10
HUNNAR WAR ZU NERVÖS ZUM SITZEN. Er lief mit großen Schritten durch den Speiseraum der Slanderscree, zupfte an seinen Dan und klickte mit den Fangzähnen.
Flucht kam nicht in Frage. Die Ankertaue des Eisklippers waren um die schwereren Pfeiler des Docks gewickelt worden, und Corfu hatte eine Wache auf Deck postiert. Nachdem sie von der Anlage zurückgekehrt waren, hatten sie der Besatzung die Lage erläutert. Nun berieten sich die Matrosen und Soldaten draußen auf dem Deck, während Hwang und ihre Begleiter in der Messe besorgt ihre Möglichkeiten diskutierten.
Dazu kamen die anderen Menschen sowie Elfa und Hunnar. Etwas abseits saßen Ta-hoding, Suaxus-dal-Jagger und die Maate der Slanderscree.
»Ich verstehe nicht, was an dem Angebot, das er uns gemacht hat, so schlecht sein soll.« Der zweite Maat, Mousokka, lehnte mit gekreuzten Armen an der Wand.
»Du kannst es nicht zulassen, daß jemand deine Welt so auf den Kopf stellt«, versuchte Ethan zu erklären.
»Warum nicht?« Der Maat sah ihn scharf an und ließ seinen Blick dann durch den Raum wandern. »Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber mir gefällt der Gedanke, daß es immer warm ist. Nur weil unser Wetter immer kalt ist, muß es einem doch nicht gefallen. Der winterliche Nordwind macht mir nie Freude. Wenn unsere Körper sich von selbst an wärmere Temperaturen anpassen, warum sollten wir sie dann nicht willkommen heißen?«
»Und wir könnten außerdem«, warf der dritte Maat ein, »einen Vorteil gegenüber allen anderen Tran erringen, wie dieser Mensch sagt. Mit der Slanderscree als Führungsschiff könnten alle aus Wannome hierher umsiedeln.«
»Das würde bedeuten, mit nichts in der Hand von vorn zu beginnen«, wandte Elfa ein. »Würdest du wirklich die Heimat deiner Vorväter für ein Versprechen verlassen?«
»Wenn richtig ist, was dieser Mensch sagt, werden wir eines Tages sowieso dazu gezwungen sein. Wir werden wie die Goldene Saia.« Kilpit sah Ethan an. »Stimmt das?«
Ethan nickte. »Aber wir sprechen über zehntausend Jahre oder mehr, bevor es auf natürliche Weise zu einer Veränderung kommt.«
»Warum nicht jetzt anfangen? Dieser Mensch sagt, seine Leute werden uns helfen. Wir werden leichte Waffen und Himmelsboote zur Verwendung erhalten.«
»Zu einem Preis«, knurrte Hunnar, »zu einem Preis, den wir nicht kennen.«
Kilpit sah Mousokka auffordernd an und zuckte dann die Achseln. »Alles hat seinen Preis. Wir können jetzt diese Menschen bezahlen oder später die Welt.«
»Was ist mit eurer Union?« fragte September ihn. »Was ist mit der Idee passiert, daß alle Tran sich vereinigen und für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten?«
»Wir werden alle vereinigt, wenn die Welt wärmer wird und die Eisozeane sterben. Nur daß einige die Chance haben, vor allen anderen vereinigt zu werden.«
»Solche Gedanken widersprechen der Idee einer Union zutiefst. Entweder arbeiten wir gleichberechtigt zusammen, oder wir können überhaupt nicht zusammenarbeiten«, beharrte Hunnar.
»Zu viel zu entscheiden für einen Tag«, murmelte Ta-hoding. »Zu viel. Natürlich können wir dieses spalterische Angebot nicht akzeptieren. Das ist undenkbar.«
»Undenkbar für Euch vielleicht«, grollte Kilpit. »Was werdet Ihr tun, wenn die Meere schmelzen und Ihr kein Eis mehr habt, um darauf zu segeln, Kapitän?«
»Ich werde lernen, eines dieser Himmelsboote zu lenken. Oder ich werde ein anderes Gewerbe erlernen. Was ich nicht tun werde, ist, meine Ideale oder meine Geburtswelt zu verraten, nur weil irgendein mageres, pelzloses Geschöpf von irgendwoher mir sagt, es sei das Beste für mich.« Er starrte seinen dritten Maat wütend an. »Das ist es, was ihr, Mousokka und du, zu vergessen scheint. Wir Tran haben immer unsere eigenen Entscheidungen getroffen. Nicht immer aus den besten Gründen und Motiven, doch zumindest waren es unsere. Mir mißfällt der Gedanke, daß meine Zukunft und die meiner Kinder von jemand anderem entschieden wird, ganz unabhängig davon, daß er die besten Absichten haben mag.«
»Ich glaube nicht, daß er so wohlgesonnen ist, wie er vorgibt.« September puhlte zwischen seinen Zähnen herum. »Bei diesen >reinen Forschung<-Typen von Wissenschaftlern weiß man nie. Sie leben in ihren eigenen kleinen Welten. Solange sie hin und wieder eine Theorie beweisen können oder so, sind sie glücklich. Soweit es sie betrifft, kann der Rest des Universums getrost zum Teufel gehen. Er argumentiert gut, aber nicht plausibel.«
»Dann ist es abgemacht«, sagte Hunnar entschlossen. »Wir werden dieses Angebot zurückweisen.«
»Aber nicht sofort«, hielt Ethan ihn zurück. »Wir müssen es so aussehen lassen, als ob ihr zögert. So werden wir Zeit gewinnen, bis wir herausgefunden haben, wie wir hier ausbrechen können, um die Behörden zu informieren. Wenn das ein so segensreiches Unternehmen ist, aus dem angeblich die Tran den größten Nutzen ziehen, soll doch die Xenologische Gesellschaft des Commonwealth dessen Wert diskutieren, nicht wir.«
»Das spielt keine Rolle mehr.« Kilpit stand plötzlich auf und ging zur Tür. »Ihr habt eure Entscheidung getroffen. Wir unsere.«
»Wir?« Hunnars Fell richtete sich auf.
