7. KAPITEL

Telefonsexanbieterin.

Ben warf einen letzten langen Blick auf Mollys schlafende Silhouette und schloss leise die Tür hinter sich. Mit ihrer Stimme und diesen Wörtern – sie wäre bestimmt die Königin der 0900er-Nummern.

Weil ihm die Neugierde langsam auf den Magen schlug, machte Ben einen Umweg über die Küche. Für einen Kaffee hatte er keine Zeit, also musste eine Cola reichen. Aber im Kühlschrank fand er nur Light-Produkte.

„Verdammt“, fluchte er leise und machte den Kühlschrank wieder zu, aber dann entdeckte er im letzten Moment einen kleinen Schatz im Türfach. Drei Fläschchen Frappuccino.

„Sie ist wirklich eine Göttin.“ Er schraubte den Deckel von einer der kleinen Flaschen und ging zur Tür. Missmutig betrachtete er das nicht gerade sichere Schloss und entschied, dass er Molly ein Bolzenschloss aufschwatzen würde.

Den Rücken noch der Straße zugewandt, hörte er hinter sich das Brummen eines Trucks und warf einen Blick über die Schulter. Dankbar stellte er fest, dass es sich nicht um Miles’ Wagen, sondern um einen dunkelblauen SUV handelte.

Aber seine Dankbarkeit währte nur kurz. In der kurzen Zeit, die es dauerte, von der Haustür bis zur Einfahrt zu laufen, fuhr noch ein weiterer Truck an ihm vorbei. Mollys Haus lag in einer Sackgasse – also was zur Hölle trieb die halbe Stadt hier draußen? Wütend starrte er einem Auto entgegen, das aus der Ausfahrt des Hauses am hintersten Ende der Straße bog. Als es vorbeifuhr, musterte Ben verdutzt die Frau am Lenkrad und den Kindersitz im Fond.

„Alles klar, ich bin am Arsch“, seufzte Ben, als seine Erinnerungsdatenbank eine wichtige Information freigab: Am Ende der Pine Road befand sich Miss Amy’s Daycare, aus Bens Perspektive ein Kindergarten in einer ziemlich indiskreten Lage.

Er knallte die Tür seines Wagens etwas zu laut zu und fühlte sich sofort schuldig, weil er damit Molly geweckt haben konnte. Es war noch nicht mal sieben, und sie hatte eine lange Nacht hinter sich.

Trotz aller Bemühungen, grimmig dreinzuschauen, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Die letzte Nacht war ein Riesenfehler gewesen. Ein absolut unvernünftiger, aber auch zutiefst befriedigender Fehler.

Mit einiger Mühe zwang er sich zu einer finsteren Miene und fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Nach einer kurzen Dusche bei ihm zu Hause betrat er die Station. Das Grinsen war ihm mittlerweile vergangen. Und als er seinen einzigen wertvollen Hinweis bei Google eingab, wirkte er sogar ziemlich schlecht gelaunt.

Cameron Kasten. Denver.

Bamm! Neunhundertzweiundfünfzig Treffer. Und fast alle standen in irgendeinem Zusammenhang mit dem Denver Police Department.

„Verdammter Mist“, flüsterte Ben.

Sergeant Cameron Kasten. Ben suchte nach irgendeinem Haken an der Sache, aber er fand nur Begriffe wie „Krisenmanagement“, „Verhandlungsteam“ und bei fast jedem Treffer „führender Unterhändler bei Geiselnahmen“.

Mit wem zur Hölle hatte er gerade geschlafen? Arbeitete Molly mit dem Krisenteam des DPD zusammen? Oder – und bei diesem Gedanken lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter – war sie selbst Opfer einer Geiselnahme gewesen?

Aber ihr Name war in keinem einzigen der Artikel aufgetaucht. Und dann erinnerte er sich plötzlich an den Anruf, den er belauscht hatte. Sieh das als Zeichen, Cameron. Klang nicht gerade nach einem professionellen Verhältnis.

Ben nahm das Telefon, fing an zu wählen und warf dann einen Blick auf die Uhr. Noch vor acht. Er legte wieder auf und wählte eine andere Nummer.

„Quinn Jennings“, murmelte Mollys Bruder.

„Wer zur Hölle ist Cameron Kasten?“, blaffte Ben ohne Einleitung ins Telefon.

„Ben? Sag mal, spinnst du?“ Quinns Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Warum fragst du?“

„Ich …“ Ben unterbrach sich. Was sollte er auch sagen? Na ja, ich schlafe mit deiner Schwester, und da dachte ich …

„Schläfst du mit meiner Schwester?“

„WAS?!“ Ben brach der kalte Schweiß aus.

„Dann stimmt es also! Als ich Miles’ Hinweise in der Onlineausgabe der Tribune gesehen habe, dachte ich noch, das kann doch nicht sein, nicht Ben, der macht so was nicht …“

„Die Tribune ist online?!“

Quinn seufzte verzweifelt. „Seit August, Ben. Aber du lenkst vom Thema ab. Ist das dein Ernst? Molly? Meine kleine Schwester?“

Ben wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich … ich …“

„Na ja, eigentlich ist sie ja auch erwachsen.“ Wirklich überzeugt klang Quinn allerdings nicht.

„Da ist gar nichts, nichts …“ Ben suchte verzweifelt nach dem richtigen Wort. „Es ist nicht so, dass ich sie ausnutze.“

„Nein? Dann bist du also nicht in ihr Bett gehüpft, kaum dass sie eine Woche in der Stadt lebt?“

Auf diese Frage gab es keine gute Antwort, also hüllte Ben sich in Schweigen. Im Hintergrund zählte die leise tickende Wanduhr die Sekunden.

