Zwölf Uhr
London kam in Sicht.
Die Wolkendecke riss auf, und Alex sah die Riesenstadt im gleißenden Licht der Mittagssonne – eine glänzende Metropole von unglaublichen Dimensionen. Dort rechts reckte das alte Kraftwerk von Battersea stolz seine vier gewaltigen Schornsteine in die Höhe. Dahinter wurde der Battersea Park sichtbar, ein großes Rechteck von dichten grünen Büschen und Bäumen. In der Ferne war das Millennium Wheel zu erkennen, das gewaltige Riesenrad, das direkt am Ufer der Themse wie eine aufgestellte Münze scheinbar mühelos balancierte. Und darum herum kauerte der Rest von London – Gastanks und Apartmenthäuser, endlose Geschäftsstraßen und Büroblocks, Hotels, Straßen, Eisenbahnen und Brücken, die sich in alle Richtungen erstreckten, nur getrennt durch das silberne Band der Themse.
Alex starrte auf die Stadt hinunter. In den letzten fünfzig Minuten hatte er ständig darüber nachgedacht, was er zu tun hatte. Fünfzig Minuten, in denen das Flugzeug über Cornwall und Devon gedröhnt war, dann über Somerset und die Ebene um Salisbury, und schließlich über Windsor nach London.
Als er ins Flugzeug geklettert war, hatte Alex angenommen, dass er irgendwie mit dem Funkgerät Kontakt mit der Polizei oder auch der Luftraumüberwachung aufnehmen könne – oder wer immer diese Frequenz abhörte. Aber die Tatsache, dass Mr Grin am Steuer saß, hatte ihn davon abgebracht. Er wusste nur zu gut, wie schnell der Mann war – wie schnell er das Messer geworfen hatte, als Alex an den Stuhl gefesselt gewesen war. Solange er hier im Laderaum blieb, fühlte er sich einigermaßen sicher.
Er hatte zunächst geplant, Grin zu zwingen, in Heathrow zu landen. Aber es hätte zu viel Zeit gekostet, um Landeerlaubnis zu bitten, dann zu landen und über das riesige Feld in die Nähe der Gebäude zu rollen. Bis dahin wäre alles zu spät gewesen. Er hatte eine bessere Idee.
Während Alex fieberhaft nachdenkend im Laderaum saß, war sein Blick wieder auf die beiden Bündel gefallen, die ihm so bekannt vorgekommen waren. Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Und wie er es tun konnte.
»Irrrg!«, sagte Grin ein paar Minuten später. Er drehte sich im Pilotensitz um und starrte ungläubig in den Laderaum.
»Vielen Dank fürs Mitnehmen!«, rief Alex über den Motorenlärm und sprang aus der Laderaumtür.
Fallschirme. Alex hatte die beiden Bündel genau untersucht und sich einen der Schirme auf den Rücken geschnallt. Neben der Laderaumtür hatte er einen roten Schalter entdeckt, mit dem sich die Ladeklappe öffnen ließ. Jetzt war er froh, dass er beim theoretischen Fallschirmtraining im Ausbildungszentrum mitgemacht hatte. Wenn er irgendeine andere Idee gehabt hätte, wie er in nur sieben Minuten zum Science Museum gelangen konnte, hätte er dankend auf den Absprung verzichtet. Aber es gab keine andere Lösung. Das war ihm klar geworden, und deshalb war er gesprungen.
Der scharfe Wind nahm ihm den Atem, und ein paar Augenblicke lang fühlte sich Alex ziemlich schwindelig. Er schloss die Augen und zwang sich, bis drei zu zählen. Wenn er zu früh an der Reißleine zog, bestand die Gefahr, dass sich der Fallschirm im Leitwerk des Flugzeugs verfing. Aber seine Faust umklammerte die Reißleine, als sei sie der letzte Strohhalm, der ihn vom Tod retten konnte – was ja auch tatsächlich der Fall war. Er hatte kaum »drei« geflüstert, als seine Hand völlig selbstständig, ohne sein Zutun mit aller Kraft an der Leine riss. Der Fallschirm schoss heraus, blähte sich über ihm auf und Alex wurde jäh nach oben katapultiert. Die Riemen schnitten tief in seine Achselhöhlen.
