Geld macht nicht glücklich – oder?

  1. Mir etwas Luxuriöses leisten, das ich nicht brauche
  2. Mir etwas kaufen, das ich wirklich brauche und mir nie geleistet habe
  3. Geschenke machen

Ich unterhalte mich mit meinem Stiefvater über Geld. Er hat nämlich welches und ist da klar im Vorteil. »Aber Geld macht nicht glücklich«, schreie ich bei offenem Verdeck in sein Ohr. »Macht es doch«, schreit er zurück und lässt im Autobahntunnel den Motor seines neuen Porsche aufheulen.

Und vieles weist darauf hin, dass er nicht ganz unrecht hat. Die Leute in reichen Ländern sind glücklicher als die Einwohner von Simbabwe oder Tansania, und nur ein Vollidiot käme angesichts eines hungernden Kindes aus einem Entwicklungsland auf die Idee zu sagen: »Geld macht nicht glücklich.« Der allgemeine Konsens scheint zu sein: Zufriedener ist, wer über ein abgesichertes Grundeinkommen verfügt, auch im Alter. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber das scheint mir jetzt gar nicht so eine brandneue Erkenntnis. Da hätten sich die Wissenschaftler wahrscheinlich die eine oder andere Studie sparen können.

Wäre das nicht schön, wenn jeder Mensch einfach monatlich sein Grundeinkommen bekäme, egal, ob er viel oder gar nichts verdient, 17 oder 70 Jahre alt ist? Stellen Sie sich das vor, da lösen sich doch gleich ganz viele Sorgen und Ängste in kleine Juhu-Wölkchen auf. In einigen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, wird dieses Modell politisch diskutiert. Finanziert werden könnte so eine Idee unter anderem dadurch, dass die komplette Bürokratie wegfällt: keine Formulare, keine Sachbearbeiter, keine Prüfungen der Bedürftigkeit. Klingt wahnsinnig gut, oder?

Trotz allem hängen wir ja doch dem Glauben an, dass viel Geld uns viel glücklicher machen würde. Nicht umsonst spielen die Deutschen für mehrere Milliarden Euro im Jahr Lotto wie die Weltmeister. »Deppensteuer« sagen die einen, die anderen genießen das Gefühl der kleinen Hoffnung. Ich ebenfalls. Ich lasse mich auch nicht von den regelmäßigen Berichten im Fernsehen irritieren; jenen über Leute, die im Lotto den Millionen-Jackpot gewonnen haben und kein halbes Jahr später pleite, unglücklich und verhasst waren. Bei mir wäre das ganz anders. Ich weiß genau, was ich in welcher Reihenfolge machen und kaufen würde, falls der Jackpot kommt. Wenn es nächsten Samstag an der Tür klingelt und ein Mann von der Lotteriegesellschaft mit einem schwarzen Koffer vor der Tür steht, um mir zu sagen, dass ich wahnsinnig viel Geld gewonnen habe … Der müsste sich nicht mal hinsetzen, wir könnten gleich losgehen, die Route habe ich im Kopf. Wir würden zuerst beim Drogeriemarkt Douglas einkehren. Nicht, weil der Priorität hat, sondern weil es das erste Geschäft ist, an dem wir auf unserem Weg vorbeikämen. Ich würde alle Make-ups und Lippenstifte durchprobieren, und zwar ganz ohne das schlechte Gewissen gegenüber der Verkäuferin, das ich normalerweise habe, weil ich vorher schon weiß, dass ich das billigste Teil aussuchen werde. Ich nehme nur, was ich möchte, egal, was es kostet. Eine neue Pflegelinie von Biotherm? Ins Körbchen! Die perfekte Lippenstiftfarbe ist von Chanel? Ins Körbchen! Puderquasten in allen Größen und ein Schmink-Reiseset? Sì, señor.

Nach Douglas müssten wir dann rechts abbiegen, da geht es in die Passage, wo Tiffany sein’ Laden seit Jahren eine Kette für mich liegen hat. Dann weiter zu Hugo, wo das schwarze Kleid hängt, und direkt im Anschluss, mit dem schwarzen Kleid, zwei Straßen weiter zu Sergio Rossi, da such ich dann ein bis fünf Paar passende Schuhe dazu aus. Auf meiner Einkaufstour liegen noch ein Kosmetikstudio, ein Habitat-Einrichtungsgeschäft, ein Luxusfriseur, ein Chocolatier und ein Buchladen. Das wäre Tag eins meines Lottogewinns. Danach reihen sich die Eigentumswohnung in der Innenstadt mit Dachterrasse, ein Häuschen im Grünen mit Pferd, ein Motorrad der Marke Triumph für L., Reisen, Einkäufe im Bioladen und Geschenke hintereinander auf, es gäbe so viel zu tun, die ganzen Spenden noch gar nicht mitgerechnet.

