Laßt mich nicht allein!
Ein Schrei in der Nacht.
Herzzerreißende Angst
Ihr Drachen, erwacht!
7
Die Unruhe der Feuerechsen weckte Menolly aus einem tiefen Schlaf. Sie ärgerte sich fast, daß die Kleinen immer darauf beharrten, bei ihr zu schlafen; es war ein anstrengender Tag für sie gewesen, und sie hatte lange keine Ruhe gefunden. Prinzeßchens Schweif peitschte nun heftig gegen ihr Ohr. Sie stieß die kleine Königin an, in der Hoffnung, sie aus irgendwelchen schlimmen Träumen wachzurütteln. Aber Prinzessin schlief gar nicht: sie starrte in die Nacht, und ihre Augen kreisten vor Angst. Auch die anderen Echsen schienen in das Dunkel zu horchen.
Als Prinzessin sah, daß Menolly sich aufsetzte, stieß sie ein ängstliches, beunruhigtes Klagen aus. Rocky und Taucher schmiegten sich an ihre Beine. Sie schienen sich in heller Aufregung zu befinden.
Menolly warf einen Blick zu den offenen Fenstern. Sie konnte gerade noch die Feuerhöhen von Fort erkennen, schwarz gegen den dunklen Himmel; es dauerte eine Weile, bis sie auch die verschwommenen Umrisse des Wach-Drachen ausmachte. Er rührte sich nicht. Also schien er die Furcht der Feuerechsen nicht zu teilen.
»Was gibt es denn, Prinzessin?«
Das Klagen der kleinen Königin wurde eindringlicher. Rocky fiel ein, dann Taucher. Die beiden Tantchen drückten sich in Menollys linke Armbeuge. Faulpelz, Spiegel und Onkelchen hatten Zuflucht in einer Mulde der Felldecke gefunden, während Brownie dicht an ihre Füße rutschte. Sie hatten Angst.
»Was ist nur in euch gefahren?« Menolly konnte sich um nichts in der Welt vorstellen, welche Gefahr ihren Echsen hier in der Harfnerhalle drohte.
»Jetzt haltet mal einen Moment lang still und laßt mich horchen!« Prinzessin und Rocky zirpten kleinlaut, aber sie folgten. Menolly lauschte angestrengt in die Nacht, doch die einzigen Laute waren die Stimmen der Harfner drunten im Saal, ab und zu unterbrochen von Gelächter. Es war also nicht so spät, wie sie anfangs geglaubt hatte, wenn die Meister und älteren Gesellen noch unten saßen und plauderten.
Sanft schob sie die Echsen zur Seite, kroch aus den Decken und trat ans Fenster. Aus einigen der Fenstervierecke fiel noch Licht in den Hof, vom Großen Saal und aus einem Raum darüber – Robintons Arbeitszimmer, wenn sie sich nicht täuschte.
Prinzessin stieß einen besorgten Ruf aus und flog Menolly auf die Schulter. Sie wickelte den Schwanz ganz fest um den Hals des Mädchens und vergrub sich zitternd in ihrem Haar. Auch die anderen begannen jetzt angstvoll zu schreien. Menolly hastete zu ihrem Bett. Ausgerechnet jetzt, da sie in der Harfnerhalle einquartiert waren, machten sie einen solchen Krach!
Sie versuchte die Kleinen mit einem leisen Wiegenlied zu beruhigen, aber Prinzessins Stimme erhob sich streitsüchtig über die ihre. So blieb ihr keine andere Wahl, als die ganze Schar eng an sich zu drücken und zu streicheln.
Und plötzlich überkam auch sie ein Gefühl der drohenden Gefahr. Sie kämpfte gegen die Panik an, die in ihr aufstieg. »Benehmt euch doch nicht so albern! Was kann uns hier in der Harfnerhalle geschehen?«
Prinzessin und Rocky stupsten sie drängend an und jammerten zum Erbarmen. Durch ihre Nähe und ihre Gedanken gewann sie den deutlichen Eindruck, daß sie vor einer Gefahr zitterten, die weit jenseits der Gildehalle drohte.
»Aber dann kann sie euch doch nichts anhaben!«
Unvermittelt nahm das Entsetzen der Kleinen eine solche Schärfe an, daß Menolly aufschrie.
»Nicht!« Sie versuchte, die Hände vor das Gesicht zu schlagen, um sich vor der unbekannten Gefahr zu schützen, aber die Echsen klammerten sich an ihre Arme. Und stammelnd wiederholte sie: »NICHT! NICHT!«
Aus der Leere empfing Menolly Bilder und Eindrücke: heftige Turbulenzen, wild, grausam, zerstörerisch; ein unerbittlicher, tödlicher Druck; brodelnde Massen einer glitschigen, fahlgrauen Substanz, die sich aufbäumte und zusammensackte; Hitze, die in hohen Wogen heranbrandete. Furcht! Entsetzen! Ein unausgesprochenes Sehnen!
Ein Schrei in ihrem Innern, ein Schrei wie ein Messer, das Nervenstränge durchtrennte!
»LASST MICH NICHT ALLEIN!«
Menolly glaubte nicht, daß sie aufgeschrien hatte. Sie war, soweit sie noch klar denken konnte, sicher, daß sie den Schrei nicht gehört hatte; sie fühlte, daß jemand in tiefster Not und Verzweiflung die Worte gedacht hatte.
In diesem Moment flog die Tür zu ihrem Zimmer auf, und der Wach-Drache auf den Feuerhöhen der Burg stieß einen wilden Schrei aus, in dem das gleiche Flehen mitschwang, das sie in ihrem Innern vernommen hatte. Sie überlegte, ob der Drache sie gerufen hatte. Aber Drachen bedienten sich nicht der Menschensprache.
»Menolly! Was geht hier vor?«
Meister Robinton kam auf sie zugelaufen. Die Feuerechsen stoben aus einem Fenster und kamen durch das andere wieder hereingeschossen, halb wahnsinnig vor Angst.
»Der Drache!«
Menolly deutete zur Burg, um dem Harfner zu zeigen, daß sich nicht nur ihre Echsen in Aufruhr befanden. Sie sahen beide, wie sich der Drache mit einem verzweifelten Trompeten ohne seinen Reiter in die Lüfte warf und verschwand. Robinton und Menolly hörten in der Ferne schwache Antwortschreie. Einen Augenblick lang war alles still, und dann begann im Burghof ein Wher zu heulen.
»Sind denn alle geflügelten Wesen von Pern verrückt geworden?« fragte Robinton.
»Und weshalb hast du so laut ›NICHT!‹ geschrien, Menolly?«
»Ich habe keine Ahnung!«
Menolly liefen Tränen über die Wangen. Ein dumpfer Schmerz hatte sie nun erfaßt, und sie wehrte sich gegen die kalte Furcht, die sie bis ins Innerste durchdrang.
»Wirklich nicht!«
Robinton duckte sich, als Prinzessin an der Spitze ihres Schwarms an ihm vorbeischoß. Sie jagten in die Nacht und tauchten gleich darauf ins Dazwischen. Ehe Menolly eine Erklärung stammeln konnte, kam Meister Domick ins Zimmer gerannt.
»Robinton, was ist hier los?«
»Ruhe!« unterbrach ihn die scharfe Stimme des Meisterharfners. »Was immer Menolly geängstigt hat, scheint auch die Drachen und den Wach-Wher in der Burg zu beunruhigen. Der Drache ist ohne seinen Reiter ins Dazwischen getaucht!«
»Was?« rief Domick verblüfft. Sein Zorn schien sich gelegt zu haben.
