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Ein Schiff war natürlich darin verwickelt. Seit er neun Jahre alt war, hatten seine Träume von Schiffen gehandelt. Zuerst Schiffe aus Plaststahl und Kunstglas, die die Meeresengen und Archipele von Calafia durchsegelten, später dann Raumschiffe. Toshio hatte von Schiffen jeglicher Form geträumt, einschließlich der Schiffe der mächtigen Patronrassen der Galaktischen, die er eines Tages zu sehen hoffte.

Jetzt träumte er von einem Dingi.

Die winzige Kolonie der Menschen und Delphine auf seiner Heimatwelt hatte ihn zusammen mit Akki auf einem Auslegerboot hinausgeschickt – sein Anstecker mit dem Emblem der Akademie von Calafia glänzte hell im Schein von Alepho. Es schien ein herrlicher Tag zu werden.

Bald verfinsterte sich allerdings der Himmel, und alles um ihn herum nahm die gleiche Farbe wie das Wasser an. Das Wasser wurde galliggrün, dann schwarz, plötzlich verwandelte es sich in Vakuum, und überall waren Sterne.

Er würgte nach Luft. Weder er noch Akki hatten einen Raumanzug an. Es war wirklich hart zu versuchen, das Vakuum zu atmen.

Er wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als er sah, daß er gejagt wurde. Galaktische mit Köpfen von jeder Farbe und Gestalt, mit langen gewundenen Armen oder winzigen, nach ihm packenden Klauen oder Schlimmerem ruderten mit sicheren Bewegungen zu ihm und riefen mit hohlen Stimmen. Die schlanken Bugspitzen ihrer Boote funkelten wie das Sternenlicht.

„Was wollt ihr?“ schrie er, während er mühsam paddelte, um zu entkommen. (War das Boot nicht mit einem Motor ausgestattet gewesen?)

„Wer ist dein Herr?“ riefen sie in tausend verschiedenen Dialekten. „Ist es der neben dir?“

„Akki ist ein Flosser! Die Flosser sind unsere Schutzbefohlenen! Wir hoben sie auf einen höheren Stand und befreiten sie!“

„Dann sind sie frei“, gaben die Galaktischen zurück, während sie näher herankamen. „Aber wer brachte euch den Aufschwung? Wer befreite euch?“

„Ich weiß es nicht!“ kreischte er. „Vielleicht haben wir es selbst geschafft!“ Er ruderte schneller, während die Galaktischen lachten. Er kämpfte damit, das zähe Vakuum zu atmen. „Laßt mich allein! Laßt mich nach Hause!“

Plötzlich zeichnete die Flotte sich undeutlich über seinem Kopf ab. Die Schiffe schienen größer als Monde, größer als die Sterne. Sie hingen dort still und dunkel, und ihr Anblick schien selbst die Galaktischen zu entmutigen – die aber nichtsdestotrotz von jedem Ruderschlag, nun lautlos, näher herangetragen wurden.

Der vorderste der uralten Globen begann sich zu öffnen. Dann bemerkte Toshio, daß Akki verschwunden war. Sein Boot war verschwunden. Die E.T.s waren verschwunden.

Er wollte schreien, aber Luft war sehr rar.

 

Ein durchdringender Pfiff machte ihn in einem schmerzhaften, desorientierten Augenblick munter. Er setzte sich plötzlich auf und fühlte den Schlitten unter dieser Bewegung unschön hüpfen. Während seine Augen ein verwischtes Durcheinander des Horizonts aufnahmen, blies eine steife Brise über sein Gesicht. Der Geschmack von Kithrup begrüßte seine Nase.

„Es wurde auch Zeit, Leiternsteiger. Du hast uns-s ganz schön erschreckt.“

Toshio wankte einen weiteren Moment, dann sah er Hikahi in der Nähe schwimmen und ihn mit einem Auge inspizieren.

„Ist mit dir alles in Ordnung, kleiner Scharfe Augen?“

„Ähm … ja, ich glaube schon.“

„Dann solltest du dich am besten um deinen Schutzanzug kümmern. Wir mußten ihn erst einmal aufschneiden, um dir Luft-t zu geben.“

Toshio befühlte den messerscharfen Schnitt mit seiner linken Hand. Er bemerkte, daß beide Hände geschickt verbunden waren.