Überrascht bemerkte Alex die plötzliche Stille um sich her und öffnete die Augen. Er hing irgendwo über London, zwischen sich und dem Himmel ein beruhigend großer Schirm aus weißer Seide. Er schien sich kaum zu bewegen. Hier – außerhalb des Flugzeugs – kam es ihm vor, als sei London viel weiter weg, eine Art Fata Morgana. Im Augenblick gab es nur ihn selbst, den Himmel und die ferne Stadt dort unten. Fast begann er seine Situation zu genießen.
Doch dann hörte er, dass das Flugzeug zurückkam.
Er entdeckte es in der Ferne. Es war sicher noch ein paar Kilometer entfernt, kam aber rasch näher. Plötzlich bog es scharf nach rechts ab. Der Motorenlärm klang heller, offenbar war die Drehzahl erhöht worden, dann schwang das Flugzeug in eine Gerade ein – und kam direkt auf Alex zu. Mr Grin war offenbar entschlossen, ihn nicht so leicht entkommen zu lassen. Näher und näher kam die Maschine, bis Alex fast glaubte, den Mann am Steuerknüppel sehen zu können – Grin mit seinem ewigen Grinsen hinter dem Fenster des Cockpits. Dieses Monster hatte offenbar vor, Alex mitten in der Luft durch die Propeller in Stücke hacken zu lassen.
Aber Alex hatte auch damit gerechnet.
Er griff in die Tasche und nahm den Gameboy heraus. Dieses Mal war keine Programmdiskette eingelegt. Im Flugzeug hatte er den Bomberboy aus dem Gerät genommen und über den Boden des Laderaums schlittern lassen. Und dort musste sich Bomberboy jetzt befinden. Direkt hinter Grins Sitz.
Alex drückte auf den Startknopf. Dreimal.
Im Cockpit explodierte etwas und eine gelbe Rauchwolke stieg auf. Sie breitete sich rasch im gesamten Flugzeug aus, wallte gegen die Scheiben und wehte durch die offen stehende Heckklappe. Mr Grins Gestalt verschwand im Rauch, wurde völlig von ihm verschluckt. Das Flugzeug geriet in Schräglage, die Tragflächen erzitterten heftig, dann kippte es ab.
Alex verfolgte aufmerksam den Flug. Er konnte sich vorstellen, dass Grin jetzt verzweifelt versuchte, das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu bringen. Es drehte sich im Sturzflug um die Längsachse, zuerst langsam, dann immer schneller. Die Motoren heulten. Jetzt stürzte es in gerader Linie hinunter und zog eine gelbe Rauchfahne hinter sich her.
In letzter Minute gelang es Grin, die Flugzeugnase wieder hochzuziehen, aber es war schon zu spät. Das Flugzeug krachte in ein verlassenes Feld hinter dem Hafen, direkt neben dem Fluss, und wurde von einem gewaltigen Feuerball verschluckt.
Alex stöhnte leise. Grin war tot – ein grauenhafter Mensch, aber doch ein Mensch. Er, Alex, hatte ihn getötet, wenn auch in Notwehr. Doch jetzt musste er verhindern, dass Sayle und seine ganze Bande noch viel mehr Menschen umbrachten.
Er blickte auf die Uhr. Drei Minuten vor zwölf. Er hing in ein paar Hundert Metern Höhe in der Luft und wenn er nicht eine punktgenaue Landung an der Tür des Science Museums machte, würde es zu spät sein. Alex versuchte sich an die Trockenübungen im Trainingslager zu erinnern. Er packte die Seile und begann zu steuern, so gut es eben ging, nach unten – so schnell wie möglich.
In der Osthalle des Science Museums näherte sich Herod Sayle dem Ende seiner Rede und dem Höhepunkt der Veranstaltung. Der gesamte Saal war für den großen Augenblick vorbereitet worden, wenn die Stormbreaker online geschaltet wurden.
Die Architektur des Saals zeigte das Spannungsverhältnis zwischen alt und neu, zwischen geschwungenen Steinbalustraden und Bodenbelägen aus rostfreiem Stahl, zwischen den neuesten High-Tech-Geräten und Maschinen aus der Frühzeit der industriellen Revolution.
