14. KAPITEL
Sie steckte fest. Saß in der Falle. Und zwar ziemlich tief.
Ben war immun gegen den Kasten-Charme. Er hatte diesen Mistkerl einfach so durchschaut. Zusammen mit allem anderen machte das Ben zum perfekten Mann. Und Molly zur perfekten Idiotin.
Sie hätte ihm von Anfang an alles erzählen sollen. Dann hätte sie vielleicht eine Chance auf eine Beziehung mit Ben gehabt. Aber sie musste ja die Geheimnisvolle spielen, und jetzt war sie verliebt und hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte.
Sie war noch nie verliebt gewesen. Nicht ein einziges Mal. Und jetzt hatte sie gute Chancen, dass ihr das Herz gebrochen wurde, bevor sie die Schmetterlinge in ihrem Bauch überhaupt richtig genießen konnte.
In den vier Tagen, seit Cameron in Tumble Creek eingefallen war, hatte Molly sich in ihrer Arbeit vergraben und versucht, sich vor der fälligen Entscheidung zu drücken. Sie konnte die Wahrheit einfach nicht ertragen. Entweder trennte sie sich von Ben, oder sie erzählte ihm alles. Und wenn sie reinen Tisch machte und er sie dann sitzen ließ … Gott, das würde verdammt wehtun.
Ihr Herz schmerzte genauso wie damals in ihrer Jugend, wenn ihr Bruder mal wieder der Klassenbeste gewesen war. Mittlerweile wusste Molly, dass sie begabt genug gewesen war, um alle Eltern der Welt stolz zu machen. Bis auf ihre. Leider war sie ein Mädchen gewesen, und ihre Eltern stammten beide vom Land, wo man davon ausging, dass Mädchen nützlich zu sein hatten. Und deswegen hatte ihre Intelligenz ihre angeborene Albernheit niemals wettmachen können. Ihre Erfolge mit dem Debattierklub und ihr Kunstinteresse waren nichts als Zeitverschwendung gewesen. Ihr Sinn für Humor und ihre Liebe zum Lesen waren für ihre Eltern eher ein Ärgernis.
Quinn war der Schlaukopf – der einzig wirklich Intelligente. Derjenige, der zusätzlich zu seinem Lerneifer auch noch ein gesundes Interesse an Sport und Ernsthaftigkeit zu bieten hatte. Molly dagegen war einfach nur … die Tochter gewesen, die sie sich nicht vorgestellt hatten. Flatterhaft, zu laut, chaotisch. Kein Mädchen, das eines Tages eine hart arbeitende Ehefrau und hingebungsvolle Mutter abgeben würde. Und ergo nicht gut genug.
Genauso wie sie nicht gut genug war für Ben. Und es tat genauso weh wie damals. Aber trotzdem war da noch die Hoffnung, dass er stolz auf sie sein würde. Und dieser schmale Streifen Licht am Horizont war eigentlich das Schlimmste.
Sie musste ihm die Wahrheit sagen, aber die bloße Vorstellung erschreckte sie fast zu Tode. Also schrieb sie einfach weiter und tat so, als wäre alles bestens.
Und zumindest an dieser Front war ja auch alles bestens. Sie hatte Im heißen Westen abgeschlossen und verschickt. Das Buch war fertig, und es war gut geworden, und darauf konnte sie stolz sein. Daher hatte sie Lori überredet, mit ihr nach Grand Valley zu fahren. Sie würden essen gehen und sich die Spätvorstellung im Kino ansehen. Aber vorher wollte Molly noch bei Ben auf der Wache vorbei und ihm seinen Abschiedskuss geben.
Nachdem sie ihr Haus sorgfältig abgeschlossen hatte, marschierte sie in ihren Lieblings-Blockabsatzstiefeln und ihren engsten Jeans den Berg herunter. Sie war eine preisgekrönte Autorin, eine Expertin für erotischen Nervenkitzel und eine Meisterin darin, einen gewissen muffeligen Police Chief scharfzumachen. Sie hatte sich einen lustigen Abend mit ihrer besten Freundin mehr als verdient.
Nachdem sie die schwere Tür der Wache aufgezogen hatte, stolzierte sie mit einem dicken Grinsen im Gesicht in den Empfangsbereich. Und rannte schnurstracks gegen eine Wand aus massivem Eis, die den Namen Brenda White trug.
Autsch.
„Hi, Brenda.“
Der finstere Blick der Frau verbreitete eine Botschaft tiefsten Hasses. „Molly.“
„Ist der Chief hier?“
„Er hat zu tun. Wenn du ihm eine Nachricht hinterlassen willst, lasse ich sie ihm gerne zukommen.“ In etwa so gerne, wie sie Glasscherben essen würde, wie ihr Tonfall verriet.
„Brenda, es tut mir wirklich leid wegen dieser Sache neulich. Ben hat es dir sicher schon erzählt, aber die Wahrheit ist, dass Cameron und ich schon lange getrennt waren und er mir eine Menge Probleme bereitet hat. Es tut mir wirklich leid, dass ich hier so viel Chaos anrichte.“
Anstelle einer Antwort musterte die Sekretärin Mollys Outfit mit kaltem Blick und beendete ihre Begutachtung mit einem spöttischen Schnauben in Richtung der Lederstiefel.
Molly seufzte und zuckte mit den Achseln. „Wenn ich Ben nur kurz sprechen könnte …“
„Chief Lawson hat zu tun. Vermutlich verstehst du die Bedeutung guter, ehrlicher Arbeit nicht, aber er tut das durchaus. Also, entweder du hinterlässt ihm jetzt eine Nachricht, oder du verschwindest sofort aus meinem …“
„Brenda“, scholl Bens Stimme aus seinem Büro, woraufhin beide Frauen aufschraken.
„Chief“, keuchte Brenda, erholte sich aber beachtlich schnell wieder. „Ich habe deiner … Freundin gerade erklärt, dass du mit der State Police telefonierst und nicht gestört werden darfst.“
In einem Anfall ungewöhnlicher Besonnenheit behielt Molly ihre Gedanken für sich. Aber Ben warf Brenda trotzdem einen von seinen mitleidslosen, eiskalten Cop-Blicken zu.