Ta-hoding stand ebenfalls auf und kniff stirnrunzelnd die Augen zusammen. »Kilpit, du bist ein guter und treuer Maat gewesen, doch jetzt gehst du zu weit. Du vergißt dich.«
»Im Gegenteil, mein Kapitän«, erwiderte der dritte Maat, mit einem Hauch der alten Ehrerbietung in der Stimme, »ich bin es, den ich nicht vergessen darf.« Mousokka stellte sich neben ihn an die Tür. »Mich selbst, meine Verwandten, die ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe, und meine Freunde.« Sein Blick zuckte durch den Raum.
»Ihr solltet euch hören! Ihr seid solange unter Himmelsleuten gewesen, daß ihr vergessen habt, was es heißt, Tran zu sein. Ich habe es nicht vergessen. Es bedeutet, zu überleben so gut man kann. Es bedeutet, darum zu kämpfen, für sich und seine Familie einen möglichst großen Vorteil zu erringen.«
»Wir hatten nichts gegen die Union«, sagte Mousokka, »da Sofold in ihr immer die erste unter gleichen gewesen wäre. Ihr seid bereit, eine noch größere Gelegenheit wegzuwerfen. Wir sind es nicht.« Er öffnete die Tür.
Bewaffnete Matrosen drangen herein. Obwohl sie sich fest an ihre Waffen klammerten, konnten nur wenige den Blick heben, um dem von Hunnar oder Ta-hoding zu begegnen. Daß sie überhaupt Waffen trugen, erklärte schon, was vor sich ging, da die Besatzung durch Corfus Leute entwaffnet worden war. Ethan versuchte angestrengt, auf den Gang hinauszusehen, um zu zählen, wie viel Meuterer es gab.
»Ihr habt euer Erbe mit Kot beworfen«, erklärte Hunnar fest. »Ihr habt der Stadt und dem Landgrafen die Treue geschworen und seid zu einem fremden Herren übergelaufen.«
»Wir haben nichts dergleichen getan«, entgegnete Mousokka unbehaglich. »Du bist es, der übergelaufen ist. Zu diesen Himmelsleuten.« Er wies auf Ethan.
»Und was habt ihr getan«, fragte Elfa verächtlich, »wenn ihr nicht zu Himmelsleuten übergelaufen seid?«
»Massul ist Tran. Ebenso Corfu. Der Mensch glaubt, er benutzt sie; sie glauben, sie benutzen ihn. Das ist einerlei. Diese Himmelsleute haben leichte Waffen und Himmelsboote. Sie sind nicht aufzuhalten. Ich bin kein Märtyrer. Märtyrer sind Narren.«
»Sie sind aufzuhalten«, sagte Ethan, »sobald wir geflohen und zurück in Asurdun sind.«
»Du wirst nirgendwohin fliehen.« Corfu drängte sich in den Raum. »Gedanken an Flucht sind vergeblich. Zumindest haben diese klugen und vernünftigen Tran«, er zeigte auf Mousokka und Kilpit, »erkannt, woher der Wind weht.«
»Der Wind«, erklärte Ta-hoding hoheitsvoll, »weht immer nach Osten.«
»Nicht immer.« Corfu grinste. »Diese Himmelsleute haben Maschinen, mit denen sie den Wind und die Bahn der Sonne selbst nach ihren Wünschen biegen können. Diese Dinge können sie für diejenigen tun, die bereit sind, mit ihnen zusammenzuarbeiten.« Er gestattete sich ein leises Kichern, das bei den Tran hauptsächlich aus einem dünnen Pfeifen bestand. »Habt ihr wirklich geglaubt, wir würden euch beratschlagen und möglicherweise eine Entscheidung treffen lassen, die nicht in unserem Interesse liegt, ohne so schnell wie möglich Verbündete unter euren Leuten zu gewinnen?« Er sah an Ethan und September vorbei auf Hunnar und die anderen Tran.
»Gebraucht eure Köpfe, meine Freunde. Kommt zu uns! Euer Stadtstaat oder Union oder wie immer ihr es nennen wollt, kann zum führenden auf ganz Tran-ky-ky werden. Tut das Vernünftige für eure Kinder und Enkelkinder, wenn schon nicht für euch selbst. Denn eins ist sicher: Vor uns ist eine neue Zeit.«
»Es wurde nötig, die Welt zu zerstören, um sie zu retten«, murmelte September, aber in Terranglo, so daß nur die anderen Menschen ihn verstanden.
Corfu sah ihn düster an und vollführte eine vielsagende Geste mit dem kurzen Schwert, das er in der Pranke hielt. »In meiner Gegenwart sprecht ihr nicht in eurer Sprache.« Ethan bemerkte, daß nicht alle Tran, die in den Raum geströmt waren, zur Besatzung der Slanderscree gehörten. Corfu wollte sichergehen, daß Hunnars Beredsamkeit zögernde Meuterer nicht im letzten Moment umstimmte. Es war keine gute Idee, mit einem Strahler im Rücken die Meinung zu ändern. Die Leute des Händlers würden Hunnars wütende Empörung, Elfas Verachtung oder etwas, das er oder September sagten, nicht beeindrucken.
Ta-hoding sprach mit gesenktem Kopf. »Meine Schuld. Alles meine Schuld. Ein Kapitän, der nicht die Treue seiner Leute bewahren kann, ist seinen Titel nicht wert.«
»Macht euch keine Vorwürfe«, sagte Kilpit mitfühlend. »Das hat nichts mit Euren Fähigkeiten zu tun, Ta-hoding. Es geht um das, was wir für das Beste für uns und unsere Zukunft halten.«
»Wir säumen zu lange.« Mousokka trat beiseite und wies mit seinem Schwert zur Tür. »Wir haben schon zuviel Zeit damit verbracht, auf die Worte dieser Himmelsleute zu hören und ohne Fragen zu tun, was sie möchten.«
»Wer, glaubst du, zieht an den Fäden dieser Puppe?« Hunnar wies mit dem Kopf auf Corfu.
»Niemand zieht an meinen Fäden außer mir!« Der Händler schwenkte seine Schwertspitze einen Zentimeter vor Hunnars Nase.
Der Ritter antwortete mit einem dünnen Lächeln. »Ja, es ist offenkundig, was für ein tapferer, unabhängiger Krieger du bist.«
Die beiden starrten einander einen langen Augenblick an; Ethan hielt den Atem an. Dann holte Corfu tief Luft und trat zurück. »Ich bin an meine Vereinbarung gebunden – Vereinbarung, hörst du, kein Befehl –, bis auf weiteres niemand von euch zu verletzen. Ich tue das als Gefallen für meinen Freund, den Menschen Bamaputra.« Er sah sich um.