Was daran soll mich denn nun nicht glücklich machen? Die Gewöhnung, sagen die Wissenschaftler. Lottogewinner sind im Schnitt nach zwei Jahren genauso glücklich wie vor dem Gewinn. Gut, die zwei Jahre haben es aber auch in sich, finde ich. Wenn die Shoppingtour, die Wohnung und das Haus am See nichts Besonderes mehr sind, ist man natürlich eine arme Sau. Da sich in meinem Fall wahrscheinlich kein Gewöhnungseffekt in Sachen Luxus einstellen kann, müsste mein Glücksgefühl ja wie ein Flummi nach oben schnellen, wenn ich mir etwas Besonderes leiste. Das mache ich, ich werde mir etwas unerhört Luxuriöses leisten. Etwas, das ich schon immer gerne gehabt hätte und nicht brauche. Mal sehen, wie glücklich es mich macht.

Mir etwas Luxuriöses leisten, das ich nicht brauche

Ich bespreche mit L., was für ein Luxusgut ich mir gönnen könnte. »Ein Motorrad der Marke Triumph?«, schlägt L. vor. Netter Versuch.

Nein. Es ist auch nicht so, dass ich tatsächlich überlege, was ich will. Das ist nur eine Alibi-Diskussion. Ich weiß haargenau, was ich haben möchte. Erwähnte ich die Kette bei Tiffany’s? Genau die. Aber je teurer etwas ist, desto öfter fahre ich um den heißen Brei herum. Ich nähere mich teuren Anschaffungen wie einem knurrenden Hund. Ganz langsam und beruhigend drauf einredend. Ich ziehe Kreise drum herum und halte so viel Abstand, dass mich der Preis nicht in die Wade zwickt. Je teurer etwas ist, desto länger dauert der Tanz. Ich zähle die Vor- und Nachteile eines luxuriösen Wellnessurlaubs auf, lege den Kopf schief und wäge ab. »Es müsste etwas sein, was nicht an Wert verliert«, überlege ich laut und L. nickt. »Vielleicht auch nichts Großes, wir haben ja nicht so viel Platz«, füge ich noch hinzu. »Ja«, meint L., »so was wie Schmuck vielleicht oder eine HiFi-Anlage von Bang & Olufsen!« Bei den Worten »Bang & Olufsen« leuchten seine Augen auf. Warum muss eigentlich an allem, was Männern gefallen soll, ein Schalter dran sein?

»Schmuck ist keine schlechte Idee«, stimme ich zu. Na also, da wären wir. Für mich ist die Suche hiermit beendet, ich könnte noch ein paar Zweifel bezüglich des Preises äußern und wäre dann bereit, mich überzeugen zu lassen die Kette zu wollen. Aber L. ist jetzt in Fahrt: »Oder ein Goldbarren – was kostet eigentlich ein Goldbarren? Oder eine 25er Siglo VI

»Du spinnst ja«, finde ich und hänge mich ans Telefon, um die Anschaffung mit Jana zu besprechen. Ich komme gar nicht dazu, die Vor- und Nachteile von Designer-Stereoanlagen, Sporträdern oder Spa-Aufenthalten darzulegen: »Du willst doch sowieso die Kette«, sagt sie. Es kennt einen eben niemand so gut wie die beste Freundin. Jana findet die Kette zwar auch schön, würde aber an meiner Stelle neue Möbel kaufen. Meine Mutter hingegen empfiehlt mir, in meine Gesundheit zu investieren in Form von einer Zusatzversicherung. »Nichts ist so viel wert wie gesund zu sein«, sagt sie. Damit hat sie natürlich recht – aber ich habe festgestellt, dass ich Gesundheit erst schätzen kann, wenn sie weg ist. Das ist wie mit Geldproblemen, irgendwie steht das in keiner Relation: Krank zu sein, Schmerzen oder Geldprobleme zu haben, macht mich sehr unglücklich. Gesund zu sein hingegen und Geld zu haben, macht mich aber anders herum nicht ebenso glücklich.

