16

Als ich mich in meinem Klub beim Empfang eintrug, erkundigte ich mich beim Portier, ob Telefonanrufe für mich eingegangen wären. Er kontrollierte die Liste. »Nein, Mr. Rowan.«

Ich ging in mein Zimmer hinauf. Ich hatte Marge gestern abend gesagt, daß ich noch spät in der Stadt zu tun hätte und im Klub übernachten würde. Ich war hundemüde und zerschlagen. Ich beschloß, in die Sauna zu gehen, mich massieren zu lassen und zu duschen.

Ich lag flach auf dem Massagetisch, während Sam mir die verkrampften Muskeln auseinanderknetete. Sam verstand sein Geschäft. Er hatte kräftige, aber geschmeidige Hände. Schon bald spürte ich, wie sich die Spannungen in mir lockerten.

Ein jäher, kräftiger Klaps auf mein Hinterteil riß mich aus meinen Träumen. »Sie können jetzt duschen gehen, Mr. Rowan«, sagte Sam.

Träge ließ ich mich von dem Tisch rollen und ging in die Duschkabine. Das kalte Wasser schoß auf mich nieder, und ich wurde vollends munter.

Mickey hatte einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht, als ich ins Büro kam.

»Sie möchten Pete Gordy anrufen«, sagte sie.

»Verbinden Sie mich«, ordnete ich an und betrat mein Büro. Ich schaute mich um. Das Durcheinander von gestern war aufgeräumt worden.

Mickey folgte mir und legte mir einige Papiere auf den Schreibtisch. Sie drehte sich um und wollte stillschweigend hinausgehen.

Ich hielt sie zurück. »Vielen Dank fürs Aufräumen, Mickey.«

Sie starrte mich an, als würde sie nicht mehr schlau aus mir. »Was ist bloß in Sie gefahren, Brad?« fragte sie. »So habe ich Sie noch nie erlebt.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Vermutlich zuviel gearbeitet«, antwortete ich. »Und jetzt hat's mich halt erwischt.«

Es war offensichtlich, daß sie mir das nicht abkaufte. Aber ich war schließlich ihr Chef, und sie ließ es dabei bewenden. Einige Sekunden später hatte sie Pete Gordy am Apparat.

Pete war einer meiner besten Kunden. Er besaß die größte unabhängige Charterfluggesellschaft im Osten. Er bestritt fünfundzwanzig Prozent meiner Einnahmen. Nach der üblichen Begrüßung ging ich zum geschäftlichen Teil über und erkundigte mich, was ich für ihn tun könnte. Seine Stimme klang verlegen.

»Ja, Brad«, begann er in seiner näselnden Sprechweise. »Ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen das sagen soll.«

Für einen Moment hielt ich die Luft an, dann ließ ich sie wieder langsam entweichen. Ich glaube, er mußte es mir gar nicht erst sagen. Irgendwie hatte ich schon so was geahnt, in dem Moment, als ich ins Büro kam und seine Nachricht vorfand.

»Was, Pete?« fragte ich und ließ meine Stimme möglichst beiläufig und ausdruckslos klingen.

»Ich werde meinen Dauerauftrag bei Ihnen stornieren müssen, Brad«, sagte er.

»Warum?« erkundigte ich mich. Ich wußte warum, aber ich wollte es von ihm hören. »Ich dachte immer, wir hätten für Sie gute Arbeit geleistet.«

»Das haben Sie, Brad«, antwortete er rasch. »Darüber gibt es keine Klagen, aber .«

»Aber was?« bohrte ich weiter.

»Es sind da gewisse Dinge eingetreten«, erläuterte er. »Meine Bank bestand darauf.«

»Was zum Teufel geht denn die an, wer für Sie arbeitet?« platzte ich heraus. »Ich dachte immer, Sie wären einer von denen, die Ihr Unternehmen selbst leiten.«

»Brad, machen Sie mir die Sache nicht noch schwerer, als sie schon ist«, bat er. »Sie wissen genau, wie ich über Sie denke. Ich bin in diesem Fall machtlos. Ich muß es machen, oder sie sperren meine Gelder.«

Mein Ärger verrauchte. Im Grunde genommen hatte er recht. Er konnte wirklich nichts tun. Matt Brady hatte zum Angriff geblasen. Wer würde es wagen, sich ihm zu widersetzen?

»Okay, Pete«, sagte ich, »ich verstehe.«

Ich legte den Hörer behutsam zurück und drückte auf den Knopf. Ich bat Mickey, Chris zu mir zu schicken. Ich drehte mich auf meinem Stuhl herum und starrte aus dem Fenster. Es war kaum zu glauben, daß ein einzelner Mann eine solche Macht haben konnte. Die Rufanlage summte. Ich kippte den Hebel um. Mickeys Stimme ertönte. »Chris' Sekretärin sagt, daß er das Büro verlassen hat, bevor Sie heute morgen kamen.«

»Wann wird er zurück sein?«

»Sie weiß es nicht«, kam die Antwort. Ich kippte den Hebel wieder um. Das war ja großartig! Das Haus stürzte zusammen, und der Feuerwehrhauptmann ging einfach weg.

Das Telefon schnurrte, und ich nahm ab. Ein anderer Kunde. Die gleiche Geschichte. Tut mir leid, alter Knabe. Wiedersehen. Und so ging es den ganzen Tag lang. Einer nach dem anderen rief mich an. Ich hatte nicht mal Zeit, zum Mittagessen zu gehen; so beschäftigt war ich, all die Absagen entgegenzunehmen.

Um fünf hörte das Telefon auf zu läuten. Ich schaute dankbar auf die Uhr. Ich war froh, daß dieser Arbeitstag vorüber war. Noch zwei solche Stunden, und ich würde wieder in meiner Telefonzelle hocken, in der ich einmal angefangen hatte.

Ich ging quer durchs Zimmer an den Schrank und schloß ihn auf. Der Whisky war verschwunden. Ich lächelte finster. Mickey hatte sich auf kein Risiko eingelassen, nachdem sie heute morgen mein Büro aufgeräumt hatte. Ich machte die Tür auf und schaute zu ihr hinaus. »Wo haben Sie denn den Whisky versteckt, Baby?« fragte ich. »Ich brauch' einen.«

Sie musterte mich skeptisch. »Brad, werden Sie auch nicht wieder solche Geschichten machen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Baby, ich brauch' bloß einen

Schluck zu trinken.«

Sie zog eine Flasche aus dem Aktenschrank neben ihrem Schreibtisch und folgte mir in mein Büro. »Ich kann auch einen gebrauchen«, erklärte sie. Ich nahm ihr das Glas ab, das sie mir entgegenhielt. Dankbar trank ich einen Schluck. »Schon was von Chris gehört?« fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur wissen, wo der steckt.«

Mir kam eine Idee. »Hat er gestern mit Matt Brady gesprochen?« Sie blickte mich verwundert an. »Na, als ich Ihnen sagte, Sie sollten ihn zu Chris schicken«, fügte ich hinzu.

»Oh - ja«, erinnerte sie sich.

»Lange?« erkundigte ich mich.

»Nur ein paar Minuten«, sagte sie. »Dann ging Matt Brady wieder.«

»Hat Chris irgend etwas gesagt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Kein Wort. Er ging vor Ihnen weg. Er schien sehr nervös.«

Ich trank noch einen Schluck. Die Sache gefiel mir nicht. Selbst wenn Matt Brady den Befehl zum Angriff gegeben hatte - wie konnte er so rasch an die Liste meiner Kunden gekommen sein? Er mußte seine Informationen aus erster Hand haben.

Mickey beobachtete mich. »Was ist los, Brad? Was ist bloß mit euch allen los? Hat McCarthy Sie einen Kommunisten genannt?«

Ich grinste. »Genauso schlimm«, erklärte ich. »Brady hat mich überall angeschwärzt - rasch und gründlich.«

Richtig müde und zerschlagen kam ich zum Abendessen nach Hause. Marge schaute mich nur kurz an und steuerte mich dann ins Wohnzimmer. »Trink mal erst einen Cocktail, bevor du etwas ißt«, sagte sie rasch. »Du bist ja ganz fertig!«

Ich sank in den Klubsessel und blickte sie an. Mir war, als wäre ich eine Ewigkeit fort gewesen. Sie schaute besorgt aus, aber sie sprach erst, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte. »Was ist los, Brad?«

Erschöpft lehnte ich meinen Kopf in den Sessel zurück. Ich schloß die Augen. »Ich hab' Schwierigkeiten«, antwortete ich. »Bra-dy gefiel der Ton nicht, in dem ich mit ihm geredet habe, und jetzt versucht er, mich fertigzumachen.«

»Sieht es so schlimm aus?« erkundigte sie sich.

Ich blickte zu ihr hinüber. »Schlimm genug«, erwiderte ich. »Acht meiner besten Kunden haben heute gekündigt.«

Ein Ausdruck von Erleichterung trat in ihre Augen. Sie setzte sich auf die Lehne des Sessels. »Ist das alles?«

Ich starrte sie verwirrt an. Wir standen kurz vor der Pleite, und für sie war das überhaupt nicht wichtig. »Ist das vielleicht nicht genug?« wollte ich wissen. »Ich wüßte nicht, was noch Schlimmeres passieren könnte.«

Sie lächelte auf mich herab. »Doch«, antwortete sie leise. »Viel Schlimmeres. Und ich dachte erst, das wäre auch noch geschehen.«

Ich verstand nicht. »Was zum Beispiel?«

Sie ergriff meine Hand. »Ich könnte dich verlieren«, sagte sie ernst. »Und ich dachte, es handelte sich darum. Du hast dich so komisch benommen. Aber jetzt weiß ich, es waren nur geschäft-

liche Dinge. Seit diese Stahlgeschichte losgegangen ist, bist du nicht mehr derselbe.«

Ich gab keine Antwort.

»Deshalb warst du auch die ganze Zeit immer so durcheinander, und deswegen bist du auch gestern nacht nicht nach Hause gekommen. Nicht wahr?«

Ich nickte und wagte nicht zu sprechen. Am Ende hätte mich meine Stimme verraten.

»Armer Junge«, sagte sie leise und preßte ihre Lippen auf meine Wange ...

Jeannie hatte eine Verabredung, und so aßen wir beide allein zu Abend. Bei Tisch berichtete ich von den Ereignissen des Tages. Ihre Augen blickten ernst, während ich sprach. »Was wirst du jetzt machen?« fragte sie, nachdem ich geendet hatte.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Ich muß abwarten und sehen, was morgen passiert, wie viele Aufträge mir noch übrigbleiben. Davon hängt es ab, ob ich den Betrieb aufrechterhalten kann. Auf jeden Fall muß ich sofort reduzieren. Solche Lohnkosten wie im Augenblick kann ich mir nicht mehr leisten.«

»Du wirst Leute entlassen müssen?«

»Es bleibt mir nichts anderes übrig.«

Sie schwieg einen Moment. »So ein Jammer!« sagte sie leise.

Ich wußte, an was sie dachte. »Das ist für sie nicht so schlimm, Kleines«, erklärte ich. »Es ist nicht so wie damals, als ich während der großen Krise entlassen wurde. Es gibt jetzt einen Haufen Arbeitsplätze. Es ist nur ein Jammer, daß man so einen Laden auflösen muß. Es hat lange genug gedauert, bis ich ihn so weit hatte.«

»Was sagt denn Chris dazu?« erkundigte sie sich.

Ich wußte, sie hielt eine Menge von ihm. Ich zuckte mit den Achseln.

»Ich weiß nicht, wie er darüber denkt«, antwortete ich, »ich habe ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Er ging schon am frühen Morgen fort.«

»Das ist merkwürdig«, bemerkte sie. »Wußte er denn, was los war?«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich, »aber ich habe so das Gefühl, als ob er's wüßte.« Und ich erklärte ihr meine Vermutungen.

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, rief sie entsetzt aus.

Ich lächelte sie an. »Ehrgeiz ist ein zäher Gebieter. Er treibt einen Menschen auf die verschiedensten Wege. Einige davon sind nicht sonderlich fein. Aber das ist nun mal eines der Merkmale unserer Gesellschaft.«

»Aber doch nicht Chris!« sagte sie. »Du hast doch so viel für ihn getan!«

»Habe ich das?« fragte ich zurück. »Betrachte die Sache doch mal von seinem Standpunkt aus. Er hat so viel für mich getan. Jetzt will er mal dran sein.«

»Ich kann einfach nicht glauben, daß Chris zu so etwas imstande wäre«, beharrte sie.

Ich stieß meinen Stuhl vom Tisch zurück. »Hoffentlich hast du recht. Ich möchte mich nur allzugern in diesem Punkt irren.« Ich hörte, wie ein Wagen quietschend vor unserem Haus hielt.

»Nanu, wer ist denn das noch?«

»Wahrscheinlich kommt Jeannie nach Hause«, erwiderte Marge. Die Türglocke läutete. Marge stand auf. Ich winkte ihr ab. »Trink erst deinen Kaffee aus«, sagte ich, »ich schau' schon nach, wer's ist.« Ich öffnete die Tür. Paul Remey stand vor mir. Einen Augenblick lang schaute ich ihn überrascht an. »Paul! Was machst du denn hier?«

»Ich muß mit dir sprechen«, sagte er und betrat den Flur. »Bist du total übergeschnappt? Was hast du eigentlich vor, willst du dich völlig ruinieren?«

Ich nahm ihm Hut und Mantel ab und hängte alles in die Garderobe.

»Wir trinken gerade Kaffee«, sagte ich und wich seiner Frage aus. »Komm, trink eine Tasse mit.«

Er folgte mir ins Wohnzimmer. Nachdem er Marge begrüßt hatte, wandte er sich wieder an mich. »Wie ist das also mit deinem Kampf gegen Matt Brady?« erkundigte er sich.

»Ich bekämpfe ihn gar nicht«, antwortete ich ruhig. »Ich habe lediglich den Posten, den er mir angeboten hat, abgelehnt. Das ist alles.«

»So habe ich das aber nicht gehört«, entgegnete er gereizt. »Man erzählte mir, daß du ihn aus deinem Büro geschmissen hättest.«

»Du solltest mich besser kennen, Paul«, sagte ich. »Ich will einfach nicht für ihn arbeiten. Er kam in mein Büro, und ich empfing ihn nicht, weil ich zu tun hatte.«

Paul starrte mich mit offenem Mund an. Schließlich holte er wieder Luft. »Du konntest ihn nicht empfangen«, erwiderte er sarkastisch, »einen der fünf einflußreichsten Geschäftsmänner dieses Landes, und du wolltest nicht mit ihm sprechen. Du mußt verrückt sein. Kannst du dir nicht denken, daß er bis morgen deinen ganzen Betrieb stillgelegt hat? Wo hast du denn deinen Verstand, Brad?«

»Zu spät, Paul«, erklärte ich, »er hat schon gute Arbeit geleistet. Fünfundsechzig Prozent habe ich heute bereits verloren.«

Paul stieß einen Pfiff aus. »So rasch, eh?«

Ich nickte. »Woher weißt du's denn?«

»Pearson weiß, daß ich ein Freund von dir bin. Er rief mich an, um die Sache vorher zu prüfen, bevor er sie weitergab. Ich sagte ihm, daß ich von der ganzen Angelegenheit nichts wüßte. Ich wußte lediglich, daß deine Firma für das Public-Relations-Programm der Stahlindustrie in Aussicht genommen worden war.«

Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Das Stichwort war gefallen. Ich ließ mich in meinen Sessel zurückfallen. Sie hatten recht. Wer war ich schon, um mich Matt Brady zu widersetzen? Ebenso hätte man eine Fliege beauftragen können, einen Elefanten zu fangen.

