Diese alten Cowboylieder
Es gibt die Überlieferung, dass Pioniere in das Land kamen, sich niederließen, ein hartes Leben führten, ihre Brut kärglich aufzogen und Rancherdynastien begründeten. Manche taten das. Aber die große Mehrzahl hatte keine Chance und war bald vergessen.

Archie und Rose, 1885

Archie und Rose McLaverty steckten sich ihren Homestead dort ab, wo der Little Weed von der Sierra Madre heruntergerattert kommt; der Fluss verdankt seinen Namen nicht dem kleinwüchsigen Unkraut, sondern P.H. Weed, einem Goldsucher, der nahe der Quelle des Flusses verhungert ist. Archies Gesicht war so glatt wie geschältes Espenholz, mit Lippen, die so unauffällig waren, als hätte man sie mit einem Messer in die Oberfläche geritzt. Sein natürlicher Putz beschränkte sich auf die roten Wangen und die widerspenstigen Wellen kastanienbraunen Haars, die wie elektrisiert aussahen. Meistens log er, was sein Alter betraf - er war nicht einundzwanzig, sondern sechzehn. Im ersten Sommer wohnten sie in einem Zelt, während Archie ein kleines Blockhaus baute. Um sich zwei Glasfenster leisten zu können, musste er einen Monat lang verirrte Kühe für Bunk Peck einfangen. Es war ein schmuckes Blockhaus aus drei Meter langen behauenen Baumstämmen, die an den Enden mit senkrechten Balken verzapft waren, eine Bauweise, die Archie mithilfe ihres einzigen Nachbarn handhaben konnte; Tom Ackler, der Nachbar, war ein lederhäutiger Goldsucher, der im Sommer eine Hütte auf dem Berg bewohnte. Die Ritzen verputzten sie mit schwerem, gelbem Lehm. Eines Tages schleppte Archie einen großen flachen Stein als Schwelle an. Es war angenehm, in der Kühle des Abends zu sitzen, die Füße auf dem Stein, das Wild zu beobachten, das zum Trinken an den Fluss kam, und kurz vor Einbruch der Dunkelheit die flussaufwärts fliegenden Reiher, deren Farbe der des Himmels so ähnlich war, dass sie Wolkenfetzen hätten sein können. Archie grub eine Höhle als Kühlkammer in den Berg, die er mit Stein auskleidete, und sägte Holz, während Rose Späne zerteilte, bis sich vier Klafter Holz vor der Blockhütte stapelten, die fast bis zum Dach reichten und sofort von einem Wiesel zum Wohnsitz erkoren wurden.
»Der hält die Mäuse in Schach«, sagte Rose.
»Ja, aber hoffentlich beißt er uns nicht«, sagte Archie mit einer Bewegung des rechten Zeigefingers. »Und putz die Fenster nicht so oft, dass nichts von ihnen übrig bleibt«, obwohl ihm der Anblick von Barrel Mountain in dem Rahmen des Südfensters gut gefiel. Ein leichter irischer Akzent färbte seine Aussprache; er war in Irland gezeugt worden und 1868 im damaligen Territorium Dakota geboren, wohin seine Eltern von Bantry Bay gelangt waren und wo sein Vater als Schwellenleger für Union Pacific Railroad arbeitete. Als er sieben Jahre alt war, starb seine Mutter an Cholera und wenige Wochen später sein Vater, weil er eine ganze Flasche strichninversetzte Patentmedizin geleert hatte, die als Mittel gegen Cholera und Masern galt, teelöffelweise einzunehmen. Vor ihrem Tod hatte seine Mutter ihm Dutzende alter Lieder beigebracht und ihm eine rudimentäre musikalische Bildung vermittelt, indem sie schwarze und weiße Tasten auf ein Brett malte und ihn dazu anhielt, die richtigen Tasten zu berühren, wozu sie mit ihrer klaren Stimme die Töne sang. Das Familiensterben beendete den irischen Einfluss. Mrs. Sarah Peck, eine warmherzige methodistische Witwe aus Missouri, zog zur großen Erbitterung ihres Sohnes Bunk den Waisenknaben auf.
 
Ein unablässiger Reigen von Pferdeknechten löste sich in der Arbeiterbaracke der Pecks ab, und Archie lauschte ihren Liedern, seit er denken konnte. Melodien merkte er sich auf Anhieb, und auch für Reime, Verse und Betonungen hatte er ein gutes Gedächtnis. Als Mrs. Peck den letzten Weg in das Land ging, wo man kein Frühstück braucht, als Folge einer kleinen Feuersbrunst, die sie beim Absengen frischgeschlachteter Hühner verursachte, war Archie vierzehn und Bunk Anfang zwanzig. Ohne Mrs. Peck als Prellbock veränderte ihr Verhältnis sich schnell zu dem zwischen Tagelöhner und Arbeitgeber. Ein Gefühl von Familienzusammengehörigkeit, fiktiv oder real, hatte nie zwischen ihnen bestanden. Und mehr als alles andere verargte Bunk Peck Archie die hundert Dollar, die Bunks Mutter ihm in ihrem Testament vermacht hatte.
In dem dünnbesiedelten Land war jeder für eine witzige Marotte oder Begabung bekannt. Chay Sump konnte gut mit den Ute-Indianern, und wer schönes gegerbtes Leder brauchte, wandte sich an ihn. Lightning Willy hatte es mit ununterbrochenem Üben so weit gebracht, dass er mit Pistole und Karabiner aus der Hüfte schießen konnte, anscheinend ohne zu zielen. Bible Bob genoss den Ruf einer Spürnase für Gold, seit er oben am Singlebit Peak eine Entdeckung von vielversprechender Farbe gemacht hatte. Und Archie McLaverty hatte eine Singstimme, die man nicht mehr vergaß, wenn man sie einmal gehört hatte. Es war eine klare, harte Stimme, und die Wörter klangen halb geschrien und halb gesungen. Eine traurige, monotone, unspektakuläre Stimme, die Dinge ausdrückte, die man empfand, aber nicht sagen konnte. Er sang schlicht und ohne Effekthascherei: »Brandy bleibt Brandy, was man auch reintut, Texaner bleibt Texaner, was man ihm auch antut«, und die Zuhörer mussten lachen, wenn er »antut« so komisch betonte, dass allen klar war, es bedeutete »kastrieren«. Und wenn er zu The Old North Trail überging, das er lakonisch sang, mit leicht heiserer Stimme, fühlten sich die Zuhörer für eine halbe Stunde in die Geschehnisse versetzt, die sie alle kannten, während er die zahllosen Verse abspulte. Er kannte jedes Lied - Go Long Blue Dog, When the Green Grass Comes, Don’t Pull off My Boots und Two Quarts of Whiskey, und bei Männerabenden nach dem Viehzusammentreiben sang er Vers um Vers von The Stinkin Cow, The Buckskin Shirt oder Cousin Harry. Rose umwarb er mit »Heirate niemals einen Burschen, der nichts taugt«, was eine humoristische Bescheidenheitsfloskel war. Und später sang er zwinkernd und anzüglich: »Kleines Mädchen, wie wär’s mit einem Brandzeichen?«
Auf Anraten eines ehemaligen Homesteaders, der für Bunk Peck arbeitete, kaufte Archie mit dem Geld, das Mrs. Peck ihm vererbt hatte, achtzig Morgen Land aus Privatbesitz. Sie hätten sich um doppelt so viel Land aus Staatseigentum oder für die achtfache Menge an Wüstenland bewerben können, ohne einen Cent zu bezahlen, doch Archie wollte verhindern, dass man herausfand, dass er minderjährig war, und er wollte nicht fünf Jahre lang verpflichtet sein, das Land nach Vorschrift zu bebauen und zu bewässern. Da er von Mrs. Peck nichts erwartet hatte, war der Kauf des Grundstücks mit der überraschenden Erbschaft so, als würde es ihm geschenkt. Und das Land gehörte ihnen auf der Stelle, ohne Bedingungen. Archie, der es ungeheuer aufregend fand, Grundbesitzer zu sein, sagte zu Rose, er müsse die Grundstücksgrenzen singend abmessen. Er fing an der südwestlichen Ecke an und schritt zügig in Richtung Osten. Es war ihm wichtig. Rose begleitete ihn anfangs und versuchte sogar mitzusingen, war aber schnell außer Atem. Und sie kannte die Lieder nicht gut genug. Archie war nicht aufzuhalten. Es dauerte Stunden. Am späten Nachmittag hatte er die westliche Grenze erreicht, näherte sich allmählich dem Haus und sang krächzend: »Und dann gehen wir in die Stadt und kaufen uns was Neues …«, schleppte sich in der Abenddämmerung die letzten dreißig Meter die Anhöhe herunter, und seine Stimme versagte ihm fast den Dienst, so dass Rose sich anstrengen musste, um ihn die Worte hecheln zu hören: »… hatte nie Geld und das macht mir nichts aus.«
 
