Tiere machen glücklich

… heißt es. Aus Gründen der Referenz verweise ich an dieser Stelle auf einen besonders tragischen Fall, der mit ein Auslöser für einen Riesensprung in meiner Tierliebeentwicklung war: der Fall Christina. Meine Freundin Christina hat ihr Tier nämlich sehr glücklich gemacht. Christina wollte schon immer einen Hund haben. Während ihrer gesamten Kindheit stand auf ihrem Wunschzettel an den Weihnachtsmann ganz oben:

Hund.tif

Das brachte ihr unzählige Stoffhunde und Hundebücher ein, aber nie den heiß ersehnten Vierbeiner. Christina machte das Beste aus der Situation und zog während ihrer Kindheit stets einen Stoffhund an einer Leine hinter sich her, voller Hoffnung auf das nächste Weihnachtsfest, irgendwann musste es ja schließlich klappen. Es klappte natürlich nie. Christinas Mutter gehört nämlich zu der Gruppe von Personen, die schon beim Anblick eines Tieres das Bedürfnis verspüren, sich die Hände zu waschen. Die Tiere erkennen diese Leute genau – Hunde werden ihnen gegenüber aggressiv und bellen (»Das macht der sonst nie!«). Katzen hingegen, die subtileren Geschöpfe, geben sich überaus anschmiegsam und schmeicheln sich bis auf den Schoß der Tierhasser, wo sie dann voller Absicht 80 Prozent ihrer Haare abstoßen.

Christinas Vater war ganz auf der Seite seiner Tochter, hatte aber leider nichts zu melden. Klassischer Fall von Pech. Wenigstens hatte sie mich zur Freundin, ich nahm sie mit nach Hause und dort liebten wir gemeinsam mehrere Hamster zu Tode. Wer als Hamster in einem Kinderzimmer wiedergeboren wird, der hat in seinem vorherigen Leben etwas sehr Elementares falsch gemacht.

Christina kam nicht zu ihrem Hund. Erst stand ihre Mutter im Weg, dann, als sie von zu Hause auszog, ihr Jurastudium und schließlich ihr Job. Sie arbeitete geschätzte 32 Stunden am Tag, machte sich selbstständig und schuftete daraufhin das Doppelte. Wie sie zwischendurch noch ihren Mann Lars kennenlernen und heiraten konnte, ist mir ein Rätsel. An irgendeinem durchgearbeiteten Weihnachten oder Geburtstag machte Christina eine Lebensinventur und nach zwei Flaschen Rioja und einer verheerenden Bilanz beschloss sie, einige Dinge zu ändern. Nach dem Motto »Mein Leben soll schöner werden« suchte sie sich eine Geschäftspartnerin, reduzierte ihre Arbeit auf einen Halbtagsjob, begann einen Yogakurs und endlich, so ihr Plan, wollte sie sich auch den Traum vom eigenen Hund erfüllen. Während Christina aufgeregt die Vor- und Nachteile aller Hunderassen abwog, sagte ihr Mann Lars: »Unter gar keinen Umständen.« Christina dachte zunächst, er wolle unter gar keinen Umständen einen Mops, das war der letzte Hund, über den sie laut nachgedacht hatte. Bis sich das Missverständnis aufklärte und Christina klar wurde, dass Lars nicht meinte: Unter gar keinen Umständen einen Mops. Er meinte: Unter gar keinen Umständen einen Hund.

Nach einem Moment der Verblüffung fing Christina an zu diskutieren, zu argumentieren und schließlich zu betteln. Sie könnte den Hund mit zur Arbeit nehmen, mit zum Sport, sie würde ihn gut erziehen und Lars hätte keinerlei Arbeit mit ihm, ja, er würde nicht einmal merken, dass der Hund existierte. Aber alles half nichts, Lars blieb bei seinem Nein, einen Hund wolle er nicht im Haus haben. Und da überlegte sich Christina, ob sie überhaupt noch einen Lars im Haus haben wollte. Ergebnis: negativ. Wer will schon mit jemandem zusammen sein, der einem den Herzenswunsch derart kaltherzig abschlägt? Kurz darauf zog Lars aus und Arthur ein. Arthur ist ein junger Golden Retriever. Und Christina ist glücklich. »In jeder Hinsicht eine Verbesserung«, findet sie. »Er schnarcht nicht, er schaut kein Fußball und er kommt nie betrunken nach Hause.«