Er schaute zu mir herüber. »Was ist eigentlich los?«

»Brady verlangte, daß ich dem Stahlverband den Laufpaß geben und für ihn arbeiten sollte. Ich sagte ihm, daß ich kein Interesse daran hätte, für jemanden exklusiv zu arbeiten«, erklärte ich mit schwacher Stimme. Ich fühlte mich abgespannt und schloß die Augen. Zum erstenmal heute trat sie mir vor Augen. Elaine. Mit niemandem konnte ich darüber reden. Sagte ich etwas, würde es die Sache nur noch schlimmer machen. Matt Brady würde die Wahrheit erfahren, und dann könnte nichts mehr ihn zurückhalten.

Paul versuchte, einen Ausweg für mich zu finden. Aber nichts, was er vorbrachte, schien sinnvoll, selbst ihm nicht. Nach einer Weile verfiel er in finsteres Schweigen, und wir starrten alle verdrossen vor uns hin.

Plötzlich schnippte er mit den Fingern. »Ich hab's!« schrie er. »Elaine Schuyler!«

Jetzt war ich hellwach. »Was ist mit ihr?« fragte ich.

»Sie ist Matt Bradys Lieblingsnichte«, erklärte er. »Ich werde sie anrufen. Sie soll ihm erzählen, wieviel du für sie getan hast.«

Ich schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage! Ich kann meinen Kampf allein ausfechten.«

»Sei doch nicht albern, Brad«, entgegnete er. »Sie kann den Alten um den Finger wickeln.«

»Das ist mir völlig schnuppe, was sie kann!« sagte ich und stand auf. »Das ist meine und Matt Bradys Angelegenheit. Sie hat nichts damit zu tun. Ich will nicht heulend an ihren Rockschößen zu ihm gelaufen kommen.«

»Aber Brad!« warf Marge ein. »Du tust doch so viel für sie. Du sagst doch sonst immer: >Eine Hand wäscht die andere<.«

»Diesmal nicht!« entgegnete ich. »Ich will nicht, daß sie in die Geschichte verwickelt wird.«

»Aber warum denn, Brad?« redete mir Marge zu. »Es steht doch so viel auf dem Spiel! Sicher würde sie sich freuen, dir helfen zu können. Du hast doch gesagt, daß du sie magst und daß sie dich mag.«

»Das ist wahr, Brad«, fügte Paul hinzu. »Edith sagte, sie hätte Elaine noch nie von jemandem so begeistert gesehen.«

Eine Sekunde lang starrte ich beide an. Ich versuchte zu sprechen. Aber ich konnte nicht. Ein wilder Gedanke schoß mir durch den Kopf. Was hatte sie bei unserem letzten Telefongespräch gesagt? Oder war ich es gewesen, der es gesagt hatte? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Es würde so sein, als ob wir uns nie begegnet wären. Wie töricht waren wir! Wie sehr kann man sich täuschen. Ich fand meine Sprache wieder. »Nein!« schrie ich und verließ das Zimmer.

18

Millionen Sterne standen am Himmel, die Nacht war klar und kalt. Ich saß auf der Treppe draußen und zitterte. Ich zog an meiner Zigarette. Ich war zu halsstarrig, um wieder hineinzugehen. Durch die hellerleuchteten Wohnzimmerfenster konnte ich Paul und Marge beobachten, die immer noch am Tisch saßen und diskutierten.

Ich blickte hinauf zum Haus und dann die lange Auffahrt hinunter durch die parkähnliche Gartenanlage bis zur Straße. Ich überlegte, wie lange ich das wohl halten könnte, wenn ich meinen Laden schließen müßte. Ich zählte meine Guthaben zusammen: nicht allzu lange. Alles, was ich eingenommen hatte, war sofort wieder zwecks Erweiterung ins Geschäft zurückgeflossen.

Ein Auto hielt vor dem Haus. Ich hörte den Klang junger Stimmen. Und dann die Schritte von Jeannie, die den Weg heraufkam. Sie summte leise vor sich hin. Ich lächelte. Die Kleine hatte keine Ahnung. Für sie war die Welt noch ein Bilderbuch. Besser so als anders.

Sie blieb abrupt stehen, als sie mich sitzen sah. »Daddy!« rief sie. »Was machst du denn hier draußen?«

Ich lächelte ihr zu. »Frische Luft schnappen, mein Schatz.« Sie küßte mich flüchtig auf die Wange und setzte sich neben mich.

»Ich habe Mutter auch nichts von dem Geschenk gesagt«, flüsterte sie.

Ich gab keine Antwort. Ich hatte es schon beinahe vergessen. So, wie die Dinge im Augenblick lagen, bestand keine große Wahrscheinlichkeit, daß ich den Pelz abholen könnte.

Kluges Kind, meine Tochter. Sie hatte meine Stimmung rasch erfaßt.

»Stimmt irgendwas nicht, Dad?« erkundigte sie sich ängstlich und forschte in meinem Gesicht. »Hast du mit Mutter Streit gehabt?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Kleines«, antwortete ich. »Geschäftliche Sorgen.«

»Oh!« Es klang nicht überzeugt.

Ich schaute sie an. Und in diesem Augenblick wußte ich, daß sie kein Kind mehr war. Sie war eine Frau, mit all der Anmut, Intuition und Unergründlichkeit ihres Geschlechts. »Du stellst komische Fragen. Wie kommst du darauf?«

Sie zögerte. »Nichts«, antwortete sie ausweichend.

»Du mußt doch einen Grund dafür haben«, beharrte ich. Sie schaute mich nicht an. »Du hast dich in letzter Zeit so merkwürdig benommen, und Mutter ging mit einem traurigen Gesicht umher.«

Ich versuchte zu lachen. Aber es gelang mir nicht. Niemand als mich selbst hatte ich die ganze Zeit zum Narren gehalten. »Das ist doch albern«, erklärte ich.

Sie warf mir wieder so einen prüfenden Blick zu und schob ihren Arm unter meinen. Es sah so aus, als sei sie beruhigt. »Ich habe in der Zeitung ein Bild von dieser Mrs. Schuyler gesehen«, erzählte sie. »Sie ist sehr hübsch.«

Ich stellte mich dumm. »O ja, sie ist nett.«

»Großvater meint, sie sei in dich verliebt.«

Innerlich verfluchte ich ihn. Pap hätte mehr Verstand haben sollen, als so etwas zu sagen. »Du kennst ihn doch«, entgegnete ich mit erzwungener Heiterkeit. »Er denkt immer, alle Frauen wären hinter mir her.«

Nachdenklich sah sie mich an. »Möglich ist das schon«, sagte sie, »schließlich bist du noch nicht altersschwach, nicht wahr?«

Ich lächelte. »Erst kürzlich hast du behauptet, ich sei senil und altmodisch und überhaupt nicht romantisch. Erinnerst du dich?«

»Aber du könntest dich in sie verlieben«, fuhr sie beharrlich fort, »so was kommt doch vor. Ich hab' mal einen Film gesehen, wo Clark Gable ...«

»Ja, im Film«, unterbrach ich sie. »Und außerdem bin ich nicht Clark Gable.«

»Du siehst besser aus als er«, sagte sie rasch.

Ich schaute sie skeptisch an. Ihr Gesicht war ernst. Ich lachte, und ein wohliges Gefühl durchströmte mich. »Mit Schmeicheln wirst du nicht weit kommen«, erklärte ich. Plötzlich war sie wieder ein Kind mit der ganzen romantischen Leidenschaft ihres Alters.

»Wäre es nicht schrecklich, Dad«, flüsterte sie, »wenn sie dich lieben würde und ihr ganzes Leben lang wüßte, daß sie dich nie haben könnte?«

Ein Schmerz, den ich in den letzten Tagen beinahe vergessen hatte, stellte sich wieder ein. Aus dem Mund eines Kindes .

Ich stand auf. Mir reichte es. »Komm 'rein«, sagte ich. »Onkel Paul ist da. Er wird sich bestimmt freuen, dich zu sehen.«

Ich schlief nicht gut. Die undeutlichen Geräusche der Nacht schlugen unentwegt an die Fenster. Nichts brachte mir Erleichterung. Schließlich stahlen sich die ersten grauen Schatten des kommenden Tages in den Raum. In der Nacht hatte ich keine Antwort gefunden, vielleicht würde mir die aufsteigende Sonne einen Weg zeigen. Ich schloß die Augen und döste vor mich hin .

Auf dem Weg ins Büro setzte ich Paul am Flughafen ab. Er war sehr mürrisch. »Laß doch wenigstens mich mit ihm reden«, bat er mich, bevor er die Maschine bestieg.

Ich schüttelte den Kopf.

Einen Augenblick lang starrte er mich an. »Du mit deinem blöden Stolz!« brummte er und streckte mir seine Hand entgegen. Ich griff danach. Sein Händedruck war warm und freundlich. Er schaute mir in die Augen. »Ich hoffe, es wird noch alles gut«, sagte er aufrichtig.

»Wird schon«, entgegnete ich zuversichtlicher, als ich mich fühlte, »es muß!«

Er ging auf die Maschine zu. »Alles Gute!« rief er mir über die Schulter zu.

»Danke«, sagte ich. Selbst seinem Gang sah man an, wie niedergeschlagen er war.

Spontan rief ich ihm nach: »Paul!«

Er blieb stehen und drehte sich um.

»Dies ist die erste Runde!« rief ich ihm lachend zu. »Sei tapfer!« Eine Weile zeigte sein Gesicht überhaupt keinerlei Bewegung; dann lächelte er zurück. »Du bist verrückt«, rief er, schüttelte den Kopf und winkte mir zu.

Als ich ins Büro kam, saß Mickey an ihrem Schreibtisch, die Schreibmaschine hämmerte wie verrückt. »Schicken Sie mir Chris«, befahl ich. Sie deutete mit dem Kopf in Richtung auf die Tür zu meinem Büro. »Er ist schon drin und wartet auf Sie.«

Ich zog verständnisvoll eine Augenbraue hoch. Er vergeudete keine Zeit. Ich ging weiter in mein Büro. Er saß auf meinem Stuhl hinter dem Schreibtisch und notierte etwas auf einem Zettel. Langsam hob er den Kopf und stand auf.

Ich machte das Spielchen mit und winkte ihn wieder auf seinen Platz zurück. Er beobachtete mich neugierig. Ich sagte keinen Ton, sondern setzte mich nur hin und starrte ihn an.

Nach einigen Minuten des Schweigens begann er sich ungemütlich zu fühlen. Ich sah, wie die Röte langsam aus seinem Kragen aufstieg. Ich sagte immer noch nichts.

Er räusperte sich. »Brad .«

Ich lächelte ihn an. »Bequemer Stuhl da, eh, Chris?«

Er sprang auf, als ob ich ihn mit einem glühenden Eisen berührt hätte. Immer noch lächelnd stand ich auf. »Warum haben Sie mich das nicht früher wissen lassen, daß Sie daran interessiert sind, Chris?« fragte ich freundlich. Er lief puterrot an.

Bevor er noch Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, fuhr ich fort: »Dann hätten wir doch schon längst mal etwas unternehmen können, damit Sie auch so einen bekommen«, sagte ich mit leiser Stimme, ging um den Schreibtisch herum und setzte mich hin.

Er sagte kein Wort. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Ich sah, wie er sich allmählich wieder unter Kontrolle bekam.

»Sie verstehen mich nicht, Brad«, entgegnete er, »ich will doch nur helfen.«

»Wem?« schrie ich. »Sich selbst?«

Seit ich ihn kannte, sah ich ihn zum erstenmal die Beherrschung verlieren. »Wenigstens einer muß doch hier einen klaren Kopf behalten«, schrie er zurück. »Sie reißen den ganzen Betrieb mit sich in den Abgrund, weil Sie an nichts anderes denken als an sich selbst.«

Jetzt wurde mir wohler. Nun befanden wir uns auf einer Ebene, die ich übersehen konnte. Dieses Drumherumgerede, diese hinterlistigen, geschraubten Büromanieren hatten mir nie gefallen. In der Third Avenue hatten wir unsere Streitigkeiten immer offen und ehrlich bereinigt.

»Wo zum Teufel haben Sie gestern den ganzen Tag über gesteckt?« fauchte ich ihn an.

»Ich versuchte, Ihnen Matt Brady vom Hals zu halten«, erklärte er, »ich war in seinem Büro. Dort haben wir ein Geschäft abgeschlossen.«

»Was für ein Geschäft?« fragte ich. »Alle unsere Kunden sind weg, der Rest wird vermutlich heute folgen.«

Er nickte kühl. »Ich weiß. Er sagte mir, daß er an dem Tag, als Sie ihn nicht empfangen wollten, beschlossen hat, uns zu erledigen.«

»Wer hat ihm unsere Kundenkartei gegeben, daß er so schnell an die Arbeit gehen konnte?« Ich stand auf. »Haben Sie etwa geglaubt, mir auf diese Weise helfen zu können? Raus mit der Sprache!«

Sein Gesicht lief rot an. »Er wollte einige Referenzen von uns.«

Ich lächelte. »Das klingt nicht gerade überzeugend, finden Sie nicht, Chris?« Ich ging um den Schreibtisch herum und blickte auf ihn hinab. »Sie glauben doch nicht etwa, daß ich Ihnen das abkaufe?«

Er starrte mich von unten an. Seine Stimme klang kalt und beherrscht. »Es ist mir völlig schnuppe, was Sie glauben«, entgegnete er. »Ich habe für die Leute, die hier arbeiten, eine Verantwortung. Ich kann nicht einfach dabeistehen und zusehen, wie ihre Stellungen zum Teufel gehen.«

»Äußerst großmütig«, spottete ich. »Selbst Judas hatte Mitleid mit den anderen. Was sind Ihre dreißig Silberlinge?«

Er schaute mich kalt an. In seinen Augen glitzerte der Ehrgeiz. Ich wußte, daß er der Meinung war, ich sei erledigt. »Brady will Frieden schließen, wenn Sie aussteigen«, sagte er.

»Und stiller Teilhaber bleiben, wie Sie neulich am Telefon andeuteten?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen für die Firma einen anständigen Preis anbieten. Sie müssen gehen, im Interesse aller anderen .«

Ich setzte mich wieder hin. »Was heißt ein anständiger Preis?«

Er zögerte einen Moment. »Fünfzigtausend.«

Großes Geschäft. Der Laden brachte jährlich mehr als hundertfünfzigtausend ein.

»Wie können Sie so großzügig sein?« fragte ich sarkastisch.

