Meister Glamour
Es war ein überaus merkwürdiges Gefühl, ihre Tante Shania auf dem Posten von Mallory zu sehen. Die letzten beiden Jahre hatten sie den Glamour Raum so sehr mit Professor Mallory verbunden, dass sie, für eine Sekunde, erwarteten ihn dort zu sehen. Stattdessen empfing sie Shania, die ihnen fröhlich zuwinkte. Caya wurde ganz warm und nicht nur weil ihr Implantat reagierte.
„Mein Name ist Shania Cunningham und ja,- ich bin mit Caya verwandt- bevor die Gerüchteküche los geht“, erklärte sie der Klasse lächelnd.
Abgesehen von Moira, die die Nase kraus zog, als hätte ihr jemand gerade einen Hundehaufen davor gehalten, nahmen alle es gut auf und fanden es cool.
„Da mein Vorgänger glücklicherweise das Zeitliche segnete, hat mich eure Schulleiterin gebeten dieses Schuljahr hier zu unterrichten.“
Ihre unverblümte Art entlockte sogar Moira ein Lächeln. Mallory war, wie sich herausgestellt hatte, der Mörder ihrer Mutter gewesen und Shania dachte nicht daran, ihm irgendeinen Schonraum zu gewähren.
„Davon abgesehen, dass er ein mörderischer Bastard war, hatte er ausgezeichnete Fähigkeiten in Glamour und Verwandlung, wie ich hörte.“
Einige kicherten verlegen. Broc und Drusilla klatschten Beifall.
„Ich würde gerne wissen, wie es um euren Glamour bestellt ist. Erschafft mal bitte einen kleinen Springbrunnen.“
Niemand hatte Schwierigkeiten mit dieser Aufgabe. Die Kreationen reichten vom einfachen Modell, mit einer kleinen Fontäne, bis zur ausgefallenen Kreation mit goldenen Wasserspeiern und unterschiedlich hoch spritzenden Wasserdüsen.
„Oh, das ist allerliebst! Sehr detailliert und ausgesprochen komplex gearbeitet. Toll!“
Sie stand vor einem filigranen Gebilde im Art Deco Stil, das aus mindestens zwanzig kleinen Fontänen Wasser spie.
Moira Payton lehnte sich gebartpinselt zurück und genoss das Lob.
Caya schnaufte und bemühte sich noch ein paar Extras an ihren Brunnen zu basteln.
„Schön! Jetzt möchte ich das Wasser hören!“
Sie konzentrierten sich und bald ertönte überall Wassergeplätscher.
„Der Klang des Wassers muss zur Größe eures Brunnens passen. Bei dir klingt es eher wie die Niagara Fälle, Liebes.“ Sie wies auf DeeDees Gebilde, das wahrlich röhrte, wie eine Kläranlage. Caya musste kichern.
„Also, deines klingt auch nicht sehr lieblich.“ Caya schaute missmutig auf ihren Brunnen, der lieblos vor sich hin dröppelte.
„Okay! Jetzt möchte ich, dass ihr das Wasser einfärbt. Die Farben sind mir egal, aber es muss realistisch wirken.“
Caya gab ihren einen türkisfarbenen Ton. DeeDee entschied sich für Pink.
Moira ließ aus jedem ihrer Fontänen eine andere Farbe sprudeln.
„Also, das muss der Neid ihr lassen,- sie ist wirklich ein As,“ murmelte DeeDee.
„Häng ein „A“ mehr dran, dann passt es“, brummte Caya.
DeeDee kicherte und ihr Brunnen fing an zu wabern. Sie sammelte sich schnell. Ausgerechnet vor Shania wollte sie nicht wie eine Anfängerin dastehen.
„Nun wird’s schwieriger. Ich möchte, dass ihr eurem Wasser einen Duft gibt. Ich will etwas riechen, wenn ich an euren Brunnen stehe.“
Caya schaffte, unter Anstrengungen, einen leichten Cocosduft, denn man zwar kaum wahrnahm, aber zumindest erahnte.
„Ich riech nichts!“ plärrte Broc.
„Vermutlich hast du wieder gefurzt, das verstopft deine Rezeptoren“, knurrte Caya.
„Pah! Du kannst bloß nix!“
„Ah! Das riecht ja wunderbar! Sehr intensiv! Was ist das?“
„Lavendel, mit einem Hauch Moschus und etwas Zitronengras“, säuselte Moira.
Etwa ein Drittel der Klasse war in der Lage einen Duft irgendeiner Art zu produzieren. Der Rest blickte bekümmert auf seine Gebilde.
„Nun heben wir das Ganze auf die Meister Ebene. Ich will etwas Lebendiges um euren Springbrunnen sehen. Erschafft Pflanzen, Tiere,- was auch immer. Vergesst aber dabei nicht, alle anderen Komponenten, inklusive des Duftes, zu erhalten.“
Es erforderte eine unglaubliche Konzentration, einen derartig komplexen Glamour zu gestalten. Caya schaffte es, etwas Efeu empor ranken zu lassen und einen fadenscheinigen Marienkäfer darauf zu drapieren. DeeDee kam über ein kleines Moospölsterchen mit einem Würmchen nicht hinaus. Ihren Duft konnten beide nicht halten.
„Traurig“, murmelte Broc.
Er erntete wütende Blicke.
„Ah! Was für ein Glamour!“ Jubilierte Shania, als sie Moiras Werk begutachtete.
