Strömt herbei! Heut ist Feiertag!
Die Arbeit ruht, die Müh' und Plag'.
Vergessen ist der Rote Stern.
Strömt herbei von nah und fern!
Seht ihr die bunten Buden steh'n?
Seht ihr die bunten Flaggen weh'n?
Strömt herbei zu Speis und Trank,
Zu Spiel und Spaß und frohem Gesang!
8
»Was starrst du dauernd so ängstlich zur Burg?« fragte Menolly am nächsten Morgen Piemur, als sie mit ihm und Camo die Echsen fütterte. Der kleine Lehrling reckte immer wieder den Hals, um über die Dächer der Harfnerhalle hinweg zu den Feuerhöhen der Burg zu schauen.
»Wieso ängstlich? Ich möchte nur wissen, ob sie die Festflagge gehißt haben.«
»Festflagge?« Menolly fiel ein, daß auch Sebell etwas von einem Feiertag erwähnt hatte.
»Klar. Es ist Frühling, die Sonne scheint, und keiner rechnet mit einem Sporeneinfall. Der ideale Tag für ein Fest!« Piemur schielte sie von der Seite her an und schüttelte dann ungläubig den Kopf. »Sag bloß, daß ihr daheim nie Feste hattet?«
»Die Halbkreis-Bucht liegt nun mal sehr abseits«, entgegnete Menolly fast ein wenig gekränkt.
»Und wenn da Fäden fallen …«
»Stimmt. Das hatte ich total vergessen. Kein Wunder, daß du in Musik einsame Spitze bist.« Er schüttelte den Kopf, als sei das kein echter Vorteil. »Massig Zeit zum Üben. Puh!« Piemur überlegte. »Aber vor den Fäden – da muß es doch selbst bei euch Feste gegeben haben!«
»Sicher. Handelskarawanen kamen durch das Sumpfland, drei- oder viermal im Laufe eines Planetenumlaufs.«
Piemur blieb skeptisch, und Menolly merkte, daß sie kaum noch eine Erinnerung an jene Zeit besaß. Die Sporenregen hatten begonnen, als sie knapp acht Planetenumläufe zählte.
»Wenn bei uns an einem Ruhetag die Sonne scheint und kein Fädeneinfall zu erwarten ist, halten wir ein Fest ab«, erklärte Piemur eifrig. »Na ja, zu Fort gehören mehrere kleine Zünfte und das Stammhaus der Harfner-Gilde. Da ist immer was los.« Er hielt den Kopf schräg. »Du hast nicht zufällig ein paar Marken?«
»Marken?«
Piemur schien entsetzt über soviel Unwissenheit.
»Marken! Die kriegt man, wenn man auf einem Fest etwas verkauft.« Er griff in seine Tasche und zog vier kleine weiße Scheibchen aus poliertem Holz hervor. Auf einer Seite war die Zahl 32 eingebrannt, auf der anderen ein Emblem der Schmiedezunft. »Nur Zweiunddreißigstel, aber vier davon ergeben immerhin ein Achtel – und das von der Schmiedezunft!«
Menolly hatte noch nie zuvor richtige Marken gesehen. In der Halbkreis-Bucht hatte einzig und allein der See-Baron die Handelschaften abgewickelt. Sie war erstaunt, daß ein Halbwüchsiger wie Piemur eigene Tauschmarken besaß, und sagte das auch. »Ach, weißt du, ich habe gesungen, noch ehe ich als Lehrling hierherkam. Die eine oder andere Marke fiel immer für mich ab. Meine Pflegemutter hob sie auf und gab sie mir mit.« Er zog die Nase kraus. »Aber hier muß unsereiner ja umsonst singen. Und Meister Jerint weigert sich strikt, meine Flöte als Pfand zu nehmen. Wenn mir kein Trick einfällt, bin ich bald pleite … He, Menolly, schau!« Piemur packte sie am Arm. »Da geht die Flagge hoch! Es gibt ein Fest! Es gibt ein Fest!« Er schoß wie der Blitz über den Hof zum Schlafsaal der Lehrlinge.