»Das ist großzügig«, sagte er hartnäckig. »Sie sollten sich über eines klar sein, Brad: Sie sind hier erledigt. Es sind nicht mal genügend Aufträge mehr da, um die Miete zu bezahlen, ganz abgesehen von allem übrigen.«

Was er sagte, stimmte nur zu gut. Aber irgendwie machte es mir nichts aus. Wenn ich den Laden zumachen müßte, dann machte ich eben zu. Aber ich wollte verflucht sein, wenn ich mir das, was ich mit so viel Stolz und Mühe aufgebaut hatte; von jemand anders wegnehmen lassen würde.

»Und Matt Brady? Wird er Sie finanzieren?« fragte ich. »Das gehört doch sicher auch zu dem Geschäft?«

Ich studierte ihn eine Minute lang. Er hielt meinem Blick stand.

»Chris«, sagte ich freundlich.

Ein schwacher Schatten des Triumphs flackerte für einen Moment in seinen Augen, während er sich erwartungsvoll zu mir herüberlehnte.

»Ich bin ja beinahe versucht, die Kröten zu nehmen und Ihnen den Laden zu überlassen«, sagte ich langsam. »Aber ich habe doch für die Leute, die hier arbeiten, eine noch größere Verantwortung als Sie. Sehen Sie, ich habe das Ganze hier aufgebaut und ihnen ihre Stellungen gegeben. Für mich wäre es das einfachste, ich würde das Geld nehmen und was anderes anfangen. Das würde ich schaffen.« »Sicherlich Brad«, entgegnete er eifrig und schnappte nach dem Köder, »Sie schaffen alles, was Sie wollen.«

Ich ließ ihn in dem Glauben, daß er mich dorthin manövrierte, wo er mich haben wollte. »Glauben Sie wirklich, Chris?« fragte ich, als ob ich zweifelte.

Jetzt hing er am Haken und kämpfte verzweifelt, um dran zu bleiben. »Sie sind einer der besten Männer auf diesem Gebiet, Brad«, sagte er. »Es gibt kaum einen Betrieb, dessen Chef nicht seinen Augenzahn opfern würde, um Sie zu gewinnen. Ihr Erfolg hier spricht doch für sich selbst. Sie haben mit nichts angefangen; und schauen Sie, was Sie erreicht haben.«

»Sie haben mich überzeugt, Chris«, sagte ich.

Er stand auf. Der Triumph stand ihm jetzt deutlich in den Augen. »Ich wußte doch, daß man mit Ihnen reden kann, Brad«, sagte er, kam um den Schreibtisch herum und klopfte mir auf die Schulter. »Ich habe Mr. Brady gleich gesagt, daß Sie vernünftigen Argumenten zugänglich sind.«

Ich schaute ihn scheinbar bestürzt an. »Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden, Chris.«

Seine Hand glitt von meiner Schulter, seine Kinnlade fiel 'runter.

»Wenn ich wirklich so gut bin«, führ ich fort, »dann bleibe ich doch gleich da, wo ich jetzt bin. Wir werden schon drüber wegkommen. Meine Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern ist zu groß, als daß ich mir erlauben könnte, sie wie Sklaven zu verkaufen.«

»Aber Brad«, sagte er, »ich ...«

Ich schnitt ihm das Wort ab. »Ihnen oder Matt Brady würde ich nicht mal einen Hund anvertrauen«, erwiderte ich kalt, »geschweige denn menschliche Wesen.« Ich drückte auf den Knopf. Mickeys Stimme ertönte in der Rufanlage: »Ja, Brad?«

»Schicken Sie mir die gesamte Belegschaft, einschließlich Botenjunge, sofort in mein Büro«, sagte ich.

»Wird gemacht, Brad«, antwortete sie.

Ich wandte mich wieder an Chris. Er stand wie angewurzelt da. »Was stehen Sie noch herum?« lächelte ich. »Sie haben hier nichts mehr zu suchen.«

Er wollte etwas sagen, besann sich aber anders und ging auf die Tür zu. Als er sie öffnete, sah ich, daß schon der größte Teil der Mitarbeiter in Mickeys Zimmer versammelt war und wartete. Mir kam eine Idee. »Chris!« rief ich.

Er drehte sich mit der Hand auf dem Türgriff um. Ich sprach so laut, daß es alle anderen hören konnten. Ich wählte um des Effektes willen meine Worte sehr sorgsam. »Lassen Sie meine Sekretärin wissen, wohin wir Ihnen die Post nachschicken sollen. Zu Matt Brady oder zum Teufel.« Ich lachte. »Scheint mir kein großer Unterschied zwischen beiden zu sein.«

19

Ich saß an meinem Schreibtisch und beobachtete, wie die letzten nacheinander mein Büro verließen. Ich konservierte mein Lächeln, bis sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Dann konnte ich endlich aufhören zu lächeln. Mein Gesicht schmerzte bereits davon. Es war eine erfreuliche Zusammenkunft gewesen. Ich hatte ihnen einen kurzen Überblick über die letzten Ereignisse gegeben, angefangen von der ersten Unterredung mit Matt Brady bis zu der Auseinandersetzung mit Chris kurz bevor sie hereinkamen. Ich erklärte, daß ich ihnen lediglich versprechen könnte, zu kämpfen, daß es nicht leicht sein würde, aber daß wir es schaffen könnten,

wenn sie mich unterstützen würden.

Es konnte nicht schiefgehen; vor allem nicht, nachdem ich sie meine letzten Worte an Chris hatte mitanhören lassen.

Sie versprachen mir ihre Mitarbeit und bemühten sich alle, mir Mut zu machen. Einige erklärten sich sogar freiwillig mit vorübergehenden Gehaltskürzungen einverstanden, bis wir uns wieder gefangen hätten.

Ich winkte ab, ließ mir aber die Möglichkeit offen, gegebenenfalls später einmal auf diese Angebote zurückzukommen. Ich schüttelte jedem von ihnen die Hand, und dann gingen sie.

Es war großartig. Ich hatte einen Haufen versprochen und nichts gesagt. Niedergeschlagen starrte ich auf meinen Schreibtisch. Die Telefone waren merkwürdig stumm. Normalerweise läuteten sie um diese Zeit Sturm. Ich lächelte finster vor mich hin. Es gibt im Geschäftsleben ein altes Sprichwort: Wenn dich niemand mehr anruft, bist du ein Schlager von gestern. Genauso war mir zumute. Die Rufanlage summte. Gleichgültig schnippte ich den Hebel herum. »Ja?«

»Mrs. Schuyler ist hier und läßt fragen, ob Sie Zeit hätten, ein paar Notizen zur Kinderlähmungskampagne durchzusehen?« Mi-ckeys Stimme klang provozierend heiter. Für einen Moment war ich sprachlos. »Sie möchte hereinkommen«, sagte ich zögernd und kippte den Hebel wieder um.

Ich war aufgestanden, als sich die Tür öffnete. Ich versuchte mit aller Gewalt, die wilde Erregung zu zügeln, die sich meiner bemächtigt hatte.

Da stand sie und schaute mich an. Ihre Augen wirkten wie große, traurige Seen. Sie lächelte nicht. Langsam näherte sie sich meinem Schreibtisch.

Ich sagte kein Wort. Ich konnte einfach nicht. Irgend etwas ging von ihr aus und rührte an meinen Lebensnerv. Ich fühlte diese Frau mit jeder Faser meines Körpers.

Sie schaute mir ins Gesicht. »Du siehst nicht gut aus, Brad«, sagte sie ruhig.

Ich sprach nicht, ich verschlang sie nur mit meinen Augen.

»Willst du mir nicht guten Tag sagen?« fragte sie.

Ich fand meine Stimme wieder. »Elaine ...« Ich griff nach ihrer Hand. Allein die Berührung ihrer Finger erregte meinen Wunsch, sie an mich zu ziehen.

Sie schüttelte den Kopf und entzog mir ihre Hand. »Nein, Brad«, entgegnete sie sanft. »Es ist vorbei. Laß uns nicht wieder von vorn anfangen.«

»Ich liebe dich«, erwiderte ich, »es ist nicht vorbei.«

»Ich habe einen Fehler begangen, Brad«, erklärte sie mit matter Stimme. »Wirf es mir doch nicht immer wieder vor! Ich möchte deine Freundin sein.«

»Liebst du mich nicht?« fragte ich.

Noch nie hatte ich solche Augen gesehen. Sie erklärten vieles; unendliches Leid lag in ihnen. »Laß mich gehen, Brad«, bettelte sie. »Bitte.«

Ich holte tief Luft, ging an meinen Platz zurück und setzte mich. Nervös klopfte ich eine Zigarette auf meinen Schreibtisch und steckte sie dann an. Durch die ausgestoßene Rauchwolke starrte ich sie an. »Warum bist du zurückgekommen, Elaine?« fragte ich. »Um mich zu quälen?«

Meine Worte schienen sie wie ein Schlag zu treffen. Ich konnte förmlich sehen, wie sie vor meinen Augen zusammensackte. Ihre Stimme klang beherrscht, aber man spürte die Qual hindurch. »Es ist meine Schuld«, sagte sie. »Wenn ich nicht gewesen wäre, würdest du jetzt nicht mit meinem Onkel streiten.«

»Du hast damit überhaupt nichts zu tun«, erwiderte ich rasch. »Er weiß nicht mal, daß ich dich kenne.«

»Ich kenne den Bericht, den er von dir hat«, sagte sie. »Deshalb wolltest du auch an dem Abend nicht zu ihm gehen. Du spürtest, daß er Bescheid wissen würde, wenn ich mitgekommen wäre. Du hast mich beschützt.«

»Ich habe lediglich mich selbst beschützt«, sagte ich. »Ich war in diesem Punkt völlig egoistisch. Andersherum wären die Dinge für mich noch schlimmer gewesen.«

Sie antwortete nicht.

»Wie kommt es, daß du den Bericht kennst?« erkundigte ich mich. Hatte Sandra etwa geplaudert? Sie wußte den Namen. Nun gut. Sie hätte zwei und zwei zusammenzählen können.

»Onkel Matt erzählte mir alles«, antwortete sie. »Er ärgerte sich einfach über die Art und Weise, wie du ihn behandelt hast. Er ist überzeugt, er hätte nur dein Bestes gewollt.«

»Der Himmel bewahre mich vor Matt Bradys besten Absichten«, sagte ich sarkastisch. »Wenn sie noch besser wären, wäre ich bereits erledigt.«

»Onkel Matt glaubt, daß du bei ihm eine großartige Zukunft hättest«, fuhr sie beharrlich fort.

»Meine großartige Zukunft lag haargenau hier. Dein Onkel hat dafür gesorgt, daß mir jetzt nichts mehr davon übriggeblieben ist.«

Ich drückte die Zigarette aus, die mir bereits die Fingerspitzen verbrannte. »Er ist wirklich eine hilfsbereite Natur«, fügte ich hinzu. »Solange man ihm nicht in die Quere kommt.«

»Ich kann mit ihm reden«, schlug sie vor.

»Nein, vielen Dank«, antwortete ich. »Kein Interesse. Es ist sowieso zu spät. Meine besten Kunden hat er bereits vertrieben«, lächelte ich bitter. »Dein Onkel Matt vergeudet keine Zeit.«

»Brad, es tut mir wirklich leid«, hauchte sie.

Ich stand auf. »Mir nicht«, sagte ich. »Vor allem nicht für mich. Man muß für alles auf dieser Welt zahlen. Es gibt nichts umsonst. Ein bißchen Glück - ein bißchen Leid, das große Glück - der große Preis. Am Ende ist alles wieder im Lot. Die Bilanz ist ausgeglichen.«

Sie stand auf. Kühle Verachtung lag in ihrer Stimme.

»Du hast schon aufgegeben.«

»Was meinst du damit - ich habe aufgegeben?« rief ich überrascht aus. »Was soll ich machen? Ihn verklagen?«

Ihre Augen blickten kalt. »Onkel Matt wird enttäuscht sein«, sagte sie. »Ich hatte den Eindruck, daß er sich auf diesen Kampf richtig freut.«

»Womit soll ich ihn denn bekämpfen?« fragte ich. »Mit Streichhölzern? Wenn er mir meine Kunden wegnimmt, nimmt er mir die Moneten.«

»Ich habe etwas Geld«, erwiderte sie.

»Behalt es«, antwortete ich kurz und bündig.

»Ich möchte dir gern helfen, Brad. Kann ich denn gar nichts tun?«

Ich starrte sie an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Elaine. Ich weiß nicht, ob irgend jemand jetzt überhaupt noch was tun kann. Es gibt in diesem Beruf ein ungeschriebenes Gesetz, und das habe ich übertreten. Egal, wie man selbst darüber denkt: der Kunde hat immer recht. Keiner von ihnen wird jetzt noch zu mir kommen - aus Furcht, ich könnte mit ihnen das gleiche machen.«

»Wie steht es denn mit den anderen Mitgliedern des Stahlverbands?« erkundigte sie sich. »Ich kenne einige von ihnen. Sie haben immer noch Interesse an deinem Plan.«

Ich lachte. »So wie ich die Dinge sehe, hat sich dein Onkel auch die bereits vorgeknöpft.«

»Wie kannst du das wissen, bevor du es versucht hast?« fragte sie. »Ich kenne sie ziemlich gut. Die meisten von ihnen können Onkel Matt nicht leiden.«

Das sprach zu ihren Gunsten. Es war einen Versuch wert. Ich griff nach dem Telefon. »Wer mag ihn am wenigsten?« fragte ich.

»Richard Martin von Independent Steel«, antwortete sie erregt. »Du willst ihn anrufen?«

Ich nickte und bat Mickey, mich mit ihm zu verbinden. Ich legte den Hörer wieder auf und wartete, bis die Verbindung hergestellt war.

»Gut«, sagte sie und ihre Augen strahlten. »Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren.«

Ich begann zu lächeln. Das war ein Mädchen nach meinem Herzen. Alles, was sie tat, tat sie für mich. Auch ihr Denken hatte sie auf mich eingestellt. Sie zog ihr Zigarettenetui hervor. Das Gold strahlte bis zu mir herüber. Ich ging auf sie zu, um ihr Feuer zu geben. Sie blickte zu mir auf. Der blaue Rauch warf wirbelnde Schatten in ihre Augen. Ich schmunzelte auf sie hinunter. »Wenn ich dich nicht liebte, würde ich dich zu meinem Teilhaber machen.«

»Nimm dich in acht«, warnte sie mich, »ich könnte dich beim Wort nehmen. Dann wirst du mich nie los.«

»Das ist gar keine schlechte Idee«, sagte ich. »Ich war ja nicht derjenige, der davonlaufen wollte.«

Das Lächeln verschwand von ihren Lippen. »Können wir nicht Freunde sein, Brad?«

Ich schaute sie so lange an, daß es ihr unter meinem Blick ungemütlich wurde. Sie wandte ihre Augen von mir ab und schaute auf den Boden. »Geht das nicht, Brad?« wiederholte sie mit schwacher Stimme.

