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8. KAPITEL

Libby murmelte etwas, als der Sonnenschein in ihre Träume drang. Sie erwachte langsam und wollte sich umdrehen, was jedoch nicht ging, weil ein schwerer Arm um ihre Taille geschlungen war und ein noch schwereres Bein über ihrem lag. Sie hatte durchaus nichts dagegen, sondern kuschelte sich bequem zurecht und genoss es, Cals Haut an ihrer zu fühlen.

Wie spät es war, wusste sie nicht. Vielleicht interessierte es sie auch zum ersten Mal in ihrem Leben nicht. Ob Morgen oder Nachmittag, sie war glücklich, im Bett zu liegen und den Tag verträumen zu können, solange Cal noch bei ihr war.

Beinahe noch im Halbschlaf strich sie mit der Hand über seine Schulter. Er ist kein Traumbild, dachte sie, sondern echt und wahrhaftig vorhanden. Und im Augenblick gehörte er ihr. Zwar war er eben erst in ihr Leben getreten und würde viel zu schnell daraus verschwinden, jetzt jedoch gehörte er ihr. Sein Lachen, seine Stimmungen, seine Leidenschaft, das alles gehörte ihr. Und alles würde sie wie einen wertvollen Schatz in ihrer Erinnerung bewahren, nachdem er schon lange wieder fort war.

Cal meinte noch zu träumen, aber die Gestalt und der Duft waren sehr real. Libbys Körper, Libbys Duft, ihrem Namen galt sein erster bewusster Gedanke. Sie schmiegte sich an ihn, und das langsame, sanfte Streicheln ihrer Hand erregte ihn auf ganz besondere Weise.

Er hatte nicht mitgezählt, wie oft sie sich im Laufe der Nacht geliebt hatten, aber er erinnerte sich, dass die Morgendämmerung mit ihrem perlmuttfarbenen Licht schon hereingebrochen war, als Libby zum letzten Mal seinen Namen gerufen hatte. Nie würde er es vergessen. Wie ein Traum war sie gewesen, weich, geschmeidig, beweglich und voller nicht endender Leidenschaft. Irgendwann hatte er aufgehört, ihr Lehrer zu sein, und war stattdessen zu ihrem Schüler geworden.

Liebe war mehr als das körperliche Vergnügen, das Mann und Frau einander bereiten konnten. Vertrauen und Geduld, Großzügigkeit und Freude gehörten dazu und die glückliche Gewissheit, dass beim Aufstehen am Morgen der Partner noch da war.

Partner, Partnerin - diese Worte gingen ihm durch den Kopf. War es Schicksal oder Schein, dass er erst durch die Zeit hatte reisen müssen, um seine wirkliche Partnerin zu finden?

Er wollte nicht daran denken. Das Einzige, was er jetzt wollte, war Libby im hellen Sonnenlicht zu lieben.

Er veränderte seine Lage, und bevor einer von ihnen richtig wach war, drang er in sie ein. Sie stöhnten beide gleichzeitig auf und versanken dann in einem zuerst liebevollen, dann immer leidenschaftlicheren Kuss. Sie bewegten sich miteinander, sie ließen die Hände auf Reisen gehen, und der Kuss wurde tiefer und heftiger.

„Ich liebe dich."

Libby hatte diesen Satz noch zu keinem Mann gesagt, Cal noch zu keiner anderen Frau. Trotzdem wiederholte er diese Worte jetzt wie ein Echo. Das Geständnis schockierte keinen von beiden, denn sie waren zu sehr von ihren sinnlichen Empfindungen berauscht, die sie schließlich auf den Gipfel der Freuden trugen.

Später bettete Cal den Kopf zwischen ihre Brüste, doch er schlief nicht wieder ein. Hatte Libby gesagt, dass sie ihn liebte? Und hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte? War das wirklich geschehen, oder gaukelte ihm das nur seine Fantasie vor? Er wusste es nicht genau, und das war ihm unbehaglich.