Dass Tiere dem Menschen guttun, ist mittlerweile erforscht, abgestempelt und anerkannt. Bei Kindern fördern sie das Verantwortungsbewusstsein und außerdem die rhetorischen Fähigkeiten, wenn die Kleinen argumentieren müssen, warum Mutti das Tier versorgen soll. Senioren fühlen sich mit Tieren weniger einsam und Behinderte können durch sie ihr Körpergefühl und ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern. Haustiere sind gut gegen Zivilisationskrankheiten wie Stress, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Anwesenheit einer Katze senkt den Blutdruck, Hundebesitzer leben gesünder, weil sie sich mehr an der frischen Luft bewegen. Warum es Tiere nicht schon längst auf Rezept gibt, ist unklar.

Die Erkenntnisse der Wissenschaft bezüglich Haustiere und Glück sind leicht in der Praxis zu überprüfen. Fragen Sie einfach einen Bekannten, eine Arbeitskollegin oder den unsympathischen Nachbarn nach seinem oder ihrem Haustier. Was sich da in den Gesichtern abspielt, ist operativ nicht zu erreichen: eine Gesichtsstraffung mit gleichzeitiger Augenaufhellung, Lymphdrainage und Faltenglättung. Wer von seinem Tier spricht, blüht auf und wird für einen Augenblick schön. Als wäre er verliebt. Sofern er sein Tier mag, natürlich. Wenn Sie also sehen wollen, wie Ihre Fleischfachverkäuferin aussieht, wenn sie verliebt ist, fragen Sie nach ihrem Rottweiler-Siamkater-Sittich, Sie werden staunen.

Wer wie ich den Entschluss getroffen hat, dass ein Tier her muss, und nun vor der Wahl steht, welches es sein soll, wird überrascht feststellen, dass die Welt in zwei Lager gespalten ist: in Hundemenschen und in Katzenmenschen. Das ist jetzt keine Beleidigung, die bezeichnen sich selbst so. Wenn man da nicht ganz klar Stellung bezieht, zum Beispiel weil man, wie ich, sowohl Hunde als auch Katzen ganz hervorragend findet, wird man von allen verachtet. Da kann man sich eigentlich gleich zu den Wellensittich-Freunden schleichen. Die sind da toleranter, weil älter. Aber im Ernst: Katzen sind tolle Tiere. Ich finde sie hinreißend, wenn sie im Schlaf vom Sofa rutschen, aufschrecken und dann so tun, als wollten sie gerade sowieso hinunter. Oder wenn sie einen zu dicken Bauch mit einer vorteilhaften Pose kaschieren. Wenn sie sich quer über die Zeitung legen oder einem das Gefühl geben, man sei ihr Zeitvertreib, wenn man mit ihnen spielt. Es ist diese nonchalante Art, der Katzenbesitzer erliegen. Daher der Spruch:

Ein Hund denkt: Sie füttern mich, sie pflegen mich, sie kümmern sich um mich … sie müssen Götter sein! Die Katze denkt: Sie füttern mich, sie pflegen mich, sie kümmern sich um mich … ich muss eine Göttin sein!

Doch, Katzen sind etwas Wunderbares. Die Nachteile sind:

  • Man kann nicht mit ihnen rausgehen. Obwohl es da bestimmt Ausnahmen gibt. Ich habe aber bis jetzt nur scheußliche Ausnahmen gesehen: Katzen mit angelegten Ohren, die sich flunderartig ins Gras krallen, während eine Besitzerin am Ende der pinkfarbenen Leine flötet: »Koooomm, Muschimuschi, kooooomm!«
  • Sie stehen immer auf der falschen Seite der Tür. Egal, welche Seite das ist.
  • Sie spielen mit den Zehen ihres Besitzers, wenn er noch schlafen will. Wenn man Glück hat. Wenn man Pech hat, spielen sie mit dem Gesicht.
  • Sie haben sehr viele Krallen.
  • Sie topfen einem die Kübelpflanzen aus, nicht um.
  • Man kann nie mehr ein Brettspiel spielen.
  • Sie kratzen den Besuch, falls der so dreist ist, die Aufmerksamkeit des Katzenbesitzers zu beanspruchen.
  • Sie besetzen alle bequemen Plätze. Für eine durchschnittlich große Hauskatze ist es kein Problem, ein Dreisitzersofa komplett zu belegen.
  • Sie räumen wegen eines Schmetterlings oder einer Fliege das Bücherbord ab, schmeißen dabei die Vase um und kippen die Stehlampe in die Stereoanlage.
  • Sie lecken sich die Geschlechtsteile.

