30

Misses Boniface Mbamalu war die schönste Ehefrau, die man sich mit Geld kaufen konnte. Jeder einzelne Gesichtszug war perfekt modelliert. Alles, womit ihre geschmeidigen eins achtzig ausstaffiert waren, kostete ein Vermögen. Von den flachsblonden Haarverlängerungen über die Metallbrocken um Hals und Handgelenke bis zu den Spitzenstoffen von Buba und Iro. Und ihre Haut leuchtete mit einer phantastischen Intensität, die sich in keiner Weise der Natur verdankte; sie konnte nur einem teuren Kosmetiktöpfchen entstammen.

»Guten Tag, Madam«, sagte ich.

Sie ignorierte mich und fegte vorbei. Glühende Ohren und Nasenlöcher stießen feurige Rauchschwaden aus.

Instinktiv kehrte ich um. Protocol Officer war zur Salzsäule erstarrt, als hätte er beim Schlendern im Garten hinter seinem Haus soeben einen dreiköpfigen Python erspäht. Misses Mbamalu war in Cash Daddys Büro gestürmt, und von dort wo wir standen, hörten wir das Blitzen ihres Zorns und das Donnern ihrer Wut. Glas klirrte, Holz krachte, und ihre Stimme gellte in höchster Lautstärke. Alle im Haus mussten es hören. Doch nicht einmal die hartgesottenen Otimkpu trauten sich einzugreifen.

»Nutzloser Schwachkopf !« Krach! Zack! Bumm!

»Was soll diese Sauerei?!«

Bumm! Zack! Krach!

»Was du in deinem Privatleben machst, ist mir egal, aber vor meiner Nase lasse ich mir das nicht bieten. Ist das klar?!«

Zack! Krach! Bumm!

»Wenn du nicht in Teufels Küche kommen willst, … wohnt das dumme Ding woanders, … wenn ich das nächste Mal hinkomme!«

Klatsch! Klatsch! Klatsch!

Nach wenigen Minuten war sie mit ihrer Standpauke fertig und wieder auf und davon. Soweit ich mitgekommen war, hatte sie entdeckt, dass Cash Daddy für eine seiner Freundinnen eine Wohnung in derselben Straße in London, West Hampstead, gemietet hatte, wo sie, seine Ehefrau, ihr privates Apartment hatte. Wie es aussah, hatte diese Frau ein Flugzeug von Lagos nach Port Harcourt bestiegen, sich ein Taxi nach Aba genommen, ihren Mann in seinem Büro aufgesucht und anschließend umgehend den Rückweg nach Lagos angetreten. Sinn und Zweck des Ganzen war schlicht gewesen, ihrem Mann ein paar Ohrfeigen zu verpassen.

Als sie weg war, kehrte ich mit Protocol Officer in Cash Daddys Büro zurück. Es sah aus, als ob ein Tornado hindurchgefegt wäre. Die exotischen Vasen waren in Scherben, der Wandschrank lag lang auf dem Bauch wie ein betender Moslem, alles, was sich auf dem Schreibtisch befunden hatte, war auf den Boden befördert worden. Das Einzige im ganzen Zimmer, das unberührt aussah, war interessanterweise das Foto von Cash Daddys im traditionellen Häuptlingskostüm. Von seinem Platz hoch oben an der Wand blickte das Bild auf den verwüsteten Raum hinab.

Cash Daddy saß auf seinem Drehsessel, den Kopf gesenkt und die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. Dieser Schreibtisch, fiel mir auf, stand jetzt schief. Mit der morbiden Geschäftigkeit eines Mannes, der das nicht zum ersten Mal erlebte, fing Protocol Officer an, Sachen vom Boden aufzuheben. Ich stand nur da und staunte über die Auswirkungen dieses sonderbaren Zorns, den unmoralische Frauen auf die Unmoral bekommen, sobald sie verheiratet sind. War das nicht dieselbe Frau, der man nachsagte, sie sei früher eine professionelle Mätresse gewesen?