Als die Stille unerträglich wurde, gab Quinn schließlich ein leises Geräusch von sich. „Ich verstehe.“

Ben fuhr sich mit der Hand durchs Haar und biss in den sauren Apfel. „Ich kenne Molly seit ihrer Kindheit. Ich will ihr nicht wehtun, okay? Ich mag sie wirklich, und es tut mir leid, dass ihr Privatleben in diesem Schmierblatt breitgetreten wird. Ich hatte das nicht geplant. Am wenigsten, dass Miles etwas davon erfährt.“

„Ich weiß doch, dass du einer von den Guten bist“, erwiderte Quinn, aber seine Worte klangen schal und halbherzig.

„Quinn. Wir sind seit dem Kindergarten beste Freunde. Du weißt, dass ich mich nicht durch die Gegend vögle.“

„Jedenfalls nicht im Winter.“

„Autsch“, bemerkte Ben.

„Tut mir leid, das ging unter die Gürtellinie. Es kam zwar schon mal vor, dass du in den Sommermonaten jemanden abgeschleppt hast, aber nicht oft. Entschuldige bitte.“

„Schon gut. Also, zurück zu diesem Cameron Kasten.“

„Tut mir leid, Mann, da musst du schon deine Freundin fragen.“

Bei dem Wort begann der verräterische kleine Muskel unter Bens Auge wieder zu zucken. „Sie ist nicht sonderlich entgegenkommend.“

„Ha! Das kann man wohl sagen. Aber ich kann dir leider auch nicht weiterhelfen. Nach dem indiskreten kleinen Ausrutscher in der Tribune habe ich einen sehr enttäuschten Anruf von Molly bekommen.“

„Stimmt, was war da eigentlich los mit dir, Quinn?“

„Miles hat mich einfach in einem sehr schlechten Moment erwischt. Ich war abgelenkt, und …“

„Ich verstehe.“

„Aber ich habe Molly hoch und heilig versprochen, dass ich ab jetzt die Klappe halte. Und sie hat extra erwähnt, dass das vor allem für dich gilt.“

Ben stöhnte frustriert auf. „Na toll, das ist ja mal ein Kompliment.“

Quinns leises Lachen provozierte Ben bis zum Gehtnichtmehr, aber er war nicht in der Position, um protestieren zu können.

„Er ist ihr Exfreund, oder?“

„Meine Lippen sind versiegelt.“

Ben knirschte mit den Zähnen. „Wie gesagt, ich meine es ernst mit Molly, aber ich kann schlecht mit ihr zusammen sein, wenn ich rein gar nichts über sie weiß.“

„Ich mag mich ja irren, aber ist das nicht eher ein Vertrauensproblem? Ich könnte dir alles über sie erzählen, was ich weiß, und es würde dir trotzdem nicht weiterhelfen, solange sie dir nicht traut.“

Leider hatte er absolut recht. Ben würgte ihn hastig ab, weil er mit keinen weiteren schmerzhaften Wahrheiten mehr konfrontiert werden wollte, und wandte sich wieder seinem Computer zu. Was verbarg sie nur? Und warum ausgerechnet vor ihm?

Am Ende des Artikels über Cameron Kasten, den er gerade las, war die Telefonnummer des Departments aufgeführt, für das er arbeitete. Ben versuchte sie zu ignorieren, aber es juckte ihn trotzdem in den Fingern. Um sich abzulenken, rief er Sheriff McTeague an.

Die Sekretärin bat ihn gerade, kurz in der Leitung zu bleiben, als Brenda an seiner Tür vorbeikam. Er winkte sie zu sich ins Büro.

„Danke noch mal für das Chili gestern. Ich soll dir von Molly Jennings ausrichten, dass du eine sensationelle Köchin bist. Sie meinte, dass sie seit Jahren kein so gutes Chili mehr gegessen hat.“

„Molly?“

Als er ihr Stirnrunzeln bemerkte, musste er lächeln. „Keine Sorge, sie wäscht die Schüssel heute aus und bringt sie vorbei. Sie meinte schon, dass die meisten Frauen ein bisschen speziell sind mit ihren Tupperdosen.“

„Oh ja, ich … ich wusste nur einfach nicht …“

Ben wies entschuldigend auf das Telefon, weil Sheriff McTeague, griesgrämig wie immer, endlich am anderen Ende zu hören war.

„Hey, Sheriff, haben Sie vor, endlich mal den GPS-Tracker zurückzugeben, den Sie sich ausgeliehen haben?“, fragte Ben.

„Sicher doch, wusste nicht, dass Sie ihn schon zurückbrauchen. Habe gehört, dass Sie alle Hände voll zu tun haben mit dem neuen Mädel in der Stadt.“

„Unfassbar“, murmelte Ben finster. Jetzt hatte sich das Gerücht schon im ganzen County verbreitet! Als er bemerkte, dass Brenda immer noch im Türrahmen stand, blickte er überrascht auf, aber da wandte sie sich auch schon ab und hastete zu ihrem Empfangstisch.

„Hören Sie mal, Chief“, sagte der Sheriff, plötzlich ganz geschäftig. „Ich hab da ein Problem mit Nick Larsen. Der Kerl repariert seine kaputten Zäune einfach nicht. Letzte Woche sind ihm schon wieder drei Kälber ausgebrochen. Könnten Sie ihm mal einen Besuch abstatten? Seine Farm liegt ja direkt bei Tumble Creek. Irgendwann baut noch mal jemand einen Unfall, weil seine verdammten Rinder mitten auf der Straße stehen!“

„Na klar, ich fahre heute Abend mal vorbei.“

„Dieser sture alte Kauz.“

„Wissen Sie was? Larsen interessiert sich nur fürs Geld.