Bei vollem Duft, hatte sie eine Orchidee erschaffen, die sich um den Brunnen wand und von drei flatternden Schmetterlingen umtänzelt wurde,- die auch noch von unterschiedlicher Farbgebung und Muster waren.
„Ich könnte es kaum besser machen!“
„Kaum, oder nicht?“ fragte Moira, aufreizend lächelnd.
„Kaum, meine Liebe“, lächelte Shania zurück und machte eine geschmeidige Handbewegung.
Vor ihr entstand ein verschnörkelter, goldener Springbrunnen, der mindestens fünfzig unterschiedliche Fontänen aufwies. Aus jeder Öffnung sprudelte eine andere Farbe, manche Fontänen plätscherten sanft, andere mit Druck. Einige sonderten Schaumblasen ab, während andere Sprühnebel verteilten. Um den Springbrunnen wuchsen kleine Bonsai Bäume. Eichen Kiefern, Linden und Zypressen. Zwischen den Ästen der Bäumchen flogen winzige Phoenix und Augurey. Ein intensiver Duft nach Wald, Vanille und frischgemähtem Gras erfüllte den Raum. Über allem schwebte ein Regenbogen, der kontinuierlich seine Farben veränderte.
Die Klasse klatschte begeistert.
Moira hob anerkennend den Daumen.
„Nächste Stunde werden wir uns mit dem Glamouren von bedeutenden Persönlichkeiten beschäftigen“, verkündete Shania der Klasse und zwinkerte Caya zu.
Die musste grinsen, als sie daran dachte, wie oft Shania sie als Kind damit erheitert hatte.
„Also, deine Tante ist echt cool und kann was! Schade, dass du so gar nicht nach ihr schlägst“, flötete Moira, als sie an ihr vorbeiging.
Caya musste gegen den Impuls ankämpfen, festzustellen, ob außer einem Teeservice auf ihren Hintern, auch eine Schuhspitze in selbigen Platz fand.
„Wenn du etwas weniger Tra-tra um der ihre Kreationen gemacht hättest, wärs auch gut gewesen,“ maulte sie bei Shania herum, als sie nach dem Unterricht auf eine Tasse Tee in ihrer Baumhütte war.
„Schatz,- sie ist fantastisch! Ich wäre eine räudige Lehrerin, wenn ich das nicht honorieren würde. Ich kann mir wirklich vorstellen, dass sie eine Pest auf zwei Beinen ist, aber ihr Glamour ist erste Sahne! Ich würde gerne einmal ihre Verwandlung sehen, ich wette, die ist auch außergewöhnlich.“
„Lad sie doch auf einen Tee ein, dann könnt ihr zusammen Tannenzapfen in Gold Dublonen verwandeln“, giftete Caya.
Shania sah sie nachdenklich an. Dann stellte sie ihre Tasse ab und zog Caya an sich.
„Was ist los? Du bist doch nicht grantig, weil ich sie gelobhudelt hab. Was steckt dahinter?“
„Eonan hat Caya abserviert und schwänzelt jetzt um Moira herum.“ Broc übersprang die Ouvertüre und servierte gleich den Hauptakt.
„Es ist schön, deine aufbauenden Worte zu hören,“ fauchte Caya.
„Oh, das tut mir sehr leid , Kleines.“ sie drückte sie und streichelte ihr über das Haar.
„Soll ich sie in eine garstige Kröte verwandeln für dich?“
„Da würde man kaum einen Unterschied merken“.
„Doch, Kröten haben nicht so nen dicken Hintern wie die!“ Broc versuchte Boden gut zu machen und sie schenkte ihm ein huldvolles Lächeln.
Sie schilderte Caya das Vorgefallene und versuchte gegen ihre aufsteigenden Tränen anzukämpfen.
„Was ist das, was du empfindest, wenn du ihn mit Moira siehst? Würdest du es als Gefühl schmerzlichen Verlustes bezeichnen oder eher als verletzte Eitelkeit?“ Shania konnte auch diskret wie ein Amboss sein.
Caya hob indigniert die Augenbraue.
„Es ist wichtig, dass du ehrlich zu dir selbst bist. Ist Eonan deine große Liebe? Zerreißt es dich wenn du dir ein Leben ohne ihn vorstellst oder ist da eher das Gefühl des verlorenen Vertrauten? Über diese Fragen musst du dir klar werden, nur dann kannst du reagieren.“
„Du hast Recht. Es ist schwer zu beantworten. Eonan war mein erster wirklicher Freund. Ich habe keinen Vergleich, um meine Gefühle richtig einordnen zu können. Er war da, als ich damals hier ankam und vieles hatte sich so ergeben. Ich hab immer gedacht, dass ich ihn liebe, aber in letzter Zeit hatte ich mich öfters gefragt, ob das wirklich alles ist?
Wo sind die Schmetterlinge im Bauch, von denen man immer in den Kitsch-Romanen liest? Wo ist das Prickeln und die Aufregung? Ich bin siebzehn und nicht siebzig.“ Sie seufzte.
„Aber trotzdem vermisse ich ihn, das vertraute Miteinander und es macht mich total fuchsig, wenn ich ihn mit Moira da sitzen sehe.“
„Lass dir Zeit. Du wirst merken, wie viel er dir bedeutet,- oder auch nicht.
Wie wärs mit einem schönen Stück Schokoladenkuchen jetzt? Ich hab dem Küchenpersonal ein paar Stücke abgeschwatzt?“