Cash Daddy hob abrupt den Kopf. Aus einem Schnitt an seiner Unterlippe quoll ein Tropfen Blut. Er leckte ihn ab, als schnappte sich ein Reptil seine Beute.

»Kings, glaubst du an die Liebe?«

»Ja, ich glaube daran«, antwortete ich langsam. Ich wusste mit Sicherheit, dass ich einst eine ganz bestimmte Frau geliebt hatte.

Er lachte.

»Ich will dir mal was sagen. Frauen sind wie kleine Kinder. Gib ihnen, was sie wollen, dann sind sie still. Kümmere dich nicht um ihr ganzes Shakara. Eine Frau wird nur dann wirklich gefährlich, wenn sie nichts mehr von dir will.«

Ich sagte nichts.

»Hast du das gewusst?«

»Nein, habe ich nicht«, log ich.

Er lachte und schüttelte den Kopf.

»Küsse sind vielleicht die Sprache der Liebe, aber das Sagen hat am Ende Geld.« Er schwieg einen Moment. »Übrigens, wann gedenkst du zu heiraten?«

Ich hatte seit Ola nicht mehr ans Heiraten gedacht.

»Ich warte noch auf die richtige Frau«, erwiderte ich.

»Da kannst du lange warten. Wenn es so ist, wirst du nie heiraten. Du musst bloß das Aufgebot bestellen, ein Lokal für die Feier buchen, einen Partyservice engagieren, … einfach alles arrangieren. Sobald das getan ist, kommt die Frau ganz von selbst und füllt rechtzeitig die Lücke, du wirst schon sehen.«

Ich wusste, dass er es genauso meinte, wie er es sagte.

»Was ist mit deinen Freundinnen zurzeit? Ist da keine drunter, die du heiraten kannst?«

»Ich bin im Moment in keiner festen Beziehung.«

»Heißt das, dass du keine Beziehung zu irgendwelchen Mädchen hast, die du heiraten würdest, oder dass du überhaupt keine Freundinnen hast?«

Er sprach vom weiblichen Geschlecht häufig im Plural, so als ob Frauen bloß en gros vorkämen.

»Ich habe gar keine Freundin.«

»Kings, hör auf, mich zum Lachen zu bringen. Ich habe eine kaputte Lippe.«

»Cash Daddy, das ist kein Witz. Ich habe keine Freundin.« Es dauerte eine Weile, bis seine Ungläubigkeit sich über das ganze große Gesicht ausgebreitet hatte. Dann stieß er einen Schrei aus, von dem die Glasscherben am Boden klirrten.

»Ist das dein Ernst? Ist das wirklich dein Ernst?« Ich lächelte. Was sollte das Theater?

»Jetzt, wo du’s sagst«, meinte er nachdenklich, »habe ich dich tatsächlich nie mit Frauen zusammen gesehen. Ich dachte mir, du hättest wohl welche in Umuahia sitzen, die sich ab und zu um dich kümmern. Also wo liegt das Problem? Was stimmt nicht mit dir?«

Jetzt war ich mit dem Lachen an der Reihe.

»Ich meine es ernst. Sag mir dein Problem. Was stimmt nicht mit dir?«

»Mit mir stimmt alles.«

Er senkte die Stimme auf Flüsterlautstärke.

»Hast du Probleme mit deiner Machete?«

»Cash Daddy, mach dir keine Sorgen. Mit mir ist alles in Ordnung.«

»Oder bist du ein Homo?«

Einem anderen Mann so etwas zu unterstellen, konnte leicht zu eingeschlagenen Zähnen führen. Ich ging über die Beleidigung hinweg.