Am besten, ich erinnere ihn dran, dass er seinen ganzen Laden dichtmachen kann, wenn jemand in eins seiner Rinder fährt und dabei ums Leben kommt. Vielleicht überzeugt ihn das, ein paar Hundert Dollar in die Zäune zu investieren.“

„Danke. Erzählen Sie mir dann, wie’s gelaufen ist.“

Ben hatte noch nicht mal aufgelegt, da kam schon der nächste Anruf rein. Ein Maultierhirsch hatte sich mit dem Kopf in einem schmiedeeisernen Zaun verfangen, als er an den Gartenblumen knabbern wollte, und konnte sich selbst nicht befreien. Das arme Tier hatte sich bei seinen Fluchtversuchen schon wund gescheuert.

Ben holte seine Flinte aus dem Waffenschrank und machte sich auf den Weg. Er ahnte leider schon, wie das enden würde. Hoffentlich würde der Rest des Tages weniger trübselig werden.

Molly Jennings hatte einen tollen Tag.

Sie kuschelte sich tiefer in die Kissen, die sie sich in den Rücken gestopft hatte, und hob die Knie, auf denen sie den Laptop balancierte. Laut Vertrag schuldete sie dem Verlag einen zweihundertseitigen Text, und sie war schon bei fünfundneunzig. Wenn sie in dem Tempo weitermachte, würde sie in zehn Tagen fertig sein.

Sie musterte all die kleinen Erinnerungen, die ihr nächtlicher Besucher ihr hinterlassen hatte.

Vielleicht auch weniger als zehn Tage.

Mit einem zufriedenen Seufzen strich sie über die zerknitterten Laken, die immer noch nach Ben und Sex und Schweiß rochen. Wer brauchte schon einen Schreibtisch, wenn er ein derart inspirierendes Schlafzimmer hatte?

Die Decken waren zerknüllt, das Feuer im Ofen brannte noch, und die Luft duftete satt und schwer nach Sex. Molly genoss es, sich wie ein Teenager zu fühlen. Grinsend blickte sie zu dem kleinen Stückchen Klebeband, das am Ofen hing. „Offen“, stand darauf, und daneben wies ein krummer Pfeil auf den Griff.

Mann, war der Typ süß. Und sexy. Und heiß. „Und zwar superheiß“, flüsterte sie.

Als ihr diese eine abgefahrene Sache einfiel, die Ben mit seiner Zunge angestellt hatte, fing sie wieder an zu tippen. Natürlich war sie nicht so dumm, die ganz persönlichen Details einfließen zu lassen – diesmal nicht. Aber Junge, Junge, Ben hatte sie echt zu einer Menge guter Ideen inspiriert.

Ihr düsterer Sheriff beschrieb gerade der verdorbenen Witwe, was genau er mit ihr vorhatte, als das Telefon klingelte. Sie drückte auf „Speichern“ und hob ab. „Hallihallo!“

„Molly! Du klingst ja wie der Sonnenschein höchstpersönlich!“, flötete eine samtige Männerstimme.

Sie versuchte, nicht zu lächeln, aber sie hatte nun mal gute Laune, und Michael war ihr Liebling unter ihren verflossenen Fast-Liebhabern. Gerade war es ihr sogar egal, dass er ihre neue Telefonnummer herausgefunden hatte. „Hi, Michael!“

„Na, sind die Berge nett zu dir?“

„Oh, absolut! Und wie steht’s mit deiner Beförderung?“

„Ziemlich gut! Ich habe Cameron gerade eben erzählt, dass der Seniorpartner mich über Silvester zu einem Segeltrip auf den Bahamas eingeladen hat.“

Obwohl ihre Gutelaunekurve bei der Erwähnung von Cameron einen kleinen Knick bekam, gratulierte sie Michael. Natürlich hatten die beiden geredet. Warum sonst hätte Michael wohl anrufen sollen?

„Und wo wir gerade beim Thema Reisen sind“, fuhr Michael fort. „Ich freue mich schon riesig, dich am Wochenende zu sehen.“

Mollys Herz setzte für einen kurzen, schmerzhaften Augenblick einfach aus. „Wie bitte?“ Was sollte das denn jetzt schon wieder heißen?

„Der Polizeiball! Wir haben alle Karten gekauft, damit wir zusehen können, wie Cameron seine Auszeichnung erhält! Aber ich persönlich komme eigentlich vor allem wegen dir. Verrat das bloß nicht Cameron.“ Er lachte.

„Und wie kommst du darauf, dass du mich dort siehst?“

„Ähm, weil du Camerons Begleitung bist? Ich hatte gehofft, dass du das kleine rote Kleid anziehst, du weißt schon, das mit dem …“

„Keine Ahnung, was Cameron da schon wieder erzählt hat, aber ich begleite ihn nirgendwohin. Ich lebe vier Autostunden weit entfernt von ihm, und ich habe ihn vor über sechs Monaten verlassen.“

„Ja, ja, aber ihr zwei seid eben füreinander bestimmt! Das ist doch nur eine kurze Krise.“

Da sprach die erfolgreiche Cameron-Gehirnwäsche aus ihm. „Ich muss Schluss machen, Michael. Viel Spaß auf den Bahamas. Und tut mir leid, dass wir uns dieses Wochenende nicht sehen.“

Sie legte auf, bevor er noch weitere Lügen aus dem Hause Kasten verbreiten konnte. Schade, schade. Auch Michael würde sie also nie wiedersehen. Er war attraktiv, klug und witzig. Sie hatte ihm damals sogar genug vertraut, um ihn vor Cameron zu warnen. Erstaunlicherweise war er dem Kasten-Zauber aber schneller verfallen als irgendjemand sonst. Manchmal vertrauten Schlauköpfe wie Michael einfach zu sehr auf ihren Intellekt, um gegen Psychomaschen gefeit zu sein.

Aber was genau heckte Cameron diesmal wieder aus?

Widerwillig schälte Molly sich aus ihren nach Ben duftenden Laken und schlüpfte in die Häschenpuschen. Dann schlappte sie die Treppe hinunter und blieb vor der Schachtel auf dem Flurtisch stehen, die Ben ihr gestern vorbeigebracht hatte.

