Sharpe fragte sich, ob er Pumphrey von den Waisenkindern in der Stadt erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. »General Cathcart will anscheinend auch nicht bombardieren, Mylord.«
»General Cathcart wird tun, was ihm seine politischen Herren befehlen«, sagte Pumphrey, »und in Abwesenheit jedes Ministers der Krone wird er auf Mister Jackson hören müssen, ob ihm das gefällt oder nicht.«
»Nicht auf Sie, Mylord?«, fragte Sharpe.
»Ich bin ein Lakai, Sharpe«, behauptete Pumphrey, tauchte den Pinsel in die Farbe und blickte stirnrunzelnd auf sein Bild. »Ich bin nur eine Nebenfigur ohne jede Bedeutung. Ich kann Cathcart höchstens ermuntern, die Stadt zu bombardieren. Beginn morgen Nacht, hoffe ich.«
»Morgen?« Sharpe war überrascht, dass es schon so bald sein würde.
»Warum nicht? Die Geschütze sollten bereit sein, und je früher es erledigt wird, desto schneller können wir das Schreckliche vergessen und nach London zurückkehren.« Pumphrey blickte Sharpe fragend an. »Aber warum sind Sie so überempfindlich? Ihr Ruf lässt nicht vermuten, dass Sie zimperlich sind.«
»Es macht mir nichts aus, Männer im Kampf zu töten«, sagte Sharpe, »aber ich konnte noch nie leiden, Frauen und Kinder abzuschlachten. Das ist zu einfach.«
»Leichte Siege sind die besten«, sagte Pumphrey, »und für gewöhnlich die billigsten. Und Sie sollten sich merken, dass Sparsamkeit das größte Wunschziel von Regierungen ist. Ich denke dabei natürlich an ihre Ausgaben, nicht an ihre Einkünfte. Wenn ein Mann in der Regierung nicht reich werden kann, verdient er nicht die Privilegien des Amtes.« Er schwang den Pinsel oben auf dem Blatt Papier, schmierte Wolken aus der grauen Aquarellfarbe. »Das Dumme ist«, sagte er, »dass ich nie weiß, wann ich aufhören soll.«
»Aufhören?«
»Mit dem Malen, Sharpe, mit dem Malen. Zu viel, und das Gemälde wird schwer. Aquarellfarbe sollte leicht sein, suggestiv, nichts anderes.« Er trat zurück und betrachtete stirnrunzelnd das Bild. »Ich finde, es ist fast so weit.«
Sharpe schaute das Gemälde an. »Ich halte es für sehr gut, Mylord.« Und das stimmte. Pumphrey hatte das fast zauberhafte Aussehen der Stadt mit seinen grünen Türmen und Kuppeln und roten Dächern wunderbar eingefangen. »Ich finde es ausgezeichnet.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sharpe.« Humphrey wirkte echt erfreut, dann erschauderte er, als der Sergeant die Männer anschnauzte, kräftiger an dem Seil zu ziehen, welches das Rohr des Mörsers anhob. Jetzt befanden sich fünfzehn Batterien am westlichen Rand der Stadt, die nächste am südlichen Kanal, während vor der Küste die britischen Bombenschiffe im Bogen gegenüber der Zitadelle und der Sixtus-Batterie ankerten, die zusammen die Hafeneinfahrt bewachten. Die dänischen Kanonenboote wurden nicht eingesetzt. In den ersten paar Tagen hatten sie bei den Schiffen der Royal Navy ernsthaften Schaden angerichtet, denn sie hatten schwerere Artillerie, doch die Errichtung britischer Küstenbatterien hatte sie vertrieben, und die Stadt befand sich jetzt wirksam in einer metallenen Umklammerung.