»Menolly!«
Robinton legte ihr beide Hände auf die Schultern. »Atme tief durch! So – und noch einmal …«
»Ich kann nicht! Ich kann nicht! Da draußen spielt sich etwas Grauenhaftes ab.« Wildes Schluchzen schüttelte sie. »Etwas Grauenhaftes …«
Andere drängten jetzt in das Zimmer, aufgeschreckt von ihren Schreien. Jemand schimpfte, daß ein hysterisches Kind erwachsene Männer um ihren wohlverdienten Schlaf brächte.
»Seien Sie nicht albern, Morshal«, fauchte Silvina und schob sich durch die Menge zu Menollys Bett. »Los, verschwindet alle! Ich kann euch hier nicht gebrauchen.«
»Es ist doch nicht etwa – weil die Eier reif sind?« fragte Sebell verstört.
Menolly schüttelte den Kopf und versuchte die Furcht zu vertreiben, die ihr immer noch die Sprache raubte.
Silvina nahm sie in die Arme. »Ihre Hände sind eiskalt, Robinton«, sagte sie. »Mit Hysterie hat das nichts zu tun …«
Unvermittelt ließ der Krampf nach. Menolly taumelte gegen Silvina und begann endlich tief durchzuatmen, wie es ihr Robinton geraten hatte.
»Was immer da draußen geschah – jetzt ist es vorbei«, sagte sie erschöpft.
Silvina und der Harfner legten sie auf das Bett und deckten sie zu.
»Haben die Feuerechsen die Flucht ergriffen?« fragte die Wirtschafterin. »Ich sehe sie nirgends …«
»Sie sind ins Dazwischen geflogen – ich weiß nicht, wohin. Sie hatten solche Angst. Es war gräßlich. Ich konnte ihnen nicht helfen.«
»Erzähl ganz langsam, der Reihe nach!« meinte der Meisterharfner beschwichtigend.
»Ich weiß nur Bruchstücke. Ich wachte auf, weil die Echsen so unruhig waren. Im allgemeinen schlafen sie ganz fest. Und ihre Unruhe wuchs. Sie hatten Angst. Aber ich sah keinen Grund …«
»Irgend etwas muß sie erschreckt haben.« Robinton hatte Menollys Hand genommen und streichelte sie. »Versuch der Reihe nach zu berichten!«
»Sie … sie waren außer sich vor Furcht. Und sie steckten mich an damit. Dann …«
Menolly schluckte, weil das Bild immer noch lebhaft vor ihr stand. »Dann sah ich – in Gedanken – etwas Graues, Tödliches, das sich wälzte – ganze Massen davon. Und heiß. Ja – die Hitze, sie hat das Entsetzen mit ausgelöst. Und ich spürte einen Wunsch. Ich weiß nicht, was am schlimmsten war …«
Sie umklammerte die tröstenden Hände und begann von neuem zu schluchzen. »Ich habe auch nicht geschlafen. Es war kein böser Traum.«
»Sprich nicht weiter, Menolly! Wir können hoffen, daß dieses Entsetzen nun vorüber ist.«
»Nein, ich muß fertig erzählen. Das gehört dazu. Ich soll es erzählen. Danach hörte ich – das heißt, es war kein richtiges Hören – aber es kam so klar, als hätte es jemand mitten ins Zimmer gerufen – etwas schrie in meinem Kopf: ›Laßt mich nicht allein!‹«
Ihre Muskeln wurden schlaff, nun, da sie sich das Entsetzen von der Seele geredet hatte.
»›Laßt mich nicht allein?‹« Der Harfner murmelte nachdenklich die Worte. Was mochten sie bedeuten?
»Jetzt ist alles vorbei. Die Angst, meine ich, und …«
Die Feuerechsen schossen durch das offene Fenster auf Menollys Bett zu und begannen unsicher zu kreisen, als sie Silvina und den Meisterharfner entdeckten. In ihrem Verhalten zeigte sich Staunen, aber keine Furcht mehr. Prinzessin und die beiden Bronze-Echsen landeten am Fußende der Doppelpritsche und taten, als sei nicht das geringste geschehen. Menolly richtete sich wütend auf.
»Nicht schelten, Menolly!« warf der Meisterharfner ein. »Vielleicht kannst du herausfinden, wo sie herkommen.«
Menolly winkte Prinzessin zu sich. Die Kleine hüpfte ihr auf die Hand und ließ sich streicheln.
»Angst hat sie jedenfalls keine mehr.«
»Gut, aber wo war sie?«
Menolly hob das kleine Geschöpf hoch und schaute ihm in die langsam kreisenden Augen. »Wo warst du, Kleines? Wo kommst du her?«
Prinzessin schmiegte ihr Köpfchen in Menollys Hand, zirpte sanft und blinzelte. Ein Bild drängte sich in Menollys Inneres: ein Weyr-Kessel, in dem es von Drachen und aufgeregten Menschen wimmelte.
»Ich glaube, sie waren im Benden-Weyr. Ja, es muß Benden sein. Den Weyr von Fort kennen sie nicht gut genug, um Einzelheiten so scharf wiederzugeben. Und was immer geschah – es waren viele Menschen und Drachen beteiligt.« »Frag Prinzessin, was sie so erschreckt hat.« Menolly zögerte. Sie befürchtete, daß diese Frage die kleine Echsenkönigin von neuem erregen könnte. Und sie hatte recht. Prinzessin riß sich so heftig von ihrem Arm los, daß sie ihr mit den Krallen die Haut blutig ritzte.
»Ein Drache, der vom Himmel stürzte!« stieß Menolly hervor. »Aber – das gibt es doch nicht …«
»Sie hat dich gekratzt, Kind.«
»Ach, das ist nicht schlimm. Ich glaube nur, Meister Robinton, daß wir im Moment nichts von ihr erfahren werden.«
Prinzessin kauerte am Kaminsims und kreischte wütend. Ihre Augen glommen orangerot.
»Wenn im Benden-Weyr etwas geschehen ist, Robinton«, warf Silvina trocken ein, »dann wird man ohnehin bald nach Ihnen schicken.« Sie mußte laut sprechen, um sich über den Lärm der Echsen verständlich zu machen. »Es wäre gut, wenn wir die Kleinen jetzt in Ruhe ließen. Und dir, mein Kind, mische ich einen Schlaftrunk, sonst grübelst du die ganze Nacht weiter.«
»Ich wollte wirklich niemanden stören …«
Silvina winkte ab und ging hinaus, aber Menolly merkte genau, daß sich die Harfner draußen im Korridor versammelt hatten und flüsternd die Köpfe zusammensteckten.
»Das Seltsame an diesem Zwischenfall«, begann Robinton nachdenklich, »ist die Tatsache, daß sich auch der Drache mehr als ungewöhnlich verhielt. Ich habe noch nie erlebt, daß ein Drache ohne seinen Reiter in die Lüfte stieg – außer zum Paarungsflug. Es sollte mich nicht wundern, wenn T'ledon bald hier auftaucht und dich fragt, weshalb sein Drache verschwunden ist.«
Die Vorstellung, daß ein Drachenreiter sie um eine Erklärung bitten könnte, entlockte Menolly ein schwaches Lächeln.