„Brenda, deine Schicht ist offiziell zu Ende. Wir sprechen uns morgen früh.“
„Aber …“
„Morgen. Fahr den Rechner runter und geh nach Hause.“
Brendas Gesicht nahm die Farbe einer reifen Himbeere an. „Wie du willst. Aber dieses Mädchen ist der letzte Dreck, und jeder weiß es. Man lacht über dich.“
Obwohl sein Gesicht dieselbe Färbung bekam wie Brendas Wangen, schaffte Ben es irgendwie, seinen Tonfall unter Kontrolle zu behalten. „Raus. Und wenn du deine persönlichen Vorurteile und deinen Beruf nicht trennen kannst, dann kommst du am besten auch morgen nicht wieder. Haben wir uns verstanden?“
Brenda murmelte ein demütiges „Ja“, aber die ungeschminkte Wut, die in ihren Augen loderte, strafte ihr ergebenes Verhalten Lügen. Dann stand sie auf und fegte durch den Flur in eins der Hinterzimmer.
Ben nahm Molly beim Arm und führte sie in die entgegengesetzte Richtung, hinaus aus der Wache und hinein in die erfrischend kühle Abendluft.
„Tut mir leid, Ben“, setzte sie an, aber er schüttelte den Kopf. „Nein, mir tut es leid. Das war wirklich eine hässliche Situation und absolut unangebracht.“
„Ach, so schlimm war das doch gar nicht“, erwiderte sie lachend, obwohl ihr Adrenalinspiegel noch nicht wieder gesunken war.
„Molly“, sagte er und verzog die Lippen zu einem schmalen Strich. „Auf persönlicher Ebene bin ich stinksauer auf Brenda, aber als ihr Chef bin ich außer mir vor Wut. Das war unprofessionell und unfreundlich.“
„Na ja, ich bin eine Bürgerin dieser Stadt wie jede andere auch.“
Eigentlich hatte das nur ein Witz sein sollen, aber sie hatte ganz vergessen, wie ernst Ben seinen Job nahm.
„Mir tut das wirklich leid, Moll. Das war kein schöner Start in den Abend. Bist du auf dem Weg zu Lori?“
„Jepp. Sie meinte, dass mein Auto repariert ist, aber sie will noch eine längere Testfahrt machen, um ganz sicherzugehen. Deswegen nehmen wir ihren Truck.“
„Gut.“ Sein Blick zuckte zu Tür. „Heute Nacht soll es Schneegestöber geben. Pass gut auf dich auf.“
„Okay.“
„Setzt sie dich nachher wieder hier ab?“
Plötzlich war es aus mit Mollys Besonnenheit. „Ben, ich glaube, Brenda ist in dich verliebt“, platzte sie heraus.
Damit gewann sie seine volle Aufmerksamkeit. „Was?“ Er sah sie mit großen Augen an.
„Sie ist verliebt in dich.“
„Ist sie nicht.“
Molly verdrehte die Augen und überlegte, nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, ob Männer nicht doch von Natur aus begriffsstutzig waren. „Sie war komisch zu mir, seit ich einen Fuß in diese Stadt gesetzt habe. Und mittlerweile schäumt sie förmlich vor Wut. Sie ist eifersüchtig!“
Ben hatte während ihrer gesamten kleinen Ansprache den Kopf geschüttelt. „Das ist doch Unsinn. Brenda und ich sind Freunde! Sie glaubt einfach nur, dass sie auf mich achtgeben muss, das ist alles.“
„Schalt mal in den Polizistenmodus“, flüsterte Molly, während sich die Eingangstür öffnete. Brenda, in einen langen Daunenmantel und eine dicke Mütze gehüllt, eilte aus der Wache. Als sie die beiden am Fuß der Treppe stehen sah, zuckte ihr Kopf unwillkürlich ein bisschen zurück, doch dann hastete sie weiter in Richtung Zuhause. Ben starrte ihr hinterher.
Molly beugte sich zu ihm vor. „Es könnte Brenda gewesen sein“, fuhr sie beharrlich fort.
Ben sah Brenda nach, wie sie um eine Ecke verschwand. Ihr unförmiger Mantel wehte hinter ihr her wie der Umhang des schwarzen Rächers. „Ihre Fingerabdrücke sind im System. Das hätte doch einen Treffer ergeben.“
„Sie arbeitet für die Polizei, Ben. Da lernt man, wie man Handschuhe benutzt.“
Als er sich ihr wieder zuwandte, wirkte er ernsthaft verstört. „Das kann einfach nicht sein. Nicht Brenda. Eigentlich habe ich Miles immer stärker unter Verdacht. Vielleicht ist er übergeschnappt.“
Doch Molly winkte ab. „Du willst, dass es Miles ist, weil du ihn nicht ausstehen kannst. Aber es ist ganz sicher Brenda.“
„Auf keinen Fall. Ich kenne sie schon mein ganzes Leben lang! Und sie ist nicht in mich verliebt.“
„Und warum hasst sie mich dann?“
„Kabbeln Frauen sich nicht ständig?“
„Dafür kennen wir uns weiß Gott nicht gut genug“, protestierte Molly. „Denk einfach in Ruhe drüber nach, okay?“
„Versprochen. Aber es kommt mir wirklich höchst unwahrscheinlich vor. Außerdem hast du in deiner ersten Nacht gesagt, dass du einen Mann auf dem Berg gesehen hast, keine Frau.“
Sie rümpfte die Nase ob solch schnöder Logik. „Ich will ja nicht unfreundlich sein, aber Brenda ist schon ein bisschen … ähm … stämmig. Jedenfalls würde ich ihr nicht in einer dunklen Gasse begegnen wollen. Vor allem nicht bei ihrer augenblicklichen Laune.“
„Ich versuche ja, es mir vorzustellen“, erklärte er. „Ich sehe mal nach, wie ihr Dienstplan im letzten Monat aussah, und versuche mich zu erinnern, ob sie sich irgendwie verdächtig verhalten hat. Aber sie ist nicht in mich verliebt, ganz sicher.“
„Na klar. Ich koche auch immer wahllos für irgendwelche Männer Chili. Ist ja ganz normal.“
„Musst du nicht langsam los zu Lori?“
„Sieh mal einer an, du wirst ja richtig rot! Bestimmt ist Brenda nicht die einzige Frau in Tumble Creek, die eine unerwiderte Liebe für dich hegt. Der Mann in der Uniform, der einsame Kämpfer. Sie sind der feuchte Traum jeder über Dreißigjährigen, Chief Lawson. Hey …“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm ins Ohr flüstern zu können: „Du hast doch nicht etwa irgendwelche anderen Frauen mit diesen großen starken Arme hochgehoben, oder? Dann würde ich nämlich glatt zur Mörderin werden.“
„Nein.“
Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Bist du sicher, dass du mit niemandem sonst geschlafen hast? Diese Jennifer, die den Supermarkt leitet, ist ziemlich niedlich.“
„Genau, und mehr brauche ich ja auch nicht, um die Hosen runterzulassen.“
„So ist es.“
Ben verschränkte die Arme und warf ihr einen strengen Blick zu. „Viel Spaß mit Lori. Wir sehen uns gegen elf.“
Als sie sich abwandte und auf die Straße trat, achtete sie darauf, dass ihr Hintern ganz besonders schwungvoll wackelte.