„Ist sonst noch jemand verletzt worden?“ fragte er, als er in seiner Schenkeltasche nach dem Reparaturset kramte.

„Einige kleinere Verbrennungen. Wir haben den Kampf genossen, nachdem wir wußten, daß du okay warst-t-t. Vielen Dank für die Meldung über Ssassia. Wir hätten niemals dort nachgesehen, wenn du nicht gefangen worden wärst und uns deine Entdeckung mitgeteilt hättest. Sie wird gerade herausgeschnitten.“

Toshio wußte, daß er Hikahi dankbar dafür sein mußte, daß sie sein Mißgeschick in diesem Licht darstellte. Eigentlich sollte sie einen ärgerlichen Wortschwall über ihn ausschütten, dafür, daß er unbesonnen die Formation verlassen und beinahe sein Leben verloren hatte.

Aber Toshio fühlte sich zu verloren, um sich auch nur ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber dem delphinischen Leutnant zu erlauben.

„Ich nehme an, daß man Phip-pit noch nicht gefunden hat?“

„Von ihm gibt es nach wie vor kein Anzeichen.“

Die langsame Rotation von Kithrup hatte die Sonne so weit wandern lassen, wie es um vier Uhr, Erdzeit, aussehen würde. Tiefhängende Wolken zogen sich am östlichen Horizont zusammen. Über dem Wasser lag eine Unruhe, die vorher noch nicht dagewesen war.

„Es wird ein wenig Wind aufkommen“, meinte Hikahi. „Es-s mag zwar unklug sein, auf einer fremden Welt den irdischen Instinkten zu folgen, aber ich denke, daß wir nichts zu fürchten haben.“

Toshio blickte auf. Im Süden war irgend etwas … er blinzelte.

Da war es wieder: ein Aufblitzen, dann noch einmal. Zwei schwache Lichtausbrüche folgten in schneller Reihenfolge, im Gleißen der See fast unsichtbar.

„Wie lange dauert das schon an?“ Er wies mit einer Gebärde zum südlichen Himmel.

„Was meinst du, Toshio?“

„Dieses Aufblitzen. Könnten es Blitze sein?“

Die Flosserin kniff ihre Augen zusammen, und ihr Mund kräuselte sich abschätzend. Hikahis Schwanz schlug hin und her, und sie richtete sich im Wasser auf, um zuerst das eine, dann das andere Auge nach Süden zu richten.

„Ich sehe nichts, Scharfe Augen. Erzähl mir, was du siehst.“

„Vielfarbige Blitze. Lichtausbrüche. Viele …“ Toshio hörte auf, seine Hose zusammenzukleben. Für einen Augenblick blickte er starr vor sich hin, versuchte sich zu erinnern.

„Hikahi“, sagte er langsam, „ich glaube, Akki rief mich während des Kampfes mit dem Tang über Funk. Hast du irgend etwas mit deinem Gerät empfangen?“

„Nein, Toshio. Aber denk daran, daß wir Flosser während eines Kampf-pfes nur schlecht abstrakt denken können. Ver-Versuch bitte, dich daran zu erinnern, was er sagte.“

Toshio fuhr sich über die Stirn. Die Begegnung mit dem Tang war etwas, an das er sich nicht gerade jetzt erinnern wollte. Alles vermischte sich mit seinem Alptraum – ein Durcheinander aus Farben und Geräuschen und Verwirrung.

„Ich glaube … ich glaube, daß er etwas darüber sagte, daß wir Funkstille halten und zurückkommen sollten … und vielleicht etwas über eine Raumschlacht?“

Hikahi entfuhr ein gepfiffenes Stöhnen, dann schnellte sie mit einer Rückwärtsrolle aus dem Wasser.

* Versteckt euch*

*Verschließt euch*

*Entgegengesetzt – erst dann auftauchen*

Saloppes Trinarisch. Es waren Anklänge von Ur-Delphinisch enthalten, die Toshio natürlich nicht verstehen konnte. Aber sie ließen einen Schauer sein Rückgrat hinablaufen. Hikahi war der letzte Flosser, von dem er jemals angenommen hätte, er könne in Ur-Delphin verfallen. Als er mit dem Flicken seiner Hose fertig war, wurde ihm ärgerlich klar, was es sie kosten mochte, daß er Hikahi nicht früher informiert hatte.