»Diejenigen, die sich uns angeschlossen haben, werden natürlich beobachtet werden, aber schließlich werden sie alle in der neuen herrschenden Kaste eine bedeutende Stellung haben. Euch anderen wird Zeit zum Oberlegen gegeben, in der ihr hoffentlich erkennt, wo eure wahre Bestimmung liegt.« Er winkte mit seinem Schwert. »Kommt jetzt!«
»Einen Augenblick«, sagte Ethan. »Ich dachte, uns würde gestattet, auf der Slanderscree zu bleiben.«
»Euch wurde gestattet, eure Diskussion in vertrauter Umgebung zu führen. Es wurde nichts davon erwähnt, euch länger bleiben zu lassen.« Corfu lächelte wölfisch. »Würde euch erlaubt, hier zu bleiben, würdet ihr eure Zeit nur unnötigerweise mit Gedanken an eine Flucht verschwenden, anstatt zu überlegen, wo eure Bestimmung liegt. Bedacht, wie er ist, möchte Bamaputra euch solche nutzlose Ablenkung ersparen.
Ich selbst glaube nicht, daß ihr all den Wachen entkommen und mit diesem Schiff fliehen könntet, aber ich habe gelernt, daß Himmelsleute nicht gern ein Risiko eingehen. Ihr werdet in das Haus der Himmelsleute zurückgebracht, um über eure Fehler zu meditieren.«
Das war schlecht, überlegte Ethan. Solange sie auf dem Schiff waren, gab es immer die Chance, sich ihrer Fesseln zu entledigen, die Ankertaue zu kappen und Corfus Häscher zu überwältigen oder ihnen irgendwie zu entwischen. Falls sie die Slanderscree rückwärts auf das offene Eis manövrieren konnten, wo der Wind kräftig blies, mochten sie vielleicht sogar schneller sein als ein Skimmer.
Innerhalb der Anlage wurde wahrscheinlich mit den entsprechenden Geräten jeder Atemzug von ihnen überwacht. Sie würden nicht einmal unbemerkt auf die Toilette gehen können, ganz davon zu schweigen, durch eine wirkliche Tür zu brechen. Bamaputra riskierte nichts.
»Was ist mit unseren Freunden?« Er wies auf Elfa, Hunnar und die anderen. »Sie würden die Hitze im Innern der Anlage nicht durchstehen.«
»Ihre Gesundheit interessiert mich nicht«, erklärte Corfu brüsk, als sie unter den wachsamen Blicken der strahlerbewaffneten Wachen aus der Messe geführt wurden. Diejenigen Matrosen und Soldaten der Slanderscree, die zur anderen Seite übergewechselt waren, machten der Kolonne Platz. Einige sahen aus, als würden sie ihre Entscheidung bereits bereuen, aber keiner hatte den Schneid, diese Meinung in der Gegenwart der Handstrahler zum Ausdruck zu bringen. Ethan glaubte, daß man den meisten ihren Irrtum würde einsichtig machen können, doch er bezweifelte, daß er oder sonst jemand die Gelegenheit bekommen würde, ihre Loyalität zurückzugewinnen.
»Begreift«, sagte Kilpit ernst, als sie an ihm vorbei auf das Deck geführt wurden, »daß wir dies für unsere Familien und die Traditionen tun, die ihr vergessen habt. Wannome zuerst, zuletzt und für immer. So war es immer bei den Tran Sofolds, und so wird es wieder sein.«
»Es muß aber nicht«, murmelte Hunnar verbittert. »Es muß nicht. Manchmal müssen die Zeiten sich ändern.« Niemand schenkte ihm Beachtung.
Wieder wurden sie den steilen Weg von Yingyapin zu der unterirdischen Anlage geführt. Da die Nacht einsetzte, waren die Menschen froh, in die Erdtemperaturen im Innern des Berges zu kommen.
Eine rasche Zählung zeigte, daß weniger als die Hälfte der Besatzung des Eisklippers sich Bamaputras domestizierten Tran (wie Ethan sie inzwischen für sich bezeichnete) angeschlossen hatte. Die Meuterer waren nicht mitgekommen, sondern auf dem Schiff zurückgeblieben.
Die bloße Zahl der Meuterer war ein Problem. Obwohl sie darauf bestanden, zusammen bleiben zu dürfen, wurden die Tran und ihre Menschenfreunde getrennt. Zweifellos hoffte Bamaputra, die Zögernden zu überzeugen. Hunnar, Elfa und die anderen wurden in einen großen, leeren Lagerraum für Lebensmittel getrieben, wo die Temperatur auf einem ihnen angenehmeren Niveau gehalten werden konnte.
Als Bamaputras Sicherheitsteam die Menschen gründlich durchsuchte, bemerkte Ethan, daß September einen dieser Männer mit sonderbarer Intensität musterte. Er fragte September danach.
»Komisch, Jungchen. Die Zeit vergeht wie im Flug, doch bestimmte Gesichter vergißt man einfach nicht.«
Ethan sah ihn mit großen Augen an, dann den Mann, der der Vorgesetzte des Sicherheitsteams zu sein schien. »Du kennst ihn?«
»Das ist dieser Antal, den Bamaputra erwähnte. Devin Antal. Er und ich waren zusammen in einem kleinen Krieg, er auf der einen Seite, ich auf der anderen. Wenn er noch derselbe Mann ist, der er war, wird er es uns nicht leicht machen. Ein richtiger Tu-was-man-dir-gesagt-hat-Typ, aber auch der Typ, der sieht, wo er selbst bleibt, wenn es brenzlig wird. Das könnte ein Schlupfloch für uns sein, wenn wir die Augen offen halten.«
Tatsächlich stellte sich der Mann, der sich Antal nannte, als Bamaputras Werkleiter vor. Er zeigte ihnen ihre neue Heimat, eine unbenutzte Arbeiterunterkunft, die von außen verschlossen werden konnte. Nach einer kurzen Ansprache, in der er sie warnte, zu bleiben, wo sie waren und keinen Ärger zu machen, verschwand er.