„Molly“, rief er ihr nach.
Ha! Punktlandung! Mit einem triumphierenden Lächeln blieb sie stehen und drehte sich um. Ben kam langsam auf sie zu. Als er ihr zärtlich über die Wange strich, stellten sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken auf.
„Red nicht mit fremden Jungs.“
„Hm. Wenn doch, versohlst du mir dann den Hintern?“ Auf einmal wirkte er gar nicht mehr besorgt. Stattdessen begannen seine Augen zu funkeln. „Solange du brav bist, ist das nicht nötig.“
„Aber du weißt doch, wie schwer mir das Bravsein fällt.“
Er hob ihr Kinn an und gab ihr einen federleichten Kuss auf die Unterlippe. „Allerdings.“
Molly schauderte wohlig auf, als er sie losließ, und fragte sich ernsthaft, ob sie es bis auf die andere Straßenseite schaffen würde, ohne dass ihre Knie nachgaben. Die tagelange Schreiberei hatte dazu geführt, dass sie ausgesprochen leicht erregbar war.
„Sei ein braves Mädchen, Molly“, murmelte er noch, und sie schwor ihm, mit jedem einzelnen Fremden zu sprechen, der ihr über den Weg lief.
„Ich kann nicht fassen, dass du mir immer noch nicht verraten willst, womit du dein Geld verdienst“, schrie Lori frustriert auf.
„Es geht einfach nicht.“
„Wie zur Hölle soll ich dir denn helfen, wenn du mir nichts erzählst?“
„Du hast alle Informationen, die du brauchst. Geheimnisvoller Beruf, der Ben ganz und gar nicht gefallen wird. Nichts Illegales oder Unmoralisches. Wie soll ich es ihm sagen?“
Lori nahm eine Hand vom Steuerrad und wedelte verärgert damit herum. „Das sind doch keine echten Informationen. Ich brauche mehr Futter.“
„Sorry, keine Chance. Spielt eigentlich auch sowieso keine Rolle“, seufzte Molly. „Ich weiß ja, dass ich es ihm einfach geradeheraus erzählen sollte, aber ich will nicht.“
„Wenn nichts falsch ist an deinem Beruf, dann wird er sich auch nicht trennen. Warum machst du dir so viele Gedanken?“
„Sagen wir, mein Beruf trifft ihn in allen wunden Punkten: Privatsphäre. Angst vor Sexskandalen …“
„Was machst du nur, du kleines Luder?“
„Sagen wir, wenn ich für die Klatschpresse arbeiten würde, wäre das nur unbedeutend schlimmer.“
„Mann“, stöhnte Lori. „Sag’s ihm einfach, damit du’s mir sagen kannst!“
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du die personifizierte Selbstlosigkeit bist?“
„Allerdings. Übrigens!“ Lori warf ihr einen Seitenblick zu und grinste verschwörerisch. „Hatte ich dir schon erzählt, dass Juan gestern dreißig Minuten südlich der Stadt mit leerem Tank liegen geblieben ist?“
„Nein, aber das ist tatsächlich entsetzlich interessanter Abschleppwagenfahrerinnen-Klatsch.“
Lori schnaubte. „Halt den Schnabel, du Zicke. Das Interessante daran ist, wer mit im Auto saß.“
„Wer denn?“
„Helen!“, kreischte Lori lachend.
„Ach komm. Im Ernst?“
„Meine Güte, du hättest mal Helens Gesicht sehen sollen, als ich angekommen bin. Sie hat allen Ernstes versucht, sich unter ihrer Kapuze zu verstecken, damit ich sie nicht erkenne! Und der arme Juan sah so aus, als würde er gleich losheulen, weil es ihm so peinlich war, dass er das Date versaut hat.“
Molly schnappte nach Luft. „Er hat es wirklich als Date bezeichnet?“
„Nein, aber er hatte seine guten Hosen und ein Hemd an, und es war neun Uhr abends. Wahrscheinlich wollte Helen nicht nach Grand Valley, und da sind sie in das Restaurant unten im Tal gefahren.“
„Sehr gut. Helen braucht echt mal ein bisschen Abwechslung.“
„Wir sollten sie am Wochenende in die Bar schleppen und die Einzelheiten aus ihr rausquetschen. Da ich ja kein eigenes Leben mehr habe …“ Molly warf ihrer Freundin einen schiefen Blick zu. „Ich hatte den Eindruck, dass der Kellner vorhin auf dich stand.“
„Der war doch höchstens neunzehn.“
„Hatte aber große Hände, falls es dir aufgefallen ist.“
„Kann sein“, murmelte Lori.
„Allerdings nicht so groß wie die von Ben“, fügte Molly aus reiner Grausamkeit hinzu. Lori stöhnte auf, als würde man sie über dem heißen Feuer grillen. „Ist es wirklich schon so lange her, dass du dich ausgetobt hast?“, fragte Molly.
