12
Diesmal war der Hurensohn von einer Schar halbnackter Mädchen umgeben. Es waren Bogenschützinnen aus Loh. Sie hatten süße, runde Gesichter, geschürzte weiche Lippen, doch sie waren so gefährlich wie Barrakudas und so zäh wie alte Stiefel. Sie waren zu acht, an jeder Seite seines verdammten Throns standen vier von ihnen. Die großen lohischen Langbogen waren halb im geübten Bogenschützengriff gespannt. Sie konnten den Bogen innerhalb eines Lidschlages anheben, spannen und abschießen.
Er saß etwas nach vorn gelehnt auf dem Thron, das bärtige Kinn auf die linke Handfläche gestützt, und sah mich nachdenklich an. Er trug ein Gewand in rauchigem Dunkelrot, das von den gepolsterten Schultern über ein Schuppenhemd hinabfiel. Er war mit goldenem Schmuck behängt. Die rechte Hand, so knochenweiß wie die linke, ruhte leicht auf dem Knauf der Doppelaxt, die aufrecht zwischen den Stiefeln stand. So hatte er auch ausgesehen, als ich ihm das erste Mal begegnet war. Er hatte den Helm aufgesetzt. Wenn man ihn ansah, konnte man nicht mit Sicherheit sagen, ob er ein Mann mit fischkopfverziertem Helm oder ein Fischkopf mit einem Menschengesicht als Halsschmuck handelte.
Das einem Alptraum entsprungene Gesicht war kalkweiß. Unter der papierdünnen, eng anliegenden Haut zeichnete sich die Knochenstruktur ab. Der lippenlose Mund zeigte eine Doppelreihe Reißzähne, die in breiten Kiefern ruhten und nach außen gerichtet waren. Dünne Nasenschlitze pulsierten. Ich sah ihm in die Augen. Die Augen eines Teufels, blauschwarz, doch gleichzeitig von einem wahnsinnigen purpurroten Glühen erfüllt; unheimlich, abstoßend, machtbesessen.
Das kleine geschuppte Wesen mit dem Silberkragen hockte noch immer an seinem rechten Bein. Nun wurde sein linker Stiefel von zwei nackten Mädchen umfaßt: Eines hatte wehendes blondes, das andere kurzes dunkles Haar.
Erneut ertönte das spöttische pfeifende Gelächter.
Zwischen dem dunklen Grün und dem schäbigen Schwarz der Haut- und Schuppenstreifen und dem Rot des Gewandes schimmerte ein weißer Fleck. Diese schmutzigweiße Stelle, die wie ein Fischbauch aussah, kroch tief unten an der linken Thronseite nach vorn, und eine klaffende rotschwarze Öffnung tat sich auf. Wieder erklang das spöttisches Gelächter. Es war das Gesicht einer Obszönität, weder Apim noch Fisch, eine Rassenmischung, die mit den jeweils übelsten Eigenschaften beider Rassen ausgestattet worden war. Ich starrte angeekelt hin. Doch es war durchaus möglich, daß die vortrefflichen, klugen Männer und Gelehrten Kregens, jene Wissenschaftler längst vergangener Zeiten, die mit Kregens Flora und Fauna so spielerisch umgegangen waren, auch diesen leichenblassen, blutegelgleichen Schrecken erschaffen hatten.
Der Thron schwebte einen Meter über dem Erdboden. Die Bogenmädchen aus Loh standen auf einer Höhe mit ihm.
Anhand des Winkels, den der Schatten der Mädchen mit dem des Throns bildete, erkannte ich, daß sich die Erscheinung nicht wirklich auf der Dschungellichtung befand.
Ich atmete tief ein und wieder aus, schwieg und wartete darauf, daß er vielleicht etwas zu sagen hatte. Ich hielt scharf nach seinem Schoßtier Arzuriel Ausschau; einmal hatte ich mich Arzuriels schon entledigt und später erfahren, das es sich um ein multidimensionales Wesen handelte, auf dessen erneutes Auftauchen man gefaßt sein mußte.