Im Zentrum des Saals hatte man ein Podium errichtet, auf dem der Premierminister mit dem Regierungssprecher und dem Bildungsminister neben Herod Sayle saßen. Vor dem Podium standen zwölf Stuhlreihen – für Journalisten, Lehrer und geladene Gäste. Alan Blunt saß in der vordersten Reihe, so unbewegt und kühl wie immer. Neben ihm Mrs Jones, ganz in Schwarz gekleidet, mit einer großen Brosche am Kostümaufschlag. An beiden Seiten des Saals standen Podeste für die Fernsehkameras, die im Augenblick auf Herod Sayle gerichtet waren. Sayles Rede wurde live in die Schulen im ganzen Land übertragen und sollte auch in den Abendnachrichten gesendet werden. Der Rest des Saals war zum Bersten gefüllt mit weiteren drei- oder vierhundert Menschen, die auf der ersten und zweiten Galerie standen. Die Galerien zogen sich um den gesamten Saal, sodass Sayle von allen Seiten beobachtet wurde. Während seiner Rede summten Aufnahmegeräte und ein Gewitter von Blitzlichtern setzte ein. Noch nie hatte ein einzelner Mensch dem Land ein so großzügiges Geschenk gemacht. Es war wirklich ein ganz besonderes Ereignis. Die Anwesenden spürten, dass sie Zeugen eines historischen Augenblicks waren.
»... haben wir das, was nun geschehen wird, dem Premierminister zu verdanken, einzig und allein dem Premierminister«, sagte Sayle gerade. »Und wenn er heute Abend darüber nachdenkt, was sich heute im ganzen Land ereignet hat, dann wird er sich vielleicht an unsere gemeinsame Schulzeit erinnern und an alles, was er damals tat. Ich glaube, heute Abend wird das Land erst erkennen, was für ein Mann er ist. Doch eines ist sicher: Diesen Tag werden Sie alle niemals vergessen.«
Er verbeugte sich und ging zu seinem Stuhl zurück. Höflicher Beifall. Der Premierminister blickte etwas verwundert, erhob sich dann aber und trat ans Rednerpult.
»Ich bin nicht sicher, was ich auf Ihre Rede erwidern soll, Mr Sayle«, begann er, und viele der Anwesenden sowie alle Journalisten lachten. Die Regierung hatte eine so große Mehrheit im Parlament, dass es besser war, über alle Witze des Premierministers zu lachen, ob sie nun gut waren oder nicht. »Ich freue mich aber, dass Mr Herod Sayle so glückliche Erinnerungen an unsere gemeinsam verlebte Schulzeit hat. Ich selbst bin glücklich, dass wir beide, er und ich, heute für die Bildungseinrichtungen in unserem Land etwas so Großartiges bewirken können.« Er sah Sayle lächelnd an.
Herod Sayle erhob sich und deutete mit theatralischer Geste auf einen Tisch, der rechts neben dem Podium stand. Auf dem Tisch befanden sich ein Stormbreaker-PC mit Tastatur und daneben eine Maus. »Herr Premierminister, hier sehen Sie den Zentralrechner. Das ist der Computer, mit dem Sie alle anderen Stormbreaker in diesem Land online schalten. Bitte klicken Sie mit der linken Maustaste.«
»Gut«, sagte der Premierminister. »Fangen wir an.« Er ging zu dem Tisch hinüber, legte die Hand auf die Maus und hob den Zeigefinger leicht an. In dieser Position verharrte er, während er den Fernsehkameras lächelnd die bessere Profilhälfte seines Gesichts zuwandte und hoffte, dass die Maskenbildnerin gute Arbeit geleistet hatte. Alle Scheinwerfer und Kameras waren auf ihn gerichtet. Irgendwo draußen begann eine Uhr zu schlagen.
Alex hörte die Uhr ebenfalls – aus ungefähr hundert Metern Höhe. Das Dach des Science Museums raste auf ihn zu.