»Vielleicht können wir's«, sagte ich, »wenn die Liebe dahin ist.«

Sie schaute zu mir auf. Mein Herz tat einen Sprung bei dem plötzlichen Schmerz in ihren Augen. Ich streckte meine Hand halb nach ihr aus, um den Kummer wegzuwischen, doch dann hielt ich inne.

Das Telefon summte, und ich trat hinter meinen Schreibtisch, um den Hörer abzunehmen. Während ich sie weiter beobachtete, richtete mir Mickey aus, daß Martin zum Mittagessen gegangen sei. Ich bat sie, es später noch einmal zu versuchen, und legte auf.

»Er ist zum Essen gegangen«, erklärte ich.

»Oh«, bemerkte sie mit ausdrucksloser Stimme und schaute wieder auf den Boden.

»Elaine«, sagte ich scharf.

»Was?« fragte sie mit gesenktem Blick in dem gleichen ausdruckslosen Ton.

»Aber die Liebe ist noch nicht vorbei, Elaine«, sagte ich. Und als sie zu mir aufschaute, merkte ich, daß sie sich vor mir nicht verstellen konnte.

Der Schmerz war aus ihren Augen verflogen.

20

Wir gingen ins >Colony< zum Mittagessen. Der Empfangschef fing uns an der Tür ab. »Mr. Rowan«, murmelte er, »ich habe dort hinten einen wunderbaren Tisch für Sie.«

Ich schaute mich um. Das Lokal war gerammelt voll. Dieser Bursche war ein ausgemachter Schmeichler; für ihn war jeder Platz wunderbar. Er führte uns zu einem Tisch, der weit vom Eingang des Restaurants entfernt lag; noch zwei Schritte weiter, und wir hätten bereits auf der nächsten Straße gesessen. Ich überlegte, ob er wohl das Gerede über mich gehört hatte. Als ich dieses Lokal zum erstenmal betreten hatte, war ich ein aufstrebender junger Mann gewesen, der versuchte, auf einen künftigen Kunden Eindruck zu machen. Ich hatte gar keine so schlechte Karriere gemacht seither. Ich lächelte, während ich mich hinsetzte. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich den Auftrag nie bekommen. »Worüber lachst du?«

fragte Elaine.

Ich erzählte es ihr, und sie lachte ebenfalls. »Ist das nicht grotesk?«

Ich schüttelte ernst den Kopf. »So sind nun mal die Leute hier in New York«, sagte ich. »Offenbar hat es sich bereits herumgesprochen: Rowan ist pleite.«

Wir lachten immer noch, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir vernahm.

»Elaine Schuyler!« rief jemand. »Was machen Sie denn in New York?«

Ergeben stand ich auf, bereits ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Eine attraktive, jugendlich wirkende Frau mittleren Alters lächelte uns zu. Ich fluchte leise vor mich hin, als ich sie erkannte. Das hätte ich mir ja auch denken können. Sie schrieb die Klatschspalte für eine der Nachrichtenagenturen. Morgen früh würde es in der Hälfte aller amerikanischen Zeitungen stehen. Denn solch eine saftige Geschichte konnte man sich natürlich nicht entgehen lassen: Matt Bradys Nichte und sein Gegenspieler zusammen beim Mittagessen.

Kurz darauf verabschiedete sie sich, und ich schaute zu Elaine hinüber. »Du weißt, was das bedeutet?« fragte ich sie. Sie nickte.

»Dein Onkel wird böse sein.«

Sie lächelte zögernd. »Das ist mir egal.« Ihre Hand ruhte für einen Augenblick über meiner auf der Tischplatte. »Ich halte zu dir.«

Wir gingen wieder zurück ins Büro, und während wir auf mein Telefongespräch warteten, erzählte sie mir einiges aus Matt Bradys Vergangenheit. Es war wirklich eine tolle Geschichte. Diese Burschen kannten wirklich keine Skrupel. Dagegen waren die Leute in meinem Beruf geradezu Heilige. Offenbar hatte jeder von diesen Stahlkönigen den anderen mindestens einmal übers Ohr gehauen. Die meisten hatten es wohl sogar mehrfach praktiziert. Es schien ihre Hauptbeschäftigung zu sein.

Aber man erwischte sie nie - entweder, weil sie alle miteinander keine reine Weste hatten, oder weil sie sich so ausgezeichnet zu tarnen verstanden. Kein Wunder, daß mich Matt Brady gewarnt hatte. Wohl oder übel mußten diese Brüder nach außen hin einig sein. Sie setzten sich keiner Gefahr aus.

Mein Privatapparat summte. Ich nahm den Hörer ab. Es war Marge.

»Wie geht's denn, Liebling?« erkundigte sie sich.

»Besser«, sagte ich und lächelte Elaine über den Hörer zu. »Mrs. Schuyler besuchte mich heute morgen. Sie hat mir ihre Hilfe angeboten, und ich habe die Herausforderung angenommen.«

»Wird sie mit ihrem Onkel reden?« fragte Marge.

»Nein«, antwortete ich, »du weißt, darauf laß ich mich nicht ein. Aber wir setzen uns jetzt mit den anderen Mitgliedern des Verbands in Verbindung, und sie will mir helfen, daß ich auch ohne Matt Brady den Auftrag bekomme.«

»Oh«, bemerkte sie enttäuscht.

»Mir ist es so lieber«, sagte ich rasch.

In ihrer Stimme vollzog sich eine leichte Wandlung. »Was ist mit Chris?«

Ich erzählte ihr kurz, was sich heute morgen ereignet hatte. Als ich fertig war, herrschte Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. »Bist du noch da?« fragte ich besorgt. Ihre Stimme klang niedergeschlagen. »Ja.«

»Du warst so still.«

»Ich weiß einfach nicht, was ich dazu sagen soll«, erwiderte sie. »Ich hätte nie gedacht, daß Chris ...«

»Denk nicht mehr dran«, sagte ich, »da kann man nichts machen. Er taugt nichts, das ist alles.«

»Brad«, sagte sie zögernd. - »Ja?«

»Vielleicht wäre es doch besser, sein Angebot anzunehmen. Wenn du den Auftrag nicht bekommst, bleibt uns nichts mehr.« »Sei nicht töricht, Marge«, sagte ich. »Wenn ich sein Angebot annehme, bin ich genauso erledigt. Das Geld reicht nicht bis in alle Ewigkeit, und hinterher finde ich keinen Job mehr. Kein Mensch nimmt einen Versager.«

»Ich habe heute morgen wieder Post von Brad bekommen«, wechselte sie das Thema.

»Fein«, sagte ich, »was schreibt er denn?«

»Er glaubt, die Erkältung sei ein bißchen besser. Er hofft, nächste Woche wieder zum Unterricht gehen zu können.«

»Großartig«, sagte ich, »ich hab' dir ja gesagt, er würde sich wieder aufrappeln.«

»Hoffentlich«, entgegnete sie. »Aber ich weiß nicht recht. Ich mache mir Sorgen. Alles geht schief.«

»Quäl dich nicht«, sagte ich, »das führt zu nichts.«

»Ich weiß.«

»Bevor es wieder besser wird, wird's immer erst schlimmer«, versuchte ich zu scherzen. Aber es nutzte nichts.

»Gerade davor habe ich Angst«, sagte sie ernst.

»Marge!« entgegnete ich scharf. Allmählich riß mir die Geduld. Was war denn nur in sie gefahren. »Jetzt hör aber auf!«

»Bist du allein?« fragte sie, und ihr Tonfall änderte sich wieder ein wenig.

»Nein.«

»Ist Mrs. Schuyler bei dir?«

»Ja«, antwortete ich kurz angebunden.

Einen Augenblick war es still, bevor sie weitersprach. »Vergiß nicht, ihr zu sagen, wie sehr wir ihr für ihre Hilfe danken, Liebling«, sagte sie sarkastisch.

Und damit legte sie auf. Ich schaute rasch zu Elaine hinüber. Sie beobachtete mich. Ich überlegte, ob sie gehört haben konnte, was Marge gesagt hatte. Ich spielte zu Ende.

»Wiedersehen, Liebes«, sprach ich in die tote Leitung und legte auch auf.

Ich wandte mich an Elaine. »Marge bat mich, dir für deine Unterstützung zu danken.«

»Deine Frau mag mich nicht.«

»Wieso denn?« lächelte ich unbeholfen. »Sie kennt dich ja gar nicht.«

Elaine blickte auf ihre Finger. »Ich kann's ihr nicht verdenken. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich genauso empfinden.«

Endlich kam Martins Anruf durch. Ich war richtig erleichtert. Seine Stimme klang kühl. Er konnte sich noch genau an mich erinnern. Nein, er wäre an einer weiteren Diskussion über den Werbefeldzug nicht interessiert. Natürlich beträfe das nur ihn persönlich, nicht die anderen Mitglieder des Verbands. Aber nach dem, was vorgefallen wäre, zweifle er daran, daß die anderen noch Interesse hätten.

»Was ist denn passiert?« fragte ich.

Seine Stimme klang unpersönlich und ertränkte all meine Hoffnungen wie in einem Schwall kalten Wassers.

»Consolidated Steel ist heute aus dem Verband ausgetreten und verfolgt künftig seine eigenen Pläne.«

Ich legte auf und schaute zu Elaine hinüber. Ich versuchte zu lächeln.

»Dein Onkel hat's geschafft. Er hat Con Steel aus dem Verband zurückgezogen, wobei er natürlich genau wußte, daß die anderen nicht das nötige Geld haben, um mein Projekt ohne ihn zu machen.«

Sie schwieg eine Weile. »Brad, du mußt mich mit ihm reden lassen! Auf mich wird er hören.«

Ich schüttelte müde den Kopf. »Es muß noch einen anderen Weg geben.«

»Was denn für einen Weg?« fragte sie niedergeschlagen.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Aber irgendwo muß es einen Ausweg geben.« Ich schaute zu ihr hinüber. »Du hast mir vorhin von dem Stahlgeschäft und deinem Onkel berichtet. Erzähl mal weiter. Vielleicht stoß ich dabei auf irgend etwas.«

Der Tag verstrich, während ich ihr zuhörte. Es war kurz nach sechs Uhr, als ich plötzlich bei einer Bemerkung zusammenfuhr. Ich hatte mit dem Rücken zu ihr gesessen und in die Dämmerung hinausgestarrt. Ich schwang mich in meinem Stuhl herum.

Sie hatte gerade erwähnt, daß ihr Mann etwas darüber gewußt hatte, wie die Antitrustklage der Regierung gegen Con Steel beigelegt worden war, und daß er mit Brady darüber sprechen wollte.

»Worum ging es denn dabei?« fragte ich.

»Das habe ich nie so genau erfahren«, entgegnete sie. »David erwähnte es nur einmal. Er schien ziemlich verärgert darüber.«

»Hat er mit deinem Onkel gesprochen?« fragte ich.

Ein Schatten fiel über ihre Augen. »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Es war ganz kurz vor seiner Erkrankung.«

Ich hatte so eine Vorahnung. Ich wußte nicht, was ich herausfinden würde. Aber ich mußte der Sache nachgehen. Ich erwischte Paul in Washington gerade noch, bevor er sein Büro verließ.

Ich verlor keine Zeit mit den üblichen Begrüßungsfloskeln. »Wie ist die Antitrustklage gegen Con Steel niedergeschlagen worden?«

»Durch einstimmigen Kommissionsbeschluß«, antwortete er. »Warum?«

»War irgend etwas faul dabei?«

»Nein. Die übliche Geschichte. Con Steel erklärte sich bereit, die Unternehmungen seiner Konkurrenten nicht zu stören.«

»Ich verstehe«, antwortete ich. »Wer vertrat den Fall für die Regierung?«

»Ich weiß nicht. Aber das kann ich feststellen. Ist es wichtig?«

»Ja. Ich hab' so das Gefühl«, sagte ich. »Hoffentlich liege ich richtig. Wenn nicht, bin ich erledigt.«

»Ich ruf dich morgen früh an.« Er legte auf.

Elaine beobachtete mich aufmerksam. »Glaubst du, du findest etwas?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich versuch es mal«, sagte ich. »Ich darf keine Möglichkeit auslassen. Jetzt erzähl mir mal alles, woran du dich noch erinnern kannst. Alles, was dein Mann in diesem Zusammenhang erwähnt haben könnte.«

Wieder fiel der Schatten über ihre Augen, aber sie erzählte die ganze Geschichte noch mal von vorn, während ich aufmerksam zuhörte.

Es war schon dunkel, als wir auf die Madison Avenue hinaustraten. Ich schaute auf meine Uhr. Halb neun. Ich nahm ihren Arm. »Laufen wir ein Stück?«

Sie nickte. Wir waren fast einen ganzen Häuserblock entlanggelaufen, bevor sie sprach.

»An was denkst du, Brad?«

Ich lächelte sie an. »Ich habe das Gefühl, daß doch noch alles gut werden wird«, schwindelte ich.

Sie drückte meinen Arm. »Wirklich, Brad? Ich bin so froh!« Ich blieb stehen und blickte auf sie hinunter. Ihre Augen so strahlend zu sehen, war die Lüge wert. »Ich habe dir ja gesagt, du bringst mir Glück.«

Der Glanz in ihren Augen verschwand wieder. »Letztesmal nicht, Brad.«

»Letztesmal gilt nicht«, sagte ich rasch. »Das hatte nichts mit dir zu tun. Das jetzt zählt. Dies hier hast du ermöglicht. Ohne dich hätte ich überhaupt keine Chance mehr.«

Sie antwortete nicht, wir gingen schweigend einige Häuserreihen weiter. Die kalte Nachtluft machte mich hungrig. Ich blieb stehen. »Wie wär's mit Abendbrot?« fragte ich sie. »Ich sterbe vor Hunger.«

Sie schaute zu mir auf, ihr Gesicht war ganz ruhig. »Ich glaube, wir sollten das lieber nicht tun, Brad.«

Ich grinste sie an. »Was ist los? Hast du Angst vor mir? Ich eß dich schon nicht auf.«

Sie schüttelte den Kopf. »Darum geht's nicht, Brad«, sagte sie ernst. »Ich glaube nur, es wäre für uns beide besser, das ist alles.«

Der Schmerz, der den ganzen Tag über verschwunden war, während sie bei mir war, kehrte zurück. »Was ist denn schon dabei?« fragte ich ärgerlich. »Du bist den ganzen Tag mit mir zusammen gewesen, und nichts ist passiert.«

Unsere Blicke trafen sich. Tief im Innern ihrer Augen tanzten diese unruhigen Schatten. »Das ist auch ein Unterschied, Brad. Es war rein geschäftlich. Jetzt haben wir keine Ausrede mehr.«

»Seit wann brauchen wir denn eine Ausrede?« erkundigte ich mich.

Sie wich meiner Frage aus. »Bitte, Brad«, sagte sie leise. »Wir wollen uns nicht streiten. Außerdem bin ich müde.«

Ich sagte kein Wort mehr. Ich winkte ein Taxi herbei, setzte sie vor dem Hotel ab, ging zu meiner Garage und fuhr heim ...

Kurz vor zehn betrat ich das Haus. Marge las Zeitung. Durch die Art, wie sie mich ansah, wußte ich, daß sie verärgert war. Ich beugte mich über den Stuhl, um sie auf die Wange zu küssen, aber sie drehte ihr Gesicht zur Seite.