Fragen konnte er Libby auch nicht. Das wagte er nicht. Wie immer die Antwort lauten würde, sie würde schmerzen. Liebte Libby ihn nicht, würde es ihm das Herz brechen. Liebte sie ihn, wäre der Abschied von ihr so etwas wie ein kleiner Tod.

Für sie beide war es am besten, wenn sie sich nahmen, was sie bekommen konnten. Cal wollte Libby lachen machen, er wollte Leidenschaft und Heiterkeit in ihren Augen sehen und in ihrer Stimme hören. Und er würde sich erinnern. Was immer mit ihm geschähe, er würde sich erinnern. Sie sollte sich auch erinnern. Er wollte sich seines Platzes in ihrem Gedächtnis sicher sein.

„Komm mit." Er stand auf und zog sie ebenfalls hoch.

„Wohin?"

„Ins Badezimmer."

„Schon wieder?" Lachend, aber vergeblich griff sie nach ihrem Morgenmantel. „Du brauchst dich doch nicht schon wieder zu rasieren."

„Gott sei Dank."

„Du hast dich nur drei- oder viermal geschnitten. Und daran warst du selbst Schuld. Du hättest eben nicht die ganze Rasiercreme für etwas anderes aufbrauchen sollen. Falls du jetzt etwas Ähnliches mit der Zahncreme ..."

„Später vielleicht." Er hob sie hoch und trug sie direkt in die Badewanne. „Jetzt gebe ich mich mit einem Duschbad zufrieden."

Libby kreischte auf, als der eiskalte Wasserstrahl sie traf. Ehe sie sich rächen oder auch nur protestieren konnte, war Cal schon bei ihr, legte den Arm um sie und regulierte mit der freien Hand die Wassertemperatur. Er fand, dass er das eigentlich schon ganz gut hinbekam.

Libby wurde von dem Strahl mitten ins Gesicht getroffen. Sie spie und wollte zu schimpfen anfangen, aber da brachte sie ein heißer, nasser, endloser Kuss zum Schweigen.

So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Feuchtheiße Luft, nasse Haut, seifige Hände ... Ihre Knie wurden weich.

Cal drehte das Wasser ab und wickelte sie in ein Badetuch. Er schien so berauscht zu sein wie sie und legte seine Stirn an ihre. „Wenn wir heute noch irgendetwas tun wollen - etwas anderes, meine ich -, dann sollten wir vielleicht lieber aus dem Haus gehen."

„Stimmt."

„Nach dem Essen."

Zu ihrem eigenen Erstaunen brachte sie die Energie zum Lachen auf. „Natürlich. Nach dem Essen."

Am späten Nachmittag standen sie wieder an Cals Schiff. Von Norden her waren Wolken aufgezogen, und die Luft hatte sich abgekühlt. Libby redete sich ein, dass sie nur deshalb fror. Sie wickelte die kurze Jacke enger um sich, doch die Kälte kam von innen.

„Ich stehe hier, sehe es mit meinen eigenen Augen, weiß, dass es tatsächlich existiert, und kann es dennoch einfach nicht glauben."

Cal nickte. Er war nicht mehr so entspannt und so zufrieden wie vor kurzem noch. Warum nicht, war ihm nicht ganz klar. „Mir geht es ebenso, wenn ich dein Haus anschaue."

Jetzt waren bei ihm auch noch Kopfschmerzen im Anzug. Er kannte das. Innere Anspannung war die Ursache. „Libby, ich weiß, dass du arbeiten musst, und ich will dich nicht davon abhalten, aber würdest du noch ein paar Minuten warten, bis ich mein Flugrad inspiziert habe?"

„Ja." Eigentlich hatte sie gehofft, dass er sie bitten würde, den ganzen Tag hier zu bleiben. Um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, lächelte sie. „Ich würde es mir sehr gern ansehen."

„Ich bin gleich wieder da." Er öffnete die Einstiegsluke und verschwand darin.

