Gesundheitselixier Schlaf

Schlf

Elektrisches Licht und veränderte Arbeitszeiten bringen die Menschen aus dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Dabei ist die nächtliche Ruhephase so wichtig für die Gesundheit.

UM TAG FÜR TAG DEN ALLTAG zu meistern und um gesund zu bleiben (oder es nach einer Erkrankung wieder zu werden), müssen Sie nicht nur das Richtige essen und trinken und sich regelmäßig im Freien bewegen, sondern auch genug schlafen. Ohne die nächtliche Ruhepause geht auf Dauer gar nichts. Oder anders herum: Wer längere Zeit Raubbau an dieser wichtigen Ressource treibt, ist nicht mehr fit und leistungsfähig. Die Widerstandsfähigkeit gegen alltägliche Stressbelastungen sinkt, die Stimmung wird gereizt, Konzentration, Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit lassen nach. Wer unausgeschlafen an die Arbeit geht, macht leichter Fehler und lässt schneller nach, das Unfallrisiko steigt.

Doch Schlafmangel wirkt sich nicht nur auf die geistige Leistungsfähigkeit aus. So läuft beispielsweise auch die natürliche Regenerationsfähigkeit des Körpers nicht mehr auf vollen Touren, was man am nächsten Tag oft nur allzu deutlich an Haut und Haaren sehen kann. Man legt über Nacht an Gewicht zu, das Immunsystem wird geschwächt und man wird leichter krank – seelisch und körperlich. Wer jahrelang zu wenig oder schlecht schläft, unterliegt sogar einem deutlich erhöhten Risiko, an Krebs zu erkranken. Trotzdem hat kaum ein Vitalbedürfnis des Menschen eine so schlechte Lobby wie das Schlafen. Für viele hat die nächtliche Ruhepause heute den Ruf eines Luxus für Faulpelze.

Vielleicht ändert sich das bald: Laut neuesten Erkenntnissen ist Schlaf ein höchst wirkungsvolles Mittel gegen Krebs. Der US-amerikanische Psychiater David Spiegel und seine Mediziner-Kollegen von der Stanford-Universität in Palo Alto/Kalifornien beschrieben jedenfalls bereits 2003 in der Zeitschrift »Brain, Behavior and Immunity« die positive Auswirkung von Schlaf bei Krebspatienten. Mehr dazu erfahren Sie hier (>).

STEUERRAD DER HORMONE

Schlaf ist ein lebenswichtiges Bedürfnis des Menschen, und diese Botschaft steckt tief in seinen Genen: Ein unausgeruhter Jäger wäre müde und erfolglos dem Wild hinterhergetrabt oder sogar selbst Opfer eines Angriffs wilder Tiere geworden. Eine müde Sammlerin hätte weder ausreichend Nahrung noch Feuerholz gefunden und daher mit ihren Kindern hungern und frieren müssen. Der Grund dafür: Der Körper produziert nicht nur tagsüber, sondern auch nachts Hormone. Diese winzigen Substanzen werden in verschiedenen Drüsen und Geweben hergestellt und über das Blut im Organismus transportiert. Die Botenstoffe lösen bereits in kleinsten Konzentrationen starke Reaktionen aus und bestimmen alle Überlebensvorgänge: Hunger und Durst etwa oder Sexualität und den weiblichen Zyklus – und damit die Fortpflanzung. Sie sind andererseits aber auch verantwortlich für Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Angst und Freude. Hormone entscheiden darüber, dass ein Mensch schnell zunimmt und ein anderer locker abnimmt. Sie sorgen dafür, dass Sie schlafen können, und dafür, wie fit Sie tagsüber sind. Weil sie außerdem auf alle Stoffwechselvorgänge wirken, bestimmen sie maßgeblich das Immunsystem.

Die Ausschüttung und Verteilung der Hormone wird dabei sehr sorgsam gesteuert. Ob Sie gesund sind, sich gut fühlen oder eher weniger, hängt immer davon ab, ob bestimmte Botenstoffe in der richtigen Konzentration vorliegen oder nicht. Das wiederum steht in einem direkten Zusammenhang damit, ob und wie gut Sie jede Nacht (oder auch tagsüber) schlafen.

