15. KAPITEL

Frauenporno-Autorin.

Immerhin zeigte sie sich nicht nackt im Internet, und sie half auch nicht per Telefon irgendwelchen Perversen beim Masturbieren. Was sie tat, war weder ungehörig noch illegal. Sie schrieb einfach nur Sexgeschichten. Und zwar über ihn.

Er war nicht sonderlich glücklich darüber, wieder zu ihr zu fahren, obwohl er versprochen hatte, vorbeizukommen, sobald das Verhör mit Brenda beendet war. Im Augenblick fühlte er sich unendlich erschöpft, sein Bett war viel zu weit weg, und seine Erleichterung darüber, dass Molly in Sicherheit war, hatte sich schon vor Stunden in Luft aufgelöst.

Brenda hatte die schrecklichsten Dinge über Mollys Geschichten erzählt, und bei der erstbesten Gelegenheit war er selbst online gegangen, um einen Blick in ihre Bücher zu werfen. Da waren sie, alle sechzehn Romane, die zur Hälfte sogar als Druckausgabe erhältlich waren. Der Verlag prahlte mit den sagenhaften Rezensionen, den diversen Preisen und Verkaufszahlen. Diese Frau war ein Star. Und Ben der Hauptdarsteller in so gut wie jedem Buch.

Diesen Teil der Geschichte hatte er bis zuletzt nicht glauben wollen. Wenn sie einfach nur schmutzige Geschichten geschrieben hätte – okay. Ein seltsamer Beruf, aber okay. Doch Gestohlene Küsse handelte eindeutig von ihm. Es reichte, den zweiseitigen Klappentext auf der Website zu lesen, um jeden Zweifel auszuschließen. Eine kleine Stadt in den Bergen. Ein junges Mädchen und der beste Freund ihres Bruders. Eine Wohnung über einem Fachgeschäft für Tierfutter, verflixt noch mal! Das Einzige, was sie geändert hatte, waren Namen und Alter. Ach ja, und natürlich den Verlauf jener verhängnisvollen Nacht. Was aber niemand außer ihm wusste.

Als er an Mollys Tür klopfte, war ihm so flau im Magen, dass er nur hoffen konnte, sich nicht gleich zu übergeben. Insgeheim hoffte Ben, dass sie noch schlief. Aber so viel Glück war ihm nicht beschieden. Sie öffnete die Tür und lächelte ihn an. Abgesehen von den dunklen Ringen unter ihren Augen wirkte sie so frisch und unschuldig wie eine Frühlingsblume. Sie trug bequeme Jeans und einen gelben Pulli, und ihr Haar hatte sie zu diesem mädchenhaften Zopf geflochten, bei dessen Anblick Ben jedes Mal das Wasser im Mund zusammenlief. Aber mittlerweile hatte er begriffen, dass sie trotz ihres Aussehens nichts mehr gemein hatte mit dem unschuldigen jungen Mädchen von damals.

„Tut mir leid, dass ich so spät dran bin“, murmelte er mürrisch.

Ihr Blick wurde misstrauisch. Sie musterte ihn so durchdringend, dass er betreten zu Boden sah. Dann hielt sie ihm die Tür auf. „Immer hereinspaziert“, sagte sie ironisch. Als ob sie ahnte, was ihr bevorstand. Und dabei wusste er selbst noch nicht mal genau, was er eigentlich sagen wollte.

„Brenda hat fast alles gestanden.“ Er stand wie ein Fremder mit dem Hut in der Hand in der Diele. Molly verschränkte die Arme und nickte.

„Sie behauptet zwar, dass sie die Schläuche an deinem Auto nicht zerschnitten hat, aber das würde vor Gericht ja auch als Mordversuch gewertet werden, und das weiß sie zweifellos.“

„Kluges Mädchen.“

„Immerhin wissen wir jetzt mit Sicherheit, dass sie in dein Haus eingebrochen ist. In diesem Punkt hat sie ganz offen geredet. Sie hat die Polizeiausrüstung verwendet, um sich Zugang zu verschaffen.“

„Das ist ja nicht unbedingt gute Werbung für euch.“

Er hob eine Braue, und Molly verschränkte ihre Arme noch etwas fester. Diesmal hatte er ausnahmsweise nicht das Gefühl, dass sie versuchte, ihn mit dem Anblick ihres Dekolletés abzulenken.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte sie mit harter Stimme.

Meinte sie ihre Beziehung oder den Fall? „Die Staatsanwaltschaft wird den Fall übernehmen und entscheiden, in welchen Punkten Anklage erhoben wird. Manchmal sind noch weitere Ermittlungen notwendig, aber in diesem Fall gehe ich davon aus, dass alles in trockenen Tüchern ist. Bestimmt können wir das Ganze bald zu einem Abschluss bringen.“ Als er bemerkte, wie zweideutig seine Worte gewesen waren, zuckte er zusammen.

