KAPITEL 9
Die Barkasse brachte Sharpe statt zur Pucelle nur zur Vesuvius, einem Bombenschiff, das viel näher an der Hafenmündung ankerte. Captain Chase wartete an Bord, augenscheinlich zur Besorgnis des Kapitäns, einem Lieutenant, der gewaltigen Respekt vor einem echten Post Captain an Bord seines Schiffes hatte. Sharpe und Collier als Offizieren wurde mit dem Pfeifen die Erlaubnis erteilt, an Bord des Bombenschiffes zu gehen.
»Ich dachte, wir verbringen den Tag hier, Sharpe«, erklärte Chase. »Ich schicke meine Crew in die Stadt mit Ihnen, und es ist viel näher von hier aus zu segeln als von der Pucelle aus. Ich habe Abendessen mitgebracht.«
»Und Waffen, Sir?«
»Hopper hat Ihr Arsenal.«
Sharpe hatte noch das Gewehr, dass er in Köge geliehen hatte, aber er hatte Chase um weitere Waffen gebeten, und Hopper hatte sie von der Pucelle mitgebracht. Da waren ein schweres Entermesser, zwei Pistolen und eine der massiven siebenläufigen Waffen, die Sharpe bei Trafalgar benutzt hatte. Es war eine Marine-Waffe von atemberaubender Grausamkeit und beschränkter Nützlichkeit. Die sieben Läufe, jeder mit einem halben Zoll Durchmesser, konnten zusammen abgefeuert werden, doch die Waffe, die entwickelt worden war, um von der Takelage hinab auf ein feindliches Deck zu feuern, konnte nur in einer halben Ewigkeit geladen werden. Trotzdem war sie, einmal und richtig eingesetzt, verheerend.
Sharpe hängte die schwere Waffe neben dem Gewehr an seine Schulter und schnallte das Entermesser an die Hüfte. »Gut, wieder eine richtige Klinge zu haben. Sie kommen also mit in die Stadt, Hopper?«
»Der Captain wollte die Besten, Sir«, sagte Hopper, dann zögerte er. »Die Jungs und ich, Sir ...«
»Ihr seid die Besten«, sagte Sharpe.
»Nein, Sir.« Hopper schüttelte den Kopf, um anzuzeigen, dass Sharpe ihn missverstanden hatte. Er war ein großer Mann mit einem geteerten Pferdeschwanz und vielen Tätowierungen. »Ich und die Jungs, Sir«, sagte er und wich Sharpes Blick aus. »Wir wollten sagen, wie leid es uns tut, Sir. Sie war eine richtige Lady.«
»Das war sie.« Sharpe lächelte, gerührt bei diesen Worten. »Ich danke euch, Hopper.«
»Sie wollten Ihnen ein Geschenk für Ihr Kind schicken«, erzählte ihm Chase bald darauf, als die beiden Männer in der kleinen Achterkabine allein waren. »Sie machten ein Kinderbettchen aus einer der Planken der Pucelle, die bei Trafalgar zu Bruch gingen. Sie haben es in der Kombüse verbrannt, als sie vom Tod Ihrer Frau erfuhren. Es waren traurige Tage für uns alle, Richard.« Er musterte Sharpe. »Sind Sie für heute Nacht bereit?«
»Jawohl, Sir.«
»Der junge Collier hat das Kommando über den Landungstrupp«, sagte Chase. »Ich wollte selbst mitgehen, aber der Admiral hat es nicht genehmigt. Der Witzbold sagte, ich sei zu wertvoll!«
»Er hat recht, Sir.«
»Er ist ein widerlicher Langweiler, Richard, der das Kommando über eine kleine Kirchengemeinde haben sollte, statt über eine Flotte. Aber Collier versteht sein Geschäft.«
Sharpe zweifelte, dass ein so junger und unerfahrener Offizier das Kommando über den Landungstrupp haben sollte, doch Chase war da ganz zuversichtlich, dass Collier das meistern würde. Die Männer sollten - wenn sie an Land waren - im inneren Hafen an Bord eines Schiffes gehen. Egal auf welches, meinte Chase, und wenn sie erst sicher an Bord waren, würden sie sich auf den unteren Decks verstecken.
»Die Schiffe sind bestimmt vorübergehend außer Dienst gestellt«, erklärte Chase, »was bedeutet, dass niemand außer ein paar Jungs zum Anzünden der Lunten an Bord sind, und Sie können einen Zehn-Jahres-Sold gegen einen Viertelpenny wetten, dass sie es sich in den Offiziersquartieren gemütlich machen. Colliers Jungs können unten warten, und das einzige Risiko besteht darin, dass die Dänen irgendeine Arbeit an Bord erledigen. Ein Zimmermann unten im Schiff, und wir müssen mit dem Halsabschneiden anfangen.«
»Wann schneiden wir die Lunten durch?«, fragte Sharpe.
»Collier wird den richtigen Zeitpunkt abschätzen«, sagte Chase, und die sorglose Antwort beunruhigte Sharpe, obwohl es ihn nichts anging. Er würde in der Stadt Lavisser jagen, während das Durchschneiden der Lunten auf den Schiffen der dänischen Flotte unter die Verantwortung von Collier fiel. Abermals fragte sich Sharpe, ob der junge Midshipman tatsächlich der richtige Mann für die Aufgabe war, doch Chase ließ keine Zweifel zu. »Er wird seine Sache ausgezeichnet machen, Sharpe, einfach hervorragend. Wie wäre es jetzt mit etwas zu essen? Ich habe Filets, Zunge und Hog's Pudding.«
»Hog's Pudding?«
»Eine scharf gewürzte Schweinswurst. Eine Spezialität aus Devonshire, Sharpe, wirklich klasse! Ich liebe Hog's Pudding.«
Sharpe schlief an diesem Nachmittag, wurde vom leichten Seegang in Träume gewiegt. Als er aufwachte, dämmerte regnerisch der Abend, und das Schiff war von Leben erfüllt, von Rufen, dem Knarren einer Ankerwinde und den Schritten von Männern. Das Schiff wurde anscheinend ausgerichtet. Die beiden Mörser im Bauch der Vesuvius wurden vorbereitet. Um damit zu zielen, musste das ganze Schiff auf das Ziel gerichtet werden, und das wurde erreicht, indem die Kabel von vier Ankern gespannt oder gelockert wurden, die das Schiff wie in einem gespannten Netz hielten. Ein Midshipman gab Kommandos.
»Das müssen sie zweimal pro Tag tun«, sagte Chase. »Die Strömung bewirkt das.«
»Worauf zielen sie?«
»Auf diese große Festung.« Chase wies zur Zitadelle, die jenseits des kleinen Angler-Piers aufragte, auf dem Sharpe in dieser Nacht zu landen hoffte. »Sie werden die Bomben direkt in ihren Schlund feuern. Sollen wird die Zunge zum Abendessen zubereiten? Dann können Sie um Mitternacht aufbrechen.«
Die Barkasse wurde vorbereitet. Die Dollenstifte wurden eingefettet, damit sie nicht quietschten, und die Drehdollen, in denen die Riemen ruhten, wurden in Tücher gehüllt, während der Rumpf und die Ruder mit Stockholmer Teer schwarz angestrichen wurden. Die Crew der Barkasse sah wie Piraten aus, behängt mit Waffen und alle schwarz gekleidet. Ein dänischer Seemann von der Backbordwache der Pucelle war zum Ehrenmitglied der Barkassenmannschaft für die Mission ernannt worden.
»Können Sie dem Mann vertrauen?«, fragte Sharpe Chase.
»Für den lege ich die Hand ins Feuer, Richard. Er ist länger auf der Pucelle als ich. Und Collier braucht jemanden, der die Sprache spricht.«
Der Abend brach herein. Die Wolken machten ihn völlig dunkel, so finster, dass Sharpe sich fragte, wie die Barkasse den Weg in die Hafenmündung finden würde, aber Chase beruhigte ihn. Er wies zu einer fernen Laterne, die hellblau glühte.
»Die hängt an der Rahnock der Pucelle, und wir hängen eine andere Laterne an den Fockmast der Vesuvius, und solange der junge Collier die beiden bläulichen Lichter in einer Linie hält, fährt er schnurgerade.« Er schwieg kurz. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Richard, wenn ich bei Ihrer Abfahrt nicht anwesend bin? Ich fühle mich irgendwie krank, muss mir den Magen verdorben haben. Ich brauche Schlaf. Fühlen Sie sich gut?«
»Sehr gut.«
»Ich wünsche Ihnen Spaß, Richard«, sagte Chase, klopfte ihm auf die Schulter und ging nach achtern.
Es war ein sonderbar abrupter Abschied, und es war ebenso merkwürdig, dass Chase schlafen würde, wenn die Barkassen-Crew aufbrach. Sharpe nahm an, dass Chases Krankheit mehr mit Nervosität als mit verdorbenem Magen zu tun hatte.
Sharpe war selbst nervös. Er war im Begriff, in eine feindliche Festung einzudringen, und das mit einer Barkasse, auf der es kein Versteck gab, sollten sie entdeckt werden. Er sah, wie Chase nach achtern zu den Quartieren verschwand, dann ging er zu Hopper und seinen Männern, die auf dem Deck Messer und Entermesser schärften.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Collier das Einsteigen befahl, und es dauerte lange, bis sich all die Männer mit ihren Waffen und Taschen mit Proviant und Wasserschläuchen ihren Platz in der nach Teer stinkenden Barkasse eingenommen hatten.
Die Männer waren sonderbar aufgeregt, fast ausgelassen, und als einige kicherten, schnaubte Collier sie an, still zu sein. Dann überprüfte er, dass keiner seine Waffe geladen hatte, denn er befürchtete, dass sich zufällig eine Pistole oder Muskete entladen könnte.
Regen hatte eingesetzt. Er war nicht stark, mehr ein ständiges Nieseln, das in Sharpes aufgestellten Kragen sickerte.
Die Barkasse war überladen. Normalerweise war sie für eine Last von einem Dutzend Personen vorgesehen, jetzt waren es fünfzehn. Sie waren über die von der Stadt abgewandten Seite der Vesuvius an Bord gegangen, und auf Colliers Befehl hin ruderten die Männer jetzt, um von dem Bombenschiff loszukommen. Die Riemen bewegten sich leise mit den Drehdollen, und als sie ein paar Meter von der Vesuvius entfernt waren, befahl Collier, das Rudern einzustellen.