Auf den Feuerhöhen erkannte Menolly nun das leuchtendgelbe Banner der Burg Fort und darunter einen rot-schwarz gestreiften Wimpel, der allem Anschein nach das Fest ankündigte. Sie hörte Piemurs Geschrei im Schlafsaal und den Protest seiner Kameraden, die er unsanft weckte.
In diesem Moment kamen die Mägde, angeführt von Abuna und Silvina, in die Küche. Auch sie bemerkten die Flagge und den Wimpel und begannen fröhlich draufloszuschwatzen.
Menolly schickte ihren Schwarm zum Badeteich und bot Silvina an, dem Harfner und seiner kleinen Bronze-Echse Zair das Frühstück zu bringen.
»Siehst du, Abuna? Wenn Menolly uns hilft, bemerken wir gar nichts von unserem Echsen-Zuwachs.« Die Wirtschafterin lächelte Menolly freundlich an und rief dann der brummigen Abuna nach: »Außerdem weißt du genau, wie selten die beiden Männer daheim sind.«
Menolly wollte Silvina wegen der Mädchen ausfragen, aber die Wirtschafterin wich ihren Blicken aus. In diesem Moment kam Sebell in die Küche gepoltert und rief verzweifelt nach Menolly. Kimi umklammerte seinen Arm und kreischte vor Hunger.
»Da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht. Was ist denn los mit der Kleinen?« Sebell war außer sich.
»Sie hat nur Hunger.«
»Nur Hunger?«
»Los, komm mit!« Menolly nahm das Tablett, das sie für den Meisterharfner hergerichtet hatte, und zerrte Sebell aus der Küche, fort von Abunas finsteren Blicken in den leeren Speisesaal. »So, jetzt füttere sie!«
»Ich kann nicht! Meine Hose!« Jetzt erst merkte Menolly, daß er mit der freien Hand krampfhaft seine Hose festhielt, die ihm von den Hüften zu rutschen drohte. »Ich hatte keine Zeit mehr, mich richtig anzuziehen.« Lachend löste Menolly ihren Gürtel und gab ihn Sebell. Dann holte sie die kleine Echse von seinem zerkratzten Arm und schob ihr ein paar Fleischbrocken zu.
»Danke. Vielen Dank.« Mit einem Seufzer ließ sich Sebell auf einen Stuhl plumpsen. »Und du mußtest neun dieser gierigen Biester füttern?« Er betrachtete sie mit neuem Respekt. »Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast!«
Menolly drückte ihm einen Becher Klah in die Hand und fütterte die Echse weiter. Der Kleinen war es egal, wer ihr die Fleischbrocken zuschob, und Sebell nahm einen tiefen Zug des heißen Getränks.
»Menolly!« Das war die Stimme des Meisterharfners am oberen Treppenabsatz.
»Ja?« Menolly rannte in den Korridor.
»Der kleine Kerl führt sich auf wie ein Wilder«, rief der Harfner laut. »Ist er verletzt oder nur hungrig? Seine Augen glühen richtig!«
»Hier.« Silvina erschien mit einem zweiten Tablett in der Küchentür. »Wir dachten uns schon, daß Menolly Unterstützung brauchen würde, nachdem wir Sebells Geschrei hörten.«
Menolly lachte. Sie nahm Silvina das Tablett ab und brachte es im Laufschritt nach oben.
Der Harfner hatte sich wenigstens angezogen und auch die Zeit gefunden, ein Tuch um seinen Arm zu wickeln, aber er wirkte genauso aufgelöst wie Sebell.
»Bist du ganz sicher, daß sie nur Hunger hat?« fragte Robinton. Er beruhigte sich erst, als die Bronze-Echse gierig nach den Fleischbrocken zu schnappen begann.
Der Meisterharfner winkte Menolly in sein Arbeitszimmer, aber die Feuerechse glaubte allem Anschein nach, man wolle ihr das Futter vorenthalten, und stürzte sich mit lautem Kreischen auf das Tablett.