Also doch einen Hund? Hunde mag ich auch sehr gerne, die geben einem immer das Gefühl, ein guter Mensch zu sein. Wer macht sonst schon so ein Theater, wenn man nach Hause kommt? Ich weiß, wovon ich spreche, wir hatten mal einen Hund. Während ich nach Kräften pubertierte, holten sich meine Eltern einen süßen Mischlingshund aus dem Tierheim. Ich glaube, sie suchten Trost. Das Tier wurde von meiner Mutter liebevoll umhätschelt, gefüttert und gebürstet, aber das undankbare Vieh liebte nur mich und lehnte meine Mutter ab. Genau wie ich. Wir waren ein Herz und eine Seele, das Tier und ich, und als ich von zu Hause auszog, nahm ich es mit. Das Tier war mit in der Uni und im Biergarten. Es rollte sich, wenn ich in der Kneipe arbeitete, auf einer Bank ein und schnurchelte dort geduldig bis Feierabend. Der einzige Fehler des Tieres war, dass es sehr gerne fraß. Das hatte, neben einem latenten, aber chronischen Übergewicht unter anderem diese Geschichte zur Folge:

Wenn ich ohne das Tier ausging und spätnachts nach Hause kam, drehte ich immer noch eine Runde mit ihm, damit ich am Morgen länger schlafen konnte. Das ist ganz angenehm, wenn man so durch die schlafenden Straßen schlendert, man kann den Tag Revue passieren lassen und die Straßenlaternen malen dazu den eigenen Schatten auf die Bürgersteige. Hinter den dunklen Fenstern stellte ich mir die schlafenden Leute und ihre Leben vor, manchmal, ganz selten, brannte irgendwo ein Licht. Der Schein einer schwachen Schreibtischlampe, darunter ein Oberkörper, leicht nach vorne gebeugt, wie eine müde Blume.

Als ich in dieser Nacht spät nach Hause kam und die Tür zu meiner Wohnung öffnete, kam mir das Tier nicht wie gewöhnlich entgegengesprungen. (Keine Sorge, es kommt keine traurige Sterbegeschichte.) Ich suchte das Tier und fand es auf dem Sofa, es wedelte sehr langsam mit dem Schwanz und sah mich verschlafen an. »Na komm, gehen wir!«, sagte ich und das Tier tat sich sichtlich schwer. Es robbte zum Sofarand und plumpste unsouverän auf den Boden. Dann rappelte es sich auf und folgte mir eiernd zur Tür. Kaum aus dem Haus, blieb das Tier mit gekreuzten Vorderbeinen stehen und lehnte sich mit der Schulter gegen die Hausmauer. Ich war jetzt beunruhigt. Das Tier sah mich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf von unten rauf an und mir ging die Düse. Vielleicht war der Hund vergiftet worden, er fraß ja alles, was auf der Straße in die Nähe seines Staubsaugermauls kam. Womöglich Rattengift? Ich schnappte das Tier und trug es zum Auto, 15 Minuten später waren wir beim Tierarzt, der noch die Abdrücke der Falten seines Kopfkissens auf der Backe hatte. Ich machte mir Vorwürfe, wegen des Hundes, nicht wegen des Tierarzts, und wischte ein Tränchen aus dem Augenwinkel. »Schlechte Hundemutter, schlechte Hundemutter«, sagte eine Stimme in meinem Kopf. Der Tierarzt drückte und zupfte und leuchtete am Hund, in den Hund und um den Hund herum und zuckte gähnend mit den Schultern.

»Hmm, haben Sie Beruhigungsmittel zu Hause? So etwas wie Morphium zum Beispiel? Könnte er so was erwischt haben?«

Hatte ich nicht, konnte er nicht.

