9

Wieder wurde Lucas nach der Vorlesung von einem Mädchen angesprochen. Was zum Teufel sollte das? Hatte denn jede Studentin in dem Hörsaal das dringende Bedürfnis, sich mit ihm zu unterhalten? Aber dann stellte sich ein Typ neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter. Entsetzt begriff ich, was meine Bauchreaktion zu bedeuten hatte: Eifersucht. Auf einen Typen, den ich kaum kannte, mit dem ich mehr Speichel als Worte getauscht hatte.

Als ich den äußeren Gang entlanglief, schenkte Lucas mir ein knappes Lächeln, mit leicht erhobenem Kinn, und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder dem Pärchen vor ihm zu. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Ich war beides zu gleichen Teilen.

Beim Mittagessen fragte ich Erin um Rat.

»Er hält sich verdammt bedeckt.« Sie schlurpte ihren üblichen Mittags-Jamba-Juice, während sie über mögliche Gründe für seine Zurückhaltung nachgrübelte. »Es ist fast, als ob … er sich dagegen sträubt, sich zu dir hingezogen zu fühlen. Versteh mich nicht falsch – viele Typen geben sich zugeknöpft, aber im Allgemeinen erst, nachdem sie den Deal unter Dach und Fach gebracht haben.« Sie musterte mich eingehend. »Bist du sicher, dass am Freitagabend nicht noch mehr passiert ist?«

Ich seufzte tief und schlug mir mit der Hand vor die Stirn. »Ach ja, den Teil, wo wir die ganze Freitagnacht hemmungslosen Sex hatten, habe ich total vergessen.«

Sie verdrehte die Augen, und dann zog sie die Brauen hoch. »Hey. Was, wenn er eine Freundin hat?«

Ich runzelte die Stirn. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. »Gut möglich.«

Ich musste an die eine Sache denken, die ich nicht laut aussprechen konnte: Was, wenn ich bei diesem Vorfall an dem Abend, an dem wir uns kennenlernten, so jämmerlich und idiotisch ausgesehen hatte, wie ich mich fühlte, und er nicht damit klarkam? Diese entsetzlichen Minuten verfolgten mich noch immer, und vor ein paar Tagen Buck über den Weg zu laufen hatte die Bedrohung nur noch vergrößert. Es war mit Sicherheit nicht das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hatte. Er war in derselben Verbindung wie Kennedy. Er war mit Chaz und Erin befreundet und mit meinem ganzen ehemaligen Freundeskreis. Es war fast unvermeidlich.

»Eine Freundin würde unsere Pläne eindeutig durchkreuzen«, überlegte Erin.

Aus heiterem Himmel fragte ich mich, ob Landon Maxfield eine Freundin hatte. Er hatte keine erwähnt, aber warum sollte er auch? Er hatte keinen Grund, in eine seiner E-Mails ein Ach übrigens, ich habe eine Freundin einzufügen. Ich könnte mir irgendeinen Vorwand überlegen, ihn zu fragen. Er schien so offen, dass ich mir sicher war, dass er antworten würde.

»J?«, unterbrach Erins Stimme meine Gedanken.

»Hä? Entschuldige.«

Sie zog eine Augenbraue hoch, während sie den letzten Rest ihres Smoothies schlürfte. »Was geht dir durch den Kopf? Ich kenne diesen berechnenden Blick, und als deine offizielle Anstandsdame muss ich wissen, was du im Schilde führst.«

Ich stocherte an dem Sandwich in meiner Hand herum, zog die Tomaten heraus und stapelte sie in einer Ecke meines Tabletts. Ich konnte ihr nicht von Buck erzählen. Aber ich konnte mein wachsendes Interesse an Landon beichten. »Kennst du meinen Wirtschaftstutor?«

Sie nickte verwirrt, und eine bloße Online-Schwärmerei an einer Uni zu entwickeln, auf der es Tausende männlicher Singles gab, erschien mir auf einmal als das Lächerlichste, was es in der Geschichte lächerlicher Singles je gegeben hatte.

»Na ja, manchmal kommt es mir vor, als ob wir flirten. Und einmal hat er gemeint, Kennedy sei ein Schwachkopf.«

Sie blinzelte. »Er kennt Kennedy?«

»Nein – ich meine, er hat gesagt: ›Dein Ex ist ein Schwachkopf‹. Ich glaube nicht, dass er ihn wirklich kennt. Es war eher als eine Art … Kompliment an mich gemeint.« Ich nahm einen Bissen von meinem Truthahn-Bacon-Guacamole-Sandwich.