Er beobachtete, daß ich mich umsah.
»Mach dir keine Sorgen, Dray Prescot. Arzuriel kommt, wenn ich ihn rufe.«
Ich schenkte seinem Thron, seiner Kleidung und seinen Gefährten noch einen harten Blick. Sie boten ein Bild des Bösen. Ich spürte die Verderbtheit, die wie ein Lufthauch von ihnen ausging. Opaz allein wußte, wie viele ihrer Sorte es in der verpesteten Höhle gab, aus der sie kamen. Eins war über diesen Ort ganz klar zu sagen – er stank.
Wurde er zornig, weil ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, ihm eine Antwort zu geben? Das dunkle Purpurrot in seinen Augen leuchtete auf und glich sich dem rauchigen Rot seines Gewands an. Er hob den Kopf. Die linke Hand stieß vor, und der Zeigefinger deutete direkt auf mich. Die Fingernägeln waren lang, gekrümmt und scharf, wie Klauen.
»Du hältst dich für wichtig, du schmächtiger kleiner Apim! Ich sage dir, für meine Pläne bedeutest du weniger als nichts.«
Als er mir das letzte Mal auf diese Weise begegnet war, hatte er verhindert, daß ich rechtzeitig an den Ort gelangte, wo meine Anwesenheit verlangt wurde. Wovon hielt er mich diesmal ab?
Was meine Situation betraf, so wartete ich darauf, daß meine Freunde mich mit der Shankjid abholten. Mir kam der Gedanke, daß ihnen mein Anblick vielleicht verborgen bleiben würde. Ich blieb einfach mit dem Krozairschwert in der Hand stehen; ausgeglichen, aufmerksam, auf alles vorbereitet.
»Sehr oft hat Angst diese Wirkung«, fuhr er fort und senkte den ausgestreckten Finger. »Wie bei Risslaca und Woflo. Ich habe gehört, daß du ein falscher Jikai sein sollst, Prescot, konnte es aber eigentlich nicht glauben. Entspricht es vielleicht doch der Wahrheit?«
Ich schaute mir die Bogenschützinnen an. Sie waren hübsch. Als Uniform trugen sie lediglich vorn ein Schuppendreieck und hier und da ein paar Federn. Die am kräftigsten Gebaute hatte drei rote Federn im Stirnband. Sie sagte etwas, und ihre Stimme klang, als stieße ein Löffel gegen Glas. Auf jeder Seite senkten und entspannten zwei Mädchen den Bogen.
Er bemerkte, daß ich mir die Schönheiten ansah, und als ich mich wieder ihm zuwandte, hatte ich den Eindruck, daß seine Wangenknochen gerötet waren.
»Wir hätten zusammenarbeiten können, Dray Prescot, du und ich. Für meine Pläne brauche ich einen starken Mann, der in Loh die Herrschaft übernimmt. Ich dachte, ich hätte ihn gefunden, doch er war der Meinung, seine persönliche Macht verleihe ihm die Stärke, das zu tun, was er für richtig hält.« Seine Stimme nahm etwas von dem schrillen Winseln an, mit dem er mich zuerst angesprochen hatte. Die Sache beschäftigte ihn offensichtlich sehr. »Meine Pläne haben sich nicht so entwickelt, wie ich es mir gewünscht hätte.« Jetzt zeigte sich nackte Bosheit auf dem entsetzlichen Antlitz. »Doch alle Einmischung ist vorbei.«
Er verstummte. Falls es ihn verblüffte, daß ich nichts gesagt hatte, verbarg er es gut. Er saß auf dem Thron, schwatzte und milderte so das Schreckensbild ab, das er bot. In diesem Fall erwuchs aus Vertrautheit keine Verachtung. Er war eine geisterhafte Erscheinung; er hatte sich in Lupu versetzt und projizierte mit Hilfe des Kharma sein Bild an diesen Ort. Und er brachte seine Gefolgschaft gleich mit. Er war mächtig. Ich vermutete, daß er über genug Macht verfügte, um die vereinten Kräfte Deb-Lus und Khe-His abzuwürgen.
