SIEBZEHN

Peter schaltete das Radio aus, kletterte aus dem Pick-up und knallte die Tür zu. Das Geräusch hallte durch die Garage.

Seit drei Tagen gab es keinen Strom, seit 72 Stunden wies nicht das geringste Flackern darauf hin, dass an den Leitungen gearbeitet wurde. Das einzige Fahrzeug, das hin und wieder durch die Straße fuhr, war der PS-starke Geländewagen der Singhs, und selbst der war beim ersten Versuch im Schnee steckengeblieben. Peter hatte geholfen, ihn zur Hauptstraße zu schieben. Wo immer die Räumfahrzeuge waren, bis zu ihnen waren sie noch nicht vorgedrungen. Singh hatte ihm erzählt, dass er seit über einer Woche keinen geöffneten Supermarkt gesehen habe. «Ich glaube nicht, dass sie beliefert werden. Der Schnee hat die Lage noch um einiges verschlimmert.»

«Wie ist es im Krankenhaus? Werden Sie versorgt?»

«Ja, aber bloß sporadisch. Aber, bitte, behalten Sie das für sich. Sonst gibt es noch einen Aufstand.» Kopfschüttelnd hatte sich Singh wieder ans Steuer gesetzt. «Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich irgendwo sehe, dass was geöffnet ist. Ich lege Ihnen dann einen Zettel in den Briefkasten.»

Doch bis jetzt war der Briefkasten leer geblieben.

An der Hintertür bückte sich Peter und schnürte seine Stiefel auf. Hier war es genauso kalt wie draußen in der Garage. Er konnte seinen Atem sehen.

Ann stand im Wohnzimmer, die Hand am Telefon. Sie starrte aus dem Fenster. Oben hörte er Kate und Maddie. Sie zankten sich mal wieder laut. Eine Tür knallte. Er zuckte zusammen, doch Ann zeigte keine Reaktion. «Was ist los?»

«Vaters Behandlung ist verschoben worden.»

«Das tut mir leid.»

«Was soll man machen? Es läuft doch gar nichts mehr.» Sie drehte sich um und sah ihn an, das Gesicht von Sorgen gezeichnet. Eine Haarlocke hatte sich aus der Klammer gelöst und fiel ihr über die Wange. Es gab nichts, was er sagen konnte, um sie zu beruhigen, nichts, was sie nicht sofort durchschauen würde. «Hast du die Nachrichten gehört?», fragte sie.

«Sie reden inzwischen von dreizehn Toten. Und noch haben sie nicht alle rausholen können.»

«Die armen Leute.»

«Wer krank ist, soll zu Hause bleiben, sagen sie.»

«Auch mit Lungenentzündung? Damit muss man doch zum Arzt.»

Sie sah ihn Bestätigung heischend an. Es war eine unerträgliche Vorstellung, keine ärztliche Hilfe bekommen zu können, wenn man sie brauchte. Der Nachrichtensprecher hatte keine Ausnahmen genannt, aber natürlich würden die Leute weiter massenweise zum Arzt gehen. Eine Ansage im Radio würde sie nicht daran hindern, vor den Krankenhäusern Schlange zu stehen. Das war nur menschlich. Wenn eine seiner Töchter erkrankte, wäre er der Erste, der sich vor der Notfallaufnahme aufbauen und an die Tür trommeln würde.

«Ja, natürlich», sagte er wider besseres Wissen. Was an Medikamenten vorhanden war, würde rasch aufgebraucht sein. Bald würden die Ärzte keinen Nachschub mehr bekommen. Die meisten Dinge wurden aus China importiert, und China war sozusagen komplett lahmgelegt. Auch die Antibiotikavorräte waren beschränkt. «Ich werde mal ein bisschen durch die Gegend fahren», sagte er. «Vielleicht erfahre ich irgendwas.»

Sie runzelte die Stirn. «Das ist zu gefährlich. Die Straßen sind nicht geräumt.»

«Die Sonne hat schon einiges geschafft. Singh kommt auch überall durch.»

«Und was ist mit dem Benzin?»

«Ich fahre nicht weit.»

«Na gut. Aber sieh dich vor.»

Er fuhr rückwärts aus der Einfahrt und holperte in die Rillen, die Singhs Geländewagen ausgefahren hatte. Sie trugen ihn zur Hauptstraße. Dort hatten sich zwei parallele Spuren gebildet. Rechts und links an den Seiten türmten sich hohe Schneebänke.