»Was ist übrigens mit deiner Hand? Wie ich höre, hast du viel gespielt.« Der Harfner drehte ihre linke Handfläche nach oben. »Die Narbe ist rot und geschwollen. Du arbeitest zu hart. Da – tut das weh?«
»Nicht sehr. Meister Oldive hat mir eine Salbe gegeben.«
»Und die Füße?«
»Solange ich nicht viel stehen und gehen muß …«
»Zu schade, daß deine Echsen zusammen nicht die Kraft eines Drachen ersetzen, was?«
»Meister Robinton …«
»Ja?«
»Ich hatte das ganz vergessen. Meine Echsen können Gegenstände tragen. Sie brachten mir neulich meine Panflöte – um mir den Weg zu ersparen«, fügte sie hastig hinzu. »Sie schleppten das Instrument gemeinsam aus meinem Zimmer in Duncas Pension und ließen es in meine Hände fallen.«
»Das ist ja eine gute Neuigkeit. Ich hatte keine Ahnung, daß sie so etwas aus eigenem Antrieb schaffen. Siehst du, Brekke und F'nor haben ihre Echsen dazu abgerichtet, kleine Briefe zu befördern …«
Der Meisterharfner lächelte. »Aber sie treffen nur selten pünktlich ein.«
»Ich glaube, man muß ihnen verständlich machen, wie dringend ein Auftrag ist.«
»War die Sache mit der Panflöte denn so dringend?«
»Ich wollte nicht zu spät bei Meister Jerint erscheinen, und meine Füße schmerzten.«
»Lassen wir das als Grund gelten, Menolly«, entgegnete der Meisterharfner sanft, und als das Mädchen aufschaute, glaubte sie Verständnis in seinen Augen zu lesen. Sie errötete. Er nahm ihre Hand und streichelte sie. »Ich weiß nicht alles, aber ich ahne eine Menge, weil ich die Menschen kenne, Menolly. Laß es mich ruhig merken, wenn du mal Kummer hast. Und berichte mir alles, was dir an den Echsen auffällt. Das ist im Moment wichtiger als jedes Warum. Wir wissen nicht viel über diese kleinen Verwandten der Drachen, aber ich ahne irgendwie, daß sie eines Tages von großer Bedeutung für uns sein werden.«
»Wie geht es eigentlich dem kleinen weißen Drachen?«
»Ah, du liest meine Gedanken, Menolly? Ruth gedeiht.« Aber Menolly entging nicht das Zögern in der Stimme des Harfners. »Mach dir keine Sorgen um Jaxom und Ruth. Das tun so ziemlich alle anderen Bewohner von Pern.« Er drückte ihr fest die Hand.
Silvina kam zurück und brachte Menolly einen Becher mit einer bitteren Flüssigkeit. Sie blieb neben dem Bett stehen, bis das Mädchen sie leergetrunken hatte.
»Ich weiß, das Zeug schmeckt abscheulich, aber du mußt jetzt schlafen. Und Meister Robinton, drunten wartet ein Bote von der Burg auf Sie. Er ist völlig außer Atem, so sehr hat er sich beeilt.«
Hastig verließ der Harfner den Raum.
»Gibt es Probleme?« fragte Menolly.
»Nicht für dich und nicht deinetwegen, Kind.« Silvina lachte leise, während sie Menolly bis ans Kinn zudeckte. »Soviel ich mitbekam, hatte Baron Groghe von der Burg Fort den gleichen unheimlichen ›Alptraum‹ wie du, und er brennt darauf, sich mit Meister Robinton auszusprechen. Nun mach die Augen zu und reg dich nicht auf!«
»Keine Sorge, das kann ich kaum.«
Menolly gähnte. »Sie haben sicher die doppelte Dosis Felliskraut genommen.« Sie konnte kaum noch die Augen offenhalten. Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen war: Baron Groghes Feuerechse hatte auch reagiert, also konnte keiner sie hysterisch nennen.
Irgendwann glaubte sie eine dumpfe Stimme und das Hungergeschrei ihrer Echsen zu hören, aber sie vermochte sich nicht aus den Fesseln des Schlafes zu lösen. Als sie dann viel später richtig erwachte, sah sie eine leere Schüssel am Boden stehen, und ihre Freunde lagen faul und satt auf dem Bett. Ihr eigener leerer Magen ließ darauf schließen, daß sie weit in den Tag hinein geschlafen hatte. Sie nahm an, daß Camo und Piemur ihre Echsen gefüttert hatten; sicher waren die beiden begeistert ans Werk gegangen.
Die Fensterläden standen offen. Aus keinem der Klassenzimmer erscholl Musik; also war es wohl schon Nachmittag. Der Wach-Drache sonnte sich wieder auf den Feuerhöhen der Burg.
Sie fuhr hoch, als die Erinnerung an die Geschehnisse der letzten Nacht ihre Schlaftrunkenheit durchbrach. Im gleichen Moment klopfte jemand an die Tür, und ehe sie antworten konnte, trat Silvina mit einem kleinen Tablett ein.
»Ich glaube, ich komme gerade zur rechten Zeit«, meinte sie lächelnd. »Fühlst du dich gut erholt?«
Menolly nickte und dankte Silvina für den heißen Klah. »Sie allerdings sehen nicht so aus, als hätten Sie viel Schlaf erwischt.« Dunkle Ringe lagen unter Silvinas Augen.
»Allerdings, aber ich werde mich gleich hinlegen …« Die Wirtschafterin setzte sich auf den Bettrand. »Du möchtest sicher erfahren, was deine Freunde letzte Nacht so erschreckt hat. Um es kurz zu machen – F'nor, der braune Reiter von Canth, hat es sich letzte Nacht in den Kopf gesetzt, zum Roten Stern zu fliegen …«
Menollys Aufschrei weckte die Feuerechsen.
»Ruhig, Mädchen! Ich kann es nicht haben, daß die Kleinen wieder in Hysterie verfallen.« Silvina wartete, bis die Echsen sich zusammengerollt hatten und weiterschliefen.
»Dieses Ereignis jedenfalls scheint die Feuerechsen in Aufruhr versetzt zu haben. Und zwar nicht nur die deinen. Nach Robintons Worten hat jeder, der mit einem dieser kleinen Geschöpfe befreundet ist, das gleiche durchgemacht wie du – nur daß die Wirkung bei neun Echsen natürlich wesentlich stärker war. Canth und F'nor gingen also ins Dazwischen und steuerten den Roten Stern an … Kein Wunder, daß du halb wahnsinnig vor Entsetzen warst. Diese grauen, mahlenden Massen und die Hitze – so sieht es auf dem Roten Stern aus. Keiner könnte je dort landen!« Sie machte eine Pause und fuhr dann mit grimmiger Befriedigung fort: »Das wird diesen selbstgerechten Baronen die Mäuler stopfen! Sie hatten seit langem gefordert, daß die Drachenreiter die Sporen auf dem Roten Stern selbst bekämpfen sollten.«
»Canth und F'nor?« Eine kalte Furcht schnürte Menolly die Kehle zusammen. Sie erinnerte sich an den Schrei.