„Unendlich lang. Äonen“, murmelte Lori ironisch und schüttelte ihre Locken, dass sie nur so flogen. „Und du glaubst wirklich, dass Brenda dich stalkt?“
„Vielleicht. Aber zurück zum Thema.“ Sie stieß Lori mit dem Ellbogen in die Rippen. „Deine Reaktion weist eindeutig darauf hin, dass du entweder noch Jungfrau bist oder erst kürzlich Sex mit jemandem hattest, der dir peinlich ist. Also, raus mit der Sprache: was von beidem?“
„Ich bin so jungfräulich wie frisch gefallener Schnee.“
„Oh Gott, wer ist es? Etwa Aaron?“
„Nein! Niemand, den du kennst, und es ist auch schon Monate her. Aber was Brenda betrifft, könntest du recht haben. Diese Frau ist verklemmter als … ach, du hast ja keine Ahnung, was eine Ventilfeder überhaupt ist, also vertrau mir einfach. Und dann lebt sie auch noch mit ihrer Mutter zusammen, diesem alten Biest. Das könnte jeden in die Verzweiflung treiben.“
„Ben hat da so seine Zweifel an meiner Theorie.“
„Er ist ein Mann, und sie eine Frau. Außerdem gefällt ihm bestimmt der Gedanke nicht, dass er von hinten bis vorne hintergangen wurde.“
Molly zuckte zusammen. Ja, damit konnte man ihn bis ins Mark treffen.
Als in der Ferne die Lichter von Tumble Creek auftauchten, warf Lori ihr einen besorgten Blick zu. „Du willst doch bestimmt nicht nach Hause, oder? Schläfst du heute Nacht bei Ben?“
„Ja, wie jede Nacht. Bis ich ihm die Wahrheit sage und er mich rauswirft. Ein Grund mehr, noch ein paar Tage damit zu warten. Kannst du mich bei der Polizeiwache rauswerfen? Er ist bestimmt noch dort.“
„Ach Molly, ich hab doch nur Spaß gemacht. Klar bin ich neugierig, aber du musst mir nicht alles erzählen. Was Ben betrifft, sieht das aber ein bisschen anders aus. Er ist einer von den Guten, ehrlich, und er meint es ernst mit dir. Erzähl es ihm. Was auch immer es ist, er wird es verkraften.“
Molly atmete tief durch. „Ich wollte mich nicht in ihn verlieben. Ehrlich nicht.“
„Tja, und jetzt sitzt du endlos tief in der Tinte. Wenn du das nicht geradebiegen kannst, wird die Stadt ganz schön klein sein für euch beide.“
„Danke. Du musst ein kleiner Babyengel sein, den der liebe Gott zu meiner Ermunterung geschickt hat.“
„Klingt ganz nach mir.“ Direkt hinter Bens SUV legte sie eine Vollbremsung ein. „Dein Auto ist morgen Mittag fertig. Ich ruf dich an. Und bis dahin pass gut auf dich auf. Wenn es wirklich Brenda ist, dreht sie im Augenblick wahrscheinlich durch. Also folge den gruseligen Geräuschen in deinem Garten nicht auf eigene Faust.“
„Dafür hab ich ja Ben. Ich kümmere mich um den Keller.“ Als sie aus Loris Truck stieg, wartete Ben schon auf sie, um ihr aus dem Wagen zu helfen. „Gute Nacht, Lori!“
Ben schob seine warmen Finger zwischen ihre und nickte in Richtung Wache. „Andrew ist schon da, wir können also sofort los, wenn du willst.“
Molly kuschelte sich an ihn und legte den Kopf in den Nacken. Ihr Kuss fing ganz unschuldig an, aber irgendwann hatte Ben plötzlich seine Hände in ihrem Haar und seine Zunge in ihrem Mund. Oh ja, sie wollte. Und Ben schien nicht gerade in Plauderlaune zu sein, was ihr sehr entgegenkam.
„Ich war ein ganz, ganz unartiges Mädchen“, flüsterte sie.
Ben richtete sich auf und wies auf den Truck. „Steig ein.“
Molly schwang sich hastig auf den Beifahrersitz. Ben schien es nicht weniger eilig zu haben, jedenfalls hatte er den Motor schneller angelassen, als sie „Piep“ sagen konnte.
„Können wir noch kurz bei mir vorbeifahren? Ich habe meine Tasche vergessen.“
„Unartig und unverantwortlich.“
„Ja, ich bin eine richtige Verbrecherin.“ Sie streckte den Arm aus und fuhr mit der Hand seinen Oberschenkel hinauf. Als sie in ihre Auffahrt abbogen, war Ben hart wie Stahl.
„Du hast keinen Rock an“, keuchte er. „Eine weitere Gesetzesübertretung.“
Lachend sprang Molly aus dem Wagen. Ben stieg ebenfalls aus, wenn auch etwas breitbeinig.
„Ich lauf schnell rein, die Tasche liegt in der Küche.“
„Ich komme mit“, erwiderte Ben. Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.
Was Molly nicht im Geringsten störte. Vielleicht würden sie es ja sogar auf dem Küchentisch treiben, halb bekleidet und laut stöhnend! Sie hatte es noch nie auf einem Küchentisch getan.
Als sie vor der Tür stehen blieb, um aufzuschließen, trat Ben hinter sie und legte die Hände um ihre Taille. Molly drehte sich um, lehnte sich gegen die Tür und warf ihm einen verführerischen Blick zu. Ben stützte sich über ihr am Türrahmen ab und strich mit den Lippen über ihre Stirn. Oh Mann, sie war mittlerweile so scharf auf ihn, dass selbst diese kleine Berührung sie halb in den Wahnsinn trieb.
„Molly“, flüsterte er.
„Ich dachte, wir könnten am Wochenende in meine Hütte fahren. Sie ist nichts Besonderes, aber es gibt eine kleine Küche und sogar ein Bad.“
„Und eine heiße Quelle.“
„Genau.“
Zweifelnd hob sie eine Braue. „Ich würde ja gern, aber du meintest doch, dass die Hütte … na, du weißt schon.“
„Ja, ich weiß.“ Er lehnte die Stirn gegen ihre und zeichnete mit seinen rauen Fingern die Form ihrer Lippen nach. Die Zärtlichkeit, die in dieser Berührung lag, traf Molly mitten ins Herz. „Ich möchte gerne für eine Weile mit dir alleine sein. Auch wenn du nicht mit mir zusammen sein willst. Außerdem könnte ich dort in Ruhe über die Sache mit Brenda nachdenken.“
„Dann nimmst du meine Theorie also ernst?“
„Na klar. Ich würde niemals deine Sicherheit aufs Spiel setzen, auch wenn ich deinen Verdacht lächerlich finde.“
„Ha, von wegen lächerlich! Ich wette darauf, dass sie es ist. Und ich weiß auch einen Einsatz: Wenn ich recht habe, trägst du deinen Cowboyhut für mich. Nur den Hut und eine Menge nackte Haut.“
„Meinen Diensthut? Ich bezweifle, dass das ein amtlich zugelassener Einsatzzweck ist. Aber da du dich sowieso irrst: abgemacht. Und was, wenn ich recht habe?“
„Wie wär’s mit einer kleiner Vorführung … mit dem kleinen Blauen als Nebendarsteller?“
„Wir sind im Geschäft.“ Er zwinkerte ihr zu. „Besorg schon mal neue Batterien.“
Molly lachte auf und drehte sich um, um die Tür aufzuschließen. Doch dann ließ sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Hand wieder sinken.