»Die Strömung wird uns reinbringen«, flüsterte er Sharpe zu. Das Flüstern war nicht nötig, denn sie waren immer noch über eine halbe Meile von der Küste entfernt, fühlten sich jedoch schon verwundbar.
Die Barkasse trieb. Dann und wann wurde kurz gerudert, um den Kurs auf einer Linie mit den beiden hellblauen Laternen zu korrigieren. Das Blau war sehr blass, und Sharpe staunte darüber, dass die Männer diese beiden Lichter von all den anderen der Flotte unterscheiden konnten. Die meiste Zeit verhielt sich die Mannschaft leise und lauschte auf Knarren und Platschen, das die Anwesenheit eines dänischen Wachboots verraten könnte. Mindestens ein feindliches Boot musste bei der Hafensperre patrouillieren, um solch ein Eindringen wie jetzt von der dunkel angestrichenen Barkasse der Pucelle zu verhindern.
Ein paar Lichter brannten in der Stadt und spiegelten sich länglich und zittrig in der schwarzen Wasseroberfläche. Kalter Wind blies von Osten und warf kleine Wellen gegen die Barkasse.
Sharpe fröstelte es. Er konnte den Hafen jetzt riechen, der von all dem Abfall an den langen Kais stank. Auf der Mauer der Zitadelle leuchtete eine kleine Flamme auf und erstarb. Sharpe nahm an, dass sich ein Wachtposten eine Pfeife angezündet hatte. Er wandte sich um und blickte zu den Laternen der britischen Flotte. Das Licht wirkte jetzt sehr weit entfernt, verschwommen im Regen. Plötzlich war vom Bug der Barkasse ein Zischen zu hören, und jeder erstarrte. Sharpe nahm ein Platschen und das leise Quietschen einer Riemendolle wahr.
Ein feindliches Wachboot war nahe, und Sharpe wartete und wagte kaum zu atmen, doch das nächste Platschen war schon schwächer. Er glaubte kurz, weißes Wasser, von einem Riemen aufgewühlt, zu sehen, war sich jedoch nicht sicher. Collier und seine Männer duckten sich tief, als könnten sie sich vor dem patrouillierenden Feind in der Dunkelheit auf der Wasseroberfläche der See verstecken.
Ein rötliches Glühen war jetzt oberhalb der Mauern der Zitadelle zu sehen, der Widerschein von Laternenlicht im Hof. Die Barkasse trieb jetzt schneller, getragen von der starken Strömung. Sharpe konnte den Pier nicht sehen. Er versuchte, nicht an die dänischen Geschütze in den Schießscharten oberhalb von ihm zu denken. Ein einziger Schuss mit Kartätschenmunition konnte die Barkasse in blutige Trümmer verwandeln. Die ersten der Stadtglocken schlugen ein Uhr.
Dann prallte die Barkasse auf ein Hindernis. Sharpe klammerte sich am Dollbord fest, das klebrig vom Teer war. Sein erster Gedanke war, dass sie gegen einen Baum getrieben worden waren, dann erkannte er, dass die Männer am Bug aus der Barkasse stiegen. Sie hatten den Pier erreicht, haargenau geführt von den bläulichen Laternen. Er hörte, wie die Schweren Proviant- und Munitionstaschen aufwärts gehievt wurden.
»Wir lassen das Boot einfach hier«, flüsterte Collier. »Soll es wegtreiben.«
Sharpe ertastete sich den Weg vorwärts, dann kletterte er unbeholfen die hölzerne Leiter hinauf, die nach Fisch roch. »Wohin jetzt, Richard?«, fragte eine leise Stimme.
Sharpe wandte sich erstaunt um. »Sie?«
»Pst.« Captain Chase grinste in der Dunkelheit. »Admiral Gambier denkt, ich sei krank, aber ich konnte doch unmöglich meine Jungs sich selbst überlassen.« Seine Jungs grinsten alle. Sie hatten gewusst, dass der Captain mitkam, das war der Grund gewesen, weshalb sie alle so übermütig gewesen waren, nachdem sie die Vesuvius verlassen hatten. »Also, wohin, Richard?«, fragte Chase.
»Sie sollten nicht hier sein, Sir«, sagte Sharpe.
»Sie auch nicht, um Gottes willen. Außerdem ist es ein bisschen spät, mir das zu sagen, meinen Sie nicht auch?« Chase trug seine Uniform, legte jetzt jedoch einen Bootsmantel über seine Schultern. »Richard, übernehmen Sie die Führung.«
Sharpe führte sie über den Pier, stets der riesigen Geschütze bewusst, die keine hundert Schritte entfernt waren, und dann nach links über den Pfad, auf dem er mit Astrid spaziert war. Ihre Schritte wirkten laut. Dann, keine zwanzig Schritte vom Pier entfernt, wurden sie vom Park aus, wo eine Batterie von Feldgeschützen hinter Faschinen aufgestellt war, angerufen.
Chases dänischer Seemann antwortete. Es folgte ein kurzes Lachen aus der Dunkelheit, dann weiter dänische Worte. Die anderen Seeleute waren stehen geblieben, die Hände auf den Waffen, doch der Ton des Wortwechsels war beruhigend, und Chase führte sie weiter.
»Was haben Sie ihm gesagt?«, fragte Chase, als die Batterie hinter ihnen lag.
»Die Wahrheit«, sagte Chases Mann. »Dass wir britische Matrosen sind, die gekommen sind, um die Flotte zu erbeuten.«
»Das haben Sie gesagt?« Chase klang alarmiert.
»Meine Mutter sagte, ich komme in die Hölle, wenn ich lüge, Sir. Dann habe ich ihm erzählt, unser Boot hätte ein Leck und wir spazierten zurück. Er denkt, wir sind die Wachboot-Crew.«
Chase lachte. Die Lampen in der Stadt gaben gerade genug Licht ab, um einen fahlen Schein auf die Straße neben dem Hafenkai zu werfen, der mit Fässern und aufgestapeltem Proviant für eine Belagerung gefüllt war. »Kommt Ihnen das ebenfalls verdammt seltsam vor, Richard?«, fragte Chase.
»Jawohl, Sir.«
»Mein Gott, wir sind in einer feindlichen Festung!« Chase spähte in Gassen, sichtlich enttäuscht, dass es dort so wenig zu sehen gab. Die Stadt schien zu schlafen. Nicht nur die Zivilisten, sondern auch die Garnison. Das wirkt alles so unschuldig hier, dachte Sharpe. Kopenhagen mochte belagert sein, doch die Stadt wollte ihr normales Leben weiterführen. Niemand wollte Krieg, und Sharpe spürte, dass die Leute glaubten, das Unheil würde vorübergehen, wenn sie es ignorierten. Dänemark wollte nur in Frieden gelassen werden, während Europa verrückt wurde, aber die Dänen hatten Schiffe, und so wurden sie in den Krieg hineingezogen, ob ihnen das gefiel oder nicht.
Sie passierten Schloss Amalienborg. Es mussten dort Posten stehen, doch niemand rief die Männergruppe an, deren Schritte von den Schlosswänden widerhallten. Irgendwo miaute eine Katze, und Ratten huschten durch die Dunkelheit. Am Kai, der nach dem Aufbruch des Kronprinzen nach Holstein fast leer gewesen war, lagen viele vertäute Schiffe, die meisten davon Handelsschiffe, die Zuflucht vor der britischen Flotte gesucht hatten. Der Wind peitschte den anhaltenden Regen durch ihre Takelagen.
»Ich denke, ich sollte aufwachen und begreifen, dass dies ein Traum ist«, sagte Chase.
»Wir sind noch nicht im inneren Hafen«, warnte Sharpe.
Gewiss würden die Dänen ihre Flotte bewachen. Es war ein Gewirr von Masten und Segeln in der Dunkelheit, schwach erhellt von einem Kanonenofen, der vor einem Wachhaus glühte, das nahe bei zwei halb fertigen Schiffen auf den Hellingen stand. Sharpe nahm jedenfalls an, dass es sich um ein Wachhaus handelte, denn es war eine kleine überdachte Kabine für einen Posten, doch die Kabine war leer.
Chase führte sie über den Kai, der den inneren und äußeren Hafen trennte. Es war plötzlich alles lächerlich einfach. Die Dänen hatte ihre Flotte in das Hafenbecken »gepackt«, Bord an Bord, und die Buge ihrer Linienschiffe berührten den Kai, sodass ihre Bugspriete über den Kai ragte. Chase wies auf das erste der Schiffe, und seine Männer kletterten geschickt in das Tauwerk des Bugspriets aufs Vordeck. Dann verschwand einer nach dem anderen an Bord. Sharpe wartete, bis das letzte Gepäckstück durchgereicht worden war und folgte dann etwas schwerfälliger.
Das Schiff war so dunkel wie eine Gruft. Niemand rief sie an. Sie tasteten sich Niedergänge hinab bis zum leeren untersten Deck, und dort warteten sie wie Diebe in der Nacht.
General Peymann schaute auf den Brief, den zwei britische Offiziere unter einer Parlamentärsflagge in die Stadt gebracht hatten. Die Offiziere warteten außerhalb vor den Stadttoren auf eine Antwort.
Der Brief war auf Englisch geschrieben, und der General beherrschte diese Sprache nicht gut genug, um die komplizierten diplomatischen Höflichkeiten zu verstehen, und so gab er den Brief Lavisser. »Vielleicht übersetzen Sie mir, Major?«
Lavisser las die Übersetzung laut. Er beeilte sich bei den blumigen Komplimenten und wurde langsamer, als er zu dem kam, was wenig mehr als eine Aufforderung zur Kapitulation der Stadt war. »›Wir, die Unterzeichner, wenn in diesem Moment unsere Truppen vor Ihren Toren stehen und unsere Batterien bereit sind, das Feuer zu eröffnen, erneuern hiermit die gleichen vorteilhaften und versöhnlichen Bedingungen, die Ihnen durch die Minister seiner Majestät unterbreitet worden sind.‹ Das ist nichts Neues, Sir«, bemerkte Lavisser. »›Wenn Sie die dänische Flotte übergeben, wird sie für Seine Dänische Majestät in Obhut genommen und restauriert. Seine Dänische Majestät wird sie mit aller Ausrüstung in einem guten Zustand zurückerhalten, sobald die allgemeinen Bedingungen des Friedensvertrages die Notwendigkeit beseitigt haben, die der Grund für diese Forderung ist.‹ Es ist sowohl von Admiral Gambier als auch von General Cathcart unterschrieben, Sir«, sagte Lavisser und legte den Brief auf den Tisch.