Er hatte das Gebäude erkannt, was nicht leicht gewesen war, denn die Stadt erstreckte sich unter ihm wie eine riesige, dreidimensionale Stadtkarte. Aber er hatte sein ganzes Leben in Westlondon gewohnt und das Museum oft genug von außen und von innen gesehen. Als Erstes konnte er die gewaltige viktorianische Kuppel der Albert Hall ausmachen. Direkt südlich davon lag ein hohes weißes, turmähnliches Gebäude, das von einer grünen Kuppel überragt wurde – das Imperial College. Je näher Alex dem Boden kam, desto schneller schien er zu sinken. Die ganze Stadt wurde zu einem fantastischen Puzzle; ihm war klar, dass er nur noch Sekunden hatte, die richtigen Teile zusammenzufügen. Dort – ein breites, höchst ausgefallenes Gebäude mit kirchturmähnlichen Anbauten und Fenstern. Das musste das Museum für Naturgeschichte sein. Es lag an der Cromwell Road. Wie kam man von dort zum Science Museum? Richtig – man musste an der Ampel links in die Exhibition Road abbiegen.
Und da lag es. Alex riss wild an den Fallschirmleinen, schaukelte im aufkommenden Wind und steuerte direkt auf das Museum zu. Wie klein es von hier oben aussah, verglichen mit den anderen Museen – ein rechteckiges Gebäude mit einem flachen grauen Dach, ein Stückweit von der Hauptstraße abgesetzt. Das Dach war zum Teil tonnenförmig gebaut, ähnlich wie die Dächer mancher Bahnhöfe. Die Farbe der Wölbungen war ein stumpfes Orange; sie lagen wie eine Reihe halber Zylinder nebeneinander. Anscheinend waren sie aus Glas. Alex glaubte, dass er auf dem flachen Teil des Dachs landen konnte. Von dort würde er durch die Glasfenster der Wölbungen schauen können. Die Pistole, die er dem Wachmann abgenommen hatte, steckte noch immer in seinem Gürtel. Damit würde er den Premierminister warnen. Und wenn es sein musste, würde er damit auf Herod Sayle schießen.
Wie durch ein Wunder schaffte er es, den Fallschirm direkt über das Museum zu steuern. Aber erst, als er die letzten hundert Meter fast senkrecht hinunterging, und als er die Uhr schlagen hörte, wurden ihm zwei Dinge plötzlich bewusst: Er fiel mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Und er hatte den flachen Teil des Daches verpasst.
Tatsächlich besteht das Dach des Science Museums aus zwei Teilen. Das alte, ursprüngliche Dach wurde vor über 70 Jahren gebaut und irgendwann musste dieses Dach undicht geworden sein. Die Museumsleitung hatte deshalb beschlossen, darüber ein zweites Dach aus Plastikscheiben errichten zu lassen.
Das waren die orangefarbenen tonnenförmigen Bögen, die Alex von oben erblickt hatte.
Er krachte mit den Füßen voran durch die gewölbten Plastikscheiben. Sie boten kaum Widerstand und zersplitterten. Alex stürzte fast ungebremst weiter, durch den Hohlraum zwischen den beiden Dächern, wobei er knapp neben dem Gerüst aus Stahlwinkeln, Leitern und Versorgungsleitungen vorbeifiel. Einen winzigen Augenblick lang sah er eine Art braunen Teppich, der sich über die gesamte Oberfläche erstreckte, dann krachte er auch durch diese Schicht, die dazu bestimmt war, Licht und Schmutz vom Dach fernzuhalten. Seine Füße stießen durch das Glas des alten Daches. Alex schrie laut auf vor Angst. Er wusste nicht, wie und wo sein Fall enden würde. Dann verhedderten sich seine Fallschirmleinen in den Verstrebungen über ihm. Mit einem gewaltigen, schmerzhaften Ruck blieb Alex mitten in der Luft der großen Osthalle hängen und baumelte hin und her.
Sieben Meter unter ihm und auf den Galerien rings um ihn herum standen und saßen dreihundert Menschen wie versteinert und starrten schockiert zu ihm. Schräg unter ihm befanden sich mehrere Stuhlreihen; einige der Leute waren von Scherben und Glassplittern getroffen worden und bluteten.
Quer durch den Raum hatte man eine Art Brücke aus grünen Glaselementen gebaut; an einer Seite der Halle stand ein futuristisch anmutender Informationsstand. Doch den Mittelpunkt bildete eine für die heutige Feier errichtete Bühne.