Zum Glück hat die Natur für die wichtige Balance zwischen Ruhe und Aktivität gesorgt: Mit Ausnahme weniger nachtaktiver Tiere legen alle Lebewesen mit Beginn der Abenddämmerung eine ausreichende Ruhepause ein. Daher begann für die Menschen der Steinzeit der Tag mit dem ersten Sonnenschein und endete mit dem Einbruch der Dunkelheit. Nachts hätte er aufgrund seines eingeschränkten Sehvermögens und seiner mangelhaften Orientierung im Dunkeln schwerlich auf die Jagd gehen können, geschweige denn erfolgreich Beeren gesammelt. Zwar erlaubte die Beherrschung des Feuers noch ein abendliches Zusammensein an der licht- und wärmespendenden Feuerstelle. Aber vieles spricht dafür, dass die Menschen sich in schützende Höhlen zurückzogen, sobald es dunkel wurde und nachtaktive Raubtiere zur Jagd aufbrachen.

Heute dagegen ist der biologisch vorgegebene Tag-Nacht-Rhythmus vielen Menschen abhanden gekommen – was zuweilen in Hinblick auf die Gesundheit nicht folgenlos bleibt.

WARUM WIR SCHLAFEN MÜSSEN

Lange Zeit rätselte der Mensch darüber, warum er überhaupt schlafen muss – und bis heute ist das Phänomen noch nicht bis ins Letzte ergründet. Dabei versuchen Schlafforscher seit Jahren, das Rätsel Schlaf zu entschlüsseln. Denn was während dieser intensiven Ruhephase geschieht, entzieht sich nun einmal völlig dem Bewusstsein. Heute weiß man, dass im Schlaf bestimmte Körperfunktionen heruntergefahren werden, andere dagegen in der Nacht auf vollen Touren arbeiten: Während Blutdruck und Puls sinken und Stoffwechselfunktionen sowie Körpertemperatur herabgesetzt werden, sind zahlreiche Drüsen vor allem nachts besonders aktiv und schütten Hormone aus, die neben dem Zellstoffwechsel auch den Verlauf der nächtlichen Ruhe steuern. All dies bewirkt, dass wir äußere Reize im Schlaf weniger stark, im Tiefschlaf sogar überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Der (Tief-)Schlaf ist praktisch ein natürlicher Betäubungszustand, in dem jedoch zahlreiche lebensnotwendige Prozesse im Körper stattfinden. Wer zu wenig oder zu schlecht schläft, erreicht diesen Zustand nicht und kann dementsprechend nicht richtig regenerieren.

INFO

Welche Hormone den Schlaf steuern

Damit Sie gut schlafen können, schüttet die Zirbeldrüse im Gehirn mit einbrechender Dunkelheit das Hormon Melatonin aus. Dieser Botenstoff wird auch Schlafhormon genannt und ist für die innere Uhr von immenser Bedeutung. Er signalisiert im Körper, dass jetzt Schlafenszeit ist und der Stoffwechsel auf Regeneration umschaltet – und sorgt so dafür, dass Sie durchschlafen können. Wenn es am nächsten Morgen wieder hell wird, stoppt die Zirbeldrüse die Melatoninproduktion. Während das Hormon allmählich abgebaut wird, setzt die Ausschüttung eines anderen, wach machenden Botenstoffs (Cortisol) ein: Sie wachen auf. Nur im Winter, wenn es morgens nicht richtig hell wird, fällt es vielen Menschen schwer, richtig fit zu werden. Denn der Melatoninspiegel im Blut ist dann aufgrund des Lichtmangels zu hoch und der Körper bleibt praktisch im Nacht-Modus.