Peymann saß an dem Tisch und blickte finster darauf. »Sie sagen nichts über die Bombardierung der Stadt?«
»Nicht direkt, Sir.«
»Aber werden sie bombardieren?«, wollte Peymann wissen.
»Das werden sie nicht wagen!«, antwortete ein anderer Adjutant. »Sie werden sich den Zorn von ganz Europa zuziehen.«
»Aber wenn sie es tun«, warf ein dritter Adjutant ein, »müssen wir es ertragen. Die Feuerwehren sind bereit.«
»Welche Feuerwehren?«, fragte Lavisser sarkastisch. »Es gibt nur sieben Löschspritzen in der ganzen Stadt.«
»Sieben? Nur sieben?« Peymann klang alarmiert.
»Zwei sind in der Reparatur, Sir.«
»Sieben reichen nicht!«
»Verbrennen Sie die Flotte«, schlug Lavisser vor. »Wenn die Engländer sehen, dass ihre Prisen in Rauch und Flammen aufgegangen ist, werden sie von hier verschwinden.«
»Wir sind hier, um die Flotte zu beschützen«, sagte Peymann. »Wir werden sie verbrennen, wenn wir das müssen, aber erst im allerletzten Moment.« Er seufzte, dann wies er einen Schreiber an, eine Antwort auf die britische Forderung zu schreiben. »Meine Lords«, diktierte er. Dann dachte er einen Moment nach. »Wir sind unverändert überzeugt davon, dass unsere Flotte, unser eigener, unstrittiger Besitz, so sicher in den Händen Seiner Dänischen Majestät ist, wie sie es in denen des Königs von England jemals sein kann.« Das fand er sehr gut formuliert. Sollte er die Möglichkeit einer Bombardierung erwähnen? Er sagte sich, dass er zum Ausgleich versuchen sollte, an das britische Gewissen zu appellieren. »Unser Herr hat nie irgendwelche Feindseligkeiten gegen Ihr Volk beabsichtigt«, fuhr er fort, »und wenn Sie so grausam sind, zu versuchen, eine Stadt zu zerstören, die Ihnen nicht den geringsten Anlass dafür gegeben hat, so muss sie sich ihrem Schicksal fügen.« Er schaute dem Schreiber zu. »Sie werden nicht bombardieren«, murmelte er im Selbstgespräch. »Das werden sie nicht tun.«
»Das können sie nicht«, stimmte ein Adjutant zu.
»Es wird eine Belagerung geben, dessen bin ich mir sicher«, sagte Peymann und hoffte, dass er recht hatte.
Eine Belagerung würde das Letzte sein, was Chase und seine Männer wünschten, denn dann mussten sie sich verbergen, bis die Stadt kapitulierte, und selbst der stets optimistische Chase glaubte nicht an das Glück, dass sie eine Belagerung von Wochen oder Monaten durchhalten konnten. Chase hatte es nur gewagt, in die Stadt zu gehen, weil er geglaubt hatte, dass die dänische Kapitulation schnell kommen würde, wenn die Mörser mit ihrem Werk begannen.
»Wohlgemerkt«, sagte er zu Sharpe am Morgen, »wir müssten hier vermutlich monatelang leben. Die Laderäume sind voller Salzfleisch. Es gibt sogar einige Fässer Wasser. Ein bisschen schal, ja, aber nichts Schlimmeres, als wir für gewöhnlich trinken.«
Die Dämmerung hatte enthüllt, dass sie an Bord des größten Schiffes der dänischen Flotte waren, der Christian VII., einem Linienschiff mit 96 Geschützen.
»Sie ist fast neu«, berichtete Chase Sharpe, »und wunderbar gebaut. Einfach wunderbar.« Das Schiff war von seiner Mannschaft, Geschützen und Munition geleert worden, doch große Bündel Brandbeschleuniger waren auf den Decks platziert, und die Lunten führten zum Vorderdeck hinauf. Es waren keine Dänen an Bord, doch am Nachmittag, als die meisten von Chases Männern schliefen, war das Stampfen von Schritten zu hören. Die Männer versteckten sich im vorderen Magazin und nahmen ihre Waffen in die Hände, während ein alarmierter Chase einen Finger auf die Lippen legte.
Die Schritte näherten sich vom Deck unmittelbar über ihnen. Es schienen die Schritte von zwei Personen zu sein, die vielleicht die Lunten oder sonst was überprüfen wollten, doch dann lachte einer von den beiden Eindringlingen und sang eine Zeile eines Liebeslieds. Es war eine Frauenstimme, und einen Moment später wurde aus weiteren Geräuschen klar, warum das Paar an Bord gekommen war.
»Wenn sie so hart kämpfen, wie sie vögeln ...«, flüsterte Collier, aber Chase gebot ihm Schweigen.
Das Paar verließ schließlich befriedigt das Schiff, und Chases Männer aßen Brot und Hog's Pudding.
»Florence hat mir diese Spezialität geschickt«, sagte Chase, »und sie schreibt, dass sie von unseren eigenen Schweinen gemacht ist. Köstlich, wie?« Er schnitt eine weitere Scheibe von dem blassen, fetten Würstchen ab und sah Sharpe an. »Was haben Sie also vor, Richard?«
»Ich muss einen Mann jagen«, sagte Sharpe. Und eine Frau wiedersehen, fügte er in Gedanken hinzu. Er war versucht gewesen, am Tag zum Ulfedts Plads zu gehen, doch die Vorsicht hatte ihn gemahnt, bis zur Dunkelheit zu warten.
Chase dachte einen Moment darüber nach. »Warum warten Sie nicht, bis die Stadt kapituliert?«
»Weil er dann in seinem Versteck sein wird, Sir. Ich werde heute Abend sicher genug sein.« Besonders, dachte Sharpe, wenn die Bombardierung beginnt.
Chase lächelte. »Sicher?«
»Wenn der Beschuss beginnt, Sir, könnten Sie pudelnackt durch das Stadtzentrum marschieren und niemand würde davon Notiz nehmen.«
»Wenn sie bombardieren«, sagte Chase. »Vielleicht kommen die Dänen zur Vernunft. Vielleicht ergeben sie sich.«
»Ich hoffe es«, sagte Sharpe inbrünstig. In Wirklichkeit befürchtete er, dass die Dänen stur sein würden. Ihr Stolz stand auf dem Spiel, und vielleicht glaubten sie auch nicht wirklich, dass die Briten ihre Mörser und Haubitzen einsetzen würden.
An diesem Nachmittag kam die Sonne hervor. Sie trocknete die vom Regen nasse Stadt, glänzte auf den grünen Kupferdächern und warf verschleierte Schatten vom Rauch über den dänischen Geschützen. Diese Geschütze hatten den ganzen Tag gehämmert und waren ins Erdreich und die Faschinen bei den britischen Batterien eingeschlagen. Die großen Marine-Geschütze, von den jetzt leeren Schiffen im Hafenbecken gebracht, waren en barbette aufgestellt, das heißt, dass es nicht genügend Schießscharten gab, um sie zu schützen, so feuerten sie direkt von der Brustwehr der Stadtmauer, und britische Artillerieoffiziere beobachteten diese Geschütze durch ihre Fernrohre. Geschütze en barbette waren leicht zu zerstören.
Die britischen Mörser saßen in ihren Bettungen. Die Lunten ihrer Geschosse waren bereits geschnitten. Es fehlte nur noch die Entscheidung, sie zu benutzen.
Die Sonne sank über Seeland und entflammte den Himmel. Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf eine dänische Flagge mit dem weißen Kreuz, die am höchsten Kran der Stadt hing. Die Flagge schien zu glühen, dann hüllte der Schatten der Erde sie ein, und ein Tag legte sich schlafen. Die dänischen Geschütze verstummten, und ihr Rauch löste sich langsam auf, als er westwärts trieb. In der Kirche Unseres Erretters, deren Außentreppe sich um ihren Turm wand, bat ein Prediger Gott, die Stadt zu verschonen und General Peymann mit Weisheit zu erfüllen.
General Peymann, der nichts von den Gebeten wusste, saß beim Abendessen und ließ sich die Sardinen schmecken. Drei Babys, an diesem Tag in der Klinik geboren, die zwischen Bredgade und Amaliengade lag, schliefen selig. Eine ihrer Mütter hatte das Fieber, und die Ärzte hüllten sie in Flanell und flößten ihr eine Mischung aus Brandy und Schießpulver ein. Weiterer Brandy und Fässer Aquavit wurden in den Tavernen der Stadt getrunken.
Die Kneipen waren voller Marinesoldaten, die keinen Dienst auf den Mauern hatten. Die sieben Feuerwehrwagen, große Metalltanks auf vierrädrigen Karren mit gewaltigen Pumpen obendrauf, stand wartend an Straßenecken.
Eine andere Gebetsversammlung, diesmal in Holmanns Kirche, bat flehentlich, dass die Feuerwehr nicht benötigt werden würde, während im Arsenal in Tojhusgade die letzten aufpolierten Musketen den neuen Freiwilligen der Miliz ausgehändigt wurden. Wenn die Briten eine Bresche schossen und die Stadt angriffen, dann würden diese Brauereiarbeiter und Angestellten, Zimmerleute und Maurer ihre Heime verteidigen müssen.
In Toldboden, in einem kleinen Laden neben dem Zollhaus-Kai, arbeitete ein Tätowierer am Rücken eines Matrosen, tätowierte ein kompliziertes Bild vom britischen Löwen, der von dänischen Seeleuten ertränkt wurde.
