Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Die amerikanische Originalausgabe Flesh Gothic erschien
2004 im Verlag Necro Publications.
Copyright © 2004 by Edward Lee
© dieser Ausgabe 2012 by Festa Verlag, Leipzig
Titelbild: Danielle Tunstall (Model: Paige Rohanna Walker)
Lektorat: Alexander Rösch
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-270-2
www.Festa-Verlag.de
Danksagung
Wie immer bin ich viel mehr Menschen zu Dank verpflichtet,
als ich an dieser Stelle danken kann, trotzdem will ich es zu-
mindest versuchen: Zuallererst Tim McGinnis. Dave Barnett,
Rich Chizmar, Doug, Don D’Auria, Thomas Deja, Dalls, Teri
Jacobs, Tom Pic. Bob Strauss und John Everson für zermür-
bendes Korrekturlesen und Erik Wilson für die überragende
Illustration der Hardcover-Ausgabe. Kathy Rosamilia dafür,
dass sie nicht nur einen, sondern zwei Romane lang durchge-
halten hat – ein Rekord. Amy, Charlie, Christy und Bill, Dar-
ren, Jeff, R. J. und Stephanie. Archie und Mike vom Header –
Gott sei Dank gibt es noch Yankee-Fans...
Prolog
»Du hättest mich einfach töten sollen«, sagte das Mädchen.
Der Mann zeigte sich geschockt. Diese seltsamen Worte
waren die ersten, die sie überhaupt gesprochen hatte, seit...
...neun Monaten, erinnerte er sich.
»Und ich weiß, dass du darüber nachgedacht hast«, meldete
sie sich von ihrem Platz auf dem schäbigen Bett. Sie senkte die
Stimme. »Ich weiß, dass du diese Pistole besitzt. Und ich weiß,
dass du mehr als einmal ernsthaft in Versuchung warst, mir
einfach eine Kugel in den Kopf und in den Bauch zu jagen ...
und dann abzuhauen.«
Stimmte das wirklich? Er hielt sich eigentlich für einen
Menschen, der sich nichts vormachte. Andere konnte man an-
lügen, sich selbst trickste man so schnell nicht aus. Die Lügen
holten einen immer ein.
Mein Gott. Ich hoffe, das stimmt nicht.
Er hatte es doch so weit gebracht und es so lange geschafft,
sie nicht zu töten, oder?
Sie bot einen schändlich erotischen Anblick. Lässig lag sie
auf dem Bett, ihr 19-jähriges Fleisch jung und glänzend. Sie
trug nur einen Slip und einen BH. Er konnte sehen, wie der
üppige Wuchs ihrer Schamhaare gegen den Stoff des Höschens
drückte. Der BH saß durch die vorgeburtliche Zusatzfülle ihrer
Brüste entschieden zu eng – ihr Busen drohte die Nähte zu
sprengen. Über dem basketballgroßen Bauch war die Haut zum
Zerreißen gespannt, der Nabel ragte hervor wie eine kleine
weiße Haselnuss.
Der Mann wandte den Blick von diesem verlockenden Bild
ab, wie er es all die Monate getan hatte.
Er sprach zur Wand. »Du redest jetzt. Das ist wunderbar.
Erinnerst du dich, wann du zuletzt geredet hast?«
»Nein.«
»Nach all der Zeit... was hast du zu sagen? Was hast du mir
zu erzählen?«
»Nichts«, erwiderte sie.
»Nichts?«
»Alles, woran ich mich erinnere, ist das Haus.«
Quer durch das Land hatte er sie mitgenommen. In anony-
men Bussen, durch windige Motels. Schon bevor sich ihre
Schwangerschaft abzeichnete, war ihm in ihrer Gegenwart
unwohl gewesen. Wegen der Blicke, die ihm die Leute zuwar-
fen. Die Angestellten an der Rezeption zogen mitten in der
Nacht ihre Augenbrauen hoch, als wollten sie zu ihm sagen:
Was treibt ein Mann in Ihrem Alter mit einem Mädchen, das
noch keine 20 ist? Warum bringen Sie die Kleine an einen sol-
chen Ort, noch dazu um diese Uhrzeit?
Derzeit hatten sie sich in Seattle im Aurora Motel einquar-
tiert. Ihr Zimmer sah aus, als sei es gerade mal das wert, was er
dafür bezahlte: 25,95 Dollar pro Übernachtung. Er wusste, dass
er auf Anonymität setzen musste, auf Orte, an denen es nie-
manden interessierte, welchen Namen man beim Check-in auf
das Formular kritzelte. Dort wollte man nur eins: Bargeld.
Mittlerweile waren die Blicke schlimmer geworden. Die Leute
glotzten ihn an, als wäre er ein Perverser übelster Sorte. Eines
Nachts vor nicht allzu langer Zeit hatte er für sie beide ein
Zimmer in Needles, Kalifornien, gemietet. Der Laden erwies
sich als Absteige für Säufer, Prostituierte und Junkies. Er hatte
gerade ein Soda aus dem Getränkeautomaten gezogen, als ein
ungepflegter, kahlköpfiger Mann im zerknitterten Anzug auf
ihn zukam und sagte: »He, Mann. Ich hab die süße schwangere
Mieze gesehen, die du mitgebracht hast. Weißt du, da steh ich
auch drauf. Was kostet die Stunde?«
»Hau ab oder ich schieß dir ins Gesicht...«
Die Antwort hatte gereicht.
Nach allem, was er inzwischen gesehen hatte, ekelte ihn die
Welt zutiefst an.
Die Welt, dachte er nun.
Er sah das Mädchen an.
Die ganze Welt...
»Tut mir leid, dass es hier so schäbig ist«, sagte er, während
er ihre Kleider auf dem mit Brandflecken übersäten Brett bü-
gelte, das er im Schrank entdeckt hatte.
»Es ist überall schäbig gewesen.« Lächelte sie etwa? Auch
das hatte sie seit neun Monaten nicht mehr getan. »Aber ich
verstehe das. Du redest viel mit dir selbst. Du kannst deine
Kreditkarte nicht benutzen.«
»Stimmt.«
»Und du drehst jeden Cent zweimal um.«
Er lächelte über einem Hemd. »Das auch.«
»Du versteckst mich, nicht wahr?«
Das Lächeln des Mannes erstarb. »Ja.«
»Vor ihnen, richtig? Vor den Leuten aus dem Haus.«
Der Mann hatte nie im Bett bei ihr geschlafen, obwohl er
sicher war, dass nichts passieren würde. Er hatte nie etwas mit
ihr gemacht, nicht einmal daran gedacht. Überhaupt nie etwas
Falsches getan...
...außer sie zu entführen.
Der Mann schlief immer auf der Couch – oder auf dem Bo-
den, wenn es keine Couch gab. Im Zimmer, das er in Seattle
ergattert hatte, stand eine Ausziehcouch – ein Luxus in seinen
Augen. Die Federn drohten, ihn durch die Matratze aufzuspie-
ßen, außerdem stank das verdammte Ding. Gott sei Dank bin
ich nicht pingelig, dachte er. In der ersten Nacht lag er wach
und lauschte dem Lärm des Verkehrs auf der Hauptstraße und
dem Regen. Die Vorhänge hatte er zugezogen. Im Zimmer war
es stockfinster und einen Moment lang ließ ihn die schiere
Schwärze an die Vergangenheit denken, an das Haus. Sofern
das Böse eine Farbe besaß, wusste er, welche.
Trotz seiner Erschöpfung schlief er nicht. Stattdessen lag er
auf der abgehalfterten Matratze und starrte an die Decke. Vom
Bett hörte er das rhythmische Atmen des Mädchens, das fast
hypnotisch wirkte.
Dann setzte die Atmung aus.
Die Augen des Mannes weiteten sich. Er wollte sich gerade
aufraffen und nach ihr sehen, doch dann drang rau ihre Stimme
aus der Dunkelheit.
»Ich will, dass du mich tötest. Bitte tu es. Warte, bis ich
wieder eingeschlafen bin. Und dann tu es.«
In der nächsten Nacht stieß sie im Schlaf ein einziges Wort
hervor.
»Belarius.«
»Blondes Haar funktioniert bei dir nicht«, stellte sie am
nächsten Morgen fest. Er hatte Kaffee, Limo und Donuts vom
7-Eleven, mehrere Blocks den Hang hinunter, geholt. Sie aß
gemächlich auf dem Bett, sah fern und kam ihm trotz der vol-
len Brüste und dem aufgeblähten Bauch wie ein unreifes Kind
vor.
»Warum nicht?«, fragte er und drehte sich um.
»Du siehst aus wie jemand, der versucht, sich zu verkleiden.
Die Haarfarbe wirkt falsch. Sie ist viel zu hell.«
Er betrachtete sich im Spiegel. »Wirklich?«
»Ja.«
Der Mann seufzte. Er zog seine Jacke an. »Ich bin bald wie-
der da.«
»Wohin gehst du?«
»Mir eine andere Tönung besorgen.«
Würden sie ihm wirklich folgen? Vielleicht sind wir beide
bloß paranoid, überlegte er. Der Bus bahnte sich den Weg
durch den Regen. Durch das mit Tropfen übersäte Fenster sah
er eintönige graue Gebäude. Ein Mann mit Brille und ein an-
derer mit einem Schutzhelm schauten gleichzeitig zu ihm. Ja,
ich bin bloß paranoid. Oder vielleicht hat sie recht. Ich habe
die falsche Haarfarbe benutzt und sehe jetzt aus wie ein Pfer-
dearsch. Einige Teenager hinten im Bus wurden laut und be-
nahmen sich mächtig daneben, aber er bekam es kaum mit.
Dann stand ein Schwarzer auf, der vorne saß, grinste ihn an
und sagte: »Da waren Lou Rawls und ich. Sie haben uns in
diesen Käfig gesteckt und uns nur Milchflaschen und Suppe
gegeben.« Dann öffneten sich die Türen und er stieg aus.
Am liebsten hätte er gelacht. In Großstädten gibt es eine
Menge Obdachlose, eine Menge Schizophrene. Traurig.
An der nächsten Haltestelle stolperte ein Blinder die Treppen
herauf, der sich mit blicklosen Augen und einem Stock vorta-
stete. Er setzte sich direkt neben ihn.
»Hallo«, sagte der Blinde und starrte geradeaus.
»Hi.«
»Ich... besitze übernatürliche Kräfte. Glauben Sie mir?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Glauben Sie, dass es Menschen mit solchen Kräften gibt?«
»Ja. Daran glaube ich ganz fest.«
Der Blinde kicherte. »Ich bin ein Seher, der nicht sehen
kann.« Die leeren Augen richteten sich auf ihn. »Sie besitzen
eine unheilvolle Aura.« Nach einer Pause seufzte er. »Mein
Gott ... sie ist fast schwarz.«
Der Mann wusste nichts zu erwidern, denn er glaubte tat-
sächlich an solche Dinge. Wie hätte es nach einer Woche in
diesem Haus auch anders sein können?
Die Hände des Blinden zitterten ebenso wie seine Unterlip-
pe. Die von Arthritis gezeichnete Rechte fasste über seinen
Kopf und tastete verzweifelt nach einem Haltegriff. »I-ich
muss aussteigen, ich muss aussteigen.«
Der Mann sah ihn nur verblüfft an. »Was ist denn los?«
»Nichts davon ist Ihre Schuld, warum also bringen Sie sich
in Gefahr?« Als der Bus an der nächsten Haltestelle schwan-
kend zum Stehen kam, stand der Blinde auf und kämpfte auf
wackeligen Beinen mit seinem Stock darum, das Gleichge-
wicht zu halten. Erneut richtete er seine toten Augen auf den
Mann, dann sagte er: »Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Wofür?«
»Um das Mädchen zu töten.« Mit klapperndem Stock ent-
fernte er sich. »Um sie zu töten.«
Damit stieg er aus und die Türen schlossen sich hinter ihm.
Das Mädchen einige Stunden lang allein im Zimmer zu las-
sen, beunruhigte ihn nicht sonderlich. Natürlich redete sie nie
darüber, aber sie schien zu wissen, was draußen lauerte. Wie
viel weiß sie wirklich noch?, überlegte er, als er durch den
Gang einer CVS-Filiale lief. Dann schossen ihm beunruhigen-
dere Fragen durch den Kopf: Was muss sie durchgemacht ha-
ben? Was hat sie gefühlt und gesehen? Was sah sie, als sie die
Augen aufschlug?
Was genau starrte sie in diesem Moment an?
Der Mann konnte nur beten, dass sie traumatisiert genug
war, um sich nicht genau zu erinnern.
Verdammt ... Die Pistole in seiner Hosentasche hatte sich
nach oben gearbeitet. Die Spitze des Griffs ragte verräterisch
heraus. Er zog seine Windjacke darüber, dann schob er die
Waffe an ihren Platz zurück. Ich muss vorsichtiger sein. Die
Waffe würde er nie im Zimmer zurücklassen, wenn er irgend-
wohin musste. Er wollte nicht, dass sie damit allein blieb.
Der Mann kaufte eine dunklere Haartönung und eine
Schachtel Zigaretten. Der Nieselregen wollte einfach nicht
aufhören. Als er den Laden verließ, zog er die Kapuze über den
Kopf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein
Irish Pub. Der Mann fühlte sich wie gelähmt und starrte ge-
bannt auf das Schild der Brauerei.
Verdammt, dachte er abermals.
»Nur eins«, murmelte er. »Nur eins, das täte jetzt so gut ...«
»So etwas wie ›nur eins‹ gibt es nicht«, meldete sich eine
hohe Stimme hinter ihm zu Wort. Er drehte sich um und
musste nach unten schauen.
Eine Gestalt, die er für eine junge Frau hielt, kauerte in ei-
nem Ziegelsteinverschlag neben einem Hydranten. Sie war
völlig durchnässt. Der Nieselregen prasselte auf eine durchlö-
cherte Regenjacke, deren grelles Gelb sich längst in ein
schmutziges Braun verwandelt hatte. Der Mann konnte kaum
ihr Gesicht erkennen, weil die Kapuze die offenen Augen halb
verbarg. Durch ihr Lächeln entblößte sie faulige Zähne, die wie
zersetzte Pillen aussahen.