»Dann warten Sie mal bis morgen, ob es dann besser ist.«

Und als ich so mit dem schwankenden Tier auf dem Beifahrersitz nach Hause tuckerte, ging ganz hinten in meinem Hirn ein kleines Licht auf. Es wurde größer und beschien meinen Küchentisch, auf dem, als ich das Haus am Abend verlassen hatte, in einer Schale noch ein Haschischplätzchen gelegen war. Ich sah das Tier von der Seite an. »Bist du breit?«, fragte ich, worauf das Tier mich ansah, sich die Nase leckte und vergaß, die Zunge wieder einzuziehen. Zu Hause sah ich sofort nach: Tatsache. Das Plätzchen war weg. Ich rief wieder den armen Tierarzt an: »Wie viel Haschisch verträgt ein mittelgroßer Hund? Ungefähr so groß wie der, der vor 20 Minuten bei Ihnen war?«

Es ging glimpflich für das Tier aus. Der ärztliche Rat war: »Lassen Sie ihn einfach ausschlafen.«

Und bis ich aufgelegt hatte und anfing zu schimpfen: »Ich mache mir Sorgen und die Tierarztkosten und blablabla, derweil bist du nur breit wie ein Haus, du, du, du – Drogenhund!«, da lag das Tier schon wieder auf dem Sofa und schlief tief und fest. Es schlief zwei Tage durch und stand in der Zeit nur einmal auf, um den gesamten Wassernapf leer zu trinken. Ein Brand. Man kennt das ja. Ach ja, das Tier war schon toll. Leider verließ es diese Welt knapp vor seinem 18. Geburtstag. Seine Leine kann ich immer noch nicht wegschmeißen.

Wie sollte ich ein anderes Tier so ins Herz schließen wie dieses? Was mich auch an einem neuen Hund schreckt, ist, dass man heute nicht mehr einfach so einen Hund hat. Ich sehe das im Bekanntenkreis, da muss man mit dem Hund erst in die Welpenspielstunde, dann in die Junghundgruppe mit anschließender Hundeschule und sonntags zu Spiel und Spaß, Agility oder Obedience. Da springen die Herrchen und Frauchen über Hindernisse und kriechen auf allen vieren durch Stofftunnel, in der Hoffnung, der Hund mache es ihnen dann nach. Man trägt eine 10 Meter lange Schleppleine und einen Klicker mit sich herum und man hat Lungen-Leckerlis in der Tasche, die in einem Umkreis von 100 Metern alle Passanten olfaktorisch warnen: Hier kommt eine tote Lunge.

Man hat nicht mehr einen Hund, man erzieht ihn. Wer früher töpferte oder mit Salzteig bastelte, strickt jetzt am Hund herum. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es auch schön, wenn ein Hund so gut erzogen ist, dass er keinen Jogger frisst, und kommt, wenn er gerufen wird. Das ist von großem Vorteil, besonders für die Jogger. Mit Grausen denke ich an eine Freundin, die, wenn sie nach Hause kommt, immer erst einen Hundekaustab durch den Briefschlitz schiebt, damit ihre Dogge auf der anderen Seite sie nicht umschmeißt, wenn sie die Türe öffnet.

Aber es wird ganz schön viel Wirbel um die Vierbeiner gemacht, finde ich. Und manchmal, wenn ich eine Hundehalterin auf der Straße mit ihrem Hund sehe (der Hund heißt anscheinend Cara-Nein!) und wenn diese zu Cara-Nein! sagt: »Wieoftdennjetztnoch, setzdichendlichhin!«, dann graut mir davor, Hundehalter zu sein. Man trifft ja notgedrungen auf andere Hundehalter. Wahrscheinlich würde ich über die Hundewiese gejagt, weil mein Hundi ein simples Halsband trüge und kein Brustgeschirr und kein Premiumfutter bekäme. Also, Nachteile Hund:

  • Andere Hundehalter
  • Hundescheißetüten
  • Hundescheiße
  • Die grauen Schlieren an den Tapeten auf Hundehöhe
  • Der Zustand jener Dinge, die der Hund als sein Spielzeug betrachtet, die es aber nicht sind
  • In jeder Jackentasche sind Leckerlis
  • Der Geruch von Leckerlis
  • Der Geruch der Jackentaschen
  • Nasser Hund
  • Hunde wälzen sich beim Gassigehen in verwesendem Fisch, daraufhin steht man in einem eisigen Fluss und wäscht den Hund. Dann stinken Hund und Mensch nach verwesendem Fisch. Man ist mit dem Auto gekommen, das heißt, das Auto stinkt jetzt auch nach verwesendem Fisch, weswegen man bei minus 30 Grad mit allen Fenstern offen nach Hause fährt und den Hund solange hasst. Es kann sogar noch Schlimmeres als verwesender Fisch sein.
  • Urlaub im Hundehotel
  • Man muss für sie Steuern zahlen
  • Sie stecken fremden Leuten ihre Nase in den Schritt. Das ist dann irgendwie peinlich, obwohl man es ja nicht selber war, der den Leuten die Nase in den Schritt gesteckt hat.
  • Sie lecken sich die Geschlechtsteile.