»Sie leben, sind dem Untergang aber nur knapp entronnen. Und dieser Aufschrei ›Laßt mich nicht allein!‹, den dir wohl die Echsen übermittelten – er kam von Brekke, die F'nor und Canth zurückholen wollte.« Wieder schwieg Silvina einen Moment lang. »Irgendwie schafften es die beiden. Zumindest konnten sie sich wieder vom Roten Stern lösen. Danach – es muß ein unglaublicher Anblick gewesen sein …« Silvina schloß die Augen. »Der Wach-Wher flog ins Dazwischen, um Canth bei der Landung zu unterstützen. Es war nach Robintons Schilderung wie ein Spalier von Drachen in der Luft. Sie fingen Canth und F'nor ab, bremsten ihren Sturz in die Tiefe. Die beiden hatten die Besinnung verloren. Robinton sagt, daß Canths Haut sich in Fetzen aufgelöst hat; F'nor geht es nicht viel besser, obwohl er ein Reitgewand aus Wherleder trug.«
»Silvina, wie konnten meine Feuerechsen wissen, was sich im Benden-Weyr abspielte?«
»Ramoth rief die Drachen … die Königin von Benden versteht sich darauf. Deine Feuerechsen waren im Benden-Weyr, das wissen wir. Vielleicht hörten auch sie den Ruf.«
Silvina zuckte ungeduldig die Achseln.
»Aber, Silvina, die Echsen waren schon völlig verängstigt, ehe Ramoth den Drachen von Fort holte und ehe ich Brekkes Ruf hörte.«
»Hm, da hast du recht. Nun, irgendwann finden wir sicher auch auf dieses Geheimnis eine Antwort. Wenn Drachen es fertigbringen, sich über längere Strecken mit ihresgleichen zu verständigen – weshalb nicht auch mit Feuerechsen?«
»Drachen besitzen Vernunft«, meinte Menolly und kraulte Prinzessin sanft über den Augen. »Meine Kleinen dagegen kaum.«
»Vergiß nicht, daß sie noch sehr jung sind. Von Babys kann man keine Vernunft verlangen. Und etwas anderes, Menolly: Auch Camo besitzt nicht viel Vernunft, aber er kann sehr tief fühlen.«
»Hat er heute morgen meine Echsen gefüttert, während ich schlief?«
»Er und Piemur. Der arme Kerl lief so verzweifelt herum, daß ich ihn schließlich hierherschickte, um meine Ruhe zu bekommen.« Silvina lachte leise. »Piemur meint, du seist nicht davon aufgewacht. Stimmt das?«
»Ja.«
Aber Menolly war in Gedanken immer noch bei dem merkwürdigen Verhalten ihrer Echsen. »Vielleicht reagierten sie auf den Ruf, weil sie ein paar Tage lang im Benden-Weyr gelebt haben.«
»Kaum«, entgegnete Silvina. »Baron Groghes Echse folgte dem Ruf ebenfalls, obwohl sie noch nie in Benden war. Es ist leicht möglich, daß wir die kleinen Geschöpfe bisher unterschätzt haben. Sie scheinen mehr zu sein als Schoßtiere für eitle Burgherren, die gern Drachenreiter spielen.«
»Ich bin mit meinem Klah fertig. Sollen wir jetzt einen Blick auf die Echsen-Eier werfen?«
»Ja, unbedingt. Wenn die Jungen ausschlüpfen und der Harfner ist nicht dabei, werden wir unseres Lebens nicht mehr froh.«
»Ist wenigstens Sebell in der Nähe?«
»Und ob!« Silvina schnitt eine Grimasse, und Menolly mußte lachen. »Was machen deine Füße?«
»Sie fühlen sich ein wenig steif an, aber sie schmerzen nicht.«
»Dann reib die Salbe ein! Sie nützt dir wenig, wenn du sie im Topf läßt.« Damit wandte sich Silvina zum Gehen.
Menolly wusch sich und schlüpfte in die neuen Sachen, die sie am Vortag von der Wirtschafterin erhalten hatte. Dann schüttelte sie noch rasch den Strohsack auf und breitete die Felldecke darüber.
Silvina hatte inzwischen das Zimmer des Meisterharfners aufgeräumt. Sie war eben fertig, als Menolly mit Prinzessin auf der Schulter eintrat. Die kleine Königin beäugte die Eier in den Tongefäßen mit großer Aufmerksamkeit und zirpte hin und wieder fragend.
»Na, was meinen die Experten?« wollte Silvina nach einer Weile wissen.
Menolly kicherte. »Prinzessin hat noch nie ein Gelege gesehen. Sie spielt sich nur auf. Aber die Schalen sind inzwischen viel härter. Ich denke, daß wir bald mit dem großen Ereignis rechnen können.«
Silvina seufzte tief. »Dieser Harfner! Nie ist er in der Halle.« Sie klatschte mit der flachen Hand den Bettüberwurf glatt und starrte grimmig zur Burg hinüber. »Wenn ihn Baron Groghe gerade nicht in Anspruch nimmt, schickt F'lar nach ihm, oder Baron Lytol hat Fragen wegen des kleinen weißen Drachen.«
»Falls er eine Feuerechse für sich gewinnen will, wird er seine Besuche wohl oder übel einschränken müssen.«
»Nicht schlecht, mein Kind!«
Die Wirtschafterin lachte. »Der Mann schläft kaum noch richtig …« Sie deutete zum Arbeitszimmer, auf die Stapel von Archivschriften, den vollgekritzelten Sandtisch und den schlaffen Weinschlauch. »Aber gibt es gar kein Anzeichen, wann es soweit ist? Die Drachenreiter wissen immer vorher Bescheid. Und der Harfner ist wirklich meist in dringenden Angelegenheiten unterwegs.«
»Als Prinzessin und die anderen schlüpften, begannen die alte Königin und ihr Schwarm zu summen, ganz tief in der Kehle …«, meinte Menolly zögernd.
Silvina nickte ermutigend.
»Das hier ist allerdings nicht Prinzessins Gelege; ich weiß nicht, wie sie sich verhalten wird. Obwohl – die Drachen in Benden haben auch für Ramoths Gelege gesummt. Es erscheint logisch, daß die Echsen ähnlich reagieren.«
Silvina pflichtete ihr bei. »Das gäbe uns eine gewisse Frist, in der wir den Harfner verständigen könnten – falls er sich die nächsten ein, zwei Tage wirklich nicht festnageln läßt.«
Menolly war immer noch unschlüssig; sie verließ sich nicht gern auf Vermutungen. Aber die Wirtschafterin tat ihre Zweifel mit einer raschen Geste ab.
»Und die Kleinen fressen alles, sobald sie ausgeschlüpft sind?«
»In etwa.« Menolly erinnerte sich an den Sack mit den Spinnenklauen, die sie damals an ihre Freunde verfüttert hatte – bestimmt keine leichte Kost. »Rohes Fleisch wäre allerdings am besten.«
»Das wird Camo freuen«, meinte Silvina trocken. »Ich halte es für das Beste, wenn du hierbleibst. Nein? Was stört dich daran? Dem Meisterharfner macht es sicher nichts aus, wenn du seine Räume benutzt. Er ist schließlich ganz wild darauf, eine Feuerechse zu besitzen. Sogar auf seinen geliebten Wein will er verzichten, wenn …« Silvina lachte ungläubig und schaute dann Menolly an. »Na, begeistert scheinst du nicht zu sein.«
»Es – es ist doch bestimmt schon Nachmittag.«
»Ja.«
»Dann muß ich zu Meister Shonagar. Er besteht darauf, daß ich …«
»So, tut er das? Was ist wohl wichtiger? Eine Stunde Unterricht oder die Feuerechse des Meisterharfners? Aber laß, ich kenne ihn. Sebell wird die Wache übernehmen. Bitte nur deine Echsen, daß sie in der Nähe bleiben …«
Silvina trat ans offene Fenster und schaute in den Hof hinunter.