Sie versuchte von der Größe der Schachtel auf den Inhalt zu schließen. Ein winziger Roboter, der sie entführen und nach Denver beamen würde? Wahrscheinlich nicht, obwohl Cameron Zugang zum gesamten Hightech-Equipment der Denver Police hatte. Ein Giftgas, das sie für ein paar Stunden lahmlegen würde, damit er sie selber entführen konnte? Molly schauderte und riss mit ihrem Schlüssel das Paketband auf. Kein Grund zur Sorge. Von James Bond war Cameron Kasten immer noch meilenweit entfernt.

Würdest Du das hier für mich tragen? stand auf dem Zettel, der ganz oben im Paket lag. Naserümpfend warf Molly ihn weg. Sie erwartete schon irgendwelche perversen Dessous, aber dann hielt sie nur eine kleine Plastikschachtel in Händen, die eine zarte hellblaue an einem Armband befestigte Glasblume enthielt.

Wie immer hatte Cameron genau die richtige Wahl getroffen, und Molly wäre vermutlich richtig gerührt gewesen, wenn das Geschenk nicht von einem Geistesgestörten gekommen wäre. Dann bemerkte sie, dass das Paket noch mehr enthielt. Aha, also doch Unterwäsche. Ein transparentes Nichts von Tanga mit einer hellblauen Schleife. Cameron hatte schon immer eine Vorliebe für Strings gehabt.

Am Boden der Schachtel lag eine weitere Nachricht. Die Blume ist für Samstagabend. Das andere Geschenk für Samstagnacht.

„Das hättest du wohl gerne“, knurrte Molly und machte sich auf die Suche nach dem Telefon.

„Cameron, was bildest du dir eigentlich ein?“ Im Hintergrund vernahm sie den typischen Lärm der Sondereinsatzzentrale.

„Ach, ich hatte mich schon gefragt, wann du dich endlich wieder meldest, Babe! Was war denn da los bei dir heute Nacht?“

„Nichts, was dich etwas angeht. Warum schickst du mir Unterwäsche? Wir sind nicht mehr zusammen, und aus uns wird auch nichts mehr. Warum bekommst du das nicht in deinen verdammten Kopf?“

Er lachte leise und so anzüglich auf, als hätte sie ihm gerade wilden Sex versprochen.

„Cameron, ich meine es ernst! So kann das nicht weitergehen.“

„Du hast das kommende Wochenende vergessen, oder?“

„Was … ich … Du bist ja immer schon hartnäckig gewesen, aber langsam habe ich den Eindruck, dass du unter Wahnvorstellungen leidest! Wenn du das nächste Mal anrufst, zeichne ich unser Telefonat auf, Cameron. Ich meine es ernst.“

„Falls du es vergessen hast: Du hast mich angerufen, Babe. Was ich ebenfalls aufgezeichnet habe.“

Molly bedachte das Telefon mit einer obszönen Geste. „Und?“

„Alle Welt weiß, dass du unter extremen Gefühlsschwankungen leidest, Molly. Erst flirtest du, was das Zeug hält, dann stößt du mich wieder weg. Ich versuche einfach nur, dir bei der Entscheidung zu helfen.“

„Aber ich habe mich doch längst entschieden! Ich will dich nicht, seit sechs Monaten nicht mehr!“

„Knapp sechs Monate. Erinnerst du dich noch an diesen einen Abend nach unserer Trennung?“

Ihr Kiefer knackte, als sie all die Flüche unterdrückte, die sie Cameron am liebsten an den Kopf geworfen hätte. „Das war ein Fehler!“

„Na ja, es war nur ein Quickie, aber als Fehler würde ich es deshalb noch lange nicht bezeichnen.“

„Fick dich“, stieß sie hervor.

„Ich hole dich dann Samstagmorgen ab.“

„Du bist völlig krank, und ich gehe nirgendwo mit dir hin.“

„Tut mir leid, Babe, aber du hast es mir versprochen, und du bist der Ehrengast.“

„Das war vor sechs Monaten, und es ist aus zwischen uns! Aus und vorbei. Such dir ein anderes Date.“

Molly legte auf, stand eine Weile lang einfach nur da und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. Er durfte nicht hierherkommen und alles kaputt machen, was sich zwischen Ben und ihr anbahnte! Nein, das würde er nicht tun. Und außerdem hatte sie Ben schon ins Bett bekommen. Diese Tatsache ließ sich nicht leugnen, und das bedeutete, dass sie den Bann ihrer unfreiwilligen Sexaskese durchbrochen hatte.

Wütend schnappte sie sich das Paket und stopfte es samt Inhalt in den Küchenmüll, auch wenn sie einen kurzen Moment lang verlockt war, den String zu behalten und Ben vorzuführen. Andererseits besaß sie genügend andere sexy Unterwäsche, die nicht von Camerons Psychose besudelt war. Und außerdem schien Ben mit ganz normalen Höschen vollkommen zufrieden zu sein. Was für eine Erleichterung. Es machte viel mehr Spaß, heiße Dessous für einen Mann anzuziehen, der überhaupt nicht damit rechnete, geschweige denn, es erwartete.

Sie überlegte gerade, ob sie passende halterlose Strümpfe zu ihrem neuen rotschwarzen BH hatte, als das Telefon klingelte. Molly sah sich suchend um.

„Ups.“ Mit spitzen Fingern zog sie den Hörer aus dem Mülleimer und hob nervös ab. Gleich heute würde sie die Anruferanzeige einstellen.

„Hey, Moll“, begrüßte Ben sie barsch. Er klang ganz und gar nicht gut gelaunt. Eigentlich sogar richtig wütend. So viel emotionale Aufrichtigkeit war eine richtige Wohltat nach Camerons Gesülze.