Kein Glück ist so groß wie das eines jungen Paares in einem Haus, das die beiden an einem schönen und einsamen Ort errichtet haben. Archie hatte einen Tisch mit Beinen aus Baumschösslingen und zwei Bänke zusammengenagelt. Wenn beim Abendessen der gelbe Schein der Petroleumlampe ihre Gesichter beleuchtete und bizarre Schatten an die Zimmerdecke warf, schien alles in ihrer Welt geregelt zu sein, bis Motten gegen den Lampenschirm flogen und sich auf den Tellern in klebrigem Todeskampf wanden.
Rose war nicht hübsch, aber herzlich und fröhlich. Sie war auf der Postkutschenstation Jackrabbit aufgewachsen,Tochter des schmerbäuchigen Sundown Mealor, der von waghalsigen Ritten auf feurigen Pferden träumte, aber einen Frachtwagen fuhr, weil er an der Flasche hing. Die Station lag an einem Trail mit nord-südlichem Verlauf zwischen kümmerlichen Ranches und Rawlins, das als Eisenbahnstadt aus dem Boden spross, nachdem die Union-Pacific-Linie dort vorbeiführte. Rose’ Mutter war früh ergraut und siechte an einem Leiden dahin, das sie ans Bett fesselte. Sie weinte, weil Rose so jung heiratete, schenkte ihr aber einen wertvollen Familienbesitz, einen großen Silberlöffel, der über den Atlantik gereist war.
Der Stationsvorsteher war Robert F. Dorgan, ein leutseliger Mann mit Hängebacken und politischen Ambitionen, dessen sehnlichster Wunsch es war, eine bedeutende Stellung zu erlangen, und er sah die Station nicht nur als kurzen Haltepunkt für Frachtwagen, sondern auch in seiner eigenen Karriere. Seine zweite Frau Flora, Stiefmutter seiner Tochter Queeda, reiste jeden Winter mit Queeda nach Denver, was beide zu Autoritäten in Sachen Mode und Lebensart machte. Ihr Verhältnis war so innig, als wären sie blutsverwandt. In Denver suchte Mrs. Dorgan die Bekanntschaft wichtiger Leute, die der Karriere ihres Mannes förderlich sein konnten.Viele Politiker verbrachten den Winter in Denver, und einer von ihnen, Rufus Clatter, der Verbindungen nach Washington hatte, hielt es für möglich, dass Dorgan zum Inspektor ernannt wurde.
»Ich wette, vom Inspizieren versteht er eine Menge«, sagte er augenzwinkernd.
»Oh, in der Tat«, sagte sie und dachte sich, dass Dorgan sicher einen strebsamen Feldmesser finden konnte, der für ein paar Dollar die Arbeit erledigte.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Clatter und presste sich gegen ihren Oberschenkel, bereit, zurückzuweichen, sollte sie sich gekränkt zeigen. Sie ließ ihn ein paar Sekunden lang gewähren und wandte sich dann lächelnd ab.
»Sollte es zu einer solchen Beförderung kommen, wird Ihnen mein Dank gewiss sein.«
Als sie im Frühjahr zu der Station zurückkehrte, wo ihre Ringe und die glitzernden Applikationen ihrer Kleider sie in einen goldenen Schein hüllten, kurbelte sie den örtlichen Klatsch und Tratsch an, indem sie verkündete, Archie McLaverty habe Rose ins Unglück gestürzt, indem er die knapp Vierzehnjährige zu einer verfrühten Heirat drängte, doch was sollte man anderes von einem Mädchen erwarten, dessen Vater ein Säufer war, einem verwahrlosten Mädchen, das die Station geführt hatte, ungehobelten Kutschern freche Antworten gegeben und mit Bauernlümmeln und Viehhirten vulgäre Bemerkungen getauscht hatte, darunter Archie McLaverty, dieser Habenichts mit seinen ordinären Liedern. Sie schlug die Hände zusammen, als wollte sie Schmutz abklopfen.
Der andere Bewohner der Station war ein alter Hagestolz - die Gegend war reich an Hagestolzen -, Harp Daft, der Telegrafist. Sein Gesicht und Hals waren wie eine Maske aus Narben,Warzen, Geschwüren, Eiterpickeln und Ausschlägen. Ein Bein war kürzer als das andere, und seine Stimme näselte katarrhalisch. Sein Fenster lag dem Haus der Dorgans gegenüber, und manchmal sah man darin einen dunklen Kreis, ein Teleskop, wie Rose wusste.
Für Queeda Dorgan empfand Rose Bewunderung und Verachtung zugleich. Gierig nahm sie jede Einzelheit der schönen Kleider auf, die Brosche mit Feueropal, die Satinschuhe und die kessen Hüte, die auf der staubigen Station so köstlich unpassend wirkten, doch sie wusste, dass Miss Etepetete ihre blutigen Menstruationslappen wie alle anderen Frauen auswaschen musste, auch wenn sie sie zu verstecken versuchte und nachts oder in Kissenhüllen aufhängte. Unter den Seidenröcken musste auch sie sich mit tropfenden Windeln aus alten Bettlaken abfinden, deren verkrustete Ränder an den Schenkeln rieben und in denen sich die Schamhaare verfingen. Zu diesen Zeiten übertönte der animalische Geruch Queedas parfümiertes Bollwerk. Mrs. Dorgan war für Rose eine eisenharte Feindin mit zwei Gesichtern, liebreizend in der Öffentlichkeit, unflätig im Privaten. Sie hatte gesehen, dass die Frau wie ein Fuhrknecht auf den Boden spuckte und ihr Geschlecht an der Tischkante rieb, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Da Mrs. Dorgan sich für etwas Besseres hielt, ignorierte sie die Mealors genauso wie den verachtenswerten Hagestolz, der an seinem Telegrafen klapperte oder, wie er es nannte, nach Sternbildern Ausschau hielt.
 
In der kleinen Hütte flocht Rose jeden Morgen ihr glattes braunes Haar, betupfte es mit Fliederwasser aus dem blauen Flakon, den Archie ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, und legte es als Krone um ihren Kopf, so wie Queeda Dorgan ihr Haar aufsteckte. Abends löste sie ihr Haar, und man konnte den Duft riechen. Sie wollte nicht so werden wie die Siedlerfrauen, die nach Schweiß stanken und ihr fettiges Haar zum Knoten zusammenwürgten. Archie hatte kastanienbraune Locken, und Rose hoffte, dass ihre Kinder seine Locken und seine hübschen Züge mit den roten Wangen erben würden. Sie schnitt ihm das Haar mit einer Handarbeitsschere, die eine Reisende aus der Postkutsche vor Jahren an der Station verloren hatte und deren silberne Griffe wie gebogene Kranichhälse geformt waren. Aber es war schwer, sauber zu bleiben. Queeda Dorgan hatte an der Station nicht viel anderes zu tun, als sich zu putzen, zu waschen und zu schmücken, doch Rose musste in ihrer Hütte schwere Kessel schleppen, Feuerholz zerkleinern, Brot backen, Töpfe scheuern, draußen den steinigen Boden umgraben, wo sie einen Garten anlegen wollten, und Wasser holen, wenn Archie nicht da war. Im ersten Winter fror zu ihrem Glück der Fluss nicht ein. Zum Waschen und Geschirrspülen und Putzen benötigte Rose vier Eimer Wasser täglich, die vom Little Weed geholt werden mussten, wobei jedes Mal die Enten aufgescheucht wurden, die in dem nahen Nebenarm ihre Geschäftstreffen abzuhalten pflegten. Auch Archie versuchte sie sauber zu halten. Wenn er den ganzen Tag Pecks Kühe oder in der Wüste Wildpferde gejagt hatte, kam er mit Bartstoppeln im Gesicht, einem Hals voller Schnakenstiche, verdreckten und zerschundenen Händen, abgebrochenen Nägeln und stinkenden Füßen nach Hause. Sie zog ihm die Stiefel aus, wusch seine Füße in der emaillierten Spülschüssel und trocknete sie mit einem sauberen Futtersack ab.
»Wenn du Strümpfe hättest, würde es weniger stinken«, sagte sie. »Wenn ich Stricknadeln und Garn hätte, könnte ich dir Strümpfe stricken.«
»Mrs. Peck hat mir mal welche gestrickt. Nach einer Stunde war das erste Loch drin. Und sie verdrehen sich in den Stiefeln. Unnützes Zeug, diese Strümpfe.«
Zum Abendessen gab es Wildhackbraten oder gebackenes Steppenhuhn, das Rose geschossen hatte, Hagebuttengelee und frischgebackenes Brot, aber keine Bohnen, die laut Archie das Hauptnahrungsmittel bei Pecks bildeten, einst wie jetzt. Ab und zu ritt ihr Nachbar Tom Ackler zum Abendessen zu ihnen herunter, manchmal in Begleitung seiner gelben Katze Gold Dust, die hinter ihm auf dem Sattel hockte. Während Tom redete, hockte Gold Dust vor dem Holzstapel und versuchte, das Wiesel zu erwischen. Rose mochte den schwarzäugigen, fast kahlköpfigen Goldsucher, und sie fragte ihn, was der goldene Ohrring an seinem linken Ohrläppchen bedeutete.
»Bin früher um die Welt gesegelt, Mädelchen. Das Ohr ist backbord, und der Ring sagt denen, die Bescheid wissen, dass ich östlich von Kap Horn war. Und wer nach Osten gelangt, war vorher im Westen. War überall auf der Welt.« Er hatte ein reiches Repertoire an Geschichten von Stürmen, heftigen Orkanen und südlichen Taifunen, von Wasserhosen und Walen, die wie Forellen aus dem Wasser sprangen, von Eisbergen und Windstillen und Seetang, in dem sich die Schiffe verfingen, von wilden Zeiten in fernen Häfen.
»Und warum hast du das Seemannsleben aufgegeben?«, fragte Rose.
»Da wird man nicht reich, Mädelchen. Und nach dem Herumgeschubse an Deck hat sich der alte Bursche hier einen gemütlichen Hafen gewünscht.«
Archie fragte ihn nach Seemannsliedern, und bei seinem nächsten Besuch brachte Tom Ackler seine Ziehharmonika mit, und stundenlang erklangen Shantys und Seemannsverse in der Hütte; ab und zu bat Archie Tom, ein Lied zu wiederholen, doch oft stimmte er schon nach wenigen Takten ein.
Dein Pferd wird sterben, alter Mann.
So sagen sie, so hoffen sie.
Dein Pferd wird sterben, armer Mann.
O armer, armer alter Mann …
Rose war eine feurige Liebende, wenn Archie rief: »Reck den Hintern hoch wie ein Ziegenmelker«, und sie verstand es, seine gelegentlichen schwermütigen Anwandlungen in fröhliches Lachen aufzulösen. Sie schien nicht zu wissen, dass sie in einer Zeit lebte, in der die Liebe für Frauen tödlich war. Eines Sommerabends, als sie in der halbfertigen Hütte ihr Bett auf dem Boden zwischen Holzspänen und Sägemehl bereitet hatten, konnten sie nicht mehr aufhören, sich zu küssen. Wie in Trance begann Rose Bisse unter ihre Küsse zu mischen, leckte und biss seinen Hals, seine Schulter, die nach Moschus riechende Höhlung zwischen Arm und Oberkörper und seine Brustwarzen, bis sie spürte, dass er zitterte, und als sie aufsah, hatte er die Augen geschlossen,Tränen hingen in seinen Wimpern, und sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»O Archie, ich wollte dir nicht wehtun, Archie …«
»Du hast mir nicht wehgetan«, stöhnte er. »Es ist nur. Bin nie. Geliebt worden. Ich kann es fast nicht aushalten«, und dann stammelte er: »Als wäre auf mich geschossen worden«, schlang die Arme um sie und rollte sich halb auf sie, so dass die salzigen Tränen und sein Speichel ihr besticktes Hemdchen benetzten, er nannte sie sein kleines Vögelchen, und in diesem Augenblick wäre sie für ihn über glühende Kohlen gegangen.
Wenn er nicht da war, grub sie den Garten um oder nahm sein altes Zündnadelgewehr und ging Steppenhühner jagen. Sie schoss einen Habicht, der es auf ihre drei Legehennen abgesehen hatte, rupfte ihn, nahm ihn aus und warf ihn zusammen mit einer Handvoll Wildlauchzwiebeln und etwas Pfeffer in den Suppentopf. Ein andermal hatte sie fast zwei Kilo Walderdbeeren gesammelt; ihre Finger waren dunkelrot gefärbt, da half kein Waschen.
»Sieht aus, als hättest du eigenhändig einen Grizzly erlegt und gehäutet«, sagte Archie. »So ein Bär könnte dir jederzeit in den Beeren begegnen, pflück lieber keine mehr.«
 