Der Himmel war grau, eine betonschwere Masse, ohne eine einzige Wolke oder den leisesten Lichtschein. Es war nicht auszumachen, ob es noch mehr Schnee geben würde oder nicht. Alles lag unter einer weißen Decke, die mit der Zeit allmählich eindreckte. Nirgendwo regte sich Leben, aber aus den Schornsteinen stiegen Rauchfahnen auf. Am Himmel flogen keine Falken, nirgends hüpften aufgeplusterte Meisen von Zweig zu Zweig. Das Virus hatte sie erwischt. Anders war das nicht zu erklären. Er umfasste das Lenkrad fester und konzentrierte sich auf die Straße.

Die Spuren führten um einen gestürzten Baum herum, schwenkten wieder zurück, verschwanden unter verwehtem Schnee. Er fuhr im Kriechtempo weiter, und sie wurden wieder sichtbar.

In den Seitenstraßen sah er Leute, die mit Schaufeln die Schneeverwehungen bearbeiteten. Als er vorüberfuhr, hielten sie inne, und er grüßte, was einige mit einem Nicken oder Winken erwiderten. In der Ferne fuhren Kinder Schlitten. Am Tag zuvor hatte er die Mädchen überredet, Schlitten fahren zu gehen. Shazia war zu Hause geblieben, und so war er mit seinen Töchtern allein gewesen. Anfangs war ihr Ausflug schön. Kate und Maddie stapften lachend und mit roten Wangen mit ihm durch den tiefen Schnee. Aber als sie im Park die Kinder mit ihren Masken sahen, und die Eltern, die am oberen Ende der Piste Wache hielten, kippte ihre Stimmung. Die Mädchen wollten zurück und weigerten sich seitdem, das Haus zu verlassen.

Zum ersten Mal seit Tagen wurde ihm warm. Er zog Mütze und Handschuhe aus und ließ das Fenster herunter. Es wäre vielleicht eine gute Idee gewesen, die Mädchen mitzunehmen, damit sie sich aufwärmten, aber das hätte Ann niemals erlaubt.

Aus der Ferne kam ihm ein goldfarbenes Auto entgegen. Peter fuhr langsamer und fragte sich, wie sie aneinander vorbeikommen sollten. Einer von ihnen würde in den tiefen Schnee ausweichen müssen, wahrscheinlich Peter, weil er im größeren Fahrzeug saß. Doch dann bog der Wagen in eine Nebenstraße. Als Peter an die Kreuzung kam, war er schon verschwunden.

Irgendwo dröhnte ein Motor. Er nahm den Fuß vom Gas und lauschte. Das Geräusch wurde lauter, und ein schrilles Aufheulen machte deutlich, dass es sich um eine Motorsäge handelte. Ein paar Straßen weiter standen zwei Männer neben einem roten Minivan knietief im Schnee. Einer würgte mit der Säge an einem dicken Ast. Der andere zog und zerrte an der schon hängenden Spitze. Schneelawinen stürzten auf ihn nieder. Als er Peters Pick-up sah, stieß er seinen Kumpel an, der sich ebenfalls umdrehte und ihn anstarrte. Die Motorsäge stotterte und verstummte.

Peter legte seinen Arm auf den Fensterrand. «Hey.»

«Hey.»

Beide Männer trugen Mützen, dicke Stiefel und Handschuhe. Peter musste an den Vater und seinen Sohn denken, die er vor Wochen am Sparrow Lake getroffen hatte. Diese beiden blickten ähnlich argwöhnisch drein, aber aus einem anderen Grund. Sie waren dabei, illegal einen Straßenbaum zu fällen. «Kalt heute», sagte Peter.

Mit anderen Worten: Ich bin nicht hier, um Sie anzuzeigen.

Die Männer wechselten einen Blick.

«Wenigstens schneit es nicht mehr», sagte der Kleinere. «Sie kommen mir bekannt vor. Haben Sie ein Kind, das Fußball spielt?»

Peter nickte. «Meine Achtjährige.»

«Ach ja. Dann kenn ich Sie wohl von den Spielen.»

«Haben Sie eine Ahnung, ob irgendwo ein Supermarkt auf ist?»

«Draußen in Galway soll einer auf sein, hab ich gehört», sagte der Kleinere.

Galway war eine halbe Stunde entfernt. Lohnte es das Benzin, die ganze Strecke zu fahren? Ihre Lebensmittel würden noch eine Weile reichen.

«Nach Lancaster rauszufahren ist sinnlos», fuhr der Mann fort. «Da verjagen die Bauern die Leute mit Waffen.»

Peter war entsetzt. «Und haben Sie was darüber gehört, wann es wieder Strom gibt?»

«Gerade ist ein Mann von den E-Werken vorbeigekommen. Der meinte, in Teilen der Innenstadt ist er wieder da.»