»Aus einem werden ziemlich schnell 20«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Aber Sie sollten trotzdem reingehen und sich eins geneh-
migen, um zu feiern.«
»Um was zu feiern?«
Schmutzige Hände breiteten sich zu einer sonderbar fröhli-
chen Geste aus. »Diesen wunderschönen Tag!«
»Ach ja? Ich komme aus Florida. Ich schätze, deshalb kann
ich Seattles Definition von ›wunderschön‹ nicht wirklich
nachvollziehen.«
»Es gibt tolle Ecken hier, wenn man genau hinsieht.«
»Da bin ich ganz sicher«, erwiderte der Mann.
»Ich war früher auch wunderschön...«
Darauf wusste er angesichts ihrer offensichtlichen Notlage
nichts zu entgegnen. Sie konnte nicht älter als 30 sein, aber wer
mochte das schon mit Sicherheit sagen? Rosa Flecken be-
sprenkelten den gelblichen Teint der aufgedunsenen Wangen.
Chronische Alkoholikerin, stellte er mit Kennerblick fest. Die
Haut wird gelb, weil ihre Leber nach und nach den Geist auf-
gibt...
»Wo wohnen Sie?«, fragte er.
»Im Asyl in der King Street. Wenn ich laufen kann.«
Der Mann zögerte kurz, dann kramte er in der Hosentasche.
»Ich habe etwas Geld, das ich Ihnen geben kann...«
»Nein. Das brauche ich nicht. Was ich brauche, ist ein Drink.
Holen Sie mir etwas zu trinken.«
Der Mann fühlte sich kraftlos. »Das ... das kann ich nicht.
Tut mir leid.«
»Schon okay.« Mit schief in den Nacken gelegtem Kopf
warf sie ihm noch immer ihr verunstaltetes Lächeln zu. »Aber
falls Sie doch in den Pub auf der anderen Straßenseite gehen,
und ich denke, das werden Sie ...«
»Werde ich nicht«, widersprach er.
»Aber falls doch, dann trinken Sie einen für mich mit.«
Erneut wusste der Mann nichts zu entgegnen.
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Die ihren Umständen
trotzende Heiterkeit schlug in etwas Düsteres um. »Da ist noch
etwas in mir.«
»Was?«
»Ich soll Ihnen etwas mitteilen.«
Die letzten Stadien einer chronischen Säuferin. Verminderte
Sauerstoffversorgung des Gehirns, Toxin im Blut, dann kamen
die Psychosen. Er spielte mit. »Was sollen Sie mir mitteilen?«
Jäh veränderte sich ihre Stimme. »Gehen Sie weg. Lassen
Sie sie zurück.«
Die Zähne des Mannes klappten aufeinander. »Wen soll ich
zurücklassen?«
»Töten Sie sie nicht.«
Der Mann glotzte sie entgeistert an.
»Gehen Sie einfach irgendwohin. Wenn Sie das tun, werden
Sie belohnt.«
Der Mann brachte kein Wort hervor. Er starrte die Frau in
der Gosse nur weiter an, während Regen auf seine Kapuze
prasselte.
»Überlassen Sie den Rest ... uns.«
Dann verwandelte sich ihr Gesicht einen flüchtigen Moment
lang in etwas, das nicht mehr an einen Menschen erinnerte,
eher an ein pulsierendes schwarzes Loch in ihrer Kapuze.
Der Mann konnte sich nicht rühren.
Das echte Gesicht kehrte mit einem verblassenden Lächeln
und Augen, aus denen kein Leben mehr sprach, zurück. »Leben
Sie wohl«, sagte sie, bevor sie ein altmodisches Rasiermesser
hervorholte, mit dem sie sich die Kehle bis zum Knochen auf-
schlitzte.
Der Mann wandte sich ab, als sich das Blut zu seinen Füßen
ergoss. Autos hupten, als er vom Randstein auf die Straße
wankte; rot gefärbtes Regenwasser spritzte zu seiner Jacke
hoch. Er überquerte die Straße und betrat den Pub.
»Komm rein.«
Der Mann schwankte an der Tür im Regen. Hinter ihm ra-
sten Autos auf dem Highway vorbei, jedes mit einem langen,
nassen Zischen.
Ihre warmen Finger ergriffen sein Handgelenk und zogen ihn
in das Motelzimmer, dann schloss sie die Tür und sperrte den
unablässigen Lärm des Regens und der Fahrzeuge aus.
»Du bist klitschnass. Du bist...«
Der Mann war fast besinnungslos, konnte kaum stehen. Er
starrte sie nur mit großen Augen und beschämtem Blick an. Er
brachte kein Wort hervor, aber er dachte: Ich bin eine Schande.
»Das wird schon wieder«, versicherte sie ihm.
Der Fernseher lief leise im Hintergrund. Ein Moderator von
CNN berichtete mit ernster Miene, dass ein weiterer Helikopter
der US Army von irakischen Partisanen abgeschossen worden
war. 21 Tote.
»Hast du dich... vollgekotzt?«
Der Mann wusste es nicht. Sie schälte ihn aus seiner Jacke,
setzte ihn aufs Bett und begann ihn auszuziehen. Kein Wort
kam über ihre Lippen, als sie die Pistole aus seiner Tasche hol-
te. Dann lachte sie. »Bist du nicht los, um eine neue Haartö-
nung zu besorgen? Wo ist sie?«
»Ich ...« Er wischte sich die nassen Haare aus der Stirn. »Ich
hab sie im Pub liegen lassen.«
»Du bist so ein Trottel.«
Seine Sicht trübte sich, verschwamm an den Rändern. Ihr
hübsches Gesicht schwebte wie eine verzerrte Blase vor seinen
Augen. Als sie ihm die Schuhe auszog, hielt sie inne und be-
trachtete die rote Färbung. »Ist das ...« Doch sie beendete den
Satz nicht. Stattdessen machte sie sich an seinen Socken, seiner
Jeans und seinem T-Shirt zu schaffen. »Komm schon, hilf mir.
Du brauchst jetzt eine heiße Dusche.«
»Ich glaube nicht, dass ich das schaffe.«
»Klar doch, sicher schaffst du das.« Sie stellte ihn aufrecht
hin und zog ihm ohne zu zögern die Boxershorts aus. Sein Ge-
hirn stockte. Er nahm kaum wahr, dass er splitternackt vor ihr
stand.
»Einen Schritt nach dem anderen.« Sie griff nach seinem
Arm und führte ihn ins Badezimmer, wo er im grellweißen
Licht blinzelte. Die Helligkeit schmerzte in seinem Kopf. Das
Wasser zischte aus dem Duschkopf. Dampf stieg auf.
Ihr Arm schlang sich kräftig um seine Hüfte. »Rein mit dir«,
sagte sie. »Lass dir Zeit. Linker Fuß zuerst.«
Seine Hand schoss vor, um sich an der gefliesten Wand ab-
zustützen. Er schämte sich unheimlich. »Ich glaube, das schaf-
fe ich nicht.«
»Hey, reiß dich zusammen! Ein bisschen musst du schon
mithelfen!« Ihre Geduld war am Ende. »Du bist schließlich
nicht behindert.«
Er riss sich zusammen, setzte sich auf den Rand der Wanne
und hob behutsam ein Bein nach dem anderen darüber. Das
herabspritzende Wasser war heiß und belebend. Vernunftfetzen
tauchten in seinem Geist auf. Mehr Bewusstsein, mehr
Schamgefühl.
»Und jetzt steh auf und wasch dich!«
Sachte, sachte!, mahnte er sich. Verlegener hätte er kaum
sein können: ein blasser, nackter Säufer mittleren Alters. Als er
aufzustehen versuchte, rutschte er sofort aus. Sein Hintern lan-
dete mit einem dumpfen Knall auf dem Boden der Wanne.
»Oh Mann ... Was soll ich nur mit dir machen?«
Sie streifte ihren Morgenmantel ab und stieg nur mit BH und
Slip bekleidet zu ihm in die Wanne. Er sah auf wie ein desillu-
sioniertes Kind, als sie sich vorbeugte, grunzte und ihn unter
den Wasserstrahl bugsierte. Sofort fiel ihr das Haar in nassen
Strähnen ins Gesicht. Große Brustwarzen traten dunkel hervor,
als das Wasser den BH durchnässte. Die üppigen, mit Milch
gefüllten Brüste wogten erotisch. Das Bild blendete ihn regel-
recht – der mächtige schwangere Bauch voller Leben, der Bu-
sen, das dunkle Büschel ihrer Schambehaarung, die sich gegen
den nassen Slip abzeichnete. In ihrer Fruchtbarkeit bot sie ei-
nen wahrhaft schönen Anblick, doch er war zutiefst erleichtert,
dass er trotzdem keine erotischen Gefühle für sie entwickelte.
Keine Lust, kein Verlangen, nicht einmal, als ihre weichen
Hände ihn einseiften.
Sie half ihm aus der Dusche, trocknete ihn ab und unter-
stützte ihn bei dem mühsamen Unterfangen, seinen Bademantel
anzuziehen. Danach führte sie ihn Schritt für Schritt hinaus ins
Zimmer und setzte ihn aufs Bett.
Mittlerweile fühlte sich der Mann ein wenig besser als tot.
»Tut mir leid«, sagte er.
»Schon gut.«
Im Fernsehen liefen immer noch Nachrichten. Von einem
Schulhof in Maryland waren Kinder entführt worden. Bun-
desagenten hatten eine Razzia in einem geheimen Labor
durchgeführt, in dem mit Gehirngewebe von Föten experimen-
tiert wurde. Eine Krankenpflegerin für Schwerbehinderte ge-
stand vor laufender Kamera, ein sechsjähriges, geistig zurück-
gebliebenes Mädchen ermordet zu haben, um sich mit dem
Vater des Kindes das Geld von der Versicherung zu teilen.
Ruandische Soldaten hatten ein Krankenhaus vom Roten Kreuz
niedergebrannt und dabei 60 Menschen getötet.
»Das Böse lauert überall«, stellte das Mädchen fest.
»Ich weiß.«
Sie schaltete den Apparat aus und setzte sich neben ihn. »Ich
habe mehr Angst als du. Verstehst du, was ich meine?«
Die Worte durchschnitten den Nebel der Alkoholvergiftung
wie ein starker Lichtstrahl. »Ja. Da gibt es ja nichts falsch zu
verstehen.«
»Ich weiß nicht, was passieren wird.«
»Ich auch nicht.«
Ein Klicken ertönte, als sie schluckte. »Meine Fruchtblase
kann inzwischen jeden Tag platzen, vielleicht sogar jede Stun-
de.«
Der Mann nickte. Er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sa-
gen, wovon er beinahe überzeugt war. Es wird morgen nach
Mitternacht geschehen.
»Ich will, dass du mich umbringst. Erschieß mich mit deiner
Pistole und lauf weg. Ich werde dir vergeben«, sagte sie. »Und
Gott wird es auch.«
»Ich werde dich nicht umbringen«, krächzte er. »Wäre das
mein Plan, dann hätte ich es schon längst getan.«
Sie schaltete das Licht aus. »Dann lass uns jetzt schlafen.«
Er wollte noch einmal aufstehen, aber ihre Hand zog ihn
zurück. »Schlaf hier im Bett bei mir. Glaubst du etwa, dass ich
dir nach allem, was du getan hast, nicht vertraue?« Ein freud-
loses Kichern. »Wenn du etwas Perverses mit mir vorhättest,
hättest du auch das längst getan.«
Der Mann legte sich hin, schmiegte sich an sie und ließ seine
Gedanken wandern. Er fühlte sich nach wie vor schrecklich
und wusste, dass es noch eine Zeit lang so bleiben würde, aber
so neben ihr zu liegen – in vollkommenem Vertrauen –, ver-
mittelte ihm ein tröstliches Gefühl, das unschätzbar schien. Sie
schlief rasch ein, während sich in seinem Kopf immer noch
alles drehte, aber nach einer Weile beruhigte er sich. Er
lauschte ihrem Atem, während ihre Hand auf seiner Brust ruh-
te.
Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, konnte
er ihre Umrisse erkennen. Die Brüste hingen seitlich über dem
gewaltigen Bauch.
Bevor er selbst in einen benommenen Schlaf fiel, ging ihm
noch durch den Kopf: Nein, ich werde dich nicht töten. Aber
ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, dass ich töten werde,
was immer aus dir herauskrabbelt...
Kapitel 1
Neun Monate vorher...
I
Faye wusste nicht genau, ob sie noch träumte. In ihrem Kopf
schienen sich ausgesprochen lebhafte Albträume abzuspielen,
allerdings konnte sie sich nicht daran erinnern, eingeschlafen
zu sein. Jedenfalls mochte sie es, wenn die Tür abgeschlossen
war, und es gefiel ihr, wie der Mond manchmal nachts durch
das Fenster hereinschien.
Faye, nimm noch ein paar...
Wenn ich noch mehr nehme, bin ich völlig erledigt!
Wir ... wir wollen ja, dass du völlig erledigt bist. Wir wollen,
dass du sämtliche Hemmungen verlierst. Und du weißt ja, dass
es dir gefällt. Du magst alle. Lass es mich mal so ausdrücken:
Wenn du nicht völlig erledigt bist, können wir nichts mit dir
anfangen.
Fett und nackt hockte sie auf einer roten Samtcouch aus der
Zeit von Edward IV., von der sie wusste, dass sie mehr kostete,
als sie selbst in zwei Jahren verdiente. Fett, nackt und in ihrer
künstlichen Ekstase zudem trauriger, als wenn sie nüchtern und
alleine war. Hildreth hatte recht: Nur damit erfüllte sie ihren
Zweck. Hausmeisterin? Ein Witz; mittlerweile wusste sie das.
Ich bin ihr Semperit-Mädchen. Sie war dazu da, ausgelacht,
missbraucht und gedemütigt zu werden. Wenn sie einen der
Filme im Haus drehten, nannten sie Faye »das Kuschel-
schwein«.