Der zweite Winter stand bevor, und Bunk Peck entließ alle Männer, auch Archie. Viehhirten wanderten von Ranch zu Ranch und verrichteten Hilfsarbeiten für einen Schlafplatz und drei handfeste Mahlzeiten. Unten am Little Weed waren Archie und Rose auf die kalte Jahreszeit vorbereitet. Archie hatte auf den Schnee gewartet, in dem Wildfährten gut erkennbar waren, und hatte im November, als es kalt wurde, zwei Wapitis und zwei Stück Rotwild geschossen und Tom Ackler einen Teil des Fleisches zum Dank für seine Hilfe überlassen, denn ein Mann allein konnte mehrere Tage brauchen, um einen großen Hirsch zu zerlegen, und sobald die Beute unbeaufsichtigt war, machten sich Bären, Pumas und Wölfe, Kojoten, Raben und Adler darüber her. Etwa ein Morgen Land war gerodet, und dort wollte Archie Winterweizen säen. Die Kühlkammer war gefüllt. Sie besaßen ein Fass Mehl und genug Backpulver und Zucker für ganz Chicago. An manchen Morgen wirbelte der Wind den Schnee auf, der wie Gaze die Berge bleichte und den Morgenhimmel opal färbte. Einmal sandte die Sonne von unterhalb des Horizonts grelle rote Strahlen gegen die Unterseite der Wolke, die über Barrel Mountain hing, und als Archie aufblickte, sah er Rose in der Tür stehen, gespenstisch beleuchtet von dem unheimlichen Glühen.
 
Im Frühjahr waren beide das Wapiti- und Wildfleisch leid, und sie waren es leid, einander in der kleinen Hütte auf die Füße zu treten. Rose war schwanger. Ihre Lebenskraft schien versiegt zu sein und ebenso ihre gute Laune. Archie brachte ihr Eimer voll Wasser vom Fluss und gelobte, im Sommer einen Brunnen zu graben. In der Hütte war es stickig; die Aprilsonne brannte so heiß wie ein Glutofen.
»Du solltest dir jemanden suchen, der was vom Brunnengraben versteht«, sagte Rose verdrießlich und knallte die Näpfe für den ewigen Wapitieintopf auf den Tisch; der Eintopf bestand aus nichts als Fleisch, Wasser und Salz, weichgekocht und tagelang immer wieder aufgewärmt. »Weißt du noch, wie Mr. Town ums Leben kam, als sein Brunnen einbrach und er drinsteckte?«
»Wenn unser Brunnen einbricht, muss ich nicht drinstecken«, sagte Archie. »Ich will keinen lebensgefährlichen tiefen Brunnen graben, sondern das kleine Wasserloch östlich von unserer Kühlkammer ausbauen. Könnte eine prima Quelle abgeben, und ich könnte ein Brunnenhaus bauen, ein paar Bretter einziehen, vielleicht eine Kuh halten. Milchkuh für Milch und Sahne. Verdammt, ich fang gleich heute mit der Arbeit an.« Er war nicht groß, aber kräftig, und durch die Arbeit waren seine Brust und Schultern breiter geworden. Er sang: »… darf die Schaufel nicht vergessen, wenn ich graben gehen will«, und hängte einen von Toms Seemannsausrufen an, doch sein scherzhaftes Lied konnte Rose in ihrer Missstimmung nicht besänftigen. Eine ältere Frau hätte gewusst, dass sie von der ersten Zeit inniger Liebe in den langen und mühseligen Prozess des Ehelebens überwechselten, auch wenn sie fast noch Kinder waren.
»Kühe sind teuer, Milchkühe besonders. Wir können uns nicht mal ein Geschirr für die Butter leisten. Und ich würde ein Butterfass brauchen. Wenn wir schon träumen, können wir auch gleich von einem Schwein träumen, das wir im Herbst schlachten können. Wild kann ich nicht mehr sehen. Zu schade, dass du dein ganzes Geld für das Grundstück ausgegeben hast. Hättest besser etwas übrig behalten.«
»Ich finde, es war trotzdem richtig, aber es stimmt, wir brauchen ein bisschen Kleingeld. In ein paar Tagen reite ich zu Bunk, um zu sehen, ob ich bei ihm Arbeit bekomme.« Er zog seine schmutzige Arbeitshose an, die von dem dreitägigen Ausheben der Latrinengrube voller Lehm war. »Koch nichts für mich. Ich grabe bis mittags und komm zum Kaffee. Haben wir noch welchen?«
Bunk Peck war es ein Vergnügen, ihm zu sagen, dass er keine Arbeit für ihn habe. Auf den anderen Ranches sah es nicht besser aus. Acht oder zehn texanische Viehhirten, die nach dem Montana-Viehtrieb im letzten Herbst dageblieben waren, hatten sich alle Arbeit unter den Nagel gerissen.
Archie versuchte, es Rose scherzhaft beizubringen, doch daran, wie er die Luft durch die Zähne einsog, war zu merken, dass er es nicht lustig fand. Nach ein paar Minuten sagte Rose leise: »An der Station hieß es immer, oben in Butte würde man einen Hunderter im Monat verdienen.«
»Missus McLaverty, in ein Bergwerk kriegst du mich nicht rein. Du hast einen Cowboy geheiratet.« Und er sang: »Bin nur ein einsamer Cowboy, und Rose, die ist mein Schatz, und ob ich meinen Hut verlier oder mir die Zehen abfrier, sie gibt mir einen Schmatz, doch in einer Kupfermine, da ist nicht mein Platz.« Er nahm ein Stück Rübe aus der Bratpfanne auf dem Herd und aß es. »Ich reite Richtung Cheyenne und seh, was ich finden kann. Da drüben gibt es ein paar große Ranches, wo sie vielleicht Arbeiter brauchen. Unterwegs mach ich halt bei Tom und bitte ihn, sich um dich zu kümmern.«
Am nächsten Tag machte er sich auf den Weg.Wir brauchen das Geld, dachte sie, oder?
 