Anne findet Versicherungen und Möbel gleichermaßen überflüssig und schlägt ein zweiwöchiges Meditationsseminar in Indien vor. Oder eine Schweigewoche im Kloster, das kostet ungefähr 120 Euro die Nacht. 120 Euro? Dafür, dass ich eine Woche lang die Klappe halten muss, morgens um fünf aufstehe und im Klostergarten sitze? Das ist doch ein erstaunliches Phänomen, dass Leute, die sich einen fünfwöchigen Luxusurlaub im besten Hotel von St. Tropez leisten könnten, nicht in Urlaub fahren, sondern in ein Kloster gehen oder den Kilimandscharo besteigen, wo sie sich in einem windigen Zelt die Zehen abfrieren und sich vor ihrem Führer ihres Geldes schämen. Oder sie latschen sich in fünf Wochen auf dem Jakobsweg die Socken durch und treffen dort auf Tausende Schwaben. Oder expedieren in die Antarktis und essen rohe Robben. Kurz, sie verbringen eine Zeitspanne an einem möglichst ungastlichen Ort, ringen dort mit beschissenem Wetter und fragwürdigem Essen, um nachts auf einer unbequemen Schlafstatt zu erahnen, dass Geld nicht glücklich macht. Um das toll zu finden, muss man Geld haben. Wer kein Geld hat, nimmt die fünf Wochen in St. Tropez. Oder eine Kette von Tiffany’s.

Beim traditionellen Sonntagsessen mit meinem Stiefvater spreche ich das Thema Geld wieder an. Diesmal relativiert er seine Aussage. »Geld macht nicht glücklich, das stimmt schon«, gibt er zu und nippt an seinem Weinglas. Genüsslich schließt er die Augen und genießt den guten Roten. Dann sieht er mich an und aus seinen Augen blitzt der Schalk: »Aber man kann sich eine Menge Dinge kaufen, die glücklich machen.«

Die Kunst ist also zu wissen, was einen glücklich macht. Macht mich eine Kette von Tiffany’s wirklich glücklich? Bin ich so oberflächlich materialistisch gestrickt? Kann mir ein Stück Schmuck echte Befriedigung verschaffen? Ich überlege kurz und die Antwort ist: Ja! Ich stehe vor dem Schaufenster und atme tief durch. Unzählige Male stand ich hier und habe die Ausstellungsstücke bewundert, Kollektionen sind an meinem Auge vorbeigewandert und haben in Gedanken meinen Hals geschmückt. Kette, Ohrringe, Armbänder kamen und gingen, aber eine Kette war immer hier: der Klassiker, eine schwere Gliederkette mit einem auffälligen Verschluss, die perfekte Kette. Und jetzt ist es so weit. Ich habe mich extra hübsch gemacht und trage dem Anlass entsprechend meine Audrey-Hepburn-Sonnenbrille. Als ich den Laden betrete und der flauschige Teppich meine Schritte verschluckt, komme ich mir trotzdem klein vor. Unter den Blicken der zwei perfekt gestylten Verkäuferinnen werde ich noch kleiner. Ich habe das Gefühl, als könnte jeden Moment eine der beiden um den Tresen kommen, mich am Oberarm fassen und hinausgeleiten, weil ich hier nichts verloren habe. Verkäuferinnen erkennen so was. Die scannen einen kurz und können dann eine Hochrechnung der Vermögenssituation in Bezug auf den Grad der Unwahrscheinlichkeit, dass man etwas kaufen wird, anstellen. Entweder sie wuseln dann um einen herum oder, wie in meinem Fall, sie fallen in eine Art Gesichtsstarre und fixieren einen Ort jenseits meines Blickfelds. Was soll ich sagen – die zwei aus dem Tiffany’s-Laden sind Spezialistinnen auf ihrem Gebiet. Sie durchschauen meine Verkleidung sofort. Obwohl ich für ein kleines Vermögen bei ihnen einkaufe, ist es, als müsste ich mich bedanken, dass sie sich die Zeit nehmen, sich mit mir zu beschäftigen.

Als ich das Geschäft mit der kleinen, edlen Tüte verlasse, an deren Seiten jeder den geschwungenen Schriftzug des Ladens lesen kann, fühle ich mich nicht wie eine Prinzessin, sondern wie ein trotziges Kind, das seinen Willen durchgedrückt hat. Ich trage die Kette hin und wieder. Aber jedes Mal, wenn mich jemand darauf anspricht und mir sagt, wie hübsch sie ist, steigt die Erinnerung an die Situation in dem Laden auf und legt sich schal über meinen Besitzerstolz.