»Es gibt Regeln des Krieges«, sagte General Peymann zu seinen Gästen beim Abendessen, »und die Briten sind eine christliche Nation.«
»Das sind sie, das sind sie«, stimmte der Universitätskaplan zu, »aber sie sind auch ein sehr streitlustiges Volk.«
»Aber sie werden nicht Frauen und Kinder wie Kombattanten behandeln«, sagte Peymann. »Keine christlichen Frauen und Kinder. Und dies ist das neunzehnte Jahrhundert. Nicht das Mittelalter!«
»Dies sind feine Sardinen«, sagte der Kaplan, »die haben Sie wohl von Dragsteds bekommen?«
In fünfzehn britischen Batterien und an Bord von sechzehn Bombenschiffen und in zehn Barkassen, die besonders ausgestattet worden waren, um kleine Mörser zu transportieren, schauten die Offiziere auf ihre Uhren. Raketen wurden neben den Batterien an Land aufgestellt. Es war noch nicht ganz dunkel, doch dunkel genug, um die Batterien für die Zuschauer auf der Stadtmauer, die nur die schweren Faschinen sahen, welche die Geschütze verbargen, unsichtbar machten.
Die Wolkendecke riss auf, und die ersten Sterne waren über der Stadt zu sehen.
Ein Luntenstock glühte rot in einer Batterie an der Front.
»Sie drohen, sich abscheulich zu verhalten«, behauptete General Peymann, »und hoffen, dass wir die Drohung ernst nehmen. Aber gesunder Menschenverstand und Humanität werden und müssen die Oberhand behalten.«
»Ja, christliches Denken und Handeln muss gewinnen«, sagte der Kaplan. »Ein direkter Angriff auf Zivilisten wäre ein Angriff gegen Gott selbst. Ist das Donner? Und ich dachte, es klart auf.«
Niemand antwortete. Es hatte wie Donner geklungen, doch Peymann wusste es besser. Ein Geschütz hatte gefeuert, weit entfernt, und das Krachen war das eines großkalibrigen Mörsers gewesen. »Gott helfe uns«, sagte der General leise in die Stille am Tisch.
Die erste Bombe stieg im Bogen aufwärts, und die brennende Lunte zog eine dünne rote Linie von Funken und eine Spur von Rauch hinter sich her. Es war wie ein Signal. Vom gesamten westlichen Rand und von den vertäuten Booten donnerte es, als die anderen Mörser feuerten. Haubitzen schickten ihre Geschosse hinterher.
Die Kanoniere luden nach. Die ersten Bomben wirkten wie Sternschnuppen. Dann, als sie zu fallen begannen, überschnitten sich ihre Spuren am dunklen Himmel.
Gott hatte keine Gnade walten lassen, die Briten besaßen keine und Kopenhagen musste leiden.
Die erste Bombe durchschlug ein Dach mit einer Kaskade von zersplitterten Ziegeln, brach durch eine vergipste Decke und blieb einen Augenblick mit brennender Lunte liegen. Dann rollte sie rauchend die Treppe hinunter bis zum nächsten Absatz. Niemand hielt sich in dem Haus auf.
Einen Moment hatte es den Anschein, als würde das Geschoss nicht explodieren. Die Lunte brannte ein Loch in den hölzernen Stöpsel, und der Rauch verflüchtigte sich. Gipsstückchen fielen von der zerschmetterten Decke. Die Bombe, eine schwarze Kugel von 13 Zoll, lag einfach da und die Lunte brannte noch, fraß sich durch den letzten Zoll Salpeter, Schwefel und Pulver, bis der Funke an die Ladung gelangte, und die Bombe das oberste Stockwerk auseinanderriss. Genau in dem Augenblick, in dem die anderen Bomben der ersten Salve in die Straßen in der Nähe einschlugen.
Ein siebenjähriges Mädchen, das wegen Kicherns beim Abendgebet der Familie ohne Essen ins Bett geschickt worden war, war der erste Bewohner der Stadt, der sterben musste, zerschmettert von einem Mörsergeschoss, das durch das Schlafzimmerfenster schlug.
Die ersten Brände begannen.
Zweiundachtzig Mörser feuerten. Ihre Reichweite war durch die Pulvermenge in der Ladung eingerichtet, und die Kanoniere hatten die Abschüsse der verschiedenen Batterien so abgestimmt, dass die Bomben alle in die gleichen Gebiete der Stadt fielen. Im Norden fielen die Geschosse ins Innere der Zitadelle, während im Süden die Bomben in die Straßen einschlugen, die der Stadtmauer am nächsten lagen.
Die Feuerwehrleute fuhren ihre schweren Karren zu den ersten Feuern und wurden von den Leuten behindert, die versuchten, den Bomben zu entkommen.
Eine 13-Zoll-Granate krachte in eine Menschentraube und verletzte wie durch ein Wunder niemanden. Eine Lunte glühte rot, und ein Mann versuchte, sie mit seinem Stiefel auszutreten, doch die Bombe explodierte und der Fuß des Mannes flog im Bogen mit einer Blutfontäne über die Straße.
Familien versuchten, ihre Wertsachen aus dem bedrohten Gebiet zu retten und verstopften die Gassen. Einige Leute suchten Zuflucht in den Kirchen, glaubten in heiligen Mauern sicher vor dem Feind zu sein, aber die Kirchen brannten so leicht wie die Häuser. Eine Bombe explodierte in einem Orgelschacht und zerschmetterte die Pfeifen wie Strohhalme, eine andere tötete zehn Leute im Mittelschiff.
Einige Bomben explodierten nicht und blieben schwarz und Unheil verkündend liegen, wo sie gefallen waren. Ein Künstler sammelte hastig Papier, Feder und Kohlestifte zusammen, als eine kleinere Granate durchs Dach in sein Zimmer schlug und rauchend neben seinem ungemachten Bett liegen blieb. Er nahm schnell den Nachttopf, den er noch nicht nach der Nacht zuvor geleert hatte, und schüttete ihn über dem Geschoss aus. Es zischte, als die Lunte erlosch, dann stank es scheußlich.
Unzählige Feuer brachen aus. Flammen schlugen über die Dächer, als weitere Bomben in das Inferno schlugen. Die britischen Geschütze begannen jetzt Brandgranaten zu feuern, und dagegen konnte auch die Feuerwehr nicht viel ausrichten.
Es war noch ein Rest von Abendlicht am blassblauen Himmel, in dem die brennenden Lunten der Bomben Fäden von Rauchspuren hinterließen. Die Fäden wanden sich und verwehten, nur um von anderen abgelöst zu werden, als weitere Bomben und Brandgranaten fielen. Dann wurden die Rauchfäden rot gefärbt, wenn Flammen aus dem wallenden dickeren Rauch der Stadt mit ihren aufgerissenen Straßen, zerbrochenen Dachsparren und brennenden Heimen aufstiegen. Granatsplitter pfiffen durch Straßen.
Die ersten Löschtrupps bedienten die großen Wasserpumpen, doch die Wasserstrahlen waren vergebens. Und immer noch kamen die Bomben, und der westliche Stadtrand war von einem Ring aus Lärm und Lichtblitzen der Batterien umgeben. Die Bombenschiffe erzitterten, wenn ihre Mörser feuerten, und jeder Blitz erhellte die Takelagen mit tiefrotem Lichtschein, eingehüllt in Rauch.
Sharpe ging in die Stadt. Er trug das Gewehr auf einer Schulter und die siebenläufige Waffe auf der anderen, aber niemand nahm besondere Notiz von ihm. Männer rannten auf die Feuer zu, Familien flüchteten vor ihnen, und die ganze Stadt hallte vom Donnern der Bomben wider.
Sharpe ging zu Skovgaards Lagerhaus, weil er nicht wusste, was er sonst tun konnte. Es machte wenig Sinn, Bredgade aufzusuchen, denn er war sicher, dass Lavisser bei seinem General oder sonst wo auf den Stadtmauern war.
So konnte Lavisser noch einen zusätzlichen Tag leben, und Sharpe würde zu Astrid gehen. Das war es, was er wollte, woran er den ganzen Tag gedacht hatte, als er im dunklen, stinkenden Unterdeck des dänischen Kriegsschiffs gewartet hatte.
Sharpe konnte nicht sicher sein, dass Astrid ihn willkommen heißen würde, während britische Bomben die Stadt verwüsteten, doch sein Gefühl sagte ihm, dass sie sich freuen würde. Ihr Vater würde fast mit Sicherheit Missfallen zeigen, und Aksel Bang würde vor Wut kochen, aber zur Hölle mit beiden.
Es war jetzt völlig dunkel, doch die Stadt war rot erhellt. Sharpe konnte das Prasseln von Flammen hören, das vom Krachen von Bomben unterbrochen wurde, die durch Dächer schlugen und explodierten. Er sah eine Rakete über eine Straße schlittern, Funken versprühen und ein Pferd erschrecken, das einen Karren mit Fässern Seewasser vom Hafen zog. Ein Turm war als Umriss in rotem Lichtschein und umgeben von Rauch zu erkennen.
Sharpe war für einen Augenblick ohne Orientierung im Gewirr der Gassen, dann roch er die Gin-Brennerei und folgte seiner Nase zum Ulfedts Plads, der fern von dem Viertel lag, in dem die Bomben einschlugen. Er klopfte hart an Skovgaards Tür, wie er es am ersten Abend bei seiner Ankunft in Kopenhagen getan hatte.
Er hörte, wie ein Fenster hochgeschoben wurde, und trat zurück.
»Mister Skovgaard!«, rief er.
»Wer ist da?«, antwortete eine Frauenstimme.
»Astrid!«
Es folgte eine Pause. »Lieutenant Sharpe?« Es klang zweifelnd, aber nicht missbilligend. »Sind Sie das? Warten Sie!«
Sharpes Gefühl war richtig gewesen, denn sie lächelte, als sie die Tür öffnete, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. »Du solltest nicht hier sein!«
»Ich bin es aber.«
Sie starrte ihn an, dann wandte sie sich um. »Ich hole einen Mantel«, sagte sie und ging zu einem Schrank in der Halle. »Mein Vater ist nicht hier. Er ging mit Aksel zum Gebet in die Kirche, doch ich wollte ins Waisenhaus gehen und habe Vater versprochen, dass ich nicht allein aus dem Haus gehen würde. Und jetzt bist du hier.« Sie lächelte ihn ein zweites Mal an. »Warum bist du hier?«
»Um dich zu sehen.«
»Ich glaube, ihr Engländer seid so verrückt wie grausam. Ich muss einen Schlüssel mitnehmen.« Sie fand den Haustürschlüssel. »Warum bombardiert ihr uns?«
»Weil alle verrückt sind.«
»Es ist falsch«, sagte sie heftig, »ich kann nicht glauben, was geschieht. Es ist schrecklich! Ich muss für Vater eine Nachricht hinterlassen.« Sie verschwand für einen Moment im Büro des Lagerhauses, und als sie wieder auftauchte, trug sie Mantel und Hut. Sie schloss die Haustür ab, und dann hakte sie sich bei ihm ein, als wären sie alte Freunde. »Komm«, sagte sie und führte ihn auf die rötliche Glut und das Prasseln des Feuers zu. »Ich sollte ärgerlich auf dich sein.«
»Ich bin auch ärgerlich auf meine Landsleute«, sagte Sharpe.