Er ließ seinen Helm zuschnappen und sich dann auf seinen Bauch plumpsen, um die Ventilklappen der Ballasttanks aufzudrücken, gleichzeitig überprüfte er die Anzeigen an seinem Helmkranz. Er durchflog die Checkliste für das Abtauchen mit einer Schnelligkeit, wie sie nur ein calafianischer Kolonist der vierten Generation erreichen konnte.

Der Bug seines Schlittens war in schnellem Sinken begriffen, als das Meer zu seiner Rechten aufspritzte. Sieben Delphine tauchten in einem Wasserschwall auf und entließen sprühend ihren Atem.

„S-s-sassia ist an deinem Heck festgebunden, Toshio. Du k-könntest dich etwas beeilen!“ drängte er. „Wir haben jetzt keine Zeit zum Trödeln oder um eine W-W-Weise anzustimmen!“

Toshio schnitt eine Grimasse. Wie konnte Toshio vorher so verzweifelt um das Leben von jemandem kämpfen, den er so verspottete?

Er rief sich in Erinnerung, wie Keepiru in den Tang gefahren war, der verzweifelte Blick in seinen Augen und das Aufglühen, als er Toshio bemerkt hatte. Jetzt benahm er sich so grausam und höhnisch wie immer.

Ein heller Lichtstrahl blitzte im Osten auf. Die Flosser quiekten fast wie ein einziger auf und tauchten augenblicklich – alle außer Keepiru, der bei Toshio blieb –, während die Wolkenbank im Osten Speerspitzen, die einen Feuerschweif hinter sich herzogen, in den nachmittäglichen Himmel spie.

Der Schlitten sank schließlich, aber Toshio und Keepiru sahen im letzten Augenblick den rasenden Kampf der Giganten.

Ein riesiger, pfeilförmiger Raumer stürzte brennend und mit Einschüssen bedeckt auf sie nieder. Schleppen purpurfarbenen Rauches, die im Wind flatterten, dampften aus großen Rissen in seinen Flanken und wurden in den engen Schockwellenkorridor seines überschallschnellen Fluges zurückgerissen. Die Schockwelle verzerrte sogar das Schimmern der Schutzfelder des großen Schiffes, Hüllen aus Schwerkraft und Plasma, die in unheilvoller Überladung funkelten.

Zwei ankerförmige Zerstörer hatten sich nicht mehr als vier Schiffslängen dahinter an ihm verbissen. Strahlen, wahrscheinlich beschleunigte Antimaterie, schlugen aus jedem der dreiecksförmig angeordneten Ankerhaken – für gewöhnlich wurden sie von den Schutzfeldern ihrer Jagdbeute abgelenkt, aber während Toshio zusah, trafen sie ihr Ziel zweimal mit fürchterlichen Explosionen.

Toshio war fünf Meter unter der Oberfläche, als die Schallwelle ihn traf. Sie warf den Schlitten vornüber und ließ ihn sich weiter überschlagen, inmitten eines Grollens, das sich wie ein einstürzendes Haus anhörte, wieder und wieder. Das Wasser war ein wirbelnder Mahlstrom aus Blasen und Leibern.

Während er gegen die Ohnmacht kämpfte und mit dem Schlitten focht, dankte Toshio der Unendlichkeit dafür, daß er nicht an der Oberfläche gewesen war, als die Auswirkungen des Kampfes darüber hin wegzogen.

Der Lärm senkte sich zu einer Folge lauten Dröhnens. Toshio gelang es, den Schlitten aufzurichten, und hatte dann die Möglichkeit, sich umzublicken.

Niemand schien verletzt zu sein. Ssassias jämmerlicher Leichnam war weiterhin am hinteren Ende des Schlittens vertäut. Die anderen Flosser, entweder zu erschrocken oder zu vorsichtig, um aufzutauchen, begannen, die kleinen Luftkuppeln, die am unteren Rand des Schlittens aufgereiht waren, zu umkreisen. Toshios Aufgabe war es, den Schlitten ruhig zu halten. Das war im aufgewühlten Wasser nicht einfach, aber er tat es, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden.

Auf Morgran hatten sie Schiffe abstürzen sehen. Aber nie so nah.

