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Überall war nichts als Wasser, so schwarz wie der Mantel des Notor Zan. Wir sanken in die Tiefe. Das Wasser war nicht kalt; die Zwillingssonnen hatten es am Tag erwärmt. Trotzdem erwartete mich ein kaltes Ende, wenn ich nicht zwei Dinge bemerkenswert schnell tat.
Da ich in der Lage bin, meinen Atem eine außerordentliche Zeit lang anzuhalten, konnte ich diese beiden Dinge erledigen und hatte dann noch immer genug Luft, um zur Oberfläche zurückzukehren.
Ich mußte meine Rüstung loswerden, das war offensichtlich. Aber das kam nicht an erster Stelle, nein, bei Krun! Ich mußte diesen lästigen Shank abschütteln, der sich wie ein Blutegel an mir festklammerte. Er hatte den Säbel verloren und wollte mit der einen Hand den Dolch aus seinem Gürtel ziehen, während er mir mit der anderen die Gurgel zudrückte.
Ich tat es ihm nach und legte ihm die Finger um den Hals. Er war ein verdammter Fischmann, richtig? Also sollte er auch wie ein Fisch schwimmen können. Ich drückte zu – und zwar mit der tiefen Entschlossenheit, ihn zu erwürgen, bevor er mich erwürgte.
Wir kämpften beide mit strampelnden Beinen gegen das bewegungshemmende Meer an. Meine andere Hand schloß sich um sein Handgelenk und zwang den Dolch von dem beabsichtigen Ziel weg – meinem Leib.
Makki-Grodno geisterte durch meine Gedanken. Narr! Dieses unerfreuliche Erlebnis mußte mich völlig durcheinandergebracht haben. Welch einen Schwachsinn glaubte ich hier zu erreichen? Ich, Dray Prescot, handelte wie der größte Onker aller Zeiten.
Ich riß die Hand vom Hals des Shanks zurück und boxte ihn mit aller Kraft, die meine Muskeln aufbringen konnten, in den Magen.
Er sollte nicht aufhören zu atmen! Nein, bei Krun, er sollte im Gegenteil soviel atmen, wie er nur wollte. Und zwar Wasser!
Er zappelte wie ein an Land gestrandeter Fisch, was er in gewisser Weise ja auch war, und eine Kette aus Luftblasen sprudelte aus seinem Mund in die Höhe. Er wollte das häßliche Fischmaul wieder schließen, also versetzte ich ihm noch einen Schlag. Luftblasen schossen hervor und trudelten in die Höhe.
Nun bin ich der festen Überzeugung, daß die Herren der Sterne mir die nützliche Fähigkeit verliehen haben, unter schlechten Lichtverhältnissen gut sehen zu können, da ich dies schon öfter beobachtet habe. Zuerst hatte ich das nicht so recht glauben wollen. Aber die Ereignisse hatten mich mehr oder weniger dazu gezwungen, es als Tatsache hinzunehmen.
Wie dem auch sei, wir befanden uns hier unter Wasser, der Himmel über uns war mit schwarzen Sturmwolken verhüllt, trotzdem konnte ich genug erkennen, um seinen Dolch im Auge zu behalten und seinen Magen zu treffen. Ein Kribbeln rann meinen Körper entlang. Ich sah an mir hinab. Ich verspürte keinen Schock, sondern lediglich Verblüffung.
Schmale Fäden aus Licht wanden sich um meinen Körper und knüpften ein Netz, dessen Stränge sich in ununterbrochener Bewegung befanden. Die Farbe der wogenden Fasern verstärkte noch den traumähnlichen Eindruck, den dieses Netz hinterließ; es war ein von Grüntönen durchzogenes kränkliches Blau. Das Kribbeln fühlte sich wie ein schwacher elektrischer Strom an, und dann breitete das Netz sich aus.
Meine Finger umklammerten noch immer die Dolchhand des Shanks. Der Strom der Luftblasen aus seinem Fischmaul wurde dünner und versiegte schließlich. Er war offensichtlich erledigt. Selbst in diesem Augenblick übernatürlicher Bedrohung fühlte ich, wie mein Haß auf ihn schwand. Ich kann nicht behaupten, daß mich echtes Mitleid bewegte, aber ich glaube, jedes lebendige Wesen verspürt einen leichten Schmerz, wenn der Tod seine grausame Ernte einholt. Also keine aufrichtige Trauer um den Shank, sondern eine allgemeine Trauer, daß das Leben wieder einmal gegen den Tod verloren hat. Diese Empfindung beschäftigt mich immer sehr.
Die sich windenden blaugrünen Fäden, die das Netz bildeten, weiteten sich zu einer Kugel aus; die einzelnen Stränge des Netzes waren nun weniger als eine Handbreit voneinander entfernt. Sie vermehrten sich mit rasender Geschwindigkeit.