»Wissen sie nicht, dass hier Frauen und Kinder sind?«
»Doch, das wissen sie.«
»Und warum bombardieren sie dann?«
»Weil sie nicht wollen, dass eure Flotte den Franzosen in die Hände fällt, die damit eine Invasion in England versuchen würden.«
»Wir würden die Flotte verbrennen, bevor die Franzosen sie bekämen«, sagte Astrid, dann klammerte sie sich an seinen Arm, als drei Bomben in schneller Folge explodierten. »Wenn das Feuer nahe beim Hospital ist«, erklärte Astrid, »müssen wir die Kinder rausholen. Wirst du helfen?«
»Selbstverständlich.«
Das Krachen der Bomben wurde lauter, als sie sich der Zitadelle näherten. Die Geschosse schlugen in die dänische Festung und verwandelten ihr Zentrum in einen Hexenkessel.
Die kleinen Straßen in der Nähe waren unberührt vom Bombardement und voller Leute, die auf den rötlichen Rauch starrten, der über die Mauern der Zitadelle kroch.
Das Kinderhospital war unbeschädigt. Astrid führte Sharpe hinein, doch es wurde keine Hilfe benötigt, denn ein Dutzend andere Frauen waren gekommen, um die Kinder zu trösten. Jetzt befanden sie sich in der Krankenstation und hörten einer Geschichte zu, die ihnen vorgelesen wurde.
Sharpe blieb im Hof, halb verborgen im Schatten unter dem Balkon, und er war immer noch da, als ein halbes Dutzend dänischer Offiziere durch das Tor vom Waisenhaus kam. Sie wurden von einem älteren, beleibten Mann mit einem schwarzen Mantel und vergoldetem Zweispitz angeführt. Es hatte den Anschein, als überprüfe er, ob das Hospital beschädigt worden war. Einige der Adjutanten blickten neugierig zu Sharpe, denn er hatte noch die beiden Waffen auf den Schultern, und sein Mantel gehörte nicht zu einer dänischen Uniform, aber sie entspannten sich, als Astrid in den Hof zurückkehrte und sich zu ihm gesellte.
»Das ist General Peymann«, wisperte sie.
Der General sprach mit dem Vorsteher des Hospitals, während seine Adjutanten unter dem Flaggenmast warteten. Lavisser war nicht bei den Männern.
»Frage sie, wo Lavisser ist«, raunte Sharpe Astrid zu.
»Das kann ich nicht tun!«
»Warum nicht? Sag, du möchtest Lavisser gratulieren, weil er die Seiten gewechselt hat.«
Astrid zögerte, dann tat sie, worum Sharpe gebeten hatte.
Einer der Adjutanten sprach sie an und wollte vermutlich wissen, wer Sharpe war, denn er blickte zu ihm, während er sprach. Astrid sagte etwas zu ihm und machte dann einen Knicks vor General Peymann, der seinen Hut abnahm und sich verneigte. Eine längere Unterhaltung folgte.
Sharpe hatte gerade genügend dänische Sprachkenntnisse, um sich zusammenzureimen, dass sie über die Stadt und gemeinsame Bekannte redeten, aber das Gespräch endete schließlich, der General verneigte sich von Neuem und führte dann seine Männer auf die Straße zurück.
»Ich habe ihm gesagt, du wärst vom amerikanischen Schiff im Hafen«, sagte Astrid.
»Gibt es denn ein amerikanisches Schiff im Hafen?«
»Die Phoebe aus Baltimore.«
»Und worüber habt ihr sonst gesprochen?«
»Die Cousine seiner Frau ist mit dem Onkel unseres Pastors verheiratet«, sagte sie, dann sah sie an seinem Grinsen, dass ihn das nicht sonderlich interessierte. »Ich habe ihn über Lavisser befragt«, berichtete sie. »Er hat heute Nacht offiziell keinen Dienst, aber der General nimmt an, dass er helfen wird, die Feuer zu löschen.«
Sie hängte sich bei Sharpe ein und führte ihn auf die Straße.
Ihnen stockte der Atem, als eine Brandbombe auf die Zitadelle zu flog. Der Inhalt des Geschosses hatte bereits Feuer gefangen, und es drehte sich im Flug, dass es wie ein erzürnter fliegender Drache wirkte. Astrid zuckte zusammen, als ein Magazin in der Festung explodierte. Ein Funkenregen stieg in den dunklen Himmel. Und der Gestank nach Pulver und Rauch war so stark wie auf jedem Schlachtfeld.
Die dänischen Geschütze auf den Mauern feuerten zurück und verstärkten den Lärm und den Rauch in diesem höllischen Inferno.
Astrid führte Sharpe zum Friedhof, wo ihr kleiner Sohn begraben war. »Mein Vater sagte, wenn die Engländer die Stadt bombardieren, wird er nie wieder für England arbeiten.«
»Was immer er auch tut oder nicht«, sagte Sharpe, »er ist immer noch in Gefahr. Die Franzosen wollen seine Namensliste.«
»Aksel kümmert sich um ihn«, sagte Astrid.
»Dann ist er in weitaus größerer Gefahr, als ihm klar ist«, sagte Sharpe.
Astrid lächelte. »Du magst Aksel nicht?«
»Nein. Und du?«
»Nein«, bekannte sie. »Aber heute Morgen hat mein Vater vorgeschlagen, dass ich ihn heirate.«
»Warum?«
Sie zuckte mit den Schultern und schwieg ein paar Sekunden, während in schneller Folge Geschosse in der Zitadelle explodierten. Jede Explosion erhellte den Rauch mit grellem Lichtschein. Sharpe hörte, wie Splitter der Geschosse gegen die Mauer krachten.
»Es geht um das Lagerhaus«, sagte Astrid schließlich. »Wenn mein Vater stirbt, werde ich es erben, und er bezweifelt, dass eine Frau das Geschäft führen kann.«
»Natürlich kannst du das«, sagte Sharpe.
»Und er möchte, dass das Geschäft in sicheren Händen liegt, bevor er stirbt«, fuhr sie fort, als hätte Sharpe nichts gesagt. »Deshalb will er, dass ich Aksel heirate.«
»Heirate jemand anderen«, sagte Sharpe.
»Es ist noch nicht lange her, dass Nils gestorben ist«, sagte Astrid, »und ich habe nie einen anderen gewollt als Nils.« Sie war noch immer eingehakt bei ihm, obwohl sie nicht mehr gingen, sondern unter einem Baum stehen geblieben waren, als könnten ihnen seine Zweige Schutz vor den Bomben geben. »Es wäre wunderschön«, fuhr Astrid fort, »wenn es nicht so traurig wäre.« Sie sprach vom Anblick des nördlichen Himmels, der vom Blitzen des Mörserfeuers über den Bombenschiffen erhellt war. Jeder Abschuss erfüllte die Nacht wie ein Blitz, der mit rötlichem Schein den Himmel erfüllte. »Es ist wie bei einem Wintergewitter«, sagte sie.
»Du wirst also Aksel heiraten?«
»Ich will, dass Vater glücklich ist«, sagte sie. »Er ist seit Langem nicht mehr glücklich gewesen.«
»Ein Mann, dem sein Geschäft mehr bedeutet als seine Tochter, verdient es nicht, glücklich zu sein«, sagte Sharpe.
»Er hat hart gearbeitet«, sagte Astrid, als erkläre das alles.
»Und es wird alles umsonst gewesen sein, wenn er hierbleibt«, warnte Sharpe. »Die Franzosen werden ihn jagen.«
»Was kann er denn sonst tun?«, fragte Astrid.
»Nach Britannien umziehen«, sagte Sharpe. »Seine alten Freunde im Außenministerium wollen das.«
»Tatsächlich?«
»Das haben sie mir gesagt.«
Astrid schüttelte den Kopf. »Nach der Bombardierung? Nein, er wird nicht nach England gehen. Er ist ein loyaler Däne.«
»Und du?«
»Ich?«
»Du musst Verwandte in Britannien haben, nicht wahr?«
Astrid nickte. »Die Schwester meiner Mutter lebt in Hampshire. Vor langer Zeit habe ich sie besucht. Ich fand es sehr schön dort.«
»Dann geh nach Hampshire«, sagte Sharpe. Ein Granatensplitter schlug durch die Zweige über ihnen. Vögel zeterten, weil sie von dem Lärm erschreckt worden waren.
»Und was würde ich in Hampshire tun?«, fragte Astrid.
»Das«, sagte Sharpe und küsste sie. Für einen Moment war sie reserviert, dann erkannte er, das es nur ihre Überraschung war, denn sie legte die Arme um ihn und erwiderte den Kuss mit erstaunlicher Heftigkeit. Sie küssten sich wieder, und dann nahm er sie in die Arme, und sie legte den Kopf auf seine Schulter und sagte lange nichts, klammerte sich nur an ihn. Sechs weitere Bomben fielen. Der Schein der Flammen zeigte sich jetzt über den Mauern der Zitadelle, dann explodierte ein Geschoss in einem zweiten Magazin, und Astrid erschauerte in Sharpes Armen, als die ganze Stadt zu erzittern schien.
»Ich kann nicht nach England gehen«, sagte Astrid. »Nicht, solange Vater lebt.« Sie zog den Kopf etwas zurück, sodass sie ihm in die Augen blicken konnte. »Kannst du hierherkommen?«
»Es ist eine schöne Stadt«, sagte Sharpe und dachte: Was davon übrig bleibt.