Sie waren nahe an der abfallenden Westkante eines riesigen, gräulichen Metallwalls. Er betrachtete unbehaglich die Wasserpflanzen, die in Abständen seine Flanke bewuchsen. Sie sahen nicht so aus wie dieser Würgetang, aber das war keine Garantie. Toshio dachte an die größeren Lebewesen, die die gewohnte Beute dieses Tangs waren. Sie dürften genauso gefährlich sein.

Mehr und mehr begann ihm der Aufenthalt hier zu mißfallen.

Er wünschte sich nach Hause, wo die Gefahren der See simpel und einfach gestaltet waren – Seetang-Schlinger, Inselschildkröten und ähnliches – und wo es keine E.T.s gab.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“ fragte Hikahi, als sie neben ihm schwamm. Toshio sah Keepiru in der Nähe treiben und ihn besorgt beobachten.

„Mir geht’s gut“, grummelte er. „Es war doch gut, nicht länger zu warten, um dir von Akkis Nachricht zu erzählen. Du hast allen Grund, wütend auf mich zu sein.“

„Sei nicht-t albern. Wir schwimmen jetzt weiter. Krookida ist erschöpft, daher habe ich ihn unter einer Luftkuppel verankert. Du wirst dich mit den Spähern weiter vorwärts arbeiten. Wir werden folgen. Also startet-t jetzt!“

Toshio nahm seine Tätigkeit auf und zog das Drosselventil stufenweise bis zum Maximum auf. Die Rückstoßaggregate summten, während der Schlitten beschleunigte. Der Wall wich langsam zu seiner Rechten zurück. Einige der stärkeren Schwimmer behielten das Tempo an seiner Seite bei.

Sie brauchten etwa fünf Minuten, um aufzubrechen. Trotzdem hatten sie noch Zeit, eine kleine Strecke zurückzulegen, bevor der Tsunami über sie hereinbrach.

 

Es war keine riesige Wasserwand, wie sie manchmal vorkommen. Es war lediglich die erste einer Serie von flachen Wellen, die sich von dort ausbreiteten, wo ein Kieselstein ins Meer geworfen worden war. Dieser „Kiesel“ mußte ein Raumschiff von einem halben Kilometer Länge gewesen sein. Er war in nur etwa fünfzig Kilometer Entfernung mit Überschallgeschwindigkeit hineingeworfen worden.

Die Welle schleuderte den Schlitten in die Höhe und zur Seite, rüttelte ihn fast auseinander. Eine Ansammlung von dem Meer entstammenden Trümmern – ausgerissene Pflanzen, tote und lebende Fische – wirbelte um ihn herum wie Erdklumpen in einem Staubsturm. Das Grollen war ohrenbetäubend.

Toshio hantierte verzweifelt an den Kontrollen. Irgendwie schaffte er es, den Bug des Schlittens gegen die unglaubliche Trägheit des Wassers von der Wellenfront abzudrehen. Rechtzeitig konnte er aus der blubbernden, nach unten führenden Wasserzirkulation ausbrechen und ließ den Schlitten in die Richtung der Strömung davongleiten – nach Osten.

Eine aschgraue Gestalt durchschnitt links von ihm die See. Sofort erkannter er Keepiru, der damit kämpfte, im aufgewühlten Wasser die Gewalt über seine Bewegungen zu behalten. Der Flosser quiekte irgend etwas Unverständliches auf trinar, dann war er verschwunden.

Irgendein Instinkt leitete Toshio – oder vielleicht war es der Sonarschirm, jetzt ein Durcheinander aus flirrendem Schnee, der aber immer noch die schwachen, eingeblendeten Spuren der Bodenkarte zeigte, wie sie vor nur wenigen Augenblicken erschienen waren. Toshio zwang den Schlitten in eine Linkskurve, so steil wie er konnte, ohne einen Überschlag zu riskieren.

Das Summen der Notaggregate ging in ein Kreischen über, als er plötzlich in Verzweiflung die Maschine hart nach Backbord zog. Die riesige, dunkle Masse eines Metallwinkels erhob sich über ihm.

Er konnte bereits eine Tiefenströmung feststellen, als die Schockwelle begann, zu seiner Rechten Brecher zu bilden – die sich zusammenrollten und wie ein Zyklon das abfallende Ufer der Insel hinauf rasten.

Toshio wollte aufschreien, aber der Kampf, aufrecht zu verharren, nahm ihm allen Atem. Statt dessen preßte er die Zähne zusammen und zählte still, während die schrecklichen Sekunden verrannen.