Bald wird er das wieder tun, dachte Libby. Darauf musste sie vorbereitet sein. Seltsam, aber sie bildete sich ein, er hätte ihr an diesem Morgen gesagt, dass er sie liebte. Das war ein schöner, tröstlicher Gedanke, aber sie wusste natürlich, dass Cal in Wirklichkeit nichts dergleichen geäußert haben konnte. Das war auch gar nicht möglich. Er mochte sie, vielleicht mehr als jeden anderen Menschen, aber er liebte sie nicht wirklich, jedenfalls nicht so sehr, wie sie ihn liebte.

Und weil sie ihn so liebte, wollte sie auch alles tun, um ihm zu helfen, wozu als Erstes gehörte, dass sie die Grenzen respektierte.

Sie hörte ein leises, metallisches Vibrieren. Die große Ladeluke öffnete sich. Auf einem kleinen, stromlinienförmigen Motorrad glitt Cal heraus, ohne den Boden zu berühren.

Das Fahrzeug gab ein Summen von sich, das wie vorbeirauschende Luft klang. In der Form erinnerte es entfernt an ein Motorrad, ohne so massig zu sein. Es besaß zwei Räder und einen schmalen, gepolsterten Sattel. Die metallicblaue Karosserie sah aus wie ein langer, gebogener Zylinder, der vorn in eine Art schlanke Lenkstange auslief.

Cal fuhr, nein schwebte zu Libby heraus, hielt dann an und machte ein Gesicht wie ein kleiner Junge, der sein erstes Mountainbike vorführte. „Es läuft großartig." Er drehte an den Handgriffen, und das Summen wurde lauter. „Möchtest du es einmal ausprobieren?"

Skeptisch betrachtete Libby die winzigen Anzeigen und Knöpfe unterhalb der Lenkstange. Es sah alles ein bisschen nach Spielzeug aus. „Ich weiß nicht recht."

„Nun komm schon, Libby." Er hielt ihr die Hand hin, weil er seine Freude mit ihr teilen wollte. „Es wird dir Spaß machen. Ich passe schon auf, dass dir nichts passiert."

Libby blickte erst ihn und dann das Gefährt an, das eine Handbreit über dem Waldboden schwebte. Es war eine kleine Maschine - falls das die richtige Bezeichnung für das Ding war, aber auf dem schmalen, schwarzen Sattelpolster war Platz für zwei. Eigentlich sah das Vehikel harmlos aus, und Libby bezweifelte, dass etwas so Kleines überhaupt genug Kraft besaß. Schulterzuckend nahm sie auf dem hinteren Teil des Sattels Platz.

„Halte dich gut an mir fest", empfahl Cal hauptsächlich deswegen, weil er ihren Körper an seinem fühlen wollte.

Die starken Vibrationen unter ihr erschreckten Libby. Aber das fand sie töricht. Cal sah schließlich auch harmlos aus. „Hornblower, sollten wir nicht lieber Helme oder..." Die Worte wurden ihr förmlich vom Mund gerissen, als die Beschleunigung einsetzte.

Libby wusste nicht, ob sie schreien oder sich lieber nur festhalten sollte. Sie entschied sich für Letzteres, drückte die Augen zu und umklammerte Cal so eisern, dass er lachen musste. Mit geübtem Geschick steuerte er das Flugrad einmal ums Schiff und dann den Abhang hinauf.

Der Rausch der Geschwindigkeit! Cal war ihm immer verfallen gewesen, aber diesmal widerstand er ihm und der Verlockung des Himmels, denn Libby würde mehr verängstigt als begeistert sein, falls er sie zu schnell zu hoch brachte. Er kurvte also nur um die Baumwipfel herum und sauste über Fels und Wasser. Ein Vogel hob sich ärgerlich keifend von einem Ast direkt über ihren Köpfen, anscheinend konnte er die fliegende Konkurrenz nicht vertragen.

Cal fühlte, dass Libbys Griff eine Spur lockerer wurde und dass sie das Gesicht nicht mehr zwischen seine Schulterblätter presste.

„Na, wie findest du das?"

Sie bekam schon fast wieder Luft. Es schien, als hätte sich ihr Magen dazu durchgerungen, an seinem Platz zu bleiben, jedenfalls für den Moment. Ganz vorsichtig öffnete sie die Augen und machte sie gleich wieder zu.