»Du wärst willkommen«, sagte sie. Ihr Gesicht war ernst, und in ihren Augen spiegelte sich der Feuerschein. »Du wärst wirklich willkommen.«
»Nicht bei Aksel«, sagte Sharpe mit einem Lächeln.
»Nein, nicht bei Aksel.« Sie erwiderte das Lächeln. »Ich sollte heimgehen«, sagte sie, blieb jedoch in seinen Armen. »Würdest du wirklich hierbleiben?«
»Das werde ich«, sagte Sharpe.
Sie runzelte die Stirn. »Ich kenne dich noch nicht richtig, oder?«
Er küsste sie von Neuem, diesmal sanft und zärtlich. »Du kennst mich.«
»Wir müssen dem Herzen vertrauen, ja?«
»Vertrau dem Herzen«, sagte Sharpe. Sie lächelte, dann lachte sie und zog ihn vom Baum fort.
»Ich kenne dich wirklich noch nicht richtig«, sagte sie. Sie hielt seine Hand, während sie gingen. »Aber du bist wie Nils. Er fluchte schrecklich!«
»Ein Däne, der fluchte?«
Sie lachte. »Er brachte mich auch zum Lachen.« Sie schwang Sharpes Hand, konnte plötzlich die Freude nicht unterdrücken, die sie erfüllte, obwohl die Stadt rings um sie brannte. »Und du?«, fragte sie. »Warst du nie verheiratet?«
»Nein.«
»Nicht mal nahe daran?«
»Nahe genug«, sagte er, und er erzählte ihr von Grace. Während dieser Geschichte näherten sie sich dem Ulfedts Plads, und als sie endete, blieb Astrid stehen und umarmte ihn. »Ich glaube«, sagte sie, »wir beide brauchen etwas Glück.«
»Dein Vater wird nicht glücklich sein«, sagte Sharpe. »Er mag mich nicht. Ich bin ihm nicht religiös genug.«
»Dann musst du ihm erzählen, dass du auf der Suche nach Gott bist«, sagte Astrid. Sie ging ein paar Schritte weiter und zuckte zusammen, als weitere Bomben die Nacht erschütterten. »Es ist nicht nur Religion«, fuhr sie fort. »Vater denkt, jeder Mann will mich ihm wegnehmen, aber wenn ich ihm sage, dass du hierbleibst, wird er vielleicht nicht ärgerlich sein.«
»Ich werde hierbleiben«, sagte Sharpe, und er war erstaunt, dass eine Entscheidung, die sein Leben ändern würde, so leicht zu treffen war. Doch warum nicht?, dachte er. Was erwartete ihn in England? Er konnte nach Shorncliffe zurückkehren, aber dann würde er wieder Quartiermeister sein, verabscheut von Offizieren wie Dunnett, weil er am falschen Ort geboren worden war. Und er mochte Kopenhagen. Die Leute waren langweilig fromm, doch das schien ein geringer Preis für das Glück zu sein, das er wünschte. Und hatte er nicht erwogen, für Ebenezer Fairley in Britannien zu arbeiten? Warum also nicht für Ole Skovgaard in Dänemark? Und mit etwas Glück konnte er einen Haufen goldener englischer Guineas in sein neues Leben mitnehmen.
Schwacher Lichtschein war in den Fenstern des Hauses am Ulfedts Plads zu sehen. »Vater muss daheim sein«, sagte Astrid. Das Haus und Lagerhaus waren sicher, denn sie waren weit genug von den großen Feuern entfernt, die im Westen der Stadt und in der Zitadelle loderten. Astrid schloss die Haustür auf, schenkte Sharpe ein Lächeln, wie um zu sagen, dass sie mit einigen Feindseligkeiten von ihrem Vater rechnen mussten, und zog ihn über die Schwelle. »Papa!«, rief sie. »Papa!«
Eine Stimme antwortete auf Dänisch, dann erschien auf dem oberen Treppenabsatz ein Licht und warf Schatten von der Balustrade, doch es war nicht Ole Skovgaard, der die Laterne trug. Es war Aksel Bang. Der Däne trug seine schäbige Uniform und trug eine Muskete an der Schulter und einen Säbel an der Seite. Anscheinend wollte er Astrid tadeln, als er die Treppe herunterkam, dann sah er Sharpe, und seine Augen weiteten sich ungläubig. »Lieutenant!«
Sharpe nickte, sagte jedoch nichts.
»Sie sollten nicht hier sein«, sagte Bang ernst.
»Das sagt jeder heute Abend.«
»Mister Skovgaard will Sie nicht hier haben. Er wird ärgerlich sein.«
»Das kann Mister Skovgaard mir selbst sagen«, erwiderte Sharpe.
»Er wird heute Nacht nicht zurückkommen«, sagte Bang. »Er hilft beim Feuerlöschen.«
»Und Sie bewachen ihn nicht?«, fragte Sharpe.
»Er ist sicher«, sagte Bang. »Andere Männer sind bei ihm.«
Astrid versuchte die Spannung zwischen den beiden Männern zu mildern. »Wir werden Tee machen«, sagte sie. »Du magst Tee, Richard?«
»Ich liebe Tee«, sagte Sharpe.
Bang hatte den Ausdruck auf Astrids Gesicht gesehen, als sie mit Sharpe gesprochen hatte, und er versteifte sich. »Sie dürfen nicht in den Hof gehen«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Als ich zurückkam, waren Männer hier, die nicht explodierte Bomben gesammelt haben. Englische Bomben.« Er spuckte die letzten beiden Worte zu Sharpe hin. »Sie wollten einen sicheren Platz dafür, und so habe ich sie den Hof benutzen lassen. Am Morgen müssen wir die Lunten herausziehen.«
»Warum sollte ich in den Hof gehen?«, fragte Astrid. Sie zwängte sich an Bang vorbei, der immer noch Sharpe finster anstarrte, Sharpe folgte ihr, und als er sich an dem Dänen vorbeischob, roch er dessen Gin-Fahne. Aksel Bang trank Alkohol? Was eine Bombardierung doch bewirken konnte!
Sie gingen in den Salon, wo Astrid ein Glöckchen läutete, um ein Dienstmädchen zu rufen. Sharpe ging zu einem der Fenster, zog den Vorhang zurück und schaute auf die brennende Stadt. Die Kuppel der Kathedrale reflektierte den Flammenschein brennender Häuser. Am Himmel war das Blitzen von den Geschützen zu sehen, die roten Fäden fallender Lunten und die feurigen Spuren von Raketen. Eine Kirchenglocke läutete, unpassend in dem Chaos, die halbe Stunde, und dann körte Sharpe das Klicken eines Musketenschlosses.
Er wandte sich um. Bang, mit bleichem Gesicht, zielte mit der Muskete auf Sharpes Brust. Es war eine alte Waffe, mit glattem Lauf und ungenau, aber auf drei Schritte konnte selbst ein Betrunkener sein Ziel nicht verfehlen. »Aksel!«, schrie Astrid.
»Er ist Engländer«, sagte Bang, »und er sollte nicht hier sein. Die Behörden sollten ihn verhaften.«
»Und Sie sind ›die Behörden‹, Aksel?«, fragte Sharpe.
»Ich bin in der Miliz, ja. Ich bin ein Leutnant.« Bang, der sah, dass Sharpe ruhig blieb, wurde selbstsicherer. »Sie werden jetzt die beiden Waffen von Ihren Schultern nehmen, Mister Sharpe, und mir übergeben.«
»Sie sind besoffen, Aksel«, sagte Sharpe.
»Das bin ich nicht. Ich trinke keinen Alkohol! Miss Astrid, er lügt!«
»Sie haben Gin intus«, sagte Sharpe. »Ihre Fahne stinkt danach.«
»Hören Sie nicht auf ihn, Miss Astrid«, sagte Bang. Dann ruckte er mit der Muskete. »Geben Sie mir jetzt Ihre Waffen, Lieutenant!«
Sharpe grinste. »Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, wie?« Er nahm die siebenläufige Waffe absichtlich langsam von seiner Schulter und hielt den Finger vom Abzug fern, um zu zeigen, dass er nichts Böses im Sinn hatte. Bomben krachten in der Stadt, und bei ihren Explosionen erbebten die Fenster. Sharpe konnte die Pulverrauchwolken, den Gestank nach faulen Eiern, förmlich riechen. »Hier«, sagte er, doch anstatt die Waffe zu überreichen, warf er sie mit aller Kraft. Bang zuckte zusammen, und bevor er sich von seiner Überraschung erholt hatte, war Sharpe mit zwei schnellen Sätzen bei ihm, schlug den Musketenlauf beiseite und trat ihm zwischen die Beine.
Astrid schrie auf. Sharpe ignorierte sie. Er zog die Muskete aus Bangs Händen und versetzte ihm noch einen Tritt, diesmal ins Gesicht, sodass er zurückflog und zu Boden krachte. Sharpe packte ihn am Kragen und stieß ihn in einen Sessel.
»Wenn du Soldat spielen willst, dann lerne erst das Kämpfen«, riet er Bang.
»Ich tue meine Pflicht«, knirschte Bang hervor.
»Nein, Aksel, du bist abgefüllt mit Gin.« Sharpe nahm Bang den Säbel ab und durchsuchte ihn nach anderen Waffen. Er fand keine. »Verdammt, Mann! Ich bin nicht hier, um gegen dich oder Dänemark zu kämpfen.«
»Warum sind Sie dann hier?«
»Um zu bleiben«, sagte Sharpe.
»Das stimmt«, sagte Astrid ernst, »er wird bleiben.« Sie stand noch bei der Tür, wo sie ein Dienstmädchen angewiesen hatte, Tee zu machen.
Bang schaute von Astrid zu Sharpe, und dann begann er zu weinen.
»Er ist blau«, sagte Sharpe.
»Er trinkt nicht«, behauptete Astrid.
»Er hat sich heute Abend volllaufen lassen«, sagte Sharpe. »Wundert mich, dass er noch nicht gekotzt hat.«
Halb trug und halb führte er Bang ins Lagerhaus und legte ihn auf leeren Säcken zum Schlafen ab. Wieder im Salon, nahm er Bangs Muskete und entleerte sie von der Kugel und dem Pulver.