„Hallöchen, Chief.“ Ob er wohl gerade rot wurde?

„Ich … ähm, ich rufe nur an, um dir zu sagen, dass ich oben bei der King-Mine war. Leider habe ich nichts gefunden. Die Schlösser sind nicht aufgebrochen worden.“

„Kann aber doch trotzdem sein, dass die Dorfjugend da oben feiern wollte. Vielleicht haben sie das Schloss einfach nicht aufbekommen und sind wieder abgezogen.“

„Ja, kann sein. Aber Molly, wenn du irgendeinen Verdacht hast, wenn dir irgendwas einfällt, dann …“

„Nein, nichts.“ Cameron war zwar knallverrückt und fing langsam wirklich an, ihr Angst einzujagen, aber er war nun mal nicht in Tumble Creek gewesen.

Bens Stimme nahm einen freundlicheren Ton an. „Alles okay mit dir?“

Lächelnd lehnte Molly sich gegen den Tresen und genoss das wohlige Prickeln, das sich in ihrem Körper ausbreitete. „Mehr als okay. Und wie geht’s dir, Chief?“

„So lala.“

Seine Stimme verriet, dass er lächelte.

Dann räusperte er sich. „Dir ist doch hoffentlich klar, dass wir jetzt reden müssen. Und zwar offen.“

„Worüber denn?“

„Molly.“

„Ja?“

„Wenn aus uns etwas Ernstes werden soll, solltest du ehrlich zu mir sein.“

Sie wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger und entschied sich für die begriffsstutzige Masche. „Was Ernstes? Hast du mich in deine Berghütte eingeladen, und ich hab es nicht mal mitbekommen?“

„Wie bitte?“

„Ich dachte nämlich, dass wir einfach nur Sex hatten. Extrem guten Sex. Ganz ohne Tamtam.“

„Verdammt, Molly!“

„Beziehungen bedeuten eine ganze Menge Veränderungen, und darauf habe ich im Augenblick einfach keine Lust, Ben.“

„Das ist doch albern. Du hast doch mit mir geschlafen!“

„Und das tue ich hoffentlich bald wieder. Vielleicht sogar heute Abend? Kommst du in die Bar?“

„Provozier mich nicht! Ich bin nicht …“

„Danke für Ihre Hilfe letzte Nacht, Chief. Sie sind wirklich ein Engel.“ Sie erstickte seinen Schwall an Flüchen, indem sie einfach auflegte. Das Telefon klingelte zwar sofort wieder, aber diesmal nahm sie nicht ab.

Er wollte also nicht nur mit ihr ins Bett. Er wollte mehr! Ihr zufriedenes Lächeln war so breit, dass ihre Wangen schmerzten. Wie schade, dass eine richtige Beziehung einfach nicht möglich war. Denn wenn Ben erst einmal die skandalöse Wahrheit über sie erfuhr, wäre er sofort über alle Berge. Nein, mehr als eine Affäre war nicht drin. Aber trotzdem tat es gut zu wissen, dass er damit nicht zufrieden war.

Eine Affäre … Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Lippen. Oh ja, sie hatte sich ein bisschen Spaß verdient, und den würde sie haben.

Molly warf einen Blick auf den Kalender neben dem Spülbecken. Wenn Cameron wirklich hier aufkreuzte, dann am Samstagmorgen. Und er würde alles tun, um Ben dauerhaft von Molly fernzuhalten. Wenn sie ihn nicht davon abhalten konnte, zu kommen, dann blieben ihr nur noch vier Tage, um Ben in die totale Erschöpfung zu treiben. Besser als nichts. Und von „nichts“ hatte sie in den letzten sechs Monaten mehr als genug bekommen.

Vielleicht war es einen Versuch wert, Camerons Vorgesetzten doch noch mal anzurufen? Oder sollte sie besser einen Brief schreiben? Vielleicht an die Innenrevision? Aber in einem Punkt hatte dieser Mistkerl leider recht: Sie hatte ihn angerufen. Heute früh und, was viel fataler war, mitten in der Nacht.

„Scheiße.“ Das Telefonprotokoll würde nicht unbedingt für ihre Version der Wahrheit sprechen, und außerdem rief Cameron sie in letzter Zeit wirklich nicht mehr häufig an. Jedenfalls nicht persönlich. Und als sie auf dem Revier zu erklären versucht hatte, dass er ihre Exfreunde als Handlanger missbrauchte, hatte man sie nur ausgelacht.

Cameron Kasten war viel zu schlau, um sich so einfach erwischen zu lassen. Aber die Erinnerung an ein paar tolle Nächte in Bens Armen würde selbst er ihr nicht mehr nehmen können. Sie musste nur dafür sorgen, dass eben diese Arme warm, willig und bereit waren.

Sie ließ das Telefon fallen und rannte nach oben, um nach diesen verflixten halterlosen Strümpfen zu suchen.

„Meine Güte, Mr Wenner“, schnaubte Ben. „Jetzt zeigen Sie doch mal ein bisschen Würde.“

Doch der Mann schluchzte noch erbärmlicher und schlang die Arme um seine knochigen Knie. Ben versuchte ja Mitleid zu haben, aber am liebsten hätte er Wenner ordentlich die Ohren lang gezogen. Was für ein armseliges Bild! Dem alten Mann standen die weißen Haare struppig vom Kopf ab, und seine bloßen Beine ragten wie braun behaarte Stöcke unter dem leuchtend grünen Anorak hervor. Wobei das Bild noch armseliger gewesen war, bevor Mrs Wenner weich geworden war und ihrem Mann durchs Fenster kommentarlos seinen Anorak zugeworfen hatte.

Sie war nämlich ganz und gar nicht glücklich gewesen, als sie von ihrem Bridgeabend nach Hause gekommen war und ihren Ehemann bei einem sehr intimen – und interaktiven – Telefonat mit einer anderen Dame erwischt hatte.