Demgegenüber steht die einmalige, wild entschlossene Liebe von Hunden. Oder zumindest, was man dafür hält.

Vielleicht lieber einen Wellensittich? Die sind niedlich und man kann sie leichter jemandem zum Aufpassen anvertrauen, wenn man in den Urlaub fährt. Leichter als, sagen wir, einen Irischen Wolfshund zum Beispiel. Nachteil Kanari:

  • Er ist ein Vogel.

Eindeutiger Vorteil gegenüber Hunden und Katzen:

  • Er leckt sich nicht die Geschlechtsteile. – Oder?

Das sind jetzt zwar bestechend wenige Nachteile, aber dieser eine (Er ist ein Vogel) wiegt dafür umso schwerer. Nichts gegen die pastellfarbenen Hansis, die sich zahm auf Finger und Schulter setzen, aber wenn man als Kind Lassie geguckt hat, dann erwartet man mehr von einem Haustier. Diese tendenzielle Ereignislosigkeit betrifft auch Hamster, deren Putzigkeit meinen Erwachsenen-Ansprüchen nicht mehr gerecht wird. Ich kenne kaum Leute über zehn Jahren, die noch einen Hamster haben. Eigentlich nur eine: Paula. Paula hat einen Goldhamster namens Dennis, sagt sie. Ich habe Dennis noch nie gesehen, weil er sich immer irgendwo versteckt. Was einen nicht zu wundern braucht, Paula hat nämlich extra für Dennis eine CD mit Vogelstimmen gekauft. »Damit er sich frei fühlt, wie im Wald.« Jetzt muss man aber wissen, dass sehr viele Vögel zu den natürlichen Feinden von Hamstern gehören – der neurotische Dennis vergräbt wahrscheinlich jedes Mal den Kopf in der Hamsterwatte, wenn Paula den CD-Player einschaltet.

Mein lieber L. sieht die Tierfrage mit einer pragmatischen Gelassenheit, die mich fast provoziert. »L., wie fändest du einen Border Collie?«

»Schön.«

»Oder eine Siamkatze?«

»Schön.«

»Vielleicht wäre ein Mischling aus dem Tierheim das Beste.«

»Ja.«

»Ich glaube, ich will doch lieber ein Krokodil.«

»Gut, Schatz.«

Aber dann ist es L., der am Sonntag vor einem Zwinger der Tierhilfe Garching in die Knie geht, mit den Armen bis zu den Achseln zwischen Gitterstäben steckt und sich von einem kleinen, schwarzen Fellknäuel auf den Fingern herumkauen lässt. »Oh Gott, ist der süß«, sagt L. ungefähr hundert Mal hintereinander. »Können wir den haben? Ja? Bitte?« Währenddessen lässt er das Tier nicht aus den Augen, das sich jetzt auf den Rücken schmeißt und vor Freude jauchzen würde, könnte es jauchzen. L. hat diesen fröhlichen, irren Blick, wie ihn Frischverliebte haben.

Irgendwie bringt er immer meine Planung durcheinander. Ich wollte systematisch die Vor- und Nachteile jeder Tierart abwägen, anschließend eine rationale Entscheidung treffen und dann die Frage nach der Rasse klären. Mich mit Tierärzten und Tierhaltern besprechen, verschiedene Züchter besuchen und Bücher konsultieren. Ich wollte einen vermutlichen Hundefutterverbrauch mit dem Niedlichkeitsfaktor multiplizieren und sehen, ob nicht doch eine dreifarbige Katze dabei rauskäme.

Aber in meiner tollen Gleichung hatte ich einfach die unbekannte Variable X in Form eines schwarzen Fellknäuels nicht berücksichtigt. Und da lag sie nun, die Variable, und biss auf L.s Daumen herum, während er entzückt zuschaute.