»Der arme Aksel«, sagte Astrid, »er muss Angst gehabt haben.«
»Es ist hart, wenn man nicht daran gewöhnt ist«, sagte Sharpe und sprach von dem Bombardement, nicht vom Gin. Er ging zum Fenster. Die Bomben fielen jetzt mehr sporadisch, und er nahm an, dass den Batterien die Munition ausging. Er sah den Lichtstreifen einer Lunte in einer Rauchwolke, hörte die Explosion und beobachtete, wie die Flammen gierig aufloderten. »Es wird bald aufhören«, sagte er, »und ich werde ausgehen.«
»Du willst ausgehen?«
Sharpe wandte sich zu ihr um und lächelte. »Ich bin kein Deserteur. Ich schreibe einen Brief an die britische Armee und teile ihr mit, dass sie ihr Offizierspatent zurückhaben können. Ich mache es legal, verstehst du? Aber zuerst muss ich noch etwas erledigen. Und es ist eine englische Sache, keine dänische.«
»Major Lavisser?«
»Wenn er tot ist, dann wird dein Vater sicherer sein.«
»Du willst ihn töten?« Astrid wirkte überrascht.
»Es ist mein Job«, sagte Sharpe, »jetzt jedenfalls noch.«
»Jetzt noch? Heißt das, du wirst bald mit den Töten aufhören?«
»Hier gibt es nicht viel Gelegenheit zum Töten. Ich werde mir also eine andere Arbeit suchen müssen, nicht wahr?«
Aber zuerst würde er Lavisser suchen und töten. Der Renegat hatte heute Nacht dienstfrei, aber Sharpe bezweifelte, dass er zu Hause war. Er würde die Bomben und Feuer beobachten, doch schließlich würde er zu Bett gehen müssen. Sharpe nahm an, dass dies der richtige Zeitpunkt war, um ihn zu suchen. So würde Sharpe für Britannien den Einbrecher spielen. Er würde im Haus in Bredgade warten, Lavisser töten, wenn er zurückkehrte, und das Gold als Geschenk für sein neues Leben in Dänemark nehmen.
Die Kirchturmuhren schlugen Mitternacht, als er die Treppe hinunterging. Er trug die beiden Pistolen und die siebenläufige Waffe, doch er hatte das Gewehr und das Entermesser oben gelassen. Bang schlief mit offenem Mund. Sharpe verharrte, fragte sich, ob der Mann aufwachen und sich entscheiden würde, in die Stadt zu gehen und einige Soldaten zu suchen, die ihm halfen, den Engländer, der ihm so lästig war, zu verhaften, doch dann sagte er sich, dass Bang vermutlich vom Gin noch betäubt war. Er verließ ihn, schloss die Haustür mit dem Schlüssel auf, den Astrid ihm gegeben hatte, schloss die Tür sorgfältig wieder ab und ging nach Norden durch die Straßen, die nach einer Schlacht rochen. Die Bombardierung hatte aufgehört, aber die Feuer brannten noch.
Er ging schnell, folgte den Richtungen, die Astrid ihm angegeben hatte, verirrte sich jedoch bald in den dunklen Gassen. Dann sah er ein paar Leute, die drei Verwundete nordwärts trugen, und erinnerte sich, dass sie gesagt hatte, Bredgade liege nahe beim König-Fredericks-Hospital. »Du kannst es nicht verfehlen«, hatte sie gesagt. »Es hat ein schwarzes Dach und ein Bild vom barmherzigen Samariter über der Tür.
Er folgte den Leuten mit den Verwundeten und sah die schwarzen Dachziegel des Hospitals im Flammenschein schimmern.
Zuerst ging er zur Frontseite von Lavissers Haus. Er bezweifelte, dass er auf diesem Weg ins Haus gelangen konnte, denn die Fensterläden waren vorgelegt. Die dänische Flagge, mit der Lavissers Heimkehr gefeiert worden war, hing noch an der Laterne. Er zählte die Häuser und kehrte dann in einer Gasse zurück, die hinter den Häusern der Reichen verlief. Er zählte wieder, bis er zu einem Tor gelangte, das ihn in den Hinterhof führen musste.
Das große Tor war verschlossen. Er blickte hinauf und sah Eisenspitzen oben auf dem Tor und ein Glitzern auf der Mauerkrone. Da waren Glasscherben eingebettet. Sharpe ging zum Haus nebenan und fand das Tor unverschlossen. Auf der Mauer waren keine Glasscherben, und über einen Geräteschuppen gelangte er zur Mauerkrone. Er kletterte hinauf und starrte in Lavissers Hinterhof.
Er war leer. Es gab einen Stall und ein Kutscherhaus. Eine kurze Treppe führte ins Haus, das stockdunkel war.
Sharpe ließ sich über die Mauer hinab und entriegelte Lavissers Hintertür zum Hof, um einen Fluchtweg zu haben, dann duckte er sich beim Stall und untersuchte das Haus von Neuem. Unter der steinernen Treppe war ein dunkles Loch, und er nahm an, dass es zum Kellergeschoss führte. Dort würde er anfangen, aber zuerst starrte er wieder zum Haus hinauf.
Die obersten Fenster hatten keine Läden, und drei davon standen einen Spalt offen, aber kein Licht war dort außer dem Widerschein der Feuer auf dem Glas zu sehen. Alles war totenstill.
Plötzlich warnte ihn sein Gefühl. Da stimmte etwas nicht. Drei offene Fenster? Alle gleich weit offen. Und bis jetzt war alles so einfach gewesen, und es war viel zu still. Er spähte zu den offenen Fenstern hoch. Sie waren einen Spalt geöffnet, der gerade groß genug war, um Musketenmündungen hindurchschieben zu können.
Waren dort Männer? Oder bildete er sich das nur ein?
Er glaubte zu spüren, dass er beobachtet wurde. Er konnte es nicht erklären, aber er war sicher, dass er in Gefahr war. Das Haus wirkte nicht mehr so finster und anfällig, sondern wie eine Bedrohung. Eine innere Stimme sagte Sharpe, dass ihm seine Fantasie einen Streich spielte, doch er hatte es gelernt, seinen Gefühlen zu vertrauen. Er wurde beobachtet, belauert.
Es gibt eine Möglichkeit, das zu überprüfen, dachte er. Und so nahm er die große Waffe von der Schulter, spannte sie und stellte sich so hin, dass er nur das Fenster rechts von sich sehen konnte. Wenn er beobachtet wurde, dann würde der Mann dort oben warten, bis er den Hof überquerte und sich ungeschützt auf der freien Fläche befand. Dann würde er das Feuer auf ihn eröffnen, aber auch dem Tod ins Auge sehen.
Sharpe riss plötzlich die große, siebenläufige Waffe hoch, zielte auf das Fenster und sah den Funken des Feuersteins tief in dem Zimmer und dann den Mündungsblitz am Fenster. Er zuckte bereits zurück in Deckung, als die Musketenkugel dicht neben seinem Kopf gegen die Wand schlug. Fast gleichzeitig krachten zwei weitere Waffen, und Rauch quoll aus den oberen Fenstern. Ein Dachziegel vom Stall wurde zerschmettert, dann rief jemand etwas, und Schritte ertönten von der Steintreppe beim Haus. Sharpe feuerte die Pistole ab. Im nächsten Moment sah er weitere Männer aus dem Kutscherhaus stürmen. Er ließ die Pistole fallen, hob die siebenläufige Waffe und drückte ab.
Der Schuss klang in dem Hof wie das Donnern einer Kanone. Die Mündungsflammen blitzten durch die Dunkelheit. Ein Mann schrie vor Schmerzen. Sharpe hetzte bereits zum Hintertor. Er riss es auf und rannte in die Gasse. Zwei Musketenkugeln aus den hohen Fenstern folgten ihm, und einen Augenblick später krachte eine Pistole in der Gasse, doch das Dunkel hatte ihn bereits verschluckt.
Er rannte zum Hospital, wo eine Menschenmenge wartete. Einige der Männer, alarmiert von den Schüssen, riefen Fragen, denn sie sahen die große Waffe in Sharps Hand, doch er wich in eine andere Gasse aus, rannte bis zu ihrem Ende, bog ab und ging dann langsamer weiter, um zu Atem zu kommen. Gottverdammt, aber sie hatten auf ihn gewartet! Warum? Warum würde jemand sein Haus bewachen lassen, wenn er angeblich unter Freunden war?
Er verharrte in einem tiefen Hauseingang. Wenn ihn jemand verfolgt hatte, dann musste er in eine falsche Gasse abgebogen sein, denn niemand schaute in diese Gasse.
Sharpe lud die siebenläufige Waffe und fragte sich dabei, warum Lavisser sein Haus wie eine Festung bemannt hatte. Um das Gold zu schützen? Wenn Männer Nacht für Nacht auf Posten standen, langweilten sie sich bald. Sie dösten ein oder dachten an Frauen, statt nach Feinden Ausschau zu halten. Die Männer im Haus in Bredgade waren hellwach, wartend und bereit gewesen. Es war dort also etwas Neues im Gange, etwas, das Lavisser sehr vorsichtig gemacht hatte. Und da war noch etwas Neues in dieser seltsamen Nacht gewesen, das auf den ersten Moment lustig wirkte, jetzt jedoch Sharpe böse und unheilvoll vorkam. Er rammte die letzte Kugel in den Lauf, steckte den Ladestock in die Röhre und brach nach Süden auf.
Zu seiner Rechten loderten noch die Feuer, und müde Männer bedienten die Pumpen und versuchten zu löschen. Brauereiwagen brachten Fässer mit Wasser vom Hafen. Die Pumpen hatten kaum etwas bewirkt, doch als die Kirchenglocken ein Uhr schlugen, begann es zu regnen, und die Brandbekämpfer hofften, dass der Himmel die Flammen löschen würde.
Sharpe schloss Skovgaards Haustür auf. Er bezweifelte sehr, dass Skovgaard zu Hause war, und er hoffte, dass Astrid schlief. Er ging in die Küche und suchte im Dunkeln nach einer Laterne und Zunderbüchse. Er fand beides, ging dann mit der Laterne zum Lagerhaus, wo er feststellte, dass Bang immer noch auf seinem improvisierten Bett aus leeren Säcken schnarchte. Sharpe stellte die Laterne ab und legte die siebenläufige Waffe daneben. Dann hob er Bang von den Säcken und schüttelte ihn wie ein Terrier, der eine Ratte tötete, und warf ihn gegen eine Kiste mit Gewürzen. Bang schrie erstickt auf und blinzelte zu Sharpe auf.