Und genau über dieser Bühne baumelte Alex. Er erblickte den Stormbreaker sofort, der sich schräg unter ihm befand, nur ein paar Meter entfernt. Gleichzeitig zuckte ein eiskalter Schock durch seinen Körper: Der Premierminister stand, Mund und Augen in ungläubigem Entsetzen aufgerissen, vor dem Computer, die Hand auf der Maus, umgeben von einer Traube von Fotojournalisten. Neben ihm war Herod Sayle.
Für den Bruchteil einer Sekunde starrten sich Alex und Sayle an.
Alex hob die Pistole und richtete sie auf den Kopf des Premierministers.
»Keine Bewegung!«, brüllte er. »Im Computer ist eine Bombe!«
Die Hand des Premierministers zuckte zurück. Die Bodyguards, die zu diesem Zeitpunkt durch den Kreis der Fotojournalisten und Kameraleute vom Premierminister getrennt gestanden hatten, warfen sich nach vorn und schrien: »Alle auf den Boden!« Gleichzeitig rissen sie ihre Waffen heraus.
Augenblicklich wandte Sayle sich zur Flucht. Doch er stolperte über den Fuß eines Kamerawagens und kam direkt neben dem Computertisch zu Fall. Aber mit unglaublicher Geistesgegenwart riss er im Stürzen die Hand hoch, um im letzten Moment noch den entscheidenden Mausklick auszuführen.
Alex versuchte zu zielen und schoss. Die Kugel traf Sayles Hand; seine Finger befanden sich weniger als zwei Zentimeter von der Maus entfernt. Die zweite Kugel traf das Netzteil des Computers, das klar sichtbar hinten aus der Maschine herausragte und beim Einschlag der Kugel in winzige Fragmente zersplitterte.
Alex ließ die Waffe fallen und breitete die Arme aus. Von Sayle abgesehen, hatte Alan Blunt am schnellsten reagiert. Er war aufgesprungen, als Alex durch die Glasdecke gekracht war und die Waffe auf den Premierminister gerichtet hatte. Bei Alex’ zweitem Schuss stand er bereits neben den Bodyguards. Jetzt hob er beide Hände in die Höhe und brüllte: »Nicht schießen!«
Die Blicke der Bodyguards zuckten zu ihm hinüber, dann richteten sie sich wieder auf Alex. Ein Dutzend Pistolenmündungen zielten auf ihn. Den Bodyguards musste Alex wie ein Terrorist erscheinen, der ein Attentat auf den Premierminister verüben wollte.
Alex kam sich ziemlich lächerlich vor. Er baumelte in der Luft, die Arme ausgebreitet wie eine Christus-Imitation, und wartete darauf, von Kugeln durchlöchert zu werden. Nichts geschah. Ein paar Sekunden lang herrschte atemlose Stille.
Dann brach das Chaos los.
Alle Sicherheitsleute trugen Funkgeräte mit Ohrstöpseln. Mrs Jones hatte fast gleichzeitig mit Alan Blunt »Nicht schießen!« geschrien und mehrfach wiederholt. »Nicht schießen! Wartet auf meine Befehle!« Jetzt übernahm sie die Regie.
Auf dem Podium stieg eine kleine Rauchwolke aus dem Netzteil des Computers. Zwei Sicherheitsbeamte hatten sich über den Premierminister geworfen und rappelten sich jetzt vorsichtig auf, wobei sie ringsum mit ihren Pistolen sicherten. Die Journalisten schrien wild durcheinander; einige hatten bereits ihre Mikrofone vorgereckt, um eine erste Stellungnahme vom Premierminister zu verlangen, der geschockt auf dem Boden saß. Die Kameras schwangen vom Premierminister herum auf Alex, der noch immer über ihnen in der Luft hing, ein verlegenes Grinsen auf dem Gesicht.
Mrs Jones ratterte eine Serie präziser Befehle in ein Mikro, das an ihrem Jackettaufschlag befestigt war. Mehrere Bodyguards rannten zu den Saaleingängen, um sie zu verschließen. Alan Blunt ging auf den Premierminister zu. Er war sicher, dass dieser ein paar Fragen hatte.
Alex blickte sich entsetzt nach Herod Sayle um. Der kleine Mann war verschwunden. Alex hatte ihn im allgemeinen Durcheinander aus den Augen verloren. Doch eine Spur von Blutstropfen führte zu einem Ausgang, der sich hinter der Bühne befand ...