Ben hatte recht. Sie machte sich über alles und jeden lustig und versuchte, nichts wirklich ernst zu nehmen. Aber sie konnte auch ernst sein, wenn sie nur wollte. Das vermutete sie jedenfalls. Ausprobiert hatte sie es nämlich noch nie.
Also ließ sie den Schlüsselbund los und drehte sich wieder zu Ben um.
„Wenn wir …“, fing sie an und wich seinem Blick aus. „Wenn wir dann das ganze Wochenende über alleine sind, dann reden wir, okay? Ich meine, ich rede dann. Mit dir. Über mich.“
Sie konzentrierte sich auf seinen Hals, auf das stetige Pulsieren seiner Schlagader, und versuchte, nicht in Panik auszubrechen. Sie würde es schaffen. Am Wochenende würde sie ihm alles sagen. Eine bessere Gelegenheit gab es gar nicht! Sie würde gleich nach ihrer Ankunft mit der Sprache herausrücken. Dann hatte Ben zwei Tage Zeit, um sich mit dem Gedanken anzufreunden, ehe er Gelegenheit bekam, ihre Bücher zu lesen. Sie würde ihn langsam mit der Wahrheit vertraut machen, so wie sie es von Anfang an hätte tun sollen.
„Molly“, flüsterte er und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Sein Blick erinnerte sie an geschmolzene Schokolade. So süß, dass es schon wehtat. Ben errötete leicht. „Molly, ich liebe dich.“
Oh Gott. Ohgottohgott. „Ben, ich … ich …“
„Lass uns am Wochenende reden, Moll. Wir haben keine Eile. Ehrlich.“
Zum ersten Mal seit Tagen, Wochen, Monaten siegten ihre Hoffnungen über ihre Ängste. Ein riesiger Knoten löste sich in ihrer Brust, und sie hätte fast aufgeschluchzt vor Erleichterung. Doch stattdessen rang sie sich ein Lächeln ab und drehte sich um, um die Tür aufzuschließen. Sie konnte es noch nicht sagen, sie hatte Angst davor, es zu sagen. Aber sie würde Ben durch Taten zeigen, was sie empfand, sobald sie im Haus waren. In der Küche. Oder irgendwo sonst, wo sie nicht im Freien unter einer Verandalampe standen.
Bens Worte und Berührungen hatten sie direkt auf Wolke Nummer sieben gebeamt. Lächelnd trat sie ins Haus – und da hörte sie es. Ein seltsames gedämpftes Murmeln. Ben schob sie schützend hinter seinen breiten Rücken. Erst jetzt bemerkte Molly, dass fahles Licht durch die offen stehende Esszimmertür fiel. Auf dem Holzboden tanzte ein verzerrter Schattenwurf. Wie ein Teufel, dachte Molly, ein Teufel, der zu seiner Höllenmusik tanzt.
Sie stolperte gegen Bens Schuh und keuchte erschrocken auf. Ben fing sie auf und flüsterte ihr zu, dass sie leise sein solle, doch es war schon zu spät. Der Schatten hielt inne. Ben stieß Molly nach hinten, und im selben Moment tauchte in der Schattenhand auf dem Dielenboden eine Pistole auf.
„Was macht ihr hier?“, fragte eine schnarrende Stimme.
Molly hörte, wie Ben geschockt nach Luft rang. Dann murmelte er fassungslos: „Brenda?“
„Was macht ihr hier?“ Ihr Kreischen glich dem Gebrüll eines in die Falle gegangenen Tieres.
„Brenda, leg die Waffe weg, damit wir reden können.“
Sein Arm lag fest um Mollys Taille, was ein Segen war, da ihre Knie nachzugeben drohten. Und da hatte sie noch nicht mal das Gekritzel an der Wand hinter Brendas Schatten bemerkt. Oder dass die Hand mittlerweile aus der Esszimmertür ragte und wild mit der Waffe herumwedelte, anstatt sie auf den Boden zu legen.
„Klar können wir reden“, höhnte Brenda. „Mach die Tür zu.“
„Ich bezweifle, dass …“, setzte er an, aber Brenda stieß einen schrillen Schrei aus und richtete die Waffe auf Mollys Brust. Ben schloss hastig die Tür.
„Nimm die Hände weg von ihr“, befahl Brenda. „Du weißt doch gar nichts über sie. Sie ist nichts weiter als eine billige Hure!“ Molly murmelte: „Hey!“, was Ben dazu veranlasste, ihr warnend die Finger in die Taille zu graben. Dann ließ er sie los. Molly wich langsam nach hinten aus und formte dabei lautlos die Worte „Ich hab’s dir doch gesagt“ mit den Lippen. Ben warf ihr einen mahnenden Blick zu.
Mach dir keine Sorgen, wollte sie sagen. Brenda kann mich nicht erschießen, weil sie dafür erst dich erschießen müsste.
Ben hob die Hand, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie weit genug zurückgewichen war. „Okay, Brenda. Worüber willst du reden?“
Jetzt, wo die Haustür geschlossen war, war es dunkel im Flur. Aber so konnte Molly Brendas Profil im Licht der Schreibtischlampe umso deutlicher erkennen. In der einen Hand hielt sie die Waffe, und in der anderen etwas, das verdächtig nach … nach einem Textmarker aussah!
„Diese Frau“, stieß Brenda mit abfällig gerunzelter Stirn hervor, „ist nicht gut genug für dich. Sie ist eine Lügnerin und eine Pornografin.“
Scheiße.
