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Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, kämpfte mich auf die Beine, schenkte der Krabbe einen kläglichen Blick und ergriff die Flucht.
Und ob, bei Zair!
Das Tier folgte nur seiner Natur wie der Skorpion in der Fabel mit dem Frosch. Hätte es sich um einen Skorpion gehandelt, hätte ich vielleicht ausgeharrt, um herauszufinden, was die Herren der Sterne mir zu sagen hatten. Diese Krabbe hingegen gäbe sich alle Mühe, mich mit der einen Schere zu packen und mir mit der anderen unaussprechliche Dinge zuzufügen.
Das durfte ich natürlich nicht zulassen. Mir blieb keine andere Möglichkeit, als sie auf den Rücken zu werfen. Vermutlich würde sie es schaffen, rechtzeitig wieder auf die Beine zu kommen. Es kam eben auf ihr Geschick an – und das Geschick der Wesenheit, die ihren Körper geschaffen hatte.
Dieser letzte Gedanke war nicht völlig metaphysisch. Denn da ich das Töten nun einmal von ganzem Herzen verabscheue, blieb mir, einem Krozair von Zy und einem Krovere von Iztar, nur eine ehrenvolle Alternative. Die Flucht.
Und so stürmte Dray Prescot los.
Wenn ich behauptete, die aufdringliche Krabbe hatte die Größe eines Hundes, bin ich mir durchaus bewußt, daß es Hunde in allen möglichen Größen gibt. Dieses hübsche Exemplar seiner Gattung besaß die Größe eines ausgewachsenen Bernhardiners. Ihre Scheren, die nur darauf warteten, von der Seite zuzupacken, wiesen die Größe einer irdischen Baggerschaufel auf. Trotzdem, bei Krun, man mußte sie doch bloß auf den Rücken drehen, und dann ...!
Das lehmgrüne Krustentier war diesem Schicksal entgangen. Das freute mich. Und so lief ich nackt wie ein Neugeborenes den Strand entlang.
Fehlende Kleidung stellt auf Kregen kein allzu großes Problem dar; natürlich kommt es darauf an, wo genau man sich auf dieser wunderbaren und schrecklichen Welt aufhält. Fehlende Waffen hingegen sind eine sehr ernste Sache, bei Zair!
Nachdem ich nach meiner Ankunft wieder einigermaßen zu Sinnen gekommen war, hatte ich instinktiv den Himmel überprüft. Verbreiteten dort oben zwei Sonnen strahlendes rotes und grünes Licht? Oder leuchtete dort nur eine kleine gelbe Sonne? Das letztere hätte ein schreckliches, unerträgliches Schicksal bedeutet, an das man nicht einmal denken durfte. Beim Schwarzen Chunkrah, jawohl!
Natürlich hatte mir die Größe der Krabbe die Wahrheit verraten, und da waren auch die wundervollen rubinrot und jadegrün getönten Schatten, die sich über den Strand erstreckten. Als ich meine Schritte verlangsamte, blickte ich zurück. Die Krabbe eilte aufs Wasser zu. Ich verkniff mir ein Lächeln, dabei wäre in dieser Situation eine kleine Gefühlsregung durchaus angebracht gewesen, bei Krun!
Die Brandung rollte geräuschvoll an den Strand, und das Gemurmel der Wellen erfüllte die Luft mit einer vertrauten und beruhigenden Normalität. Palmen beugten sich auf langen schlanken Stämmen auf das Wasser hinaus. Eine felsige Landzunge umschloß eine hübsche kleine Bucht, in der sich Wellen mit weißer Gischt an den Felsbrocken brachen. Am Himmel kreisten Möwen und krächzten glücklich. In der bis zum Strand heranwuchernden Vegetation kündeten hell aufblitzende Farben von der Existenz vieler verschwenderisch blühender Blumen aller Sorten und Düfte.
Es war durchaus möglich, daß es sich hier um eine menschenleere Insel handelte, doch es war auf keinen Fall ein nackter Fels im Ozean.
Ich ging weiter, bis ich das Ende der Bucht erreicht hatte. Ein paar angetriebene Bretter, die sich zwischen den Felsen verkeilt hatten, erregten meine Aufmerksamkeit. Ich sah sie mir näher an und kam bald zu dem Schluß, daß es sich um die traurigen Überreste eines Schiffswracks handelte.