Zusammen in einem Krieg. Bei seltenen Gelegenheiten hatte September auf einen Konflikt angespielt, in dem er irgendeine bedeutende Rolle gespielt hatte. Doch war das in ihrer momentanen mißlichen Lage kaum hilfreich, dachte Ethan mürrisch, als er sich auf die Flexipritsche niederließ. Sie war viel bequemer als die Betten der Slanderscree, aber er glaubte trotzdem nicht, daß er ruhig schlafen würde.
»Unsere Gäste sind untergebracht.« Antal ließ sich auf eine Couch in Bamaputras Beobachtungsraum-Büro fallen. »Mit den Leuten vom Außenposten gab es keine Probleme. Ihre Tran waren etwas bockiger. Corfus Jungs mußten ein paar Schädel knacken.«
Bamaputra wandte sich vom Fenster ab. »Ich will nicht, daß jemand getötet wird. Jeder von ihnen ist potentiell nützlich für uns.«
»Hee!« Antal hob beide Hände. »Ich habe Corfu gesagt, daß ich ihn persönlich verantwortlich mache. Es gefiel ihm nicht, aber er hat für Ruhe gesorgt. Ich hätte einige unserer Leute nehmen sollen, anstatt es Massuls Kreaturen zu überlassen. Du weißt, wie diese Eingeborenen sind.«
Bamaputra schürzte die Lippen. »Reizbar. Undiszipliniert, streitsüchtig, unfähig, miteinander in Frieden zu leben. Zeitweilig erinnern sie mich an die Menschheit vor der Amalgamation. An das Dunkle Zeitalter.«
Antal zündete sich beiläufig ein Narkostäbchen an. »Was wirst du mit ihnen tun?«
Der Direktor der Anlage runzelte die Stirn, als der schwere Rauch sich im Raum ausbreitete, verlangte aber nicht, daß sein Werkleiter seinen Drogenkonsum einstellte. Die Beziehung der beiden Männer war die von fast Gleichen, wie zwei Boxer, die nicht gegeneinander antraten, weil sie sich gegen einen Dritten verbündeten, die sich aber völlig klar darüber waren, daß sie sich eines Tages im Ring gegenüberstehen würden.
Nicht, daß sie einen guten Kampf nicht genossen hätten, obwohl es kein echter Wettstreit gewesen wäre. Antal war ein großes, breitschultriges Individuum Ende Dreißig, ein Handlanger mit akademischem Grad. Er war etwa vierzig Kilo schwerer als Bamaputra. Doch er dachte nicht daran, sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Sie brauchten einander ständig. Antal war für den tagtäglichen Betrieb der komplexen Anlage zuständig, die nach und nach Tran-ky-kys Atmosphäre umwandelte und die Eisschicht schmolz. Wenn bei den Maschinen etwas schiefging, wußte er, wie es zu reparieren war. Wenn irgend etwas anderes schiefging, nun, das war Bamaputras Sache. Er wußte, warum etwas kaputtging. Er kümmerte sich außerdem darum, daß das Geld floß.
Es war eine schwierige, nicht gerade perfekte Beziehung, aber sie funktionierte. Die Anlage hatte unter ihrer gemeinsamen Aufsicht nur ein Minimum an Betriebsstörungen zu verzeichnen. Keine der heimlichen Shuttlelandungen war von den Regierungsleuten in Brass Monkey bemerkt worden; was allerdings nicht verwunderte, da Tran-ky-ky durch seine Größe schwer zu überwachen war. Ihr Nachschub kam immer pünktlich, so daß es kein Zusammentreffen mit den regelmäßigen Schiffen des Commonwealth gab.
Wieso also untersuchte ein Eisschiff der Tran mit einem halben Dutzend menschlicher Wissenschaftler an Bord den Kontinentalschelf?
»Ich hatte erwartet, daß der Erwärmungstrend sie neugierig machen würde, aber ich hatte nicht damit gerechnet, daß sie zu einer Ortsbesichtigung imstande sind.«
»Das wäre auch nicht möglich gewesen«, murmelte Bamaputra ungehalten, »ohne dieses außergewöhnliche Eisschiff und die Zusammenarbeit mit seiner Tranbesatzung. Das, und die drei Männer, die offensichtlich einige Zeit unter ihnen gelebt haben. Eine seltsame Geschichte, das. Ohne ihre – wenngleich unfreiwillige – Einmischung würden diese Tran sich immer noch in ihren Stadtstaaten aneinander drücken und ihre traditionellen Kämpfe mit ihren Nachbarn und den plündernden Nomadenhorden ausfechten, anstatt sich auf Vereinigungsmissionen zu begeben, die uns nur Unannehmlichkeiten bereiten können.«
Antal paffte an seinem Narkostäbchen und entspannte sich. »Verdammt rücksichtslos von ihnen.«
Bamaputra warf seinem Werkleiter einen scharfen Blick zu. »Machst du dich über mich lustig?«
»Würde ich das wagen, Mister Bamaputra, Sir?«
Der Verwaltungsdirektor ließ es dabei bewenden. Es war jetzt nicht die Zeit für ihn und seinen Werkleiter, eines ihrer kleinen Gefechte auszutragen. »Glücklicherweise haben wir sie entdecken und herbringen können. Hätten sie wenden und fliehen können, bevor der Skimmer mit der Kanone eintraf, wäre vielleicht alles verloren gewesen.«
»Ja, aber sie konnten nicht, und wir haben sie.«
»Ich hatte gehofft, von solchen Problemen verschont zu bleiben, bis wir beide an Altersschwäche gestorben sind.«
»Sind wir aber nicht. Was soll ich mit ihnen machen?«
»Bei den Tran werden wir weiter versuchen, sie auf unsere Seite zu ziehen. Was diese anderen Störenfriede angeht: Ich würde sie am liebsten in ein Eisloch stecken und es anschließend zufrieren lassen. Eine reizvolle Vorstellung, aber ich fürchte, sie ist nicht praktikabel. Wenn sie nicht zurückkommen, wird man sie vermissen. Nicht, daß diese Bürokraten in Brass Monkey ohne Skimmer irgend etwas unternehmen könnten, aber im Falle eines Massenverschwindens könnten sie möglicherweise eine Außerkraftsetzung der Bestimmungen erreichen. Das würde bedeuten, daß noch mehr von diesen Typen hier herumschnüffeln. Und wir kommen sehr gut ohne diese Art von Aufmerksamkeit aus. Daher können wir sie nicht töten – noch nicht. Freilassen können wir sie aber auch nicht.