„Brenda, komm schon.“ Bens Tonfall war tief und weich, ganz die Ruhe selbst. „Wir sind doch Freunde. Ich habe zwar keine Ahnung, wovon du da redest, aber lass uns einfach zusammen ein Bier trinken gehen und das aus der Welt schaffen.“
„Ich trinke nicht“, zischte sie und trat in die Tür. „Ich trinke nicht, und ich trage keine nuttigen Kleider, und ich lüge dich nicht an! Nicht so wie sie.“
Er hob die Hände zu einer versöhnlichen Geste, während Molly versuchte, sich in Richtung Haustür zu schieben.
„Schon okay“, sagte er tröstend, aber Brenda schüttelte wutentbrannt den Kopf.
„Weißt du überhaupt, was sie macht? Womit sie ihr schmutziges Geld verdient?“
Ben warf Molly einen kurzen Blick zu, aber Brenda ließ ihr keine Zeit, zu reagieren.
„Komm her. Komm hier rein, und ich zeig es dir.“ Ben folgte ihrer Aufforderung sofort. „Ja, zeig mir, was du gefunden hast.“
Aber Brenda ging ihm nicht auf den Leim. Die Hand mit der Waffe zuckte bedrohlich. „Du zuerst“, fauchte sie Molly an, doch Ben schüttelte den Kopf.
„Lass sie gehen. Wenn du sie freilässt, setze ich mich zu dir und sehe mir alles an, was du mir zeigen willst. Die Wahrheit, die du herausgefunden hast. Darum geht es dir doch, oder?“
„Ja.“ Brenda brach in ein seltsames, wortloses Schluchzen aus, und Molly begriff, dass es dieses Geräusch war, das sie vorhin gehört hatten. Leider ließ Brenda sich von ihrer Trauer nicht ablenken. Noch immer zeigte die Waffe direkt auf Molly. „Aber sie darf nicht gehen. Erst wenn du gesehen hast, wer sie wirklich ist.“
„Okay, in Ordnung. Zeig mir alles, und dann lass sie gehen.“ Molly war klug genug, ihrem Jubel nicht laut Ausdruck zu verleihen. Sie mochte eine verdorbene Pornografin sein, aber immerhin würde sie leben. Ben würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß. Und Ben selbst war in Sicherheit, weil Brenda ihn zu sehr liebte, um ihn zu verletzen.
Als die Waffe sie heranwinkte, setzte Molly sich zögerlich in Bewegung. Je näher sie dem Esszimmer kam, desto besser konnte sie das Geschmiere an den Wänden erkennen. Es schien nur unlesbares Gekritzel zu sein – bis Brenda das Deckenlicht einschaltete. Was das Dämmerlicht der kleinen Schreibtischlampe verborgen hatte, erstrahlte jetzt in seinem ganzen Grauen. An den Wänden prangten Worte wie „nass“ und „zitternd“ und „Zunge“, wie „Finger“ und „Schenkel“ und „Schwanz“.
„Oh Scheiße“, flüsterte Molly. Das konnte nur eins bedeuten.
Ihr Laptop stand offen auf dem Tisch, und Molly erkannte sofort, was da auf dem Bildschirm flackerte.
„Das hier ist sie“, sagte Brenda. „Das ist sie.“
Ben schüttelte den Kopf und warf Molly einen fragenden Blick zu. „Ich verstehe nicht.“
„Sie schreibt diesen … diesen ganzen Schmutz.“
Ben wirkte noch immer völlig verwirrt.
„Sie schreibt das!“, brüllte Brenda und wies in einer ausholenden Geste auf die Wände. Dann lief sie zum Schrank, dessen Türen sie aufgebrochen und aus den Angeln gehoben hatte. Sie nahm eines der Bücher heraus und schmiss es Ben zu.
Molly sah ihn das Buch in den Händen drehen. Dann blickte sie wieder auf die schwarzen Lettern an den Wänden. Brenda hatte so fest aufgedrückt, dass die Tapete an vielen Stellen zerfetzt war.
„Holly Summers.“ Aus Brendas Mund klang das Pseudonym wie ein Schimpfwort. „Das ist sie. Holly Summers. Sie schreibt diese Bücher, diese widerlichen Geschichten.“
Molly rümpfte die Nase, während sie das Geschmiere an den Wänden las. „Das da stammt aber nicht gerade aus meinem besten Roman. Und es ist auch nicht fair, es aus dem Zusammenhang gerissen zu betrachten. ‚Seine Zunge berührte ihre rosafarbene Spitze‘ klingt einfach nicht gut ohne Kontext. Man muss Spannung aufbauen und …“
Als Molly sich umdrehte, stellte sie fest, dass Ben und Brenda sie stirnrunzelnd beobachteten. Sie atmete tief durch und straffte die Schultern. „Es ist wahr, Ben. Ich schreibe erotische Romane. Ende der Geschichte.“
Brenda verdrehte die Augen. „Das hättest du wohl gerne. Aber das hier ist nur der Anfang.“
Ben schlug sich mit dem Buch gegen die offene Hand und warf Brenda ein Lächeln zu. „Du hast das Geheimnis gelüftet! Gute Arbeit! Ich hatte keine Ahnung davon.“
„Hör auf, mich bei Laune zu halten! Denkst du, ich weiß nicht, was du in mir siehst? Ich arbeite seit fünf Jahren für dich! Ich habe dir deinen Kaffee gemacht und dir dein Mittagessen geholt, ich sehe es dir auf zehn Meter Entfernung an, wenn du müde bist. Ich war immer für dich da, und ich kenne dich, Ben Lawson. Ich bin vielleicht nicht süß oder sexy, und ich trage auch keine kurzen Röcke und hohen Absätze. Ich weiß, dass ich nicht der Typ Frau bin, der Männern auffällt. Aber ich kenne dich. Und ich weiß, was du brauchst.“
„Ja, das tust du“, sagte Ben mit weicher Stimme.
Brenda nickte. „Meine Mutter hat immer gesagt, dass auch die guten Männer auf die auffälligen Mädchen reinfallen, die Schlampen, die mit jedem rummachen. So wie sie.“ Sie warf Molly einen bösen Blick zu.