Die Fäden umhüllten meinen ausgestreckten Arm und die Hand, mit der ich noch immer das Handgelenk des Fischkopfes hielt. Sie schmiegten sich um mein Handgelenk, dann kamen die Knöchel an die Reihe und schließlich die Hand des Shanks. Ich verspürte nur das angenehme Kribbeln. Unwillkürlich hielt ich die Hand des Fischmanns weiter fest. Aber dann amputierten die züngelnden Lichtfäden sie oberhalb des Handgelenks so sauber wie mit einem Metzgerbeil. Die Netzkugel stieß die Leiche in die finsteren Meerestiefen, die das Gebilde aus Licht umgaben.
Ich hing schwerelos genau in seiner Mitte. Das Kribbeln am ganzen Körper blieb bestehen, obwohl sich die flammenden Fäden von mir gelöst hatten, um die schützende Kugel zu formen. Ihr Durchmesser betrug etwa zehn Schritte. Sie war wasserfrei. Und ich wußte genau, daß ich unmöglich länger den Atem anhalten konnte.
Falls das Innere dieser okkulten Sphäre kein Vakuum war – was durchaus nicht unvorstellbar war, bei Vox! –, mußte es Luft zum Atmen sein. Wie dem auch war, ob Vakuum oder nicht, ich mußte es wagen und den Mund öffnen.
Ich tat es – und es war Luft! Süße, saubere, frische kregische Luft!
Für jemanden, der das Glück hat, unter den Zwillingssonnen von Antares auf Kregen zu leben, sind magische Geheimnisse ein Teil des alltäglichen Lebens. Nun gut, das ist vielleicht etwas übertrieben, man begegnet nicht unbedingt jeden Tag einem Wunder. Aber, bei Vox, es ist nicht allzuweit von der Wahrheit entfernt! Und so atmete ich die Luft in tiefen Zügen dankbar ein.
Diese unheimliche Erscheinung konnte das Werk vieler menschlicher Zauberer oder übernatürlicher Wesen sein. Zu meiner Überraschung ertappte ich mich jedoch dabei, daß sich meine Neugier in Grenzen hielt, obwohl ich mich natürlich schon fragte, ob diese Kugel wohl von den Herren der Sterne erzeugt wurde.
Nun, was geschehen sollte, würde auch geschehen. Selah!
Es waren die Herren der Sterne gewesen, die mich von der Erde, dem vierhundert Lichtjahre entfernt liegenden Planeten meiner Geburt, nach Kregen geholt hatten und mich kreuz und quer durch die Welt hetzten, damit ich ihre Aufträge erledigte. Vielleicht hielten sie mich für nützlicher, als ich es tatsächlich gewesen war; ich gab mich keinesfalls der Illusion hin, sie würden sich größere Sorgen um meine Haut machen als früher.
Vor allem zwei Dinge beschäftigten mich.
Erstens: Ich brauchte eine ordentliche kregische Mahlzeit.
Zweitens: Ich brauchte einen guten kregischen Tropfen, um meinen Durst zu stillen.
Als ich nüchtern darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluß, daß beide Bedürfnisse keineswegs selbstsüchtig waren. Auf Kregen sind sechs oder acht regelmäßige Mahlzeiten die Norm. Derjenige – oder die unheimliche Macht, bei Zair –, der mir auf diese Weise das Leben gerettet hatte, mußte sich darüber im klaren sein, daß ich etwas zu essen brauchte.
Das erinnerte mich an meine Kameraden, die dort oben im blutigen Kampf gegen Katakis und Shanks standen, und ich machte mir Sorgen über ihr Schicksal. Bei jedem Kampf an der Seite meiner Gefährten zittere ich um ihre Sicherheit. Erst recht dann, wenn ich weiß, daß sie ohne mich kämpfen, denn dann verstärkt sich die Sorge um ihr Wohlergehen um das Tausendfache.
Alle diese bruchstückhaften Gedanken machten mich wütend, denn sie waren völlig nutzlos. Bei dem läuseverseuchten Haar und dem Hängebusen der Heiligen Dame von Belschutz! Wenn diese übernatürlichen Wunderwesen, die mich gerettet hatten, nicht bald auftauchten, würde ich – ja, was würde ich dann tun?
»Beim Schwarzen Chunkrah!« knurrte ich. »Beweg dich! Bratch!«
Das blaugrüne Feuer, das die schützende Kugel bildete, brannte weiter. Wir sanken in die Tiefe. Die leuchtende Luftblase lockte Fische an. Rote, gelbe und purpurfarbene Augen glänzten hungrig. Gewaltige Schemen schwammen vorbei. Mit rasiermesserscharfen Zähnen ausgestattete riesige Mäuler klafften auf.
»Nun, ihr Onker«, sagte ich zu den Fischungeheuern, »ihr habt keine Gelegenheit, euch hier durchzubeißen!«
Dieses völlig sinnlose Gerede sorgte dafür, daß ich mich etwas besser fühlte. Die abgetrennte Hand, die noch immer den Dolch umklammerte, verstärkte die finsteren Gedanken und die sprachlose Wut noch. Das schreckliche Ding trieb in der Kugel umher wie ein irdischer Astronaut im schwerelosen All. Der Gedanke spendete mir einen gewissen Trost, das kann ich Ihnen sagen, bei Krun!