Mir etwas kaufen, das ich wirklich brauche und mir nie gegönnt habe

Es gibt Dinge, deren Anschaffung einem das Leben ungemein erleichtern kann, aber dadurch, dass es sich nicht um Herzenswünsche handelt, will man nicht viel Geld dafür ausgeben. Ein Beispiel? Gute Küchenmesser! Ich koche nicht ungern, aber mir fehlt jede Leidenschaft für komplizierte Experimente oder aufwendige Menüfolgen. Ich sehe mir keine Kochsendungen an und ich habe keinen Schuber mit den Jamie-Oliver-Büchern im Regal. Ebenso wenig wird man mich vor den Schaufenstern für Küchengeräte antreffen – es gibt ein paar Töpfe, eine Pfanne und eine Flasche Wein. Vielleicht noch ein Schneidebrett. Damit ist für mich eine Küche perfekt ausgestattet. Die Offenbarung kam in Form von drei neuen Küchenmessern der Marke Zwilling. L. hatte sie in einer Tombola gewonnen, an der er teilnahm, um für irgendeine gute Sache zu spenden. Es gab zu gewinnen:

  1. Eine Sammlung der Kuschelrock-Alben 1–20
  2. Zwei handgearbeitete Sammlerpuppen in Fantasie-Tracht
  3. Drei Küchenmesser von Zwilling

Fragen Sie mich nicht, was das für eine Veranstaltung war, ich habe sie erfolgreich verdrängt. Nur so viel: Die Gewinne 1 und 2 entsprachen vollkommen dem Publikumsgeschmack. L.s Teilnahme an der Verlosung war reine Verzweiflung, er musste auf der Veranstaltung Präsenz zeigen und wollte gleichzeitig nur weg, als Übersprungshandlung nahm er an allem teil, was geboten war. Als er den Hauptgewinn zog, durfte er aus den Gewinnen auswählen. Er sah mich an und fragte so ernst wie möglich: »Liebes, möchtest du zwei handgearbeitete Sammlerpuppen?«

»Nein, danke, dann kotze ich im Strahl«, antwortete ich so freundlich wie möglich und schenkte ihm mein schönstes Lächeln. So kamen die Messer zu uns. Seit ich die Messer zum ersten Mal benützt habe, ist mir absolut schleierhaft, wie ich davor ohne sie leben konnte. Das Schneiden von Zeug ist kein notwendiges Übel mehr, sondern macht Spaß. Es ist so ähnlich wie mit den Bettsocken: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie benütze. Von solchen Dingen muss es doch noch mehr geben – etwas, das mir das Leben erleichtert und mich täglich erfreut, für das ich nur bisher kein Geld ausgeben wollte oder das mir nicht in den Sinn kam. An dem Abend frage ich L., ob ihm etwas einfällt. »Ein Motorrad der Marke Triumph?« Ich hätte es mir denken können.

Als ich später in meine Bettsocken schlüpfe, denke ich, so etwas Ähnliches müsste es sein. Ich bräuchte eine Ganzkörperbettsocke, die mich tagsüber warm hält, ich bin nämlich schrecklich verfroren. Während der Wintermonate habe ich deswegen immer Nackenschmerzen, weil ich permanent die Schultern nach oben ziehe. Warum macht man das eigentlich? Es wärmt überhaupt nicht! Man kann den Hals nicht zwischen den Schulterblättern verschwinden lassen, es sei denn, man ist eine Schildkröte. Ich mache es trotzdem, es ist ein Automatismus. Auch wenn ich mich warm anziehe und mehrere Schichten trage: Wenn es kalt ist, leide ich. Die Idee mit der Bettsocke für den ganzen Körper hatten schon Leute vor mir, die waren bestimmt auch verfroren. Da gibt es zum Beispiel den Selk’Bag, einen Schlafsack zum Anziehen, mit Armen und Beinen. Der wäre für meine Zwecke ideal, der Nachteil ist, dass man eben aussieht, als hätte man einen Schlafsack an. Der Rest der Vorschläge aus dem Internet zum Thema »Ganzkörperanzug« hat nichts mit Wärme zu tun. Falls Sie aber schon immer in einem Vakuum-PVC-Anzug mit Staubsaugeranschluss stecken wollten, dann wird Ihnen auf der Seite www.catsuitkontor.de das Herz aufgehen.