Seine Wohnung war in der Innenstadt. Wenn es dort wieder Strom gab, konnten sie ihre Schlafsäcke einpacken und ein paar Lebensmittel mitnehmen und sich dort einrichten. Es würde eng werden, aber wenigstens hätten sie es warm. Und sie hätten Internet. «Wissen Sie, in welchen Stadtteilen?»

«Nee.» Der Größere nahm den Ast, schleppte ihn zum Minivan und schob ihn in den Kofferraum. «Der Typ hatte keine Zeit.»

«Was ist mit der Uni? Hat er davon was gesagt?» Sie konnten in seinem Büro übernachten. Er konnte seinen Schreibtisch in den Flur rücken, damit sie Platz hatten. Dort gab es eine Küche mit Kühlschrank, Mikrowelle und Kaffeemaschine. Das wäre noch besser.

Der Mann zuckte die Achseln. «Sie können ihn selbst fragen. Er arbeitet an der Umspannstation unten an der Summit Street.»

«Südlich der Brant Street?»

«Genau.»

Als Peter den Gang einlegte, machte der Kleinere einen Schritt auf ihn zu. «Darf ich Ihnen einen Rat geben?» Er nickte in Richtung von Peters Pick-up. «Passen Sie gut auf Ihren Wagen auf. Bei so großen Pick-ups wie Ihrem zapfen die Leute jetzt die Tanks an, um das Benzin für ihre Autos zu nehmen.»

Ein paar Meilen weiter an der dunkel werdenden Straße erspähte Peter das eingezäunte Geviert mit dem hohen Mast. Am Tor stand ein weißer Lieferwagen. Ein Mann schaufelte Schnee. Peter ließ seinen Pick-up ausrollen und stieg aus. Der Mann blickte über die Schulter und hielt die Schaufel fest umklammert. «Kommen Sie nicht näher.»

«In Ordnung.» Peter blieb gute drei Meter entfernt stehen.

Der Mann trug einen Helm und eine leuchtfarbene Sicherheitsweste über einem dicken grauen Overall. «Brauchen Sie was?»

«Ich habe gehört, in der Stadt läuft der Strom wieder?»

«Richtig. Da, wo das Krankenhaus ist.»

Das war doch mal eine gute Nachricht. Peters Büro war nur ein paar Straßen davon entfernt. Es musste im selben Bezirk liegen. «Es überrascht mich, dass Sie nicht schon längst die ganze Stadt wieder am Netz haben.»

«Das ist ein echter Volltreffer diesmal. Der Sturm hat einen Fernleitungsmast umgerissen, und dadurch ist auf der ganzen Strecke alles ausgefallen.» Er lehnte seine Schaufel an den Zaun. «Bei uns ist ein Feuer ausgebrochen. Wir haben ein paar Männer verloren.»

«Das ist ja furchtbar.»

«Mein Team ist völlig fertig. Die Hälfte ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Ein paar haben sich krankgemeldet, aber wenn Sie mich fragen, haben die nicht H5N1. Sie haben Angst, ihre Familien allein zu lassen. Mein Chef macht sich Sorgen um seine Katze. Wer soll sie füttern, wenn er vor lauter Arbeit nicht nach Hause kommt?» Der Mann lachte verächtlich auf. «In Zeiten wie diesen kann man den Leuten nicht genug bezahlen. Wir haben versucht, aus anderen Gegenden Hilfe zu kriegen, aber da hat der Sturm auch einiges angerichtet.»

Dann hatte der Nachrichtensprecher also gelogen. Es war keine Hilfe im Anzug.

Es knisterte. Der Mann griff nach dem Funkgerät, das an seiner Schulter klemmte. «Ich höre.» Er beugte den Kopf und lauschte. «Sind Sie sicher?»

Von dieser Station wurde sein Haus versorgt. Vielleicht konnte er den Abend noch abwarten. Wenn der Strom bis zum Morgen nicht wieder floss, würde er alle einpacken und losfahren. Jetzt war es zu spät. Ann würde im Dunkeln nicht mehr fahren wollen.

Der Mann hakte sein Funkgerät wieder ein. «Würden Sie bitte Ihren Pick-up wegfahren?»

«Klar.» Peter wandte sich zum Gehen. «Dann sind Sie hier fertig?»

Der Mann holte seine Schaufel. «Wir haben noch nicht mal angefangen. Die Leitung ist wieder tot.»

«Dann ist die Innenstadt auch wieder ohne Strom?»