Trotz des warmen Aprilsonnenscheins lag noch tiefer Schnee am Fuß der Kiefern und in den nördlich gelegenen Senken um Tom Acklers Hütte; sie wirkte verlassen, als wäre Tom für längere Zeit fort. Gold Dust, seine Katze, kam schnurrend zur Treppe, doch als Archie sie streicheln wollte, hieb sie ihre Krallen in seine Hand und flitzte dann mit angelegten Ohren in das Kieferndickicht. In der Hütte fand Archie einen Bleistiftstummel und schrieb an den Rand einer alten Zeitung eine Notiz, die er auf den Tisch legte.
Tom ich such Arbeit in der Gegend von Schaien.
Kuk ab u. zu nach Rose, oke?
Arch McLaverty
In einem Saloon an einer Straße in Cheyenne, wo es von Schnapsbuden und Spielhöllen wimmelte, hörte er von einem Rancher in der Gegend von Lusk, der Arbeiter suchte, die im Frühjahr beim Viehzusammentreiben halfen. Die Whiskeyflaschen glitzerten in den Lichtstreifen, die hereindrangen, wenn die Schwingtür bewegt wurde - Kellogg’s Old Bourbon, Squirrel, McBryan’s, G. G. Booz, Day Dream und ein paar Ginflaschen von eckiger Kontur. Er lud den Mann auf einen Drink ein. Es sei nur so, sagte der Informant, ein Mann mit gewaltigem Schnurrbart, der unentwegt lächelte und dabei verfaulte Stummelzähne entblößte, während er Daumen und Zeigefinger schützend um das Glas legte, damit der Barmann nicht genau sehen konnte, wie viel er einschenkte, es sei so, dass Karok zwar gut zahle und man sich darauf verlassen könne, von ihm nicht im Herbst vor die Tür gesetzt zu werden, aber verheiratete Männer nehme er nicht, weil er der Ansicht sei, sie hätten die schlechte Angewohnheit, wegzulaufen, um nach Frau und Kindern zu sehen, während Karoks Kühe in Schlammlöcher stolperten, Pumas und Viehdieben zum Opfer fielen, sich ins Tal verirrten und hundert andere Missgeschicke erlebten, wie sie unbeaufsichtigtem Vieh zuteil werden konnten. Der Barmann, der mit halbem Ohr zuhörte, nahm aus einer kleinen Flasche neben der Registrierkasse einen Schluck von Wheatley’s Spanischem Schmerztöter.
»Der Magen«, sagte er zu niemand Bestimmtem und rülpste.
Der Schnurrbartträger kippte sein randvolles Whiskeyglas auf einen Zug und redete weiter. »Ist ein Ausländer aus dem Osten, und für ihn zählen nur seine Kühe. Das hat er als Erstes gelernt, als er damals herkam: dass Kühe das Einzige sind, was zählt. Der Fraß bei ihm ist auch ziemlich schäbig. Kein Huhn in der Hühnersuppe.«
»Klar, und kein Meer im Meerrettich«, sagte Archie, der die abgedroschenen Witze allesamt kannte.
»Tja. Manche Leute kommen einfach nicht mit ihm zurecht. Und gehen. Ich zum Beispiel. Einmal war ein Fritze von der Justiz bei uns draußen, der die Finger nicht von seinem Schießeisen lassen konnte und dem anzusehen war, dass er am liebsten ein bisschen Blut vergossen hätte. Jedenfalls war ich verdammt froh, von dort wegzukommen. Aber es gibt Leute, die mit Karok ganz gut auskommen.Vielleicht gehören Sie dazu. Wer für ihn reitet, der lernt, nachts mit dem Lasso umzugehen. Seine Herde vermehrt sich nämlich ziemlich eigenwillig, falls Sie verstehen, was ich meine. Aber ich will Ihnen einen guten Rat geben: Früher oder später wird es auf der Ranch mächtig Stunk geben. Der Justizfritze hat nicht ohne Grund rumgeschnüffelt.«
Archie ritt nach Lusk über Land, das so vergilbt und flach war wie eine alte Zeitung, und sprach bei Karok vor. Am Tor war ein großes Schild angebracht: KEInE EhEMäNnER. Als der sauertöpfische Rancher ihn fragte, log Archie, sagte, er sei ledig, er müsse nur seine Sachen holen und könne in sechs Tagen wiederkommen.
»Fünf Tage«, sagte der Rancher und beäugte Archie misstrauisch. »Andere Burschen auf Arbeitssuche haben ihre Sachen dabei und müssen nicht erst nach Hause und sie holen.«
Archie tischte ihm eine Geschichte auf, er wäre in Cheyenne zu Besuch gewesen und hätte nicht gewusst, dass er seine Arbeit verloren hatte, bis einer der anderen Cowboys auftauchte und ihm sagte, dass sie alle auf der Straße standen, woraufhin er, Archie, auf der Stelle zu Karok gekommen war, als er gehört hatte, dass es dort möglicherweise Arbeit gab.
»So, so. Dann mach dich auf die Beine. Der Viehtrieb hat vor zwei Tagen angefangen.«
Als er bei Rose am Little Weed ankam, erklärte Archie die Situation nur in Andeutungen; er sagte, sie könne ihm keine Briefe oder Nachrichten schicken, bis er sich etwas ausgedacht hätte, sagte, er müsse schnellstens nach Lusk zurückkehren und dort mehrere Monate lang bleiben, und sie solle am besten ihre Mutter holen, damit sie ihr helfen konnte, wenn das Baby Ende September auf die Welt kam.
»Die Reise kann sie nicht machen. Du weißt, wie krank sie ist. Kommst du nicht zur Geburt des Babys?« In den wenigen Tagen seiner Abwesenheit schien er sich verändert zu haben. Sie berührte ihn, schmiegte sich an ihn und wartete, dass das vertraute Gefühl der Einheit sie zusammenschmiedete.
»Wenn ich mich freimachen kann, komme ich. Aber es ist eine gute Stelle, fünfundfünfzig Dollar im Monat, fast doppelt so viel, wie Bunk Peck zahlt, und ich spare jeden Cent. Wenn deine Mutter nicht herkommen kann, gehst du besser zur Station, wo Frauen sind.Vielleicht kann Tom dich hinbringen, im Juli oder im August? Oder schon früher?« Er war unruhig, als wollte er jeden Augenblick aufbrechen. »Hast du ihn gesehen? Als ich bei ihm vorbeikam, war alles zu. Ich schau noch einmal bei ihm vorbei.«
Rose sagte, Anfang September sei früh genug. Sie wollte nicht dorthin gehen, wo sie ihre kranke Mutter pflegen und ihren betrunkenen Vater ertragen musste, das Gesicht des Telegrafisten sehen, das wie eine zerfurchte Felsklippe aussah, sich Mrs. Dorgans herablassende Bemerkungen über »gewisse Leute« anhören, die an Queeda gerichtet, in Wahrheit aber für Rose bestimmt waren, sie wollte nicht neben Queedas hübschen Kleidern und ihrer zierlichen Figur unbeholfen und unförmig aussehen, und sie wollte nicht den Eindruck erwecken, allein zu sein, verlassen von dem Ehemann, von dem man vorausgesagt hatte, er werde sich aus dem Staub machen. Bis September waren es noch fünf Monate, genügend Zeit, sich etwas zu überlegen. Zusammen rechneten sie aus, was ein Jahr Arbeit bei Karok einbringen konnte.
»Wenn du das ganze Geld sparst, haben wir sechshundertfünfzig Dollar. Dann sind wir reich, oder?«, fragte sie in einem klagenden Ton, den er geflissentlich überhörte.
Er bemühte sich um Enthusiasmus. »Dabei ist noch nicht mal eingerechnet, was ich an Prämien bekommen kann, wenn ich Wölfe abschieße. Vielleicht noch einen Hunderter. Genug als Startkapital. Ich könnte mir vorstellen, dass wir Pferde züchten. Pferde werden immer gebraucht. Nach einem Jahr höre ich auf der Ranch auf und komme zurück.«
»Und wie kann ich dir Bescheid sagen - wenn das Baby da ist?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber ich lass mir was einfallen. Weißt du was? Mir ist, als würde ich mir gern die Haare kämmen lassen. Willst du mir die Haare kämmen?«
»Ja«, sagte sie und lachte, als er gerade befürchtete, sie in Tränen ausbrechen zu sehen. Doch zum ersten Mal begriff sie, dass sie nicht zwei Hälften einer Person waren, die zueinander drängten, sondern zwei einzelne Personen, und dass er als Mann gehen konnte, wann er wollte, während sie das als Frau nicht tun konnte. In der Hütte hing der Geruch von Verlassenheit und Verrat.