Der Tran, die halsstarrig bleiben, können wir uns natürlich entledigen.«
»Was ist mit diesem Trio, diesem Fortune, dem Lehrer und September, dem großen Burschen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sie vermissen wird.«
Bamaputra schüttelte den Kopf. »Wenn wir sie töten, werden die anderen nur noch widerspenstiger.«
»Denkst du daran, einige von ihnen zu überreden, mit uns zusammenzuarbeiten?«
»Den Gedanken hatte ich. Ich weiß noch nichts von ihnen. Geld für solche Zwecke ist vorhanden. Das könnte einen oder zwei umstimmen, aber nicht alle, fürchte ich. Einige von ihnen werden wohl lieber Idealisten bleiben.« Er rümpfte die Nase. »In der Wissenschaft ist kein Platz für Idealismus.«
»Und wenn wir die Frauen als Geiseln behalten?«
»Zu riskant. Diejenigen, die zum Außenposten zurück dürfen, könnten versteckte Antipathien gegen die hegen, die wir hier festhalten. Es braucht nur einer nicht mitzuspielen, und wir sind verraten. Wir können nicht einen einzigen von ihnen aus der Anlage herauslassen.«
»Was also tun wir?« Antal legte seine Füße auf die Couch. Bamaputra musterte ihn angewidert, sagte aber nichts.
»Wenn wir sie weder überreden noch beseitigen können, müssen wir sie eben am Leben lassen und dafür sorgen, daß sie nichts weitertratschen. Wir sind nicht in Eile. Sie werden nicht so bald zurück erwartet, so daß wir Zeit zum Überlegen haben. Uns wird schon rechtzeitig eine Lösung einfallen. Oder ihnen. Fürs erste werden wir folgendes tun: Wir lassen sie eine Aufzeichnung machen, in der sie mitteilen, sie seien auf eine unerwartet fortschrittliche Tran-Gemeinde gestoßen, die eine einzigartige Sozialordnung aufzuweisen hat. Diese möchten sie längere Zeit neben ihren Untersuchungen der hiesigen meteorologischen Anomalien studieren. Die betreffenden Tran haben eingewilligt, sie bei sich aufzunehmen, bis sie ihre Studien abgeschlossen haben. All das kann auf einem Aufzeichnungschip untergebracht werden und mit einigen unserer Tran auf einem kleinen Eisschiff zum Außenposten gebracht werden. Diese Leute haben doch Aufzeichnungsgeräte mitgebracht, nehme ich an?«
»Ja. Wir haben ihr ganzes Zeug durchgesehen. Meßgeräte, Sonden, und so weiter. Was man erwarten würde. Keine Waffen.« Er grinste. »Können die Bestimmungen nicht verletzen, verstehst du. Sie hatten einen guten Expeditionsrecorder dabei.«
Bamaputra nickte beifällig. »Bei der Aufzeichnung werden alle lächeln und Zufriedenheit ausstrahlen. Ihr Eintreffen sollte eigentlich alle Sorgen bei der Verwaltung und den wissenschaftlichen Abteilungen beseitigen. Und wie ich hörte, ist eine neue Planetarische Kommissarin eingetroffen. Sie wird zu beschäftigt sein, sich einzurichten, um sich mit einer Forschungsgruppe zu befassen, die nach eigener Auskunft nicht in Gefahr ist. Was meinst du? Werden sie sich fügen und die notwendigen Aufzeichnungen machen?«
»Ich glaube nicht, daß es dabei irgendwelche Probleme geben wird. Ich werde jemanden einen Strahler ins Ohr stecken und drohen abzudrücken. Das sollte jedes Zögern beseitigen. Das scheint mir kein besonders mutiger oder verwegener Haufen zu sein.«
»Schön. Inzwischen läuft alles andere normal weiter. Wenn das nächste Versorgungsschiff eintrifft, werden wir die Nachricht über diese mißliche Entwicklung an die Zentrale melden. Sollen die sich doch mit dem Problem herumschlagen und eine endgültige Entscheidung treffen. So ist uns die Sache aus den Händen genommen. Ich lege keinen Wert auf die Verantwortung. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß unsere Arbeit hier ungestört weiterläuft.«
»Klingt vernünftig.«
»Wie werden sie bewacht?«
»Bewacht?« Antal inhalierte Rauch und stieß eine kleine Wolke aus. »Sie sind sicher untergebracht. Standard-Kameraüberwachung. Möchtest du, daß ich ihnen Wachen vor die Räume stelle? Die gehen nirgendwohin, und ich würde mir das Personal lieber sparen.«
»Wenn du sicher bist…«
»Die Tran sind in einem leeren Lager für verderbliche Güter eingesperrt und die anderen in einer sicheren Unterkunft. Hin und wieder lasse ich sie direkt überprüfen, und dreimal am Tag erhalten sie Essen. Die Tran wissen nicht genug, um nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten, und die Tür der Unterkunft hat eine magnetische Verriegelung. Keine Schlösser, die man knacken könnte. Die Kameras streichen die Räume alle dreißig Sekunden ab. Sie sind unzerbrechlich, reguläres Überwachungsgerät. Warum jemand von seiner Arbeit abziehen, damit er mit einem Strahler in der Hand vor einer Tür schläft? Das sind Techniker, Ingenieure und Programmierer, keine Wachposten.«
»Falls irgend jemand in einem der Räume versucht, an der Tür herumzumachen, werden die Kameras es in der Sicherheitszentrale zeigen. Wir müssen ihm dann nur sagen, er soll es bleiben lassen, sonst…! Sie sind sich ihrer mißlichen Lage genauso bewußt wie wir. Ich glaube nicht, daß sie irgendwas versuchen werden.«
Bamaputra zögerte und nickte dann. »Das ist nicht mein Fachgebiet. Du kennst dich da besser aus.«
»Es ist auch nicht gerade meine Spezialität, aber ich würde mir keine Sorgen machen. Sie können nicht mal ungesehen aufs Klo gehen. In der Unterkunft der Tran gibt es keine Kameras, aber sie wüßten nicht mal, wie man eine magnetische Verriegelung knackt, selbst wenn man ihnen sagt, was das ist.« Er holte ein weiteres Narkostäbchen aus einer Tasche seiner Weste und hielt es dem Direktor hin. »Du wirst wohl keine von denen probieren wollen – helfen einem zu vergessen, wo man ist.«
»Ich ziehe es vor, zu wissen, wo ich bin.« Bamaputra rümpfte indigniert die Nase. »Was hat es für einen Sinn, seine Wahrnehmungen zu verzerren, wenn es soviel Interessantes zu beobachten gibt, solange sie richtig funktionieren?«
Antal setzte sich auf. »Vielleicht funktionieren meine nicht richtig, weil es mir die Socken auszieht, daß irgend jemand irgendwas Interessantes an dieser Eiskugel finden kann. Alles, was mich interessiert, sind meine vierteljährlichen Überweisungen. Muß mich jetzt um Nummer Drei kümmern; hatte Überhitzungsprobleme. Nichts Bedeutendes, aber ich will es mir lieber ansehen. Du weißt, wie launisch diese Magnetfelder sein können, die das Plasma zähmen.« Er stand auf und ging zur Tür.