»Nein, Cash Daddy, bin ich nicht.«

»Kings, ich bitte dich im Namen Gottes. Ich weiß, dass Verwandte die Ursache von Hüftleiden sind, aber im Augenblick habe ich genug Probleme am Hals. Ich muss nicht noch zusätzlich einen Bruder haben, der ein Homo ist.«

»Cash Daddy, ich bin ganz gewiss nicht schwul.«

»Wo liegt dann das Problem?« Er hatte sein Stimmvolumen wieder voll aufgedreht. »Wenn ein Mann abstreitet, dass er dicke Eier hat, dann muss er unten am Fluss beweisen, dass das gelogen ist. Warum hast du keine Frauen?«

»Ich hatte eine Beziehung, die schon lange aus ist. Seit damals habe ich mich nicht richtig …«

»Eine Beziehung!« Er schrie lauter denn je. »Du tickst doch nicht richtig! Willst du mir erzählen, dass du dich nicht regelmäßig von Frauen versorgen lässt? Bist du noch normal, oder was?«

»Cash Daddy, das ist mir wirklich nicht wichtig. Ich glaube, dass wahre Liebe in einer Beziehung wichtiger ist als Sex. Sex ist keines der grundlegenden physiologischen …«

»Hältst du jetzt mal den Mund! Ich fass es nicht. Wie kann ich jemanden unter meinen Mitarbeitern haben, für den nicht ordentlich gesorgt wird? Hör bitte auf mit deinen großen Tönen und sei einfach still. Du tickst doch nicht richtig.«

Er machte eine gedankenschwere Pause. Dann blickte er mit einem Leuchten im Gesicht auf, als hätte er soeben das Feuer entdeckt.

»Kings, wann hast du Geburtstag?«

Was hatte das jetzt mit der Sache zu tun?

»Ich rede mit dir! Ich habe gefragt, wann du Geburtstag hast.«

»Am sechsten November.«

»Gut. Ich weiß, was ich tue. Ich werde dir ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk machen.«

Er zog sein Telefon aus der Tasche und wies jemanden am anderen Ende an, uns später am Abend in der VIP-Abteilung seiner Hotelbar zu treffen. Ich musste über diesen Mann staunen, der gerade von seiner Frau zur Schnecke gemacht worden war und jetzt versuchte, mein Liebesleben zu revolutionieren.

Das Hotel Bon Bonny war ein beliebter Treffpunkt für Leute in unserer Geschäftssparte. Der Parkplatz stand voll mit allen möglichen ausgefallenen Fahrzeugen, und genauso voll war die Lobby. Männer mit Sonnenbrillen und dunklen Anzügen warteten, während ihre Arbeitgeber speisten oder sich mit Frauen verlustierten. Auch leichtbekleidete hellhäutige Schönheiten saßen herum, wahrscheinlich um zu schauen, ob sie ein Stück vom internationalen Kuchen abbekommen konnten.

Auf dem Weg zur Bar erspähte ich Azuka, der gerade mit einer üppigen Schönen in den Armen im Fahrstuhl verschwand. Ihr hellbrauner Rücken war nackt. Seine Glückssträhne hielt offensichtlich weiter an.

Der Verfasser eines Kommentars, den ich kürzlich im Guardian gelesen hatte, hatte die Tatsache, dass sich unter jungen Frauen gebleichte Haut wachsender Beliebtheit erfreute, auf die allgemeine Vorliebe der 419er für hellhäutige Frauen geschoben, eine Vorliebe, die zu ihrem protzigen Lebensstil passe. Ein anderer Kommentator, ein römischkatholischer Priester, gab den 419ern und ihrer »unmoralischen Lebensweise« die Schuld an dem neuerdings »zunehmenden Materialismus« unter jungen Mädchen und ihrer Neigung, »sich zu kleiden wie im alten Babylon«. Wieder ein anderer Journalist machte die 419er für die Einschleppung des Aidsvirus in Nigeria verantwortlich.

Den 419ern an allem die Schuld zu geben war eine nationale Freizeitbeschäftigung geworden. Allerdings kam es immer darauf an, welchen Teil des Elefanten man befühlte.