„Ich finde, ich habe alles Recht, dich umzubringen, sobald wir wieder gelandet sind."

„Immer mit der Ruhe." Das Fahrzeug schwenkte dreißig Grad nach rechts, dann wieder nach links, und dann ließ Cal es weiter durch die Bäume tanzen.

Der hat gut von Ruhe reden, dachte Libby. Ein vorsichtiger Blick nach unten zeigte ihr, dass sie sich mehr als drei Meter über dem Boden befanden. Sie war drauf und dran, von Cal zu verlangen, dass er sie absetzte, doch dann traf es sie.

Sie flog! Nicht in einem riesigen Flugzeug eingeschlossen, sondern frei und leicht. Sie konnte den Wind in ihrem Haar fühlen, sie konnte den Frühling in der Luft schmecken, und kein lautes Motorengeräusch störte die Eindrücke. Wie verspielte Vögel streiften sie und Cal durch den Wald.

Mitten in der Schneise, die sein Schiff geschlagen hatte, hielt er an und drehte sich zu Libby um. Das Flugrad schwebte über dem Boden. „Soll ich runtergehen?"

„Nein. Rauf!" Lachend warf sie den Kopf in den Nacken. Sie hatte die Verlockung des Himmels gespürt.

Cal beugte sich zu einem Kuss zurück. „Wie hoch hinauf?"

„Wo wäre denn die oberste Grenze?"

„Keine Ahnung, aber ich glaube, wir sollten es lieber nicht ausprobieren. Wenn wir nämlich über die Baumwipfel hinausfliegen, könnte uns jemand entdecken."

Da hatte er natürlich wieder einmal Recht. Libby fragte sich, weshalb sie eigentlich immer ihre gesunde

Vernunft verlor, wenn sie in Cals Nähe war. „Also dann bis zu den Wipfeln. Nur ein Mal, ja?"

Ihre Begeisterung entzückte ihn. Er fühlte, wie Libby die Arme wieder um ihn schlang, und dann hob er ab.

Diesen Flug würde er nie vergessen. Libby lachte glücklich, ihr Körper drückte sich an seinen, und ihre Finger waren locker vor seinem Bauch verschränkt. Cal bedauerte nur, dass er Libbys Gesicht während des Flugs nicht beobachten konnte.

Er widerstand der Versuchung, über die Baumwipfel hinauszufliegen, sondern beschränkte sich darauf, in ungefähr dreißig Metern Höhe um die dicken Äste herumzukurven. Unter ihnen hatte ein schmaler Gebirgsbach sein Bett in den Fels gegraben, und ein Wasserfall, angeschwollen von der Schneeschmelze und dem Frühlingsregen, stürzte über die Felskante und fiel ins scheinbar Leere. Die Sonne brach durch die Wolken und zeichnete Muster auf den Waldboden.

Cal drosselte das Tempo zum Landeanflug. Jetzt schienen sie schwere- und geräuschlos zu Boden zu schweben, und dann setzten sie weich auf dem Boden neben dem Schiff auf.

„Alles in Ordnung?" fragte er und blickte über die Schulter nach hinten.

„Es war einfach herrlich! Ich hätte den ganzen Tag da oben bleiben können", sagte sie begeistert.

„Fliegen kann sich zur Sucht auswachsen." Cal stieg ab und fasste Libbys Hand. „Freut mich wirklich, dass es dir so gefallen hat."

Es ist vorbei, dachte Libby, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Doch jetzt besaß sie eine weitere Erinnerung, die sie aufbewahren konnte. „Und wie es mir gefallen hat! Ich werde dich auch nicht fragen, wie das Ding funktioniert. Ich würde es ja doch nicht verstehen." Sie warf einen Blick zum Schiff hinüber. Es hatte ihr Cal gebracht, und es würde ihn ihr auch wieder nehmen. „Ich werde dich jetzt deiner Arbeit überlassen."

Cal war innerlich ebenso zerrissen wie Libby. „Bei Einbruch der Nacht bin ich wieder zurück."