»Ist ja schon gut, du gieriges Biest«, versuchte der Meisterharfner sie zu besänftigen. »Psst, halt dich still! Heute ist Ruhetag, und die Leute wollen ausschlafen.«
»Zu spät«, brummte Domick mißgelaunt. Er stand in der Tür seines Zimmers, in seine Felldecke gewickelt. »Außerdem brüllen Sie selbst wie ein verwundeter Drache!«
»Na, stehen Sie ruhig auf, die Festflagge weht!« meinte Robinton versöhnlich und schob Zair den nächsten Fleischbrocken zu.
»Ein Fest? Das hat mir gerade noch gefehlt!« Damit knallte Domick seine Tür zu.
»Ich hoffe sehr, daß wir in Zukunft von diesem Lärm verschont bleiben«, meinte Meister Morshal spitz, als der Harfner und Menolly an seinem Zimmer vorbeikamen. Er trug einen Morgenmantel, aber ganz offensichtlich hatte ihn der Tumult im Korridor geweckt. Sein mürrischer Blick war auf Menolly gerichtet, als trüge sie allein die Schuld an dem Lärm.
»Das hoffe ich auch«, entgegnete Robinton gut gelaunt. »Aber ich muß mich erst mit den Gewohnheiten des Kleinen vertraut machen. Geben Sie uns bitte noch ein paar Tage Gnadenfrist, Morshal.«
Morshal stotterte etwas, warf Menolly einen grimmigen, anklagenden Blick zu und schloß dann seine Tür betont leise. Auch andere Türen entlang des Korridors klickten. Menolly war froh, daß sie sich in Begleitung des Harfners befand.
»Laß dich nicht von dem alten Griesgram Morshal einschüchtern, Mädchen«, sagte Robinton, als sie sein Arbeitszimmer betraten. Sie stellte das Tablett auf dem Mittelbrett des Sandtisches ab.
»Zum Glück hast du keinen Unterricht bei ihm«, fuhr der Harfner fort, während er sich in einen Sessel fallen ließ und Zair fütterte.
»Nein?«
Robinton lachte über ihren erleichterten Tonfall, und die kleine Echse kreischte empört, weil er sich einen Moment lang von ihr abwandte.
»Meister Morshal unterrichtet nur die Anfänger.« Der Harfner seufzte. »Er besitzt viel Geschick darin, Grundlagen in widerspenstige Lehrlingsköpfe zu pauken. Aber Petiron hat dir bereits mehr beigebracht, als Morshal weiß. Froh darüber, Menolly?«
»Sehr. Meister Morshal mag mich nicht besonders.«
»Meister Morshal hat es schon immer für Zeitverschwendung gehalten, Mädchen zu unterrichten. Das bringt nicht den geringsten Nutzen.«
Menolly schüttelte verwirrt den Kopf. Solche Ansichten in der Harfner-Gilde? Und sie hatte geglaubt, nur ihr Vater sei rückständig. Aber dann merkte sie, daß Robinton nur Meister Morshal nachgemacht hatte, und sie lächelte. Eine warme Hand faßte sie am Kinn und zwang sie, nach oben zu schauen. Rund um die gütigen Augen des Meisterharfners waren tiefe Falten eingegraben.
»Morshals Haß auf das weibliche Geschlecht ist hier in der Halle ständiger Anlaß zu Witzen, Menolly. Sei höflich zu ihm, wie es seinem Rang und Alter gebührt, aber achte nicht auf seine Vorurteile. Wie gesagt, du mußt nicht mit ihm zusammenarbeiten. Nicht daß der Unterricht bei Domick leichter wäre. Er verlangt eine Menge, aber er kann da aufbauen, wo Petiron deine Ausbildung in Komposition abgebrochen hat. Später arbeitest du dann mit mir.« Er lächelte bedauernd. »Ich hätte dich gern sofort in meine Obhut genommen, aber mir mangelt es im Moment einfach an Zeit. Immerhin, Domick versteht mehr als jeder andere von den klassischen Musikformen, und er beansprucht ohnehin jeden Musiker, der seine schwierigen Kompositionen spielen kann. Und versäume keine Stunde bei Meister Shonagar, denn du solltest in der Lage sein, deine eigenen Balladen vorzutragen. Laß dich allerdings nicht von Brudegan wegen des Echsen-Chores drängen. Das hat Zeit, bis du dich besser in unsere Gilde eingelebt hast.