»Wo ist er, Aksel?«, fragte Sharpe.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Was ist denn los?« Bang war noch schlaftrunken.
Sharpe trat auf ihn zu, hob ihn wieder hoch und schlug ihm hart ins Gesicht. »Wo ist er?«
»Ich glaube, Sie sind wahnsinnig!«, keuchte Bang.
»Vielleicht«, sagte Sharpe. Er stieß Bang gegen die Kiste und hielt ihn mit einer Hand fest, während er die Taschen der blauen Uniform des Dänen durchsuchte. Er fand, was er befürchtet hatte. Guineas. Die goldene Kavallerie von Sankt Georg, neu, glänzend und frisch aus der Münze. Sharpe legte die Münzen eine nach der anderen auf die Kiste, während Bang nur noch wimmerte. »Du Bastard«, sagte Sharpe. »Du hast dich für zwanzig Guineas verkauft, nicht wahr? Warum hast du es nicht für dreißig Silberlinge getan?«
»Sie sind verrückt«, sagte Bang und streckte die Hand nach den Goldmünzen aus.
Sharpe schlug ihm die Rechte ans Kinn. »Erzähl schon, Aksel!«
»Da gibt es nichts zu erzählen.« Ein Blutfaden rann an Bangs länglichem Kinn hinab.
»Nichts? Du gehst mit Skovgaard zum Gebet und kommst ohne ihn zurück. Du bist besoffen und hast die Taschen voller Gold. Hältst du mich für blöde?«
»Ich handele selbst etwas«, sagte Bang und wischte sich Blut von den Lippen. »Mister Skovgaard hat das genehmigt. Ich habe einige Dinge verkauft.«
»Welche Dinge?«
»Etwas Kaffee«, behauptete Bang. »Kaffee und Jute.«
»Du hältst mich nicht nur für blöde, sondern sogar für saublöde, Aksel!« Sharpe zog sein Taschenmesser hervor.
»Ich habe nichts getan!«
Sharpe lächelte und ließ die Klinge herausschnappen. »Kaffee und Jute? Nein, du hast eine Seele verkauft, und jetzt wirst du mir davon erzählen.«
»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt!«
Sharp schob ihn gegen die Kiste. Dann hielt er die Messerklinge unter Bangs rechtes Auge. »Wir nehmen dieses zuerst, Aksel. Es tut anfangs nicht mal sehr weh. Wenn wir das linke Auge haben, nehmen wir das rechte dran, und danach werde ich die Augenhöhlen mit Salz füllen. Dann wirst du schreien.«
»Nein!«, schrie Bang entsetzt. »Bitte nicht!«
Sharpe drückte die kalte Klinge gegen Bangs Haut, und er schrie, als werde er kastriert. »Nein!«
»Dann erzähl mir die Wahrheit, Aksel«, sagte Sharpe. »Ich tausche die Wahrheit gegen deine Augen.«
Was Bang stammelte, war nicht offen und ehrlich erzählt, und er versuchte sich damit zu rechtfertigen. Er beschuldigte Skovgaard, ein Verräter Dänemarks zu sein. Er hatte für die Briten spioniert, und die Briten waren die Feinde Dänemarks. Und Ole Skovgaard war ein gemeiner, knauseriger Mann. »Ich arbeite jetzt seit zwei Jahren für ihn, und er hat kein einziges Mal meinen Lohn erhöht. Man muss doch Perspektiven haben ...«
»Sprich weiter«, sagte Sharpe. Er warf das Messer in die Luft, und Bang beobachtete mit hervorquellenden Augen die Flugbahn und schluckte, als Sharpe es wieder am Griff auffing. »Ich höre.«
»Es ist nicht rechtens, was Mister Skovgaard macht«, sagte Bang. »Er ist ein Landesverräter.« Er wimmerte auf, nicht, weil Sharpe irgendetwas getan hatte, sondern weil Astrid, in einem grünen Kleid, herunter ins Lagerhaus gekommen war. Bangs Schreie mussten sie geweckt haben, und sie trug Sharpes Gewehr, weil sie fast mit einem Dieb gerechnet hatte, aber jetzt legte sie die Waffe ab und sah Sharpe neugierig an.
»Aksel erzählt uns eine Geschichte«, sagte Sharpe, »wie er deinen Vater für zwanzig Goldstücke verkauft hat.«
»Nein!«, protestierte Bang.
»Verarsche mich nicht!«, schrie Sharpe und erschreckte Astrid ebenso wie Bang. »Sag endlich die verdammte Wahrheit!«
Die verdammte Wahrheit: Ein Mann war an Bang herangetreten und hatte ihm eingeredet, dass es seine patriotische Pflicht sei, Skovgaard zu verraten. »Für Dänemark«, beteuerte Bang. Er behauptete, sich mit seiner Entscheidung herumgequält zu haben, doch die Qual wurde durch eine Versprechung auf Gold gemildert. Als Skovgaard Bang vorgeschlagen hatte, eine Andacht zu besuchen, hatte der seinem neuen Freund gesagt, wo und wann die Betenden dort sein würden. Eine Kutsche hatte außerhalb der Kirche gewartet, und Skovgaard war auf der Straße damit entführt worden.
Astrid war bleich geworden. Sie starrte Bang an, als könne sie nicht glauben, was sie gehört hatte.
Sharpe hielt das Messer wieder dicht an Bangs Auge. »Du hast ihn also verkauft, Aksel, und dann mit Gin gefeiert?«
»Sie sagten, dann würde ich mich besser fühlen«, gab Bang traurig zu. »Ich wusste gar nicht, was Gin ist.«
»Wofür, zum Teufel, hast du den Schnaps gehalten? Für die Milch der frommen Denkungsart?« Sharpe war versucht, mit dem Messer zuzustoßen, doch er beherrschte sich und trat zurück. »Du hast also Astrids Vater an Lavisser übergeben.«
»Ich kenne Major Lavisser gar nicht«, sagte Bang, als mache das seine Tat weniger abscheulich.
»Das ändert nichts daran, dass du es getan hast«, sagte Sharpe. »Ich war vor einer Stunde bei Lavissers Haus, und es war bewacht wie ein militärischer Außenposten. Du hast ihn den Franzosen ausgeliefert, Aksel.«
»Ich habe ihn den Dänen gegeben!«
»Du hast ihn den Franzosen gegeben, du verdammter Narr. Und Gott weiß, was sie ihm antun werden. Zwei Zähne haben sie ihm schon gezogen.«
»Sie haben mir versprochen, ihn nicht zu verletzen.«
»Du pathetischer Bastard.« Sharpe blickte Astrid an. »Willst du, dass ich ihn töte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein!«
»Er hätte es verdammt verdient«, sagte Sharpe. Doch stattdessen brachte er Bang hinaus in den Hof, wo es einen Stall gab, der eine solide Tür mit Vorhängeschloss hatte. Sharpe sperrte Bang hinein. Dann untersuchte er den Handkarren, der neben dem Hoftor stand. Acht Blindgänger lagen in dem Karren. Sie waren vermutlich sicher, doch am Morgen würde er die Lunten entfernen und Wasser auf die Ladungen schütten, um sicherzugehen. Er kehrte ins Lagerhaus zurück, steckte die Guineas ein und ging dann die Treppe hinauf zu Astrid. »Es tut mir leid«, sagte er.
Astrid zitterte, obwohl es nicht kalt war. »Diese Männer ...«, sagte sie stockend.
»Dieselben Männer wie zuvor«, sagte Sharpe, »und sie haben dieses Haus in Bredgade in ein Gefängnis verwandelt.«
»Was werden sie mit ihm machen?«
»Ihm Fragen stellen«, sagte Sharpe. Und er zweifelte nicht daran, dass die Fragen unter der Folter schließlich beantwortet werden würden, was bedeutete, dass diese Antworten in Kopenhagen bleiben mussten. Die Liste der Namen durfte nicht in die Hände der Franzosen fallen, und das bedeutete, dass er ins Haus in Bredgade gelangen musste, aber das konnte er nicht ohne Hilfe schaffen.
Er legte Astrid die Hände auf die Schultern.
»Ich gehe wieder aus«, sagte er. »Aber ich werde zurückkommen, das verspreche ich dir. Bleib hier. Kannst du das Lagerhaus geschlossen halten? Und lass Aksel nicht frei.«
»Das werde ich nicht.«
»Er wird dir was vorweinen. Er wird behaupten, durstig oder hungrig zu sein oder zu sterben, aber hör nicht hin. Wenn du oder deine Dienstmädchen diese Tür öffnen, wird er euch anspringen. Das ist es, was er will.«
»Er will nur Geld«, sagte sie bitter.
»Er will dich, Liebling. Er denkt, wenn dein Vater verschwindet, dann wirst du dich an ihn klammern. Er will dich, das Lagerhaus, das Geld, alles.« Er nahm die siebenläufige Waffe. »Halte das Haus verschlossen«, ermahnte er sie. »Lass niemand herein außer mir.«
Es war kurz vor dem Morgengrauen. Die Feuer gingen langsam aus, doch die größten Brandherde erhellten noch die Dunkelheit, in der keine Bomben fielen, sondern nur fettige Asche, die wie schwarzer Schnee in der sterbenden Nacht wirkte. Häuser brannten weiß glühend, und das Wasser aus den schwachen Pumpen wurde zu Dampf, der sich mit dem dichten Rauch mischte, der den Himmel über ganz Seeland färbte. Wasser war knapp in der Stadt, denn die Versorgungsleitung war unterbrochen. Die Pumpen mussten darauf warten, dass Wasser in Fässern vom Hafen geholt wurde, und das dauerte seine Zeit. Dennoch brachten die rasselnden Pumpen und der Regen die Feuer langsam unter Kontrolle. Die müden, abgekämpften Feuerwehrleute konnten geröstetes Fleisch in der Glut riechen. Särge waren in den Straßen aufgestellt, und die Krankenhäuser waren überfüllt mit wimmernden Patienten.
Sharpe machte sich auf den Weg zum Hafen.
Um John Lavisser die Hölle heiß zu machen.