Muskelbepackte Männer standen nackt und erregt neben ihr.
Bei einigen hatte Viagra nachgeholfen, andere geilte die An-
wesenheit des Bösen auf. Faye blies ihnen abwechselnd einen,
ohne auch nur darüber nachzudenken. Es war zu einem Auto-
matismus geworden. Zwei grobe Finger zwirbelten eine schiefe
Brustwarze, als wollten sie eine Schraube aus einer Wand dre-
hen.
Dieses Schwein macht es aber VERDAMMT gut ...
Wahrscheinlich übt sie schon, seit sie vier ist.
Und statt zu weinen, zu schreien oder sie zu beißen, stieg
Faye ein Lachen in der Kehle hoch. Es war scheußlich, was aus
ihr geworden war.
Ich bin scheußlich, dachte sie.
Ein Mann zog sich aus ihr raus.
Zeig mir deine Zunge.
Faye gehorchte und der Mann versenkte eine grellgrüne Pille
mit Playboy-Bunny in ihrem Mund.
Ein anderer drückte ihr eine Flasche in die Hand.
Schluck. Darin bist du ja gut.
Sie stürzte den schweren Wein hinunter, ohne auf das ausge-
bleichte Etikett zu achten: MONTRACHET 1888.
Die kräftigere Stimme blökte durch das von Kerzen erhellte
Zimmer. Janey, warum kommst du nicht hier rüber und ver-
wöhnst Faye mit deinen ganz speziellen Talenten?
Eine unglaublich schöne Frau saß nackt mitten auf dem
handgeknüpften Kaschmirteppich. Zerstreut schaute sie auf,
während sie umständlich mit einer Spritze hantierte, mit der sie
sich gerade einen Schuss ins Bein setzen wollte. Oh Reginald,
bitte. Du weißt, dass ich nur mit heißen Mädchen rumfummle.
Sie ist zu hässlich ...
Also ich mach’s, bot prompt eine weitere Nackte an und
stürzte grinsend heran. Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte
schon immer eine Schwäche für hässliche Bräute!
Du weißt nicht, warum?, meldete sich jemand anders zu
Wort und lachte. Meinst du nicht, es könnte etwas damit zu tun
haben, dass du bescheuert bist?
Halt die Klappe, Dreiei!
Die Frau kroch zwischen Fayes klobige, reisweiße Schenkel
und begann sofort damit, sie gierig mit der Zunge zu bearbei-
ten. Faye erzitterte unter dem Ansturm von lustvollen Empfin-
dungen. Ein metallisches Klicken war zu hören, als der Zun-
genschmuck der Frau über die Ringe von Fayes unfreiwilligem
Intimpiercing wanderte. Weitere warme, pulsierende Massen
füllten ihren Mund aus, stießen rücksichtslos in sie hinein. Fa-
ye fügte sich widerspruchslos, weil sie wusste, dass ihr keine
andere Wahl blieb. Mittlerweile überwältigten sie so viele Ein-
drücke: moschusartige Gerüche, brodelnde Empfindungen,
Drogenrausch, Schwänze und andere Genitalien vor ihrem Ge-
sicht und die abenteuerlichsten Dinge, die ihr in den Mund
gesteckt wurden.
Bitte, meine Herren! Sparen Sie es sich für später auf. Nicht
so gierig.
Gehorsam traten alle Männer zurück. Das Kerzenlicht flak-
kerte auf ihren verschwitzten massigen Oberkörpern und ihren
emporragenden Erektionen.
Die andere Frau fuhr noch einige Male sanft mit ihrem Zun-
genschmuck über die Ringe in Fayes Schamlippen, dann
wandte sie sich direkt der freiliegenden Klitoris zu.
Faye wurde von einer berauschenden Woge der Ekstase er-
griffen, während sie auf ihren Höhepunkt zusteuerte.
Seht nur, gleich kommt sie!
Gebt ihr das Zeug, wenn es so weit ist.
Fayes Schenkel bebten, als Wellen der Lust durch ihren
Körper brandeten. Sie keuchte und ihr Herz raste. Die
Crack-Pfeife wurde ihr an die Lippen gesetzt.
Nein, ich kann nicht mehr, stieß sie flehend und überfordert
von Geilheit hervor.
Ein Feuerzeug leuchtete auf und schien auf ihr verstörtes
Gesicht. Dann wurde ein Hahn gespannt und eine Pistole an
ihren Kopf gehalten.
Rauch es ...
Faye inhalierte die metallischen Dämpfe, als der Orgasmus
über ihr zusammenschlug. Dann rollte sie von der Couch, lan-
dete mit einem klatschenden Laut auf dem Boden und blieb
benommen liegen.
So. Jetzt kann der fette Haufen Scheiße nicht behaupten, wir
hätten nie etwas für sie getan.
Gelächter, während Faye wie ein fallen gelassener Sack
herumlag.
Dann ertönte wieder die kräftige Stimme: Das war wie im-
mer total unterhaltsam. Vertagen wir uns jetzt ins Scharlach-
rote Zimmer.
Nackte Körper entfernten sich und tappten barfuß über den
Teppich. Die Konturen erotischer Schatten verschwanden
durch das Flackern der Kerzenflammen.
Faye lag sabbernd da und wünschte sich, sie könnte sterben.
Sie wusste, was vor sich ging; wusste, was jetzt bevorstand.
Hau ab! Sie sind alle im anderen Zimmer!
Zumindest raunte ihr das ihr Instinkt zu. Allerdings war ihr
klar, dass Instinkte wie Selbsterhaltung für sie keine Bedeutung
mehr hatten. Wie lange würde sie draußen in der normalen
Welt wohl durchhalten? Mittlerweile hatten sie Faye von so gut
wie allem abhängig gemacht, damit ihre menschliche Piñata
gefügiger wurde. So machte es den Männern mehr Spaß, sie
auszulachen, auf sie zu pissen und sie zu demütigen – und al-
les, weil sie schlicht und ergreifend böse waren. Faye würde
ein paar Tage durchstehen, bis ihr das Geld für Drogen aus-
ging, dann würde sie einen letzten Blick auf ihr verkorkstes
Leben werfen und sich den Schädel wegpusten.
Was also hatte sie zu verlieren?
Es dauerte eine halbe Stunde, in der sie tief durchatmete und
sich darauf konzentrierte, das Tempo ihres Herzschlags herun-
terzufahren, bis es ihr endlich gelang, sich aufzurappeln. Das
Kerzenlicht leckte flackernd über ihren schwabbeligen Körper.
In ihrem Kopf drehte sich immer noch alles, dennoch holte sie
sich irgendwie die Kontrolle über ihre Bewegungen und Ge-
dankengänge zurück. Sie hatte es so weit geschafft, jetzt wollte
sie es auch sehen.
Sie wollte sehen, ob es stimmte, und dann sterben.
In welchem Zimmer bin ich? Es ist einer der oberen Salons,
vermutete sie. Faye konnte sich nicht erinnern. Sie schob die
hohen Schwingtüren auf, schwankte kurz und trat dann hinaus
in den Flur. Als sie das Geländer erreichte und hinabblickte,
sah sie Hunderte flackernde Punkte, die von angezündeten
Kerzen stammten.
Als sie sich zur Treppe schleppte, drangen Gemurmel, Seuf-
zen und Todesröcheln an ihre Ohren. Vereinzelt ertönten gel-
lende Schreie tief aus den Eingeweiden der Villa. Sie schaute
in eins der Zimmer und erkannte eine nackte Frau, die mit ei-
nem Fleischhaken im Gaumen an einem Deckenbalken bau-
melte. Die Arme zuckte ein wenig und gab gurgelnde Laute
von sich. Jemand hatte das gesamte Fleisch von ihren Waden
und Füßen gepellt und Druckverbände oberhalb der Knie an-
gebracht, um zu verhindern, dass sie sofort verblutete. Faye
schloss die Tür und ging weiter. Im nächsten Raum lagen drei
tote Frauen, allerdings keine von den Filmmädchen, soweit sie
es beurteilen konnte. Sie waren bleich wie Paraffin und ausge-
mergelt, als wären sie verhungert. Unter Bäuchen, die wie ein-
gezogen wirkten, ragten die Beckenknochen hervor. Allen war
die Kehle aufgeschlitzt worden.
Faye wusste, wohin sie ging. Unterwegs erwarteten sie wei-
tere Abscheulichkeiten. Einmal tappte ihr nackter Fuß in einen
Haufen noch warmer menschlicher Gedärme. Einige Schritte
weiter drückte etwas Hartes und Nasses gegen ihre Fußsohle:
ein herrenloser Hoden. Auf der obersten Stufe lag eine der
jungen Darstellerinnen – eine der wenigen, die nett zu Faye
gewesen waren; tot, mit glasigen Augen, die Hüftgelenke ge-
brochen, um ihre Schenkel weiter zu spreizen, als die Natur es
zuließ, damit der Erstbeste, der morgen die Treppe heraufkam,
sehen würde, was ihr in die Scheide gestopft worden war: ein
menschlicher Arm.
Doch Faye war längst über den Punkt hinaus, Entsetzen zu
empfinden. Das gehörte alles zu Hildreths Wahnsinn. Es waren
seine Opfergaben, seine Art, auf sich aufmerksam zu machen
und seine Würdigkeit zu beweisen. Das, was er heraufbe-
schwor, würde ihn als überaus würdig erachten, das wusste
Faye. Ebenso wusste sie: Wenn sie das Haus weiter durch-
suchte, statt zu fliehen, erwarteten sie noch weitaus schlimmere
Entdeckungen.
Als sie die Tür fand, nach der sie suchte, schien es sich we-
niger um einen Durchgang zu handeln, sondern vielmehr um
eine von etwas Lippenähnlichem umsäumte, längliche Öff-
nung. Die Drogen sorgten dafür, dass sie sich ständig alle mög-
lichen Dinge einbildete, aber bildete sie sich auch dies hier
wirklich nur ein?
Als sie das berührte, was der Türrahmen hätte sein sollen,
fühlte es sich weich, warm und nass an. Eindeutig kein Holz.
Vor ihr herrschte absolute Stille. Weitere Kerzen ließen
flackernd erahnen, welches Grauen sich hier abgespielt haben
mochte. Faye ließ den Blick durch Hildreths geliebtes Schar-
lachrotes Zimmer wandern und dachte: Sie haben es wirklich
getan.
Einige der Leichen waren unversehrt, andere lagen als Ein-
zelteile verstreut herum. In der Mitte des Raums türmte sich
ein Haufen abgeschlachteter nackter Menschen. Gliedmaßen,
Köpfe, Hände und Füße säumten die blutige Ansammlung der
Körper. Faye konnte mühelos erkennen, welche Werkzeuge
zum Einsatz gekommen waren – Axtwunden in Gesichtern,
Axtwunden in Bäuchen. Ihr kam der Gedanke, dass die Lei-
chen absichtlich aufeinandergestapelt worden waren, um eine
bestimmte Wirkung zu erzielen: eine aufgetürmte Opfergabe,
eine Einladung. An der Tür im hinteren Bereich lagen mehrere
umgekippte Eimer, in denen es rötlich glänzte. Und daneben
befand sich die Axt, als habe sie jemand achtlos hingeworfen.
Hau ab, drängte sie sich.
Doch das konnte sie nicht.
Als Faye schließlich den Raum betrat, ertönte ein Schmatz-
laut, der von etwas Warmem unter ihren Fußsohlen ausging.
Zuerst dachte sie, es müsste der Teppich sein, der sich mit dem
vielen Blut vollgesaugt hatte, aber ein Blick nach unten strafte
sie Lügen.
Sie lief gar nicht auf dem Fußboden, sondern auf rohem
Fleisch, das einem riesigen Porterhousesteak ähnelte. Adern so
dick wie Gartenschläuche verzweigten sich ringsum und pul-
sierten. Sie streckte eine Hand aus, um sich an der Wand abzu-
stützen, doch was ihre Finger berührten, war keine Wand mehr
... sondern Haut.
Heiße, schwitzende, gerötete Haut mit intakten Nerven, die
sich in erregter Empfindung wanden. Faye ging an der Wand
entlang und fuhr mit der Hand darüber. Unter ihren Fingern
schien die Begrenzung anzuschwellen, als versuchte sie, die
Berührung zu erwidern. Außerdem spürte sie feine Erhebun-
gen: offene Augen, Gesichter, Münder mit leckenden Zungen.
Die Augen blinzelten sie lüstern an. Eine Zunge schoss ver-
zweifelt hervor, dann seufzten die Lippen und flüsterten: »Bit-
te, bitte! Lass uns dich schmecken!«
Fayes üppiger Hängebusen bebte und ihre Speckfalten
schwabbelten, als sie mit wackligen Füßen auf die Mitte des
Raums zustolperte. Sie musste noch etwas überprüfen ...
Die andere Tür.
Dort war es tatsächlich, genau wo es sein sollte. Gesäumt
von triefendem Fleisch.
Der Spalt, dachte sie.
Ja, sie hatten es wirklich getan.
Aber wo steckte Hildreth?
Dann steckte sie ihren Kopf hinein und sah, wie er zurück-
grinste.
Die Polizei fand sie Stunden später. Sie saß am Ende der
kilometerlangen gewundenen Auffahrt zur Villa. Sabbernd.
Nackt. Wahnsinnig.
Nun hockte Faye genauso da, nur an einem anderen Ort.
Nein, kein Albtraum – schlimmer: eine Erinnerung.
Der Mond hüllte den Boden und einen Teil des Betts in sein
sanftes eisähnliches Licht.
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr; als
sie zu dem kleinen Fenster aufschaute, spähte ein Gesicht her-
ein. Das taten sie oft, aber sie lächelten nie.
Die Tür öffnete sich mit einem schweren Klicken.
»Komm, Faye. Es ist Zeit für deine Medikamente.«
II
Patrick Willis reiste nie mit dem Flugzeug. Das hatte er vor
zehn Jahren aufgegeben, als seine mentalen Kräfte ihren Hö-
hepunkt erreichten. Meistens wurden sie durch Berührung
ausgelöst. In der Enge einer Flugzeugkabine, umgeben von all
den anderen Passagieren ... das wurde ihm manchmal zu viel.