SCHLAF BEEINFLUSST DAS KÖRPERGEWICHT

Ärzte wissen heute, dass Übergewicht einer der Risikofaktoren für die Entstehung von Krebs ist. Insbesondere bauchbetonte Pfunde regen die Produktion von Entzündungsmarkern an. Das liegt daran, dass Bauchfett wie ein endokrines, also ein eigenes hormonbildendes Organ arbeitet – vergleichbar mit den Hormondrüsen in den Nebennieren, der Schilddrüse, den Eierstöcken oder den Hoden. Besonders riskant im Rahmen der Entstehung von Krebs sind der Tumornekrosefaktor-alpha und Interleukin 6. Diese beiden Signalstoffe des Immunsystems schädigen nicht nur die Blutgefäße, sondern wirken stark entzündungsfördernd. Im Gegensatz zu schlankeren Zeitgenossen entwickeln zwei- bis dreimal so viele Menschen mit Bauchfett bestimmte Tumoren in der Brust, der Prostata, den Eierstöcken, im Gebärmutterhals und im Dickdarm.

Obwohl Ihr Körpergewicht natürlich maßgeblich davon abhängt, was und wie viel Sie tagsüber zu sich nehmen, spielt auch der Schlaf eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Zu- und Abnehmen. Schlafmangel erhöht eindeutig das Risiko, zu viel Gewicht auf die Waage zu bringen. Kein Wunder, denn schließlich unterliegt der gesamte Stoffwechsel und damit auch die Ausschüttung der Hunger- und Sättigungshormone Leptin und Ghrelin dem zirkadianen Rhythmus (innerer Rhythmus mit einer Periodenlänge von etwa 22 bis 25 Stunden). Während ein ausreichend hoher Leptinspiegel dafür sorgt, dass der Organismus die nächtliche Fastenphase ohne Hungergefühle übersteht, wird das Hormon Ghrelin, welches tagsüber für das Hungergefühl sorgt, nachts gar nicht erst hergestellt.

Dieser natürliche Rhythmus funktioniert aber nur bei denjenigen Menschen, die ausreichend schlafen. Währt die Bettruhe dagegen lediglich fünf statt acht Stunden, sinkt der Leptinspiegel um 16 Prozent – man wird schneller wieder hungrig. Umgekehrt ist die Ghrelin-Konzentration bei Kurzschläfern um 15 Prozent höher als bei den Langschläfern. Die Betroffenen verspüren dann unter Umständen nachts Heißhungerattacken, weil ihr Körper nicht in der Lage ist, die natürliche nächtliche Fastenphase in Ruhe durchzustehen.

GUT ZU WISSEN

Abnehmen im Schlaf?

Ein Forscherteam um den Mediziner Sanjay R. Patel aus Cleveland/Ohio wertete im Jahr 2006 Daten der Nurses’ Health Study aus, für die etwa 70 000 Frauen mittleren Alters über einen Zeitraum von 16 Jahren mehrmals befragt wurden. Eines der Themen: die Entwicklung des Gewichts und die individuelle Schlafdauer. Dabei wurden Faktoren wie Rauchen, Sport, Kalorienaufnahme oder Ausbildung – die ebenfalls auf die Gewichtsentwicklung einwirken – bei der Studie ausdrücklich herausgerechnet. Das Ergebnis: Je weniger die Frauen schliefen, so zeigte sich bereits zu Beginn der Studie, umso mehr wogen sie. Studienteilnehmerinnen mit durchschnittlich fünf Stunden Nachtschlaf hatten mehr Speck auf den Hüften als die, die sieben Stunden schliefen. Am Ende des Beobachtungszeitraums hatten sich die Unterschiede auf der Waage sogar noch vergrößert; die Frauen mit höchstens fünf Stunden Schlaf hatten mehr zugenommen als die mit siebenstündiger Nachtruhe. Erstaunlicherweise hatten also die Kurzschläferinnen an Gewicht zugelegt, obwohl sie länger wach und aktiv waren und ohne dass sie mehr gegessen hatten. Zudem war das Risiko einer Adipositas (Fettleibigkeit) bei ihnen um 15 Prozent erhöht.