»Bleibst du hier und siehst dir den Dampf an?« fragte er neugierig.
Bamaputra hatte sich den Fenstern zugewandt. »Eine Weile«, erwiderte er.
»Tu, was du nicht lassen kannst.« Antal überließ den Direktor seinen Betrachtungen. Was für ein Irrer. Er hatte es längst aufgegeben, den Mann zu verstehen. Eine Zeitlang hatte Antal ihn sogar für einen außergewöhnlich gut konstruierten und raffiniert programmierten Roboter gehalten. Die Theorie war rasch widerlegt. Er war einigen humanoiden Maschinen begegnet, und jede von ihnen war freundlicher und wärmer gewesen als Bamaputra. Er war zu distanziert, zu unbeteiligt, zu kalt für einen Roboter.
September lag auf zwei längs aneinander gestellten Pritschen und hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt. »Nun, Jungchen, wie kommen wir hier raus?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Ethan und starrte auf die einzige Tür, »aber sie werden es nie wagen, uns zu töten.«
»Sag nie nie! Jeder, der bereit ist, für kommerzielle Zwecke einige Zehntausend intelligenter Eingeborener zu opfern, ist mehr als fähig, ein paar Angehörige seiner eigenen Gattung kaltzumachen.«
»Ich bezweifle nicht, daß sie es in der nächsten Minute tun, falls sie annehmen dürften, damit ungestraft davonkommen zu können; aber sie müssen wissen, daß man uns in Brass Monkey vermissen würde.«
»Sie wissen es bestimmt, sonst lägen wir wahrscheinlich längst irgendwo unterm Eis. Je länger wir hier festsitzen und uns nicht zurückmelden, desto neugieriger werden Hwangs Kollegen werden. Wozu dieser Bamaputra sich also auch entschließen mag, er muß es sehr bald tun. In einer Sache hast du jedenfalls recht: Ich glaube nicht, daß unsere unmittelbare Beseitigung bei ihnen an erster Stelle steht. An unseren >Gastgebern< ist vieles zu mißbilligen, aber unbesonnen scheinen sie mir nicht zu sein. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie versuchen würden, Hwang und ihre Leute für sich zu gewinnen.«
»Das würde nie klappen.« Allein die Vorstellung schockierte Ethan.
»Wenn man Leute lange genug bearbeitet, kann man ihre Einstellung erwiesenermaßen ändern, ganz egal, wie entschlossen oder pflichtbewußt sie sind. Dieser Bamaputra ist gerissen. Und er ist selbst Wissenschaftler. Er kann in ihrer Sprache zu ihnen sprechen. Es könnte ihm letzten Endes gelingen, einige unserer Freunde davon zu überzeugen, daß das, was er tut, wirklich im besten Interesse der Tran ist, ungeachtet der versteckten Motive seiner >Gönner<.«
»Weißt du, die ganze Sache kommt mir immer noch nicht geheuer vor.«
September drehte sich um und sah ihn an. »Was meinst du, Jungchen?«
»Nun, ich bin in derselben Branche. Handel, Transaktionen, Im- und Export, du weißt schon. Es gibt andere, weniger kostspielige Methoden, ein Handelsmonopol zu sichern, als das ganze Klima einer Welt umzuwandeln.«
Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Hünen. »Ich habe mich schon gefragt, wann es dir aufgehen würde.«
Ethan war verblüfft. »Du hast ähnliche Überlegungen angestellt?«
»Man muß schon blind sein, um es nicht zu sehen, Jungchen. Zum Beispiel könnte deine Gesellschaft einfach ein solches Monopol beantragen. Obwohl es schwer ist ranzukommen, könnte es sein – vorausgesetzt, du schmierst die richtigen Leute und demonstrierst den anderen deine guten Absichten –, daß du die Genehmigung bekommst. Jedenfalls wirst du es versuchen.«
Während sie über das Offensichtliche nachdachten, waren Hwang und ihre Kollegen auf der anderen Seite des Raums in eine lebhafte Diskussion vertieft. Als sie abgeschlossen war, kamen Williams und Cheela Hwang zu ihnen herüber. Sie brachten die Bestätigung von Ethans Verdacht, aber nicht in der Weise, wie er gehofft hatte.
Es war weit schlimmer als alles, woran er gedacht hatte.
»Wir haben Berechnungen angestellt.«
»Tut ihr das nicht immer?« witzelte September.
Sie sah ihn nicht einmal an. Ihr Gesicht war aschfahl. »Wir sind das durchgegangen, was wir wissen, und haben es mit dem kombiniert, was wir in Ermangelung von Grunddaten über die tatsächlichen Raten der Eisschmelze und der Erwärmung der Atmosphäre extrapolieren können. Wir mußten schätzen, wie lange diese Anlage in Betrieb ist. Wir wissen natürlich, daß das nicht länger sein kann, als Tran-ky-ky registriert ist. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Leute den Planeten vor der ersten offiziellen Commonwealth-Inspektion entdeckt haben könnten, ist gering.« Sie schob den Ärmel ihres Überlebensanzugs zurück und zeigte das kleine, rechteckige Display des wissenschaftlichen Rechners an ihrem Handgelenk. Es war voll tanzender Zahlen.