Molly Blick wurde eiskalt. „Oh, das kann ich mir vorstellen.“

Er setzte seinen Hut auf und rückte die Krempe zurecht. „Na, dann gehe ich besser mal. Ich brauche dringend eine heiße Dusche und was zu essen. Der Staatsanwalt hat für drei Uhr ein Treffen veranschlagt. Ist mit dir so weit alles in Ordnung?“

„Mir geht es prächtig.“

„Die Nacht war traumatisierend. Vielleicht solltest du für ein paar Tage zu deinen Eltern ziehen.“

„Bis sich die ganze Aufregung gelegt hat?“

„Ja, so was in der Art.“

„Oder“, konterte sie mit einem ironischen Lächeln, „du nimmst mich mit in die Hütte, wie wir es geplant hatten, und wir erholen uns gemeinsam.“

„Ich, äh …“ Scheiße. „Ich glaube nicht, dass ich mir das Wochenende über freinehmen kann. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, und … tut mir leid.“

„Sicher. Natürlich. Mir tut es auch leid. Sehr sogar.“

„Molly …“

Sie warf ihm ein bitterböses Lächeln zu und schüttelte den Kopf. „Wir wissen doch beide, dass es hier um meine Bücher geht.“

Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. „Ich habe jetzt keine Zeit, darüber zu sprechen.“

„Oh, wetten, dass es nicht lange dauern wird?“

„Was willst du damit sagen?“

„Dass du dich trennen willst“, stieß sie hervor. „Aber du weißt nicht, wie. Schließlich gehört es sich nicht, seine Freundin sitzen zu lassen, nachdem sie gerade eben einen Mordanschlag überlebt hat.“

„Ich kann nicht … du …“ Sein Magen entspannte sich zwar endlich wieder, aber nur, weil Ben seine glühende Wut nicht länger unterdrücken konnte. Er wollte nicht streiten, nicht jetzt, aber … „Du …!“, grollte er, dann brach er ab.

„Na los, spuck es aus, Ben.“

Sie wirkte so selbstgerecht, dass er sie am liebsten in Grund und Boden gebrüllt hätte. Und genau das tat er dann auch. „Ich hätte nie im Leben gedacht, dass dein schmutziges, kleines Geheimnis etwas mit mir zu tun hat! Du hattest kein Recht, mir das zu verschweigen! Geschweige denn, mich in diesen Mist mit hineinzuziehen!“

Sie nickte gelassen. Es schien so, als ob seine Worte und seine Wut einfach an ihr abprallten, was Ben noch wütender machte.

„Kannst du mir verraten, wie du es geschafft hast, das vor dir selbst zu rechtfertigen?“

Molly zuckte mit den Achseln und schüttelte den Kopf.

„Wie zur Hölle konntest du mit mir schlafen, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass du solchen Schund über mich schreibst?“

„Es ist kein Schund“, murmelte sie.

„Oh, tut mir leid, dass ich deine empfindsame Schriftstellerseele verletzt habe. Ist dir das Wort Pornografie lieber? Oder Müll? Perverse Fantasien?

„Leck mich, Ben.“

„Tja, das würde ich ja“, fauchte er. „Aber vermutlich würdest du auch das in einem Roman verarbeiten.“

Sie warf die Schultern zurück und atmete tief durch. Als ob sie irgendeinen Anlass gehabt hätte, sich aufzuregen!

„Es ist kein Schund“, wiederholte sie. „Ich verstehe, warum du das sagst, aber wenn du auch nur einen einzigen meiner Romane gelesen hättest …“

„Glaub mir, das werde ich, genauso wie jeder einzelne Einwohner von Tumble Creek!“

„Ich … ich weiß ja, wie schwer das für dich sein muss, aber …“

„Schwer, na sicher. Ich gehe gerade durch die Hölle, und du denkst, ich habe es schwer? Ist dir eigentlich klar, wie schrecklich es für mich ist, dass meine Familie gerade in einen weiteren Sexskandal verwickelt wird?“

„Ja.“

„Und das weißt du, seit du deinen Fuß in diese Stadt gesetzt hast!“

„Ich …“

Ben riss sich den Hut vom Kopf und schlug sich damit gegen den Oberschenkel, um sie zu unterbrechen. „Eigentlich wusstest du es schon, als du diesen verdammten Roman geschrieben hast!“

Sie ballte die Fäuste. „Ich hätte nie im Leben gedacht, dass die Geschichte veröffentlicht wird! Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt nicht nachgedacht! Und als ich dann den Vertrag bekommen habe … Online-Publishing war damals noch eine ganz neue Branche. Ich dachte, na ja, vielleicht lesen das ein paar Hundert Leute und ich verdiene mir ein paar Dollar dazu, und das war’s dann! Aber als ich begriffen habe, dass …“

„Du hattest zwei Wochen lang Zeit, mir davon zu erzählen.

Ach Unsinn, zehn Jahre!“

„Aber ich konnte es nicht!“

Er war so wütend, dass seine Arme und Beine zitterten. „Und warum nicht? Und dieses eine Mal, Molly, kann ich dir wirklich nur raten, ausnahmsweise mal ehrlich zu sein.“

Sie wich einen halben Schritt zurück und breitete in einer flehentlichen Geste die Hände aus. Ihre Augen wirkten unnatürlich hell. Sie glänzten vor Schmerz und bettelten förmlich um Verständnis.