Und oft war es der pure Wahnsinn.
In unmittelbarer Nähe so vieler Auren brauchte er andere
Menschen nicht einmal zu berühren. Ihr Grauen fand andere
Möglichkeiten, ihn zu erreichen.
Deshalb reiste er nur noch mit Greyhound-Bussen. Die wa-
ren sowieso billiger.
Die halbe Ostküste zog vor dem großen Fenster wie ein
bunter Film vorbei. Diese ganze Schönheit da draußen, dachte
er. Dann ließ er den Blick über die etwa zehn anderen Fahrgä-
ste streifen, die sich den Bus mit ihm teilten. Ja, draußen ist
davon jede Menge zu finden, hier drinnen eher nicht.
Mehrere Penner, einige fette Sozialhilfeempfänger und ein
weißes 20-jähriges Mädchen mit fettigen Haaren, das mit stei-
nerner Miene neben einem grinsenden Schwarzen Mitte 40 saß.
Ein schlafender Junkie hier, ein redseliger Geistesgestörter
dort. Allesamt vom Pech verfolgt. Hauptsächlich Menschen,
die das Leben in die Gossen der Gesellschaft verbannt hatte.
Und wohin gehöre ich?, fragte er sich.
Willis sah wieder aus dem Fenster. Selbst auf eine Entfer-
nung von unter drei Metern konnten Menschen eine Wahr-
nehmung bei ihm auslösen, wenn er sie eindringlich genug
musterte. Was sich jenseits des Fensters abspielte, gefiel ihm
deutlich besser.
Er wollte die Landschaft auf der anderen Seite der Scheibe
auf sich wirken lassen, aber letztlich endete es – wie üblich –
damit, dass er noch mehr von seinem eigenen kaputten Leben
wahrnahm. Er war nie besonders materialistisch veranlagt ge-
wesen, ganz im Gegenteil. Nach Abschluss seines Medizinstu-
diums hatte er wenig Lust verspürt, sich als Arzt niederzulas-
sen – obwohl ihm seine zusätzlichen Talente sicher innerhalb
kürzester Zeit ein siebenstelliges Jahreseinkommen verschafft
hätten. Stattdessen hatte er beim staatlichen Gesund-
heitszentrum gearbeitet, wo er überwiegend Vergewaltigungs-
opfer und misshandelte Frauen betreute. Er war schon immer
selbstlos gewesen. Für ein wesentlich geringeres Gehalt zu
arbeiten, um Menschen zu helfen, die sich selbst nicht helfen
konnten, schien ihm eine ehrenvolle Aufgabe zu sein. So kann
ich der Welt etwas zurückgeben. Es ging ihm nicht um Idea-
lismus, sondern kam von Herzen.
Willis blieb etwa fünf Jahre dort und seine »Gabe« wurde –
wie bei so vielen anderen mit parapsychologischen Fähigkeiten
– zu einem Fluch. Bis zum Abschluss des Medizinstudiums
hatte er sie kaum wahrgenommen – diese Art von übersinnli-
cher Begabung erreichte in der Regel erst um das 30. Lebens-
jahr herum ihren Höhepunkt. Bemerkt hatte er sie allerdings
schon früher, wenn er im College oder während des Medizin-
studiums mit Frauen zusammen war. Berührungen. Direkter
Hautkontakt. Sex verdreifachte die Intensität dessen, was er als
»Rückstrom« bezeichnete; und da Sex die intimste Art von
direktem Hautkontakt darstellte, kam Willis’ Liebesleben nie
über die erste Nacht mit einer Frau hinaus. Es gab immer ir-
gendetwas – ein schreckliches oder dunkles Geheimnis –, das
aus ihrem Kopf in seinen strömte. Willis fühlte sich wirklich
wie ein Verfluchter.
Trotzdem habe ich es geschafft, oder?, überlegte er, während
der Bus über den Highway rumpelte.
Mit 30 fand er sich damit ab, dass er vermutlich nie in der
Lage sein würde, eine intime Beziehung mit einem anderen
Menschen einzugehen. Zur sexuellen Befriedigung setzte er auf
die gute alte Handarbeit. Sich damit abzufinden, war nicht ganz
einfach, denn nach gängigen Maßstäben war er ein überaus
attraktiver Kerl. In der Klinik hatte er sich den Spitznamen
»Dr. Schnuckel« eingefangen. Aber egal – er besaß ein gesun-
des Maß an Entschlossenheit, hatte seine Ideale und wusste,
dass er einer Menge Menschen wirklich geholfen hatte, bevor
man ihm seine Zulassung wegnahm.
Denk jetzt einfach nicht darüber nach, seufzte er innerlich.
Auch über die vertrackte Geschichte, auf die er sich gerade
einließ, grübelte man besser nicht zu sehr. Von Vivica Hildreth
hatte er zwar nie zuvor gehört, dafür jedoch umso mehr vom
»Unterhaltungsbetrieb« ihres Ehemanns, T&T Enterprises. In
dem Brief, der zusammen mit dem Paket eingetroffen war,
stand: Bei dem Schmuckstück in dieser Schachtel handelt es
sich um ein Armband, das einer Frau namens Jane Scharr ge-
hörte. Ihr Künstlername als Pornostar lautete Janey Jism. Ein
fast schon unheimlicher Zufall, denn die Filme von Miss
Scharr hatten Willis schon einige überaus befriedigende Aben-
de verschafft. Das Schreiben ging weiter: Bitte ziehen Sie in
Erwägung, Ihre Fähigkeiten bei diesem Armband einzusetzen.
Falls Sie sich dazu entschließen sollten, die Gesamtheit der
fraglichen Nacht zusammen mit anderen Experten auf ihrem
Gebiet eingehender zu untersuchen, zahle ich Ihnen das Zehn-
fache des beigelegten Vorschusses. Setzen Sie sich mit meinem
Büro in Verbindung, falls Sie Interesse haben. Meine Mitar-
beiter werden dann Anreise und Unterbringung organisieren.
Den Vorschuss können Sie unabhängig von Ihrer Entscheidung
in jedem Fall behalten.
Mit freundlichen Grüßen
Vivica Hildreth
»Mann«, murmelte er, als er darüber nachdachte. Willis’
sogenanntes Büro konnte man nicht gerade als Gelddruckma-
schine bezeichnen. Vielmehr konnte er von Glück reden, wenn
er es mal auf 20.000 im Jahr brachte. Allein Vivica Hildreths
Vorschuss belief sich auf stolze 10.000 Dollar.
Was konnte er schon tun? Er brauchte das Geld.
Willis schüttelte das kleine Expresspaket und hörte, wie die
Glieder des zierlichen Armbands leise gegeneinanderklirrten.
Er überlegte, ob er es erneut aus dem Samtbeutel holen sollte –
nur um es noch einmal anzusehen –, verwarf die Idee jedoch
und spähte lediglich hinein. Es handelte sich um einen hüb-
schen Silberschmuck mit winzigen Amethysten. Ein Experte
für Kristalle würde sicherlich beteuern, dass Amethyst und
Silber den Träger vor Bösem schützten. Hat bei ihr eindeutig
nicht geklappt, dachte Willis. Jane Scharr hatte das Armband
vor gar nichts geschützt.
Als er es an dem Tag, als das Päckchen in seiner armseligen
Wohnung in Los Angeles eintraf, zum ersten Mal in die Hand
nahm, wäre er beinahe zu Boden gesackt. Bildfragmente mus-
kulöser Männer, deren nackte Körper vor Schweiß glänzten,
waren vor seinem inneren Auge aufgetaucht. Seelenruhig
schlitzten sie die Kehlen mehrerer Frauen auf und fingen an-
schließend ihr Blut in Eimern auf. Kerzen flackerten, während
eine Orgie ablief. Dann schlug ein großer, schlanker und ir-
gendwie bedeutend aussehender Mann mit einer Axt auf die
Teilnehmer der sexuellen Ausschweifungen ein. Mit einem
Hieb nach dem anderen vergrub er das Blatt in Rücken, Köpfen
und Genitalien. Und dort, in der Ecke eines Raums, der Blut zu
schwitzen schien, kauerte Jane Scharr alias Janey Jism. Mit
drogenbenebeltem Blick lugte sie zwischen den Schenkeln
hervor, in denen sie ihr Gesicht vergraben hatte. Im selben
Moment knallte ihr die Axt gegen die Stirn und spaltete den
Schädel. Dann wurden ihr mit stummen Schlägen Hände und
Füße abgehackt und ihr noch zuckender Körper hochgehoben
und auf einen Stapel weiterer zerhackter Leiber geschleudert.
Die Frau, die sie eben noch oral verwöhnt hatte, griff sich ihre
abgetrennte Hand und benutzte sie, um damit zu masturbieren
...
Das hatte Willis gereicht.
Und nun war er unterwegs, um mehr davon zu sehen, weil er
das Geld unbedingt brauchte.
Was bin ich doch für eine Nutte, dachte er an seinem Fen-
sterplatz.
Kalifornien hatte er längst hinter sich gelassen, die anderen
Bundesstaaten zogen draußen verschwommen vorbei. Er hoff-
te, der Bus würde noch vor Sonnenuntergang am Ziel eintref-
fen.
Der Lautsprecher knackte, und die fröhliche Stimme des
Fahrers verkündete: »Werte Fahrgäste, Sie können anfangen,
zusammenzupacken. Ninth Street North, St. Petersburg, Flo-
rida, liegt gleich am Ende der Mautstraße. Wir treffen in etwa
15 Minuten am Busbahnhof ein.«
Gott sei Dank, dachte Willis.
»’tschuldigung, Sir«, sprach ihn überraschend eine dicke,
verwahrlost wirkende Frau an. »Wir sin’ fast in St. Petersburg,
und ich bin komplett blank. Hätten Se wohl ’n Dollar Busgeld
für mich? Muss meine Tochter besuchen.« Und dann packte sie
seine Hand.
Willis zuckte zurück und hätte beinahe laut aufgeschrien.
Durch diese flüchtige Berührung, diese Taktion, schoss ein
stummer Strahl tiefster Schwärze in seinen Geist – das gebro-
chene Herz einer Mutter, als sie von der Polizei erfährt, dass
ihrem Sohn auf dem Heimweg von der High School aus einem
fahrenden Auto eine Kugel in den Kopf gejagt wurde. Und es
blieb nicht bei dem bloßen Gefühl, es wurde von flüchtigen
Bildern begleitet: ein explodierender Schädel, durch die Luft
spritzende Gehirnmasse ...
»Rühren Sie mich nicht an, rühren Sie mich nicht an!«,
brüllte er und wich so weit wie möglich von ihr zurück.
»Du meine Güte, ich hab Sie ja bloß gefragt ...«
Willis stieß die Visionen von sich weg; er hatte gelernt, sich
rasch zu fangen. »Schon gut, schon gut, tut mir leid«, sprudelte
er hervor und setzte ein gespieltes Lächeln auf. »Sie haben
mich nur erschreckt. Hier.« Damit drückte er ihr einen
20-Dollar-Schein in die Hand.
Ihr breites Gesicht wirkte verwirrt und erstaunt zugleich.
»Danke vielmals, Sir. Gott segne Sie.«
Willis seufzte und schloss die Augen. »Möge er Sie auch
segnen.«
III
»Wir sind reich«, stellte Straker ohne sonderliche Begeisterung
fest.
»Reich? Willste mich verscheißern?«, gab Walton in seinem
leicht gedehnten North-Carolina-Akzent zurück. »Klar, war ’ne
hübsche Stange Geld ...«
»100.000 für drei Wochen Arbeit, geteilt durch zwei? Ja, das
würde ich auch als hübsche Stange Geld bezeichnen.«
»Kann immer noch nicht glauben, dass die durchgeknallte
Schlampe uns so viel gezahlt hat. Aber wir werden’s versteuern
müssen, weil sie’s sicher gemeldet hat.«
»Ja. Scheiße.«
Für zwei Männer, die soeben innerhalb weniger Wochen
100.000 Dollar verdient hatten, ließen Walton und Straker
kaum Enthusiasmus erkennen. Die beiden saßen auf den Ein-
gangsstufen des großen Hauses, erschöpft, niedergeschlagen
und ... noch etwas.
»War die Sache fast nicht wert«, meinte Straker schließlich.
»Müsste ich’s noch mal tun, würd ich mir vielleicht sagen,
scheiß auf die 50.000, ich geh lieber in die Kneipe.«
»Ich weiß.«
Der frühe Morgen passte nicht zur Situation; sie hätten den
Job um Mitternacht beenden sollen – das hätte die richtige
Wirkung gehabt. Sie hätten ihr Werkzeug unter dem Schein des
Vollmonds zurück zum Wagen schleppen und anschließend in
die schwüle Nacht davonbrausen sollen.
Auch ihr Erscheinungsbild hätte kaum unpassender sein
können: zwei Männer mit Kinnbärten und finster entschlosse-
nen Mienen, Walton mit seinem schwarzen Cowboyhut, Stra-
ker mit der Baseballmütze, die das auf den Kopf gestellte Logo
der Buccaneers präsentierte. Straker rauchte, Walton gönnte
sich eine Prise Kautabak. So saßen sie auf der Eingangsstufe
vor diesem prunkvollen Haus. Was genau wirkte also so un-
passend? Schließlich handelte es sich lediglich um zwei Män-
ner, die gerade einen Auftrag erfolgreich beendet hatten, der
eine mit Baseball-Cap, der andere mit Stetson.
Es lag daran, dass sie immer noch ihre knallgelben Schutz-
anzüge trugen und lediglich die Kapuzen zurückgezogen hat-
ten. Neben ihren Polypropylenstiefeln lagen Gasmasken und
Sauerstofftanks.