Ich möchte auch gern, daß du dich auf deine Instrumente konzentrierst – so weit und so rasch es deine Hand gestattet. Wie geht es der Narbe denn?« Er drehte ihre linke Handfläche nach oben. »Hmm, den Rissen nach zu schließen, hast du zuviel geübt. Tut das weh? Ich will nicht, daß du dir aus Übereifer Schaden zufügst, Menolly, verstehst du?«
Menolly schluckte und lächelte zögernd.
»Man hat es nie leicht, wenn man echtes Talent besitzt, Kind. So etwas ist oft mit Verzicht auf die Annehmlichkeiten des Daseins verbunden.«
Menolly war verblüfft über die Trauer, die tiefe Melancholie, die sich in seinen Zügen spiegelte. Robinton fuhr fort, und es klang, als spräche er zu sich selbst: »Wenn man nicht vorzeitig sein Ziel aufsteckt, führt man immer nur ein halbes Leben.« Doch dann warf er den Kopf zurück und lachte. »Ach was, heute ist ein Festtag, und wir wollen nicht in düstere Gedanken verfallen. Hier …« Er zog ein Schubladenfach auf und drückte ihr etwas in die Hand. »Genieß den Rummel! Ich nehme an, daß es in der Burg am Meer selten Zerstreuung gab. Kauf dir was Hübsches an den Ständen … einen neuen Gürtel vielleicht… und Pasteten. Piemur, das kleine Schleckermaul, führt dich sicher an die richtigen Buden.«
Meister Robinton drohte ihr scherzhaft mit dem Finger.
»Aber morgen geht es wieder an die Arbeit. Sebell sagt, daß du sauber kopierst. Bist du gestern abend noch dazugekommen, Brekkes Lied auszufeilen? Im vierten Satz klingt die Melodie ein wenig holprig, findest du nicht?« Er summte ihr die Zeile vor. »Nimm vielleicht eine der traditionellen Liedformen. Das ist zugleich eine gute Übung in Musiktheorie. Versteh mich recht, ich finde, daß deine Stärke im lockeren, weniger formellen Stil liegt. Aber es gibt Puristen in unserer Gilde, die wir besänftigen müssen – zumindest, solange du noch Lehrling bist.«
Zair hatte es sich in der Armbeuge des Meisters bequem gemacht und war eingeschlafen.
»Kann der kleine Wicht eigentlich nur fressen und schlafen?« Die Stimme des Harfners klang ein wenig enttäuscht.
»Die erste Siebenspanne und vielleicht noch ein paar Tage länger«, erklärte Menolly, die immer noch über seine seltsame Philosophie nachdachte. »Danach entwickelt er rasch eine eigene Persönlichkeit.«
»Wie schön.« Der Harfner seufzte erleichtert. »Ich hatte schon befürchtet, der lange Flug im Dazwischen könnte ihm geschadet haben.« Er lächelte sie strahlend an. »Siehst du, wenn es um die Echsen geht, bin ich dein Lehrling. So, und jetzt entlasse ich dich für das Fest. Könntest du so lieb sein und im Vorbeigehen das Tablett in die Küche bringen?«
Menolly erfüllte seine Bitte, und Abuna meinte weniger mürrisch als sonst, daß sie rasch frühstücken solle, weil im Speisesaal bald die Tische abgeräumt würden.
Während Menolly zum Speisesaal ging, warf sie einen Blick auf die Marke, die der Harfner ihr zugesteckt hatte. Anfangs dachte sie, das schwache Licht im Korridor habe sie getäuscht, aber im Eingang konnte sie klar erkennen, daß der Strich unter der Zwei stand; bei einer halben Marke wäre er darüber gewesen. Sie umklammerte das kostbare Plättchen. Zwei ganze Marken! Damit konnte sie die Welt kaufen!