«So sieht’s aus.» Er stellte sich mit der Schaufel ans Tor und wartete, bis Peter weit genug weg war. Peter legte den Rückwärtsgang ein, und der Arbeiter fummelte am Schloss für das Tor. «Das wird noch hart, wieder in die Stadt zu kommen», sagte er.

«Ich hab gehört, die I-71 ist gesperrt.»

Der Mann blickte auf. «Sind Sie da gewesen?»

«Nein. Ist es schlimm?»

Der Mann schüttelte den Kopf. «Es ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Lauter ausgebrannte Fahrzeuge, hoffnungslos ineinander verkeilt.» Er schlug das Tor zu. «Keiner konnte mehr raus. Sie saßen einfach da und wurden von dem Feuer gefressen.»

Die Schlittenfahrer waren verschwunden. Alles, was von den Feuerholzdieben geblieben war, waren ein paar Fichtenspitzen im Schnee, wo sie gesägt hatten. In der Ferne blitzten Scheinwerfer auf und verschwanden wieder. Der Himmel wurde schwarz. Peter fuhr in Richtung Westen, und die Nacht folgte ihm.

Als er endlich in seine Straße einbog, war es vollkommen finster. Seine Scheinwerfer trafen auf schräge Schneekanten, und der wieder zu festen Graten gefrorene graue Matsch in den Fahrrillen warf tiefe Schatten. Hinter den Fenstern flackerte Kerzenlicht. Das Haus mit den Säulen vor der Tür war unbeleuchtet. Hatte die Familie, die dort wohnte, sich in eine bessere Gegend retten können? Auch das kleine Haus daneben wirkte dunkel. Peter betrachtete es, als er um die Ecke fuhr.

Plötzlich strahlte aus einem Seitenfenster Licht auf die schneebedeckten Büsche, die hölzerne Fensterbank und ein Stück Mauerwerk hinter pieksigen Stechpalmen. Ebenso plötzlich erlosch es wieder.

Peter trat auf die Bremse. Er konnte sich unmöglich getäuscht haben. Nach kurzem Zögern lenkte er seinen Pickup über die Schneeberge auf den Gehweg. Wenn jemand an seinen Tank wollte, würde er sich erst mal durch den Schnee dahin vorarbeiten müssen.

Er stapfte über den nicht geräumten Schnee zum Haus und klopfte laut an der Tür.

Drinnen bellte ein Hund.

«Finn? Hier ist Peter Brooks. Ihr Nachbar ein paar Häuser weiter.»

«Ich weiß, wer Sie sind», sagte eine Stimme hinter ihm.

Rasch drehte Peter sich um. An der Gartenpforte stand jemand. Es war zu dunkel, als dass er den Mann hätte sehen können, aber er erkannte die barsche Stimme. Walter Finn.

«Was wollen Sie?», fragte der Mann.

«Ich habe das Licht gesehen. Sie haben einen Generator, oder?»

«Das geht Sie gar nichts an.»

«Ich will bloß ein paar Informationen.»

Ein schroffes Lachen. «Die kann ich Ihnen geben, ganz umsonst. Die Hölle friert zu.»

«Was ist mit dem Impfstoff, an dem sie arbeiten? Haben Sie darüber was gehört?»

«Mann, Brooks, Sie glauben doch nicht wirklich an einen Impfstoff, oder? Das ist die reinste Verarschung. Das verbreiten die da oben bloß, damit die kleinen Leute ruhig bleiben und keine Fragen stellen.»

Die da oben, damit meinte er vermutlich den Staat. «Ich kenne den Leiter der Forschungsstelle. Ich hab mit ihm zusammengearbeitet. Das ist keine Lüge. Man arbeitet wirklich daran, einen Impfstoff zu entwickeln.»

«Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so leichtgläubig sind.»

«Ich kann’s beweisen.»

Eine Pause. «Und wie?»

«Lassen Sie mich ins Internet gehen. Dann zeige ich es Ihnen.»

Wieder eine Pause, dann sagte Finn: «Holen Sie erst mal Ihre Maske.»

Er hatte recht, sie sollten sich beide schützen. «Warten Sie. Ich habe eine im Pick-up.»

Einen Augenblick darauf ging quietschend die Haustür auf, während Peter noch durch den tiefen Schnee stapfte. Eine Taschenlampe ging an. In dem langen Lichtstrahl sah Peter dicke Stiefel und eine Arbeitshose sowie vier braune Pfoten. Finn trug eine große schwarze Atemmaske vor Mund und Nase. Der Lichtstrahl wanderte nach oben und blendete Peters Augen.