Rechtzeitig tauchte die scharfe Kante des Walls auf. Nach zehn Metern schwamm der Schlitten in einer Wolke aus Blasen um die klippenartige Nordseite. Toshio war sich schwach dessen bewußt, daß er, obwohl immer noch unter Wasser, zu seiner Rechten hinunterblicken und die niedrigen Strandkräuter der Insel sehen konnte. Er ritt im Zentrum eines hohen Wasserberges.

Dann war er hindurch. Das Meer öffnete sich vor ihm, und einer der tiefen Ozeangräben lag düster und scheinbar endlos unter ihm. Toshio zog die Bugflosse in diese Richtung und flutete die Tanks. Der Schlitten tauchte schneller als jemals zuvor in die Tiefe.

Das Hecktriebwerk trieb ihn stotternd vorwärts. Toshio passierte Wolken herabsinkender Trümmer, die in den gegensätzlichen Gezeitenströmen gefangen waren. Dunkelheit und Kälte erreichten ihn, und er suchte den Frost wie eine Zuflucht. Das Tal stieg sanft hinter ihm an, als er mit dem Schlitten in eine ruhig gebliebene Tiefe gelangte. Über sich konnte er wahrnehmen, wie der Tsunami über ihn hinwegrollte. Die Wasserpflanzen um ihn herum wogten ungewohnt hin und her. Ein Schuttregen sank langsam überall nieder. Aber das Wasser versuchte nicht mehr, ihn zu Tode zu prügeln. Toshio flachte den Tauch Vorgang ab und wandte sich, weg von allem, zur Mitte des Tales, dann erlaubte er sich, in einer Agonie gequetschter Muskeln und der Reaktion auf das Adrenalin zu versinken.

Automatisch zwang er sich dazu, die Instrumente zu überprüfen. Wie bei einem nachträglich eingefallenen Gedanken pries er die kleinen, von Menschen entworfenen Symbionten, die sein Blut in diesem Augenblick von im Übermaß vorhandenen Stickstoff reinigten, der sonst in dieser Tiefe gefährliche Wahnvorstellungen hervorrufen würde.

Er drosselte die Leistung der Aggregate auf ein Viertel, und sie seufzten still mit der Erleichterung einer Maschine.

Überraschenderweise leuchteten die Anzeigelämpchen des Schlittens nach dieser rauhen Behandlung zum größten Teil noch grün. Dennoch würde er bald überholt werden müssen.

Ihm fiel eine der Anzeigen ins Auge – eine Luftkuppel war in Betrieb. Plötzlich erfaßte Toshio einen schwachen, singenden Ton – ein Pfeifen voller Ausdauer und Verehrung.

 

* Der Ozean ist wie ist wie ist –

der endlose Seufzer des Traumes –

von anderen Meeren, die es gibt, die es gibt –

und in ihnen weitere, inmitten des Traumes –*

 

Toshio schaltete die Unterwasserlautsprecher ein.

„Krookida! Alles in Ordnung? Hast du genug Luft?“

Ein bebendes, erschöpftes Seufzen folgte.

„F-F-Flinke Finger, hallo! Ich d-danke dir für meine Rettung. Du bist so gut wie jeder Tursiops geschwommen.“

„Das Schiff, das wir sahen, muß abgestürzt sein! Wenn es das war, kannst du wetten, daß es Nachbeben geben wird. Vielleicht ist es am besten, wenn wir eine Weile hierbleiben. Ich werde das Sonar in Betrieb setzen, so daß die anderen uns finden und herkommen können, um Luft zu holen, während das Beben verebbt.“ Er legte den Schalter um, und sofort wurde eine kurze Folge von Klicktönen an das umgebende Wasser abgestrahlt. Krookida stöhnte.

„Sie werden auf deinen Ruf nicht antworten.“

Toshio blickte finster. „Sie müssen! Hikahi wird über das Nachbeben Bescheid wissen. Wahrscheinlich suchen sie gerade nach uns. Vielleicht ist es doch besser, wenn ich umkehre …“ Er machte sich daran, den Schlitten zu wenden und Ballast abzulassen. Krookida begann ihn zu beunruhigen.