»He!« protestierte ich mit gespielter Unbefangenheit. »Ist das eine Art, einen müden Krieger nach dem Kampf zu begrüßen?«

»Kampf?« fragte sie kühl. Ich merkte, daß sie ihre eigenen Gedanken damit verband und entschloß mich, es zu übergehen.

Ich mixte mir einen kleinen Whisky mit Wasser. »Ich habe wirklich hart gearbeitet. Ich glaube, wir haben jetzt eine Außenseiterchance.«

»Wir?« fragte sie sarkastisch. »Was heißt das? - Mrs. Schuyler und du?«

»Moment mal, Marge«, sagte ich und starrte auf sie hinab. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«

»Vermutlich warst du mit Mrs. Schuyler zu sehr mit Pläneschmieden beschäftigt, um mich anzurufen und mir zu sagen, daß du nicht zum Essen kommst.«

Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. »Mein Gott! Das hab ich vollkommen vergessen.« Ich lächelte sie an. »Liebes, es tut mir leid. Ich hatte einfach so viele Dinge im Kopf.«

»Für sie warst du aber nicht zu beschäftigt. Da hattest du nicht zu viele Dinge .«

»Hör auf, Marge!« fuhr ich ärgerlich dazwischen. »Gestern hast du mir vorgeschlagen, ich sollte sie um ihre Hilfe bitten. Heute, wo sie mir diese Hilfe anbietet, bist du ärgerlich. Nun entschließ dich mal, was du eigentlich willst.«

»Ich will überhaupt nichts!« brauste sie auf. »Mir gefällt einfach die Art nicht, wie du dich benimmst.«

Ich streckte meine Hände aus. »Und wie soll ich mich benehmen?« fragte ich. »Bei mir geht's um Kopf und Kragen, und du machst mir Vorwürfe wegen eines Telefonanrufs.«

Sie stand auf. »Wenn dir das so wichtig ist, verschwende ich nur meine Zeit«, sagte sie kühl.

Jetzt platzte mir der Kragen. »Wer, zum Teufe, bin ich denn eigentlich?« schrie ich. »Ein Kind, das sich alle zehn Minuten bei dir melden muß? Laß mich in Ruhe! Ich hab' genug Ärger!«

Einen Augenblick stand sie bewegungslos da, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Dann machte sie kehrt und ging wortlos hinauf in unser Zimmer.

Ich murkste noch eine Weile im Wohnzimmer herum, machte mir noch einen zweiten Whisky und ging dann auch hinauf. Ich legte meine Hand auf die Klinke und drückte gegen die Tür. Nichts rührte sich. Ich drückte nochmals die Klinke 'runter. Die Tür war verschlossen. Ich klopfte an. Sie gab keine Antwort.

Ich klopfte noch mal. Drinnen rührte sich noch immer nichts.

Hilflos starrte ich auf die Tür und wußte nicht, was ich machen sollte. Es war das erste Mal, daß sie mich ausgesperrt hatte.

Nach ein paar Augenblicken, in denen ich mir reichlich albern vorkam, ging ich ärgerlich hinunter in unser Gästezimmer.

In der Unterwäsche schlafend, verbrachte ich eine ungemütliche Nacht.

21

Der Rasierapparat im Gästezimmer funktionierte nicht, der Wasserdruck der Dusche war unregelmäßig, das kalte und das warme Wasser ließen sich nicht regulieren, und ich mußte mich mit einem kleinen Gästehandtuch abtrocknen.

Ich zog den Bauch ein, schlang das Handtuch, so gut es eben ging, um die Taille und ging barfuß durch die Diele in unser Schlafzimmer. Es war leer. Meine Sachen lagen nicht wie gewöhnlich ausgebreitet auf meinem Bett. Ich wühlte in Schubladen und Schränken, bis ich etwas gefunden hatte, was einigermaßen zusammenpaßte. Rasch zog ich mich an und lief die Treppe hinunter.

Ich setzte mich in unsere Frühstücksecke. Mein Orangensaft stand nicht auf dem Tisch, und die Zeitung lag in einzelnen Blättern vor Marges Stuhl. Ich sammelte sie ein und setzte mich wieder hin. Gerade wollte ich den Finanzteil studieren, als mein Blick auf die Gesellschaftsspalte fiel.

»Mrs. Hortense (Elaine) Schuyler, die Nichte des Stahlindustriellen Matt Brady und ein prominentes Mitglied der Washingtoner Gesellschaft, ist nach der furchtbaren Tragödie des letzten Jahres endlich wieder aus ihrer Zurückgezogenheit hervorgetreten. Unsere Leser werden sich gewiß noch an den tragischen Tod ihres Mannes und ihrer Zwillinge erinnern, die innerhalb weniger Wochen durch Kinderlähmung dahingerafft wurden. Wir begegneten ihr im >Colony<, wo sie mit einem attraktiv urwüchsigen Herrn zu Mittag aß. Wie wir feststellen konnten, handelte es sich um Brad Rowan, den bekannten Public-Relations-Berater, der ihr - wie man hört -bei ihrer Kinderlähmungskampagne hilft. Falls die Lebhaftigkeit und das Lächeln in Elaines Gesicht überhaupt etwas bedeuten, können wir wohl mit Sicherheit annehmen, daß die beiden nicht nur ein gemeinsames Interesse an der Arbeit verbindet .«

Die Zeitung war genau entlang diesem Artikel gefaltet, damit ich ihn auch ja nicht übersehen konnte. Ärgerlich wandte ich mich der Finanzseite zu. Aber ich hätte die Zeitung ebensogut in den Papierkorb werfen können, für mich stand heute überhaupt nichts Gescheites drin. Dann stieß ich auf eine kurze Notiz: »Christopher Prec-torzum Public-Relations-Sonderberater bei Matt Brady's, Consolidated Steel ernannt.«

Ich warf die Zeitung auf den Boden. Wo blieb mein Orangensaft? »Marge!« rief ich.

Die Küchentür ging auf. Sally steckte ihr dunkles Gesicht herein. »Ich hab' Sie nicht 'runterkommen hören, Mr. Rowan.«

»Wo ist Mrs. Rowan?«

»Sie ist weggegangen. Ich hol' Ihnen den Saft.« Und sie verschwand wieder in der Küche.

Derweil kam Jeannie herunter. So etwas wie Schadenfreude lag auf ihrem Gesicht. »Wenn du dich beeilst, Dad, darfst du mich an der Schule absetzen.«

Meine Geduld war am Ende. »Warum kannst du nicht mit dem Bus fahren wie alle anderen Kinder?« fuhr ich sie an. »Bist du viel-leicht zu fein dafür?«

Ihr Lächeln verflog. Einen Augenblick lang schaute sie mich mit großen Augen an; es war deutlich, daß sie gekränkt war. Irgend etwas daran erinnerte mich an die Zeit, als sie noch klein war. Wortlos drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Eine Sekunde später war ich auf den Beinen und hinter ihr her. Ich hörte, wie die Haustür zuknallte. Ich lief hin, riß sie wieder auf. Sie rannte schon die Auffahrt hinunter.

»Jeannie!« rief ich hinter ihr her.

Sie schaute sich nicht um, sondern lief weiter und verschwand hinter den hohen Ligusterhecken, die den Rasen säumten. Ich schloß die Tür und ging langsam wieder an den Frühstückstisch zurück. Da stand mein Orangensaft. Gedankenverloren nahm ich das Glas in die Hand und trank. Aus irgendeinem Grund schmeckte er heute morgen nicht so gut wie sonst. Heute morgen war einfach alles vermurkst.

Sally kam mit den Eiern, goldgelb und dampfend, die Butter schmolz auf dem Toast, der Schinken war braun und knusprig. Sie stellte alles vor mich hin und goß Kaffee ein.

Ich starrte auf die Teller und erinnerte mich an meinen Ausspruch: »Eier zum Frühstück - da wird gleich jeder Tag zum Sonntag.« Was war eigentlich schiefgelaufen bei mir? Ich stand auf und stieß meinen Stuhl zurück.

Sally schaute mich entgeistert an.

»Ist Ihnen nicht gut, Mr. Rowan?« Ihre Stimme klang besorgt.

Ich schaute sie einen Moment an, bevor ich antwortete. Das Haus schien eigenartig leer und kalt. Als wenn alle Liebe daraus entflohen wäre. »Ich habe keinen Appetit«, sagte ich und verließ das Zimmer.

Der Vormittag kroch so dahin. Im Büro war es sehr still. Ich hatte ganze vier Telefonanrufe an diesem Morgen. Es war beinahe Mittag, als sich Elaine meldete.

»Deine Stimme klingt so komisch«, stellte sie fest. »Hast du nicht geschlafen?« Dabei sprach sie selbst ziemlich rauh.

»Doch, doch«, entgegnete ich rasch. Ich wollte verhindern, daß sie wieder auflegte. »Und du?«

»Ich bin außer mir. Hast du den Artikel von Nan Page gelesen?«

»Ja.«

»Hat deine Frau ihn auch gesehen?«

»Das ist anzunehmen.« Ich lachte heiser. »Ich habe sie heute morgen noch nicht gesehen.«

»Onkel Matt hat ihn auch gelesen. Er hat mich angerufen, wütend! Ich soll mich nicht wieder mit dir treffen, hat er gesagt. Du seist nichts weiter als ein Abenteurer.«

»Und was hast du geantwortet?« fragte ich interessiert.

»Ich habe ihm gesagt, daß ich mich treffe, mit wem es mir paßt. Was hattest du denn gedacht?«

Ich überhörte die Herausforderung. Mir kam eine Idee. »Er war also wütend, wie?«

»Und ob. So wütend habe ich ihn noch nie erlebt.«

»Gut. Ich werde ihm Gelegenheit geben, noch viel wütender zu werden. Wir werden eine Affäre inszenieren.«

Ihre Stimme wurde sehr nüchtern. »Brad, bitte! Ich habe gesagt, es ist vorbei. Ich kann so nicht weiterleben.«

»Ja, ja, doch nur für die Zeitungen! Ich will deinen Onkel so reizen, daß er aus seinem Bau herauskommt. Vielleicht macht er dabei einen Fehler.«

Sie hielt den Atem an. »Das kann ich nicht. Onkel Matt ist immer sehr nett zu mir gewesen.«

»Auch gut.« Ich bemühte mich, möglichst uninteressiert, aber grob zu klingen.

»Brad, bitte versuch doch, mich zu verstehen .«

Ich schnitt ihr das Wort ab. »Ich sehe lediglich, daß auch du mich fallen läßt.« Ich spielte den Unverstandenen. »Aber es ist schon gut. Ich mache dir ja keinen Vorwurf.«

Selbst durch das Telefon konnte ich spüren, wie sie schwankte. Ich blieb stumm. Eine Sekunde später sprach sie. »Also gut, Brad. Was soll ich tun?«

Ich bemühte mich, sie meinen Triumph nicht hören zu lassen.

»Zieh dein schönstes Kleid an. Heute nachmittag gibst du für die Presse eine Cocktailparty, um zu erzählen, welche Wohltätigkeitsveranstaltungen du planst.«

Ihre Stimme klang entsetzt: »Auch das noch? Es ist so billig, sowas zu machen! Nutzen aus so einer furchbaren .«

Ich ließ sie nicht ausreden. »Es wird der Wohltätigkeit nicht schaden, mir aber helfen. Ich ruf dich wieder an, sobald ich die nötigen Vorbereitungen getroffen habe.«

Ich betätigte die Rufanlage. »Mrs. Schuyler gibt heute nachmittag im >Stork< eine Cocktailparty für die Presse, in Zusammenhang mit der Kinderlähmungskampagne«, informierte ich Mickey. »Bereiten Sie bitte das Übliche vor und sehen Sie zu, daß alle wichtigen Reporter und Fotografen auch kommen!«

Ich wollte schon beenden, aber da fiel mir noch etwas ein. »Sorgen Sie dafür, daß unser eigener Fotograf auch da ist. Er soll die gesamte Veranstaltung knipsen. Und sehen Sie zu, daß wir noch die Nachtschicht erwischen. Ich will die Geschichte sowohl in den Morgenblättern als auch in den Nachrichten haben.«

»Okay, Chef«, knarrte sie. Kurz darauf summte das Telefon, sie meldete sich wieder. »Paul ist am Apparat.«

Ich drückte auf den Knopf. »Paul!« rief ich. »Hast du Bescheid?«

»Ja. Ein junger Mann namens Levi.«

»Kennst du ihn?«

»Nein«, erwiderte Paul. »Er gab seine Stellung seinerzeit auf und zog sich in seine Privatpraxis zurück. Nach Wappinger Falls, New York.«

»Wappinger Falls?« Das wollte mir nicht einleuchten. »Ist das nicht ziemlich seltsam? Normalerweise gingen solche Burschen nicht zurück aufs Land, wenn sie bei einer so großen Sache erst mal auf den Geschmack gekommen waren. Gewöhnlich landeten sie dann auf einem einträglichen Posten bei irgendeiner großen Gesellschaft.«

»Niemand weiß besonders viel über ihn«, antwortete Paul. »Jedenfalls galt er früher einmal als der intelligenteste Anwalt in seinem Fach. Jus in Harvard mit Auszeichnung und so weiter. Spezialisiert auf Handelsrecht und Antitrustgesetze. Er war sein erster großer Fall.«

»Wie kommt es, daß er ihn nicht zu Ende geführt hat?« fragte ich.

»Ich weiß nicht. Vielleicht aus hauspolitischen Gründen.«

»Wie heißt er mit Vornamen?«

»Robert. Robert M. Levi.« Jetzt wurde Paul neugierig. »Hast du irgendeinen Verdacht?«

»Ich spucke in den Wind«, sagte ich, »und hoffe, es trifft Matt Brady ins Gesicht.«

Ich legte den Hörer auf und drückte erneut auf den Knopf. Mickey kam herein. Ich schaute auf meine Schreibtischuhr. Viertel nach eins. »Sehen Sie mal nach, wo Wappinger Falls liegt, Staat New York. Und wie man da hinkommt. Und sagen Sie der Garage Bescheid, sie sollen meinen Wagen bereitstellen. Dann rufen Sie bei mir zu Hause an und bitten Marge, sie möchte mir einen dunklen Anzug und alles, was dazu gehört, ins Büro schicken. Sagen Sie ihr, ich würde ihr später alles erklären.«

Bevor ich meinen Wagen abholte, schlang ich ein Sandwich hinunter. Ich weiß nicht, ob es die Aufregung oder das Sandwich war was meinen Magen zusammenschnürte. Aber was immer auch die Ursache sein mochte: es war immer noch besser als dieses flaue Gefühl, das ich während der letzten Tage gehabt hatte.

Um halb drei Uhr kam ich in Wappinger Falls an. Es war kein großer Ort. Fast hätte ich ihn eine Minute später wieder verlassen. Aber ich hatte Glück, trat rechtzeitig auf die Bremse und hielt vor ein paar Läden.