»Piemur! Piemur, lauf zu Sebell und richte ihm aus, daß er in die Räume des Meisterharfners kommen soll! Menolly? Ja, die ist wach und bei mir. Nein, zu Meister Shonagar kann sie erst, wenn Sebell hier eintrifft. Dann gehst du eben selbst zu Meister Shonagar und erklärst ihm das. Mit einem schönen Gruß von mir, ja? Menolly untersteht an erster Stelle Meister Robinton, dann mir und dann erst den anderen Meistern.«
Menolly war ganz zappelig, als Piemur mit Sebell im Schlepptau endlich eintraf.
»Sie schlüpfen?« fragte Sebell atemlos.
»Noch nicht ganz«, entgegnete Menolly und versuchte, sich an dem Gesellen vorbei in den Korridor zu schieben.
»Wie merke ich denn, wann es soweit ist?«
»Menolly meint, daß die Feuerechsen dann zu summen anfangen«, erwiderte Silvina. »Sie muß jetzt leider fort. Shonagar besteht auf seinem Unterricht.«
»Kann ich mir denken. Wo ist der Harfner?«
»Inzwischen wohl auf Ruatha«, sagte Silvina. »Er hatte im Benden-Weyr zu tun und wollte unterwegs noch bei Schmiedemeister Fandarel von Telgar vorbeischauen …«
Menolly befahl ihren Echsen, bei Sebell zu bleiben, und eilte dann zum Chorsaal.
Trotz Silvinas Worten beschlich sie ein unbehagliches Gefühl, als sie Meister Shonagar gegenübertrat. Aber er sagte nichts. Das ließ Menolly ihr Versäumnis noch schlimmer erscheinen. Er starrte sie an, bis sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
»Ich weiß nicht, wie du das schaffst, Mädchen, daß du eine ganze Gilde in Aufruhr versetzt. Du bist nicht anmaßend. Im Gegenteil, du bist beinahe unverschämt bescheiden. Du prahlst weder mit deinen Talenten noch mit deiner Herkunft. Du hörst zu – eine wahre Wonne für jeden Lehrer –, und du lernst aus den Dingen, die du hörst – eine noch seltenere Tugend. Ich beginne langsam zu hoffen, daß ich in einem unauffälligen Mädchen die Begeisterung entdeckt habe, die den wahren Musiker, den Künstler ausmacht. Ja, ich könnte eines Tages sogar deine Stimme einigermaßen hinkriegen.«
Seine Faust hämmerte auf die Kante des Sandtisches, daß die Platte dröhnte.
»Aber wie soll ich das erreichen, wenn du nie da bist?«
»Silvina sagte …«
»Silvina ist eine prächtige Frau. Ohne sie würde in der Gildehalle das totale Chaos herrschen«, erklärte Meister Shonagar, immer noch mit lauter Stimme. »Sie ist auch eine gute Musikerin… ah, das wußtest du gar nicht? Nimm dir mal die Zeit, Kind, und hör ihr zu, wenn sie singt. Aber …« Und er holte so tief Luft, daß sich sein Bauch aufzublähen schien. »Aber ich hatte doch klar zum Ausdruck gebracht, daß du nachmittags unter allen Umständen hier auftauchen solltest.«
»Jawohl, Meister.«
»Dann …« Seine Stimme klang mit einemmal ganz normal, »fangen wir mit den Atemübungen an!«
Menolly unterdrückte nur mühsam ein Kichern. Sie atmete tief durch und konzentrierte sich auf den Unterricht.
Als Meister Shonagar sie mit der Ermahnung entließ, unbedingt am übernächsten Tag wiederzukommen – der nächste Tag war ein Ruhetag, und er brauchte, wie er feststellte, die Ruhe dringender als alle anderen –, kehrten die Arbeitstrupps gerade von den Feldern zurück. Zu ihrem Staunen grüßten viele der Lehrlinge, als sie über den Hof lief, um nach den Echsen-Eiern zu schauen. Sie kannte die wenigsten mit Namen, aber sie lächelte allen freundlich zu.
Während sie die Stufen hinaufhastete, überlegte sie, ob die Jungen wohl schon von dem nächtlichen Zwischenfall wußten.
Wahrscheinlich.
In der Gildehalle verbreiteten sich Neuigkeiten schneller als die Fäden.
Leise Gitarrenklänge drangen an ihr Ohr, als sie den oberen Korridor erreichte. Sebell schaute bei ihrem Eintreten auf und deutete zum Sandtisch hinüber. Ihre Echsen saßen aufgereiht an der Kante und starrten Sebell an.
»Ich hatte ein aufmerksames Publikum. Allerdings weiß ich nicht, ob sie mit meiner Musik zufrieden waren oder nicht.«
»Doch«, erklärte Menolly lächelnd. Sie streckte die Hand nach Prinzessin aus, die ihr sofort auf die Schulter flog. »Sieh mal, das erkennt man an den Augen. Wenn die grüne Farbe überwiegt, fühlen sie sich wohl. Rot bedeutet Hunger, Blau zeigt an, daß nichts Besonderes los ist, Weiß verrät Gefahr und Gelb Angst. Je schneller die Augen kreisen, desto intensiver sind ihre Gefühle.«
»Und der da?« Sebell deutete auf Faulpelz, der die Innenlider geschlossen hatte.
»Der heißt nicht umsonst Faulpelz.«
»Ich habe aber kein Wiegenlied gespielt.«
»Der rührt sich nie – außer er ist hungrig. Hier …«
Menolly nahm Faulpelz hoch und setzte ihn auf Sebells Hand. Der Mann stand stocksteif da. »Streichle ihn an den Augenwülsten und hinter den Flügelansätzen. Da! Siehst du? Er summt vor Vergnügen.«
Sebell befolgte Menollys Rat, und Faulpelz schmiegte das Köpfchen gegen sein Handgelenk. Ein Lächeln stahl sich über die Züge des sonst so ernsten Mannes.
»Ich hätte nie gedacht, daß ihre Haut so weich ist.«
»Sie bekommt leicht rauhe Stellen und Risse. Deshalb muß man sie oft einölen. Warte einen Moment …« Menolly ging rasch in ihr Zimmer und holte die Salbe.
Anfangs verriet Sebell eine gewisse Scheu, die kleinen Geschöpfe zu pflegen, aber die legte sich rasch, als Menolly ihm die richtigen Handgriffe zeigte. Mit einem glücklichen Lächeln unterstützte er sie bei ihrer Arbeit.
»Singen eigentlich alle Echsen?« fragte er, während er Brownies Haut einrieb.
»Ich habe keine Ahnung. Meine lernten es wohl, weil ich ihnen in der Höhle immer vorsang.« Sie sah im Geiste die winzigen Feuerechsen auf den Felssimsen kauern, die Köpfchen aufmerksam schräggelegt, und lauschen.
»Besser Echsen als gar kein Publikum, was?« fragte Sebell. »Wußtest du übrigens, daß Baron Groghes kleine Königin seit kurzem den Harfner der Burg begleitet, wenn er singt?«
»Nein!«
»Dabei bringt Baron Groghe selbst keinen richtigen Ton heraus. Er soll jedoch ganz begeistert von dem neuen Talent seiner kleinen Echse sein.« Sebells Miene wurde mit einemmal wieder ernst.