Archie und Sink

Männer, die von Kindesbeinen an mit Pferden zu tun haben, erkennen merkliche Unterschiede auf einen Blick, doch einige können sich in das Temperament von Pferden besser einfühlen als andere. Sink Gartrell zählte zu Letzteren und war das völlige Gegenteil von Wally Finch, dem Zureiter wilder Pferde aus Montana, der heimlich ein verstecktes Seil benutzte und die Pferde, die er zuritt, zu unreitbaren »Verbrechern« machte. Sink strahlte unnahbaren Sachverstand aus. Bei einem Roundup war dem soignierten britischen Privatier Morton Frewen aufgefallen, wie Sink mit einem nervösen und schreckhaften Pferd umging, was er mit der Bemerkung kommentierte, Sink habe »göttliche Hände«. Dieses Adjektiv versetzte die Cowboys tagelang in Heiterkeit, wenn sie Frewens näselnden Akzent nachäfften, aber Spott glitt an Sink Gartrell ab wie Wasser an Felsen im Flussbett.
Sink hatte den Eindruck, dass der neue Junge hervorragend mit Pferden umgehen konnte, aber lernen musste, sich bedeckt zu halten. Am zweiten oder dritten Morgen nach seiner Ankunft war Archie früh aufgewacht, hatte sich in seinem Bett aufgesetzt, während der Koch Hel sein Feuer anfachte, und hatte einen Weckruf losgelassen, garniert mit Jodlern, so dass der alte Hel vor Schreck die Kaffeekanne ins Feuer fallen ließ und die unsanft Geweckten laut fluchten. Der bittere Geruch verbrannten Kaffees war ein schlechter Tagesbeginn. Vorarbeiter Alonzo Lago, der bisher nicht weiter Notiz von Archie genommen hatte, starrte den lockenköpfigen neuen Arbeiter an, der an dem Lärm schuld war. Und Sink registrierte seinen Blick.
Später nahm Sink den Jungen beiseite und warnte ihn, redete Klartext, erklärte ihm, dass der alte Lon ihn zusammenrammeln würde, wenn er bereit wäre, in seinen Schlafsack zu kriechen, erklärte ihm, dass der lederhäutige alte Vorarbeiter dafür bekannt war, junge neue Arbeitskräfte ohne Sattel einzureiten. Archie, dem all das aus Pecks Arbeiterbaracke vertraut war, sah Sink an, als verdächtige er ihn, ähnlich niedrige Absichten zu hegen, sagte, er könne auf sich selbst aufpassen und werde sich schon zu wehren wissen, wenn ihm jemand zu nahe käme. Dann ging er weg. Als Sink nach seiner Wache nach Mitternacht in die Unterkunft kam, ging er an der Schlafstelle des Vorarbeiters vorbei, doch unter der Segeltuchdecke ragte nur ein Kopf hervor; der Junge hatte sich nach draußen ins Gebüsch zu den Kojoten verzogen. Na wenn schon, dachte Sink, er würde trotzdem aufpassen, wenn Lon das nächste Mal außer Kontrolle geriet und anfing, dieses bescheuerte Gedicht über italienische Musik in Dakota vom Stapel zu lassen, denn der Vorarbeiter war so unbezähmbar wie eine Naturgewalt.
Für Archie war die Arbeit das übliche Los des Rancharbeiters - schwer, schmutzig, langwierig und langweilig. Das Leben bestand aus Satteln, Reiten, Lassowerfen, Einfangen, Zusammentreiben, Absatteln, Essen, Schlafen und das Ganze wieder von vorn. In klaren, trockenen Nächten schien das Gekläff der Kojoten in geraden Linien von einem einzigen Punkt auszugehen, gekreuzt wie gespannte Drähte. Wenn der Himmel sich bedeckte, folgte das Geheul anderen geometrischen Gesetzen und überschnitt sich wie konzentrische Kreise um eine Handvoll ins Wasser geworfene Steine. Doch meistens schmirgelte der Wind, der über die Ebene brauste, die Schreie zu einer Art Kojotenstaub aus vielen kleinen Klangpartikeln. Archie sehnte sich nach seinem geliebten Zuhause, wo er die Weide für seine Pferde einzäunen und mit Rose glücklich sein konnte. Er dachte an das Kind, das sie erwarteten, stellte sich einen halbwüchsigen Jungen vor, der ihm half, in der Wüste Fallen für wilde Pferde zu errichten und die Mustangs zu fangen. Ein Baby konnte er sich nicht recht vorstellen.
Gegen Ende des Spätsommers sah Sink, dass Archie aufrecht im Sattel saß, still und beherrscht war und mit Pferden umgehen konnte. Der Junge gehörte zu jenen, denen Pferde trauten, war ruhig und gelassen. Er jodelte morgens nicht mehr und sang nur noch nach dem Abendessen, wenn andere zu singen begannen und seine Stimme sich einfügte, ohne aufzufallen. Er war ein Einzelgänger, starrte oft in die Ferne, doch jeder von ihnen hatte jenseits des Horizonts etwas Wertvolles. Trotz seines Könnens im Umgang mit Pferden hatte ihn ein Wildpferd abgeworfen, das von Wally Finch zugrunde gerichtet worden war, und als er instinktiv eine Hand ausgestreckt hatte, um sich abzustützen, hatte er sich das Handgelenk verstaucht und hatte monatelang mit badangiertem Arm reiten und alle Arbeiten einhändig verrichten müssen. Vorarbeiter Alonzo Lago hatte Wally Finch gefeuert und sich geweigert, ihn für ruinierte Pferde zu bezahlen, auch wenn es wilde Mustangs waren, und hatte ihn zu Fuß nach Montana zurückgeschickt.
»Junge, man kann so fallen, dass man sich nicht wehtut«, sagte Sink. »Du musst die Arme verschränken, eine Schulter hochziehen und deinen Kopf ducken. Wenn du hinfällst, drehst du dich ein bisschen, damit du mit der Schulter auf den Boden triffst, und dann rollst du dich ab und kommst auf die Füße.« Er wusste nicht, warum er ihm das erzählte, und sagte mürrisch: »Scheiße auch, wirst schon sehen.«

Rose und die Kojoten

Es war ein heißer Juli, die Luft summte, das Land war so trocken wie ein abgewetzter Schafhuf. Die Sonne sog die Farbe aus allen Dingen, und der Little Weed tröpfelte zwischen stumpfen Steinen dahin. Einen Monat später würde sogar dieses Tröpfeln von den heißen Steinen im Fluss aufgesogen sein, das Gras weiß gebleicht, und Prediger würden um Regen beten. In der Hütte, in der es so heiß war wie in einer schwarzen Hutschachtel, konnte Rose nicht mehr schlafen. Einmal trug sie ihr Kissen zu der breiten Türschwelle und legte sich auf den kühlen Stein, bis die Moskitos sie in das Haus zurücktrieben.
Eines Morgens erwachte sie erschöpft und verschwitzt und ging zum Little Weed in der Hoffnung auf nachtkühles Wasser. Im Süden ballte sich eine dunkle Wolke, und erleichtert hörte Rose fernes Donnergrollen. Vorausschauend stellte sie den großen Kessel und zwei Eimer für das Regenwasser draußen auf. Der Wind, der das Unwetter ankündigte, schüttelte Äste und Zweige und riss die Blätter entzwei. Das Gras beugte sich zur Seite. Auf dem Gipfel von Barrel Mountain tanzten Blitze, und dann verschwand die Landschaft in dem klirrenden und dröhnenden Schauer eines Hagelsturms. Rose lief in die Hütte und schaute zu, wie die Hagelkörner auf die Felsbrocken im Fluss trafen und sich dann in einen Platzregen verwandelten. In der Gischt des steigenden Wassers verschwanden die Felsen. Der Regen endete fast so schnell, wie er begonnen hatte, ein paar vereinzelte Hagelkörner fielen, und ein doppelter Regenbogen vor der abziehenden Wolke versprach alles. Rose’ Eimer waren voll frischem Wasser mit einer Decke von Hagelkörnern. Sie entkleidete sich und goss sich immer wieder eiskaltes Wasser über den Kopf, bis ein Eimer fast geleert war und sie vor Kälte zitterte. Die Hitze war gewichen, und es war so kühl und frisch wie im September. Gegen Mitternacht begann es wieder zu regnen, langsam und gleichmäßig. Im Halbschlaf hörte sie, wie der Regen auf die Schwelle tropfte.
Am nächsten Morgen war es kalt und eisig, und ihr Rücken schmerzte; sie wünschte, die Sommerhitze wäre wieder da. Sie schwankte beim Gehen und konnte sich nicht dazu überwinden, Kaffee zu machen. Sie trank Wasser und betrachtete die Eisnadeln, die an der Fensterscheibe hinunterglitten. Später am Vormittag wurden die Rückenschmerzen schlimmer und nahmen eine beharrliche Gleichförmigkeit an. Ganz langsam wurde ihr klar, dass das Baby nicht bis September warten würde. Am Nachmittag waren die Rückenschmerzen eine Pythonschlange, die sie umklammerte, und sie konnte nichts tun als keuchen und stöhnen; das unentwegte Prasseln des Regens übertönte ihre schwachen Hilferufe. Sie wand sich aus ihrem beengenden Kleid und zog ihr ältestes Nachthemd an. Die Schmerzen steigerten sich zu Wellen unerträglicher Krämpfe, nach denen sie um Luft rang, immer wieder, während der Tag in die Nacht verschwand, der Regen vom Wind fortgewirbelt wurde und die Stunden erstickender Dunkelheit ihr unendlich vorkamen. Ein neuer Morgen dämmerte, klebrig vor neuer Hitze, doch ihre geschundenen Lenden konnten das Kind noch immer nicht gebären. Am vierten Nachmittag hatte sie keine Stimme mehr, nachdem sie ununterbrochen Archie, ihre Mutter,Tom Ackler und Tom Acklers Katze gerufen hatte, sie alle miteinander mit lauten Schreien verwünscht hatte und dann Gott, alle Götter, und danach die Enten im Fluss und das Wiesel, und plötzlich lockerte der Python seine Umklammerung, glitt von dem blutigen Bett und ließ Rose zurück, die in einem blauvioletten Nebel abwärts trudelte.
Es schien später Nachmittag zu sein. Rose war wie an das Bett geschmiedet; bei der leisesten Bewegung spürte sie einen heißen Schwall und wusste, dass es Blut war. Sie stützte sich auf die Ellbogen und sah das verklumpte Kind, grau und steif, die Schlinge der Nabelschnur und die Nachgeburt. Sie weinte nicht; von archaischem Zorn erfüllt, trennte sie den winzigen Leichnam ab, kniete sich auf den Boden, ohne sich darum zu kümmern, dass heißes Blut aus ihr rann, und wickelte den Säugling in das Bettlaken, das bereits steif wurde. Das Bündel war eine ungefüge Masse, und auch den Verlust des Lakens empfand sie als Tragödie. Als sie sich aufrichten wollte, floss das Blut in Strömen, doch sie musste das Kind begraben, um das Grauen dieser Geburt zu beenden. Sie kroch zum Küchenschrank, nahm ein Geschirrtuch heraus und wickelte es zu einem kleineren Bündel um das Kind. Ihre Hand berührte den Silberlöffel, den ihre Mutter ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, und sie steckte ihn in den Halsausschnitt ihres Nachthemds, wo das kühle Metall sich wie Balsam anfühlte.
Sie hielt den Knoten des Bündels mit den Zähnen gepackt und kroch zur Tür hinaus, bis zu dem sandigen Boden nahe dem Fluss, wo sie, immer noch auf allen vieren und blutend, mit dem Silberlöffel eine flache Grube aushob, in die sie das Kind legte; dann bedeckte sie es mit Sand und häufte darauf so viele Steine aus dem Fluss, wie in Reichweite lagen. Sie brauchte über eine Stunde, um ihrer blutigen Spur zu der Hütte zurück zu folgen, und als sie die Schwelle erreichte, herrschte tiefe Dämmerung.
Das blutige Laken lag zusammengebauscht auf dem Boden, die nackte Matratze wies einen dunklen Fleck mit den Umrissen Südamerikas auf. Rose lag auf dem Fußboden, denn das Bett war meilenweit entfernt, eine Klippe, die nur Vögel erreichen konnten. Alles schien abwechselnd zu schwellen und zu schrumpfen, das zuckende Bein des Betts, ein dumpfiger Lappen, der über den Rand der Spülschüssel hing, sogar die Zimmerwand blähte sich nach innen, der Stuhl flog wie verhext durch die Luft - alles bewegte sich im Rhythmus ihres heißen, pochenden Blutes. Barrel Mountain brachte die Dunkelheit und presste seine Masse gegen das Fenster, und Eulen flogen krachend hindurch mit Schwingen wie Eisenstangen. Während sie sich in der letzten Stunde durch den zähen Sirup des Unterbewusstseins mühte, hörte sie draußen die Kojoten, und sie wusste, was sie dort taten.
Als die Nächte im September abkühlten, wurde Archie nervös, ging so oft wie möglich in die Stadt und suchte die Post auf, doch man sah ihn nie Briefe oder Päckchen mitbringen. Sink und Archie wurden von Alonzo Lago beauftragt, einzelne abgelegene Täler zu überprüfen, angeblich um nach abtrünnigen alten Kühen zu suchen, die zu verschlagen, und nach ungebärdigen Kälbern, die zu jung waren, als dass sie sich beim Roundup erwischen lassen würden.
»Was ist los mit dir?«, fragte Sink, als sie aufbrachen, doch der Junge schüttelte den Kopf. Eine halbe Stunde später öffnete er den Mund, als wolle er etwas sagen, wandte den Blick von Sink ab und zuckte leicht die Schultern.
»Du hast was auf dem Herzen«, sagte Sink. »Mein Gott, raus damit. Oder kennst du mich auf einmal nicht mehr? Hast du etwa nicht gewusst, dass wir mit den Brandzeichen rummachen sollen? Bist du seit neuestem Moralapostel geworden?«
Archie sah sich um.
»Ich bin verheiratet«, sagte er. »Sie kriegt ein Baby. Schon bald.«
»Ach, du Scheiße! Wie alt bist du?«
»Siebzehn. Alt genug für das, was war und was sein muss. Wie alt bist du überhaupt?«
»Zweiunddreißig. Alt genug, um dein Daddy zu sein.« Sie schwiegen eine halbe Stunde lang, dann fing Sink wieder an. »Du weißt, dass der alte Karok keine verheirateten Burschen behält. Wenn er das rauskriegt, setzt er dich an die Luft.«
»Von mir kriegt er nichts raus. Und ich verdiene mehr als am Little Weed. Aber ich muss einen Weg finden, wie Rose mir Bescheid sagen kann.«
»Ich bin kein Kindermädchen.«
»Weiß ich.«
»Ein Glück.« Saudummer Junge, dachte er; sein Leben war jetzt schon so schwierig, dass er es nicht meistern konnte; aber laut sagte er: »Also ich würde mich nie im Leben von einem nichtsnutzigen Weibsbild einfangen lassen.«
In der Woche darauf ging die halbe Mannschaft in die Stadt, und Archie verbrachte eine ganze Stunde auf der Bank vor der Post damit, auf braunes Packpapier etwas zu schreiben, und adressierte die verunstaltete Botschaft an Rose in der Postkutschenstation, denn er dachte, dort halte sie sich auf.Was ist mit dem Baby?, schrieb er. Ist er geboren? Aber in der Post erfuhr er von dem glasäugigen Beamten mit Fingernägeln wie gelben Sticheln, dass die Gebühren erhöht worden seien.
»Zum ersten Mal seit hundert Jahren. Kostet jetzt zwei Cent, einen Brief zu schicken«, sagte der Beamte und grinste schadenfroh. Archie, der nur einen Cent hatte, zerriss seinen Brief und warf die Fetzen auf die Straße. Der Wind verteilte sie in der Prärie, und seine Kälte kündigte einen strengen Winter an.
 