»Ich finde, der Gestank war am Schlimmsten«, dachte Stra-
ker laut nach, während er rauchte. »Vor allem am ersten Tag.«
Walton spuckte Tabaksaft aus. »Ne, mir hat eher zu schaffen
gemacht, wie sich der Ort anfühlte. Vielleicht war’s auch bloß
’ne psychologische Sache, weil wir ja wissen, was sich da drin
abgespielt hat.«
»Ich meine ... wer hätte sich so was je vorgestellt? Die gan-
zen Menschen ...«
»Die Teppichentsorger haben gemeint, es waren um die 20.
Sie wussten nicht genau, wie’s passiert ist, aber ... Scheiße,
überall im Zimmer waren diese Axteinschläge.«
»Und dann noch der ganze Pornoscheiß«, fügte Straker hin-
zu. Eigentlich wollte er nur noch weg, doch er fühlte sich zu
müde, um sich dazu aufzuraffen.
»Schätze, das macht man so, wenn man reich ist. Man kauft
sich ’ne Pornofirma und verlagert sie in sein Haus. Dann stopft
man die Bude voll mit heißen Miezen ...«
»Und dann bringt man sie um«, beendete Straker die Be-
schreibung des verwirrenden Szenarios. »Und soll ich dir was
sagen? Manchmal, wenn ich da drin in ein Zimmer gegangen
bin, hatte ich plötzlich das Gefühl ...«
»Als wärst du auf einem Friedhof und würdest von jeman-
dem beobachtet?«
»Ja, das war ständig so, aber das mein ich nicht. Ein paarmal
hatte ich plötzlich das Gefühl, geil zu werden.«
Walton kicherte. »Scheiße, du bist doch ständig geil.«
»Ich mein’s ernst, Mann. Ich stand da drin und hab geron-
nenes Blut und Eingeweide vom Boden eines Zimmers ge-
kratzt, in dem ein Haufen Leute ermordet wurden, und auf
einmal bekam ich einen Steifen.«
»Tja, ich schätze, dann hast du einen ziemlichen Dachscha-
den.«
»Total ekelhaft. Mir war schlecht, auf dem Boden krochen
die Maden rum und ich wollte nur den Kopf aus dem Fenster
stecken und kotzen ... aber gleichzeitig hatte ich einen ver-
dammten Ständer.«
Walton schüttelte den Kopf und rückte die Krempe seines
schwarzen Cowboyhuts zurecht. »Fahren wir zur Kneipe, du
brauchst dringend ’nen Drink.«
Die beiden stöhnten, als sie sich aufrappelten, ihre Ausrü-
stung zusammensammelten und sich zum Lieferwagen
schleppten, der mit Nass-und Trockensaugern sowie Chemika-
lien vollgestopft war. Auf der Seite des Fahrzeugs stand:
WALTONS EXTREMREINIGUNGSDIENST
(TATORTE, BRÄNDE, LEICHENFUNDE)
WIR SIND ABGEHÄRTET!
Ein weiterer großer Lieferwagen rollte auf den Vorhof.
Mehrere, mit ähnlichen Schutzanzügen bekleidete Männer
stiegen aus.
»Wer sind die Kerle?«, fragte Straker.
»Schädlingsbekämpfer ...« Walton wandte sich an den vor-
dersten der Neuankömmlinge. »Viel Spaß, Jungs.«
»Ist es schlimm?«, fragte der Mann mit Gasmaske in der
Hand. »Bezahlt hat die Lady jedenfalls äußerst großzügig.«
»Es ist sogar ausgesprochen übel«, antwortete Walton. »Tobt
euch aus.«
Weder Walton noch Straker verloren ein weiteres Wort, als
sie in ihr eigenes Fahrzeug kletterten. Walton suchte einen
zackigen Countrysong im Radio, legte den Gang ein und fuhr
los.
Straker war immerhin froh darüber, dass man ihm die Ent-
sorgung der Leichen erspart hatte. Aber ein Teil seines Ver-
stands ging die Möglichkeiten durch. Was ist da drin wirklich
passiert?
Im Rückspiegel beobachtete er, wie die riesige Villa erst
zusammenschrumpfte und dann nach der ersten Kurve ver-
schwand. Doch tatsächlich würde sie nie so ganz verschwin-
den, wie er in den folgenden Jahren feststellen sollte – sie blieb
beharrlich in seiner Erinnerung haften.
»Warte mal«, sagte er. »Was ist eigentlich aus dem Kerl
geworden?«
Walton spuckte erneut aus. »Aus welchem Kerl?«
»Na, dem reichen Kerl, diesem Hildreth.«
»Scheiße, ich... ich weiß es nicht.«
IV
Adrianne Saundlund musterte mit trübem Blick die vorbeizie-
henden Gesichter. Bitte, setzt euch NICHT hierhin, dachte sie.
Adrianne reiste immer mit Fluggesellschaften, die freie Platz-
wahl anboten, denn in der Regel hatte sie Pech – sie bekam
immer einen Stinker oder eine Mutter mit einem quengelnden
Baby neben sich gesetzt. So hatte sie zumindest eine Chance.
Sie war immer früh genug da, um zu den ersten Passagieren zu
gehören, die an Bord gingen. Dann pflanzte sie sich auf den
ersten Fensterplatz und bemühte sich, so unfreundlich wie
möglich zu wirken, um potenzielle Sitznachbarn dazu zu be-
wegen, sich woanders hinzusetzen. Adrianne wollte niemanden
in ihrer Nähe haben. Sie mochte Menschen nicht besonders.
Fensterplätze bevorzugte sie, weil der Ausblick auf den
Himmel sie an ihre ganz eigene Art des Fliegens erinnerte –
außerhalb ihres Körpers.
Das Geheul der Turbinen entspannte sie im Zusammenspiel
mit den Schlafmitteln, von denen sie längst abhängig geworden
war. Adrianne wollte einfach nur ihre Ruhe haben ...
Abwesend blätterte sie durch die aktuelle Ausgabe der Pa-
ranormal News. Sie blieb am Bild einer sympathischen Frau
mit herbstblattfarbenen Augen, verhaltenem Lächeln und ei-
nem wirren Schopf tintenschwarzer Haare hängen, die wie eine
Bibliothekarin aussah. Ein abwesender, wissender und zugleich
ein wenig argwöhnischer Gesichtsausdruck. Der dazugehörige
Artikel trug die Überschrift »Fernkontrolle: Techniken und
Philosophien der Transvision« und stammte von einer gewis-
sen Adrianne Saundlund. Adrianne war 40, doch sie dachte:
Scheiße, ich muss denen sagen, sie sollen ein neues Foto ver-
wenden. Auf dem sehe ich aus wie 50. Sie schrieb diese alle
zwei Monate erscheinende Kolumne sowie vereinzelte Beiträge
für andere einschlägige Fachzeitschriften, um sich ein Neben-
einkommen zu sichern und in der Branche im Gespräch zu
bleiben. Ihre Fixkosten deckte die Invalidenrente ab, die sie
von der Army bezog.
Und jetzt sieh sich einer dieses Flittchen an. Sie ist 40 und
sieht wie 30 aus. Ein Anflug von Neid überkam sie, als sie ei-
nige Seiten weiterblätterte und auf eine andere Kolumne einer
deutlich bekannteren Parapsychologin stieß. Sie hätte sich
kleinere Implantate einsetzen lassen sollen, kritisierte sie den
makellosen Busen der anderen Frau. Glänzendes Haar in der
Farbe eines Sandstrands umspielte ein Gesicht mit eisblauen
Augen und eindringlichem Blick, der wirkte, als genieße die
Frau ein heimliches Vergnügen. Der Titel der Kolumne lautete:
»Paraerotik: Sexuelle Begierde und die Welt des Übernatürli-
chen«. Adrianne betrachtete das Foto der Frau, einer gewissen
Cathleen Godwin, noch einmal kurz, dann senkte sie die Zeit-
schrift jäh und sah auf. Dasselbe Gesicht lächelte ihr aus dem
Gang des Flugzeugs entgegen.
»Hallo Adrianne. Hast du was dagegen, wenn ich ... Ach,
bestimmt hast du nichts dagegen«, sagte die sinnliche Frau,
ließ sich auf den Sitz neben ihr fallen und legte eine Lap-
toptasche auf ihre Knie.
»Hi, Cathleen.« Verdammt! »Ich schätze mal, das ist ein Zu-
fall, sofern es so etwas für Leute wie uns gibt.«
Cathleen Godwin wirkte müde, aber keineswegs unerfreut
darüber, Adrianne zu sehen. Sie waren weder verfeindet noch
richtige Rivalinnen, standen einander lediglich nicht besonders
nah. Menschen mit übersinnlichen Kräften vertrauten einander
selten. Als sie sich setzte, wehte der dezente Duft von Kräuter-
seife zu Adrianne herüber.
Ein weiterer Anflug von Unmut regte sich. Sie sieht sogar
dann elegant aus, wenn sie sich beschissen anzieht, ärgerte sich
Adrianne. Cathleen trug eine Bluse mit Blümchen und Sternen,
so ausgebleicht, dass sie zehn Jahre alt sein musste, dazu ge-
nauso verblichene Jeans.
»Ich brauche keine übersinnlichen Fähigkeiten, um zu wis-
sen, wohin du unterwegs bist«, meinte die Blondine. »Mal se-
hen ... Tampa International, dann mit einem Taxi ins Zentrum
von St. Petersburg. Du hast ein Angebot von einer Frau namens
...«
»Vivica Hildreth«, bestätigte Adrianne. Sie war aufrichtig
überrascht und mit einem Mal noch eifersüchtiger. Adrianne
hatte zwar gewusst, dass andere PSI-Ermittler dort sein wür-
den, was sie nicht störte, doch unter ihnen befanden sich auch
Männer, was bedeutete, dass Cathleen wie üblich herumflirten
und ihre Show abziehen würde. Adrianne wünschte, sie könnte
die Frau als Flittchen abstempeln, aber sie wusste, dass Cath-
leen Godwin wesentlich mehr war. »Oder vielleicht bin ich
auch nur unterwegs, um mir etwas Sonnenbräune zu gönnen«,
fügte sie im Nachsatz hinzu.
»Wir sind zwei der zehn besten Medien des Landes, Adri-
anne, und wir sitzen beide am selben Tag in einem Flugzeug
mit demselben Ziel, auf dem Weg zu einem Haus, das eindeu-
tig mit Energie geladen ist.«
»Woher weißt du, dass es geladen ist? Bist du dort gewe-
sen?«
»Nein, aber trotzdem – wie viele Leute waren es? 16, 17, alle
im selben Zimmer von einem Satanisten abgeschlachtet.«
»Sie hat nicht gesagt, dass er Satanist war. Sie meinte nur, er
sei ein Exzentriker gewesen.«
»Oh, sicher, ich würde auch sagen, dass man das als exzen-
trisch bezeichnen kann – ein Ritualmord, mich erinnerte es an
einen Transpositionsritus.«
Adrianne lächelte mit schmalen Lippen. »Ich glaube nicht an
Transpositionsriten.«
»Nein, aber du glaubst an Gott.« Cathleen seufzte und lehnte
sich in ihrem Sitz zurück. »Ich schätze, das tun wir alle auf die
eine oder andere Weise. Leute in unserer Branche.«
Schuld, ging es Adrianne durch den Kopf. Der Gedanke be-
scherte ihr eine geheime Befriedigung. Scham. Sie weiß, dass
ihr Leben eine Orgie christlicher Sünden ist ...
»Und dann verschwindet der Kerl, fast so, als wäre das Ritu-
al erfolgreich verlaufen. Fast so, als hätte er ein Portal geöffnet
und wäre hindurchgegangen.«
In Adriannes Einwand schwang eine gewisse Schärfe mit.
»Er ist nicht verschwunden«, sagte sie und kramte in der vor-
deren Tasche ihrer Reisetasche. »Er hat nach der Tat Selbst-
mord begangen. Die Leiche wurde aus dem Haus abtranspor-
tiert und einer Autopsie unterzogen. Er hat sich erhängt.«
Cathleen hielt das Gesicht mit geschlossenen Augen nach
vorn gerichtet. »Es gab nur eine Todesanzeige ganz hinten in
der Lokalzeitung. Die hast du gefunden?«
Adrianne faltete ihre Fotokopie auseinander. »Ich habe das
hier, außerdem habe ich den Polizeibericht und die Vorabfas-
sung der Meldung.«
Cathleen nahm das Blatt entgegen, betrachtete es mit wenig
Interesse und gab es ihr zurück. »Sei doch nicht naiv.«
»Woher weißt du es?«, entfuhr es Adrianne, diesmal beinahe
so laut, dass andere ihre Stimme hören konnten.
Cathleen seufzte müde, nach wie vor mit geschlossenen Au-
gen. »Adrianne ...«
»Was? Hast du einen Kontakt gehabt?«
»Entspann dich. Du bist immer so aufgedreht ...«
Adrianne schäumte schweigend vor sich hin. Pfeif auf sie.
Wahrscheinlich hatte sie gar keinen Kontakt gehabt und will
nur, dass ich es glaube. Die Vorstellung brachte sie zur Weiß-
glut, doch was sie noch wütender machte, war, dass diese um-
werfende, wunderschöne Frau sämtliche Unzulänglichkeiten
von Adrianne gleichzeitig herauskitzelte.
»Warten wir einfach, bis wir dort sind. Vielleicht hast du
recht. Vielleicht ist das Ganze fingiert, und wenn es so ist ...
was soll’s? Wir erledigen lediglich einen Auftrag. Die Leute
bezahlen uns, weil sie an uns glauben. Wenn wir schon im
Voraus wüssten, dass es hier nur um eine durchgeknallte Frau
mit massenhaft Geld und ein ungeladenes, völlig kaltes und
absolut gewöhnliches Haus ginge, was würden wir dann tun?«
Adrianne gab es zu. »Wir würden wegen des Gelds trotzdem
hinfliegen.«
»Ja. Natürlich würden wir das. Weil wir Söldnerinnen sind,
genau wie jeder andere mit einer bestimmten Begabung. Wenn
jemand einen Handwerker engagiert, um das Dach neu zu dek-
ken, der aber sieht, dass das alte noch völlig in Ordnung ist,
deckt er es trotzdem neu ... weil der Kunde es verlangt und
dafür bezahlt.«
Sind wir wirklich so?, fragte sich Adrianne. Sie zog es vor,
nicht genauer über die Antwort nachzudenken.