„Ben … Ich weiß, dass ich es dir hätte sagen sollen. Schon vor Jahren. Aber ich hab es einfach nicht über mich gebracht. Ich mochte dich, immer schon. Und darum wollte ich nicht, dass du meine perversen Fantasien liest.“

„Aber dass Millionen von anderen Leuten sie lesen, war dir egal?“

„Es wusste doch keiner, dass ich die Texte geschrieben habe! Und niemand wusste, dass du die Vorlage warst! Und außerdem waren es doch nur Fantasien!“

„Und wie soll ich bitte meine Familie und meine Freunde und überhaupt jeden Menschen, den ich kenne, davon überzeugen, dass es sich nur um Fantasien handelt?“

„Ich werde sie davon überzeugen“, sagte sie hastig.

„Na klar, weil dir irgendjemand glauben wird. Ausgerechnet dir.“

„Ich … Vermutlich hast du recht.“

„Ganz genau. Ich habe recht. Es ist aus, Molly.“ Er blickte auf seine Hände herab. Seine Finger umschlossen die Hutkrempe so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Aus und vorbei.“

Er hörte sie tief seufzen. „Aber heute Morgen … heute Morgen hast du doch noch gesagt, dass du mich liebst! Und ich dachte, wir könnten versuchen …“

„Heute Morgen hatte ich ja auch noch keine Ahnung, wie sehr du mich hintergangen hast! Weil du nämlich zu feige warst, mir die Wahrheit zu sagen! Es gibt nichts mehr, das einen Versuch wert wäre, Molly.“

Gott, er hatte von Anfang an gewusst, dass Molly ihn ins Verderben stürzen würde. Und als er jetzt beobachtete, wie ihr die Tränen die Wangen hinabliefen, spürte er, wie der Schmerz einsetzte. Bisher war er bis auf seine Wut wie betäubt gewesen vor Schock und Erschöpfung. Aber jetzt fing es an wehzutun, und zwar schlimmer, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Er hatte gesagt, dass er sie liebte. Und er hatte es so gemeint. Und jetzt zerbrach sein Herz in tausend Stücke.

„Okay“, flüsterte sie erstickt. Dann nickte sie langsam. „Okay, es tut mir leid.“

Nein, es ist nicht okay! wollte er schreien, aber er konnte den Anblick der Tränen auf ihren Wangen und den Drang, ihr eine ordentliche Ohrfeige zu verpassen, keine Sekunde länger unterdrücken. Also machte er auf dem Absatz kehrt und flüchtete. Er schaffte es gerade so in seinen Wagen, ohne etwas zu sagen, das er sein Leben lang bereuen würde. Etwas, das sie so sehr verletzen würde, wie sie ihn verletzt hatte.

Langsam, Schritt für Schritt, wankte Molly in die Küche, trank ein Glas lauwarmes Wasser und erledigte den Abwasch. Dann checkte sie ihre Mails, sah sich kurz die Nachricht ihrer Lektorin an und aktualisierte ihre Website um das neue Veröffentlichungsdatum.

Es war erst Mittag. Sie konnte jetzt nicht einfach wieder ins Bett gehen, oder? Schließlich blieb die Welt ja nicht einfach so stehen, nur weil Mollys privates kleines Universum gerade unterging.

Sie wollte nicht einmal daran denken, wie sehr sie Ben verletzt hatte. Wahrscheinlich war er jetzt am Boden zerstört, ausgeknockt von der Frau, der er erst gestern gestanden hatte, dass er sie liebte.

Gerade starrte sie aus dem Fenster auf eine Elster, die im leeren Vogelhäuschen herumhüpfte, als das Telefon klingelte. Mollys Herz machte einen so großen Satz, dass sie ihre Hand unwillkürlich zur Brust hob. Dann raste sie zum Telefon. Keuchend warf sie einen Blick auf die Anruferkennung. Aber es war nur Loris Nummer, die ihr da vom Display entgegenblinkte. Und Molly wollte im Augenblick mit niemandem sprechen. Außer natürlich mit Ben.

Als sie sich einige Minuten später, Rotz und Wasser heulend, auf dem Boden vor dem Telefon kniend wiederfand, entschied sie, dass es vielleicht doch gar keine so schlechte Idee war, wieder ins Bett zu gehen.

Und genau da blieb sie. Für zwei Tage. Arbeitete nicht. Aß kaum.

Aber die Achtundvierzig-Stunden-Depression hatte auch ihr Gutes. Jetzt hatte Molly endlich Zeit, sich Gedanken über ihr Leben und ihre Zukunft zu machen. Darüber, was Ben ihr bedeutete. Zwischen ihnen war etwas gewesen. Etwas Besonderes und Wichtiges. Und es war vollkommen idiotisch gewesen, all das aufzugeben. Aber wie sollte sie Ben davon überzeugen, dass er ein Idiot war?

Als sie die mittlerweile muffig gewordenen Laken endlich zurückschlug, war Molly Jennings deprimiert, ungewaschen und hungrig. Aber sie hatte einen Plan.