„Gut." Sie entzog ihm ihre Hand und steckte sie sich in die Hosentasche. „Wirst du auch zu meinem Haus finden?"

„Ich bin ein guter Navigator."

„Natürlich." Die Vögel, die vor dem fliegenden Gefährt geflohen waren, sangen jetzt wieder. Die Zeit verging. „Ja, ich werde dann jetzt gehen."

Er merkte, dass sie ihre Abfahrt hinauszögerte. Ihm ging es ja nicht anders, obwohl das natürlich töricht war. In einigen wenigen Stunden würden sie ja wieder zusammen sein. „Du könntest mit hereinkommen, aber ich glaube, dann werde ich nicht viel Arbeit schaffen."

Verlockend war das schon. Sie könnte mit ins Schiff gehen, Cal ablenken und ihn vom Computer und dessen

Antworten noch ein paar Stunden fern halten. Aber das wäre nicht recht.

Sie schaute zu ihm hoch, und all ihre Liebe, ihre Sehnsucht lag in ihrem Blick. „Ich bin in den letzten Tagen ja auch nicht viel zum Arbeiten gekommen."

Er neigte sich zu ihr und küsste sie. „Dann also bis heute Abend." Bei der offenen Luke blieb er stehen, bis Libby mit ihrem Geländewagen den Scheitelpunkt der Anhöhe erreicht hatte. Sie schaute nicht zurück.

Den größten Teil des Tages verbrachte Libby damit, für die geplante Zeitkapsel alles aufzuzeichnen, was in der vergangenen Woche geschehen war. Sie verwendete Cals Worte und seine Theorien, um seine Anwesenheit hier zu erklären, und ihre eigenen Eindrücke fügte sie zur Veranschaulichung hinzu.

Nachdem sie fertig war, las sie alles noch einmal durch, raffte einige Passagen und führte andere ein wenig detaillierter aus. Es war eine fantastische Geschichte, fantastisch im Sinn des Wortes. Vielleicht wirkte sie in Cals Zeitalter gar nicht so fantastisch. Wie würden seine Mitmenschen reagieren, wenn er ihnen bei seiner Rückkehr seine Erlebnisse berichtete? Der zufällige Entdecker, dachte Libby lächelnd. Wie Kolumbus, der nach Indien hatte segeln wollen und die Neue Welt entdeckt hatte.

Vielleicht würde man Cal auch als einen solchen

Helden feiern. Vielleicht würde sein Name dann auch in den Geschichtsbüchern zu finden sein. Wie ein Held sieht er ja jetzt schon aus, dachte Libby verträumt. Groß und stark. Der Verband auf seiner Stirn ließ ihn verwegen wirken, was durch die Bartstoppeln noch unterstrichen wurde - jedenfalls bis gestern Abend, denn da hatte er sich ja rasiert. Für mich, dachte sie glücklich.

Möglicherweise war er ja in seiner Zeit ein ganz gewöhnlicher Mann, der wie jeder andere auch seinem Beruf nachging, der morgens nur widerwillig aufstand, der manchmal ein bisschen zu viel trank und vergaß, seine Rechnungen zu bezahlen. Er war weder reich noch genial oder umwerfend erfolgreich. Er war einfach Caleb Hornblower, ein Mann, der vom Kurs abgekommen und zu etwas Besonderem geworden war.

Für Libby war er nicht nur irgendein beliebiger Mann. Für sie war er der Mann überhaupt. Sie wusste schon jetzt mit absoluter Sicherheit, dass sie nie wieder würde lieben können. Und das war auch gut so.

Zufrieden schob sie ihre Brille auf dem Nasenrücken höher und wandte sich wieder ihrem Computer und den Kolbari-Insulanern zu.

So fand Cal sie Stunden später vor. Sie war tief in eine Kultur versunken, die sich von ihrer genauso unterschied wie ihre von seiner.

Das Licht der Schreibtischlampe fiel über ihre Hände.