Zum Schutz der Tiere vor emotional Hingerissenen wie L. gibt es in Tierheimen die Regel, dass man ein Tier nicht sofort mit nach Hause nehmen darf. Zuerst muss man eine Woche lang täglich vorbeikommen und das Tier kennenlernen, sich als würdig erweisen und eine Art Adoptionsantrag ausfüllen. Um mit ihm spazieren zu gehen, bedarf es lediglich eines Sachkundenachweises, den man im Tierheim durch Teilnahme an einem Vortrag erhält, und eine Mitgliedschaft im Tierheimverein, aus Versicherungsgründen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich befürworte es, dass das Tierheim seine Hunde nur in gute Hände abgeben will. Ich finde es auch richtig, dass sie sich diese guten Hände etwas genauer ansehen. Und dass sie sich Bescheinigungen vom Ordnungsamt und/oder Vermieter geben lassen – okay. Aber ist es wirklich nötig, dass uns die gesamte Pflegermannschaft des Tierheims Garching zum Verhör lädt, um unsere Lebensumstände und unseren Charakter zu beurteilen? Das machen die echt! Und dann schicken sie noch jemanden zur Kontrolle vorbei, unangemeldet natürlich.

An diesem Abend versuche ich mit L. zumindest pro forma ein paar Argumente für und gegen einen jungen Hund aus dem Tierheim zu diskutieren, aber er ist nicht recht bei der Sache, weil er nebenbei die Fotos vom Hund auf seinem Handy betrachtet und an Freunde verschickt.

»Ihr müsst auf jeden Fall sagen, ihr habt einen Garten, einen Bauernhof, andere Hundekumpel und es ist immer jemand zu Hause. Außerdem ist einer von euch fanatischer Spaziergänger und ihr habt jahrelange Hundeerfahrung. Sagt, ihr wollt in eine Hundeschule mit dem Hund und habt die nächsten 15 Jahre nichts vor, außer spazieren zu gehen. Und ihr verdient gut! Falls mal eine Nierentransplantation ansteht oder so was.« Das rät meine Freundin Meike, die hat ihren Hund aus dem Tierheim und ich kann mich erinnern, dass sie damals ziemlich geflucht hat, weil man es ihr gar so schwer machte.

Puh. Ich finde an diesem Punkt eine Anzeige in der Lokalzeitung recht verlockend:

Junge Kätzchen abzugeben

Die machen bestimmt nicht so ein Gehühner. Aber als ich L. auf die Anzeige aufmerksam machen will, sitzt er vor seinem Computer und richtet gerade ein Bild von Hundi als Bildschirmschoner ein. Nicht, dass er jemals ein Bild von mir auf dem Computer gehabt hätte. Und wie das so ist, wenn man aufs Schlimmste gefasst ist: Das Interview im Tierheim ist nur halb so wild. Oder wir haben einfach Glück. Glück ist auch, wenn es nicht so schlimm kommt wie erwartet, denke ich und unterschreibe mit L. den Schutzvertrag für Fellknäuel. Wir haben jetzt einen Hund. Der wird in den vorschriftsmäßig mit einem Trenngitter versehenen Kofferraum geladen. So stelle ich mir das vor, wenn man aus dem Krankenhaus mit dem neugeborenen Nachwuchs nach Hause kommt: L. hat die Erstausstattung besorgt (Gummihuhn, Futter, Leckerli und Körbchen) und wir sind beide entsetzlich aufgeregt – heute ist schließlich unser WWA, der Welt-Welpen-Abholtag, wie ihn Hundeversteher Martin Rütter nennt.

Wir sind noch keinen ganzen Tag zu Hause mit dem Tier, da passieren plötzlich verschiedene Sachen gleichzeitig:

  1. Uns wird von Freundes- und Familienseite unterstellt, der Hundi sei ein Kindsersatz. Ich verstehe das, Hundi ist ja auch noch ein Baby. Allerdings bin ich mitnichten seine Mama, so eine hat das Tier nämlich schon, ich habe sie mit eigenen Augen gesehen und sie sieht mir nicht im Geringsten ähnlich.
  2. Es entsteht eine komische Rollenverteilung. Da ich schon mal einen Hund hatte, bin ich die allwissende Instanz und stelle Regeln und Verbote auf. Hundi darf nicht aufs Sofa und nicht auf L.s Hand herumkauen, nicht mit den Schuhen spielen und auch keine Bücher »lesen«. Ich bin also die Verbotstante. L. hingegen ist der »Spielkumpel«. Ich komme mir vor wie die böse Stiefmutter und fühle mich ausgeschlossen.
  3. Wir lernen, dass das Tier bei großer Freude sofort pischern muss.