Ständig donnerten die großen Geschütze, aber sie waren alle dänisch, denn die Kanonen auf den Stadtmauern schossen stetig auf die nächsten britischen Batterien, doch die Geschosse schlugen in die großen Bollwerke von Faschinen - die Reisiggeflechte, die mit Erde gefüllt waren und die Geschütze und Mörser schützten. Sharpe konnte von seinem Aussichtspunkt auf der Düne sehen, dass an der Stadtmauer Rauch aufstieg. Die Kupferfarbe der Türme und das Rot der Dächer war über der Rauchwolke zu sehen. Näher zu ihm, zwischen den großen Häusern und Gärten, war die Erde zernarbt von den frisch ausgehobenen britischen Batterien. Dort brannten ein Dutzend Häuser, von den dänischen Granaten in Brand gesetzt, die über den Kanal zischten. Der Wind trieb den Rauch westwärts und ärgerte die vertäute Flotte, die die Fahrrinnen zum nördlichen Teil Kopenhagens füllten. Die Pucelle war eines der nächsten großen Schiffe, und Sharpe wartete auf die Barkasse, die heute Nacht kommen würde. Wenn die Wolken dichter wurden und den Mond verdeckten, konnten sie versuchen, in die Stadt einzudringen.
Er blickte wieder zu den Türmen und dachte an Astrid. Es war sonderbar, dass er sich nicht deutlich an ihr Gesicht erinnern konnte, aber ebenso wenig konnte er ein genaues Bild von Grace vor seinem geistigen Auge sehen. Er hatte von beiden kein Porträt.
»Die Dänen könnten jetzt kapitulieren«, sagte Pumphrey. »Es wäre das Vernünftigste für sie.« Er trug noch hellgrüne Tupfer auf die Türme der Stadt auf.
»Ich habe als Soldat eines gelernt«, sagte Sharpe, »dass die vernünftigen Dinge niemals getan werden.«
»Mein lieber Sharpe ...«, Pumphrey gab vor, beeindruckt zu sein, »... wir werden aus Ihnen noch einen Stabsoffizier machen!«
»Gott behüte, Mylord.«
»Sie mögen den Stab nicht, Sharpe?«, sagte Pumphrey.
»Was ich mag, Sir, ist eine Kompanie Schützen, die in einen richtigen Kampf gegen die Franzmänner zieht.«
»Ihr Wunsch wird zweifellos erfüllt werden.«
Sharpe schüttelte den Kopf.
»Nein, Mylord. Man mag mich nicht. Man wird mich als Quartiermeister behalten.«
»Aber Sie haben Freunde an hohen Stellen, Sharpe«, sagte Pumphrey.
»An hohen und geheimen.«
Pumphrey betrachtete kritisch sein Gemälde und wirkte unzufrieden damit. »Sir David wird Sie nicht vergessen, das kann ich Ihnen versichern, und ich nehme an, Sir Arthur wird Sie im Auge behalten.«
»Er würde mich gern verschwinden sehen, Mylord«, sagte Sharpe und konnte seine Bitterkeit nicht verbergen.
Lord Pumphrey schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, dass Sie seine übliche kühle Art gegen jedermann als eine besondere Abneigung gegen Sie missverstehen. Ich habe ihn um seine Meinung über Sie gebeten, und die war hoch, Sharpe, sehr hoch. Aber er ist ein schwieriger Mann, das gebe ich zu. Sehr distanziert, finden Sie nicht auch? Und da wir von distanziert sprechen, Lady Grace Hale war eine ziemliche entfernte Cousine. Ich bezweifle, dass es ihm auf die eine oder andere Weise etwas ausmacht.«
»Haben wir darüber gesprochen, Mylord?«
»Nein, das haben wir nicht. Und ich entschuldige mich.«
Sharpe beobachtete, wie ein Mörser auf eine Lafette gesenkt wurde. »Was ist mit Ihnen, Mylord?«, fragte er. »Was tut ein Zivilist als Adjutant für einen General?«
»Berät ihn mit gesundem Menschenverstand, Sharpe.«
»Das ist nicht üblich, oder, Mylord?«
»Gesunder Menschenverstand ist tatsächlich unüblich.«
»Ich meine, es ist nicht üblich, dass ein Zivilist einen Posten im Stab erhält.«
Lord Pumphrey erschauerte in seiner schweren Jacke, obwohl der Tag nicht besonders kalt war. »Man könnte sagen, Sharpe, dass ich ihm von Sir David aufgeschwatzt worden bin. Wussten Sie, dass er in Schwierigkeiten steckte?«
»Ich habe davon gehört, Sir.«
