Prolog
»Ich habe nicht gesagt, ich hätte etwas gegen Freud«, sagte Kate. »Ich habe gesagt, daß ich etwas gegen das habe, was Joyce Freudsche Fehlleistungen nennt – all diese unsinnigen Schlußfolgerungen, die von Leuten gezogen werden, denen es an Zurückhaltung und Verstand mangelt.«
»Wenn du vorhast, die Psychiatrie für alle möglichen sadistischen Gesellschaftsspiele verantwortlich zu machen, sehe ich keinen Sinn darin, unsere Diskussion fortzusetzen«, antwortete Emanuel. Aber natürlich würden sie die Diskussion dennoch fortsetzen; die dauerte schließlich schon Jahre, und Ermüdungserscheinungen waren nicht zu erkennen.
»Übrigens«, sagte Kate, »ich habe dir eine Patientin geschickt. Jedenfalls hat mich eine Studentin gebeten, ihr einen Psychoanalytiker zu empfehlen, und ich habe ihr deinen Namen und deine Adresse gegeben. Ich habe keine Ahnung, ob sie sich melden wird, aber ich glaube schon. Sie heißt Janet Harrison.« Kate ging zum Fenster und schaute hinaus in das rauhe, stürmische Wetter. Es war jene Art von Januartag, an dem sogar sie, die sie den Frühling verabscheute, sich nach ihm sehnte.
»Bedenkt man die Meinung, die du von der Psychiatrie hast«, sagte Nicola, »müßte sich Emanuel eigentlich recht geehrt fühlen. Schau geehrt drein, Emanuel!« Nicola, Emanuels Frau, verfolgte diese Diskussion, wie eine Zuschauerin bei einem Tennismatch dem Ball mit den Augen folgt, immer mit dem Kopf hin und her. Es war ihr gelungen, der Psychiatrie gegenüber einen vertrauensvollen Standpunkt einzunehmen, ohne dabei auf ihr Recht auf Kritik zu verzichten, und so applaudierte sie den gelungenen Bällen und stöhnte bei Fehlschlägen. Kate und Emanuel fanden Nicola ein ideales Publikum und hatten an ihren Wettkämpfen nicht nur deswegen ihren Spaß, weil dabei manchmal neue Einsichten herauskamen, sondern auch, weil es sie reizte, sich gegenseitig aus der Fassung zu bringen, ohne einander je zu verletzen. Nicola hatte für beide ein Lächeln.
»Es ist nicht Freud selbst, der zum Widerspruch reizt«, sagte Kate, »und auch nicht die Vielzahl von Theorien, die er entwickelt hat. Es ist die Art, wie sich seine Ideen in der modernen Welt verbreitet haben. Ich muß immer an die Geschichte von dem Japaner und der Heiligen Dreifaltigkeit denken: ›Ehrenwerter Vater, sehr gut; Ehrenwerter Sohn, sehr gut; aber Ehrenwerter Vogel – das verstehe ich einfach nicht.‹«
»Deine Sprüche«, sagte Emanuel, »beleben zwar immer wieder das Gespräch, aber die Diskussion bringen sie nicht weiter.«
»Der einzige Spruch, der mir einfällt«, sagte Nicola, während sie sich umdrehte und nun ihrerseits zum Fenster ging, »ist: ›Auf Regen folgt Sonne.‹«
Wie sich herausstellte, war das die bedeutendste Bemerkung, die an diesem Nachmittag gemacht wurde.