Obwohl Brenda so schlecht von ihr sprach, fing Molly an, Mitleid zu empfinden. Es war ja nicht Brendas Schuld, dass sie genauso aussah wie ihre Mutter. Kein normaler Mensch konnte jahrelang mit so einem Drachen wie Brendas Mutter unter einem Dach leben, ohne irgendwann zum Sauertopf zu mutieren. Wenn sie doch nur etwas modischere Kleidung tragen und sich endlich diese schrecklich dicken Augenbrauen zupfen würde, dann würde sich ihr Leben wahrscheinlich im Handumdrehen verändern! Molly wollte schon den Mund aufmachen, um Brenda eine Rundumerneuerung vorzuschlagen, doch die Waffe hielt sie dann doch davon ab.
„Sie mag schlank und ungezwungen und verführerisch sein. Aber eigentlich schert sie sich einen Dreck um dich.“
„Brenda, lass uns …“
„Sie muss doch wissen, wie wichtig dir deine Privatsphäre ist. Sie hat die Geschichte mit deinem Vater doch mitbekommen! Und trotzdem hat sie …“
„Oh nein“, stöhnte Molly, während Ben einen Schritt auf Brenda zumachte.
„Sie schreibt nicht einfach nur Schmutz, Ben! Sie schreibt Schmutz über dich!“
Wieder hob er besänftigend die Hände. „Aber das spielt doch alles überhaupt keine Rolle, Brenda.“
„Natürlich tut es das! Sie benutzt dich, um ihre kranke Fantasie anzuregen, damit sie ihre Sexgeschichten schreiben kann. Über dich! Jedes Mal wenn sie mit dir im Bett war, hat sie darüber geschrieben. Sie wird dich zerstören, wenn ich sie nicht vorher zerstöre.“
Sie hob die Waffe an, und Molly schrie leise auf und versuchte sich hinter Ben zu verstecken. Jegliches Bedürfnis, ihre Arbeit zu verteidigen, war passé. Stattdessen kauerte sie sich hinter Ben zusammen, der seine linke Hand hinter dem Rücken verbarg und Molly mit einer Geste zu verstehen gab, dass sie den Mund halten und still stehen sollte.
„Sie hat über mich geschrieben?“, fragte er heiser.
„Ja! Ja!“ Mittlerweile schrie Brenda. „Verstehst du jetzt? Eine ganz lächerliche Geschichte hat sie über dich geschrieben, wie ihr angeblich Sex in dieser Wohnung über dem Tierfutterladen hattet. Und die neue ist noch viel schlimmer!“
Molly krümmte sich vor Scham zusammen und versuchte verzweifelt, sich einzureden, dass all das im Augenblick keine Rolle spielte. Ben trat einen Schritt vor, und sie wollte ihm folgen, aber er gestikulierte wieder mit der Hand, und sie folgte seiner Anweisung wie ein braves Schoßhündchen.
„Erzähl mir mehr“, sagte Ben auffordernd und entfernte sich weiter von Molly.
„Man kann gar nicht glauben, was für schreckliches Zeug sie da erfunden hat. Über Seile und Peitschen und … einfach ekelhaft! Als ob sie dich so sehr erniedrigen will wie möglich. Die ganze Stadt wird über dich lachen, Ben!“
„Aber du nicht.“
„Nein“, schluchzte sie unter Tränen. „Nein, ich wusste von Anfang an, dass sie nur Ärger bedeutet. Ich wusste es.“
Ben schüttelte langsam den Kopf. „Ja, du wusstest es. Und du hast die ganze Zeit versucht, es mir zu sagen.“
„Ich hätte nie …“
Er bewegte seinen Arm schneller, als Molly es jemals für menschenmöglich gehalten hätte. Gerade noch hatte er in einer entspannten, freundlichen Geste auf Brenda gewiesen, und plötzlich flog ihre Pistole in hohem Bogen durch die Luft. Brenda heulte auf vor Schmerz und Wut.
Molly hätte wegrennen sollen. Ben schrie sie an, dass sie die Beine in die Hand nehmen solle, aber sie war wie gelähmt vom Anblick der mattschwarzen Waffe, die über den Boden schlitterte. Diese Frau hätte mich umbringen können.
Sie wusste, dass die wahre Panik erst nachher einsetzen würde. Im Augenblick war sie einfach nur dankbar für den Schockzustand, der verhinderte, dass sie wirklich begriff, was gerade passiert war. Sie beobachtete die beiden, als wären sie zwei Schauspieler auf der Bühne, sah zu, wie Brenda von Ben auf den Boden geworfen wurde. Wie er ihr die Arme auf den Rücken drehte. Wie er ihr Handschellen anlegte.
„Tu das nicht“, schluchzte Brenda. „Tu es nicht. Ich liebe dich doch!“
Leise fluchend tastete Ben sie ab. Er schien keine weiteren Waffen gefunden zu haben, denn Sekunden später sprang er auf und zog Molly in seine Arme.
„Ich hab gewonnen“, murmelte sie gegen seine Brust. „Wehe, Sie verschlampen diesen Hut, Chief!“
„Geht es dir gut, Molly?“
„Ja, deine Hände zittern viel mehr als meine.“
„Sag bloß.“ Er bewegte den Arm, und dann rauschte sein Funkgerät. Entweder redete er in einem speziellen Polizeicode, oder Mollys Schock saß tiefer, als sie sich eingestand. Die Person am anderen Ende schien die verstümmelte Botschaft allerdings zu verstehen, da sie höchst entsetzt reagierte.
Molly wand sich aus Bens Umarmung und sah zu Brenda hinüber, die Ben beobachtete. Ihre Wange ruhte auf dem Teppich, den Molly erst drei Monate zuvor gekauft hatte. Brendas waldgrünes Versandhaus-Shirt biss sich grausam mit dem rotblauen Muster.
Plötzlich wollte Molly nur noch weg, raus aus diesem Zimmer, diesem grauenhaften Szenario. Als sie zurückzuweichen begann, funkelten Brendas Augen boshaft auf.
„Jetzt liebt er dich nicht mehr“, stöhnte Brenda zufrieden. „Solange er dich nicht liebt, ist mir egal, was mit mir passiert.“
„Ja“, flüsterte Molly erstickt. Ja, Brenda hatte recht. Jetzt würde Ben sie verlassen.
Endlich hörte das Funkgerät auf zu scheppern. Ben trat neben Molly, schlang den Arm um ihre Taille und zog sie in die Diele. In weiter Ferne begannen Sirenen zu schrillen, die mit jeder Sekunde lauter wurden.