Im Umkehrschluss stellt sich nun die Frage: Warum sind Menschen, die wenig schlafen und dadurch in der Wachzeit mehr Kalorien verbrauchen, nicht schlanker als die vielschlafenden »Murmeltiere«? Die Wissenschaftler vermuten, dass durch den kurzen Schlaf der vom Körper benötigte Grundumsatz sinkt: Schlafmangel stört den Tag-Nacht-Rhythmus und damit auch den Blutzucker- und Hormonstoffwechsel. Kurzschläfer brauchen infolgedessen weniger Energie als Langschläfer und nehmen deshalb bei unverändertem Essverhalten eher zu. Um den genauen Mechanismus zu verstehen, sind allerdings noch weitere Untersuchungen nötig.

Schlafentzug und wiederholt verkürzte Schlafenszeiten bringen das Gleichgewicht von Leptin und Ghrelin gänzlich durcheinander. Zugleich führt ein zu langes Wachsein dazu, dass zu viele Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol im Blut kursieren, deren Produktion am Abend normalerweise längst eingestellt wird. Diese Stresshormone sorgen für unkontrollierte Hungergefühle, was wiederum das Einschlafen erschwert. Zu allem Überfluss senkt ein Schlafdefizit auch noch den Grundumsatz, also die Anzahl derjenigen Kalorien, die der Körper benötigt, um alle seine Funktionen aufrechtzuerhalten. Weil gleichzeitig weniger Wachstumshormon ausgeschüttet wird, steigt das Risiko, an Gewicht zuzulegen. Denn die Wachstumshormone, die ab 20 Uhr und vor allem ab Mitternacht von der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) verstärkt gebildet werden, kontrollieren nicht nur die nächtlichen Wachstums- und Reparaturvorgänge in den Körperzellen, sondern öffnen zugleich die Fettzellen, um die darin gespeicherten Fettreserven in Energie umzuwandeln.

All dies führt dazu, dass Menschen, die weniger als fünf Stunden am Tag schlafen, ein doppelt so hohes Übergewichtsrisiko tragen wie diejenigen, die nachts sieben bis acht Stunden ruhen – und somit steigt auch das Krebsrisiko.

SCHLAF STÄRKT DAS IMMUNSYSTEM

Die nächtliche Ruhe ist für den Körper wie ein Jungbrunnen: Körpergewebe wird repariert, alte Zellen werden durch neue ausgetauscht und alle Zellen werden mit neuer Energie aus den Fettspeichern aufgetankt. Zu den nächtlichen Heilungsprozessen, die über Hormone gesteuert werden, gehört auch die Ausschüttung von Interleukinen, die das Immunsystem aktivieren und beispielsweise Entzündungsherde im Körper beseitigen. Im Schlaf machen sich aber auch die körpereigenen Killerzellen bevorzugt auf die Jagd nach schädlichen Eindringlingen wie Bakterien und Viren. Schlafforscher der Universität Lübeck haben im Jahr 2000 sogar nachgewiesen, dass ein langer Schlaf bei Infekten wie ein starkes Medikament wirkt – und das ohne Nebenwirkungen.

Im Januar 2010 veröffentlichten US-amerikanische Wissenschaftler an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh ebenfalls, dass ein Schlafmangel die Wahrscheinlichkeit für Virenerkrankungen erhöht. Dafür wurden eine Reihe von Viel- und Wenigschläfern mit Schnupfenviren in Berührung gebracht. Anschließend untersuchte man, wie häufig der Schnupfen tatsächlich ausbrach. Das Ergebnis: Die Langschläfer erkrankten seltener als die Kurzschläfer. Der Grund: Langschläfer sind deshalb am besten gegen Krankheiten gefeit, weil sie die höchste Konzentration von Immunzellen im Blut aufweisen. Damit scheint die Evolution Langschläfer mit einem gesünderen und längeren Leben zu belohnen.