»Ich wollte doch ein Tier«, maule ich vor mich hin, während ich Suppengrün für das Abendessen klein schneide. L. und der Hundi hören mich nicht, die balgen sich gerade um das Gummihuhn. Ich bin eifersüchtig auf einen Welpen, toll. Wie bescheuert ist das denn? Wobei … eigentlich bin ich eifersüchtig auf L.! Das Fellknäuel soll mich mögen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Regel im Anmarsch ist oder die Erwartung so groß war, ich komme mir jedenfalls vor wie das ärmste Ding auf der ganzen Welt.

Ich lasse das Suppengrün Suppengrün sein und verdrücke mich aufs Sofa im Wohnzimmer. Hinlegen, Decke über den Kopf. Das funktioniert bei Welt- und Regelschmerzen immer noch am besten. Nix mit Johanniskraut und Wohlfühlbädern. Einmal ordentlich in Selbstmitleid gewälzt und richtig drauflosgejammert, das hilft. Und während ich schmollend unter der Decke liege und der Welt böse bin, bewegt sich der Stoff und es taucht eine schwarze, feuchte Hundenase in meiner Höhle auf. Kurz darauf schiebt sich der Rest des kleinen Hundeköpfchens unter meine Decke und sieht mich mit großen, sorgenvollen Augen an. Ich muss lächeln. »Na, du?« Der Kleine hält den Kopf schief, worauf sich seine Stirn etwas in Falten legt. Dann krabbelt er unelegant aufs Sofa, stupst mir an die Nase, gähnt und rollt sich in meinem Arm ein. Das ist der Moment, in dem mein Herzchen weich wird wie Butter in der Sonne. Ich streichle ein wenig über das weiche Fell und Hundi drückt seinen Kopf an mich.

»Ich dachte, er soll nicht aufs Sofa?«, flüstert L. und lächelt.

»Pschscht«, sage ich und bleibe ganz still liegen, auch als mir der Arm einschläft.

Wir nennen das Tierchen Schmitz. Das ist der einzige Name, auf den es sofort reagiert. Schmitz hat uns inzwischen so weit konditioniert, dass er nachts nur ein knurpsendes Geräusch machen muss und schon springt einer von uns aus dem Bett, zieht den Mantel übers Nachtgewand, schlüpft in die Boots und eilt mit dem Schmitz unterm Arm die Treppen runter. Vom warmen Bett im zweiten Stock auf die Wiese vorm Haus in weniger als 10 Sekunden. Da steht derjenige dann in der matschigen Wiese, es ist saukalt und noch dunkel und Schmitz denkt überhaupt nicht daran, pischern zu gehen, sondern findet jede Menge sauinteressanter Stöcke und Steine, denen er sich widmen muss. Es hat sich einiges geändert bei uns zu Hause:

  • Statt morgens im Bett den ersten Kaffee zu trinken und mich an den Traum von letzter Nacht zu erinnern, wache ich davon auf, dass Schmitz knurpst. Anschließend: siehe oben. Kaltstart nennt man so etwas, glaube ich. Hoffentlich wird es bald Sommer.
  • Ich lese eine Zeitschrift, die dogs heißt und 5 Euro kostet. Pro Heft!
  • Ich führe plötzlich Gespräche, in denen Worte wie »Hundetrainer« und »positive Verstärkung« vorkommen. Und meine Hundehalter-Gesprächspartner finden das vollkommen normal.
  • Ich habe plötzlich Hunde-Hosen und Hunde-Jacken und Hunde-Schuhe. Und zwar mehr als Nicht-Hunde-Klamotten.
  • Meine Jackentaschen riechen nach toter Lunge.
  • Ich habe viele Leute aus unserem Viertel näher kennengelernt. Zusammen morgens um sieben auf einer matschigen Wiese zu stehen, verbindet.
  • Ich werde beim Ausziehen beobachtet.

Sie meinen, Glück sieht anders aus? Dann sind Sie noch nie aufgewacht und haben direkt in zwei schwarze Hundeaugen gesehen, die Sie erwartungsvoll anschauten. Dann ist noch nie ein Fellknäuel ob Ihrer puren Existenz vor Freude in die Luft gesprungen und wahrscheinlich hat noch kein Schmitz-Verwandter seinen Kopf in Ihre Hand gelegt oder hat Ihnen aufmerksam zugehört und dabei seine Stirn vor Anstrengung in Falten gelegt, ist auf Ihnen eingeschlafen oder hat bei Ihnen Schutz gesucht, wenn es gewitterte. Glauben Sie mir. Hunde machen glücklich.