Ich stieg aus und schaute die Straße entlang. Da standen einige zweistöckige Bürohäuser, die Büros der wichtigsten Steuerzahler des Ortes. Ich überflog in jedem rasch die Namenstafeln. Nirgends stand ein Robert M. Levi.

Ich trat wieder auf die Straße und kratzte mich am Kopf. Das hier war wohl der letzte Ort auf der Welt, wo ein junger, vielversprechender Wirtschaftsanwalt seine Praxis eröffnen würde. Ich sah einen Polizisten die Straße entlangkommen und ging auf ihn zu.

»Inspektor«, sagte ich, »können Sie mir vielleicht helfen - ich suche jemanden.«

Ich hatte schon vor langer Zeit entdeckt, daß die Leute im Norden des Staates New York noch wortkarger waren als die Neuengländer. Dieser Polizist hatte offenbar nicht die Absicht zu beweisen, daß ich mich irrte. Er schob seine Mütze in den Nacken und musterte mich langsam von Kopf bis Fuß. Dann sprach - vielmehr grunzte er: »Hmmm?«

»Ich suche einen Rechtsanwalt namens Robert M. Levi.«

Er stand eine Minute schweigend da und überlegte.

»Hier gibt's keinen Rechtsanwalt mit dem Namen.«

»Aber es muß hier einen geben«, beharrte ich. »Mir wurde in Washington gesagt, daß er hier wohnt. Ich komme aus New York, ich muß mit ihm sprechen.«

»Sie meinen, aus der Stadt?« erkundigte er sich.

»Ja. Aus New York City.«

»Hmmm«, brummte er. »Hübscher Tag zum Fahren.«

Er schob ein Stück Kautabak mit der Zunge hin und her und spuckte dann bedächtig in den Rinnstein. »Weshalb suchen Sie den Burschen denn?« fragte er.

Ich hatte so das Gefühl, als wüßte er, wer Levi sei.

»Ich habe einen Posten für ihn. Einen guten.« Mir fiel gerade nichts Besseres ein.

Er schaute mich hinterlistig an. »Rechtsanwälte sind wohl knapp in der Stadt?«

»Nein. Aber Levi steht in dem Ruf, einer der besten in seinem Fach zu sein.«

Sein Blick wanderte die Straße entlang zu meinem Wagen und wieder zu mir zurück. »Einen amtierenden Rechtsanwalt mit dem Namen gibt's hier nicht. Aber einen Bob Levi, den gibt's hier. War Flieger während des Krieges. Ein As! Schoß elf Japaner ab. Hab' gehört, daß er nach dem Krieg ein paar Jahre in Washington war. Vielleicht ist es der.«

Das reichte mir schon. »Ja, das ist er«, sagte ich rasch und steckte mir eine Zigarette an. Dieser Levi mußte ein interessanter Bursche sein. Je mehr ich über ihn erfuhr, desto weniger konnte ich begreifen, daß er sich in diesem Kaff niedergelassen hatte. »Wo finde ich ihn?«

Der Polizist hob den Arm und deutete die Straße hinauf. »Sehen Sie die Ecke da?« Ich nickte, und er fuhr fort. »Gut. Da biegen Sie ab und fahren dann die Straße bis zum Schluß. Das ist alles. Es steht ein Schild da. >Krystal Hundezwinger<. Da wohnt er.«

Ich bedankte mich und stieg in den Wagen. An der Ecke bog ich ein. Es war eine miserable Straße. Anderthalb Kilometer folgte ich ihr. Dann, als ich schon glaubte, der Polizist habe mich zum besten gehalten, wehte der Wind den Lärm bellender Hunde zu mir herüber, und knapp hinter einer Biegung hörte der Weg plötzlich auf. Da war auch das Schild: >Krystal Hundezwinger<. Und darunter: >Drahthaarterrier - Welshterrier. Jungtiere zu verkaufen. Mr. und Mrs. Bob Levi<.

Ich stieg aus dem Wagen und ging auf ein kleines weißes Häuschen zu, das etwas abseits der Straße lag. Aus dem Zwinger dahinter tönte das vergnügte Gekläff der Hunde. Neben dem Haus stand ein Ford-Kombiwagen. Ich drückte auf die Klingel. Innen im Haus läutete es, und gleichzeitig ertönte eine Glocke im Zwinger. Und nun bellten schließlich alle Hunde.

Durch den Lärm hindurch vernahm ich eine männliche Stimme. »Hier hinten!«

Ich ging die Stufen wieder hinunter und um das Haus herum auf den Zwinger zu. Der Weg war gepflegt, der Rasen frisch geschnitten, die Blumenbeete waren gerade in Ordnung gebracht, die Erde umgegraben worden.

»Hier drüben!« rief die Stimme.

Ich spähte durch den Maschendraht. Auf dem Boden saß ein Mann und versorgte gerade einen kleinen Hund, den eine Frau festhielt.

»Bin sofort bei Ihnen«, sagte er, ohne aufzuschauen. Die Stimme war angenehm. Die Frau lächelte mir wortlos zu. Ich beugte mich über den Zaun und schaute ihnen zu. Mit einem langen Tupfer reinigte er dem Hund das Ohr. Er arbeitete sehr konzentriert, die Augen waren zusammengekniffen. Nach einer Minute brummte er etwas und stand auf.

Die Frau ließ den Hund los, und der sauste sofort zu seinen Spielgefährten hinüber.

»Hatte eine Zecke im Ohr«, sagte der Mann und schaute mich an. »Wenn man sie nicht sauber hält, passiert wer weiß was.«

Ich lächelte. »Manchmal kriegen auch die Menschen Zecken in die Ohren. Aber dann nützt auch das Waschen nichts. Man müßte ihnen das Maul waschen.«

Seine Augen waren plötzlich ganz wachsam, er warf seiner Frau einen raschen Blick zu. Sie sagte kein Wort. Ich betrachtete sie, und jetzt fielen mir ihre leicht orientalischen Gesichtszüge auf.

»Womit kann ich Ihnen dienen?« Seine Stimme war flach und ausdruckslos geworden. »Suchen Sie einen jungen Hund?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich suche einen Robert M. Levi, der früher mal Anwalt im Justizministerium in Washington war. Sie sind hier draußen der einzige mit diesem Namen. Sind Sie es?«

Die beiden tauschten wieder einen raschen Blick. »Ich gehe jetzt ins Haus«, sagte die Frau, »ich habe noch zu tun.«

Ich trat zur Seite, um sie durch das Tor zu lassen, und blickte ihr nach, wie sie den Weg hinaufging. Auch in ihrem Gang etwas Orientalisches - kurze, behutsame Schritte. Ich wandte mich wieder dem Mann zu und wartete auf seine Antwort. Er sah ihr mit einem schmerzlichen Blick nach, der mich seltsam anmutete, bis sie im Haus verschwunden war. Dann drehte er sich zu mir. Über seinen Augen lag ein Schleier, der seine Gedanken verbarg. »Warum fragen Sie danach, Mister?«

Ich wußte nicht, was diesen Mann so quälte. Aber ich wollte nicht schuld sein, daß er noch weiter litt. Irgend etwas an ihm gefiel mir. »Ich suche eine Information und Ihren Rat«, sagte ich.

Er blickte um mich herum nach meinem Wagen und dann wieder auf mich. »Ich habe meine Anwaltspraxis schon vor einigen Jahren aufgegeben. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel helfen.«

»Die Juristerei interessiert mich nicht«, fuhr ich fort. »Sondern die Vergangenheit.«

Jetzt war er verwirrt.

»Ein Fall, den Sie für die Regierung bearbeitet haben. Con Steel. Eine Antitrustaffäre.« Ich steckte mir eine Zigarette an und beobachtete ihn aufmerksam. »Soviel ich weiß, haben Sie damals die Untersuchung geführt und die Klage eingereicht.«

Er wurde wieder mißtrauisch. »Was haben Sie denn damit zu

tun?«

»Eigentlich nichts. Aber unter Umständen könnte es mit einer Sache zusammenhängen, der ich gerade nachgehe. Und da dachte ich mir, es wäre gut, mal herzukommen und mit Ihnen zu reden.«

»Sind Sie Rechtsanwalt?«

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte das leise Gefühl, daß es besser war, vorsichtig mit ihm umzugehen, sonst würde er am Ende überhaupt nichts sagen. »Ich bin Public-Relations-Berater.« Ich überreichte ihm meine Karte.

Er betrachtete sie aufmerksam und gab sie mir dann zurück. »Warum interessiert Sie dieser Fall, Mr. Rowan?«

Ich versuchte es. »Sehen Sie, es hat acht Jahre gedauert, bis ich meine Firma so, wie sie hier auf der Karte steht, aufgebaut habe. Acht Jahre Arbeit und mein ganzes Leben davor, um mich darauf vorzubereiten.«

Ich beobachtete aufmerksam sein Gesicht, das plötzlich Interesse zu zeigen begann. Ich wagte mich ein Stück weiter vor. »Eines Tages erfuhr ich von einem ganz großen Geschäft, das mit einem ganzen Industriezweig zu machen war. Ich reichte mein Angebot ein, machte den Leuten die Sache schmackhaft und sollte den Auftrag auch bekommen, das weiß ich. Aber da bestellt mich einer von den Kerlen in sein Büro und bietet mir einen Posten in seinem Unternehmen an. Sechzigtausend im Jahr. Ich kann mir dafür alles auf dieser Welt kaufen, was ich haben will. Die Sache hat nur einen Haken.«

Ich machte wieder eine Pause, um zu sehen, ob er mir folgte. Er tat's. Gut. »Und was war das für ein Haken?« fragte er.

Ich ging noch einen Schritt weiter und sprach sehr langsam. »Ich brauche nichts weiter, als all die anderen Firmen zu hintergehen, die an dem Auftrag beteiligt waren; alle meine Mitarbeiter fallenzulassen, die solch einen Auftrag erst ermöglicht hatten; und auf meine Freunde zu verzichten.«

Ich trat mit dem Fuß meine Zigarette aus. »Ich gab dem Herrn die einzig mögliche Antwort: Behalte deinen Posten. Das war vor ein paar Tagen. Heute bin ich ruiniert und beinahe am Ende. Ich habe achtzig Prozent meines Geschäfts verloren, weil er mich auf seine schwarze Liste gesetzt hat. Ich bin eigentlich nur auf Verdacht hierhergekommen, ich klammere mich an einen Strohhalm. Und während ich hier so stehe und mich mit Ihnen unterhalte, habe ich das Gefühl bekommen, daß Ihnen das, was jetzt mir passiert, auch mal geschehen ist. Von demselben Mann. Wollen Sie seinen Namen wissen?«

Sein Blick war irgendwohin in die Ferne gerichtet, als er antwortete. »Den müssen Sie mir nicht nennen. Ich weiß ihn.« Er holte tief Luft, seine Stimme war so voll Haß, wie eine menschliche Stimme überhaupt sein kann. »Matt Brady.«

»Gewonnen«, sagte ich leise.

Sein Blick kehrte aus der Ferne zurück. »Es ist heiß hier draußen in der Sonne. Kommen Sie mit hinein ins Haus, Mr. Rowan. Da können wir weiterreden. Meine Frau kocht einen guten Kaffee.«

23

Der Kaffee seiner Frau war wirklich gut, heiß, schwarz und stark, aber klar - nicht so trüb, wie starker Kaffee oft ist. Wir saßen in der Küche, durch die offenen Fenster wehte eine kühle Brise herein.

Seine Frau war Eurasierin, halb Deutsche, halb Japanerin. Er hatte sie während der Besatzungszeit in Tokio kennengelernt. Ihre Schön-heit war eine eigenartige Mischung: mandelförmige Augen, aber blau; eine fast goldfarbene Haut, aber ein zartes Rosa auf den Wangen; kräftiges schwarzes Haar, das an ihren hohen Jochbögen vorbei in sanften Wellen bis auf den zarten Hals hinunterfiel. Aufmerksam hörten sie sich meine Geschichte an, wie ich Matt Brady kennengelernt hatte. Als ich fertig war, warfen sie sich gegenseitig einen merkwürdigen Blick zu. Levis Stimme klang teilnahmslos. »Nun ja, aber wie stellen Sie sich meine Hilfe vor?«

Mit einer hilflosen Geste breitete ich meine Hände aus. »Ich weiß nicht«, gestand ich. »Es ist lediglich ein Versuch. Ich hoffe, irgend etwas zu finden.«

Einen Augenblick schaute er mich schweigend an, dann senkte er seinen Blick auf die Kaffeetasse. »Es tut mir sehr leid, Mr. Rowan, aber ich muß Sie enttäuschen«, sagte er leise. »Mir fällt nichts ein.«

Ich hatte das Gefühl, als sage er nicht die ganze Wahrheit. Dafür hatte er eigentlich bei der Erwähnung Matt Bradys zu viel Interesse gezeigt. In seiner Stimme hatte zu viel Haß gelegen. Er hatte Angst. Ich wußte nicht, wovor. Aber ich war sicher.

Plötzlich fiel der Groschen bei mir, und alles paßte zusammen. Brady wußte irgend etwas von ihm. Irgendwie mußte Levi bei seiner Untersuchung über die Con Steel für Brady gefährlich geworden sein. Mir kam eine Idee: Was würde Brady wohl in einem solchen Fall tun? Er würde wahrscheinlich den schwächsten Punkt seines Gegners suchen und dann auf ihn loshämmern, bis er kapitulierte. So wie er es jetzt bei mir tat; vermutlich war er bei Levi ähnlich vorgegangen. Was sonst hätte einen Mann wie Levi bewegen können, von heute auf morgen eine vielversprechende Karriere aufzugeben und schließlich mit seinen Fähigkeiten und seiner Ausbildung bei einer so absonderlichen Tätigkeit zu landen?

»Irgend etwas muß es doch geben«, fing ich beharrlich wieder an. »Sie haben die Con-Steel-Affäre bearbeitet. Man hat mir gesagt, Sie wüßten über dieses Unternehmen mehr als sonst eine sterbliche

Seele - ausgenommen Matt Brady.«

Wieder dieser merkwürdige Blickwechsel zwischen seiner Frau und ihm.

»Ich fürchte, ich weiß nichts, was Ihnen weiterhelfen könnte.« Er war ebenso hartnäckig.

Als ich aufstand, war ich hilflos, müde. Überall Wände. Offenbar war ich tatsächlich fertig und wollte es nur nicht einsehen. Ich lächelte bitter. »Sie hat er also auch drangekriegt.«

Levi gab keine Antwort. Er blickte mich nur aus unergründlichen Augen an.

In der Tür blieb ich stehen und schaute noch einmal zurück. »Können Sie hier einen Teilhaber gebrauchen?« fragte ich sarkastisch. »Oder liefert Matt Brady die Viecher gleich mit, wenn er einen vor die Hunde gehen läßt?«

»Die Hunde sind meine Idee!« brauste er auf. »Die sind besser als Menschen. Die verraten einen nicht!«

Ich trat auf den langen, gepflegten Weg hinaus, ging zum Wagen und fuhr zur Stadt zurück. Ich hatte schon fast die Hauptstraße erreicht, als jemand hinter mir hupte. Ich schaute in den Rückspiegel. Levis Frau saß am Steuer des Kombiwagens, den ich vorhin in der Auffahrt gesehen hatte. Ich fuhr rechts heran, um sie vorbeizulassen. Sie schoß in einer Staubwolke an mir vorbei, um plötzlich auf die Bremse zu treten. Der Kombi stand neben der Straße, sie war ausgestiegen und winkte. Ich hielt neben ihr.