Halt, Meister Robinton hatte gesagt, sie solle sich nach einem hübschen Gürtel umsehen. Sicher war ihm nicht entgangen, daß sie im Moment keinen trug. Sie hatte ihn Sebell geliehen, aber es war ohnehin ein schäbiges, ausgefranstes Stück gewesen. Einen neuen Gürtel hatte sie noch nie besessen – einen, den sie noch dazu selbst aussuchen durfte! Wie lieb von Meister Robinton! Sie warf einen Blick über die Tischreihen hinweg und suchte nach Piemurs Lockenschopf. Er war wie gewohnt in ein Gespräch mit seinen Nachbarn vertieft, und da die Jungen die Köpfe zusammensteckten, heckten sie sicher einen dummen Streich aus. Am Rundtisch saßen keine Meister, und die wenigen Gesellen, die zum Frühstück erschienen waren, drängten sich um Kimi, die friedlich auf Sebells Arm schlief.
»Sie könnte keine hergeben, selbst wenn sie es wollte«, sagte Piemur gerade laut, als Menolly sich seinem Tisch näherte. Jemand gab ihm wohl einen Rippenstoß, denn er drehte sich um und fragte keineswegs verlegen: »Oder könntest du?«
»Was?«
»Eine deiner Echsen herschenken.«
»Nein.«
»Bitte – da hörst du es!«
Piemur deutete mit spitzem Zeigefinger auf Ranly. »Also hätte Sebell dem Meisterharfner auch nicht seine Königin geben können. Was sagst du, Menolly?«
»Aber Robinton gebührt nun mal die Königin«, widersprach Ranly streitsüchtig.
»Sebell bot sie dem Meisterharfner an, sobald er merkte, was sich ereignet hatte«, berichtete Menolly. »Aber es war zu spät. Wenn die Bindung zwischen Mensch und Tier einmal besteht, kann man sie nicht mehr lösen.«
»Und wie kam dann ausgerechnet Sebell an das Ei der Königin?« Nun schaute Ranly sie argwöhnisch an.
»Reiner Zufall«, entgegnete Menolly und schluckte ihren Zorn über die versteckte Anspielung herunter. »Erstens kann man einfach nicht sicher vorherbestimmen, welches das Königinnen-Ei ist. Zweitens geht die Sache nur Sebell und Meister Robinton etwas an.« Sie konnte den beiden Männern einen Gefallen erweisen, wenn sie solche Gerüchte gleich im Keim erstickte. »Drittens habe ich zwar die beiden größten Eier des Geleges für Meister Robinton ausgesucht …« – die Jungen nickten anerkennend –, »aber es hätten ebensogut zwei Bronze-Echsen schlüpfen können.« Dann lachte sie. »Alles geschah so schnell, daß wir gar nicht darauf achteten, wer welches Gefäß nahm. Meister Robinton und Sebell hatten genug zu tun, um die Eier vor dem Herunterstürzen zu bewahren. Die kleine Bronze-Echse schlüpfte zuerst und kugelte geradewegs in Meister Robintons Arme.«
Die Jungen hörten mit angehaltenem Atem zu. »Und dann hatte Sebell plötzlich eine Königin in der Hand. Er versuchte sie dem Harfner zu geben, aber die Bindung bestand bereits. So etwas läßt sich nicht mehr ändern. Und ich will von euch jetzt keinen Ton mehr hören, wem was gebührt hätte! Es gibt genug dummen Klatsch in der Harfnerhalle.« Sie dachte immer noch darüber nach, was diese Mädchen wohl dem Burgherren zugetragen hatten.
»Mir wollten sie es ja nicht glauben«, meinte Piemur mit beleidigter Unschuldsmiene. »Und ich habe mich halb heiser geredet …« Er faßte sich dramatisch an den Hals.
»Wie schrecklich für unser Goldkehlchen!« spottete Ranly.
Piemur schob Menolly einen Becher Klah hin und drängte sie, rasch zu trinken. Dann wandte er sich wieder seinen Freunden zu.
»So, und jetzt überlegen wir noch einmal, wie wir am besten zu mehr Marken kommen. Es ist erst das zweite Fest dieses Planetenumlaufs, also schätze ich, daß sie einen älteren Gesellen von der Schmiedezunft herschicken werden, der ein Auge auf den Handel der Jüngeren werfen soll. Dieser Mann ist vermutlich Pergamol, ein Freund meines Vaters; und wenn es Pergamol ist, dann garantiere ich, daß er Spitzenpreise zahlt. Und …« Er hielt die Hand hoch, als Ranly ihn unterbrechen wollte. »Und wenn es nicht Pergamol ist, dann bestimmt einer, der ihn kennt.«
»Und wenn es ein junger Kerl ist, der sich nicht von dir einwickeln läßt?« fragte Ranly bissig.