Ich begab mich ins Wasser, wobei ich aufpaßte, von der Strömung nicht gegen einen der Felsen gestoßen zu werden, und nahm mir ein handliches Stück Holz. Probeweise ließ ich den Rest der Planke, der einen vernünftigen Knüppel abgab, durch die Luft sausen. Nun, bei Krun, ich hatte schon früher mit einem Stück Holz statt mit einem Schwert gekämpft.
Und so erforschte ich ausreichend bewaffnet meine neue Heimat.
Denn – da durfte ich mir nichts vormachen – ich steckte hier fest, bis derjenige, der mich hier abgesetzt hatte, den Wunsch hegte, mich an einen anderen Ort zu bringen.
Ein Wust von Eindrücken schwirrte mir im Kopf herum. Da war das allgegenwärtige blaue Licht gewesen, vielleicht ein verschleierter Hinweis auf die Anwesenheit des Riesenskorpions. Da war das grüne Licht gewesen, also Ahrinye! Und da war das rote Licht gewesen, das die anderen Herren der Sterne verkörperte. Doch war da tatsächlich auch ein prächtig leuchtender, gelber Schimmer gewesen?
Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Wenn ich mich jedoch nicht irrte, dann war Zena Iztar vor der Kristallkuppel anwesend gewesen.
Und wenn dies der Fall war ... Ich hörte auf, in diese Richtung zu denken.
Das Meer glitzerte zu meiner Rechten, die Palmen neigten sich zu meiner Linken, und der Boden stieg steil in die Höhe. Als ich den Kamm des kleinen Hügels erreichte und in die Tiefe schaute, verdrängte ich sofort jeden Gedanken an Zena Iztar.
Unter mir lag ein eher kleines Tal, in dem man einen aus dem Landesinnern strömenden Fluß erwartet hätte. Der Talboden war dicht bewachsen; zwischen der grünen Vegetation leuchteten farbige Blumen. Von einem Fluß war nichts zu sehen, es gab nicht einmal einen Bach. Nur ein ausgetrocknetes Flußbett.
Da es an meinem Standort keine sichtbehindernden Bäume gab, konnte ich weit nach links blicken, wo sich drei hohe Berge in den Himmel streckten. Jeder von ihnen hatte die Form eines nahezu makellos geformten Kegels, der von dicht beieinanderstehenden grünen Bäumen förmlich überflutet wurde. War das der Mittelpunkt der Insel?
Die Erforschung mußte warten. Der fehlende Fluß war eine unangenehme Überraschung, und dementsprechend groß war meine Enttäuschung. Phlegmatisch hob ich vier Steine auf und trottete zurück zum Strand und zu den nächsten Palmen.
Der zweite Wurf ließ eine Kokosnuß in die Tiefe fallen. Das verdammte Ding zerbrach beim Aufprall, und Kokosmilch spritzte über den Boden. Ich sagte ein paar häßliche Tatsachen über die Heilige Dame von Belschutz und warf erneut.
Diesmal warf ich mich nach vorn, fing die Kokosnuß mit beiden Händen, rollte mich über die Schulter ab und sprang wieder auf, bereit, den Ball weiterzugeben. Nun, zumindest überkam mich in diesem Augenblick dieses Gefühl.
Der letzte Stein hatte ebenfalls Erfolg. Ich sammelte die Geschosse wieder zusammen und schlug mit ihnen meine Beute auf. Mit dem Holzschwert unter dem Arm ging ich dann weiter und trank dankbar von der erfrischenden Kokosmilch.
Der Getränk war süß und wohlschmeckend, genau wie das Fruchtfleisch, als ich die Zähne darin versenkte.
Zim und Genodras, die Zwillingssonnen von Scorpio, neigten sich dem Horizont zu. Ich brauchte ein Nachtlager. Es wäre nicht schwierig, einen Bogen zu konstruieren. Ein angespitzter Pfeil fliegt einigermaßen und ausreichend gerade, um seine Pflicht zu tun, solange er eine einigermaßen vernünftige Befiederung bekommt. Jeder, der durch die Schule Seg Segutorios gegangen ist, des besten Bogenschützen zweier Welten, sollte den Topf füllen können.
Vorausgesetzt natürlich, es gäbe jagdbares Wild.
Vielleicht hätte ich zurückkehren sollen zu meinem Freund Krabbe. Ich kann nicht behaupten, daß ich gern Fisch oder Meeresfrüchte esse, doch ein hungriger Bauch will irgendwie gefüllt werden, bei Krun!