Bairds Karriere hatte nach Indien gelitten. Auf der Heimfahrt war er von einem französischen Kaperschiff gefangen genommen worden, und nach seiner Freilassung war er als Gouverneur zum Kap der Guten Hoffnung geschickt worden, wo er einem Untergebenen törichterweise erlaubt hatte, an einer Kaperfahrt nach Buenos Aires - einen ganzen Ozean entfernt - teilzunehmen, und dieser katastrophale Beutezug hatte zu Bairds Entlassung geführt. Er war bei einer Anklage freigesprochen worden, doch seine Ehre und sein guter Ruf waren beschädigt gewesen. »Der General«, sagte Lord Pumphrey, »hat alle Tugenden, außer Vernunft und Klugheit.«
»Und diese geben Sie ihm?«
»Der Duke of York war unklug genug, um Sir Davids Hilfe bei Lavissers abscheulichen Plan anzufordern. Wir rieten davon ab, wie Sie wissen, aber wir stellten sicher, dass jemand die Dinge im Auge behalten konnte. Ich bin dieses alles sehende Auge. Und, wie ich schon sagte, ich biete Rat an. Wir wollen keine unverantwortlichen Abenteuer mehr.«
Sharpe lächelte. »Was der Grund ist, weshalb Sie mich wieder nach Kopenhagen hineinschicken, Mylord?«
Pumphrey erwiderte das Lächeln. »Wenn Lavisser lebt, Lieutenant, wird er zwangsläufig Geschichten über den Duke of York verbreiten, und die britische Regierung in ihrer unendlichen Weisheit möchte nicht, dass die französischen Zeitungen mit geilen Geschichten von Mary Ann Clarke gefüllt sind.«
»Mary Ann Clarke?«
»Ein sehr schönes Geschöpf, Sharpe, aber leider nicht die Frau des Duke. Die Herzogin ist eine preußische Prinzessin und hat, dessen bin ich sicher, viele Verdienste, aber es scheint ihr an Miss Clarks eher schlüpfrigen Fähigkeiten zu mangeln.«
Sharpe sah zwischen zweien der Bombensegler eine Barkasse nahen. »Sie wollen also Lavissers Tod, Mylord?«
»Ich würde nie einen diesbezüglichen Befehl erteilen«, sagte Pumphrey glatt. »Ich bemerke nur, dass Sie einen Ruf haben, findig zu sein, und deshalb verlasse ich mich darauf, dass Sie tun, was nötig ist. Und darf ich Sie erinnern, dass ein paar Tausend Guineas vermisst werden? Ich hörte, dass Sie in Vygard danach gesucht haben?«
»Ich wollte sie Ihnen zurückgeben, Mylord.«
»Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass Sie das nicht tun werden, Sharpe«, sagte Pumphrey lächelnd. Er sah, wie eine Kanonenkugel von der Zitadelle kurz vor einem britischen Kanonenboot ins Meer schlug. »Da ist zufällig noch ein anderer Dienst, den Sie uns in Kopenhagen erweisen könnten. Diese Botschaft, die Sie so clever abgefangen haben - es geht dabei um mehr als das Verbrennen der Flotte, Sharpe. Da war ein Satz am Ende, dass Paris immer noch die Namensliste verlangt. Ich nehme an, das betrifft Skovgaard, meinen Sie nicht auch?«
»Ich bin mir sicher, dass dies gemeint ist.«
»Hat er Vorsichtsmaßnahmen getroffen?«
»Er glaubt es. Er denkt, Gott kümmert sich um ihn. Und mich hält er für einen Teufel.«
»Ich kann religiösen Fanatismus nicht ausstehen«, sagte Pumphrey, »aber wenden Sie sich an ihn, wenn Sie so freundlich wären. Nur, um sicher zu sein, das er noch lebt.« Pumphrey runzelte die Stirn. »Was am wichtigsten ist, Sharpe, ist nicht das Gold. Es ist weder Lavissers elendes Leben noch die Möglichkeit, dass die Pariser Zeitungen pikanten Klatsch über Miss Clark verbreiten. Wichtig ist, dass die Franzosen nicht die Identitäten von Skovgaards Korrespondenten entdecken. Es ist ein Jammer, dass sie sogar seine Identität erfahren haben, denn ich befürchte, er kann unmöglich geschützt werden, wenn wir von hier fort sind, aber wenn dieses Geschäft vorüber ist, werde ich versuchen, ihn zu überreden, nach Britannien zu ziehen.«
»Ich bezweifle, dass er das tun wird.«
»Ich glaube, dass die meisten Menschen es vorziehen, zu leben, statt zu sterben«, sagte Lord Pumphrey, dann trat er einen Schritt zurück, um sein Gemälde zu betrachten. Er schüttelte enttäuscht den Kopf, legte den Pinsel ab, leerte den Wasserbecher und schloss die Malkiste. »Es wäre traurig, Skovgaards Dienste zu verlieren, aber zweifellos kann ein anderer gefunden werden, der Botschaften empfängt. Meinen Sie, das ist Ihre Barkasse? Dann könnte ich Ihnen Spaß bei Ihrer Jagd in Kopenhagen wünschen?« Pumphrey gab Sharpe die Hand.