»Ich habe auf einer Website gelesen, dass deine PK völlig
erloschen ist«, sagte Adrianne, um von dem unangenehmen
Thema abzulenken. »Das stimmt doch nicht, oder?«
Unverhofft klappte Adriannes Plastiktischchen auf ihren
Schoß herunter. Sie drückte es zurück und sicherte es mit dem
Drehriegel. »Sehr komisch.«
»Ich mache es nur nicht mehr, aber ich erzähle den Leuten,
dass ich es nicht mehr kann«, gestand Cathleen. »Bereitet mir
zu viel Kopfschmerzen. Vor allem seit dem Unfall. Ich bin
sicher, du hast davon gehört.«
Natürlich hatte Adrianne davon gehört – jeder in der Bran-
che hatte das. Eine Fernsehdokumentation über übernatürliche
Kräfte. Mehrere kräftige Männer hoben einen Fachwerkrahmen
aus Kanthölzern etwa hüfthoch vom Boden. Ein weiterer Mann
– der Produzent der Sendung – kroch darunter, dann ließen die
anderen den Rand des Rahmens los. Einige Sekunden lang
schwebte er in der Luft, bevor er krachend herunterdonnerte.
Der Produzent hatte das Experiment mit mehreren gebrochenen
Rippen und einer lädierten Nase teuer bezahlt.
»Das klingt jetzt wahrscheinlich schrecklich, aber es tut mir
nicht leid«, fuhr Cathleen fort. »Wegen dem Kerl, meine ich.
Damals datete ich ihn – naja, eigentlich betrog ich meinen
Mann mit ihm – und der Mistkerl drohte mir. Er sagte, wenn
ich nicht in seiner albernen Fernsehsendung auftrete, würde er
meinem Mann von unserer Affäre erzählen.«
»Manche Menschen verdienen, was ihnen widerfährt«,
pflichtete Adrianne ihr bei. »Sie behandeln uns, als wären wir
Tiere in einem Streichelzoo.«
»M-hm. Manchmal ist es schwierig, sich nicht über so gut
wie jeden zu ärgern.« Plötzlich drehte sich Cathleen zu Adri-
anne und griff nach ihrem Arm. »Oh, aber da ist noch eine Ge-
schichte, die du nicht kennst – jedenfalls hoffe ich das. Vor ein
paar Jahren war ich mit einem Profibowler zusammen. Er hatte
es gerade mit Mühe und Not in die PBA-Tour geschafft. Plötz-
lich fing er an, unglaublich gut zu spielen und gegen jeden
Gegner zu gewinnen ...«
»Und das warst in Wirklichkeit du?«, fragte Adrianne.
Grinsend nickte Cathleen. »Ich saß im Publikum. Jedes Mal,
wenn er einen Strike brauchte, gab ich der Kugel einen Schubs
oder warf die Kegel um, die nicht fielen. Ungefähr sechs Wo-
chen lang war der Kerl der beste Bowler der Welt!«
»Hast du es ihm gesagt?«, wollte Adrianne wissen und
beugte sich vor.
»Ach, natürlich nicht. Er dachte, er wäre es selbst. Dank mir
hat er Hunderttausende Dollar verdient und einen Weltrekord
an Strikes aufgestellt. Dann kamen Werbeangebote mit fetten
Honoraren rein. Und weißt du, was er gemacht hat? Der
Schweinehund schlief hinter meinem Rücken mit einem billi-
gen Bowling-Groupie.«
»Ich frage ja nur ungern ... aber was hast du gemacht?«
»Nichts. Ich verließ ihn, und im nächsten Jahr fiel er aus der
Tour, weil er sich nicht dafür qualifizieren konnte. Keine per-
fekten Spiele mehr für den Arsch.«
Adrianne lachte.
»Was ist mit dir? Arbeitest du noch für die Army?«
»Ich ... bin im Ruhestand«, antwortete Adrianne überlegt.
»Manchmal werde ich noch angerufen, wenn irgendetwas
Brenzliges passiert, aber meistens bin ich dem nicht gewach-
sen. Transvision klappt noch ohne große Probleme – obwohl es
manchmal wehtut.«
»Aber Astralwanderungen machst du gar nicht mehr?«
»Könnte ich zwar, tu’s aber nur, wenn ich unbedingt muss.«
Cathleen wusste von den Beschleunigungsdrogen und von den
Barbituraten, von denen Adrianne mittlerweile abhängig war.
»Es schmerzt danach zu sehr. Ich kannte mal einen Mann, der
bekam deswegen einen Hirntumor. Und Schlaganfälle treten
immer wieder auf. Berufsrisiko.«
»Mir lag die Army auch lange in den Ohren. Ich kann mir
nicht vorstellen, was die von mir wollten.«
»Oh, ich schon. Du wärst überrascht. Die Army und der
Nachrichtendienst der Navy. Und da sind noch diese anderen
komischen Typen von der IGA. Steht für Interagency Group
Activity. Das ist so eine behördenübergreifende Organisation.
Die haben sogar mir Angst eingejagt. Ich kenne ein paar Leute,
die für sie gearbeitet haben – die habe ich nie wiedergesehen.«
»Da krieg ich eine Gänsehaut.« Cathleen beäugte kritisch
ihren Nagellack, dann seufzte sie. »Ich erinnere mich daran,
während des Irakkriegs einen Leitartikel in einer der einschlä-
gigen Zeitschriften gelesen zu haben. Der Redakteur schlug
darin vor, die Regierung sollte erfahrene Übersinnliche wie
dich und Peggy Falco einsetzen, um mittels Astralwanderung
nach Hussein zu suchen, und ich dachte mir die ganze Zeit: Ich
weiß verdammt genau, dass das schon in der Zeit vor Kriegs-
ausbruch gemacht wurde.«
Die Details der Äußerungen brachten Adrianne ins Grübeln
und in der Gedankenpause hätte sie durch ihre Reaktion ohne
Weiteres etwas verraten können. Wahrscheinlich manipulierte
Cathleen sie.
»Dann stieß ich eines Abends in einem Chatroom auf eine
›anonyme‹ Quelle, die angab, wir hätten ihn dreimal fast er-
wischt. Du wärst es gewesen, die ihn von einem Stützpunkt der
Army in Maryland aus mittels Transvision in Bagdad aufge-
spürt hätte.« Cathleen blinzelte sie an. »Stimmt das?«
Verdammt noch mal ... Cathleen manipulierte sie tatsächlich.
Und es stimmte wirklich, nur war es mehr als dreimal gewesen.
Am dichtesten war sie ihm in einem leer stehenden Wohnge-
bäude am Al-Mu’azzam-Platz in der Nähe der Sa’dn-Straße in
der Innenstadt auf die Pelle gerückt. Sie hatte gesehen, wie
Hussein hastig dort hineingebracht wurde, sich mit ihrem
Astralleib ins Freie begeben und eine Beschreibung des Ge-
bäudes und der Straße beschafft, um die Information an ihren
Sachbearbeiter in Fort Meade weiterzugeben. 20 Minuten spä-
ter brachten mehrere tonnenschwere, satellitengelenkte Bom-
ben das Gebäude zum Einsturz. Allerdings hatte Hussein es
fünf Minuten vorher verlassen und war mit einem Jeep davon-
gefahren. »Cathleen, du weißt, dass ich nicht darüber reden
darf, was ich vielleicht für die Army gemacht habe oder auch
nicht. Es gibt da so Kleinigkeiten wie das landesweite Gesetz
über Verschlusssachen und den bundesstaatlichen Verschwie-
genheitseid.«
Cathleen grinste. »Ich weiß. Ich hab bloß mit dir gespielt. In
Wirklichkeit bin ich neidisch.«
Die Bemerkung verdutzte Adrianne. »Worauf, um Himmels
willen?«
»Ich leiste keinen wertvollen Beitrag für unser Land. Du
schon. Ich verbiege bloß Löffel und glotze in Kristalle, um die
Zukunft vorauszusagen. Übrigens, wie geht es Peggy Falco?
Hab schon seit Jahren nichts mehr von ihr gehört.«
Weitere Dunkelheit stahl sich in Adriannes Geist. »Sie hat
letztes Jahr an Weihnachten Selbstmord begangen. Die letzten
zwei Jahre konnte sie nicht mehr laufen und spürte in der lin-
ken Körperhälfte nichts mehr.«
»Oh Gott. Tut mir leid.«
»Sie war gierig, viel zu machtversessen und hat sich dabei
übernommen. Aber sie war die Beste der Welt.«
»Jetzt bist du das.«
»Nein. Du solltest mal einige der jungen Leute sehen, die sie
neuerdings anschleppen. Da ist ein Junge, der ist erst 14 und
kann ...« Doch an der Stelle verstummte Adrianne plötzlich. Ihr
wurde klar, dass sie zu viel redete.
»Tut mir leid. Ich hätte nicht so neugierig sein sollen.«
Cathleen setzte das erste strahlende Lächeln auf, seit sie Platz
genommen hatte. »Aber es ist schön, dich zu sehen. Ich wollte
dich nicht volllabern. Ich weiß ja, dass du am liebsten deine
Ruhe hast, nicht gern plauderst und so. Es ist bloß schön ...
neben jemandem zu sitzen, den ich kenne.«
»Ja, finde ich auch, und es ist auch schön, dich zu sehen«,
gab Adrianne zurück.
Cathleen stieß gedehnt den Atem aus und rieb sich die Au-
gen. »Gott ...«
»Anstrengende Nacht?«
»Ja«, erwiderte Cathleen nur.
Eine Flugbegleiterin mit affektiertem Gehabe leierte die all-
seits ignorierten Sicherheitsanweisungen vor dem Start herun-
ter. Adrianne ließ ihre Worte zum einen Ohr rein und zum an-
deren wieder raus. Sie zog es vor, sich auf das gleichmäßige
Geheul der Turbinen zu konzentrieren. Es interessierte sie
nicht, wo sich der Notausgang befand, weil sie keine Angst vor
dem Tod hatte. Sie wusste, dass es einen Himmel gab, denn sie
hatte schon mehrmals flüchtige Blicke darauf erhascht.
Adrianne fragte sich, ob ihr das Haus in Florida nun auch
einen Blick in die Hölle bescheren würde.
V
Clements vermochte nicht genau zu sagen, weshalb er die Villa
so beschreiben würde. Es ging lediglich von einer Eingebung
aus, von einem Bauchgefühl.
Die Villa sah wie der Inbegriff des Wahnsinns aus.
Die Gebäudefront war bestimmt 50 Meter breit. Das graue
Steinwerk der Außenmauern erstreckte sich über fünf Ge-
schosse. Grauer Schiefer bedeckte das steil geneigte Dach. An
den Regenrinnen und Brüstungen rankten sich aufwendige
Zierelemente aus Gusseisen entlang. Sogar die Abflussrohre
und Traufen wiesen Spitzbögen und Lilienornamente auf.
Alles grau.
Wenn Trostlosigkeit eine Farbe besaß, dann diese.
Die Vorderseite präsentierte sich als Ansammlung schieß-
schartenähnlicher Bleiglasfenster mit Sprossen. Die meisten
der Scheiben wirkten schwarz. Über der Mittelmauer ragten
zwei zylindrische Schornsteine wie Hörner auf.
Clements schauderte.
»Stört dich doch nicht, wenn ich kiffe, oder?«, fragte das
Mädchen und hielt eine Crack-Pfeife hoch.
Clements’ Blick schweifte von seinem Fernglas zu ihrem
Gesicht. Allein der Gedanke verärgerte ihn so sehr, dass er am
liebsten gebrüllt hätte. »Doch, es stört mich sogar sehr.«
»Warum?«
»Weil es gegen das Gesetz verstößt, verdammt noch mal.«
»Nutten aufzugabeln, verstößt auch gegen das Gesetz.«
Er spitzte den Mund. Noch nie im Leben hatte er eine Frau
geschlagen, aber in dieser Sekunde verspürte er den impulsiven
Drang, sie mit aller Kraft zu ohrfeigen. »Das ist etwas anderes
...«
»Ja, klar«, erwiderte sie lachend und schob die Pfeife zurück
in die Tasche ihrer Shorts.
»Die Leute, von denen du das Zeug kaufst, sind dieselben
Leute, die es auf Spielplätzen an Neunjährige verhökern. Die-
selben Leute, die wollen, dass die Armen in ihren Gettos blei-
ben, dieselben Leute, die dich versklavt haben. Und weißt du
was? Diese Leute beziehen ihren Nachschub von Kartellen in
Südamerika, die Hunderte von Millionen an die Typen weiter-
geben, die das World Trade Center zum Einsturz gebracht und
dabei um die 4000 Menschen getötet haben. Denk mal darüber
nach. Jedes Mal, wenn du dir für einen Zwanziger Stoff kaufst,
gehen ein, zwei Cent davon an Psychopathen, die mit Vorliebe
Frauen und Kinder umbringen.«
Die Hälfte der Tirade hörte sie gar nicht. Ihre blutunterlau-
fenen Augen starrten hinaus in die Nacht.
Clements hob den Zeiss-Feldstecher wieder an und
beobachtete die Front des Hauses. Die Sonne ging unter und
tünchte die Fassade in Orangetöne, als stünde sie in Flammen.
Vermutlich würden bald die Scheinwerfer auf dem Grundstück
eingeschaltet werden. Falls nicht, hatte Clements auch ein Inf-
rarotfernglas und ein Restlichtzielfernrohr dabei. Er wollte un-
bedingt sehen, ob die Männer etwas ins Freie schleppten.
»Wer sind diese Typen?«, fragte das Mädchen.
Clements hatte ihren Namen vergessen, weil sie alle ähnlich
hießen. Lola, Lolita, Candy, Kitty. In dieser Nacht würde er
nicht einmal eine Nummer schieben; für gewöhnlich schenkte
er jungen Frauen wie ihr mehr Aufmerksamkeit. »Schädlings-
bekämpfer«, antwortete er und starrte weiter durch das helle
Sichtfeld auf das Gebäude.