Rose’ Eltern, die Mealors, zogen auf der Suche nach Remedur für Mrs. Mealors Siechtum im November nach Omaha.
»Meinst du, du kannst lange genug nüchtern bleiben, um hinzureiten und Rosie und Archie zu sagen, dass wir wegziehen?«, flüsterte die Kranke Sundown zu.
»Immer sachte, ich reite los, sobald ich den zweiten Stiefel finde. Mach dir keine Sorgen, das kriege ich schon hin.«
Eine ganze Flasche Whiskey half ihm bis zur Furt über den Fluss. Berauscht und benommen ritt er zu der kleinen Hütte am Fluss, die er ohne Lebenszeichen und mit geschlossener Tür vorfand. Hin und her schwankend und mit dem Gefühl, als schlitterte die Landschaft um ihn herum, rief er ein paarmal, doch er konnte nicht vom Pferd steigen, und er wusste, dass es auch gar keinen Sinn hatte abzusteigen, weil er nie wieder hinaufgekommen wäre.
»Schluss, zurück!«, sagte er zu Old Slope, und das Pferd machte kehrt.
»Sie sind nicht da«, berichtete er seiner Frau. »Nicht da.«
»Wo sollen sie sein? Hast du ihnen einen Zettel auf den Tisch gelegt?«
»Hab nicht dran gedacht. Waren sowieso nicht da.«
»Ich schreibe ihr aus Omaha«, flüsterte sie.
Keine Woche nach ihrer Abreise kam als Nachfolger Buck Roy mit seiner dickleibigen Frau und einem Stall voll Kinder. Die Mealors, die es nicht einmal fertiggebracht hatten, auf dem Friedhof der Station begraben zu werden, wurden vergessen.
 