»Hmm.« Erin stützte beide Ellenbogen auf den Tisch. »Na ja, Tatsache ist, er kann unmöglich so heiß wie Lucas sein. Aber er ist Tutor, was heißt, dass er schlau sein muss – und das ist weiß Gott genau dein Fall. Ist er denn süß?«

»Äh«, sagte ich, noch immer kauend.

Sie kniff die Augen zusammen. »Oh mein Gott. Du hast ihn noch gar nicht getroffen, stimmt’s?«

Ich schloss die Augen und seufzte. »Nicht wirklich.«

»Nicht wirklich?«

»Na schön, überhaupt nicht. Ich habe keine Ahnung, wie er aussieht, okay? Aber er ist intelligent und witzig. Und er war richtig nett und hat mir so viel geholfen – ich habe im Kurs fast alles aufgeholt, bis auf dieses Projekt …«

»Jacqueline, du kannst dich doch nicht in einen Typen verknallen, ohne ihn je gesehen zu haben! Was, wenn sein Aussehen ein K.-o.-Kriterium ist? Er könnte so aussehen wie …« Sie ließ den Blick durch die Cafeteria schweifen, bis er an einem eklig aussehenden Typen in einem Schlabber-T-Shirt und Trainingshose hängen blieb, der an unserem Tisch vorbeischlurfte. »… dieser Typ.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust – ich war an Landons Stelle beleidigt. »Dieser Typ sieht total asozial aus. Landon ist zu schlau, um so auszusehen.«

Sie hielt sich eine Hand vor die Augen und schüttelte den Kopf. »Na schön. Wir werden Landon zu Plan B machen.« Sie fixierte mich mit ihrer typischen verschwörerischen Miene – zusammengekniffene Augen, schmollende Lippen. »Was weißt du wirklich über diesen Landon?«

Ich lachte. »Weitaus mehr als über diesen Lucas.«

»Nur nicht, wie er aussieht und schmeckt.« Sie wackelte mit den Augenbrauen.

»Igitt! Erin! Du hast wirklich immer nur das Eine im Kopf!«

Sie grinste selbstgefällig. »Ich würde mich eher als äußerst zielorientiert beschreiben.«

Wir ließen Starbucks aus – alles ein Teil von Erins Plan, auch wenn sie sich über die Opfer beklagte, die sie mir zuliebe erbringen musste, während wir unseren Cafeteria-Kaffee hinunterwürgten. Sie gab mir die strikte Anweisung, keinem der beiden eine SMS oder E-Mail zu schicken, und umarmte mich kurz, bevor sie von einem Haufen Kommilitoninnen aus ihrer Verbindung verschluckt wurde – die alle taten, als wären wir bestenfalls flüchtige Bekannte, während sie für den Nachmittag einen Kuchenstand aufbauten.

Vor einem Monat war ich noch als Kennedys GVU-Freundin geduldet worden … jetzt war ich nur noch die keiner Verbindung angehörende Mitbewohnerin der armen Erin.

Waschmaschinenräume gab es auf jeder Etage des Wohnheims, aber da alle auf meinem Stockwerk zur selben Zeit beschlossen hatten, Wäsche zu waschen, waren alle Maschinen belegt. Ich hievte meinen überquellenden Wäschesack ins Treppenhaus und zerrte ihn die Betonstufen hinunter, in der Hoffnung, die Bewohner ein Stockwerk tiefer würden weniger auf Reinlichkeit bedacht sein, wenigstens an diesem Abend.

Zehn Minuten später machte ich mich mit meinem leeren Wäschesack wieder auf den Weg nach oben. Im Treppenhaus blieb ich stehen, als mein Handy klingelte. Ich beantwortete eine Nachricht von Maggie, die mich daran erinnerte, ihr einen Link zu mailen, den sie für eine Spanisch-Hausaufgabe brauchte. Es juckte mich, Lucas eine SMS oder Landon eine E-Mail zu schicken, aber ich stopfte das Handy in meine vordere Hosentasche. Ich hatte Erin versprochen, keines von beidem zu tun. Sie wusste, wie Jungen tickten, während ich nach meinen Jahren mit Kennedy erbärmlich unvorbereitet auf komplexe Manöver dieser Art war. Offen gestanden, erschienen mir die Regeln fürs Anbaggern kaum weniger kompliziert als die Regeln dafür, eine feste Beziehung zu finden, aber was wusste ich schon.