Ich wusste zum Beispiel, dass Cash Daddy persönlich für den Unterhalt von zweihunderteinundzwanzig Waisen im Daughters of St. Jacinta Orphanage in Aba aufkam. Er ließ sämtliche Straßen im Wohnbezirk meiner Mutter teeren. Er ließ Bohrlöcher graben, Straßenlaternen aufstellen, eine medizinische Basisstation bauen. Vor zwei Tagen erst hatte ich einen Brief vom Ehemaligenverein meiner alten Schule erhalten, in dem ich um einen Beitrag zum neuen Unterrichtstrakt gebeten wurde. Ich antwortete prompt und erklärte, ich würde das ganze Vorhaben finanzieren. Ich wusste, wie es sich anfühlte, Klassenzimmer ertragen zu müssen, die keine Fenster, keine Türen und keinen Bodenbelag hatten, weil die zugesagten Gelder noch nicht komplett eingetroffen waren.

Allen Behauptungen der Medien zum Trotz waren wir keine Schurken, und die guten Leute in Ostnigeria wussten das.

In der Bar setzte ich mich an einen unauffälligen Tisch und wartete. Cash Daddy war der Schutzheilige von »Africa Time«, er würde also wie üblich mindestens eine Stunde zu spät kommen. Eine Kellnerin eilte mit einem unbezahlbaren Lächeln herbei.

»Guten Abend, Oga.« Sie strahlte und schwang ihre Hüfte zur Seite.

»Guten Abend …«

»Was ist mit Oga Cash Daddy?« Sie strahlte und schwang ihre Hüfte zur anderen Seite.

»Er kommt später«, entgegnete ich.

Ich bestellte eine Flasche Cola und gab ihr ein Trinkgeld, das sie für ihr Strahlen und Hüftschwingen entschädigte. An meinem Getränk nippend, sah ich mich im Raum um.

Kanu Sterling war da. Er und Cash Daddy hatten unter Money Magnet gearbeitet. Ich hatte gehört, dass Kanu seine Zigaretten mit Eindollarscheinen anzündete.

Smooth war da. Anders als die meisten von uns war er ein geborener Verbrecher. Hochgebildet, äußerst kultiviert, von Geburt an die guten Dinge des Lebens gewohnt. Doch während er in Stanford, USA, studierte, war er dem süßen Sirenenruf illegalen Geldes verfallen.

Amarachamiheuwa war da. Er war für den Herzstillstand eines der namhaftesten Wirtschaftsbosse in Brasilien verantwortlich, dem er hundertfünfzehn Polopferde abgeschwindelt hatte.

Cash Daddy kam genau zweieinhalb Stunden nach dem Zeitpunkt, den er mir genannt hatte – ohne Protocol Officer, was bedeutete, dass er wahrscheinlich eine Edelkokotte in einem der Zimmer warten hatte und die Nacht im Hotel verbringen würde. Hände abklatschend und wildes Gelächter wechselnd ging er von Tisch zu Tisch. Diese Männer waren nicht unbedingt Freunde, aber sie waren alle in der Bruderschaft der coolen Knete vereint.

»Pounds Sterling!«, sagte Cash Daddy zu Kanu. »Die einzige Währung mit einem Nachnamen! Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Ich dachte schon, die Weißen hätten dich abserviert.«

»Mich?«, erwiderte der Mann und schlug sich mehrmals auf die Brust. »Cash Daddy, mich? Wie das? Würden die wagen, mich abservieren? O bu na ujo adighi atu fa? Wissen die nicht, wer bin ich?«

Amarachamiheuwas folgendes Telefongespräch übertönte alle anderen Geräusche im Haus.