»Gestern nacht war er wohl weniger begeistert«, meinte Menolly. Sie stotterte ein wenig und stieß dann hervor: »Glaubst du, daß Canth und F'nor durchkommen werden?«
»Sie haben ein Ziel vor Augen, Menolly. Brekke braucht sie, um am Leben zu bleiben. Sie hat bereits ihre Königin verloren. Aber wir werden mehr erfahren, wenn der Harfner zurückkommt.«
Camo betrat den Raum mit einem schwerbeladenen Tablett. Seine plumpen Züge wirkten ängstlich, doch er strahlte, als er die Feuerechsen und Menolly entdeckte.
»Schöne Echsen hungrig? Camo Futter?« Und Menolly sah zwei große Schalen mit geschnittenem Fleisch neben den Speisen.
»Vielen Dank, daß du heute morgen meine Echsen gefüttert hast, Camo.«
»Camo ganz leise. Ganz leise.« Der Knecht nickte so heftig zu seinen Worten, daß Klah aus einem Becher schwappte.
Sebell nahm ihm ruhig das Tablett ab und stellte es auf das Mittelbrett des Sandtisches.
»Du bist ein braver Kerl, Camo«, erklärte der Geselle, »aber geh jetzt in die Küche! Du mußt Abuna helfen. Abuna braucht dich.«
»Schöne Echsen hungrig?« Enttäuschung breitete sich auf Camos Zügen aus.
»Nein, nicht jetzt, Camo«, sagte Menolly freundlich. »Schau, sie schlafen.«
Camo warf einen Blick auf die Fensterbretter, wo die ölglänzenden kleinen Geschöpfe kauerten und sich von der Sonne wärmen ließen.
»Wir füttern sie heute abend, Camo.«
»Abend? Gut. Nicht vergessen? Versprechen? Versprechen? Camo füttern?«
»Ich verspreche es dir, Camo«, erklärte Menolly mit Nachdruck. Der armselige Ton, in dem der Knecht sie bettelte, ließ darauf schließen, daß viele die Dinge, die sie ihm versprachen, wieder vergaßen.
»So«, sagte Sebell, als Camo aus dem Zimmer schlurfte. »Silvina erzählte mir, daß du noch gar nicht richtig gegessen hast. Und wie ich Shonagar kenne, nimmt er darauf keine Rücksicht.«
Zu Menollys großer Freude lagen neben Fleischbroten, Käse und Kompott auch Rotfrüchte auf dem Tablett. Sebell aß nur wenig, in der Hauptsache, um ihr Gesellschaft zu leisten. Er begann die Namen und Eigenschaften der Meeresfische aufzuzählen, die sie ihm am Vortag genannt hatte.
»Alles richtig?« fragte er, als sie ihn erstaunt anstarrte.
»Und ob! Hast du das etwa auswendig gelernt?«
»Glaubst du, daß ich nun als Seemann anerkannt werde?«
»Wenn du nur über Fische reden mußt, bestimmt.«
Er schnitt eine Grimasse. »Ich unterhielt mich mit einem Bronzereiter, den ich vom Fort-Weyr her kenne. Er hat sich bereit erklärt, uns an irgendeinen Tümpel oder See zu bringen, wo du mir das Segeln beibringen kannst.«
»Dir das Segeln beibringen?« Menolly schaute ihn entsetzt an. »So ganz nebenher – wie die Namen der Fische?«
»Ach, ich glaube nicht, daß ich richtig segeln muß. Nur die Grundbegriffe …«
Er grinste sie an.
»Die Knochenarbeit überlasse ich gern den Experten.«
Sie seufzte erleichtert, denn sie mochte Sebell, und der Gedanke, daß er sich allein in einem Segelboot auf das Meer wagen könnte, erschreckte sie. Yanus hatte oft gesagt, das Meer, die Gezeiten und die Winde seien unberechenbar. Selbst dem besten Seemann konnte es zustoßen, daß ein plötzlicher Sturm aufkam und sein Schiff zu Kleinholz zerschmetterte.
»Und noch etwas. Ich fürchte, um das Fischerhandwerk richtig zu verstehen, muß ich auch das Ausnehmen und Einpökeln des Fanges lernen. N'ton meinte, er könne ohne Schwierigkeiten ein paar frische Fische auftreiben.«
Wieder unterdrückte Menolly ihre Neugier, wozu ein Harfnergeselle all diese Dinge wissen mußte.
»Morgen ist ein Ruhetag«, stellte Sebell fest. »Vielleicht gibt es sogar ein Fest in der Burg, wenn das Wetter hält. Aber sobald die kleinen Echsen geschlüpft sind und wir unauffällig verschwinden können … in ein, zwei Tagen vielleicht …«
»Ich darf aber meinen Unterricht bei Meister Shonagar nicht versäumen …«
»Hat er dich schon so stramm am Zügel?«
»Er tobt sofort, wenn …«
»Ja, das kenne ich. Aber er versteht es, eine Stimme aufzubauen, wenn dir das ein Trost ist. Mit Instrumenten hatte ich nie Schwierigkeiten, nur das Singen …« Sebells Gedanken schienen in die Vergangenheit zu schweifen. »Ich befürchtete immer, man würde mich eines Tages aus der Gildehalle fortschicken …«
»Was?«
»Doch, ehrlich. Ich hatte mir schon als kleiner Junge in den Kopf gesetzt, Harfner zu werden. Mein Pflegevater unterstützte mich, so gut er konnte, und der Harfner in unserer Burg – nun, er war nicht gerade kreativ, aber ein gründlicher Lehrer, der die Techniken beherrschte. Ich hielt mich also für einen begabten Musiker – bis ich hierherkam.« Sebell schüttelte den Kopf. »Erst mit der Zeit begriff ich, daß zum Harfnerberuf weit mehr gehört als ein einigermaßen sauberes Spiel.«
Menolly zeigte volles Verständnis.
»So wie zum Seemannsberuf mehr gehört als Fische ausnehmen und Segelsetzen?«
»Genau. Wobei mir etwas einfällt: Domick hat dir zwar die Vormittagsstunde erlassen, aber er besteht darauf, daß du übst. Damit könnten wir uns gemeinsam die Wartezeit verkürzen. Mein Kompliment übrigens! Du hast Domick gestern ja ganz schön eingewickelt!«
»Eingewickelt? Was meinst du damit?«
Sebell starrte sie mit großen Augen an. »Heißt das etwa, daß du diese Art von Musik echt magst?«
»Aber … aber sie war doch großartig. Ich hatte noch nie etwas Schöneres gehört.« Menolly begriff Sebells Haltung nicht ganz.
»Richtig, du bist noch neu hier. Das erklärt vieles. Ich hoffe nur, dir hängt Domicks ewige Suche nach ›den reinen Musikformen‹ in ein paar Planetenumläufen nicht zum Halse heraus.« Er schüttelte sich und breitete einige Notenblätter aus. »Hier. Mal sehen, wie dir das gefällt. Domick möchte, daß du die erste Gitarre übernimmst, es schadet aber nichts, wenn du auch die zweite lernst.«
Die Festmusik für zwei Gitarren war äußerst schwierig zu spielen, mit ständig wechselnden Rhythmen und Griffen, die auch eine gesunde Hand kaum bewältigen konnte. Zusammen mit Sebell arbeitete Menolly Ersatzgriffe für die Stellen aus, die ihre linke Hand nicht schaffte. Das Leitthema wechselte ständig von einer Gitarre zur anderen. Sie hatten zwei der drei Sätze durchgespielt, als Sebell eine Pause vorschlug. Er stand auf, streckte sich und knetete seine verkrampften Finger und Arme.