»Dann drück' ich auf die Tränendrüse.« Piemur zuckte die Achseln.
»Wo ich doch noch so klein bin und immer hintenan stehen muß, weil mir die Großen alle Marken wegschnappen …«
Dicke Tränen zitterten in seinen Augenwinkeln, und in seinem Gesicht lag vertrauensselige Unschuld.
»Darf ich die taktischen Gespräche einen Moment unterbrechen?« Schuldbewußt fuhren die Jungen herum. Sebell stand am Tisch, die Feuerechse im Arm. »Ich habe noch ein paar Fragen an Menolly …«
Sie erhob sich und folgte dem Gesellen ans Fenster. Er bedankte sich noch einmal für ihre Hilfe am Morgen und reichte ihr den zusammengerollten Gürtel.
»Meinst du, daß ich Kimi dauernd bei mir haben kann?« fragte er, während er leicht über die gefalteten Schwingen des winzigen Geschöpfs strich. Selbst im Schlaf reagierte die Echse mit einem wohligen Seufzer.
»Je öfter sie bei dir ist, desto enger wird die Bindung. Und wenn sie nicht bei dir ist, sollte sie zumindest in der Nähe sein.«
»Glaubst du, sie kann schon auf meiner Schulter sitzen wie Prinzessin? Ich brauche nämlich zwischendurch beide Hände.«
»Versuch es, wenn sie aufwacht.« Menolly lachte. »Aber mach dich darauf gefaßt, daß sie dir mit ihrem Schwanz hin und wieder die Luft abschnürt.«
»Wie oft frißt sie?«
»Du merkst es bestimmt, wenn sie Hunger kriegt.« Menolly lächelte über Sebells entsetzte Miene. Sicher war ihm die Szene vom frühen Morgen eingefallen. »Wenigstens mußt du kein Futter für sie suchen. Es reicht, wenn du ein paar Fleischbrote in deiner Gürteltasche bereithältst. Außerdem bin ich sicher, daß Camo sogar den Festtagsbraten anschneidet, wenn es darum geht, eine Echse zu versorgen.« Nun mußte auch Sebell lachen. »Eines noch – vergiß nicht, täglich ihre Haut zu ölen.«
»Buh – mit dem gleichen duftenden Zeug, das du für deine Echsen benutzt?«
Menolly unterdrückte ein Kichern. »Meister Oldive hatte nichts anderes zur Hand. Im Normalfall schmieren sich die feinen Burgdamen dieses Öl ins Gesicht …«
»Nein!«
»Aber ich bin sicher, er braut dir etwas mit einer herbmännlichen Note zusammen«, neckte ihn Menolly.
Sebell drohte ihr. »Kein schlechter Gedanke! Ich werde ihm den Vorschlag unterbreiten.« Damit verließ er den Tisch.
Piemur stieß sie an. »Paß auf, Menolly«, sagte er. »Ich muß jetzt noch einiges organisieren, aber nach dem Mittagessen machen wir beide einen Bummel über den Festplatz, ja? Ich zeige dir alle Sehenswürdigkeiten.«
Sie nickte, und er schoß hinter seinen Freunden her aus dem Speisesaal.
Einige Gesellen saßen noch am ovalen Tisch und tranken Klah, aber die meisten Lehrlinge hatten sich zurückgezogen. Am Rundtisch frühstückte einsam Meister Morshal und warf ihr mißgelaunte Blicke zu. Menolly verließ den Speisesaal und ging auf ihr Zimmer.
Ihre Feuerechsen lagen zusammengerollt auf dem Fensterbrett und hatten die Augen geschlossen. Prinzessin schaute kurz auf, als sie hereinkam, zirpte leise und schlief gleich wieder ein.
