20

 

 

Darham sagte: »Ich hätte nie gedacht, daß du ein Kov bist, Nath – ich meine, Kov Darjad.«

»Nath der Hammer reicht wirklich aus, Kühner.«

Schanake sagte etwas, worauf Mrindaban eine Erwiderung gab.

Der verzweifelte Ruf hatte Erfolg gehabt – wofür ich Opaz dankte. Die Armbrüste hatten sich auf Schanakes Befehl hin gesenkt. Natürlich erkannte er mich nicht. Aber ein Basich, der seinen Namen kannte, konnte nur der sein, dem er auf der einsamen Insel begegnet war.

Während Darham sich mit mir unterhielt und seine Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, daß sein neuer Kamerad ein Kov war, warf er den vier Armbrustmännern immer wieder mißtrauische Blicke zu. Sie saßen in einer Reihe auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle, die Armbrüste auf den Knien.

»Sieh sie dir an«, sagte Darham. »Der da ganz links spannt unablässig die Armbrust und entspannt sie dann wieder. Sie vertrauen uns nicht.«

Es war ein Schock für uns Pazianer, als die Dame Stasia plötzlich in gebrochenem und stockenden Pazianisch sprach. »Keine Angst haben. Der edle Lord Schanake befiehlt. Ruhig. Seht unseren ... Zustand ...«

»Das war edel gesprochen, Lady Stasia«, sagte Delia ganz ruhig. »Gut gemacht.«

Nun, es stimmte, wir sahen den Zustand, in dem sie sich befanden. Zwei der Soldaten trugen rotgetränkte Bandagen. Schanake selbst hatte einen tiefen Schnitt über dem Auge davongetragen. Stasias Kleidung bestand fast nur noch aus Fetzen, wie die der anderen auch. Sie hatten den Absturz ihres Vollers überlebt, den die Shargs abgeschossen hatten, aber, bei Krun, nur um Haaresbreite!

Doch trotz ihrer offensichtlichen Notlage blieb die Atmosphäre in der Höhle sehr angespannt. Nun, wie hätte es auch anders sein sollen? Hier unterhielten sich widerwärtige Shanks mit in ihren Augen zweifellos ebenso widerwärtigen Pazianern.

Die Dame Stasia sah aus, als wolle sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Wir hatten in einem leeren Alekrug frisches Wasser geholt, und nun befeuchtete Delia voller Besorgnis einen Stoffetzen und bot der fischgesichtigen Dame an, ihr die schuppige Stirn abzutupfen und so Erleichterung zu verschaffen. Stasia erlaubte es ihr.

Mrindaban stellte in seinem abscheulichen Schannisch die Frage, warum die Shanks den edlen Schanake jagten.

»Mich«, stieß Stasia geschwächt hervor. »Zoronsh, Edler des zweiten Grades ... er ... wollte ...«

Schanake unterbrach sie schnell und schlug vor, sie solle lieber ruhen statt zu sprechen. Mrindaban verstand das Wesentliche. Eifrig teilte er uns mit, daß sich die Dame Stasia ausruhen solle.

Ich fragte ihn auf unverfängliche Weise (und war überzeugt davon, daß Stasia den Sinn der Worte nicht verstand), ob ein Voller für unser Vorhaben ausreiche.

Er nickte. »Ja. Zwei wären besser, aber einer reicht ...«

»Gut. Dann sag dem Lord Schanake, daß wir einen der Voller entbehren können.«

»Was!« explodierte Darham. »Die stinkenden Fischgesichter! Bei Kuerden dem Gnadenlosen, ich sollte ...«

»Darham, mein Freund, beruhige dich. Das ist Perlen vor die Säue geworfen.« Natürlich benutzte ich einen kregischen Ausdruck. »Das sind Samen vor die Götter gestreut.«

»Zu Hanitcha dem Verheerenden damit, Nath oder Kov Darjad! Shanks! Sie zu behandeln, als handelte es sich um normale menschliche Wesen!«

»Ein paar von ihnen müssen es sein, Kühner. Und dann ist da noch die Sache mit der Farbe ihres Blutes.«

»Ja, gut«, grollte er und schwieg.