»Wir kriegen das Stück heute doch nicht mehr hin«, protestierte er, als Menolly den dritten Satz beenden wollte.
»Tut mir leid, ich wußte nicht …«
»Entschuldige dich doch nicht dauernd!«
»Tut mir … äh, ich …« Sebell lachte sie aus, und sie fuhr fort: »Diese Musik ist eine Herausforderung. Ehrlich. Zum Beispiel hier …« Und sie deutete auf eine schnelle Passage, die ungemein schwierig zu greifen war.
»Es reicht, Menolly. Ich bin todmüde. Daß du nicht längst aufgegeben hast, wundert mich.«
»Aber du bist doch Harfnergeselle …«
»Nicht einmal ein Harfnergeselle kann den ganzen Tag Musik machen.«
»Was tust du eigentlich sonst noch? Außer den Fischern auf die Finger gucken, meine ich.«
»Was immer der Meisterharfner von mir verlangt. In erster Linie gehe ich auf Wanderschaft. Ich suche in den Burgen und Gilden nach begabtem Harfner-Nachwuchs und bringe neue Musik zu den abgelegenen Orten – in jüngster Zeit vor allem deine Balladen …«
»Meine Balladen?«
»Anfangs geschah das in der Absicht, dich aus deinem Versteck zu locken. Und dabei zeigte sich, daß es genau die Lieder waren, die wir brauchten.«
»Das sagte Meister Robinton auch schon.«
»Und warum erstaunt dich das so? Zugegeben, ich finde es herrlich, wenn ein Lehrling zur Abwechslung auch mal bescheiden ist … he, was hast du denn?«
»Warum nehmt ihr nicht Meister Domicks Musik?«
»Weil sich deine Balladen leicht spielen lassen – und weil sie ins Ohr gehen. Das mögen die Leute. Mit Domicks Musik können die wenigsten etwas anfangen.«
Menolly schluckte.
»Sicher, wir brauchen auch Komponisten wie Meister Domick. Er dringt bis in die Theorie vor, und das ist vor allem hier in der Gildehalle wichtig.«
Das Mädchen nickte. Ihr brannte die Frage auf den Lippen, und sie faßte ihren ganzen Mut zusammen, um sie zu stellen. »Sag mal, Sebell, was soll ich wegen der Feuerechsen-Ballade tun? Meister Robinton hat sie umgeschrieben, und sie ist jetzt viel, viel besser. Aber er erzählt allen Leuten, daß sie von mir stammt.«
»Na, und? Wenn der Harfner das erzählt, dann hat er seine Gründe, Menolly.« Sebell legte ihr sacht eine Hand auf das Knie. »Außerdem hat er kaum etwas geändert – nur hier und da den Text gestrafft. Aber deine Melodie ist geblieben, und jeder summt sie inzwischen. Du mußt nur noch lernen, die Musik abzurunden, ohne daß sie an Frische verliert. Deshalb ist der Unterricht bei Domick so wichtig. Er besitzt die Disziplin, du die schöpferische Kraft.«
Menolly konnte keine Antwort darauf geben. Sie spürte einen Klumpen im Hals, als sie an die Prügel dachte, die sie bezogen hatte, wenn sie sich daheim mit Musik beschäftigte.
»Was duckst du dich so?« fragte Sebell mit einer gewissen Schärfe. »Mädchen, was ist los? Du bist ja schneeweiß. Beim Großen Ei!« Der letzte Ausruf klang wie ein Fluch, und Menolly schaute den Gesellen überrascht an. »Wenn ich mal ungestört reden möchte …«
Sie folgte seinem Blick und sah den Bronzedrachen, der in weiten Spiralen tieferglitt und jenseits des Hofes landete.
»Das ist N'ton. Ich muß ihn kurz sprechen, Menolly, wegen unseres Segelausflugs.« Sebell rannte aus dem Zimmer, und sie hörte, wie er die Treppe hinunterpolterte.
Sie warf einen Blick auf die Noten, die sie eben durchgespielt hatten; Sebells Worte kreisten in ihren Gedanken:
»Er besitzt die Disziplin, du die schöpferische Kraft. – Jeder summt sie inzwischen.«
Die Leute mochten ihre Musik? Das wollte ihr nicht in den Kopf, obwohl Sebell keinen Grund hatte, sie zu belügen. Ebensowenig wie der Meisterharfner, der ihr versichert hatte, daß er ihre Balladen brauchte. Unglaublich! Sie schlug einen Akkord an, einen triumphierenden, ungläubigen Akkord, und modulierte ihn dann hastig, beschämt über ihre undisziplinierte Reaktion.
Entschlossen wandte sie ihre Gedanken dem Gitarrenduett zu und spielte die schwierigen Passagen langsam durch, bis die Griffe saßen.
Eine der Tonfolgen erinnerte sie an den Aufschrei, den sie in der vergangenen Nacht gehört hatte, und sie stockte.
»Laßt mich nicht allein …« Zögernd griff sie in die Saiten.
»Ein Schrei in der Nacht / Herzzerreißende Angst / Ihr Drachen erwacht.« Was hatte Sebell gesagt? Daß Brekke am Leben verzweifeln würde, wenn Canth oder F'nor starben? »Stößt euch etwas zu / Geh ich in den Tod / Laßt mich nicht allein / In Schmerzen und Not.«
Bis Menolly endlich die passende Melodie zu dem kleinen Lied gefunden hatte, summten Prinzessin, Rocky und Taucher begeistert mit.
»Zufrieden?« fragte sie ihre Schar. »Vielleicht sollte ich das niederschreiben …«
»Schon geschehen«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihr, und sie wirbelte herum. Sebell saß am Sandtisch und ritzte eifrig Zeichen in die Fläche. »So, das meiste habe ich.« Er schaute auf und lächelte, als er die Verwirrung in ihren Zügen las.
»Mach den Mund zu und komm her!«
»Aber … aber …«
»Habe ich dir nicht vorhin gesagt, daß du dich nicht ständig wegen der falschen Dinge entschuldigen sollst?«
»Ich habe doch nur so vor mich hingespielt …«
»Sicher, die Ballade muß noch zurechtgefeilt werden. Aber der Refrain ist so stark, daß er die Burgleute zu Tränen rühren wird.« Er winkte sie zu sich. »Du könntest vielleicht umstellen, die Gefahr an den Anfang und dann die Auflösung … aber ich weiß nicht. Bei der Melodie – nimmst du eigentlich immer Moll-Klänge?« Er legte eine Glasplatte über den Sand, damit niemand die Zeichen verwischen konnte. »Mal sehen, was der Harfner dazu meint.«
»Du willst das stehenlassen? Aber das kann doch nicht dein Ernst sein!«
»Und ob das mein Ernst ist!« Er stand auf und griff nach seiner Gitarre. »Paß auf!«
Menolly saß verlegen auf ihrem Hocker und hörte zu, wie Sebell ihre Melodie spielte. Als dann die Feuerechsen leise mitsummten, mußte sie insgeheim zugeben, daß die Ballade gar nicht so schlecht war.