»Mr. Rowan«, sagte sie mit ihrem merkwürdigen Akzent, »ich muß mit Ihnen sprechen.«

Ich öffnete die Wagentür auf ihrer Seite. »Bitte, Mrs. Levi.«

Sie kletterte in den Wagen und steckte sich eine Zigarette an. Sie war nervös. »Mein Mann möchte Ihnen helfen, aber er hat Angst. Er hat Angst, Sie sind auch so ein Brady-Mann.«

Ich lachte bitter.

»Lachen Sie nicht, Mr. Rowan. Es ist nicht komisch. Nur ein

Narr lacht bei einer Beerdigung, und das hier war sogar seine eigene.«

»Verzeihen Sie, Mrs. Levi, so habe ich es nicht gemeint.«

Sie blickte mich kurz von der Seite an. »Es gibt da viele Dinge, die mein Mann Ihnen erzählen könnte. Aber er traut sich nicht.«

»Warum denn? Was könnte ihm Matt Brady denn jetzt noch anhaben?«

»Nicht seinetwegen. Bob ist sicher. Er hat Angst um mich.«

Das verstand ich nicht. Was konnte Matt Brady mit ihr zu tun haben? Sie hatte es wohl an meinen Augen abgelesen. »Kann ich offen zu Ihnen sprechen?« Sie fragte es beinahe bittend. Und sie meinte mehr damit, als die Worte sagten: Sind Sie mein Freund? Kann ich Ihnen vertrauen? Werden Sie uns Schaden zufügen?

Ich überlegte das alles, bevor ich antwortete. »Man kann einen Menschen ein ganzes Leben lang kennen und doch nichts von ihm wissen. Plötzlich passiert irgend etwas, und dann stellt man fest, daß alle Menschen, die man bisher kannte, nichts taugen. Aber ein anderer, den man noch nie vorher gesehen hat, reicht einem plötzlich die Hand und hilft. So ist es im Augenblick bei mir. Keiner von denen, die ich kenne, kann mir helfen.«

Sie zog an ihrer Zigarette, ihre eigenartigen blauen Augen blickten durch die Windschutzscheibe weit über die Straße hinaus. Nach einer Weile begann sie leise zu sprechen. »Als ich Bob das erste Mal traf, da war er ein strahlender, lachender junger Mann, ein Optimist, der immer nur die Zukunft sah. Er hatte große Hoffnungen und viel Ambitionen.« Die Zigarette verbrannte ihr fast die Finger, sie drückte sie im Aschenbecher des Armaturenbretts aus und fuhr bekümmert fort: »Es ist lange her, seit ich ihn lachen sah. Jetzt hat er keine Ambitionen mehr, für ihn wie für mich waren es lange und sorgenvolle Jahre.«

Sie blickte mich an. »In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort: >Man muß für alles im Leben bezahlen.< Und das stimmt. Um unserer Liebe willen, um meinetwillen muß mein Mann sein Leben praktisch in der Verbannung verbringen.«

Wieder griff sie nach den Zigaretten. Ich nahm mir auch eine und gab ihr Feuer. Ich unterbrach sie mit keinem Wort. Sie behielt mich im Auge, bis meine Zigarette brannte.

»Nun wissen Sie, warum er sich nicht traut, etwas zu sagen. Vielleicht halten Sie ihn für einen Feigling - mir ist das egal.«

»Das tue ich nicht. Aber warum kann er nichts unternehmen?«

Sie sprach langsam. »Matt Brady ist ein furchtbarer Mensch. Er fand damals heraus, daß Bob mich illegal in die Vereinigten Staaten gebracht hatte. Über Bob selbst konnten seine Detektive nichts finden, aber sie entdeckten etwas über mich. Bob hatte nichts weiter gewollt, als daß wir zusammenbleiben, wenn er in die Staaten zurück mußte. Er kaufte in Schanghai ein Visum und falsche Papiere. Auf diese Weise bin ich hereingekommen. Wir waren glücklich, bis Matt Bradys Detektive Bob mitteilten, daß Brady Bescheid wußte und daß er die Polizei verständigen würde, wenn Bob die Con Steel nicht in Ruhe ließe. Bob blieb nichts übrig, er trat zurück. Er wollte es lieber so, als daß ich hätte nach Japan zurückmüssen.«

Ich erinnerte mich, was mir Paul über die Con-Steel-Affäre erzählt hatte. Nachdem Levi das Ministerium verlassen hatte, war der Fall im allseitigen Einverständnis zu den Akten gelegt worden. Matt Brady mußte sehr stolz auf sich gewesen sein.

Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte. Diese armen Menschen hatten wirklich genug durchgemacht. Durfte ich ihnen noch mehr Kummer bereiten? Ich schwieg und blies langsam den Rauch durch die Nasenlöcher.

»Mein Mann ist nicht glücklich, Mr. Rowan.«

Ich schaute sie verwundert an.

»Jeden Tag beobachte ich, wie er wieder ein Stückchen mehr stirbt. Er ist wie ein Mann, der nur wie ein Junge arbeiten darf.«

Ich verstand zwar, was sie damit meinte, aber ich sah nicht, worauf sie hinaus wollte. »Wie kann ich ihm helfen? Ich bin ja praktisch selbst am Ende.«

»Bob weiß über Matt Brady mehr als sonst jemand auf dieser Welt, geschäftlich und privat.« Sie beobachtete mich wieder, während sie das sagte. »Wenn Sie ihm eine Stellung verschaffen, könnte er Ihnen bestimmt von großem Nutzen sein.«

»Er kann sofort einen Posten haben. Aber schließlich kann ich mich ihm nicht aufdrängen. Sie haben mir ja gerade erzählt, warum.«

Sie blickte auf ihre Zigarette. »Er weiß nicht, daß ich Ihnen nachgefahren bin. Ich habe gesagt, ich müsse noch einkaufen. Ich werde umkehren und ihm erzählen, daß ich Sie gesprochen und Ihnen die Wahrheit gesagt habe. Dann wird er zu Ihnen kommen.«

»Glauben Sie wirklich?« Eine leise Hoffnung regte sich wieder in mir.

Sie stieg aus dem Wagen und stand wieder auf der Landstraße, der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht. »Ich werde dafür sorgen, Mr. Rowan, koste es, was es wolle«, und leiser fügte sie hinzu: »Ich will nicht am Tod meines eigenen Mannes schuld sein.«

Sie stieg in den Kombi und wendete. Als sie zurückkam und an mir vorbeifuhr, erkannte ich die Aufschrift: >Krystal Hundezwinger<. Sie winkte zu mir herüber, aber sie lächelte nicht; sie schien äußerst entschlossen.

Der Kombi verschwand förmlich hinter der Staubwolke, bog um die Ecke und war weg. Ich schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Beinahe vier. Ich drehte den Zündschlüssel um und drückte auf den Anlasser, legte den Gang ein und fuhr an. Wenn ich um fünf bei Elaines Cocktailparty sein wollte, mußte ich mich beeilen.

Sage etwas Nettes über jemanden, und kein Mensch wird dir zuhören. Ist es aber etwas Gemeines, Boshaftes oder Skandalöses, dann wird jeder Mensch in der Stadt alles tun, das Gerücht so schnell wie nur möglich zu verbreiten.

Innerhalb von drei Tagen waren wir ein Thema für alle Zeitungen von New York bis San Francisco. Jedes Käseblatt, das nur ein wenig Platz erübrigen konnte, veröffentlichte unsere Fotos.

Innerhalb von vier Tagen waren wir das interessanteste Liebespaar, die meistbesprochene Affäre der Stadt. Selbst die Fremdenführer hätten noch was von uns lernen können, denn wir erschienen bei jeder Premiere und verkehrten in den exklusivsten Restaurants. Wo immer wir auch auftauchten, drehten sich die Leute nach uns um, begafften uns mit offenen Mäulern und tuschelten. Ihr Gekicher und Getuschel folgte uns auf Schritt und Tritt.

Elaine war großartig. Sie trug den Kopf hoch und den Blick geradeaus gerichtet. Wenn sie das Gerede auch hörte, sie ließ es sich nicht anmerken. Wenn es sie verletzte, sie ließ es mich nie fühlen.

Je öfter ich mit ihr zusammen war, desto mehr imponierte sie mir.

Ich versuchte, Marge zu erklären, was ich mit all dem erreichen wollte. Aber seit diesem letzten Streit wollte sie mich nicht mehr anhören. Selbst Jeannie sah mich mit schiefen Blicken an. Beide benahmen sich, als gäbe es mich überhaupt nicht. Auch Vater kaufte mir meine Geschichte nicht ab.

Die Zeitungen hatten allzugute Arbeit geleistet. Sie erreichten jeden damit. Nur den Mann nicht, auf den es uns ankam. Jeden Morgen stellten wir uns beide die gleiche Frage: »Hast du was von Matt Brady gehört?« Und jeden Morgen war es die gleiche Antwort:

»Nein.«

Aber dann kam er erste Erfolg. Als ich am Donnerstag morgen mit Elaine telefonierte, sagte sie: »Tante Nora hat mich angerufen.«

»Wer ist denn das?«

Ihre Stimme klang überrascht. »Onkel Matthews Frau.«

»Ich wußte nicht mal, daß er verheiratet ist. Ich habe nie von ihr gehört.«

»Das kann ich mir denken. Tante Nora ist invalid. Seit über dreißig Jahren fährt sie jetzt im Rollstuhl.«

»Wie kommt denn das? Was ist denn los mit ihr?« fragte ich.

»Ein Jahr nach ihrer Hochzeit wurden ihr bei einem Autounfall beide Beine und die Hüften zertrümmert. Onkel Matt fuhr einen neuen Wagen, der überschlug sich, er flog 'raus, aber sie wurde drunter eingeklemmt. Er hat sich das nie verziehen.«

»Wie tröstlich, daß er wenigstens ein paar menschliche Regungen zeigt«, bemerkte ich gefühllos. »Ich wollte schon die Hoffnung aufgeben, jemals welche bei ihm zu entdecken.«

»Brad, sei nicht so boshaft!« Es klang vorwurfsvoll. »Das ist eine furchtbare Geschichte. Tante Nora war damals noch ein ganz junges Mädchen. Neunzehn, glaube ich.«

Ich machte eine Pause. »Was wollte sie denn?«

»Sie meinte, es wäre keine schlechte Idee, wenn ich sie mal besuchen würde. Sie war ganz durcheinander wegen der Geschichten, die sie über uns in den Zeitungen gelesen hat.«

»Hat Onkel Matt sich irgendwie geäußert?« fragte ich.

»Sie sagte nur, er sei beim Frühstück sehr ärgerlich gewesen, aber schließlich hätte er mich einmal gewarnt, und dabei bliebe es. Deshalb hat sie sich entschlossen, anzurufen.«

»Gut«, sagte ich. »Geh nicht hin. Laß ihn ruhig schmoren.«

Sie zögerte. »Brad, glaubst du wirklich, daß es einen Sinn hat, was wir tun? Ich sehe nicht recht, wie uns das weiterhilft.«

»Ich weiß es auch nicht«, antwortete ich. »Ich habe dir ja gesagt, es ist nichts weiter als ein Versuchsballon. Ich probiere nur, ihn ein bißchen auf Trab zu bringen in der Hoffnung, daß er dabei vielleicht mal stolpert.«

»Gut, Brad. Ich werde Tante Nora anrufen und absagen.«

»Wir haben heute eine Verabredung zum Mittagessen«, erinnerte ich sie.

»Ich weiß. Wird dir dieses Theater nicht langsam ein bißchen leid?«

»Wer spielt Theater?«

»So habe ich es nicht gemeint, Brad«, sagte sie leise. »Wir haben ein Abkommen darüber, erinnerst du dich?«

»Das einzige, was mich interessiert, ist, daß ich mit dir zusammen bin. Und so lange ist mir alles andere gleichgültig - Geschäft, Geld, Matt Brady, alles.«

»Wirklich alles, Brad?« fragte sie sanft. »Und deine Familie?«

Ich schloß die Augen. Ich zögerte.

»Antworte nicht, Brad«, warf sie rasch ein. »Das war nicht fair von mir.«

Die Leitung war getrennt, langsam legte ich den Hörer auf. Sie wollte nicht, daß ich ihr darauf antwortete. Ob sie wohl Angst davor hatte, was ich sagen könnte?

Die Rufanlage summte, ich kippte den Hebel um. »Mr. Robert M. Levi möchte Sie sprechen«, krächzte Mickeys Stimme.

Ich hatte ihn schon beinahe abgeschrieben. Aber eigentlich hätte ich mir ja denken können, daß jemand wie seine Frau nicht erfolglos sein würde - nicht, nachdem ich diesen Blick auf ihrem Gesicht gesehen hatte, als sie neulich wieder abgefahren war. »Schicken Sie ihn herein«, sagte ich und wandte mein Gesicht zur Tür.

Wäre er nicht soeben angemeldet worden, hätte ich in ihm niemals denselben Mann erkannt, den ich neulich in Wappinger Falls besucht hatte. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine kastanienbraune Krawatte. Sein Gesicht war sonnengebräunt, in den Winkeln seiner braunen Augen standen winzige schräge Fältchen. Ich stand auf.

Ein warmes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Ich wäre schon am Montag gekommen. Aber meine Anzüge waren mir alle zu groß geworden. Ich mußte sie erst vom Schneider ändern lassen.«

»Diese Ausgabe wird sich unter Umständen nie amortisieren«, sagte ich.

Sein Blick wanderte langsam durch mein Büro und wieder zu mir zurück. Er zog eine Zigarette heraus und steckte sie an. »Das wollen wir erst mal sehen«, sagte er gutgelaunt. »Das heißt, wenn Sie Ihr Angebot aufrechterhalten.«

Er gefiel mir. Ein netter, kluger Bursche. Etwas an ihm gefiel mir ganz besonders. Sein Mund und sein Kinn zeugten von einem ehrlichen Charakter. Man brauchte keine schlaflosen Nächte zu verbringen, wenn man ihm mal den Rücken kehrte. Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Willkommen in der Großstadt, Farmer!«

Er grinste, als er meine Hand ergriff. »Donner und Doria«, sagte er im besten näselnden Dialekt des nördlichen Provinzlers, den ich je gehört hatte. »Haben ja 'ne mächtig schöne Bude hier!«

Sein Händedruck war fest und kräftig. Von dem Augenblick an, da wir uns die Hand gaben, wußte ich, daß wir Freunde werden würden. Ich glaube, er hatte das gleiche Gefühl.

»Wo kann ich meinen Hut aufhängen?«

Jetzt war ich an der Reihe, ihn zu überraschen. Ich legte den Hebel der Rufanlage um.

»Ja, Chef?« drang Mickeys Stimme aus dem Kasten.