Ein gesunder Schlaf sorgt zudem dafür, dass der Körper nicht auf bestimmte Stoffe überreagiert, etwa in Form einer Allergie. Dafür ist ein Gleichgewicht zwischen T-Helferzellen und T-Zellen notwendig. Während die T-Helferzellen aktiv an der Bekämpfung von Krankheitserregern mitwirken, steuern die T-Zellen deren Produktion, um überschießende Immunantworten zu verhindern. Die Zahl der T-Zellen wird wiederum in einem zirkadianen Rhythmus (siehe >) gesteuert und ist in der Nacht am höchsten. Schlafmangel beeinträchtigt die Bildung der T-Helferzellen und T-Zellen und schwächt die Abwehrkräfte. Dadurch wird der Körper anfälliger für Autoimmunerkrankungen und der Stoffwechsel sowie Herz-Kreislauf-Funktionen werden beeinträchtigt. Im Rahmen der Gesunderhaltung ist guter Schlaf nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Krebsvorbeugung von höchster Bedeutung.

GUT ZU WISSEN

Anti-Krebs-Hormon Melatonin?

Weil Melatonin in Tierversuchen lebensverlängernd und auf biochemischer Ebene wie ein Radikalenfänger (Antioxidans) wirkte, erwarb es sich den Ruf als Anti-Aging-Hormon. In den USA ist der Botenstoff seit Mitte der 1990er Jahre als Nahrungsergänzungsmittel sehr beliebt – auch wenn die angeblich positiven Eigenschaften, mit denen die Produkte beworben werden, wissenschaftlich nicht belegt sind. So soll Melatonin zum Beispiel Herz-Kreislauf-Beschwerden und Krebs vorbeugen. Tatsächlich ist der Einfluss des Hormons auf Zellwachstum und Zellteilung unbestritten. Im Laborexperiment konnte es die Metastasierung verhindern. Darüber hinaus konnten sowohl Prostatakarzinomzellen wie Mammakarzinomzellen am Wachstum gehindert werden. Als gesichert gilt ebenfalls, dass Melatonin im Tierversuch Zellen während der Strahlen- oder Chemotherapie vor Zellschädigung bewahrt.

Doch trotz dieser vielversprechenden Nachricht: Vergleichsstudien stehen immer noch aus. Zudem löst eine künstliche Melatoninzufuhr auch Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Herzrasen, Desorientiertheit, Juckreiz, Bauchkrämpfe und Kopfschmerzen aus. Solange der Zusammenhang zwischen einer substituierten Melatonintherapie und Krebs noch nicht eindeutig geklärt ist, erscheint deshalb ein störungsfreier Schlaf und die damit einhergehende natürliche Melatoninproduktion als wichtiges Teilziel in der Krebstherapie.

SCHLAF IST GUT FÜR DAS HERZ

Die Befunde aus Schlafentzugexperimenten im Labor sind zwar nur bedingt auf den Alltag übertragbar, sie geben aber dennoch Aufschluss darüber, was zu wenig oder schlechter Schlaf auf Dauer anrichtet: Erhöhter Blutdruck, ein ständig erhöhter Spiegel des Stresshormons Cortisol sowie Herzrhythmusstörungen können die Folge sein. Vor allem der Cortisolspiegel, der ebenfalls durch den zirkadianen Rhythmus gesteuert wird, ist dabei von Bedeutung. Cortisol, ein Hormon der Nebennierenrinde, wird tagsüber bei körperlichen und seelischen Stresssituationen ausgeschüttet und sorgt für eine rasche Energiebereitstellung, damit der Betroffene die Stresssituation angemessen meistern kann.

Der Botenstoff wird nur durch Bewegung wieder abgebaut: In der Steinzeit blieb den Menschen in einer Stress- beziehungsweise Gefahrensituation gar nichts anderes übrig, als zu kämpfen oder zu fliehen – und damit das Hormon automatisch wieder aus dem Blut zu entfernen. Heute, wo nicht mehr ein Angriff eines Bären droht, sondern zum Beispiel der Chef Druck macht oder Doppelbelastung die Nerven überstrapaziert, ist das nicht mehr so einfach. Und so bleibt der Cortisolspiegel oben. Ist das Hormon jedoch dauerhaft erhöht, kann es die Nerven schädigen, die Stimmung beeinträchtigen, das Gedächtnis stören und nicht zuletzt zu einer latenten Gewichtszunahme führen. Der Hormonstoffwechsel hat sich der modernen Welt einfach noch nicht angepasst.