Ich konnte mich zwar umdrehen, doch es war unmöglich, mich aus dem Mittelpunkt der blaugrünen Feuerkugel zu entfernen. Ich hing dort herum wie ein geräucherter Schinken. Die Hand mit dem Dolch trieb ziellos durch den Raum. Als sie in Reichweite kamen, versetzte ich ihr einen ordentlichen Tritt. Was dazu führte, daß ich wie ein außer Kontrolle geratenes Riesenrad umherwirbelte.
Plötzlich flammte grelles Licht auf. Unwillkürlich schloß ich die Augen, doch ich bekam trotzdem mit, wie Faust und Dolch in das wogende Feuernetz flogen.
Beide wurden in dem unerträglichen Schein zerstört. Die Augen tränten mir, aber ich hielt sie geschlossen. Außerdem gab es im Augenblick nur wenig zu sehen.
Die offensichtliche Schlußfolgerung, die sich daraus ergab, lautete nicht, daß ich im Mittelpunkt der Kugel bleiben mußte, da die Gefahr zu verbrennen bestand; es hatte eher den Anschein, als täte mir das feurige Netz nichts. Warum sollte es auch?
Es gab eine Macht, die hinter diesen Geschehnissen steckte – ich war zu der Überzeugung gelangt, daß es sich um ein Etwas und nicht um eine Person handelte –, und bis sie sich entschied, sich zu offenbaren, saß ich fest. Wir sanken immer tiefer. Die Fische blieben zurück. Jetzt gab es außerhalb der unheimlichen Feuerkugel nur noch eine tiefe Dunkelheit, die darauf lastete.
Wir berührten den Grund. Ein alter Seemann vergißt dieses Gefühl nicht. Ich war mir bewußt, daß die Sphäre den Meeresboden entlangrollte, doch mir blieb verborgen, in welcher Richtung wir uns bewegten. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern! Und bei Gadjis Eingeweiden, selbst das war noch viel zu lang!
Fangarmähnliche lange Gebilde strichen über die Vorderseite und die Seiten der Kugel. Seegras! Lange Wedel glitten beiseite, als wir uns weiterbewegten. Das Seegras gab es in allen Formen und Größen, von fleischigen dicken Blättern bis zu farnähnlichen zarten Wedeln. Das Feld schloß sich hinter uns wieder, so daß wir von ihm eingehüllt weiterrollten.
Eine unbestimmte Zeit später löste sich die glühende Sphäre aus dem Seegrasfeld. Das Licht enthüllte eine Höhle, in der ausgebleichte, verformte Gewächse auf Felsvorsprüngen und in Spalten wucherten. Ich ließ meine Blicke umherschweifen, dazu bereit, wie gewöhnlich wüste Beleidigungen zu brüllen.
Die sich windenden Feuerfäden verblaßten.
Langsam verlor das Netz seine Helligkeit, die rhythmischen Bewegungen wurden langsamer, der hellgrüne Schein wurde zu einem dumpfen Braun.
Die Kugel zerfiel zu Staub.
Ich füllte die Lungen, solange es noch möglich war, denn ich nahm an, daß es hier keine Luft gab.
Unmittelbar vor mir blitzte ein grünes Licht auf und fiel in einem schrägen Kegel auf ein Rechteck aus Muscheln. Diese Muscheln wiederum bedeckten eine Tür, die ein grotesker Bogen umgab. Modriger Fäulnisgeruch stieg mir in die Nase, und ich verzog das Gesicht.
Mein Körper nahm Haltung an, als besäße er einen eigenen Willen. Nun ist durchaus nicht abzustreiten, daß sich die Leute auf Kregen unter den Sonnen von Antares an Magie und die seltsamen zauberischen Behelfsmittel der Magier gewöhnt haben. Doch glauben Sie bitte keinen Augenblick lang, daß ich kein Entsetzen verspürte! O ja, ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, erlebte die demoralisierende Furcht vor dem Unbekannten!
Ich nahm einen weiteren Atemzug der stinkenden Luft. Also hatte der Tunnel aus Seegras die Feuerkugel vom Wasser in die Luft befördert. Das grüne Licht züngelte über die muschelbedeckte Tür. In der Höhle herrschte völlige Stille.
Ich öffnete den Mund, um etwas hinauszubrüllen. Irgendein tapferer, gedankenlos hervorgebrachter Unsinn würde schon ausreichen. Mein Mund klappte wieder zu.
Die Stimme war wie Seide, die durch Stahl schnitt.
»Worauf wartest du, Dray Prescot, Herrscher der Herrscher, Herrscher von ganz Paz? Tritt durch die Tür!«
»Sarkastischer Hundsfott!« murmelte ich leise.
Ich stieß die Tür auf und trat über die Schwelle.