Die Tür unter mir schwang auf und wieder zu, während ich um die Ecke bog. Schritte kamen hinter mir die Treppe herauf. In meinem Wohnheim gab es Hunderte von Bewohnern, und obwohl wir alle den Aufzug oder die Haupttreppe benutzten, um das Gebäude zu betreten oder zu verlassen, benutzten wir meistens das ständig feuchte hintere Treppenhaus, wenn wir uns zwischen den Etagen bewegten. Jedes Mal überkam mich ein unheimliches, beengendes Gefühl dabei, doch ich zwang mich, nicht auf die Tür am oberen Ende zuzusprinten.

Ich blieb mit einem Ruck stehen, als mir bewusst wurde, dass ich mich vorwärtsbewegte, mein Wäschesack jedoch nicht. In der Annahme, er sei am Treppengeländer hängen geblieben, drehte ich mich um, um ihn loszumachen – und sah mich Auge in Auge Buck gegenüber. Das untere Ende des Sacks war in seiner Faust gefangen.

Mir stockte der Atem, und mein Herz setzte einen Takt aus, als wäre der Moment in Zeitlupe festgehalten, und dann begann es wie eine schwere Maschine in meiner Brust zu hämmern. Er nahm die Stufe bis zu mir – und sah spöttisch auf mich herab. »Hey, Jackie.« Galle stieg mir in der Kehle hoch, als ich seine Stimme hörte, und ich schluckte. »Oder auch nicht. Es heißt jetzt Jacqueline, oder? Hast du das nicht gesagt? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften …« Als er sich vorbeugte, wich ich die Treppe aufwärts zurück, doch dabei stolperte ich und landete ausgestreckt auf dem Boden. Ich versuchte mein Möglichstes, weiter hoch in Richtung Tür zu kriechen, aber er streckte die Hände nach mir aus und zog mich mühelos hoch, indem er mich an beiden Schultern packte.

»Fass mich nicht an«, keuchte ich.

Er lächelte, als würde er ein kleines, gefangenes Beutetier hypnotisieren. Als würde er mit mir spielen. »Komm schon, Jacqueline, sei nicht so. Du warst doch immer richtig nett zu mir. Ich will nur, dass du noch ein bisschen netter bist, das ist alles.«

Diesmal klangen seine Worte nicht lallend. Er war nüchtern und entschlossen, und die Gehässigkeit in seinen Augen verriet mir, dass ich für mein Entkommen am Abend der Party büßen würde. Ich würde für das büßen, was Lucas getan hatte.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Nein gesagt, Buck. Genau wie letztes Mal.«

Seine Augen verengten sich, und ich konnte den Fluch, den er zischelte, kaum hören, so laut rauschte das Blut in meinen Ohren. Lauf, lauf, lauf, schien es zu rufen, und ich wünschte, ich könnte gehorchen. Ich ließ den Wäschesack los, und er fiel zwischen uns zu Boden.

»Ich weiß, das, was an dem Abend neulich passiert ist, war nicht deine Schuld.« Er zuckte mit den Schultern. »Du bist ein hübsches Mädchen, und dieser Typ hatte offensichtlich dieselbe Idee wie ich. Er war mir gegenüber nur im Vorteil, weil ich getrunken hatte.« Sein Atem blies mir ins Gesicht, heiß, ohne eine Spur von Alkohol. Er würde nicht stolpern, wenn ich mich aus seinem Griff losriss und wegrannte. »Und, hat er dich gleich in deiner Karre gevögelt, oder hast du ihn mit auf dein Zimmer genommen? Ich weiß, dass Erin an dem Abend bei Chaz war. Genau wie sie es heute Abend sein wird.«

Ich zuckte zusammen bei seinen vulgären Worten. Ich hatte noch keine SMS von Erin bekommen, aber es war nicht ausgeschlossen, dass sie heute Abend bei Chaz übernachtete oder dass Buck es vor mir wusste.

Ein Arm schnellte herum und umklammerte meine Hüfte, drückte sie schmerzhaft zusammen. Der Schmerz war nichts verglichen mit der Demütigung, gegen meinen Willen angefasst zu werden.