Auch ohne Stress steigt und sinkt der Cortisolspiegel im Blut: Sind Sie ausgeglichen, steigt er im Lauf der Nacht an, bis er am Morgen seine höchste Konzentration erreicht, damit Sie wach in den Tag starten. Am Abend sinkt der Pegel, sofern Sie sich ausreichend bewegt und auf diese Weise für ein natürliches Regulativ gesorgt haben, und macht den Weg frei für das Wachstumshormon, ehe sich das Verhältnis in der zweiten Nachthälfte erneut ändert. Bei Schlafmangel oder fehlender Entspannung bleibt der Cortisolspiegel langfristig auf zu hohem Niveau und die nächtlichen Regenerationsprozesse werden gestört. Eine japanische Studie aus dem Jahr 2009 mit 1255 Bluthochdruckpatienten belegt zudem, dass Menschen, die deutlich weniger als acht Stunden am Tag schlafen, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingehen. Wer weniger als fünf Stunden am Tag schläft, steigert das Risiko einer solchen Erkrankung sogar um 45 Prozent.

Ob und inwieweit Stress und seelische Belastungen auch das Wachstum von Krebszellen beeinflussen, darüber diskutieren Wissenschaftler schon seit Jahren. Eine texanische Forschungsgruppe um den Onkologen Anil Sood veröffentlichte 2006 die Ergebnisse einer Studie, die anhand von Tierversuchen zeigte, dass Stresshormone direkt an die Zellen von Krebstumoren andocken. Als weitere krank machende und krebsauslösende Auswirkung von Dauerbelastungen gilt oxidativer Stress. Bei chronischer Überbelastung läuft der Stoffwechsel auf Hochtouren, es kommt zur vermehrten Bildung von freien Radikalen. Weil diesen höchst aggressiven Sauerstoffmolekülen Elektronen fehlen, die sie bei anderen Molekülen »stehlen«, können sie gesunde Zellen zerstören, Schäden im Erbgut anrichten und so im schlimmsten Fall sogar Krebs auslösen (siehe auch >).

Ganz ist das Rätsel um Stress als Krebsauslöser jedoch noch nicht gelöst. So führte eine dänische Studie aus dem Jahr 2006 mit 7000 Teilnehmerinnen zu einem völlig neuen Ergebnis: Ein gewisses Maß an Alltagsstress senkt bei Frauen das Brustkrebsrisiko um 40 Prozent. Die Forscher um die Studienleiterin Naja Nielsen vermuten, dass Stress auf den Östrogenspiegel wirkt, der wiederum eine wichtige Rolle bei der Brustkrebsentstehung spielt. Schädlich sei allerdings akuter Stress wie nach einer Trennung oder einem Todesfall.

SCHLAF HILFT GEGEN KREBS

Welche Rolle Bewegung im Kampf gegen den Krebs spielt, haben Sie bereits ab (>) gelesen. Eine Studie des National Cancer Institutes USA aus dem Jahr 2008 zeigte einen spannenden Zusammenhang zwischen Bewegung, Schlaf und Brustkrebs. Der Arzt James McClain und sein Team analysierten dafür die Gesundheitsdaten von 6000 US-Bürgerinnen. Schon 1998 wurden diese zu ihren Sport- und Schlafgewohnheiten befragt. Knapp zehn Jahre später litten 604 von ihnen an Krebs. Als die Wissenschaftler den Bezug zwischen Sport, Schlaf und Krebs auswerteten, stellten sie fest, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, für sportliche Frauen, die viel schliefen, um 50 Prozent niedriger war als das der Sportlerinnen, die wenig schliefen. Offenbar bringt es die Kombination: Schlaf verstärkt die präventive Wirkung von Sport gegen Krebs. Während Bewegung die Aktivität bestimmter Hormone verändert, das Immunsystem stärkt und beim Abnehmen hilft, wirkt Schlaf auf die sensiblen Stoffwechselprozesse. Ein umfassender Tumorschutz, so betont James McClain, entsteht daher aus dem harmonischen Zusammenspiel vieler verschiedener Verhaltensweisen im Alltag. Und dazu gehört ganz eindeutig auch, genug zu schlafen.