Starke, fähige Hände, dachte Cal, wahrscheinlich ein Erbteil ihrer Mutter, der Künstlerin. Die Finger waren lang, die Nägel kurz und nicht lackiert. Am rechten Daumenansatz befand sich eine kleine Narbe, die Cal schon einmal aufgefallen war und nach deren Ursache er hatte fragen wollen.

Als er jetzt zum Haus zurückgekommen war, hatte er sich todmüde gefühlt, nicht körperlich, aber geistig, denn die Zahlen und Berechnungen belasteten ihn sehr. Nachdem er nun aber Libby wieder sah, war alle Müdigkeit verflogen.

Während er gearbeitet hatte, war es ihm gelungen, nicht an sie zu denken, und deshalb hatte er auch gute Fortschritte gemacht. Er wusste jetzt mit einiger Sicherheit, was er tun musste, um wieder in seine Zeit zu gelangen. Er kannte die Unwägbarkeiten und Risiken. Und jetzt, bei Libbys Anblick, wusste er, welches Opfer er bringen musste.

Die Bekanntschaft mit ihr war nur sehr kurz gewesen. Es war überaus wichtig, dass er sich daran immer wieder gemahnte. Sein Leben fand nicht hier bei ihr statt. Er hatte ein eigenes Daheim, eine Identität. Er hatte eine Familie, die er mehr liebte, als ihm das bisher bewusst gewesen war.

Aber hier stand er nun, die Minuten verstrichen, und er betrachtete Libby. Er verfolgte jeden ihrer Atemzüge, jede ihrer Handbewegungen. Er sah, wie ihr Haar über den Nacken fiel und wie sie ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte, wenn ihre Finger einen Moment pausierten. Hin und wieder fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar oder stützte das Kinn in die Hände und starrte den Bildschirm finster an. Cal fand alles, was sie tat, unbeschreiblich liebenswert.

„Libby." Seine Stimme klang angespannt.

Libby schreckte zusammen und fuhr auf ihrem Stuhl herum. Cal lehnte am Türrahmen. „Oh, ich habe dich nicht kommen hören." So glücklich war sie über seine Rückkehr, dass sie kaum richtig sprechen konnte.

„Du warst in deine Arbeit vertieft."

„Ja, scheint so." Als Cal in das Zimmer trat und sie seine Augen sah, beschlich sie ein ungutes Gefühl. „Und was macht deine eigene Arbeit? Bist du vorangekommen?"

„Ja.

„Du siehst irgendwie ärgerlich aus. Ist etwas schief gegangen?"

„Nein." Er neigte sich zu ihr hinunter und streichelte ihre Wange. Sein Gesichtsausdruck wurde sanfter. „Nein."

„Und deine Berechnungen?"

„Die nehmen Formen an." Libbys Haut fühlte sich so weich an und wurde unter seiner Hand wärmer. „Ich bin sogar weiter vorangekommen, als ich gedacht hatte."

„Oh." Ein Schatten flog über ihr Gesicht, doch ihre

Stimme klang fest und aufmunternd. „Das ist ja gut. Bist du mit dem Rad zurückgekommen?" Was für eine dumme Frage!

„Ja. Ich habe es in den Schuppen gestellt."

Am liebsten hätte sie ihn gebeten, sie noch einmal mitzunehmen, hoch hinauf im Licht des aufgehenden Mondes. Es würde wunderbar sein. Aber Cal sah so müde aus, so bekümmert.

„Ja, nun wirst du wohl hungrig sein." Libby schaute sich um, als merke sie erst jetzt, wie dunkel es schon war. „Mir ist überhaupt nicht aufgefallen, wie spät es schon ist. Ich werde jetzt gleich hinuntergehen und dir etwas zu essen zubereiten."

„Das hat Zeit." Er fasste sie bei der Hand und zog sie vom Stuhl hoch. „Wir können nachher zusammen hinuntergehen und etwas zu essen zubereiten. Ich mag es, wie du mit deiner Brille aussiehst."