Während ich so über meine Misere nachdachte, erkannte ich, daß meine Gefühle keinesfalls aufgewühlt waren oder von rasender Wut erfüllt wurden. Bei Zair, das war seltsam! Wenn man mit den Herren der Sterne zu tun hat, muß man lernen, geduldig zu sein. Ich hatte lange Zeit gebraucht, um das zu begreifen. Doch im Leben spielt man die Karten aus, die einem zugeteilt werden. Allem Anschein nach konnte ich nur wenig tun, um die Geschehnisse zu beeinflussen.
Ja, ich würde die Insel umrunden und dann schon sehen, ob es jenseits der Küste noch andere Landmassen gab. Ein Boot oder eine Art Floß waren schnell konstruiert. Dabei war mir die ganze Zeit bewußt, daß es eigentlich nur eine logische Methode gab, um hier wegzukommen, und zwar durch die Intervention der Everoinye.
Bei dieser Überlegung gab es nur eine rätselhafte Sache, sozusagen einen Mißklang; anscheinend war hier niemand zu retten. Denn darum ging es bei meinen Aufträgen im Namen der Herren der Sterne: Man schickte mich Hals über Kopf in irgendeine schreckliche Gefahr, um irgendeinen armen Teufel vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Nun gut, ich hatte die Krabbe in Ruhe gelassen. Vielleicht zählte das ja?
Eine alles überschattende Tatsache blieb bestehen. Ich war hier nicht grundlos gelandet. Etwas ging hier vor, was die Everoinye erledigt haben wollten. Ergo durfte ich in meiner Wachsamkeit nicht nachlassen; ich würde es mir also so bequem machen wie nur möglich, eine ordentliche Mahlzeit zu mir nehmen und für den Notfall bereit sein, wenn er denn nun einträfe. O ja, bei Djan Kadjiryon, das würde ich tun!
Natürlich hatte der Prahlhans Dray Prescot, der mit weitgeöffneter schwarzzähniger Weinschnute hier nur Unsinn von sich gab, nicht die geringste Vorstellung, wie der schreckliche Notfall aussehen würde.
Die Sonnen standen nun tief, und ihr strömendes, vermengtes Licht tauchte das Land in blutrote und kupfergrüne Schatten.
Ich wollte gerade auf die Palmen zugehen, als ich einen letzten Blick zurück auf den Strand warf. Die Flut kam, und eine Art Strudel erregte meine Aufmerksamkeit und munterte mich auf. Da gab es noch mehr Trümmer von dem Schiffswrack, die mir hoffentlich von Nutzen sein konnten. Ein großer Krug voll Ale – das wäre jetzt genau richtig, bei Beng Dikkane!
In wenigen Sekunden hatte ich den Strand überquert. Jede heranspülende Welle setzte Seile, Planken und andere Trümmer in Bewegung. Mit den hohen Erwartungen eines Seemannes ging ich näher heran – und blieb wie erstarrt stehen.
In den Trümmern zeichnete sich die Gestalt eines Mannes ab. Er war nur mit einem langen weißen Gewand bekleidet, das nun schmutzig und völlig durchnäßt war. Er lag auf der Seite, der eine Arm trieb schlaff in der Brandung.
Ich bückte mich und drehte ihn um.
Das Entsetzen, das mich durchfuhr, raubte mir den Atem.
Der arme verfluchte Schiffbrüchige war ein Shank.
Sein Fischgesicht mit dem kleinen Kiefer und den runden Konturen ließ mich einen Schritt zurücktreten. Das Wasser überspülte seinen Körper, als die Flut stärker wurde. Seine Beine bewegten sich weniger als der Oberkörper, und als ich genauer hinsah, entdeckte ich, daß seine Füße in einem Seilknäuel feststeckten.
Welch gutes Cess! Die Flut würde steigen und ihn ertränken. Das ersparte mir die Mühe, ihm den Schädel einzuschlagen.
Im Gegensatz zu echten Fischen hatte er Augenlider. Sie waren geschlossen. Das enganliegende Gewand verriet mir, daß er einen muskulösen Körper besaß. Seine andere Hand steckte ebenfalls in den Schlingen eines Seils. Also hatte er versucht, sich zu befreien. Er hatte es versucht, war gescheitert und in Ohnmacht gefallen, und jetzt würde er ertrinken.
Ausgezeichnet!
Und so drehte ich, Dray Prescot, Herrscher von Paz, mich um und watete zum Strand.