»Fahr sofort zu meinem Haus!«, schrie er. »Nein, nicht das in der Azikiwe Road! Fahr in das am Michael Opara Crescent! Mein Wachmann soll dir zeigen, wo ich meinen Mazda geparkt habe! Er steht in der Garage gleich neben dem Swimmingpool! Zwischen meinem Volvo und meinem Navigator! Im Kofferraum liegen drei Aktenkoffer! Einer enthält Pfund! Einer enthält Dollar! Einer enthält Naira! Bring mir den Koffer mit den Naira! Beeil dich und komm sofort her!«

Schließlich war Cash Daddy mit seiner Runde durch, setzte sich an einen Tisch seiner Wahl und winkte mir, mich dazuzusetzen.

»Das Übliche«, sagte er zu der Kellnerin, die anscharwenzelt kam. Es war nicht dieselbe, die mich vorher bedient hatte.

Ich bestellte Ochsenschwanz-Chili-Suppe zu einer neuen Flasche Cola. Unsere Bestellungen kamen im Nu.

»Kings«, sagte Cash Daddy, nachdem er den ersten Bissen von seinem Braten heruntergekaut hatte, »ist dir schon mal aufgefallen, dass ich nie krank werde? Selbst wenn ich irgendwo hinfahre, wo die Moskitos das Blut mit Strohhalmen trinken, kriege ich nie Malaria.«

Er beugte sich näher heran und sprach flüsternd weiter.

»Ist dir auch schon mal aufgefallen, dass meine Frauen immer wiederkommen und mehr wollen? Und wenn sie noch so oft mit mir zusammen sind, sie wollen immer mehr. Das liegt daran, dass niemand sie so befriedigen kann wie ich.«

Er lachte.

»Das ist mein Geheimnis.« Er deutete auf das Fleisch, das er verzehrte. »Viernullvier wirkt Wunder im Körper. Du kennst doch diese ganzen komischen Krankheiten, die die Frauen in ihren Körpern mit sich rumschleppen. Mit Viernullvier holst du dir nichts.«

Ich war entgeistert. Viernullvier war Hundefleisch. Ich hatte von bestimmten Gegenden Nigerias gehört, in denen Hundefleisch als Delikatesse galt, aber dies war das erste Mal, dass ich es jemanden essen sah.

»Und noch was …«, fuhr er fort. »Viernullvier schützt dich vor deinen Feinden. Wenn ich es regelmäßig esse, kann mir keiner von ihnen was zuleide tun.«

Er nahm einen Schluck von dem Wein in seinem Glas.

»Soll ich ihnen sagen, dass sie dir welches bringen?« Er grinste. »Könntest du gut gebrauchen bei dem, was dich heute Nacht erwartet. Bevor du aufs Feld ziehst, musst du deine Machete sehr gut schärfen, weißt du?«

»Nein, danke«, erwiderte ich rasch.

Ich hatte in letzter Zeit einige Dinge getan, derer ich mich nie für fähig gehalten hatte, aber die Körperteile eines Hundes zu essen ging mir nun doch zu weit.

»Okay, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, sagte Cash Daddy. »Camille ist ein sehr gefährliches Mädchen.« Während wir aßen, kam eine bezaubernde Erscheinung an unseren Tisch gestöckelt, deren kurzes rotes Kleid prekär an ihrem Hinterteil klebte. An Knien und Knöcheln, wo die Bleichcreme ihre Wirkung verweigerte, war sie schwarz. Ihre Haarverlängerungen hingen ihr bis zur Taille und kräuselten sich an den Spitzen. Cash Daddy tätschelte sie am Hintern und machte uns bekannt.

»Das ist Camille«, sagte er. »Mein Juwel von unschätzbarem Wert. Sie studiert Jura an der Abia State University.« Er packte mich an der Schulter und schüttelte sie. »Das ist Kings. Der neueste Millionär in der Stadt. Wie sagen doch unsere Alten? Eine schmutzige Hand macht irgendwann einen fettigen Mund.«

Ich begriff zu spät, dass die falsche Verwendung dieses gebräuchlichen Igbo-Sprichworts als Witz gemeint war. In ihr Gelächter stimmte ich erst ein, als es schon am Abklingen war.