All diese interessanten Fakten recherchiere ich, während ich in der Arbeit an meinem Schreibtisch sitze. Das ist auch viel spannender, als über die Marketingstrategien für eine blöde Bohrmaschine nachzudenken. Gerade, als ich den schwarzen Catsuit im Wet Look betrachte, sieht mir die Drösel über die Schulter. »Was ist das denn?«, fragt sie und ich schrecke zusammen. »Das? Das ist, das ist …«, stammle ich und rede wirres Zeug von der »Zielgruppe für Bohrmaschinen« und »man könnte ja einen Pin-up-Kalender machen«, die Drösel guckt skeptisch auf die Dame im schwarzen Lackleder. »So im Stil von Kill Bill? Uma Thurman?«, rudere ich herum und schließe die Seite. »War nur so eine blöde Idee«, sage ich und drehe mich demonstrativ um.

Nach der Arbeit bin ich mit Anne im Café Vermont verabredet. »Wenn so ein Anzug nicht aus Plastik, sondern aus Wolle wäre, käme das ziemlich nah an deine Idee mit der Ganzkörper-Bettsocke«, sagt Anne und schlürft ihren Tee. »Stimmt«, finde ich und klappe den Laptop auf. »Ob es das schon gibt?« Das gibt es natürlich schon, ob Ganzkörperanzug, Maske oder Peniswärmer, alles kann man aus Wolle bei der Firma Wolltraum bestellen. Anne packt mich plötzlich am Arm und sieht mich mit großen Augen an: »Mensch, Alex! Merino!«

Sie wartet darauf, dass ich verstehe, was sie meint, dass ich mir mit der Hand auf die Stirn schlage und rufe: »Klar, Merino!«, aber ich habe keine Ahnung, was sie mir sagen will. »Merino?«, frage ich. »Wer ist Merino?« Anne lässt meinen Arm wieder los.

»Das ist so eine feine Wolle, sauteuer und ganz warm, daraus gibt es auch so langärmelige Shirts und Leggins, das ist fast so was wie eine Bettsocke für unten drunter!«

Für Outdoor-Sportler, die auch im Winter und bei Kälte das tun, was Outdoor-Sportler eben so tun, mag das keine große Überraschung sein, für mich hingegen ist es die Entdeckung des Jahrhunderts: Es gibt tatsächlich Kleidung zum Druntertragen, die selbst die verfrorensten Fröschlein im Winter warm hält. Das ist außerdem ganz dünne Kleidung! Ich habe mich bis jetzt im Winter immer nach dem Prinzip viel hilft viel angezogen. Mehrere Schichten langärmeliger Oberteile, darüber den dicken Pulli, darüber Daunen und kalt war es dann trotzdem. Bei gleichzeitiger Geruchsentwicklung, weil die Haut irgendwie wegen des Materialwusts durchdreht und in ihrer Not das Transpirieren anfängt. Derweil muss man von Oktober bis März gar nicht aussehen wie das Michelin-Männchen! Mein Shirt (208 Euro) besteht aus einer Mischung aus Merinowolle und Possumgarn. Es kommt aus Neuseeland und lässt meine Lebensqualität bei Kälte um 100 Prozent steigen, und während alle anderen die Schultern hochziehen, um den Hals zwischen den Schulterblättern zu verstecken, fühle ich mich pudelwohl. Mein Merino-Possum-Shirt ist pures Glück!

Geschenke machen

Geschenke zu machen, kann ein Quell großen Glücks sein, es kann einem aber auch ganz schön die Stimmung vermiesen, wenn man etwas schenken will-soll-muss und keine Ahnung hat, was. Als Weihnachten noch zu Hause bei meinen Eltern gefeiert wurde, war der schönste Moment des Abends der, wenn ich mein Geschenk überreichte und wusste, dass ich damit goldrichtig lag. Die ganze Mühe und Arbeit vorher waren diesen einen Moment wert: die Freude in ihrem Gesicht und das Glück, das daraufhin im eigenen Inneren aufging wie die Sonne. Dieses Glück leuchtete sogar heller als jenes, das ich spürte, wenn ich die Geschenke öffnete, die für mich bestimmt waren.

Inzwischen fahren die verschiedenen Teile der Familie an Weihnachten in Urlaub oder müssen arbeiten, L. und ich bleiben zu Hause und machen es uns gemütlich. Abgesehen von Weihnachten hagelt es in einem fort Geburtstage, Namens- oder Hochzeitstage und im Laufe der Jahre feiern nicht nur die Verwandten und Freunde Geburtstag, sondern auch deren Kinder, und die werden mit der Zeit immer mehr. Da beschenkt man noch in einem Jahr die Single-Freundin und im nächsten, hast du nicht gesehen, ist aus ihr eine Kleinfamilie geworden. Mit Hochzeit, Mann (Geburtstag) und Baby (Geburt). Das kann in einem gewissen Alter ganz schnell gehen. Und schon ist man im Geschenkewahnsinn.