Von ihrem Aussichtspunkt im zweiten Stock konnte Menolly den Platz jenseits der Harfnerhalle und die breite Straße zur Burg überblicken. Dort herrschte bereits reges Treiben: Lasttiere zogen den Fluß entlang, im lockeren Trab, als spürten sie ihre Packen nicht. In einem großen Karree wurden Buden und Stände errichtet. Rund um die Tanzfläche hatte man bereits Tische und Bänke aufgestellt. Denn bei so vielen Harfnern gab es natürlich Musik genug. Menolly überlegte, ob man hier wohl andere Tänze kannte als in der Burg am Meer. Oh, sie freute sich auf das Fest! Es war ihr erstes seit vielen Planetenumläufen.
Menolly sah, wie die Mädchen aus der Pension kamen, vornehm herausgeputzt, mit zarten Schleiern, die ihre Frisuren vor der leichten Brise schützen sollten. Ah, wie gern sie ihnen die Haare einzeln herausgerissen hätte! Menolly verdrängte die Gedanken, selbst ein wenig erschrocken über ihren Haß. Schließlich hatten die Mädchen ihr Ziel nicht erreicht, Baron Groghe gegen sie aufzuhetzen. Weshalb machte sie sich also Sorgen? Es gab bessere Dinge, mit denen sie sich beschäftigen konnte. Sie war keine Gastschülerin, sondern Lehrling. Sogar Lehrling des Meisterharfners!
Und sie hatte die Absicht, das zu bleiben. Mehr denn je, seit die Mädchen versuchten, sie von hier zu verdrängen. Sie wollte bleiben, ihnen und ihren Eltern zum Trotz. Sie wollte sich einen festen Platz hier erkämpfen, denn sie gehörte in die Harfner-Gilde, wie Meister Robinton immer wieder betonte. Hier konnte sie ihre Musikkenntnisse vervollständigen. Hier mußte sie nicht nur einspringen, wenn jemand ausfiel, sondern hatte ihren ganz eigenen Aufgabenbereich. Und das ließ sie sich nicht von einer albernen Wherhenne nehmen, die mit irgendeinem reichen oder berühmten Großvater protzte wie etwa diese Pona.
Menolly fragte sich, was Silvina wohl unternommen hatte, um die Gerüchte einzudämmen. Doch dann verscheuchte sie diese Gedanken. War das Gerede wirklich so wichtig? Vor allem, da Baron Groghe ihr doch wohlgesonnen schien und sie sogar gebeten hatte, seine Königin Merga abzurichten!
Menolly lachte leise. Wenn die Tratschtanten das erst erfuhren! Sie, die einzige Feuerechsen-Expertin von ganz Pern! In der Harfnerhalle warteten mehr Aufgaben auf sie, als sie gedacht hatte.
Eigentlich schade, die Sache mit den Mädchen. Besonders leid tat ihr, daß Audiva bei den anderen in der Pension wohnte. Mit ihr hätte sie gern näheren Kontakt bekommen. Eine Freundin in der Harfnerhalle – nun ja, sie hatte ja noch Piemur und Sebell.
Menolly trat vom Fenster weg, stimmte ihre Gitarre und begann Brekkes Lied auszuarbeiten. Sie spielte leise, damit sie den Meisterharfner nicht störte, falls er in seinen Räumen war.
Glaubte er ehrlich, daß man so eine kleine Melodie, mehr zum Zeitvertreib ersonnen, niederschreiben sollte?
Ihre Finger glitten über die Saiten; sie spielte, bis sie den Mittagsgong hörte. Dann erst kam ihr zu Bewußtsein, daß die Narbe wieder schmerzte und ihre Nackenmuskeln ganz steif waren.
Menolly nahm ein Bad und zog die neuen Kleider an. Sie waren zwar nicht so prunkvoll wie die der anderen Mädchen, aber das Lehrlingsabzeichen an der ärmellosen Wherlederweste bedeutete ihr mehr als Samt und Seide und feine Schals. Als sie die Pantoffeln anzog, sah sie, daß die Sohlen von dem harten Steinboden fast durchgelaufen waren. Nun, wenigstens wußte sie, daß sie jederzeit ohne Scheu zu Silvina gehen und ihr das Problem schildern konnte. Und vielleicht waren ihre Füße bald so verheilt, daß ihr wieder richtige, feste Stiefel paßten.