»Ja«, meldete sich Clandi zu Wort. »Die Lady Stasia sieht gut aus – für eine Fischkopffrau.«

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Fang du nicht auch noch an.«

Delia sah mich stirnrunzelnd an. »In diesem Zustand braucht Lady Stasia so bald wie möglich die Hilfe einer Nadelstecherin.«

Etwas an Delias Worten ließ mich aufhorchen. »Zustand?«

»Natürlich. Es ist noch nicht viel zu sehen. Aber ...«

»Bei den Riesenschenkeln und dem pendelnden Busen der Heiligen Dame von Belschutz!« Es war fast ein Stöhnen. »Nicht schon wieder das gleiche wie bei Ismelda! Also gut, damit ist die Sache entschieden. Sie bekommen einen Flieger.«

»Mit diesen Armbrüsten haben sie doch die Frage eigentlich für uns entschieden, oder nicht?« meinte Delia trocken.

Darham begriff, wovon hier eigentlich die Rede war. »Noch ein von Krun verlassenes Fischgesicht mehr, das Kregen verseuchen wird.«

»Nun hör aber auf, Kühner! Du weißt doch sicher das Wunder und das Geheimnis einer Geburt zu schätzen!«

Die Spannung legte sich, nachdem die Fischköpfe verstanden hatten, daß sie einen der Voller haben konnten. Seltsamerweise schien der Machtfaktor, den die Waffen darstellten, dabei keine Rolle zu spielen. Daraus konnte eine zögernde, sehr zerbrechliche und vom Mißtrauen geprägte Freundschaft erwachsen. Mit Hilfe von Stasias gebrochenem Pazianisch und Mrindabans nicht minder schlechtem Schannisch erfuhren wir die Geschichte der Liebenden.

Delia lächelte mich an, als wir die Einzelheiten hörten. »Eine Fischkopf-Romanze«, sagte sie leise. »Eine Liebesgeschichte unter Fischgesichtern. Wer hätte das gedacht?«

Rivalitäten und schwärende, von Haß getriebene Fehden entstellten die Zivilisation der Shanks – was bei uns leider ja auch nicht viel anders war. Schanake kam von einer anderen Insel; als er den Schiffbruch erlitten hatte, war er dorthin unterwegs gewesen. In der Zwischenzeit war Stasia von Zoronsh, diesem Adligen des zweiten Grades, in seine Gewalt gebracht worden. Daß in seinen Adern grünes Blut floß und in ihren rotes, bedeutete bloß, daß sie keinen Nachwuchs zeugen konnten, ansonsten stand einer Verbindung nichts im Weg. Stasia und Schanake waren offensichtlich leidenschaftlich ineinander verliebt. Ich bedauerte, daß ich auf Darham gehört hatte und nicht vorwärtsgestürmt war, um Stasia zu retten, als sie gefoltert wurde. Das hätte ihr zumindest ein paar Augenblicke der Qual erspart.

Sie hatten aus dem zerstörten Voller Proviant retten können, und den teilten sie mit uns. Dort draußen warteten irgendwo grünblütige Shanks und feindselige Shargs, da bestand kein Zweifel. Und hier saßen wir warm und gemütlich und brachen das Brot mit Fischgesichtern. Unglaublich!

Da trat eine flackernde blaue Lichtsäule in Erscheinung, genau gegenüber von Delia und mir. Ich wußte, daß diese geisterhafte Manifestation nur für uns beide sichtbar war. Das Licht stabilisierte sich und nahm so weit feste Form an, um ein fröhliches Gesicht zu enthüllen, das von einem gewaltigen Turban gekrönt wurde, der jeden Augenblick auf der einen Seite herunterzufallen drohte.

»Lahal, meine liebe Dame Delia, und Lahal auch dir, Jak. Das hier ist sehr schwer, und ich kann nicht lange bleiben.«

Delia reagierte blitzschnell und ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. »Ich nehme an, es wird eine schöne Nacht werden. Wir werden dann aufbrechen.« Ihre Worte ergaben für alle Anwesenden einen Sinn. Doch es teilte unserem Freund Deb-Lu-Quienyin, dem Zauberer aus Loh, der seine geisterhafte Projektion um die halbe Welt geschickt hatte, alles mit, was er wissen wollte – abgesehen von der Tatsache, daß wir noch am Leben waren. Das war ja offensichtlich. Die fröhliche in blaßblaues Licht getauchte Gestalt nickte, und der Turban geriet bedenklich ins Rutschen. »Zum Mittelpunkt«, fügte Delia hinzu. Stasia sah auf, als sie diese rätselhafte Ankündigung hörte.

Das blaue Licht vibrierte, wurde dünner und löste sich gänzlich auf.

Zu Hause in Vallia würde Deb-Lu jetzt aus dem Lupu kommen, aus der seltsamen, von Magiern aufgesuchten Dimension in die normale Welt zurückkehren. Bei diesem Zwischenreich handelte es sich bestimmt nicht um die Ebene, die die Herren der Sterne benutzten, nie im Leben!