Das leichenblasse kleine Ding, das halb in den Schatten verborgen war, schlängelte sich nach oben. Der schwere Kopf mit der Krone beugte sich nieder, als es ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er richtete sich auf. Seine schrecklichen Augen, blauschwarz und rot, fixierten mich.
»N'gil meint, daß deine Furcht nur gespielt ist.«
Ich sagte nichts.
»N'gil möchte wissen, ob du dich trotzdem auf unsere Seite schlagen wirst.«
Bald mußten meine Freunde da sein. Der schwarzgraue Rauch meines Feuers erstarb langsam. Doch er hätte ausreichen müssen. Ich wollte den nichtmenschlichen Zauberer samt seiner Bande loswerden, bevor die Shankjid eintraf.
Er sprach die ganze Zeit über, und ich schwieg. Ich beobachtete den Waldrand für den Fall, daß Arzuriel auftauchte. Mit seinen vier Tentakeln, an dessen Spitzen sich reißzahnbewehrte Köpfe befanden, war er ein aussichtsreicher Kandidat für die Monstergalerie draußen im Dschungel. Es fehlte jede Spur von ihm.
»Nun, Dray Prescot?«
»Nein danke, Carazaar, deine Art von Existenz ist zu ungesund für mich.«
N'gil holte zischend Atem.
»Ich habe dir gesagt, daß du der Prinz aller Narren bist, Dray Prescot, der Onker aller Onker, ein Riesenonker ...«
Ich unterbrach ihn.
»Das habe ich schon oft und von vielen Leuten gehört, die dich gern langsam in deiner eigenen Zauberei sieden würden.«
Sein totenbleiches Gesicht verzerrte sich. »Ich glaube dir nicht.«
»Das bleibt dir überlassen, Carazaar. Sag bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Die Luft hinter dem Thron und seitlich flimmerte. Verschwommene Gestalten schienen sich dort zu bewegen. Zweifellos eine Art Abbild von Carazaars Schlupfwinkel, das mit über die Ebenen projiziert wurde. In dem Augenblick zwischen meiner Bemerkung und Carazaars knurrender Erwiderung war ein klares und deutliches Aufstöhnen zu hören, das seinen Ursprung direkt über dem Thron hatte.
Das war sicher die Frau mit den rundlichen weißen Armen, die Carazaars fischgesichtverzierte Krone für ihn umhertrug. Ob sie ihn mochte? Seit meinem ersten Zusammenstoß mit ihm wußte ich, daß Schwerthiebe durch seine Erscheinung hindurchglitten. Von der ganzen Bande hatte sich bis jetzt nur Arzuriel als feste Gestalt entpuppt, und der war aus einer Steinmauer gekommen, um mich anzugreifen. Konnte ich mich darauf verlassen, daß die Pfeile der Bogenmädchen mich nicht durchbohrten?
Ich konnte die Pfeile mit einer meiner Krozairdisziplinen aus der Luft schlagen. Aber angenommen, sie waren mit einem überlegenem Zauber belegt? Dann würde das Schwert den Pfeil durchteilen, ohne ihn abzuwehren, und die verzauberte Spitze konnte mich glatt durchbohren. Es war kein angenehmer Gedanke, nein, beim krummen Pfeil von Hork dem Squint!
Vielleicht las er die Absicht von meinem Gesicht ab; die finsteren Gedanken verliehen mir den alten Dray-Prescot-Teufelsblick. Ich gebe zu, daß ich die Stirn runzelte.
Seine rechte Faust umklammerte die Doppelaxt. Er hob sie und drohte mir damit. Es war reines Theater.
»Noch ist Zeit, daß du deine Meinung änderst, Dray Prescot.«
Der Thron, die Bogenschützinnen, die nackten Mädchen, die angeketteten Kreaturen, N'gil und Carazaar verblaßten allmählich.
»Remberee, Carazaar. Melde dich nicht bei mir, ich melde mich bei dir.«
Die Erscheinung flackerte auf und war verschwunden.