„Mr Wenner, jetzt beruhigen Sie sich. Gibt es jemanden, bei dem Sie für ein paar Tage unterkommen können?“

„Ich … Nein, keiner will mich! Wie soll ich ohne meine Olive denn leben?“

„Vielleicht hätten Sie sich das überlegen sollen, bevor Sie sich mit ihrer besten Freundin vergnügt haben.“

„Oh Gott“, heulte Wenner auf. „Das hatte doch gar keine Bedeutung! Es war doch nur Sex, das schwöre ich!“

Bei der bloßen Vorstellung einer siebzigjährigen Ellie Verstgard, die sich mit Mr Wenner im Bett wälzte, zuckte Ben zusammen. Er atmete tief durch, um den Horrorfilm in seinem Kopf zu unterbrechen. Irgendwie würde er diesem Spektakel hier schon ein Ende bereiten.

„Wohnt Ihr Bruder noch drüben in Grand Valley?“

„Ja, aber …“

Die Haustür ging auf, und Mr Wenner fuhr herum und jammerte: „Olive!“ Aber es war nur Frank, der dem Mann eine Hose und ein Paar uralte Turnschuhe reichte.

„Und mehr brauchst du von mir gar nicht mehr zu erwarten“, quoll eine schrille Frauenstimme aus dem Haus.

Ben murmelte etwas Beruhigendes, doch seine Worte gingen in Wenners erneutem Schluchzen unter.

Dann fiel die Tür wieder zu, und Frank kam die Treppe herunter. „Sie braucht ein wenig Zeit, Sir“, erklärte er und nickte in Richtung des Trucks. Ben verstand und legte Wenner eine Hand auf die Schulter. Kaum zu glauben, dass dieses Häuflein Elend derselbe nette alte Friseur war, der Ben früher mit Bonbons belohnt hatte, wenn er beim Haareschneiden nicht weinte.

„Was würden Sie davon halten, erst mal Ihre Hosen anzuziehen, Mr Wenner?“, fragte er. „Und dann fahren wir zusammen zur Polizeiwache und rufen Ihren Bruder an. Bestimmt holt er Sie gerne hier ab.“

„Das wird meiner Schwägerin aber ganz und gar nicht gefallen. Meine Frau hat sie schon angerufen und ihr alles erzählt.“

„Aber einen Versuch ist es doch wert. Also. Würden Sie jetzt bitte die Hose anziehen?“

Als Mr Wenners Bruder zur Rettung eilte, waren fünfundvierzig Minuten vergangen, und Ben hatte noch eine Stunde lang Schicht, aber nichts mehr zu tun. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte durchs Fenster auf die flackernden Lichter der Bar.

Molly hatte ihn vorhin ganz schön wütend gemacht, und er hatte sich fest vorgenommen, heute einen großen Bogen um sie zu machen. Nur war es auf der Station unerträglich einsam und still, und als er Mr Wenner in das Auto seines Bruders gestopft hatte, war Lori an ihnen vorbeigekommen und in der Bar verschwunden. Wenn Lori dort war, war auch Molly da. Und alle liebeshungrigen Männer Tumble Creeks, die versuchten, ihre Libido in Bier zu ertränken.

Er dachte an Molly, wie sie mit lustverzerrtem Gesicht unter ihm lag, und dann dachte er an Molly, wie sie mit einem anderen Mann flirtete. Der Stuhl kreischte vor Protest über den Boden, als Ben ruckartig aufsprang. Er musste noch eine Stunde totschlagen. Da konnte er doch auch einfach bei den Unruhestiftern auf der anderen Straßenseite nach dem Rechten sehen.

Als er die Tür der Bar aufriss, strömten ihm ein Schwall warmer, biergetränkter Luft und lautes Frauengelächter entgegen. Er scannte den ganzen Raum, entdeckte aber nur ein paar Rancher, die sich nach einem Tag in der Kälte am Tresen aufwärmten.

Das Gekicher wurde lauter, und sein Blick schoss in die hinterste Ecke der Bar, wo ein fleckiger Billardtisch stand.

Die Situation erforderte keine langen Deutungen. Molly stützte sich auf ihren Queue und malte mit der Spitze ihres hochhackigen Schuhs kleine Kreise in den Staub. Währenddessen plauderte sie mit Lori und Helen Stowe. Die Schuhe waren aus schwarzem Lackleder und wurden über dem Spann mit einem kleinen Riemen verschlossen. Eigentlich sahen sie aus wie Kleinmädchenschuhe, nur dass sie hauchzarte, zehn Zentimeter hohe Absätze hatten.

Mollys Beine waren in schwarze Strümpfe gehüllt, die unter einem rotgrauen Faltenrock verschwanden, der verdächtig nach Schuluniform aussah. Nach einer Privatschuluniform.

Der Uniform einer ziemlich verdorbenen Privatschülerin, die in einer schäbigen Bar nach einem Abenteuer suchte.

Das Abenteuer konnte sie haben.

„Chief!“, rief Juan, als Ben an der Bar vorbeilief.

Molly sah auf. Ihre rosafarbenen Lippen teilten sich, und ein überraschter Ausdruck trat in ihre Augen. „Hey, Ben“, hauchte sie, als er näher kam.

„Ist dir nicht kalt in dem Rock?“, fuhr er sie an. Sein schöner Plan von wegen unterkühlter, distanzierter Unterhaltung war vergessen.

Sie biss sich auf die Lippen und sah mit gespielter Bestürzung an ihrem aufregenden zierlichen Körper hinab. Diese verdorbene kleine Hexe! „Ich habe mehrere Schichten an.“

Schichten, so ein Unsinn. Ein strahlend weißes Hemd, das fast schon anständig gewesen wäre, hätte Molly nur zwei Knöpfe mehr geschlossen. Darunter lugte ein schwarzes Top hervor. Er stellte sich vor, wie sie das weiße Hemd langsam aufknöpfte und darunter nichts außer dem winzigen Rock und einem hautengen schwarzen Top trug. Na ja, und Strümpfe und High Heels, natürlich.