„Kehre nicht um, Toshio! Es wird nichts Besseres dabei herauskommen, als daß auch du stirbst! Warte, bis die Wellen vorbei sind-d-d! Du mußt am Leben bleiben, um Crei-deiki zu informieren!“

Wovon redest du?“ schrie Toshio.

„Lausche, Scharfe Augen! Lausche!“

Toshio schüttelte den Kopf, fluchte dann und drückte das Drosselventil wieder zu, bis die Maschine erstarb. Dann drehte er den Verstärker der Unterwassermikrofone höher.

„Hörst du …?“ fragte Krookida.

Toshio richtete den Kopf auf und lauschte. Das Meer war ein Durcheinander aus Geräuschen. Das Grollen des sich entfernenden Tsunami wurde dumpfer, während er dalag. Fischschulen gaben erschreckte Laute von sich. Von überall her kamen die Geräusche vom Schaben der Felsen und das Rauschen der Inselbrandung.

Dann hörte er es. Ur-Delphinisch … kein moderner Delphin benutzte es, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.

Das waren an sich schlechte Nachrichten.

Einer der Schreie war eindeutig. Bei zwei verschiedenen Stimmen konnte er leicht feststellen, daß es das allgemeine Notsignal war. Das früheste delphinische Zeichen, das die menschlichen Wissenschaftler verstanden hatten.

Aber der andere Laut … mindestens drei Stimmen fielen in ihn ein. Ein fremdartiger Klang. Toshio wollte aufschreien, während er ihn hörte. Er war sehr eindringlich und sehr verkehrt!

„Rettungsfieber“, stöhnte Krookida. „Hikahi ist gestrandet und verletzt. Nur sie hätte es v-verhindern können, aber jetzt ist sie im Fieberwahn und vermehrt unsere Sch-Schwierigkeiten!“

„Hikahi …“

„Sie hat Keeneenk-k studiert – die Beschäftigung mit den logischen Disziplinen. Sie wäre in der Lage gewesen, die anderen zu zwingen, die Schreie der ans Ufer Gespülten zu ignorieren und für einige Zeit-t in Sicherheit zu tauchen.“

„Erkennen sie denn nicht, daß es Nachbeben geben wird?“

„Die B-B-Beben sind kaum von Bedeutung, Scharfe Augen!“ schrie Krookida. „Sie werden sich selbst, ohne Hilfe, an den Strand werfen. Du bist von Calafia. Wie kannst du so etwas über uns-s-s nicht wissen? Ich verzehre mich danach, während ich den Ruf beantworte, wegzuschwimmen und zu sterben!“

Toshio seufzte. Natürlich wußte er vom Rettungsfieber. Alle paar Jahre traf diese Tragödie sogar die hochentwickelten Delphine von Calafia. Akki hatte ihm einmal erklärt, daß manchmal das Meer selbst um Hilfe zu schreien schien.

Einige Menschen behaupteten, es auch gefühlt zu haben – besonders jene, die während der Riten des Traumkults delphinische RNS aufnahmen.

Vor langer Zeit war es der Tursiops oder Flaschennasen-Delphin gewesen, der sich am wenigsten von allen Meeressäugern selbst angestrandet hatte. Er war teilweise gegen die Fadenwürmer, die die Ohren anderer Walarten befielen, resistent und hatte einen eigenen Weg gefunden, um gegen das Rettungsfieber zu kämpfen.

Aber die genetische Manipulation hatte das Gleichgewicht irgendwo durcheinandergebracht. Seit drei Generationen arbeiteten Genetiker der Menschen, Flosser und Schimps an diesem Problem. Aber bis heute schwammen die Flosser an einem scharfen Grat, wo die Irrationalität eine ständige, wenn auch entfernte Gefahr darstellte.

Toshio biß sich auf die Lippen.

„Sie haben ihre Rüstungen“, meinte er unsicher.

„Wir können nur hoffen. Aber wie wahrscheinlich ist es, daß sie sie richtig benutzen, wenn sie jetzt sogar Ur-Delphinisch sprechen?“

Toshio schlug mit der geballten Faust gegen den Schlitten. Seine Hand war fast starr vor Kälte. „Ich steige auf“, kündigte er an.

„Nein! Das darfst du nicht! Du mußt deine Sicherheit wahren!“

Toshio knirschte mit den Zähnen. Immer bemuttern sie mich. Die Flosser behandeln mich wie ein Baby, und ich bin es leid!