»Wir sind uns unserer Ergebnisse ziemlich sicher. Wir wünschten, es wäre anders.«
Milliken Williams schien tief erschüttert. »Sie zeigen, daß dieser Bamaputra viel zu bescheiden ist, wenn er sagt, daß sie die Verhältnisse auf Tran-ky-ky innerhalb einer gewissen Zeit ändern werden. Die Oberfläche wird sich tatsächlich schnell erwärmen, sobald das Eis beginnt sich zurückzuziehen. Das Problem ist aber, daß sich die Tran-Physiologie nicht annähernd so rasch umstellen kann. Die klimatische Verschiebung wird so rapide vonstatten gehen, daß unsere Freunde sich nicht werden anpassen können.
Diejenigen, die nahe dem Äquator leben, haben eine Chance zu überleben, mit entsprechender Hilfe und Pflege. Die in den nördlichen Zonen, wo subarktische Temperaturen herrschen, werden an Überhitzung sterben, lange bevor sie den Südkontinent erreichen können, ungeachtet eines auch noch so massiven Eingreifens der Commonwealth-Behörden. Und selbst wenn es zu einem solchen Eingreifen kommt, wird eine Rettungsaktion von diesem Umfang nicht rechtzeitig in Gang gebracht werden können.« Er schnaubte angewidert. »Politik.«
»Wir sprechen nicht von Tausenden von Toten«, flüsterte Hwang. »Wir sprechen von Millionen. Genozid. Keine völlige Auslöschung, aber fast. Die Tran, die überleben, werden das als Mündel der Regierung tun, nicht als Vorreiter eines neuen >Goldenen Zeitalters<.«
Ethan sah die beiden nur fassungslos an und fragte: »Warum?«
»Ich sage dir warum«, antwortete Hwang gelassen. »Du erinnerst dich, was Bamaputra darüber gesagt hat, daß dieser Massul und dieser Corfu für die Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge zuständig sein sollen? Ihre Arbeit wird sich ganz erheblich vereinfachen. Massul wird der Oberherr von gar nichts sein.«
September nickte verstehend. »Es paßt alles zusammen, nicht?« Er sah Ethan an. »Was passiert mit einer Welt, Jungchen, die sich rasch erwärmt, zu rasch für die Tran, um sich anzupassen? Was bleibt unter dem Strich übrig, wenn das Eis schmilzt und die Temperatur Tag und Nacht über dem Gefrierpunkt bleibt?«
»Ich kann dir nicht folgen, Skua.«
September tippte sich mit dem Zeigefinger an den weißhaarigen Kopf. »Du mußt lernen, in globalen Begriffen zu denken, Jungchen. Siehst du, wenn es für die Tran zu heiß wird, wird es wirklich angenehm für Menschen. Was dabei herauskommt, ist eine freundliche, warme, wasserreiche Welt, deren Restbevölkerung auf eine einzelne Landmasse beschränkt ist, die ihre Bedürfnisse mehr als befriedigen kann. Eine Eingeborenenbevölkerung, so dezimiert und schwach, daß ihr bloßes Überleben vom Großmut des Commonwealth abhängt.«
»Genau«, sagte Hwang. »Diese Anlage wurde sorgfältig versteckt, damit die Klimaveränderung als das Ergebnis natürlicher Ursachen erscheinen kann. Bei der vorherrschenden Unwissenheit über diese Welt ist das immer noch möglich. Das Commonwealth wird gezwungen sein, einzugreifen, um das Überleben der Tran als Gattung zu sichern. In dem entstehenden Durcheinander werden viele Hilfsorganisationen hier Stützpunkte einrichten. Bamaputras Leute werden die ersten von vielen sein und in der besten Ausgangsposition, Vorteile aus der Katastrophe zu ziehen.«
»Vielleicht täuscht Bamaputra alle unter ihm. Vielleicht sind sie sich nicht bewußt, was sie hier wirklich tun.« Ethan wußte, daß das naiv klang, aber er fand, daß es gesagt werden mußte.
Hwang schüttelte den Kopf. »Die Berechnungen sind zu einfach, zu offensichtlich. Leute wie dieser Antal sind nicht dumm. Sie müssen wissen, was das Endergebnis ihrer Arbeit hier sein wird. Es ist möglich, daß die niederrangigen Arbeiter im Unwissen gehalten werden.«
»Begreifst du denn nicht, Jungchen? Bamaputras Geldgeber haben kein Interesse am Warenhandel. Sie haben kein Interesse an Handelsmonopolen. Sie haben Interesse an Grund und Boden. An einer ganzen Welt. Kolonien dürfen auf unbewohnten Welten errichtet werden und auf denen der Klasse I, wenn die vorherrschende Gattung zustimmt, aber auf nichts dazwischen. Tran-ky-ky liegt aber dazwischen. Nicht, daß sich jemand auf Tran-ky-ky niederlassen möchte, so wie es ist. Aber steigere die Temperatur um fünfzig Grad oder so und schmelze das Eis, und es könnte ein weiteres New Riviera sein.«
»Für die Tran würde es eine Hölle werden«, sagte Williams. »Für diejenigen, die überleben, heißt das. Die Restbevölkerung würde schließlich in das Stadium der Goldenen Saia wechseln, wäre aber von so geringer Zahl, daß sie nichts gegen den Zustrom von Siedlern unternehmen könnten.«
Es blieb lange still, jeder hing seinen persönlichen Gedanken über einen Schrecken nach, größer als sie ihn sich je vorgestellt hatten.
»Seid ihr euch wirklich sicher über das Ausmaß der Erwärmung und Schmelze?« murmelte Ethan schließlich.