Er hob den Unterarm vors Gesicht. Finn senkte die Lampe. Barney wollte nach draußen, aber Finn versperrte ihm mit dem Knie den Weg und öffnete die Tür, um ihn reinzulassen. Freudig sprang der Hund an ihm hoch.

Finn schloss die Tür und führte ihn eine Treppe hinunter in den Keller, wo er das Licht anknipste. Sie standen in einem Raum mit Betonwänden, kleinen, mit schwarzem Plastik verhängten Fenstern und einer nackten Glühbirne an der niedrigen Decke – offenbar Finns Arbeitsreich. Der Mann hatte alles.

Auf einem großen Holztisch in der Ecke standen ein PC, ein Kurzwellenradio und ein kleiner Fernseher. Unten glühte ein Heizapparat, und auf einem kleinen Bücherregal drehte sich ein Ventilator. Ein schmales Feldbett war mit einem Schlafsack zugedeckt. Finn hatte sich ganz hier unten eingerichtet. Es war auf jeden Fall wärmer. Barney zottelte zum Klappstuhl und ließ sich erwartungsvoll daneben nieder.

«Na los.» Finns Stimme drang gedämpft durch die Atemmaske. «Zeigen Sie mir das mit dem Impfstoff.»

Peter zog seine dicken Handschuhe aus, stopfte sie in die Jackentasche und setzte sich an den Computer. Die Latexhandschuhe ließ er an. Es tat gut, auf die Tasten zu tippen und zu sehen, wie nacheinander die Seiten auftauchten. «Haben Sie was dagegen, wenn ich mich ein bisschen umschaue?»

«Zwei Minuten.»

Barney stupste ihn mit seiner kalten Schnauze an. Wenigstens einer war freundlich in diesem seltsamen Haus. Peter überflog rasch die Seite der WHO. Die Updates kamen nicht mehr jede Stunde, sondern alle ein bis zwei Tage. Das letzte war über zwölf Stunden alt. Er las die Überschriften. Sie waren immer noch in Phase fünf. Das war eine gute Nachricht. Es fanden Versuchsimpfungen statt, aber die ersten Ergebnisse wiesen darauf hin, dass womöglich zweimal geimpft werden musste. Peter wusste nicht, wie das zu deuten war. Wie gern hätte er mit Liederman gesprochen.

Er wechselte zur Internetseite des CNN und blieb an einem Foto hängen, auf dem uniformierte Soldaten Leichen in eine große Grube kippten. Männer, Frauen und Kinder, alle durcheinander. Ein erschütternder Anblick, der ihn an die toten Vögel am Ufer erinnerte. Am Rand der Grube standen Trauernde, die Gesichter mit Tüchern bedeckt. Er las die Bildunterschrift. Kairo. Shazias Heimatstadt. Meine ganze Familie lebt dort, hatte sie gesagt.

Finn stieß ihn an und schnitt mit der Hand einen Kreis in die Luft. Jetzt reicht’s bald.

Peter stieß die Luft aus, rief die Homepage der Universität auf und klickte sich weiter durch. Liedermans bärtiges Gesicht grinste ihm entgegen. «Sehen Sie? Der Mann arbeitet für ein privates Unternehmen.» In seinem E-Mail-Ordner ging Peter zur letzten Mail, die Liederman ihm geschickt hatte. «Sehen Sie sich das Datum an. Die Mail ist nicht lang. Dazu hatte er zu viel zu tun, aber er schreibt mir, wie weit er mit seinen Tests für den Impfstoff gekommen ist.»

Finn beugte sich zum Bildschirm und las. Dann richtete er sich auf und deutete abrupt mit dem Daumen nach oben. Die Besuchszeit war vorbei.

Widerstrebend stand Peter auf. Er hatte keine Ahnung, ob er Finn überzeugt hatte. Er würde irgendwie versuchen müssen, ihm bald einen zweiten Besuch abzustatten.

Auf der Treppe schob sich Barney neben ihn. Peter spürte ein Zupfen an seiner Jackentasche, und als er hinuntersah, hatte der Hund einen seiner Handschuhe im Maul.

«He.» Peter lief ein paar Schritte hinterher und blieb dann stehen. Er war in Finns Küche gelandet. Einige Schranktüren standen offen. Auf der Küchentheke türmten sich Büchsen, Kartons und Tüten mit Lebensmitteln.

Peter sah sich verblüfft um. Der Mann hatte sogar Militärrationen, lauter schlichte weiße Verpackungen mit sauberen Aufschriften in Schwarz. Hackbraten. Hähnchen Cacciatore. «Wo haben Sie denn die her?» Er drehte sich um.

Vor ihm stand Finn und zielte mit einer langen schwarzen Flinte direkt in sein Gesicht.