»Und wartest du auf die?«
»Ja.«
»Warum?«
»Du stellst zu viele Fragen.«
Wie die meisten ihrer Zunft war sie eine halb verhungerte
Bordsteinschwalbe, aber sie hatte trotz der eingefallenen Wan-
gen, der tief in den Höhlen sitzenden Augen und der mageren
Figur ihr gutes Aussehen noch nicht komplett eingebüßt. Nut-
tenattraktivität, so nannte Clements es. Er stand einfach darauf,
war regelrecht süchtig danach. Nur stammte seine Droge an-
ders als bei dem Mädchen nicht aus einer Pfeife. Clements kam
nicht dagegen an. Er war immer anständig zu ihnen, setzte sie
stets dort ab, wo sie wollten, und bezahlte für ihre Dienste so-
gar etwas mehr als den gängigen, ohnehin denkbar niedrigen
Preis. Straßenhuren waren seine Leidenschaft.
Sie rieb sich die Oberarme, sehnte sich nach der Pfeife. »Hör
mal, du hast mir einen Hunderter für die Stunde gegeben und
das ist gutes Geld, aber ...« Sie deutete auf die Uhr am Arma-
turenbrett. »Du hast noch 15 Minuten. Wenn du für den Hunni
also noch Action willst, dann sollten wir besser langsam an-
fangen.«
Kurz senkte er das Fernglas, um sich eine Zigarette anzu-
zünden. »Ich hab’s dir doch schon gesagt, hier geht’s nicht um
Sex, ich will nur, dass du redest.« Sein Blick wanderte zurück
zum Haus. »Über den Ort da drüben.«
»Ich habe dich ständig rumfahren gesehen, aber du hast mich
nie aufgegabelt. Dann haben mir die anderen Mädels erzählt,
dass du ein toller Freier bist ...«
Beinahe hätte er aufgelacht. »Danke.«
»Jetzt hast du mich und willst nichts von mir.«
»Ich will etwas über das Haus und das Mädchen auf dem
Bild wissen.«
»Darüber hab ich dir so ziemlich alles erzählt ...« Ihre Auf-
merksamkeit schien abzuschweifen. »Woher hast du überhaupt
gewusst, dass ich dort war?«
Clements blies geisterhaft anmutenden Rauch durch das
Fenster hinaus. Da kein Lüftchen wehte, verharrte die Dampf-
wolke unbewegt – wie ein körperloses Gesicht, das ihn an-
starrte. »Eines der anderen Mädchen hat mir davon erzählt.«
»Welches?«
Clements seufzte. »Lola, Lolita, Candy, Kitty – irgendetwas
in der Art.«
»Na ja, ich hab’s dir ja schon gesagt, ich hab das Mädchen,
diese Debbie, nur einmal gesehen.«
» Dieses Mädchen?«, ließ Clements sie klarstellen, indem er
ihr erneut das Foto zeigte. »Bist du sicher? «
Schwerfällig richtete sie den Blick darauf. Mittlerweile hatte
sie die Hände auf den Knien und wippte damit auf und ab.
»Ja.«
»Was hat sie gemacht? Sexuellen Kram?«
»Nein. Es war komisch. So viele Leute liefen da drin nackt
oder kaum bekleidet rum, aber dann sah ich sie die Treppe
runterkommen und sie trug so ’n Businesskostüm wie eine La-
dy auf der Wall Street.«
»Hatte sie etwas mit Hildreths Pornofirma zu tun?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du gesehen, wie sie Drogen einwirft?«
»Nein. Nicht das eine Mal, als ich sie gesehen hab. Einer der
Kerle hat mich und die anderen Mädchen ...«
»Die anderen Prostituierten?«
»Ja. Er hat uns in unser Zimmer gebracht. Er nannte es ir-
gendeinen Salon. Jedenfalls hatte es wie viele von den Räumen
einen Namen und war oben im dritten Stock. Dann hielt uns
das Mädchen – Debbie – kurz an und wollte wissen, ob wir
irgendetwas brauchen. Sie schien nett zu sein. Brachte uns ein
paar Wasserflaschen, und das war’s. Das war das erste und
einzige Mal, dass ich sie gesehen hab.«
»Wie oft bist du insgesamt in dem Haus gewesen?«
»Sechs oder sieben Nächte.«
»Wie hast du von dem Haus und dem Job erfahren?«
»Von Brandy.«
Eine der drei Prostituierten, wusste Clements. Eine der drei,
denen die Kehlen aufgeschlitzt worden waren. Schnaubend
lachte er. »Du bist ein Glückskind.«
»Ich weiß. Ich sollte in der Nacht eigentlich auch da sein,
aber ich war eingebuchtet. Ein US Marshall im Zivil hat mich
auf der 34. einkassiert. Ist das zu glauben? Und ich wäre auch
hergekommen, ohne zu zögern. Obwohl ich irgendwie etwas
geahnt habe – weißt du, ich hatte ein ungutes Gefühl. Irgend-
was sagte mir, wenn ich auf der 34. anschaffen geh, werd ich
hochgenommen. Und siehe da, was passiert? Ich verbring die
Nacht im Knast und meine drei Freundinnen werden umge-
bracht.« Nervös schaute sie wieder aus dem Fenster, allerdings
nicht zum Haus, sondern hinaus in die Nacht. »Vielleicht gibt’s
ja wirklich einen Gott.«
Clements zog an seiner Zigarette. »Ja. Mag sein.« Als er
wieder durch das Fernglas blickte, redete er weiter. »Was hast
du früher noch mal gesagt, über diese andere Tür, einen spezi-
ellen Eingang?«
»Der ist weit drüben auf der Seite zwischen zwei Fenstern
und hat auch überhaupt nicht wie eine Tür ausgesehen. Dort
haben sie immer die Limousine geparkt. Liegt auch an einer
anderen Straße zum Haus, nicht an der Hauptzufahrt hier.«
Hm, dachte er. »Das wusste ich nicht. Du musst mir diesen
Zugang zeigen, wenn wir aufbrechen.«
»Ja, gern, wenn wir aufbrechen, und zwar in ...« Erneut
schaute sie zur Uhr am Armaturenbrett. »... in fünf Minuten.
Aber durch den Nebeneingang haben sie nicht nur die Nutten
reingebracht, sondern alle.«
»Ich frage mich, warum.«
»Keine Ahnung. Vielleicht waren sie besorgt, dass jemand
das Haus beobachten könnte.«
»Warum sollte das jemand tun?«
Sie hörte auf, mit den Knien zu zappeln, und begann zu la-
chen. »Mann, überleg mal, was du hier gerade machst!«
»Stimmt auch wieder«, murmelte er hinter dem Fernglas. Er
musste kurz überlegen, um seine Gedanken zurück in die Spur
zu bringen. Das Mädchen lenkte ihn ab, kratzte an seiner tief
sitzenden, verzweifelten Lust, doch er war fest entschlossen,
ihr in dieser Nacht nicht nachzugeben. Hier ging es um seine
Ermittlungen, um geschäftliche Angelegenheiten. »Alle, sagst
du? Ich dachte, die Mädchen aus den Pornostreifen hätten in
dem Haus gewohnt.«
»Haben sie, auch die Kerle. Aber ich meine, wenn sie un-
terwegs waren. Manchmal sind sie zum Essen in der Stadt
ausgegangen und dann durch die Seitentür raus und später
wieder rein.«
»Ich vermute, sie wollten nicht, dass es irgendjemand mit-
bekommt«, meinte Clements.
»Sicher, wie du meinst. He, Mann, die Zeit ist um. Fahr mich
zurück. Abgemacht ist abgemacht. Ich zeig dir auf dem Weg
durch den Wald die andere Straße, aber ich muss jetzt wieder
zu meinen anderen Freiern.«
Clements gab ihr einen weiteren Hunderter. »Ich will, dass
du noch eine Stunde bei mir bleibst. Ich will warten, bis die
Jungs mit der Desinfektion durch sind.«
»Oh Mann, nicht doch!«, protestierte sie.
Clements verstand sie nicht. »Das sind 200 Mücken, die ich
dir für zwei Stunden gebe. So viel verdienst du an einem Wo-
chentag die ganze Nacht nicht auf der Straße. Worüber be-
schwerst du dich denn? Du brauchst dafür nicht anzuschaffen,
du brauchst nicht vor den Bullen zu zittern.«
Inzwischen drückte sie mit den Händen so fest gegen die
Knie, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Ich dreh durch,
Mann. Raffst du das nicht?« Einen Moment lang sah sie aus,
als würde sie in Tränen ausbrechen. »Ich bin ein Crack-Junkie.
Ich brauch was.«
Clements lächelte verkniffen. Sie tat ihm aufrichtig leid.
Nicht die Süchtigen waren das Übel, sondern die Dealer und
Lieferanten. Man sollte die Scheißkerle allesamt an die Wand
stellen und abknallen. Ich würde sogar hinterher freiwillig das
Blut aufwischen.
»Draußen«, sagte er.
In Windeseile hatte sie das Auto verlassen. Er hörte, wie ihr
Feuerzeug klickte.
Im Fernglas nahm er eine Bewegung wahr. Endlich sind sie
fertig! Er kniff die Augen zusammen. Inzwischen war die
Sonne untergegangen, und wie er vermutet hatte, erwachten die
Flutlichter auf dem Grundstück zum Leben. Vier sichtlich er-
schöpfte Männer in Schutzanzügen kamen aus dem Haus.
Verdammt, alle mit leeren Händen. Andererseits: Was hatte er
denn erwartet? Leichen? Die hatte alle die Polizei mitgenom-
men. Ein okkultes Relikt? Nein, die sind bloß hier, um das
Haus zu desinfizieren. Die vier Männer setzten sich auf die
lange Eingangsstufe aus Stein. Clements war neugierig auf
ihren Gesichtsausdruck, als sie sich die Gasmasken herunter-
zogen. Ausdruckslos. Stumpfe, abwesend wirkende Augen. Sie
redeten nicht einmal miteinander.
»Sieht so aus, als wären die Typen jetzt rausgekommen«,
meinte die junge Frau, als sie zurück in den Wagen stieg. Vol-
ler benommener, überdrehter Glückseligkeit saß sie da.
»Ja. Du solltest mal ihre Gesichter sehen. Die wirken alle
ziemlich verstört. Irgendetwas im Haus muss ihnen einen ge-
hörigen Schrecken eingejagt haben.«
»Das brauchst du mir nicht zu erzählen. Es ist der unheim-
lichste Ort, an dem ich je in meinem Leben gewesen bin. Das
merkt man schon, wenn man einfach nur herumläuft.«
»Ja?«
»Wie auf einem Friedhof, wo alle Leichen erst gestern be-
graben wurden. Ich will da jedenfalls nie wieder rein.«
Ich schon, dachte Clements. Einmal war er sogar bereits im
Haus gewesen.
Das Team der Schädlingsbekämpfer saß bloß da. Vielleicht
sind sie noch nicht fertig, überlegte er. Natürlich würde es ein
großer Auftrag sein, und er ging davon aus, dass Vivica Hild-
reth kräftig Kohle dafür lockergemacht hatte. Warteten sie
noch auf jemanden? Nein, Clements war sicher, dass er nach
dem Abzug des Reinigungstrupps lediglich vier Leute gesehen
hatte.
»Also haben sich da drin wohl hauptsächlich Orgien abge-
spielt, richtig?«
»Schätze schon. Klang jedenfalls danach. Viel Gestöhne,
viel Geschrei. Irgendwo stieg ’ne große Party – unten.«
»Vielleicht haben sie da ihre Pornofilme gedreht.«
»Kann sein. Bei den vielen Nackten, die da immer rumliefen,
kann ich mir das gut vorstellen. Und echt gut aussehende Ty-
pen waren dabei. Die meisten Männer waren super durchtrai-
niert. Die Frauen aber auch! Alle wunderschön, keine Junkies.
Diese Mädchen waren sonnengebräunt, hatten Implantate und
tolle Körper. Scheiße – was würd ich dafür nicht alles geben.
Und sie schienen mir auch völlig normal zu sein. Klar, Party-
girls, aber nicht irgendwie abgefahren. Zuerst dachte ich, es
wären irgendwelche Edelnutten, aber dann hab ich von Hild-
reths Pornodrehs gehört. Und bei den letzten paar Malen, die
ich hier war ...«
»Was?«
»Scheiße, wir konnten sie herumgehen sehen, ich und die
Mädchen, mit denen ich da war. Wir haben die Salontür ein
Stückchen aufgemacht und rausgeschaut. Da lief echt irre
Scheiße ab – so ein satanisches Zeug.«
Diese Bestätigung ließ Clements aufhorchen. »Warum sagst
du das? Hast du gesehen, wie sie ein okkultes Ritual oder eine
schwarze Messe abgehalten haben, irgendetwas in der Art?
Wie kommst du ausgerechnet auf satanisch? «
»Wegen der Mädchen, Mann. Wie die ausgesehen haben.«
»Du meintest doch eben noch, sie hätten total normal ge-
wirkt. Wunderschön sogar, wie Pin-up-Models.«
»Ja, vorher. Aber später, nach Mitternacht, haben wir durch
die Tür rausgeschaut und da brannten keine Lichter mehr. Nur
noch Kerzen. Überall im Foyer und unten. Manchmal sind die
Mädchen an unserer Tür vorbeigegangen. Schwarzer Lippen-
stift, schwarze Fingernägel, schwarze Zehennägel. Sah aus wie
an Halloween. Oh, und erst diese Piercings.«
»Was für Piercings?«
»Einmal – in der letzten Nacht, in der ich da war – hat eines
der Mädchen gesehen, dass wir sie beobachtet haben. Sie blieb
stehen, kicherte merkwürdig und posierte für uns. Ihre Nippel,
ihr Nabel und ihr Kitzler waren mit Ringen gepierct, und an
jedem Ring baumelte ein kleines schwarzes, verdrehtes Kreuz.