Und blieb stehen. Um Opaz' süßen Willen! Ich hätte es besser wissen sollen. Die Erinnerung an Delia, die mir befahl, in ein verdammt tiefes Loch zu klettern, um einen jungen Zauberer aus Loh zu retten, schoß mir durch den Kopf. Aber hier handelte es sich um einen Fischkopf!
Ich stand reglos da und versuchte mühsam, die Situation richtig einzuschätzen.
War dies die ... Person ... zu deren Rettung mich die Herren der Sterne ausgesandt hatten?
Das war unvorstellbar.
Und doch war ich aus einem ganz bestimmten Grund an diesem Ort. Ich war wie ein träger Tagedieb umhergelaufen und hatte mir über Essen, Trinken und Waffen Gedanken gemacht. Dabei hatte ich größere, wichtigere Dinge achtlos beiseite gelassen.
War dieser verdammte, fischgesichtige Schank der Grund, warum ich hier war?
Ich glaube, es waren am Ende nicht die Herren der Sterne, derentwegen ich meine Entscheidung traf, sondern Delia, Delia von Delphond, Delia aus den Blauen Bergen – die schönste Frau zweier Welten –, die mich überzeugte.
Grollend bückte ich mich und riß die nassen Taue von den Füßen des feinen Burschen weg. Dann packte ich ihn unter den Achseln, hob ihn aus dem Wasser und zerrte ihn über den gesamten Strand bis zu den Bäumen, die hier wuchsen. Er rührte sich nicht und gab auch kein Stöhnen von sich. Ich legte den schlaffen Körper in eine bequeme Position. »Jetzt bleib da liegen und verfaul, du fischgesichtiges Ungeheuer!«
Die untergehenden Sonnen warfen tiefe rote und grüne Schatten in die Schleifspuren, die ich hinterlassen hatte, als ich den Fischkopf auf den Strand zog. Dieser ganze Quatsch, den ich veranstaltet hatte, nur um mich an meine Vorsätze zu halten und jedes kaltblütige Töten nach Möglichkeit zu vermeiden, hatte mich aufgehalten. Es war schon später, als mir lieb war, um einen Unterschlupf für die hereinbrechende Nacht zu suchen.
Doch wie Sie sicherlich bemerkt haben, fiel es mir in der ganzen Zeit, während ich über diese absurden ritterlichen Neigungen schimpfte, keinen Augenblick lang ein, der göttlichen Delia die Schuld zu geben. Delia war und ist über jeden Vorwurf erhaben, und das wird auch nie anders sein.
Die Stelle, die ganz annehmbar aussah, lag ein Stück weiter den Strand entlang, und so ging ich darauf zu, wobei ich Sand los trat. Der Wind erstarb zu dieser Stunde, und das Rauschen der Bäume verstummte. Ich eilte in rubinrotes und smaragdgrünes Licht getaucht weiter und verfluchte den verdammten Shank.
Eines stand fest, bei Krun! Ich wollte ihn während der Nacht nicht in meiner unmittelbaren Nähe wissen. Nach kurzem Marsch bog ich ab und begab mich zwischen die Bäume. Die meisten Blumen hatten für die Nacht ihre Kelche geschlossen; später würden sich die Mondblumen öffnen und die Nachtluft versüßen.
Und so eilte ich weiter wie ein unerfahrener grüner Junge, statt wie der erfahrene Kämpe, für den man mich hält. Zwischen den Bäumen gab es eine Art Pfad oder Weg. Das riß mich nicht aus meinen Gedanken. Ich habe keine Entschuldigung. Ich benahm mich wie ein Onker, ein echter Onker, ein Get-Onker.
Der Boden gab unter mir nach.
Eingehüllt in eine Flut aus Zweigen, Blättern und Palmwedeln, stürzte ich kopfüber in die Grube.
Der harte Aufprall bei der Landung machte mich nur ein wenig benommen, und ich starrte wütend in die Höhe und sah sofort, daß die steilen Wände der Falle ein Entkommen sehr schwierig machen würden. Doch ich hielt noch immer meinen Knüppel in der Faust. Damit würde ich so lange graben, bis ich herausklettern könnte.
So dachte ich mit der Ungeduld, die so typisch für mich ist, als ich einen heftigen Schlag auf den Kopf erhielt.
Der letzte schwere Ast, der die Falle abgedeckt hatte, war in die Tiefe gefallen. Er traf mich mit dem stumpfen Ende. Zumindest kam ich zu diesem Schluß, bevor mich der schwarze Umhang des Notor Zan in sein Nichts hüllte.