Camille sprudelte nur so vor Bereitschaft, es aller Welt recht zu machen. Aufmerksam heftete sie die Augen auf Cash Daddy und zwinkerte mir von Zeit zu Zeit zu. Sie wischte ihm mit der Serviette etwas Fett von der Oberlippe und zog meinen Hemdkragen gerade. Schließlich streckte sie den Arm nach mir aus und küsste mich kurz auf die Lippen. Ich befürchtete, ihr Lippenstift könnte Spuren hinterlassen haben, widerstand aber dem Drang, mir die Lippen abzuwischen. Dann setzte sie sich auf meinen Schoß und lächelte, als wäre es ihr täglich Brot, dürre Hänflinge zu Schwergewichtsboxweltmeistern aufzupäppeln. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen; ich ließ sie linkisch herabhängen.

Die Anweisungen, die Camille von Cash Daddy bekam, waren einfach.

»Hol dir den Schlüssel für Zimmer 671«, sagte er. »Schlepp ihn ab und nimm ihn dir vor. Was es kostet, spielt keine Rolle. Wenn du mit ihm fertig bist, will ich, dass er sich nicht einmal mehr an den Namen seines Vaters erinnert.«

Erst gegen Mittag des folgenden Tages war ich schließlich in der Lage, mich aus dem Bett zu wälzen und ans Telefon zu gehen. Es war meine Mutter.

»Kingsley!«, sagte sie mit Feuer in der Stimme.

»Mama.«

»Schläfst du etwa noch?«

»Ich bin ein bisschen müde«, murmelte ich.

»Kings, fehlt dir irgendwas?«, fragte sie besorgt.

»Nein, es geht mir gut.«

»Was ist los? Bist du sicher …«

»Mama, es geht mir gut.«

Sie schwieg einen Moment. Ihr fiel wieder ein, warum sie angerufen hatte. Ihre Stimme wurde wieder feurig.

»Kingsley, warum hast du mir davon nichts gesagt?«

»Warum habe ich dir wovon nichts gesagt?«

»Ich habe gestern Abend in den Nachrichten gesehen, dass Boniface Gouverneur werden will. Stimmt das?«

Zugegeben, die nigerianischen Medien verstanden es meisterhaft, Sensationsmeldungen aus Vorfällen zu zaubern, die niemals geschehen waren, aber zweifellos hatte meine Mutter gesehen, wie Cash Daddy höchstpersönlich aller Welt seine guten Absichten erklärte.

»Ja, will er.«

»Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?«

»Habe ich das nicht? Ich dachte, ich hätte es gesagt.«

»Nein, hast du nicht.«

»Oh.«

Eine Pause entstand.

»Kings, hast du angefangen, dich nach einer anderen Stelle umzusehen?«

»Ich bin dabei.«

»Das hast du letztes Mal auch schon gesagt.«

»Mama, ich bin dabei.«

»Wo hast du dich denn überall beworben?«

»Bei verschiedenen Stellen.«

»Heißt das, du bist bis jetzt nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden?«

»Mama, du weißt doch, wie es in Nigeria geht.«

»Kings, bitte, bitte, bitte. Such dir eine anständige Arbeit. Ich verstehe nicht, was das für eine Arbeit sein soll, die du angeblich für Boniface machst. Du weißt, dass die Politik in Nigeria ein sehr gefährliches Pflaster ist.«

»Mama, ich habe mit seinem Wahlkampf nicht das Geringste zu tun. Hör auf, dir unnötig Sorgen zu machen.«

»Es kann unmöglich sein, dass du für ihn arbeitest und nicht …«

»Mama, ich muss jetzt los. Wir reden ein andermal darüber.«

»Vergiss nicht, dass du deinem Vater verspro…«

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Bedenken sein ließ. Ich kehrte zu Camille zurück. Wenig später hatte ich meinen toten Vater und meine besorgte Mutter völlig vergessen. Ich wurde in eine andere Galaxie befördert.

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
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