»Das Treppenhaus ist doch etwas muffig und ungemütlich, es würde den Zweck erfüllen, aber warum gehen wir stattdessen nicht auf dein Zimmer? Ich werd’s dir schön besorgen, Süße.«

Seine Drohung war offensichtlich. Wenn ich Nein sagte, würde er mich hier und jetzt vergewaltigen. »Es … es könnte jeden Augenblick jemand ins Treppenhaus kommen.«

Er lachte. »Stimmt. Zu dumm, dass du nicht diesen knappen Rock anhast wie neulich. Dann könnte ich dich gegen diese Wand drücken und in zwei Minuten mit dir fertig sein, ohne dir irgendwas auszuziehen.«

Mir drehte sich der Kopf. Ich stemmte mich gegen Buck, versuchte mich zu bewegen, wenigstens ein kleines bisschen, aber ich konnte nicht.

»Wäre nicht das erste Mal, dass man mich mit einer scharfen kleinen Irren in einer etwas ungewöhnlichen Position erwischt. Und hey – überleg mal –, wenn du dich an Kennedy dafür rächen willst, dass er mit dir Schluss gemacht hat, dann kannst du ihn damit verrückt machen, dass du dich in das Mädchen verwandelst, das es überall mit jedem treibt.« Er zuckte mit den Schultern. »Mit diesem Stück Scheiße hast du ja schon angefangen – und wer weiß, mit wem noch alles? Das heißt, wir können es gern hier tun, wenn es das ist, was du willst.«

»Nein«, rief ich, und seine Augen flackerten auf. »Mein Zimmer.« Mein Atem ging keuchend und abgehackt, was von seinem Erbsenhirn hoffentlich als Geilheit missverstanden wurde. Er lächelte, und mir wurde übel. Mein Bedürfnis, mich zu erbrechen, war nie größer gewesen, aber mein Körper kämpfte instinktiv dagegen an.

Einen Arm um meine Taille gelegt, schob er mich zu der Tür am oberen Ende der Treppe, während er den Wäschesack vom Boden aufhob. Ich fragte mich, ob ich bereit war zu tun, was ich im Begriff war zu tun. Ob ich in der Lage war, im Flur zu schreien, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen und ihn zu kratzen, mich vor allen anderen zu demütigen, in der Hoffnung, es möge ihm nicht gelingen, mit auf mein Zimmer zu kommen. Denn wenn ihm das gelang, dann war ich erledigt. Die Wände waren zwar nicht schalldicht, aber jeder war es gewohnt, alle möglichen Geräusche aus benachbarten Zimmern zu hören. Selbst wenn sie über ihre Musik, Fernseher und Videospiele irgendetwas hörten, würden sie sich vermutlich nichts dabei denken.

Wir traten in den Flur, und ich versuchte die Leute abzuschätzen, auf die ich gleich angewiesen sein würde. Mein Zimmer befand sich sechs Türen vom Treppenhaus entfernt. Zwei Typen am anderen Ende des Flurs übten auf einem Skateboard Kick-Flips. Olivia stand mitten auf dem Flur und unterhielt sich mit Joe, einem Typen aus der vierten Etage. Als sie uns sah, klappte ihr der Mund herunter, und sie machte ihn rasch wieder zu, während Joe über seine Schulter sah, Buck mit einem Nicken grüßte und sich leise kichernd wieder zu ihr wandte. Es war schlimm.

Kimber, die zwei Türen weiter wohnte, kam mit ihrer Wäsche in den Flur. Ich blieb stehen. Jetzt oder nie. Buck trat einen Schritt vor, bevor er begriff, dass ich nicht von der Stelle wich. Er wandte sich zu mir um. »Komm schon, J«, lockte er mich.

»Nein. Du wirst mein Zimmer nicht betreten, Buck. Ich will, dass du jetzt gehst.«

Der Schock war ihm anzusehen. Kimber, Olivia und Joe erstarrten, warteten ab, um zu sehen, was sich gleich abspielen würde.

Bucks Hand war an meinem Ellenbogen. »Vor ein paar Minuten hast du dich noch ganz anders angehört, Süße. Lass uns unter vier Augen darüber reden.« Er versuchte mich weiterzuziehen, aber ich riss meinen Arm von seiner fleischigen Hand los.

»Ich will, dass du gehst. Und zwar jetzt.« Ich funkelte ihn an, während meine Brust bebte.