„Ich schwöre, dass mir wärmer gar nicht sein könnte“, fügte sie mit verführerischer Stimme hinzu.

Verdammt, er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Er stand einfach nur da und starrte sie an wie der letzte Idiot.

„Ben, ich unterbreche eure Turtelei ja nur ungern“, warf Lori von der Seite ein. „Aber Molly ist dran. Glaubst du, du kannst sie für einen Moment entbehren?“

Das verruchte Schulmädchen streifte ihn im Vorbeigehen und musterte fachmännisch die Kugelverteilung auf dem Billardtisch. Als Molly einen Stoß gefunden hatte, der ihr gefiel, schob sie sich den Queue durch die Finger, warf Ben über die Schulter ein Lächeln zu und lehnte sich über den Tisch.

Ben hustete, weil seine Kehle auf einmal völlig ausgetrocknet war. Der Rock war ein Stückchen zu weit hoch gerutscht, sodass man die dunkle Spitze oben an den Strümpfen und einen kleinen Streifen blasser Haut darüber sehen konnte.

„Atmen nicht vergessen“, flüsterte Lori. Ben schnappte nach Luft, und tatsächlich hörte die Welt auf, sich zu drehen. Leider floss ihm aber immer noch ungehindert das Blut in den Schwanz.

„Ich bin im Dienst“, sagte er zu niemandem im Besonderen, und Lori schüttelte einfach nur fassungslos den Kopf.

Molly machte ihren Stoß und feierte ihn mit einem niedlichen kleinen Freudentanz, der Bens Erektion schmerzhaft daran erinnerte, wie gut sie darin war, mit den Hüften zu wackeln. Währenddessen wechselte Molly die Tischseite und legte den nächsten Stoß vor. Jetzt hatte Ben freie Sicht auf ihr Dekolleté, das von einem glänzenden dunkelroten BH mit schwarzem Spitzenbesatz eingerahmt wurde.

„Sag ihr, dass ich in einer Stunde zurück bin“, murmelte er Lori zu und flüchtete in Richtung Tür. Er hätte schwören können, dass er ein leises Klirren gehört hatte, als seine Würde in tausend Scherben zersprungen war.

Noch eine Stunde, bis seine Schicht zu Ende war. Noch eine Stunde, bis er Molly aus der Bar zerren und nach Hause bringen konnte, wo er dann ein für alle Mal die Frage klären würde, ob sie nun ein Paar waren oder nicht.

Er schaffte es tatsächlich durch die Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Kaum war er draußen, nahm Molly eine etwas würdevollere Haltung ein und zupfte sich das Hemd zurecht. Wahrscheinlich dachte Ben jetzt, dass sie vorhatte, heute Abend noch sämtliche Gäste der Bar abzuschleppen.

„Oh mein Gott.“ Lori hielt sich den Bauch vor Lachen.

„Der Typ ist so heiß auf dich, dass es fast schon wieder witzig ist.“

„Ich fand das überhaupt nicht witzig“, sagte Molly und warf Lori einen ernsten Blick zu. „Das ist eine höchst heikle Angelegenheit.“

„Oh, das war nicht zu übersehen, du kleine Schlampe.“

Helen Stowe warf ihr von der anderen Seite des Tisches einen anerkennenden Blick zu. „Schnapp ihn dir, Mädel.“ Helen war vierzig, hatte gerade eine Scheidung hinter sich und versuchte noch einmal ganz von vorne anzufangen. Als Lori sie zu dem Mädchenabend eingeladen hatte, war sie absolut begeistert gewesen. Außerdem hatte sie die beiden ermutigt, sich nicht mehr hinter Longdrink-Gläsern zu verstecken, daher tranken sie an diesem Abend ihren pinkfarbenen Cosmos aus Martini-Gläsern, ohne sich auch nur im Geringsten zu schämen.

„Apropos Arbeit“, sagte Molly gedehnt und stellte sich neben Helen. „Kann es sein, dass du gerade flirtest?“

„Mit wem?“, fragte sie ganz unschuldig, obwohl sie innerhalb von Sekunden feuerrot geworden war. Dass sie plötzlich auf schüchtern machte, wirkte in Anbetracht ihres beeindruckenden Dekolletés und des auffälligen Augen-Make-ups allerdings wenig glaubwürdig.

Molly zwinkerte ihr zu und warf einen Blick über die Schulter zur Bar. Juan sah hastig weg.

„Der könnte doch fast mein Sohn sein“, zischte Helena empört.

„Hey, ich habe noch gar nichts gesagt! Aber … ist dein Sohn nicht erst neunzehn?“

„Ja, stimmt.“

„Na siehst du! Juan ist dreißig und damit fast schon ein erwachsener Mann.“ Molly und Lori brachen in brüllendes Gelächter aus, aber Helen schüttelte einfach nur den Kopf.

„Seine letzte Freundin war bestimmt Cheerleaderin. Da läuft doch nichts. Ich bin einfach nur hier, um mich ein bisschen zu amüsieren.“

„Hm. Sieht so aus, als hätte er dieselbe Idee.“ Helen riss den Kopf hoch und sah Juan in die Augen, und dann sahen sie beide ganz schnell weg.

Molly tätschelte ihr den Arm. „Wart’s nur ab.“

„Oh, aber ich kann doch nicht …“ Ihre Stimme versiegte, was Molly für ein gutes Zeichen hielt.

Nach ihrem Spiel räumten sie den Billardtisch für die Rancher, die schon länger gewartet hatten, und bestellten sich noch eine Runde an ihren kleinen Seitentisch.