Sie lachte leise und wollte nach der Brille greifen, aber Cal fing die Hand ein und hielt sie zusammen mit der anderen fest. „Nimm sie nicht ab." Er neigte den Kopf und küsste Libby auf den Mund. Ihr Geschmack hatte sich nicht verändert. Wie schön. Cals Anspannung löste sich ein wenig. „Mit Gläsern siehst du so klug und ernsthaft aus."

Zwar hämmerte ihr Herz jetzt schon, aber sie lächelte scheinbar gelassen. „Ich bin klug und ernsthaft."

„Zweifellos." Mit dem Daumen strich er über die

Innenseiten ihrer Handgelenke und fühlte ihren Puls schlagen. „Wie du jetzt aussiehst, weckst du in mir den Wunsch, einmal auszuprobieren, wie unklug ich dich machen kann." Ohne ihre Hände loszulassen, neigte er sich wieder zu ihr hinab. Er küsste sie nicht, sondern biss zärtlich in ihre Unterlippe und strich dann mit der Zunge sanft darüber hinweg, bis sie vor Erregung kaum noch richtig atmen konnte.

„Libby?" Ja?"

„Was kannst du mir über die Ureinwohner von Neu- Guinea sagen?"

„Nichts." Sie schmiegte sich an ihn und stöhnte leise, als seine Lippen federleicht über ihre strichen. „Gar nichts. Küss mich, Caleb."

„Das tue ich doch." Mit den Lippen liebkoste er ihr ganzes Gesicht. Sie ist ein Vulkan, dachte er, ein Vulkan, der nach jahrhundertelangem Schlaf erwacht ist und jetzt ausbrechen will, heiß und feurig.

Es ist jedes Mal anders, dachte sie benommen. „Berühre mich, Caleb."

Ja."

Mit einem Streicheln, einer einzigen Liebkosung brachte er sie an den Rand des Rauschs, und als sie langsam wieder zu sich kam, entkleidete er sie. Er zog ihr die Flanellbluse aus und streifte ihr die Jeans herunter. Libby trug ein schlichtes Trägerhemd aus weißer Baumwolle, das Cal irgendwie faszinierte. Er spielte an den Trägern und tastete über den Rückenausschnitt, ehe er es ihr schließlich ebenfalls auszog. Er hörte nicht auf, sie mit Lippen und Händen zu erregen.

Ungeduldig zog sie ihm den Pullover über den Kopf. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Verlangen so stark, weit stärker noch als beim ersten Mal sein könnte, aber jetzt wusste sie ja auch, auf welchen Weg er sie mit dem Geschick eines guten Navigators führen würde.

Seine Haut war weich und glatt. Es bereitete Libby Freude, mit den Händen über seinen Rücken zu streichen und die harten Muskeln zu fühlen. Dieser seltsam männliche Kontrast machte sie ganz schwach. Sie hörte, dass Cal schneller atmete, als sie ihre Hände von seinen Schultern zu seiner Taille hinuntergleiten ließ.

So sehr begehrt zu werden ... Sie spürte es an der Art, wie er sie berührte, an der Art, wie er sie immer tiefer, immer heißer küsste. Seine Zunge berührte ihre, tastete, kostete. Libby merkte, wie er den Atem anhielt, als sie mit den Fingerknöcheln über seinen Bauch strich.

Sie hat gelernt, dachte Cal trunken. Sie hat schnell gelernt. Wie sie ihre Hände bewegte, wie sie sich an ihn presste, das raubte ihm fast den Verstand. Er wollte sie bitten, ihm einen Moment Zeit zu lassen, damit er seine Selbstbeherrschung zurückgewann, doch dazu war es bereits zu spät, viel zu spät.

Er trug sie zum Bett. Sie wollte ihn umarmen, aber dazu kam sie nicht mehr, denn er trieb sie schon der Ekstase entgegen. Sie hätte gedacht, sie wüsste nun, was ein Liebesspiel war, doch die erste Nacht hatte sie nicht auf das vorbereitet, was sie jetzt erlebte. Es war, als befände sich Cal in einem wilden, wahnsinnigen Rausch, und es dauerte nicht lange, bis sie ebenso berauscht war wie er.