Unentschlossenheit spiegelte sich in seinem Gesicht. Fünf Leute sahen zu. Er hob die Hände. »Jetzt sei nicht gleich eingeschnappt, okay? Ich habe dir ja gleich gesagt, dass es auf diesen Stufen kalt und hart sein würde. Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass du keine fünf Minuten warten konntest.« Er warf mir den Wäschesack über die Schulter, während er hinzufügte: »Ruf mich später an, wenn du dich abgeregt hast, meine Hübsche.« Er klatschte Joe ab und schlenderte zum Treppenhaus. Ich wartete, bis er durch die Tür verschwunden war, bevor ich mich rührte.

Mein Gesicht brannte. Ich sperrte meine Tür auf, während Olivia alles andere als dezent hinter mir flüsterte: »Ohmeingott, haben die beiden es etwa eben im Treppenhaus miteinander getrieben? Sie hatte doch erst am Freitagabend irgendeinen anderen Typen in ihrem Zimmer! Ich frage mich, ob sie schon während der Sache mit Kennedy mit anderen Typen rumgevögelt hat, und ob er sie deshalb …«

Ich schloss meine Zimmertür ab, lehnte mich dagegen und rutschte an ihr hinunter, bis ich zitternd auf dem Boden saß. Tränen strömten mir übers Gesicht, und mein Atem ging so schwer, dass meine Brust schmerzte. Ich wollte weglaufen. Ich wollte nach Hause. Ich wollte nichts mehr davon wissen, dass mein Freund mit mir Schluss gemacht hatte, dass meine Träume zerplatzt waren, dass ich mich ständig zu unerfahren und zu dumm fühlte, um mein eigenes Leben in den Griff zu bekommen.

Diesmal hatte ich Buck ausgetrickst, sodass er jetzt zum zweiten Mal nicht bekommen hatte, was er wollte, und daher stocksauer war. Beliebt und gut aussehend, hatte er bei den Mädchen fast die freie Auswahl, und nach dem, was ich gehört und gesehen hatte, nutzte er diesen Vorteil reichlich aus. Ich war nicht hübscher als Mädchen wie Olivia, die sich ihm ständig an den Hals warfen. Er hatte keinen Grund, sich auf mich zu fixieren.

Ganz am Anfang hatte es irgendeine Rivalität zwischen Buck und Kennedy gegeben, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, weswegen. Irgendetwas, was passiert war, kurz nachdem sie ihrer Verbindung beigetreten waren. War es möglich, dass er mich nur belästigte, weil er irgendein Problem mit meinem Ex hatte?

Schon möglich, wenn er glaubte, er könnte Kennedy damit auf die Palme bringen.

Ich würde es Erin sagen müssen. Sie würde stocksauer auf mich sein, weil ich diese Geschichte für mich behalten hatte, und mir graute vor ihrer Reaktion, aber ich hatte keine andere Wahl. Nicht mehr.

Ich: Ich muss mit dir reden.

Erin: Ich muss auch mit dir reden! Treffen wir uns nach

deinem Kurs auf unserem Zimmer.

»Jacqueline, hast du gestern Abend mit Buck rumgemacht?«, wisperte Erin, sobald die Tür zu unserem Zimmer hinter ihr zugefallen war.

Ich glaubte spüren zu können, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. »Wo hast du das denn gehört?«

Sie machte ein Geräusch – pfft. »Wo habe ich es nicht gehört? Warum hast du es mir heute Morgen in Astronomie denn nicht erzählt? Und warum ausgerechnet Buck? Ich meine, er ist ja heiß und alles …«

»Habe ich nicht.« Ich schluckte schwer, und meine Augen wurden feucht. »Habe ich nicht, Erin.«

Sie blinzelte, als sie meine Miene sah, durchquerte das Zimmer mit drei großen Schritten und packte mich bei den Armen. »J, was ist los? Was ist passiert?«

Ich ließ mich aufs Bett fallen, und sie setzte sich neben mich, mit weit aufgerissenen Augen.

»Ich … ich muss dir etwas sagen.«

»Okay … ich höre …«

Wo sollte ich anfangen? Gestern Abend? Vor zwei Wochen?