Als sie sich setzten, bemerkte Molly einen absolut entzückenden Unbekannten. „Da habt ihr mir aber jemanden vorenthalten, Ladies. Wer ist das denn?“

Lori warf einen Blick zu dem Tisch an der Eingangstür. „Der süße Typ mit den schwarzen Haaren? Aaron.“

„Der ist ja zum Anbeißen!“ Als sie sprach, sah er ihr zufällig in die Augen. Ob er ihre Lippen lesen konnte? „Ups, peinlich“, flüsterte sie ihren Freundinnen zu.

„Ach was, Aaron ist zum Anbeißen, und das weiß er auch. Während der Touristenzeit ist kein Hotelbett vor ihm sicher.“

„Dann ist er einer von den Flussführern?“, riet Molly.

„Ganz genau. Wenn es kalt wird und er seine Brust mit einem Hemd bedecken muss, wird er immer ganz traurig.“

„Warst du schon mal mit ihm aus?“

Lori schnaubte. „Etwas Klasse hab ich dann doch. Und außerdem bin ich über einundzwanzig und kichere nicht, wenn er mir vormacht, wie schnell er ein Bier exen kann.“

Molly spähte möglichst unauffällig zu Aaron hinüber, der die Damenrunde immer noch interessiert beobachtete. „Bist du dir sicher, dass er dir nicht gefällt? Ich habe nämlich den Eindruck, dass er dich angafft.“

„Danke, aber ich habe im Sexualkundeunterricht ganz genau aufgepasst, als es um Geschlechtskrankheiten ging. Das muss ich mir echt nicht antun.“

„Dann ist es wohl Zeit für ein kleines Kreuzverhör. Er kommt zu uns rüber.“

Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich, umgeben von einer Rasierwasserduftwolke, hineinfallen. „Hi, Ladies! Wie geht’s denn so heute Abend?“

Nach ausgiebigem „Hallo“, „Toll“, „Bestens“ und „Hervorragend“ nickte Aaron zufrieden, als wäre er ganz alleine für ihre gute Laune verantwortlich. Aus der Nähe war er sogar noch niedlicher. Seine blaugrünen Augen funkelten über hohen Wangenknochen und einer schlanken Nase. Und seine Lippen waren so weich und fein geschwungen, dass sie fast schon feminin wirkten.

Molly stellte ihn sich in einem geblümten Rüschenkleid vor und grinste.

Aaron grinste zurück. „Ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht.“

„Ich bin Molly.“

„Hi, Molly.“ Er sah ihr in die Augen, ließ sich mit verschränkten Armen zurückfallen und zeigte dabei ganz nebenbei die dicken Muskelpakete unter den engen Ärmeln seines Polohemds. Na gut, ganz so feminin war er vielleicht doch nicht. „Ich bin Aaron.“

„Hi, Aaron“, hauchte sie mit Kleinmädchenstimme, wofür Lori ihr unter dem Tisch einen ordentlichen Tritt verpasste. Molly biss sich auf die Zunge, um ihr Lachen zu unterdrücken.

Aaron fiel nicht mal etwas auf. Er war viel zu beschäftigt damit, sie mit Blicken zu verführen.

Lächerlich. Gegen Bens herrischen Polizistenblick war das hier Kinderkram. Aaron war ein Leichtgewicht, auch wenn ihm das selbst offenbar noch gar nicht aufgefallen war.

„Bist du zu Besuch hier?“, fragte er. Dann zuckte sein Blick zu Lori, und seine Augen wurden groß. „Ach, du bist Loris Freundin?“

„Na klar“, kicherte Molly, woraufhin Lori wieder zutrat.

„Oh.“ Aaron sank sichtlich in sich zusammen, aber dann schoss sein Blick ein paarmal zwischen den beiden hin und her, und sein Bizeps spannte sich an. Sein Lächeln kehrte zurück, und zwar noch strahlender. „Loris Freunde sind auch meine Freunde. Also, wollen wir feiern oder was? Darf ich euch Mädels eine Runde ausgeben?“

Lori schnaubte: „Unsere Cocktails sind eindeutig ein wenig zu teuer für dich, Aaron.“

Er nickte völlig unbefangen. „Wie wäre es dann mit einem Pitcher Bier? Au!“ Aaron sah zu Juan auf, der ihn von hinten angerempelt hatte. „Pass halt auf!“

Für einen Mann, der ein Tablett mit drei rosafarbenen Drinks trug, in denen Kirschen schwammen, wusste Juan sehr bedrohlich zu gucken.

Aaron sah ungläubig zu, wie Juan die Gläser nacheinander servierte.

„Meine Güte“, blaffte Lori. „Mach dir keine Sorgen, Aaron, es ist alles schon bezahlt.“

„Danke, Juan“, sagte Helen freundlich.

„Ist mir doch ein Vergnügen“, flüsterte er, ohne einen Schritt von Aaron zurückzuweichen, dem er mehr oder minder im Rücken klebte. Molly bemerkte, dass er von da oben einen ganz schön guten Blick auf Helens Dekolleté haben musste, denn seine Augen glänzten verdächtig.

Aaron stieß Juan mit dem Ellbogen an, Juan schubste zurück, aber ehe sich die beiden in die Wolle kriegen konnten, schrie jemand an der Bar: „Bier!“

Juan warf Aaron einen letzten bösen Blick zu, dann verschwand er, um den Pitcher wieder aufzufüllen.

„Hey, bring uns auch noch einen Pitcher“, rief Aaron ihm hinterher. „Die Damen sind durstig!“ Dann wandte er sich wieder um und warf Molly ein strahlendes Lächeln zu. „Also, Molly …“ Als er sich vorbeugte, wurde sie von dem Weiß seiner Zähne fast geblendet. „Hast du es überhaupt schon mal mit einem Mann probiert?“