Deb-Lu würde allen unseren Freunden erzählen, daß wir noch am Leben waren. Delia schenkte mir ein kleines Lächeln, und ich wußte, daß wir das gleiche dachten und daß dieser Gedanke ein warmes Gefühl brachte.

Ein gerissener alter Hase hält natürlich stets Augen und Ohren offen, und so hatte ich die ganze Zeit während des angenehmen Mahls den Soldaten zugehört. Bis jetzt war es mir erfolgreich gelungen, meine Kenntnisse der schannischen Sprache zu verbergen, und ich hatte nicht vor, dieses kleine As im Ärmel nun vorzuzeigen.

Das Seltsame an der Unterhaltung der Fischgesichter war die Tatsache, daß sie sich zwar für meine Ohren fremd anhörte, sich aber im Grunde nicht vom Gerede anderer kregischer Krieger unterschied. Zum Beispiel beschwerten sie sich über ihren unmittelbaren Vorgesetzten, obwohl er gar nicht anwesend war.

Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen, und einige der Monde erschienen am Himmel.

»Zeit für Remberee«, sagte Stasia zischend und schnalzend. Das Zischen kam, als sie hinzufügte: »Danke.«

Wir verabschiedeten sie, und Darhams Mißtrauen ließ erst in dem Augenblick nach, in dem der Voller in den Schatten verschwand. Dann sagte er: »Bei Hanitcha dem Verheerenden! Ich glaube es noch immer nicht. Das ist ein Abenteuer, das ich den Paktuns in der Rubinroten Weinschnute bestimmt nicht erzählen werde. Nein, bei Krun!«

Die Zeit zum Aufbruch war gekommen. Mit Delia an den Kontrollen flogen wir über die Landschaft der Vo'drin, bis wir zu einem Tal kamen, das eher an eine tiefe, mit jäh abfallenden Wänden versehene Felsspalte in den Bergen erinnerte.

»Das dürfte reichen.« Mrindaban hatte seine alte Form wieder erreicht und benahm sich wie ein Wichtigtuer.

Wir landeten, und der gelehrte San befahl uns, eine Höhle oder eine Spalte in der Felswand zu suchen. Clandi hatte Erfolg; er fand eine Höhle mit einem schmalen Eingang, der in eine undurchdringliche Finsternis führte. Delias Feuerzeug spendete eine Flamme, die unsere Fackeln in Brand setzte.

Wie in jedem vernünftig ausgerüsteten Flugboot lag die Werkzeugtasche unter dem Sitz. Ich holte sie hervor. »Ich mache so schnell, wie ich kann«, verkündete ich. Dann fing ich an, das aus Bronze und Balass bestehende Orbitgestänge auszubauen, in dem die ebenfalls aus Bronze hergestellten Antriebskästen des Fliegers untergebracht waren.

Darham half mir, den Antrieb hochzuheben, und anderthalb Bur später war er tief in der Höhle untergebracht.

»Ich bin wirklich froh, hier drinnen zu sein«, sagte Delia. »Ich habe mir die ganze Zeit Sorgen gemacht, die Fackeln könnten Shanks oder Shargs anlocken.«

Alle – mit Ausnahme von Mrindaban – packten mit an und halfen, den Antrieb mitsamt Kontrollen in eine Spalte in der Höhlenwand zu zwängen und ihn dann von oben und unten mit Felsbrocken sicher zu verkeilen.

»Das muß reichen«, sagte ich schließlich. »San?«

»Ja, ja. Ich muß mich jetzt konzentrieren.«

Er ließ sich Zeit. Er setzte sich hin, schloß die Augen, atmete tief und gleichmäßig und wanderte die Pfade in seinem Bewußtsein entlang. Alternative Magie, die in Naturphänomene eingreift, erfordert Entschlossenheit und Kraft. Mrindabans Stirn glänzte, Schweißtropfen rannen hinunter.

Plötzlich flutete rosafarbenes und goldenes Mondlicht in den schmalen Höhleneingang. Die Frau der Schleier tauchte die Welt Kregens in ihr Licht. Ich ging hin und sah hinaus. Ich dachte mir nichts weiter dabei, da mich mein Lieblingsmond nun einmal jedesmal aufs neue fasziniert.

Bei dieser Gelegenheit erwies mir die Frau der Schleier einen Dienst – einen großen Dienst, bei Vox! Sie krochen deutlich sichtbar durch das felsige Tal. Sie wußten, daß wir uns in der Höhle aufhielten. Sie wollten uns dort in die Enge treiben und kurzerhand erschlagen.