»Ausgezeichnet, Sebell! Ich hatte keine Ahnung, daß auch noch ein Komponist in dir steckt«, rief Meister Robinton von der Tür her und klatschte begeistert in die Hände.
»Mir selbst wollte einfach keine Musik zu diesem Zwischenfall gelingen …«
»Die Ballade stammt von Menolly, Meister Robinton.« Sebell war beim Eintreten des Harfners aufgestanden und verbeugte sich nun vor Menolly. »Komm, Mädchen, genier dich nicht! Weshalb, glaubst du wohl, hätten wir Harfner einen ganzen Kontinent nach dir abgesucht?«
»Menolly, mein liebes Kind, wozu die Verlegenheit?« Robinton nahm ihre Hände und hielt sie fest. »Denk lieber daran, welche Arbeit du mir abgenommen hast! Los, Sebell, ich habe nur den Schluß gehört …« Der Harfner angelte sich einen Hocker, nahm Platz und lauschte gespannt, als Sebell die klagende Melodie spielte. »So, Menolly, und nun horch dir die Musik als solche an, nicht als dein Werk. Lerne objektiv zu urteilen – als Angehörige der Harfner-Gilde!«
Er hielt ihre Hände immer noch ganz fest, und sie konnte sich ihm nicht entziehen. Sie wollte es auch gar nicht. Die Wärme tat ihr wohl. Ihre Verlegenheit schwand, als Sebells schöner Bariton, getragen von der Musik, durch den Raum strömte. Die Feuerechsen stimmten ein, und Robinton lächelte ihr zu.
»Ja, der Text läßt sich noch ausfeilen. Hier und da ein anderes Wort, um die Wirkung zu verstärken, aber die Melodie bleibt. Schreib sie nieder – ah, Sebell, gut gemacht. Gut gemacht.« Der Meisterharfner nickte zufrieden, als Sebell zum Sandtisch hindeutete. »Ich möchte, daß die Noten auf einige dieser glatten neuen Papiere übertragen werden, die uns Bendarek liefert. Dann kann Menolly sie in aller Ruhe überarbeiten. Nein, nicht in aller Ruhe«, verbesserte er sich. »Denn dieser Vorfall hat ganz Pern erregt, und das Volk drängt auf eine Erklärung. Eine gute Ballade, Menolly, eine sehr gute Ballade. Leg endlich deine Selbstzweifel ab! Du besitzt einen ausgeprägten Instinkt für die Melodie. Vielleicht sollte ich mehr Lehrlinge in die Burgen am Meer schicken, wenn der Gesang von Wind und Wellen solche Talente hervorbringt. Hörst du, dein Schwarm summt immer noch den Refrain …«
Menolly löste sich lange genug aus ihrer Verwirrung, um zu erkennen, daß der Gesang der Echsen nichts mit ihrer Ballade zu tun hatte: sie achteten überhaupt nicht auf die Menschen, sondern … »Die Eier! Sie sind reif …«
»Was!« Meister und Geselle stürzten gleichzeitig zum Kamin und den beiden warmen Tongefäßen.
»Menolly! Hierher!«
»Ich hole nur das Fleisch!«
»Sie schlüpfen!« rief der Harfner. »Sie schlüpfen! Halt das Gefäß fest, damit es nicht kippt!«
Als Menolly in das Zimmer schoß, knieten die beiden Männer vor dem Feuer und beobachteten ängstlich die Tongefäße, die hin und her schwankten.
»So schlüpfen sie nie«, meinte Menolly trocken. Sie nahm Sebell den Tontopf aus den Händen und holte vorsichtig das Ei heraus, um es neben den Kamin zu lege n. Robinton folgte ihrem Beispiel. Beide Eier schaukelten hin und her, und die Schalen zeigten die ersten feinen Sprünge.
Die Feuerechsen kauerten auf dem Kaminsims und summten schrill. Die Laute schienen die heftigen Bewegungen der Jungen innerhalb ihres Schalengefängnisses zu unterstreichen.
»Meister Robinton!« rief Silvina vom anderen Zimmer her. »Meister Robinton?«
»Silvina! Sie schlüpfen!« Die dröhnende Stimme des Harfners erschreckte die Feuerechsen. Sie begannen aufgeregt mit den Flügeln zu schlage n.
Andere Harfner, angezogen von dem Lärm, schoben sich in den Raum. Menolly wurde unruhig. Allzu viele Zuschauer konnten nur stören … »Nicht!« rief sie, ehe sie merkte, was sie tat. »Alles draußen bleiben!«
»In Ordnung«, erwiderte Silvina. »Hinaus mit euch! Ihr seht bei dem Gedränge ohnehin nichts. Hast du das Fleisch, Menolly? Ah, gut so. Glaubst du, daß es reicht?«
»Bestimmt.«
»Was sollen wir nun machen?« fragte der Harfner hilflos.
»Sobald sich die Kleinen einen Weg ins Freie bahnen, müßt ihr sie mit Futter anlocken«, entgegnete Menolly ein wenig erstaunt. Sicher hatte der Meisterharfner schon mehr als eine Gegenüberstellung miterlebt. »Schiebt ihnen einfach kleine Fleischbrocken in die aufgesperrten Mäuler!«
»Und wann schlüpfen sie?« warf Sebell ein. Er zerrte nervös an seinen Fingern.
Das schrille Summen der Echsen steigerte sich noch; die Augen der kleinen Geschöpfe kreisten erregt. Plötzlich tauchte aus dem Nichts eine zweite Königin auf. Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus, den Prinzessin beantwortete.
»Silvina!« Menolly deutete auf die fremde Königin.
»Meister Robinton, sehen Sie doch!« rief die Wirtschafterin. Die Echsenkönigin flatterte auf den Kaminsims, setzte sich neben Prinzessin und stimmte in das schrille Summen ein.
»Das ist Merga, Baron Groghes Königin«, meinte der Harfner und warf einen raschen Blick zur Tür. »Hoffentlich hat sie ihn nicht wieder so erschreckt …«
Sie alle hörten, wie draußen im Korridor jemand mit polternder Stimme nach dem Harfner rief.
»Los, bringt den Baron hierher!« befahl der Meisterharfner, ohne den Blick von den beiden Eiern abzuwenden.
»Robinton!« Sein Befehl erwies sich als unnötig, denn die Schritte draußen kamen rasch näher. »Robin … Was? Tatsächlich? Diese Merga spielt wieder verrückt. Zwingt mich einfach, hierherzukommen! Was soll das eigentlich? Wo ist Robinton?«
Menolly drehte sich um, obwohl sie in einem der beiden Eier einen Riß entdeckt hatte, der sich rasch vergrößerte. Der Baron von Fort war ein Hüne von einem Mann, fast so groß wie der Harfner selbst, aber mit einem wuchtigen Körper und muskelbepackten Armen und Beinen. Er schnaufte schwer.
»Da ist er ja! Was bedeutet das nun wieder?«
»Die Eier sind reif, Baron Groghe!«
»Eier?« Der Burgherr runzelte die Stirn. »Ach so. Ihre Echsen-Eier! Und Merga hat das gemerkt?«
»Ich hoffe, wir haben Sie nicht mitten in der Arbeit gestört, Baron Groghe?«
»Ah, schon gut. Ich bin der Sklave dieses winzigen Geschöpfs. Aber woher wußte sie Bescheid?«
»Fragen Sie Menolly!«