Er zog das Drosselventil zu einem Viertel auf und stellte die Bugflossen auf. „Ich werde dich losmachen, Krookida. Kannst du vernünftig schwimmen?“

„J-J-Ja. Ab-b-ber …“

Toshio blickte auf seinen Sonar-Schirm. Im Westen bildete sich eine faserige Linie.

„Kannst du schwimmen?“ fragte er fordernd.

„J-Ja. Ich kann gut genug schwimmen. Aber laß mich nicht in der Nähe des Rettungsfiebers los! Geh kein Risiko mit den Nach-beb-ben ein!“

„Ich sehe gerade eines herankommen. Sie sind immer einige Minuten auseinander und schwächen sich mit der Zeit ab. Ich werde es so einrichten, daß wir genau dann aufsteigen, wenn eines vorüber ist. Dann kannst du dich auf den Weg zurück zum Schiff machen. Unterrichte sie davon, was hier los ist, und bringe Hilfe.“

„Das solltest eigentlich du tun, Toshio.“

„Kümmere dich nicht darum! Wirst du tun, um was ich dich bitte? Oder muß ich dich angebunden lassen?“

Es gab eine fast unmerkliche Pause, aber Krookidas Stimme hatte sich verändert. „Ich werde genau das tun, was du gesagt hast. Ich werde Hilfe herbeiholen.“

Toshio überprüfte den Auftrieb und flachte den Aufstieg des Schlittens sanft ab. Dann beugte er sich über den Rand und hielt sich mit einer Hand an den Halterungen bei der Kante fest.

Krookida blickte ihn durch die transparente Schale der Luftkuppel an. Die harte, blasenförmige Membran stülpte sich vom Rand der Kuppel um den Kopf des Delphins.

Toshio zog die Seile, die Krookida festhielten, locker. „Du weißt, daß du einen Atmer mitnehmen mußt.“

Krookida seufzte, aber er regte sich nicht, als Toshio den Hebel an der Luftkuppel drückte. Ein schmaler Schlauch senkte sich herab und glitt in das Atemloch des Flossers. Er fuhr fort, sich wie eine Schlange herabzuwinden, bis ein drei Meter langer Schlauch um Krookidas Nacken gewickelt war. Jetzt war es für den Flosser nicht nur unbequem, sondern es war ihm auch unmöglich, sich mit anderen zu unterhalten. Zum Luftholen mußte er jetzt nicht mehr nach oben kommen.

Toshio wickelte das letzte Seil um einen Haltering und zog sich gerade rechtzeitig auf das Oberdeck, um das erste über seinen Kopf hinwegrollende Nachbeben zu bemerken.

Der Schlitten tanzte ordentlich, aber diesmal war er vorbereitet. Die Welle rollte mit erstaunlicher Schnelligkeit vorbei.

„Okay, ab geht’s.“ Er zog das Drosselventil bis zum Maximum auf und ließ seinen Ballast ab. Bald erschien zu seiner Linken die metallische Insel. Das Gekreische seiner Kameraden wurde deutlich lauter. Der Notruf hob sich nun von der Reaktion auf das Rettungsfieber ab.

Toshio steuerte nach Norden, am Wall vorbei. Er wollte Krookida zu guten Startbedingungen verhelfen. Der Atmer würde den alten Metallurgisten dabei unterstützen, die Schreie im Wasser zu ignorieren – eine ständige, unangenehme Erinnerung daran, daß er Mitglied einer technologischen Kultur war. Aber Toshio wollte Krookida auch zu einer gewissen Entfernung verhelfen.

In diesem Augenblick schoß jedoch eine glatte Speerspitze aus Stahlgrau über Toshio weg. Toshio erkannte sie sofort – und wohin sie zielte.

Er schnitt das letzte Seil durch. „Beweg dich, Krookida! Wenn du wieder irgendwo in die Nähe der Insel zurückkommst, werde ich deine Rüstung aufreißen und deinen Schwanz in zwei Hälften beißen!“

Er plagte sich nicht damit zurückzuschauen, während er die Energiereserven zuschaltete, um Keepiru einzuholen. Der schnellste Schwimmer aus der Mannschaft der Schnüffler steuerte direkt auf den westlichen Strand zu. Seine Schreie erklangen in reinem Ur-Delphinisch.