»Alles fertig?«

»Alles klar.« Man hörte ihrer Stimme an, daß sie lächelte.

Ich bat ihn, mir zu folgen, und betrat den Flur, der zu Chris' ehemaligem Büro führte. Dort blieb ich stehen, wartete, bis er mich eingeholt hatte, und deutete auf die Tür.

Er starrte sie einen Augenblick an, drehte sich dann zu mir um und schluckte. »Da steht ja schon mein Name dran!«

Ich nickte. »Seit ich damals zurückkam.«

»Aber ... aber woher wußten Sie denn, daß ich kommen würde?«

Ich lächelte. »Ich machte mir schon ein wenig Sorgen. Das Büro sieht so nett aus - ich wollte so gern, daß Sie es noch vorher sehen, bevor ich den Laden hier schließen muß.«

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. »Steht's so schlimm?«

Ich hielt ihm die Tür auf. »Ziemlich«, sagte ich und folgte ihm in das Büro. »Unser gemeinsamer Freund hat verdammt gute Arbeit geleistet. Bei allen Wettannahmen gilt er als Favorit.«

Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich. Seine Hände ruhten locker auf der polierten Schreibtischplatte. In dieser Berührung lag direkt etwas Zärtliches. »Hilde wartet unten im Kombi«, sagte er. »Ich habe einen Schwung Akten über Matt Brady und Con Steel mitgebracht. Ich dachte, es könnte vielleicht ganz nützlich sein.«

»Gut. Wir werden einen Boten runterschicken, um es zu holen.«

Eine Spur von Enttäuschung huschte über sein Gesicht. Ich begriff sofort. »Und dann werde ich meine Garage anrufen«, fügte ich hinzu, »sie sollen jemanden herschicken, der den Wagen abholt. Dann kann sie heraufkommen und das Büro anschauen.«

Ich ging zur Tür. »Ich laß Ihnen erst mal Zeit, sich ein bißchen einzugewöhnen. Nach dem Essen findet eine Konferenz aller Mitarbeiter statt, da werden Sie die anderen kennenlernen. Anschließend setzen wir beide uns dann zusammen und beraten, wie wir weiter vorgehen.«

Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Vielen Dank, Brad«, sagte er ernst. »Ich habe von dem Geschäft hier überhaupt keine Ahnung. Aber ich hoffe, ich kann Ihnen trotzdem eine Hilfe sein.«

»Allein, daß Sie hier sind, ist mir eine große Hilfe«, sagte ich. »Es gibt nicht viele Menschen, die ein sinkendes Schiff besteigen würden.«

An diesem Nachmittag erfuhr ich über Consolidated Steel mehr als in all den Wochen vorher. Aber nichts, wo ich einhaken konnte. Matt Brady war zu raffiniert gewesen.

Es war beinahe sieben Uhr, als ich müde in meinem Sessel zurücklehnte und die Augen rieb. Ich schob den Stapel Papier auf meinem Schreibtisch zur Seite und blinzelte zu Bob hinüber.

»Mir reicht's, mein Lieber«, seufzte ich. »In meinem Kopf dreht sich schon alles. Machen wir lieber morgen früh weiter.« Er blickte mich lächelnd an. Er schien so frisch, als wäre er gerade erst hereingekommen; ich beneidete ihn um seine Jugend.

»Na gut, Brad«, sagte er und stand auf.

Das Telefon läutete, ich nahm den Hörer ab. »Ja.«

»Mr. Rowan?« Es war eine weibliche Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. Aber ich wußte nicht, wo ich sie hintun sollte, ich war zu erledigt.

»Am Apparat«, antwortete ich.

»Hier ist Sandra Wallace.«

Ich zwang mich, freundlich zu sein. »Sandy! Wie nett, mal wieder von Ihnen zu hören!«

Sie verlor keine Zeit. »Ich möchte Sie gern sprechen, Brad.«

Ich schloß die Augen und lehnte mich über den Schreibtisch. Dies war keine Zeit für Flirts. Außerdem war ich zu müde. Übrigens, wenn sie jetzt noch nicht wußte, wie es stand, dann war sie für dieses Spiel zu naiv. »Ich bin ziemlich im Druck«, sagte ich. »Ich kann jetzt nicht rüberkommen.«

»Ich bin im Drugstore hier in Ihrem Gebäude.«

Ich horchte auf. Das klang gar nicht nach Leidenschaft. »Dann

kommen Sie doch 'rauf, seien Sie nicht so verdammt formell!«

Ich hörte sie lachen, als sie den Hörer auflegte.

Bob schaute mich etwas seltsam an. Ich legte den Hörer auf.

»Vielleicht haben wir morgen mehr Glück«, meinte ich.

Er antwortete nichts, nickte nur und ging zu Tür. Auf halbem Weg blieb er stehen, drehte sich um und schaute mir ins Gesicht.

»Ja, Bob?«

»Entschuldigen Sie, falls ich zu indiskret bin«, sagte er. »Aber ich verstehe da etwas nicht.«

»Was?«

Er lief rot an. »Was da in den Zeitungen über Sie und die Dame Schuyler steht.«

Er brauchte nicht noch deutlicher zu werden. Ich wußte, was er meinte. »Ich bemühe mich, nicht auf allen vieren zu kriechen, wenn Sie das meinen.« Ich stand auf. »Elaine ist eine alte Freundin. Und sie ist auf unserer Seite.«

»Ich nehme an, Sie wissen, was Sie tun.« Ich konnte dem Klang seiner Stimme entnehmen, daß ihm die ganze Geschichte ziemlich unverständlich war.

Zum erstenmal beschlich auch mich das Gefühl, daß mein Einfall vielleicht doch nicht so gut gewesen war. Marge und mein Vater mochten voreingenommen sein. Aber Bob profitierte nichts von seiner Meinung; es war die Ansicht eines Außenstehenden.

»Ich mußte ja irgendwas probieren«, verteidigte ich mich kleinlaut.

Er war nicht überzeugt. »Ich habe sie mehrfach in Washington getroffen. Eine der attraktivsten Frauen, die ich kenne.«

»Und sie sieht nicht nur großartig aus, sie ist es auch.« Es war draußen, ehe ich die Worte zurückhalten konnte.

Er sah mich einen Augenblick lang verständnisvoll an, dann wandte er sich rasch ab und griff nach der Türklinke. »Bis morgen, Brad!«

Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür, und Sandra stand da. »Oh, Verzeihung!« rief sie aus. »Ich wollte nicht stören.«

»Schon gut, Sandy«, sagte ich. »Kommen Sie ruhig herein.«

»Ich wollte sowieso gerade gehen«, erklärte Levi. »Gute Nacht, Brad.«

Die Tür schloß sich, während ich um meinen Schreibtisch herumging. »Nett, Sie wiederzusehen, Sandy.« Ich ergriff ihre Hand.

»Am Telefon schienen Sie mir nicht gerade entzückt zu sein!«

»Ich bin müde.« Ich führte sie zu einem Stuhl. »Ihr Chef leistet ganze Arbeit, er schlägt mich kurz und klein.«

»Sie meinen: mein ehemaliger Chef. Ich komme, um mir die Hilfe zu holen, die Sie mir angeboten haben.«

Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. »Haben Sie am Ende gekündigt?«

»Morgen«, nickte sie. »Er weiß es noch nicht.«

»Und warum haben Sie Ihre Meinung geändert? Ich dachte, Sie hätten sich mit ihm abgefunden?«

»Dachten Sie.« Sie schaute mir in die Augen. »Ich weiß, ich habe genauso viel Chancen bei Ihnen wie ein Schneeball in der Hölle. Trotzdem - ich kann einfach nicht den ganzen Tag in seinem Büro sitzen und ihm helfen.«

Es war in meinem Leben nicht oft passiert, daß ich mir erbärmlich vorkam. Aber dieser Aufrichtigkeit gegenüber fühlte ich mich sehr klein. »Sie sind so nett zu mir«, sagte ich.

Sie stand auf und kam auf mich zu, und sie schaute mir noch immer in die Augen. »Als Sie damals fortgingen, habe ich mir gesagt, daß es vorbei wäre. Daß Sie nichts für mich übrig hätten. Daß Sie einer anderen gehören. Aber dann verging die Zeit, und ich sah, was passierte. Ich wußte es jedesmal, wenn er zum Schlag gegen Sie ausholte, und mir tat es jedesmal mit weh. Und dann habe ich meinen Entschluß gefaßt.«

Ich sprach kein Wort. Sie stand ganz dicht vor mir, ich spürte das Drängen in ihrem Körper, die rein animalische Besitzgier, die sie zu mir trieb.

Ich beherrschte mich und wartete, was sie weiter sagen würde.

»Sie haben vielleicht nichts für mich übrig. Aber ich für Sie. Ich habe genug Männer kennengelernt, um zu wissen, was ich sage. Keiner hat mich derart erregt wie Sie. Und kein anderer wird es jemals können.«

»Sie sind jung«, entgegnete ich derb. »Eines Tages wird Ihnen genau der Richtige über den Weg laufen, und dann bin ich nichts mehr als ein Schatten neben ihm.«

Sie lächelte schwach. »Ihr Wort in Gottes Ohr.«

Ich drehte mich um, trat wieder hinter meinen Schreibtisch und steckte mir eine Zigarette an. »Sie wollen also tatsächlich weg von ihm?«

Sie beobachtete mich noch immer. »Glauben Sie es nicht?«

Darauf wußte ich keine Antwort.

Sie setzte sich wieder. »Damals haben Sie gesagt, Sie würden mir eine Stellung verschaffen.«

Ich zögerte.

»Haben Sie das nicht ernst gemeint?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich war damals viel dreister als heute. Zu dieser Zeit wußte ich noch nicht, wozu Matt Brady fähig ist.«

»Dann wollen Sie mir also nicht helfen?« Ihre Stimme zitterte.

»Das habe ich nicht gesagt. Ich weiß nur nicht, ob ich noch genügend Freunde übrigbehalten habe, die auf mich hören.«

»Aber Sie werden es versuchen?« Sie fixierte mich noch immer.

»Darauf können Sie sich verlassen.«

Sie stand auf. »Das ist meine einzige Bitte.« Sie blickte auf ihre Uhr. »In einer Stunde habe ich eine Maschine zurück. Das werde ich gerade noch schaffen.«

Ich ging um den Schreibtisch herum. »Rufen Sie mich Montag an?« »Bestimmt.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen.

Ich ergriff sie und schaute auf sie hinab. »Sandy, es tut mir leid, daß ich nicht so ganz der Mann bin, für den Sie mich halten. Es war nicht meine Absicht, Versprechungen zu machen, die ich nicht erfüllen kann.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Für mich sind Sie Mann genug.«

Ich blickte ihr in die Augen. Sie meinte es nicht ironisch. »Danke, Sandy.«

Ihre Unterlippe zitterte. Ich nahm Sandy in den Arm und küßte sie.

»Brad!« Sie riß ihren Kopf zurück, zog dann mein Gesicht dicht an das ihre und studierte schweigend meine Augen.

»Entschuldige, Sandy«, flüsterte ich.

Ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie etwas sagen - da erklang hinter uns ein Geräusch und dann eine andere Stimme.

»Brad, du hast schwer gearbeitet. Komm, ich will dich abholen!« Die Tür schwang vollends auf - und da stand Elaine.

Für einen Augenblick waren wir zu überrascht, um uns zu rühren. Dann ließ Sandy ihre Arme von meinem Hals gleiten. Das Lächeln auf Elaines Gesicht fror ein und verschwand dann langsam. In ihren Augen war zu lesen, wie verletzt sie war. Sie stand still und ganz armselig in der Tür, ihre Hand lag auf dem Griff, als müßte sie sich an ihm festhalten. Sie blickte von mir zu Sandy und wieder zurück. Schließlich sagte sie: »Hallo, Sandra.« Ich spürte, wie sie sich zwang, ihre Stimme zu beherrschen.

»Mrs. Schuyler ...«, sagte Sandy leise.

Ein Schleier war über Elaines Augen gefallen, der mich aussperrte.

»Vielleicht habe ich mich doch geirrt, Brad.« Die Kränkung sprach nun auch aus ihrer Stimme. »Ich wollte es nicht glauben, als du mir gesagt hast, dir wäre jedes Mittel recht. Aber jetzt weiß ich es.«

Die Tür knallte zu, und weg war sie. Sandy und ich starrten uns an - es war, als würde ein Zauber gebrochen. Ich rannte zur Tür und riß sie auf. Das Vorzimmer war leer.

»Elaine!« rief ich und rannte auf den Flur. Ich hörte gerade noch das Schließen der Fahrstuhltüren. »Elaine!« rief ich wieder und stürzte auf den Lift zu.

Aber zu spät. Hilflos starrte ich auf die geschlossenen Türen, machte dann kehrt und ging langsam ins Büro zurück.

Dort stand Sandy und beobachtete mich. Ich ging an ihr vorbei und ließ mich niedergeschlagen in meinen Sessel fallen.

»Sie lieben sie sehr!«

Ich nickte.

Sie ging zur Tür. »Gute Nacht, Brad.«

»Gute Nacht«, sagte ich. Ich schaute nicht auf, als die Tür ins Schloß fiel. Ich lehnte mich in den Sessel zurück und legte die Hand über die Augen. Ich fühlte Elaines Schmerz, mein ganzer Körper litt mit ihr. Ich hatte kein Glück mehr. Ich würde auch keines mehr haben. Im Gegensatz zu Matt Brady.

Er hatte gewonnen. Ich hatte die Freude am Kampf verloren. Mein Blick wanderte durch das Büro. Solange sich etwas rührte, war es großartig gewesen. Aber nun war die Vorstellung zu Ende. Ich mußte nur noch die Zeche bezahlen. Morgen würde ich den Laden zumachen, und nächste Woche würde ich mich nach einer Stellung umschauen.

Ich stand auf und suchte nach Alkohol. Auch abtreten kann man stilvoll. Besser, der Whisky befand sich in meinem Magen als in dem der Gläubiger. Ich goß gerade ein, als jemand an die Tür klopfte.

»Sind Sie noch da, Brad?« rief Levi.

»Kommen Sie rein, Bob!« Ich lächelte bitter vor mich hin. Morgen früh würde es auch nicht leichter sein, ihm alles zu sagen - ich konnte es genausogut jetzt noch verkraften. Er hatte einen sehr kurzfristigen Posten gehabt.

Bob war erregt, er lehnte sich über meinen Schreibtisch. »Woher kennen Sie denn Matt Bradys Tochter?«

Ich schaute ihn bestürzt an, immer noch das Glas in der Hand. Er war anscheinend noch verwirrter als ich. »Mrs. Schuyler ist Bradys Nichte«, erklärte ich ihm.

»Aber ich rede doch nicht von Mrs. Schuyler«, sagte er ungeduldig.

»Ja, über wen denn sonst?«

»Über Sandra Wallace«, antwortete er.

Mein Whisky schwappte über den ganzen Schreibtisch, als ich seine Antwort vernahm. Er lief sogar auf meine Hose, aber es war mir völlig gleichgültig. Ich war soeben wiederauferstanden.