»Selbst wenn wir uns um zehn oder zwanzig Prozent irren sollten«, erwiderte Hwang mit belegter Stimme, »bedeutet das immer noch den Untergang der Tran als entwicklungsfähige Rasse. Sie werden nie die Möglichkeit haben, die fortschrittliche Zivilisation aufzubauen, von der Bamaputra spricht, weil sie einfach nicht mehr zahlreich genug sein werden, um das aus eigener Kraft zu tun. Sie werden völlig abhängig von den Flüchtlingsorganen des Commonwealth sein – oder von den Leuten, die hinter diesem Projekt stehen.«
Williams lächelte freudlos. »Ich sehe Bamaputras Leute vor mir, wie sie große Sorge um die Überlebenden zeigen. Das wird exzellente Public Relations für sie sein.«
September nickte wissend. »Sie haben es bis zur letzten Schraube durchgerechnet; von Anfang an – bis auf uns. Wir waren darin nicht vorgesehen. Zumindest haben wir es fertiggebracht, daß sie sich über die Schulter sehen. Nicht überraschend, daß sie uns mit solcher Vorsicht behandeln; ihnen ist völlig klar: Kommt irgend jemand von uns zurück nach Brass Monkey und fängt an zu erzählen, wird das ganze Commonwealth nicht groß genug für sie sein, um sich darin zu verstecken.«
»Dann sollten sie besser schon mal anfangen zu laufen«, sagte Cheela Hwang leise, »denn wir verschwinden von hier.«
»Nur zu gern. Es gibt da nur ein bis zwei Probleme.« Ethan sah zur Tür. »Wir sind hinter einer Metalltür gefangen, die mit Magnetriegeln gesichert ist, unter ständiger Videoüberwachung, im Innern von massivem Fels.« Seine Einwände wurden von dem sanften Surren des Spionauges unterstrichen, das den Raum abstrich.
Cheela Hwang reagierte völlig unbeeindruckt. »Hier rauszukommen ist der leichtere Teil.«
Ethan sah September an, der die Schultern hob. »Angenommen, wir bringen ein Wunder zustande und schaffen es tatsächlich, nach draußen zu kommen. Wie kommen wir dann zurück nach Brass Monkey? Ihr habt gesehen, wie viel Wachen Corfu auf der Slanderscree zurückgelassen hat – nicht unbedingt weil er fürchtet, wir könnten versuchen, sie zurückzubekommen, sondern um seine Mitbürger daran zu hindern, sie zu stehlen. Dann ist da auch noch das Problem der dreißig Meuterer, die sich immer noch an Bord befinden.«
»Damit werden wir fertig.«
»Du wirst ihr vertrauen müssen, Jungchen«, sagte September. »Sie ist ihrer Sache völlig sicher.«
»Wir werden es tun, weil wir müssen.« Sie wies auf ihre Gefährten, die laut Belanglosigkeiten austauschten, um die Abhöranlage zu täuschen, die höchstwahrscheinlich zusätzlich zur Kamera den Raum überwachte. »Wir haben daran gedacht, einen ihrer Skimmer zu stehlen, aber die sind mit Sicherheit noch besser bewacht als unser Schiff. Sobald wir draußen sind, müssen wir einen Weg finden, die Slanderscree zurückzubekommen.«
September verschränkte seine mächtigen Hände und drehte sie nach außen. »Sobald wir draußen sind, werden wir alles mögliche machen können. Das Problem ist, diese heimelige Suite zu räumen. Das scheint dir aber keine großen Sorgen zu machen.«
»Wenn uns eins geblieben ist, dann ein Übermaß an Gehirnschmalz.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe es mit Orvil und den anderen besprochen. Das System, das uns überwacht, ist sehr einfach. Dieser Raum muß für Angestellte eingerichtet worden sein, die handgreiflich geworden sind, sich betrunken haben oder gegen die Regeln verstießen und Bestimmungen verletzten. Er wurde nicht konstruiert, um hartgesottene Kriminelle einzusperren oder…« – ihr Lächeln wurde etwas breiter – »entschlossene, kenntnisreiche Leute, die gezwungen sind, einen Weg nach draußen zu finden. Das könnte Bamaputra oder seinem Werkleiter bald klar werden. Falls sie vorhaben, uns hier länger festzuhalten, werden sie bestimmt damit beginnen, diese Örtlichkeit sicherer zu gestalten. Ein Grund mehr, hier so bald wie möglich zu verschwinden.«
»Wir sind zu dem Schluß gelangt, daß es von Vorteil wäre, in der Nacht vorzugehen«, warf Williams ein, »obwohl es technisch gesehen hier weder Tag noch Nacht gibt. Nach dem, was wir beobachten konnten, schließen wir, daß diese Anlage nach einer typischen vierundzwanzigstündigen Tag-Nacht-Routine betrieben wird. Ein Großteil der Maschinerie, an der wir vorbeikamen, funktioniert automatisch. Bis auf das entsprechende aufsichtsführende Nachtpersonal schlafen während der Tran-ky-ky-Nacht wahrscheinlich alle.« Er sah auf die in die Manschette seines Überlebensanzugs eingebaute Uhr. »Wir sollten auch alle versuchen, ein wenig zu schlafen. Wir werden gegen Mitternacht versuchen, ob wir hier ausbrechen können.«
»Die Wachen werden nicht schlafen«, wandte Ethan ein.
»Das macht nichts, weil wir weg sein werden«, erwiderte Hwang.
»Nein, du verstehst nicht.« Er wies unauffällig mit dem Kopf zu dem Spionauge an der Decke. »Wer immer den Monitor dieser Kamera beobachtet, wird sofort Alarm geben.«
»Nicht, wenn es nichts zu beobachten gibt.«
Ethan lächelte. »Ihr könnt kein Laken oder sowas über die Kamera werfen. Das würde eine genauso rasche Reaktion bewirken als ob wir gegen die Tür hämmern. Aus dem gleichen Grund kann man sie auch nicht kaputt machen. Wenn der Monitor in ihrer Wachstation nichts mehr zeigt, sind sie in Sekundenschnelle hier unten, um die Störung zu beseitigen.«
»Wir werden nichts von dem tun«, versicherte Williams ihm. Er sah Hwang an, und sie schienen sich über etwas zu amüsieren, das nur ihnen bekannt war. »Wer immer die Monitore überwachen mag, wird während der ganzen Nacht nichts Ungewöhnliches bemerken. Währenddessen werden wir auf dem Weg nach draußen sein.«
Ethan schüttelte den Kopf. »Dann habe ich nicht die geringste Ahnung, was ihr vorhabt.«
»Gut.« Wissenschaftlerin und Lehrer standen gemeinsam auf. »Dann werden die auch keine haben.«
»Und was ist unser erster Schritt? Was tun wir jetzt?«
Williams streckte sich übertrieben, Hwang gähnte. »Wir gehen schlafen.«