»Als ich früh von dieser Halloweenparty gegangen bin – vor ein paar Wochen? Da ist Buck mir gefolgt.« Ich kaute auf einem Hautfetzen an meiner Lippe, und ich wusste, dass sie blutete. Der Geschmack des Bluts rief mir den Abend noch lebhafter in Erinnerung, und die Hitze stieg mir ins Gesicht. »Er war betrunken. Er hat mich in meinen Truck gestoßen.« Ich hielt mich aufrecht, zwang die Worte aus meinem Mund, während Erin der Kiefer herunterklappte.

»Er hat was?« Ihr Griff um meinen Arm verstärkte sich.

»Er wollte mich ver … vergewaltigen …«

»Wollte?«

Ich schloss die Augen. Leckte mir das Blut von der Lippe. »Lucas ist aus dem Nichts aufgetaucht. Er hat ihn aufgehalten.«

»Ach du Scheiße.«

In der Stille, die folgte, schlug ich die Augen schließlich wieder auf. Erin hielt noch immer meine Arme umklammert, während sie auf den abgelaufenen Teppich unter unseren Füßen starrte.

»Glaubst du mir?« Die Tränen ließen sich nicht aufhalten. Das letzte Mal, dass ich geweint hatte – bevor Kennedy letzten Monat mit mir Schluss gemacht hatte –, war über ein Jahr her, als ich mir beim Snowboardfahren den Oberschenkel gebrochen hatte. Und davor, als unser alter Hund Cissie gestorben war.

»Jacqueline, wie kannst du …? Natürlich glaube ich dir! Was ist das denn für eine Frage?« Sie funkelte mich entrüstet an. »Und übrigens, warum zum Teufel hast du mir das nicht schon längst erzählt? Hast du wirklich gedacht, ich würde dir nicht glauben?« Ihre Lippe bebte, verwandelte ihre Miene von gekränkt zu verletzt.

»Chaz und Buck sind beste Freunde, und ich dachte, ich könnte … ihm einfach aus dem Weg gehen …«

»Jacqueline, das sind genau die Dinge, die Frauen sich erzählen müssen! Und es ist mir scheißegal, ob er betrunken war …«

»Es kommt noch mehr.«

Sie saß da und starrte mich schweigend an.

»Gestern Abend hat er mich im Treppenhaus abgepasst.« Erins Augen weiteten sich, doch ich schüttelte den Kopf. »Es ist nichts passiert. Ich habe ihn ausgetrickst, habe gesagt, wir könnten in mein Zimmer gehen, damit er mit hochkommt. Als wir in den Flur kamen, wo andere Leute in der Nähe waren, habe ich ihm gesagt, er soll gehen.« Ich hielt mir die Hände vors Gesicht, während ich den Rest herauswürgte. »Er hat es so hingestellt, als ob wir es auf der Hintertreppe miteinander getrieben hätten. Olivia hat ihn gehört und …«

»Jetzt wird mir alles klar.« Erin umklammerte meine Hände. »Dieses verdammte Klatschmaul hat kein Recht, Gerüchte über irgendwen in die Welt zu setzen. Sie ist mir egal. Aber sei ehrlich zu mir, J. Hat er dir etwas angetan? Hat er?« Ihre Augen flackerten.

Ich schüttelte den Kopf. »Er hat mir nur Angst gemacht.«

Sie seufzte, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt, und dann richtete sie sich auf. »Augenblick. Soll das heißen, dieser verlogene Scheißkerl hat Bekanntschaft mit Lucas’ Fäusten geschlossen, nicht mit ein paar obdachlosen Schlägertypen?«

»Ja.«

Ein verletzter Ausdruck huschte über ihr Gesicht – ich konnte es in ihren Augen sehen. »Warum hast du es mir nicht erzählt?«

Ich senkte die Schultern. »Ich weiß nicht. Es tut mir leid.«

Zur Antwort legte sie die Arme um mich. »Und Lucas? Hast du ihn vor dieser ganzen Geschichte überhaupt gekannt?«

Ich lehnte mich an sie, schmiegte den Kopf unter ihr Kinn. »Nein. Vor diesem Abend hatte ich ihn noch nie gesehen. Unser Wirtschaftskurs ist riesig, und es war schließlich nicht so, dass ich mich nach anderen Typen umgesehen habe. Ich hatte Kennedy.« Meine Hände fielen mit den Handflächen nach oben in meinen Schoß. »Das dachte ich zumindest.«

Erins Griff verstärkte sich. »Natürlich hattest du.«