Es gibt ja Geschenke und Geschenke. Es gibt diese Geschenke, die man verzweifelt sucht, weil eine Arbeitskollegin Geburtstag hat oder Tante Hermine Namenstag. Zuerst schiebt man die Besorgung ewig und drei Tage auf, dann läuft man sich kurz vor knapp Blasen an die Füße und landet am Schluss in einem Geschenkartikelladen, einem Ort der Verzweiflung, an dem man einkauft, wenn einem einfach nichts Passendes einfallen will. Da kommt man dann raus mit einer lustigen Tasse oder mit Eiswürfelspendern in Kuhform. Das sind keine guten Geschenke. Da ist man froh, wenn das Öffnen nicht in großer Runde zelebriert wird, wenn nicht 20 Leute um das Geburtstagskind stehen und das Auspacken mit großem Hallo begleiten. Kaum hält der Jubilar nämlich seine Kuh-Eiswürfel in der Hand, kommt ein verhaltenes »Wie schön«, und alle suchen mit den Augen in der Runde, wem das wohl eingefallen ist. Ein Tipp: Falls Sie auch eine Tante Hermine haben, verschenken Sie keine Kochschürze, auf die vorne ein nackter Mann gezeichnet ist. Auch Stoffhüte mit einer Plüsch-Geburtstagstorte obendrauf sind nicht immer ein Stimmungsbringer. Zumindest nicht bei meiner Tante Hermine. Die feinen Geschenke sind die, die einen überkommen wie eine Erleuchtung. Plötzlich hat man die Idee für das ideale Geschenk für eine bestimmte Person im Kopf und man freut sich schon darauf, es zu verschenken. Leider, leider halten sich solche Eingebungen überhaupt nicht an Anlässe und bestimmte Tage im Jahr.

Ich möchte gerne L. eine Wahnsinnsfreude bereiten. Das hat er sich verdient. Was er normalerweise so bekommt, an Weihnachten oder zum Geburtstag, sind Dinge, die ihm zwar gefallen (Digitale Wetterstation), ihm Spaß machen (Carrerabahn) und die er genießt (eine Flasche Barolo Le Rocche del Falletto 2003), aber es sind keine Herzenswünsche.

Es heißt ja immer, es sei schwierig, für Männer Geschenke zu finden. Das denke ich nicht, man kann schenken, was man will, Hauptsache, es sind Schalter, Stecker oder zumindest ein paar Batterien dran. Viel schwieriger ist es anscheinend für Männer, Geschenke für Frauen zu finden. Für L. auch. Aus einem mir nicht näher bekannten Grund geht er davon aus, dass ich mir Dinge wünsche, die nützlich sind. Oder zumindest Schalter, Stecker oder Batterien enthalten. Wenn kurz vor Weihnachten der Mixer kaputtgeht, weiß ich schon, wer freudestrahlend mit einem neuen Modell am 24. unter dem Baum stehen wird. Dass ich seit Wochen immer wieder fallen lasse, wie gern ich einen Städtetrip nach Venedig machen würde, kommt hingegen nicht an. Klar, Venedig ist ja auch nicht kaputtgegangen.

Inzwischen bin ich dazu übergegangen, L. in der Vorweihnachtszeit ab und zu den Arm auf den Rücken zu drehen und ihn dreimal laut nachsagen zu lassen, was ich mir wünsche. Das finden Sie unromantisch? Unromantischer als ein neuer Mixer ist es auch nicht.

Das ideale Geschenk für L. wäre selbstverständlich das Triumph-Motorrad. Da der Mann von der Lottogesellschaft aber noch nicht vor der Tür stand, kann dieser Wunsch jedoch vorerst direkt vor meiner imaginären Eigentumswohnung mit Dachterrasse und Pferd parken. Auf einer Internetseite, die sich auf Geschenke für Männer spezialisiert hat, finde ich aber viele andere Vorschläge:

  • Einen Fotowecker. Da kann man einen eigenen Text draufsprechen, mit dem der Beschenkte dann zärtlich geweckt wird, und ein persönliches Foto kann man auch einfügen. Das ist schon praktisch, der Hersteller schlägt den Satz vor: »Guten Morgen, mein Schatzi, genieße deinen Tag.« Seien wir ehrlich. Nach einer gewissen Zeit weckt man sich morgens nicht mehr mit Kosenamen. Aber der Wecker kann auch jeden Morgen tönen: »Jetzt steh schon auf, Herrgott noch mal, wie oft muss ich es denn noch sagen, jeden Morgen das gleiche Theater …« Das stelle ich mir schon schön vor.
  • Ein Mondgrundstück. Das habe ich noch nie verstanden. Wenn L. nach Hause käme und mir mit einem Strahlen erzählen würde, er habe gerade 1000 Quadratmeter Land auf dem Mond erworben, ich würde ihn direkt auf selbigen schicken, dann kann er sehen, ob da vielleicht ein bisschen Pfeffer wächst. Anne findet das mit dem Mondgrundstück romantisch. »Wenn man abends in den Himmel sieht, denkt man an den, der einen beschenkt hat«, findet sie. Ja, das glaube ich auch. Ich würde jedes Mal, wenn ich den Mond ansehe, an L. denken. Was für ein Trottel er ist, dass er einem Mondgrundstücksmakler auf den Leim geht.
  • Einen Geldkoffer. Dabei handelt es sich um einen Koffer mit 150.000 Euro in gebrauchten Scheinen. Der kostet 24,90 Euro. Klingt nach einem guten Geschäft, denke ich und sehe mir die Anzeige näher an. Es sind tatsächlich 150.000 Euro in dem Koffer, einziger Nachteil: Sie sind geschreddert. Gechreddert! 150.000 Euro in Schnipseln! Ich frage mich, ob sich da jemals jemand drüber gefreut hat – das ist doch ein Hohn, oder? 150 Tausend Tacken so nah und doch so fern. Ich säße wahrscheinlich tagelang mit Pritt-Stift und Tesa vor meinem Geldkoffer, käme mir verarscht vor und würde den Schenker direkt auf das Mondgrundstück wünschen.

Dann entdecke ich aber ganz unten einen famosen Geschenkvorschlag: Hubschrauber selber fliegen. Da darf man, solange man sich nicht zu blöd anstellt, während eines Hubschrauberfluges die Steuerung übernehmen. Yes. Das ist doch toll. Besonders für einen Freund von Schaltern und Knöpfen und Technik. Das Ganze kostet 359 Euro, das ist jetzt nicht wenig, aber für ein einmaliges Super-duper-Geschenk geht das schon. Als ich meine Kreditkartennummer in das Onlineformular eingebe, horche ich sehr genau hin: Ich fühle mich kein bisschen glücklich. Null, nada, niente. Ich fühle nur ein leichtes Unbehagen, wegen des vielen Geldes.

Am nächsten Tag stehe ich in der Arbeit vor der Kaffeemaschine und erzähle Lena, unserer Praktikantin, von meiner Geschenkidee. »Und wann schenkst du es ihm?«, fragt sie, und ich überlege. »Vielleicht erst, wenn es wärmer ist? Es ist doch gerade eiskalt und in so einem Hubschrauber – ich weiß ja nicht, aber haben die da eine Heizung?« Da lacht jemand hinter mir: »Nein, eine Heizung gibt es da bestimmt nicht.« Die Drösel. Wo die immer herkommt, die tumbe Nuss.

Als ich am nächsten Sonntag meinem Stiefvater von der Superidee erzähle, ist der gar nicht so begeistert. »Aha«, sagt er und zündet sich eine Zigarre an. »Ich dachte immer, L. hätte so gerne eine Triumph?«

Ich schiebe eine Spargelstange auf meinem Teller von links nach rechts. »Ja. Eine Triumph Bonnville.«

»Hmhm«, macht mein Stiefvater und nickt mit dem Kopf. »Schönes Motorrad.« Ich runzle die Stirn. »Weißt du, wie viel so ein Ding kostet?«

»Nein«, antwortet mein Stiefvater. »Und du?«

Ich weiß es auch nicht. Aber ich bin mir sicher, es ist viel. Mehr als ein Hubschrauberflug und wahrscheinlich auch mehr als eine Zehnerkarte Hubschrauberflüge. Zu Hause sehe ich die Annoncen in der Zeitung und im Internet durch und sehe eine Anzeige für 900 Euro. Das geht ja, denke ich und bemerke kurz darauf, dass es sich dabei ausschließlich um ein Ersatzteil handelt. Das billigste, das ich finde, ist ein Unfallmotorrad, 200 Kilometer von unserer Stadt entfernt. Trotzdem ist der Preis noch stattlich – in meinem Kopf rattert es los:

Eventuell als Geburtstagsgeschenk zum 40. und eventuell, wenn sich Freunde und Verwandte beteiligen … allerdings muss ich das dann organisieren. Ich kenne mich auch leider überhaupt nicht mit Motorrädern aus, ich müsste jemanden bitten, das Ding für mich anzuschauen. Und wie soll ich es überhaupt hierherbekommen? Spätestens bei dieser letzten Frage geht mir auf, dass ich Argumente sammle, warum diese Motorradsache nicht klappen kann. Es ist überhaupt kein Problem, ein Motorrad 200 Kilometer von A nach B zu fahren. Ich kenne auch jemanden, der sich mit mir das Gefährt ansehen würde und der weiß, ob es sich um ein Schnäppchen oder die Niete des Jahrhunderts handelt. Und Freunde und Verwandte zu fragen, ob sie Lust haben auf ein Gemeinschaftsgeschenk, das ist jetzt auch kein himmelschreiender Aufwand. Aber es ist ein Aufwand. Und den scheue ich instinktiv. Im Internet eine Kreditkartennummer einzugeben, ist einfacher, keine Frage. Wenn ich so überlege, welche Geschenke mich am meisten freuen, dann fallen mir als Erstes die selbst gebackenen Torten von Anne ein, die, weil Anne Backen hasst, umso wertvoller sind. Oder der liebevoll bemalte Mülleimer von Jana. Oder als L. heimlich Klavierstunden nahm, um mir an meinem Geburtstag mein Lieblingslied vorzuspielen. Er, der noch nie vor einem Instrument gesessen war. Die schönsten Geschenke sind die, für die sich jemand wegen uns Mühe gegeben hat. Die müssen dann auch gar nicht groß sein.

Aber L. eine Triumph Bonnville zum Geburtstag zu schenken, wäre schon der Hammer.

Und das zu organisieren, ist dann genau so, wie ich das während der Buddha-Nummer erfahren habe: Die Vorstellung, etwas erledigen zu müssen, ist immer schlimmer, als es einfach zu tun. Genau einen Nachmittag lang telefoniere ich, schreibe Mails und dann ist alles klar. Markus fährt mit mir das Motorrad anschauen, alle Freunde und Verwandte, die zum 40. Geburtstag von L. kommen, finden die Idee eines Gemeinschaftsgeschenks super und zahlen mit. Mein Stiefvater bietet fast schon etwas aufdringlich an, das Motorrad nach Hause zu bringen, falls es gekauft wird. Und so kommt es dann auch. Am Tag vor L.s Geburtstag fährt mein Stiefvater die Triumph Bonnville in die Garage der Nachbarn zwei Straßen weiter, das habe ich mit ihnen so ausgemacht. Am nächsten Tag am frühen Abend sage ich L., ich müsste noch mit Schmitz raus, bevor die Gäste kommen, und treffe mich mit allen Freunden und Verwandten vor der Garage. Wir binden bunte Luftballons und Schleifen an das Motorrad, auf den Ballons stehen die Namen aller, die mitgeschenkt haben. Mein Stiefvater fährt im Schritttempo, ich sitze hintendrauf und alle Freunde, Eltern, Geschwister und Schmitz gehen nebenher zu uns nach Hause. Wir sehen aus wie ein Karnevalszug mit nur einem Gefährt. Als wir in die Straße einbiegen, hupen wir so laut, dass es alle Nachbarn auf die Straße treibt. Auch L. kommt aus dem Haus und als er uns sieht, klappt ihm tatsächlich die Kinnlade nach unten. Wie vom Schlag getroffen steht er regungslos da und das Erste, was sich bewegt, ist ein kleines Tränchen der Rührung aus seinem Augenwinkel.

Die Anspannung der letzten Tage, die Geheimniskrämerei und meine unendliche Vorfreude, L. dieses Geschenk machen zu können, lösen sich in dem Moment in einen Wasserfall von Glückstränen auf und ich heule, dass es eine wahre Pracht ist. Schniefend liegen L. und ich uns in den Armen, beide glücklich, und die empfindsameren Pflänzchen in unserem Freundeskreis heulen gleich mit. Wenn ich Ihnen das so erzähle, kriege ich gleich wieder einen See in den Augen.

Geld macht schon glücklich. Es kommt immer darauf an, wofür wir es ausgeben.