Karoks Vieh suchte seinesgleichen, wenn es ums Streunen ging, und unter den Ranchern hieß es, dass es schon verblüffend sei, wo man überall auf seine Kühe stoßen konnte. Der Dezember war scheußlich, ein Sturm nach dem anderen fuhr herein wie eine Handvoll zornig geworfene Pokerchips, und der Januar war so kalt, dass die Vögel in der Luft erfroren. Vorarbeiter Alonzo Lago schickte Archie allein auf die Suche nach möglichst vielen verirrten Rindern in eine Senke, wo der Boden im Juni sumpfig war, um diese Jahreszeit jedoch aus zahllosen tiefen Löchern und gewundenen Rinnsalen bestand, die eine glatte Schneedecke verbarg.
»Halt die Augen auf nach Tätowierkünstlern von der Wing Cross Ranch. Am besten nimmst du selber ein paar Stöcke und ein Brandeisen mit.« Archie begriff, dass er nach Wing-Cross-Vieh Ausschau halten und die Brandzeichen fälschen sollte. Da die Wing-Cross-Leute sich in dieser Hinsicht auch keinen Zwang antaten, dachte er sich, dass es nur ausgleichende Gerechtigkeit wäre.
Das Pferd scheute vor dem sumpfigen Labyrinth zurück. Es war einer der typischen warmen Tage zwischen zwei Stürmen, und der Schnee war weich. Archie stieg ab und führte sein Pferd, hielt sich am Rand des Sumpfs und watete stundenlang durch nassen Schnee. Die Anstrengung brachte ihn zum Schwitzen. Nur zwei Kühe ließen sich aus der Senke hinaustreiben, die anderen verzogen sich in das Dickicht aus Kojoten-Weiden hinter dem Sumpf. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, in diesem trüben, halbvereisten Universum aus Brackwasser und zertrampeltem Gestrüpp ohne Hilfe Brandzeichen anzubringen. Archie sah zu, wie die Kühe in einem Bogen in den Hintergrund verschwanden. Der Wind stieß herab und brachte kalte Luft mit. Das Wetter schlug um. Als Archie vier Stunden nach Einbruch der Nacht die Arbeiterunterkunft erreichte, war das Thermometer auf null Grad gefallen. Seine Stiefel waren gefroren, ihm war kalt bis ins Mark, und er schlief ein, ohne gegessen oder mehr als die Stiefel ausgezogen zu haben.
»Mach dich auf die Socken und komm nicht ohne die Kühe zurück!«, zischte Alonzo Lago ihm zwei Stunden später ins Gesicht. »Steh auf und mach, dass du fortkommst! Wird’s bald! Mr. Karok will die Kühe haben.«
»Scheißkurze Nächte auf dieser Scheißranch«, brummte Archie und zog seine nassen Stiefel an.
Als er den Sumpf erreichte, machte sich das erste Licht bemerkbar wie graue Politur auf der kalten Welt; die Luft war so unbewegt, dass Archie das winzige Wölkchen Atemluft eines Finken auf einem Weidenzweig sehen konnte. Unter der Eiskruste schwamm schwabbeliger Schnee. Archies neues Pferd war Poco, der keine Sümpfe kannte. Poco stolperte voran, strauchelte, als er in eine unsichtbare Doline trat, und riss Archie tief mit hinein. Schnee rutschte ihm in den Kragen, in die Ärmel, in die Stiefel, füllte Augen, Nase und Ohren und verklebte seine Haare. Beim Aufstehen trat Poco auf seinen Hut und stampfte ihn in den Schlamm. Seine Körperwärme schmolz den Schnee, und als er in den Sattel zurückkletterte, gefror der Wind, der mit dem blassen Sonnenlicht aufgekommen war, seine Kleidung zu Eis. Es gelang ihm irgendwie, acht verirrte Wing-Cross-Kühe aus dem Sumpf zu jagen und auf festen Boden zu bugsieren, doch seine Streichhölzer ließen sich nicht entzünden, und während er sich damit abmühte, Feuer zu machen, rannten die Kühe davon. Er konnte sich kaum noch rühren, und als er zu der Unterkunft zurückkam, war er im Sattel festgefroren und zwei Männer mussten ihn vom Pferd holen. Er hörte Stoff zerreißen.
Sink dachte bei sich, dass der Junge eine Menge Mumm hatte, und während er brummte, er sei kein Kindermädchen, zog er ihm die vereisten Stiefel aus, knöpfte Jacke und Hemd auf, schleppte ihn zu seiner Pritsche und holte zwei heiße Steine unter dem Ofen hervor, mit denen er aufgewärmt werden sollte. John Tank, ein Herumtreiber aus Texas, sagte, er habe einen alten Overall, den Archie haben könne, alt und geflickt, aber noch ganz brauchbar.
»Scheiße auch, immer noch besser, als im Januar mit nacktem Arsch draußen rumzureiten.«
Aber am nächsten Morgen konnte Archie nicht aufstehen, weil ihm sofort schwindelig wurde. Sein Blut kochte, seine Wangen färbten sich feuerrot, seine Hände brannten vor Fieber, und rasselnder Husten schüttelte ihn. Sein Kopf schmerzte, die Unterkunft schaukelte vor und zurück, als säße sie auf Kufen. Er konnte sich nicht auf den Beinen halten, und sein Atem ging so keuchend wie der Blasebalg eines Schmieds.
Sink sah ihn an und dachte sich, dass das schwer nach Lungenentzündung aussah. »Du siehst ganz schön übel aus. Ich werde Karok Bescheid sagen.«
Als er eine halbe Stunde später wiederkam, brannte Archie vor Fieber.
»Karok sagt, ich soll dich wegschaffen, aber der Saukerl rückt den Wagen nicht raus. Sagt, er hätte ein Krebsgeschwür im Bein und bräuchte den Wagen selber, damit der Doc im Fort es ihm rausschneiden kann. Lon baut uns eine Art Trage. Seine Ma hatte Indianer in der Familie, deshalb kennt er sich mit so was aus. Manchmal ist er ganz okay. Wir bringen dich nach Cheyenne, dann kannst du mit dem Zug zu deiner Mutter oder zu deinen Leuten fahren, nach Rawlins oder wohin auch immer. Sagt Karok. Und er sagt, dass du gefeuert bist. Ich musste sagen, dass du verheiratet bist, damit er dich weglässt. Er war ganz versessen darauf, dich in unserer Unterkunft sterben zu lassen. Wir finden einen Arzt, mach bloß nicht schlapp. Ist nur eine Lungenentzündung. Hatte ich schon zweimal.«
Archie wollte sagen, dass seine Mutter schon lange tot war und dass er zu Rose am Little Weed musste, wollte sagen, dass es von Rawlins bis zu ihrer Hütte mehr als sechzig Meilen waren, doch er brachte kein Wort heraus, weil der keuchende und pfeifende Husten ihm die Luft nahm. Sink schüttelte den Kopf und besorgte sich beim Koch Zwieback und Speck.
Alonzo Lago hatte zwei lange Stangen geglättet und dazwischen ein Ochsenfell mit Schlingen befestigt. Sink umwickelte einem Pferd namens Preacher die Beine mit Sackleinwand, damit die Eiskruste ihnen nichts anhaben konnte, und band die Stangen an seinem Sattel fest, was ziemlich knifflig war, bis das Gleichgewicht stimmte. Die dünnen Stangenenden ragten über die Ohren des Pferds hinaus, doch der Vorarbeiter sagte, das sei notwendig, weil die anderen Enden schnell abgenutzt würden. Sie packten Archie mitsamt seinem Schlafsack in eine Decke aus Büffelfell ein, und Sink begann, ihn die dreißig Meilen südwärts nach Cheyenne zu schleppen. Mit dem Wagen wäre es ein Kinderspiel gewesen. Sink fand, dass die Trage keineswegs so praktisch war, wie die Indianer behaupteten. Der Wind, der über Nacht etwas nachgelassen hatte, blies wieder heftiger und schob eine luftige Wolkenwand vor sich her. Nach vier Stunden hatten sie neun Meilen zurückgelegt. Es begann zu schneien und schneite immer stärker, bis sie nichts mehr sahen.
»Junge, ich kann nix sehen«, rief Sink. Er hielt an, stieg ab, ging zu Archie. Anfangs war der Schnee geschmolzen, sobald er das rotglühende, fiebrige Gesicht berührte, doch nach und nach hatte sich einen Fingerbreit über der Oberfläche der heißen Haut die graue Glasur einer Maske aus Eis zu bilden begonnen. Sink fürchtete, die Maske könnte das wahre Gesicht werden.
»Wir igeln uns besser ein. Irgendwo in der Gegend gibt es eine Hütte, wenn wir sie finden. Vor ein paar Jahren habe ich den ganzen Sommer da gewohnt. Unterhalb von einem Gebirgskamm.«
Preacher, das Pferd, hatte den Sommer damals auch dort verbracht und ging nun zielstrebig auf die Hütte zu. Sie lag auf der windgeschützten Seite des Kamms unterhalb des Gipfels. Der Wind hatte Unmengen Schnee auf das winzige Häuschen geweht, aber Sink fand die Tür zu dem Anbau, in dem Preacher untergebracht werden konnte. An der Wand der Box, die er enthielt, lehnte eine Schaufel mit abgebrochenem Griff. In der Hütte gab es einen Tisch und einen Stuhl ohne Lehne und eine Pritsche aus Brettern, die vielleicht einen halben Meter breit war. Auf dem Ofen türmte sich Schnee, das Ofenrohr lag auf dem Fußboden. Teller und Tasse aus schadhaftem Email erkannte Sink auf dem Tisch wieder.
Er zerrte Archie in die Hütte und hievte ihn samt Büffelfell auf die Pritsche; dann setzte er das Ofenrohr zusammen und schob es durch das Loch im Dach. Weder im Haus noch im Anbau war ein Stück Feuerholz zu entdecken, doch Sink erinnerte sich an die Stelle, wo Kleinholz und Reisig gelegen hatten, und mit der Schaufel ohne Griff kratzte er genug schneeverkrustete Späne zusammen, um ein Feuer in Gang zu setzen. Während die Späne im Ofen zischten und dampften, nahm er Preacher den Sattel ab, löste die Säcke von den Beinen und rieb das Pferd ab. Er suchte den niedrigen Speicher des Anbaus nach Heu ab, aber ergebnislos.
»Verdammte Scheiße«, sagte er und riss ein paar Bretter aus dem Speicherboden, um sie in den Ofen zu werfen. Draußen grub er mit der kaputten Schaufel im Schnee und legte ein Stück Erde frei; dann nahm er sein Messer und sägte an dem sonnengedörrten Gras herum, bis er ein paar Handvoll geerntet hatte.
»Mehr ist nicht drin, Preacher«, sagte er und warf das Gras dem Pferd hin.
In der Hütte war es fast warm geworden. Aus seiner Satteltasche nahm Sink eine kleine Handvoll der Kaffeebohnen, die er immer dabeihatte. Die alte Kaffeemühle hing zwar an der Wand, aber eine Maus hatte ihr Nest darin gebaut, und es gab kein Werkzeug, mit dem man die Maschine auseinandernehmen konnte, um sie zu säubern. Da Sink keine Lust auf heiße Mäusescheiße hatte, zerdrückte er die Bohnen mit dem flachen Messer auf der Tischplatte. Mit dem Blick suchte er nach der Kaffeekanne, die zu der Hütte gehörte, konnte sie aber nicht entdecken. Neben der Pritsche stand ein leerer Petroleumkanister. Sink schnüffelte daran, konnte keine üblen Gerüche ausmachen, füllte Schnee hinein und stellte ihn auf den heißen Ofen. Während er draußen mit dem Kanister Schnee gesammelt hatte, war eine Ecke des Kanisters dröhnend gegen die Kaffeekanne getroffen, die aus unerfindlichen Gründen vor dem Haus lag. Sink füllte sie ebenfalls mit Schnee. Er hatte den Eindruck, dass der letzte Bewohner der Hütte ziemlich sauer gewesen sein musste und seiner Wut auf Karok Luft gemacht hatte, indem er mit Kaffeekannen um sich warf und das ganze Feuerholz aufbrauchte. Vielleicht ein Wing-Cross-Cowboy.
Der Kaffee war heiß und schwarz, doch als Sink Archie die Tasse brachte, trank der Junge einen Schluck, hustete und erbrach den Kaffee. Sink trank den restlichen Kaffee allein und aß einen Zwieback.
Es war eine schlimme Nacht. Die Pritsche war zu eng, und der Junge war so heiß und zappelig, dass Sink immer wieder einschlief und aufwachte, bis er schließlich aufstand und auf dem Stuhl schlief, den Kopf auf der Tischplatte. Im Verlauf dieser Nacht fielen ein gewaltiger Blizzard und tödliche Kälte von der kanadischen Prärie ein, und als das Wetter zwölf Tage später umschlug, waren die Herden dezimiert, Kühe dutzendweise an Stacheldrahtzäunen erstarrt, Gabelantilopen zu Statuen vereist, Züge drei Wochen lang durch meterhohe Schneewehen aufgehalten und zwei Kuhhüter in einer Hütte zusammen in einem Büffelfell erfroren.
 