Dazu trug sie Ohrringe genau in dem gleichen Stil.« Die Pro-
stituierte rieb sich über das Gesicht. »Also, wenn das nicht ver-
flucht satanistisch ist, dann weiß ich’s auch nicht.«
Clements nickte; es war eine erfüllende Erkenntnis. Und er
hatte einen geklauten Autopsiebericht über einige der jungen
Frauen gelesen. Bei allen war auf Piercinglöcher in den Brust-
warzen, im Nabel und in der Klitoris hingewiesen worden.
»Haben die Leute im Haus – diese Männer – auch dich und
die ...« Er verstummte. Um ein Haar wäre ihm herausgerutscht
... und die anderen Crack-Huren, aber er fing sich noch recht-
zeitig. »... und deine drei Freundinnen gepierct?«
»Scheiße, nein. Ich mein, wir hätten’s wahrscheinlich ge-
macht, weil Hildreth massig gezahlt und wir dazu noch so viel
Crack gekriegt haben, wie wir rauchen konnten. Aber diese
Kerle? Die standen bloß auf Kaviar und ähnlichen Kram. Und
ich mein jetzt nicht diese Fischkügelchen.«
»Kaviar?« Clements kannte tatsächlich nur die gleichnamige
Delikatesse. Er wunderte sich selbst über seine Wissenslücke.
Angesichts seiner Erfahrung hätte er gedacht, inzwischen mit
allen Abgründen und Obszönitäten vertraut zu sein, die der
Straßenslang hergab.
Sie seufzte und ihre knochigen Schultern zogen sich zu einer
Geste zusammen, die nur Verlegenheit bedeuten konnte. »Ek-
liges Zeug. Kaviar, Natursekt – Scheiße und Pisse. Verdammt,
in einer Nacht haben sie jede von uns mit einem Löffel dieser
grässlich schmeckenden Scheiße gefüttert und uns dazu ge-
bracht, dass wir uns gegenseitig ankotzen.«
Clements fühlte sich von einem plötzlichen Anflug von Fin-
sternis in seinem Herzen regelrecht niedergeschmettert. Wie
können Menschen so etwas tun? Wieso um alles in der Welt
törnt es jemanden an, wenn er dabei zusieht, wie sich ein Hau-
fen verzweifelter Mädchen gegenseitig anscheißt, anpisst und
ankotzt? Wie moralisch abgestumpft musste ein stinkreicher
Mann sein, wenn er eine Gruppe leicht ausnutzbarer Drogen-
süchtiger mit seinem Geld manipulierte, damit sie solche Dinge
taten? Clements drängte sich eine Antwort auf.
Vielleicht handelte es sich wirklich um das pure Böse.
Ihr Nachsatz erwies sich als noch schlimmer.
»Ach ja, und Tiere waren auch dabei«, sagte sie.
Wie betäubt blies Clements weiter Rauch durch das Fenster
hinaus.
Ihr Tonfall wurde gereizt und verbittert, mischte sich mit
Trotz und Selbsthass. »Ich weiß schon, was du jetzt denkst. Du
fragst dich: Wie konnte sie so ekelhaften Mist mitmachen? Nur
eine völlige Loserin, ein Stück Scheiße aus der untersten wei-
ßen Unterschicht würde solchen Kram tun ...«
Er drehte sich um und packte sie an der Schulter. »Das denke
ich nicht. Wie kommst du nur drauf? Ich frage mich eher, was
für ein Stück Scheiße jemand sein muss, um andere Menschen
zu zwingen, solchen Kram zu tun.« Er starrte wieder zum Haus
hinüber. »Und weißt du was? Ich wünschte, ich wäre in der
Nacht hier gewesen, denn ich wäre reingekommen und hätte
sie alle eigenhändig umgebracht. Die Konsequenzen wären mir
scheißegal gewesen. Abschaum wie diese Typen auszulöschen,
dafür käme ich auch mit der Todesstrafe klar.« Ja. Das meinte
er genau so, wie er es sagte.
Das Mädchen wischte sich Tränen aus den Augen. Die kläg-
lichen Reste ihres wahren Ichs – des echten Menschen mit ei-
ner Seele und dem Traum von einem besseren Leben – dräng-
ten sich durch die Risse, die ihr die Welt zugefügt hatte.
»Erzähl mir von Hildreth. Wie oft hast du ihn gesehen?«
»Fünfmal, vielleicht auch sechsmal«, antwortete sie. »Er
kam und ging. Meistens habe ich nur die anderen Kerle gese-
hen, die Muskelprotze. Hildreth war immer nett zu uns, obwohl
wir ziemlich bald herausbekamen, worauf er wirklich abfuhr.«
»Es ging im Haus also etwas anderes vor sich, während ihr
oben geblieben seid?«
»Ja. Ich schätze, irgendein durchgeknalltes Ritual.«
»Aber du und die anderen, ihr wart nie bei einem der Rituale
dabei?«
»Nein, nie. Sie behielten uns immer oben für ihr kleines
Vorspielvergnügen, oder wie man es auch nennen mag. Die
Männer standen immer alle um uns rum und schauten zu, wäh-
rend wir den Scheiße-und Pissekram gemacht haben.«
»Und dann habt ihr ...«
Sie wusste, was er fragen wollte. »Nein, das war das Komi-
sche. Hildreth und seine Leute haben nie Hand an uns gelegt,
wollten nie, dass wir sie zum Abspritzen bringen. Sie standen
bloß splitternackt um uns herum und haben zugeguckt.
Manchmal haben wir es schon mit Männern getrieben, bloß
nicht mit denen von Hildreth. Sie holten andere ins Haus –
Crack-Junkies, Penner, Hinterwäldler, alle zugedröhnt mit PCP
–, und die haben uns dann gefickt. Oft war es eher Vergewal-
tigung. Die Typen haben uns geschlagen und misshandelt,
während einer von Hildreths Leuten gefilmt hat. Manchmal
fand ich’s schon ziemlich abscheulich, aber das Crack war so
gut – und wenn wir’s hinter uns hatten, konnten wir davon ha-
ben, so viel wir wollten. Du müsstest schon selber süchtig sein,
um zu wissen, was ich meine.
Und die ganze Zeit sahen Hildreth und seine Männer dabei
zu. Hin und wieder redeten sie wirren Scheiß daher, zum Bei-
spiel, dass wir reifen würden. Wir müssten entwürdigt werden.
Was hältst du von dem Stuss, hm? Ich erinnere mich noch, dass
mich in einer Nacht einer dieser Armleuchter ansah und zu mir
sagte: ›Du bist noch nicht besudelt genug.‹ Und dann ...« Ihr
Blick wanderte zurück zum Fenster, als gäbe es dort Sicherheit
zu finden. »Dann brachte er eine Ziege rein.«
Ja. Clements wusste, dass er sie alle am liebsten umgebracht
hätte, ohne mit der Wimper zu zucken. Einfach mit der Re-
mington reingehen ... und drauflosballern. Er musste das The-
ma wechseln, denn das hier war zwar hochinteressant, aber
hochgradig deprimierend. »Und die Bezahlung war ...«
»Ein Tausender pro Nacht für jede von uns. Dazu so viel
Crack, wie wir in die Pfeife bekamen. Wenn wir mit den
Kack-und Pissspielchen durch waren, brachte Hildreth immer
eine ganze Schüssel von dem Zeug rein. Wie in einem schicken
Laden, wo man nach dem Essen Pfefferminzdrops bekommt
oder so. Dann gingen alle runter zu ihrer kleinen Teufelsparty,
während wir oben im Salon saßen und uns bis zum Sonnen-
aufgang zukifften. Morgens hat uns dann jemand mit der Li-
mousine zurückchauffiert.«
»Aber du sagst, du hast nie gesehen, dass Debbie ...« Erneut
hielt er das Bild hoch. »Du hast nie gesehen, dass sie diesen
kranken Kram mitgemacht hat?«
»Nein.«
Clements besaß ein gutes Gespür für Mädchen dieser Art.
Crack-Junkies waren begnadete Lügner. Manchmal konnten sie
sogar Lügendetektoren überlisten, weil ihre Abhängigkeit von
der Droge ihre physiologischen Reaktionen außer Kraft setzte.
Aber die da lügt nicht. Sie hat keinen Grund dazu. Es gibt nie-
manden, den sie schützen muss.
Eine willkommene Brise wehte durch das offene Autofenster
herein. Clements schaute hoch, als er aus der Ferne mehrmals
ein hohles Pochen hörte.
»Sieht so aus, als würden die Typen endlich Leine ziehen«,
sagte das Mädchen. Sie rieb bereits wieder ihre Knie.
Ein letzter Blick durch das Fernglas. Der Transporter der
Desinfektionstruppe rollte über den kreisförmigen Platz vor
dem Haupteingang. Clements sah zu, wie der Wagen über die
Auffahrt zwischen den Bäumen verschwand.
»Was jetzt?«, fragte das Mädchen.
Ich will da rein. Der Gedanke schoss ihm schlagartig in den
Kopf. Er hatte seine Dietriche und seine übrige Ausrüstung
dabei. Aber ...
Sei nicht dumm.
»Du musst diese Debbie ja wirklich dringend finden wollen.
Was ist sie, deine Tochter?«
»Nein. Ihre Eltern haben mich engagiert, um sie im Auge zu
behalten. Dann fing ich an rumzuschnüffeln und die Eltern
wurden ermordet.«
»Scheiße. Also bist du Privatdetektiv?«
Das Haus zeichnete sich bedrohlich gegen die Scheinwerfer
ab. »War ich mal«, antwortete er.
»Und wo ist Debbie? Ist sie auch tot? Hat dieser Spinner
Hildreth sie wie all die anderen umgebracht?«
»Nein. Es konnten alle Leichen identifiziert werden. Sie war
nicht dabei.«
»Wo steckt sie dann?«
Clements ließ den Motor an. »Ich kann es zwar nicht genau
erklären, aber ich spüre es einfach. Ich spür’s bis in den tief-
sten Abgrund meines Herzens, dass sie noch in dem Haus ist.«
Kapitel 2
I
Westmores Selbstvertrauen schwand rapide, als er am
Baywalk-Einkaufszentrum aus dem Bus der Linie 35 stieg. Im
Schaufenster einer noblen Designerboutique konnte er sein
Spiegelbild erkennen. Du lieber Himmel, ich sehe aus wie ein
Tourist ... weiße Hose, Slipper und ein weites blau-gelbes Ha-
waiihemd mit Ananasmuster. Er hätte einen Anzug getragen,
wenn er noch einen besitzen würde. Der war seiner Selbstfin-
dung zum Opfer gefallen, als er bei der St. Petersburg Times
gekündigt hatte, um sich selbstständig zu machen. Er war in
eine wirklich kleine, wirklich billige Wohnung gezogen, hatte
das Auto verkauft – ohne Führerschein durfte er sowieso nicht
mehr fahren – und alle Kleider, die er nicht unbedingt brauchte,
sowie sonstigen Krempel der Wohlfahrt gespendet. Außer der
weißen Hose und dem Ananashemd besaß er keine sauberen
Klamotten mehr.
Da sind 10.000 Dollar per Express Mail ein mehr als ver-
lockendes Jobangebot.
Er hatte eine oberflächliche Suchmaschinenrecherche zu
Vivica Hildreth durchgeführt und nichts Nennenswertes ge-
funden. Dafür reichlich über ihren Ehemann, den unlängst
verstorbenen Reginald Parker Hildreth – hauptsächlich Links
zu Vertriebspartnern von Porno-DVDs. Seine Frau hingegen
blieb eine unbekannte Größe, was sein Misstrauen geweckt
hätte, wären da nicht ...
Zehn verfluchte Riesen in einem Expresspaket, erinnerte er
sich. Noch dazu bar, nicht einmal in Form eines Schecks. Ein
äußerst lautes Hallo.
Die Tampa Bay schillerte jenseits des Piers wie lindgrünes
Eis in der grellen Sonne. Die pralle Sonne und der frische, sal-
zige Meeresduft, der vom Wasser herwehte, erinnerten ihn
daran, weshalb er ursprünglich nach Florida gezogen war. Als
weitere Gedächtnisstütze dienten mehrere unverschämt attrak-
tive Strandschönheiten in provokativ knappen Bikinioberteilen
und hauchdünnen Sarongs. Seit Westmore bei der Zeitung ge-
kündigt hatte, war er nicht mehr beim Friseur gewesen; mitt-
lerweile besaß er eine schulterlange, dunkle Mähne, und als er
die Second Avenue überquerte, traf ihn ein Windstoß ins Ge-
sicht und blies ihm die zersausten Haare vor die Augen. Er
griff nach seinem Kamm und runzelte die Stirn, als er merkte,
dass er ihn vergessen hatte. Ja, ich werde wirklich einen groß-
artigen Eindruck hinterlassen.
Vor ihm erstreckte sich das Zentrum von St. Petersburg,
sauber und nicht überlaufen. Es war ein kleines, abwechs-
lungsreiches Städtchen, das aus irgendeinem Grund das Flair
einer Metropole ausstrahlte. Das Kneipenviertel kam ihm vor
wie ein Best-of amerikanischer Gastrokultur: ein wenig
Bourbon Street, vermengt mit etwas Rodeo Drive und gewürzt
mit Krümeln von Baltimores Inner Harbor. Westmore gefiel
das – feine, aber schlichte Lokale, kultivierte, aber authentische
Menschen und schicke Bars. Als er jedoch an einer dieser Bars
vorbeilief, verspürte er einen Stich im Herzen. Ja, er mochte
diese Gegend, trotzdem kam er hier nicht gerne her. Er konnte
sich selbst nicht mehr trauen.
Die Neonlaufschrift im bodenhohen Fenster der Martinibar
hätte genauso gut seinen Namen anzeigen können. Er konnte
die Traurigkeit und den Verlust eines Teils von sich – so
schlimm er auch gewesen sein mochte – nicht gänzlich ab-
schütteln.
Er folgte dem nächsten Häuserblock und trat aus dem Son-
nenschein in den kühlen Schatten, den eines der höchsten Ge-
bäude der Innenstadt warf. Ehe er sich’s versah, stand er vor