GUT ZU WISSEN

»Schlafräuber« Stress

Hektik und psychischer Druck können Ihnen nicht nur den Tag verderben, sondern auch die Nachtruhe empfindlich stören. Folgende Tipps können Ihnen helfen, negativen Stress und schlaflose Nächte zu vermeiden:

  • Planen Sie Ihre Termine großzügig.
  • Strukturieren Sie Ihren Alltag mit einfachen Regeln, wie zum Beispiel regelmäßigen Einschlaf- und Aufwachzeiten sowie festen Mahlzeiten.
  • Führen Sie keine Diskussionen und Streitgespräche am Abend.
  • Schalten Sie Telefon und Handy aus, um abends nicht mehr gestört zu werden.
  • Versuchen Sie die Zeiten vor dem Fernseher, einem Wachmacher erster Güte, und vor dem Computer zu begrenzen.

Die eingangs bereits angesprochene Studie des Psychiaters David Spiegel aus dem Jahr 2003 ist in Sachen Krebsprävention besonders vielversprechend, weil sie zeigt, wie Schlaf auch Krebspatienten bei der Bekämpfung von Tumoren helfen kann. Dabei greift der Rhythmus von Wachsein und Schlaf vor allem über zwei Hormone in die Stoffwechselabläufe ein: Melatonin und Cortisol.

Melatonin, das Schlafhormon wird während des Schlafs vom Gehirn produziert. Es wirkt antioxidativ und damit gegen jene gesundheitsschädlichen Moleküle, die auch als freie Radikale bezeichnet werden. Diese aggressiven Sauerstoffmoleküle greifen das Erbgut der DNA in den Zellkernen an und können krebsfördernde Mutationen hervorrufen. Zudem bremst das Schlafhormon die Produktion des Weiblichkeitshormons Östrogen in den Eierstöcken. Da Östrogen unter bestimmten Umständen Krebs fördern kann (siehe >), ist dies von erheblicher Bedeutung. Spiegel fand in diesem Zusammenhang heraus, dass die Melatoninproduktion gerade bei Nachtarbeiterinnen beeinträchtigt ist. Ohne diese natürliche Bremse aber schütten die Eierstöcke weiter Östrogen aus, was insbesondere für Frauen gefährlich ist, die bereits an Brust- oder Eierstockkrebs leiden.

Die zweite Verbindung zwischen Krebs und Schlafmangel sieht das Forscherteam im Stresshormon Cortisol, das in bestimmten Konzentrationen die Abwehrkräfte im Körper reguliert – insbesondere die Aktivität von natürlichen Killerzellen, die krebshemmend wirken. Wird der natürliche Fluss des Cortisolspiegels durch mangelnde Nachtruhe gestört, kann sich der Körper nicht mehr so effektiv gegen Tumorzellen wehren. Bereits in einer früheren Untersuchung hatte Spiegel herausgefunden, dass Brustkrebspatientinnen eher starben, wenn ihr Cortisolzyklus gestört war – beispielsweise bei Schicht- oder Nachtarbeiterinnen, aber auch bei jungen Müttern, die bisweilen unter einem erheblichen Schlafdefizit leiden.

WICHTIG

Melatoninmangel macht krank

Nach der Auswertung zahlreicher Studien stufte die Krebsbehörde der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Nachtarbeit im Jahr 2007 als krebserregend ein: So bekommen Nachtschwestern und Stewardessen überdurchschnittlich häufig Brustkrebs, weil ihre biologische Uhr wie bei allen Nachtarbeiterinnen aus dem Gleichgewicht gerät. Die Wissenschaftler um Vincent Cogliano von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) vermuten, dass ständige Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus ernst zu nehmende Gesundheitsschäden bedingen. Indem sich die Frauen nachts künstlichem Licht aussetzen müssen, wird die Produktion des Schlafhormons Melatonin unterbrochen. Der darauf folgende Melatoninmangel schwächt das körpereigene Abwehrsystem und fördert damit auch die Entstehung von Tumoren.