Hätte die Frau, die auf so königliche Weise zwischen den Sternen ihre Bahnen zieht, mich nicht nach draußen gelockt – es wäre sofort um uns geschehen gewesen. So wie es aussah, waren es verdammt viele von ihnen. Die Schlangengesichter mit den starrenden Augen verzerrten sich vor Haß, als sie mich entdeckten. Überrascht oder nicht, wir saßen in der Falle.

»Kühner«, sagte ich leise. »Leise. Wir haben Gesellschaft.«

Einen Augenblick später war er an meiner Seite und atmete geräuschvoll. Im Licht des Mondes bot sein Haar einen wundersamen Anblick.

Zu meinem Entsetzen wußte ich ganz genau, daß Delia die Klaue aus ihrer Tasche holen und sich über die linke Hand schnallen würde. Es gab nicht die geringste Möglichkeit, sie aus dem kommenden Kampf herauszuhalten.

Da der Zugang zur Höhle so schmal war, konnten nur zwei Mann nebeneinanderstehen. Das bedeutete, daß die Shargs hoffentlich immer nur zu zweit angreifen konnten. Schössen sie mit Pfeilen auf uns – nun, bei Kurins Klinge, dann schössen sie eben mit Pfeilen auf uns.

Mit den Disziplinen der Krozairs von Zy konnte ich heranrasende Pfeile beiseite schlagen. Aber das konnte natürlich nicht die ganze Nacht gelingen.

»Zwei zur gleichen Zeit«, ertönte hinter mir eine helle Stimme. Delia. »Wir wechseln uns ab. Und ich will nichts hören, Kov Darjad, den man auch Nath den Hammer nennt.«

»Ja, meine Dame!«

Bei allen Göttern, ob es auf zwei Welten wohl eine zweite Frau wie sie gab?

Bei ihrem ersten Ansturm stürzten sie sich nicht wie eine Horde wilder Leems auf uns. O nein. Sie waren noch viel wilder als Leems. Eine Besonderheit ihrer Rasse schien die Liebe zu Blankwaffen zu sein. Sie feuerten keine Pfeile auf uns ab. Sie kamen einfach auf uns zu, mit nacktem Stahl in der Faust.

Also kämpften wir.

Die Shargs mochten noch so schrecklich sein, sie schlugen sich tapfer. Darham kämpfte großartig. Die Anwesenheit seiner schweren haarigen Gestalt an meiner Seite flößte mir Zuversicht ein. Und so schlugen wir eine Schneise in sie hinein, trugen Wunden davon und kämpften erbittert weiter. Wir hatten den Vorteil der Höhle. Ohne ihn wäre das unweigerliche Ende viel schneller eingetroffen.

Darham stieß keine Schlachtrufe aus. Er kämpfte hart, mit kräftesparenden Bewegungen. Die Shargs kreischten etwas, verworrenes Zeug, heidnische Namen, die für uns keine Bedeutung hatten. Ich nahm das Getöse bald nicht mehr bewußt wahr, während ich zuließ, mit den Schwertdisziplinen eins zu werden.

Delias befehlsgewohnte Stimme durchdrang das leere Rauschen in meinen Ohren mit der Schärfe eines Skalpells.

»Zeit zum Wechsel!«

»Noch nicht!« brachte ich mühsam hervor und schlitzte den Leib eines Schlangenkopfs auf. Der nächste nahm seinen Platz ein. »Keine Zeit!«

Darham trug eine Wunde am linken Oberarm davon. Er taumelte wortlos zurück, bekam sich wieder unter Kontrolle und stürzte sich wieder wild ins Getümmel.

Das also war der letzte große Kampf.

Alles wurde unscharf, nur die Shargs waren real in dieser phantomhaft unwirklichen Welt.

Sie rückten unablässig weiter vor, schrille Schreie ausstoßend, und von meiner Klinge tropfte es grün.

Ein direkt vor mir stehender Schlangenkopf hieb mit dem Bihänder nach meinem Kopf; ich duckte mich.

Es war wie der Zaubertrick eines Bühnenmagiers: Aus dem Nichts raste ein langer, mit den rosigen Federn des Zimkorfs befiederter lohischer Pfeil heran, durchschlug seinen Hals und ragte auf jeder Seite ein Stück hinaus.

Eine Stimme übertönte die schrillen Rufe.

»Nun, mein alter Dom, wie ich sehe, steckst du wie gewöhnlich bis zum Hals darin!«