»Gibt es eine Belohnung nach erfolgreicher Jagd, Mylord?«, fragte Sharpe.
»Das Gold reicht nicht? Dann wird Ihre Belohnung die Freude sein, dass Sie Ihr Opfer geschnappt haben.«
»Ich bin es leid, Quartiermeister zu sein, Mylord.«
»Ah! Sie denken an Ihre Karriere!« Pumphrey lächelte. »Mal sehen, was ich Ihnen anbieten kann, Sharpe, obwohl es Ihnen möglicherweise nicht gefallen wird.«
»Nicht gefallen?«, fragte Sharpe verwundert.
»Nachdem Sie Harwich verlassen haben, Sharpe«, sagte Lord Pumphrey mit offensichtlichem Vergnügen, »und bevor wir an Bord eines äußerst unbehaglichen Schiffs gingen, kam ein sonderbarer Bericht aus London. Ein schockierender Mord, ausgerechnet in Wapping. Eigentlich nichts Besonderes daran, wenn nicht ein Dutzend Zeugen dieses Verbrechens geschworen hätten, dass der Täter ein Armeeoffizier war. Wie finden Sie das, Sharpe?« Er wartete auf eine Antwort, doch Sharpe schwieg. Pumphrey zuckte mit den Schultern. »Kümmern Sie sich um meinen unbedeutenden Botengang, Sharpe, und ich werde sicherstellen, dass Sie ein Armeeoffizier bleiben, wenn auch ein verachteter Quartiermeister. Was den Quartiermeister anbetrifft, nun, ich bin mir sicher, dass zu gegebener Zeit Ihre Verdienste Sie über diesen Posten weit erheben werden und ich Ihre Karriere mit Stolz verfolgen kann, in dem Wissen, dass ich Sie in einer Krisenzeit erhalten habe. Und ich verspreche Ihnen, dass ich mein Bestes tun werde, um Ihre Interessen zu fördern.« Er blickte zum Himmel. »Es bewölkt sich sehr gut. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen nicht zum Abschied winke. Ich könnte mir eine Erkältung holen, wenn ich hierbliebe.«
»Mylord ...«, begann Sharpe.
Pumphrey hob eine Hand und brachte ihn zum Verstummen. Dann klappte er seine Staffelei zusammen und nahm die Malkiste. »Der Mann in Wapping war enthauptet, heißt es, es wurde ihm der Kopf abgeschlagen. Richten Sie John Lavisser meine Grüße aus, ja?« Dann ging er davon.
Bastard, dachte Sharpe. Er mochte ihn trotzdem. Dann wandte er sich ab und ging zu dem Boot. Midshipman Collier hatte das Kommando. Er war seit Trafalgar gewachsen und jetzt ein junger Mann, dessen Lächeln Freude zeigte, Sharpe wiederzusehen. »Wir wussten, dass auf uns dreckige Arbeit wartet, als wir hörten, dass Sie kommen. Sie erinnern sich an Hopper?«
»Hopper ist unvergesslich«, sagte Sharpe und grinste den Bootsmann der Crew an, der seine Stirnlocke wegstrich. »Und Clouter!« Sharpe entdecke den riesigen Schwarzen, dessen rechte Hand jetzt nur noch zwei Finger hatte, eine Erinnerung an Trafalgar. »Wie geht es Ihnen, Clouter?«
»Prima, Sir.«
»Sollen wir?«, fragte Collier.
Sharpe beobachtete, wie Lord Pumphrey sich einen Weg über die Dünen suchte.
Jetzt musste er also wieder in die Stadt gehen und einen Mord begehen.
Und das Gold finden. Und nach Astrid suchen. Diese letzte Aufgabe schien die wichtigste zu sein.
Immer noch verwirrt, stieg er in das Boot.