Keine sanften Berührungen diesmal, keine zärtliche Verführung, nur brennende Begierde und das unbezähmbare Verlangen nach Befriedigung. Keine geflüsterten Liebesworte, sondern nur lustvolles Stöhnen. Heiß und feucht glitt Haut über Haut. Bei jedem Kuss konnte Libby den Geschmack des Begehrens kosten.

Diesmal schwebte sie nicht auf samtweichen Wolken. Diesmal brach ein Sturm los, ein elektrisch geladener Gewittersturm. Blitze durchzuckten sie, und ihr Herz schlug einen immer hektischer werdenden Trommelwirbel. Keuchend rollte sie sich auf Cal, presste ihren geöffneten Mund an seinen Hals, an seine Brust und ließ sich von dem Moschusgeschmack seiner Haut immer mehr erregen.

Cal konnte nicht genug von ihr bekommen. Wie viel sie auch gab, er wollte mehr und noch mehr. Ihm war nicht bewusst, dass er seine Finger in ihr weiches Fleisch presste. Er konnte ihr Gesicht sehen, ihre schweißglänzende Haut. Er konnte sehen, wie ihr Kopf nach hinten sank, wenn die Wollust sie übermannte, und wie danach ihre Augen schimmerten wie die einer Göttin. Ja, sie war eine Göttin, die sich jetzt über ihm aufrichtete und ihren Körper zurückbog. Das schwache Lampenlicht umgab ihr Haar mit einem goldenen Schein.

Für sie will ich sterben, dachte Cal, und ohne sie werde ich sterben. In diesem Moment nahm sie ihn tief in sich auf. Beide griffen blind nach den Händen des anderen, und dann gab es keine Gedanken mehr.

Noch lange danach hielt Cal Libby umfangen. Er versuchte sich daran zu erinnern, was er, was sie getan hatte, aber alles erschien ihm wie ein wildes Kaleidoskop aus Gefühlen und Empfindungen. Er befürchtete, dass das Liebesspiel an Gewalt gegrenzt und dass er Libby wehgetan hatte. Wenn sie jetzt wieder zu sich kam, würde sie sich dann zurückziehen vor ihm und vor dem, was in ihm verborgen war?

„Libby?"

Sie bewegte nur ganz leicht den Kopf an seiner Brust. Es bereitete ihr unbeschreibliche Freude, Cals Herz unter ihrer Wange hämmern zu hören.

„Es tut mir Leid." Er streichelte ihr Haar. War es für Zärtlichkeiten schon zu spät?

Sie öffnete die Augen, obwohl es ihr sehr schwer fiel. „Es tut dir Leid?"

„Ja. Ich weiß nicht, was geschehen ist. Noch nie habe ich eine Frau so behandelt."

„Nein?" Dass sie lächelte, konnte er nicht sehen.

„Nein." Darauf vorbereitet, sie sofort loszulassen, falls sie zurückzucken sollte, hob er ihren Kopf vorsichtig an. „Ich möchte das wieder gutmachen", sagte er, doch dann sah er, dass in ihren Augen keine Tränen, sondern das Lachen funkelte. „Du lächelst ja."

Sie drückte einen Kuss auf seinen Stirnverband. „Auf welche Weise möchtest du es denn wieder gutmachen?"

„Ich dachte, ich hätte dir wehgetan." Er drehte sich auf den Rücken und schaute sie genau an. Sie lächelte noch immer, und in ihren Augen entdeckte er die Geheimnisse, die nur Frauen wirklich verstanden. „Aber es war wohl nicht so."

„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet." Sie rekelte sich, nicht etwa, um verführerisch zu wirken, sondern weil sie so zufrieden war wie ein Kätzchen in einem warmen Sonnenstrahl. „Also, wie willst du es wieder gutmachen?"

„Nun ..." Er blickte sich in dem zerwühlten Bett um, hängte sich dann halb über die Kante und schaute auf den Boden. Er hob Libbys heruntergefallene Brille auf, wirbelte sie an einem Bügel herum und grinste mutwillig. „Setze sie auf, und ich werde es dir zeigen."