Erst im Mai ritt Tom Ackler aus Texas zurück, wo er Herbst und Winter verbracht hatte. Trotz des kraftvollen Sonnenscheins lag der Schnee um seine Hütte noch hoch. An schneefreien Stellen sprießte helles Grün, durchsetzt von Distelnestern. Er fragte sich, ob Gold Dust den Winter überlebt hatte. Katzenspuren waren nicht zu sehen. Er zündete ein Feuer an, das er mit einer alten Zeitung entfachte, die auf dem Tisch lag; kurz bevor die Flammen aufloderten, sah er ein paar mit Bleistift gekritzelte Wörter und die Unterschrift »Arch McLaverty«.
»Zu spät. Ich reite morgen hin und seh nach, wie es ihnen geht.« Dann packte er seine Satteltaschen aus und zerrte seine Decken aus dem Sack, der von einem Deckenbalken hing, damit die Mäuse nicht herankamen.
Am Morgen stolzierte Gold Dust zwischen den Bäumen hervor; ihr Fell war dicht. Tom ließ sie herein und warf ihr ein leckeres Stück Speck hin.
»Dir scheint es ja prächtig zu gehen«, sagte er. Die Katze schnüffelte nur an dem Speck, ging zur Tür, und als er sie öffnete, lief sie in den Wald zurück. »Hat sich wahrscheinlich mit einem Luchs zusammengetan«, sagte er, »und jagt jetzt selber.« Gegen Mittag sattelte er sein Pferd und machte sich auf den Weg zur Hütte der McLavertys.
Aus dem Schornstein stieg kein Rauch. Vor dem Holzstoß lag ein Schneehaufen.Tom Ackler fiel auf, dass nur wenig Holz verbraucht worden war. Überall waren Wieselfährten zu sehen und führten bis unters Dach. Offensichtlich hatte das Wiesel den Weg ins Haus gefunden. »Sicher gemütlicher als ein Holzstoß.« Als er die Spuren näher betrachtete, sprang das Wiesel plötzlich aus einem Loch in der Dachrinne und sah ihn an. Es war weißer als der schmutzige Schnee, und sein Schwanz mit der schwarzen Spitze zuckte. Ein so großes und schönes Wiesel, mit glänzenden Augen und seidigem Fell, hatte er nie zuvor gesehen. Er dachte an seine Katze und sagte sich, wie gut doch wilde Tiere den Winter überstanden. Als er überlegte, ob Gold Dust mit einem Luchs Junge bekommen konnte, fiel ihm ein, dass Rose ein Kind erwartet hatte. »Sind wahrscheinlich zu der Station zurückgegangen.« Dennoch öffnete er die Tür, blickte in die Hütte und rief: »Rose? Archie?« Was er sah, ließ ihn im Galopp zur Postkutschenstation jagen.
 
Auf der Station herrschte regelrechter Aufruhr; alle waren auf der staubigen Straße vor dem Haus der Dorgans, wo Mrs. Dorgan weinte, Queeda mit offenem Mund dastand und Robert F. Dorgan seine Frau beschimpfte und beschuldigte, ihn mit einem menschlichen Wrack betrogen zu haben. Fast niemand beachtete Tom Ackler, als er auf seinem schweißnassen Pferd angeprescht kam und rief, Rose McLaverty sei von den Utes vergewaltigt und ermordet und verstümmelt worden, irgendwann im Winter, Genaueres wisse er nicht. Nur Mrs. Buck Roy, die Ehefrau des neuen Frachtkutschers, die sich vor Indianern fürchtete, hörte ihm zu. Die Dorgans brüllten sich weiter an.Was sie beschäftigte, war der Selbstmord des alten Telegrafisten, der an diesem Morgen Lauge getrunken hatte, nachdem er wochenlang an einem Brief von vierhundert Seiten an Robert Dorgan geschrieben hatte, in dem er seine hoffnungslose Verehrung für Mrs. Dorgan ausdrückte und dessen zerknitterte Blätter ausgiebige Anspielungen auf »elfenbeinerne Schenkel«, »Adams und Evas Tanz«, »ihren verborgenen Schlitz« und dergleichen mehr enthielten. Was Tom Ackler für einen alten Sattel und einen Stapel Getreidesäcke auf der Veranda gehalten hatte, war der Tote.
»Kein Rauch ohne Feuer!«, belferte Robert F. Dorgan. »Das ist der Dank dafür, dass ich dich aus diesem Puff in Omaha geholt und zu einer anständigen Frau gemacht und dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen habe, du verkommenes Miststück! Wie oft bist du zu ihm rübergeschlichen? Wie oft hast du dir seinen verpickelten alten Schwanz reinstecken lassen?«
»Niemals! Nicht im Traum! Dieses dreckige alte Scheusal!«, schluchzte Mrs. Dorgan, außer sich vor Zorn, weil dieser niederträchtige alte Kerl sie zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit auserkoren und die Dreistigkeit besessen hatte, seine lüsternen Phantasien als wahre Begebenheiten zu Papier zu bringen, angereichert mit der detaillierten Schilderung ihres rosa durchschossenen Hemdchens und des roten Mals an ihrer linken Hinterbacke, bevor er zuerst das ganze Telegrafenbüro mit schwarzem Blut vollgekotzt hatte und danach die Veranda der Dorgans, wohin er sich geschleppt hatte, um zu sterben, das vierhundertseitige Bündel Lügen in sein Hemd gestopft. Seit Jahren hatte sie sich bemüht, zu einer ehrbaren Vertreterin des weiblichen Geschlechts aufzusteigen, denn sie war Robert F. Dorgan dankbar, dass er sie von der wirtschaftlichen Ausbeutung ihrer Sexualität erlöst hatte, und sie war entschlossen, diese Vergangenheit zu vergessen.Wenn Dorgan sie jetzt fortjagte, würde sie wieder auf den Strich gehen müssen, denn das war das einzige Gewerbe, das sie kannte. Und womöglich auch Queeda, die sie zur Dame erzogen hatte! Ihr Selbstwertgefühl war schwer angeschlagen, doch dann flammte es auf wie mit Kerosin getränkt und entzündet.
»Du elende alte Schnapsnase«, sagte sie heiser, »wie kommst du dazu, dir einzubilden, du hättest ein Recht auf eine schöne Frau und eine schöne Tochter? Wie kommst du auf die Idee, dass wir bei dir bleiben würden? Schau dich doch an - du willst Inspektor werden, aber wenn Queeda und ich nicht wären, dann würden die Männer mit politischem Einfluss einen großen Bogen um dich machen und du könntest sehen, wo du bleibst.«
Dorgan wusste, wie recht sie hatte, und kaute wütend auf seinem ungepflegten Schnurrbart herum. Er drehte sich um, stapfte theatralisch in sein Haus und schlug die Tür mit einem so lauten Knall zu, dass die Mäuse im Keller tot umfielen. Mrs. Dorgan hatte den Sieg davongetragen und folgte ihrem Mann ins Haus, um sich mit ihm zu versöhnen.
Tom Ackler sah Queeda an, die mit der Spitze ihres Glacélederstiefels einen Halbkreis in den Staub malte. Aus dem Haus hörten sie das Klappern einer Ofentür - Mrs. Dorgan machte Feuer, um Salon und Schlafzimmer zu wärmen.
»Rose McLaverty …«, sagte er, aber Queeda zuckte nur die Achseln. Ein Windstoß wirbelte den Staub zu einer Miniaturwindhose auf, die es in Form und Beschaffenheit mit jedem Tornado aus finsteren Wolken aufnehmen konnte und sich Strohhalme, Pferdehaare, winzige Glimmerpartikel und eine Feder einverleibte. Dann fiel der Staubsturm zusammen und erstarb. Queeda wandte sich ab und ging zur schattigen Rückseite des Hauses der Dorgans. Tom Ackler stand mit den Zügeln in der Hand da, und dann stieg er wieder auf sein Pferd und ritt zurück, wobei sein Reittier eine Gangart wählte, die man bei einem Menschen als Schlendern bezeichnet hätte.
Auf dem Rückweg dachte er an den Whiskey in seinem Schrank und dann an Rose, und er beschloss, sich abends zu betrinken und sie am nächsten Tag zu begraben. Mehr konnte er nicht für sie tun. Er dachte auch, dass sie vielleicht nicht von Utes ermordet worden war, sondern von ihrem jungen Ehemann in einem Anfall besinnungsloser Wut und dass Archie danach in irgendeine ferne Hafenstadt geflohen war. Er erinnerte sich an die verbrannte Zeitung mit Archies Botschaft, die in Flammen aufgegangen war, bevor er sie entziffern konnte, und überlegte sich, dass Archie wohl kaum bei seinem Nachbarn vorbeischauen würde, um eine signierte Botschaft zu hinterlassen, nachdem er seine junge Frau im Affekt erschlagen hatte. Es sei denn, es handelte sich um ein Bekenntnis. Man würde nie erfahren können, was vorgefallen war. Je länger er an Archie dachte, desto deutlicher erinnerte er sich an die klare, harte Stimme und die Lieder. Er dachte an Gold Dusts ungezähmte Vitalität und dichtes Fell, an das geschmeidige Wiesel vor der Hütte der McLavertys. Die einen lebten und die anderen starben, so war das eben.
Er begrub Rose vor der Hütte; als Grabstein richtete er den großen Sandstein auf, den Archie als Schwelle herbeigeschleppt hatte. Er wollte ihren Namen einmeißeln, schob es jedoch so lange hinaus, bis der erste Schnee fiel. Dann war es zu spät, denn da musste er sich nach Taos aufmachen.
Als er im Frühjahr darauf an der Hütte der McLavertys vorbeiritt, sah er, dass der Frost den Stein umgekippt hatte und dass der Firstbalken des Dachs unter den Schneemassen gebrochen war. Er ritt weiter, sang: »… wenn das Gras grünt und die wilde Rose blüht«, eines von Archies Liedern, und er fragte sich, ob Gold Dust auch diesen Winter überstanden hatte.