„Du bist leichenblass“, bemerkte er. „Du stehst unter Schock.“
„Keine Sorge, mir geht’s gut. Alles bestens.“
Ben führte sie ins Wohnzimmer zu ihrem Sessel und breitete die Sofadecke über ihr aus. „Ich muss nach Brenda sehen. Kann ich dich hier allein lassen? Ich bin gleich wieder …“
„Geh nur.“
„Andrew müsste gleich kommen.“
„Ja, ich weiß, ich bin ja nicht taub.“
Ihre schnoddrige Art schien ihm zu missfallen. Aber nachdem er ihr einen letzten eindringlichen Blick zugeworfen hatte, verschwand er wieder im Esszimmer. Schließlich hatte er eine Kriminelle zu bewachen. Da konnte er nicht auf seine geschockte Freundin aufpassen.
Die verzweifelten Protestschreie von Brenda dauerten an, aber Ben gab keinen Laut von sich. Wahrscheinlich war er viel zu sehr damit beschäftigt, in Mollys Büchern zu stöbern. Sie kuschelte sich tiefer in die Decke und rollte sich im Sessel zusammen.
Das hier würde kein gutes Ende nehmen. Sie zog sich die Decke über den Kopf.
Als Andrew mit einem weiteren Officer im Schlepptau das Haus betrat, brach um Mollys Deckenkokon herum das schiere Chaos aus. Fragen, Flüche, barsche Befehle drangen in ihre flauschige Zuflucht. Ben sah kurz nach ihr, dann hörte man aus dem Esszimmer das Klicken einer Kamera, und er war wieder verschwunden.
„Ruf Jake für sie an“, hörte sie ihn Sekunden später sagen. Sie spähte unter der Decke hervor und sah durch die offen stehende Wohnzimmertür, dass Brenda abgeführt wurde. Sie schien am Boden zerstört zu sein, doch als sie Mollys Blick bemerkte, bäumte sie sich ein letztes Mal auf. „Hure!“, fauchte sie, dann eskortierten Ben und Andrew sie zur Haustür.
Als Ben die Tür öffnete, drang ein greller Blitz in die Diele. Und dann noch einer. Und noch einer. Molly sprang auf und rannte zu den Vorderfenstern. Draußen auf der Straße stand Miles und machte eine Fotoserie von Brenda, die verzweifelt versuchte, ihr Gesicht zu verbergen. Doch dann schien ihr eine Idee zu kommen. Sie richtete sich auf und sah direkt in die Kamera.
„Sie ist Holly Summers“, schrie sie. „Jetzt kann sie die Wahrheit nicht mehr verbergen! Molly Jennings ist Holly Summers, haben Sie verstanden, Miles?“
„Klar und deutlich!“, erwiderte er heiter.
Molly rutschte das Herz in die Hose.
Auch wenn sie es nicht in Worte hatte fassen können: Genau das hatte sie befürchtet. Aus diesem Grund war sie so sicher gewesen, dass Brenda recht hatte, wenn sie sagte, Ben würde sie nicht mehr lieben. Selbst wenn Miles nicht wie ein Geier dort draußen gelauert hätte, wäre die Sache spätestens bei der Gerichtsverhandlung publik geworden.
Dass Ben von ihren Büchern erfahren würde, war halb so schlimm. Sie hatte es ihm ja sowieso sagen wollen. Aber dass alle, wirklich alle es erfahren würden, war etwas ganz anderes.
Auf schwachen Beinen schleppte Molly sich wieder zu ihrem Sessel und wickelte sich fest in ihre Decke. Sie hatte verloren.
Sie schloss fest die Augen und stellte sich einen strahlenden Sommermorgen vor, an einem Ort, an dem niemand ihr Geheimnis kannte.
„Molly?“
Bens drängender Tonfall ließ sie so ruckartig aus dem Schlaf hochschrecken, dass sie mit dem Kopf gegen seine Wange prallte. „Au.“
„Alles okay?“
„Ich glaube, ich bin eingeschlafen.“
„Wir sind fertig hier.“
„Dann muss ich wirklich geschlafen haben.“
Ben nickte. Er wirkte besorgniserregend geistesabwesend. „Ich finde es schrecklich, dich hier alleinzulassen, aber ich muss Brenda noch heute Nacht verhören. Tut mir leid. Kann ich Lori anrufen und herbestellen?“
Sie wusste, dass es keinen Grund gab, sich verletzt zu fühlen. Er war der Chief, natürlich musste er los. Aber hier ging es um mehr als nur darum, dass er sie heute Nacht alleinließ. Sie wollte nicht, dass er Zeit zum Nachdenken hatte, sie wollte nicht, dass seine Sandburg jetzt schon in sich zusammenbrach, dass die Flut kam und all seine Gefühle davonspülte. Wenn er jetzt ging … dann würde er niemals wiederkommen.
Und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.
Also zwang sie sich zu einem tapferen Lächeln und tat das, was sie am besten konnte. „Hey, ich warte doch nur drauf, dass du endlich gehst, damit ich Lori anrufen kann. Unsere allwöchentliche Kissenschlacht steht nämlich noch aus.“
„Moll.“ Er klang unendlich besorgt und verletzt.
Aber Molly lachte auf. „Ich brauche Lori nicht. Es geht mir prächtig. Es gibt nichts mehr, wovor ich Angst haben müsste. Geh und mach deine Arbeit.“
Er blieb noch einen Moment lang kopfschüttelnd neben ihr hocken. Er wirkte müde und verloren und unerträglich liebenswert, wie er da kauerte. „Ich komme so schnell wie möglich wieder. Bitte, lass mich Lori anrufen.“
„Ben, ich bin ein großes Mädchen. Wir sehen uns in ein paar Stunden. Geh nur.“
Also ging er, und dann rief Molly ganz von selbst bei Lori an, um sich auszuheulen und ihr alles zu erzählen, was passiert war. Stunden später schlief sie allein auf dem Sofa ein.
Als sie erwachte, fiel helles Morgenlicht durch die Wohnzimmerfenster.
Ben ließ sich mit seinem Besuch Zeit bis kurz vor elf. Und dann kam es genauso schlimm, wie sie befürchtet hatte.